DAS DREIZEHNTE KAPITEL

Es war nur ein Traum / Ein Gespräch vorm Einschlafen / Vom Erfinder des Reißverschlusses / Was ist ,viel‘? /Mäxchen ist noch gar nicht müde / Tolle Burschen und dicke Freunde.


„Es war wirklich nur ein Traum?“ Der Kleine Mann seufzte erleichtert. Ihm fiel ein Kieselstein vom Herzen. „Oh, lieber Jokus, ein Glück, daß du mich endlich wiedererkennst!“

„Ich habe dich nicht wiedererkannt? Na hör mal!“

„Weil ich zu groß war“, berichtete Mäxchen. „So groß wie die anderen Jungen in meinem Alter. Und außerdem steckte ich, so klein wie jetzt und sonst, noch einmal in deiner Brusttasche!“

„Ein Mäxchen und ein Max gleichzeitig? Donnerwetter! Womöglich auch noch ein Moritz und ein Moritzchen?“

Der Kleine Mann mußte lachen. Es tat zwar noch ein bißchen weh in der Kehle. Aber er würde schon wieder fröhlich werden, das fühlte er. „Nimm mich bitte in die Hand“, sagte er. „Da spür ich besser, daß du mich beschützt.“

„Außerdem wird es auf dem Balkon zu kalt“, meinte der Jokus und hob ihn aus dem Blumentopf. „Jetzt badest du in der Seifenschale. Hinterher legst du dich in die Streichholzschachtel. Und dann erzählst du mir vorm Einschlafen, was du geträumt hast.“

„Alles? Ganz ausführlich?“

„Jawohl. Lang und breit und kurz und klein. Träume haben es hinter den Ohren.“ Plötzlich erschrak der Jokus. „Hast du Hunger? Oder hast du im Traum Kalbskeulen und heiße Würstchen gegessen?“

„Nein“, sagte Mäxchen, „es war ein Traum ganz ohne Essen. Aber ich bin trotzdem satt.“

Als die Nachttischlampe brannte, erzählte Mäxchen seinen Traum. Lang und breit und kurz und klein. Von der gemütlichen Frau Holzer und ihrem Niesen. Vom Professor Wachs-muth, der ein echter Zauberer gewesen war und ihn erst in einen Riesen und dann in einen Schuljungen verwandelt hatte. Von dem Ärger mit dem strohblonden Flegel erzählte er auch. Und von den Litfaßsäulen mit den vielen dummen Plakaten. Dann vom Zirkus mit dem Direktor Brausepulver und dem Kunstreiter Traberewski. Und endlich von dem mörderischen Schreck, wie der Jokus dazugekommen war mit dem Kleinen Mann im Jackett und ihn, das eigentliche Mäxchen, nicht wiedererkannt hatte.

Der Jokus schwieg ziemlich lange. Dann räusperte er sich und sagte: „Da haben wir’s. Der Traum hat es verraten. Du wolltest lieber ein normaler Junge sein statt des Kleinen Mannes, der du bist.“

Mäxchen nickte bekümmert. „Immer schon. Ja. Ich habe es nur niemandem erzählt. Nicht einmal dir. Obwohl ich dir sonst alles sage.“

„Und plötzlich wurde dir, als du groß warst, angst und bange.“

„Genauso war’s“, meinte Mäxchen kleinlaut. „Du hast ja einmal gesagt, man muß etwas sein und etwas können. Und nun war ich nichts und konnte nichts. Als ich dem Direktor und dem Traberewski erzählte, ich könne Schnürsenkel aufziehen, wollten sie sich totlachen.“

„Weil du groß warst! Da kann es jeder. Und es sieht auch jeder. Nur wenn es der Kleine Mann macht, sieht es keiner. Das kannst bloß du und sonst niemand.“

„Viel ist das nicht“, sagte Mäxchen.

„Nein“, meinte der Jokus. „Viel ist es nicht. Das stimmt. Doch es ist besser als gar nichts. Denn wer auf der Welt kann viel? Da sitzt, wie es tatsächlich passiert ist, ein Mann jahrelang im Gefängnis und erfindet den Reißverschluß. Heute gibt es so ein Ding an jedem Koffer und an jedem zweiten Kleid. Der Mann hat den Reißverschluß erfunden. Ist das -viel?“

Mäxchen hörte aufmerksam zu.

„Oder es läuft jemand hundert Meter um eine Zehntelsekunde schneller als alle anderen Sprinter sämtlicher Erdteile“, sagte der Jokus, „und die Menschheit wirft vor Begeisterung die Hüte ins Stadion. Also, ich behalte meinen Hut auf dem Kopf. Ein neuer Rekord wurde aufgestellt? Schön und gut. Auch ich freue mich und klatsche in die Hände. Aber ist es -viel?“

„Es ist vielleicht nicht viel“, meinte der Kleine Mann. „Aber was ist denn mehr? Was ist denn überhaupt - viel?“

„Einen Krieg verhindern“, erwiderte der Jokus. „Eine Hungersnot beseitigen. Eine Krankheit heilen, die für unheilbar gehalten wurde.“

„Das können wir beide nicht“, sagte Mäxchen.

Der Jokus nickte. „Das können wir beide nicht. Schade. Mit unseren Künsten ist es nicht weit her. Wir können nur zweierlei. Wir bringen die Leute zum Staunen und zum Lachen. Wir haben keine Ursache, größenwahnsinnig zu werden. Trotzdem werden sich morgen die Zeitungen unsertwegen vor Begeisterung überkugeln.“

„Ganz bestimmt?“

„Es wird wild zugehen, Jungchen. So. Und nun wird geschlafen. Morgen früh ist die Nacht weg.“ Der Jokus legte den Kopf aufs Kissen.

„Ich glaube, ich bin noch gar nicht müde“, erklärte der Kleine Mann.

„Sehr geehrter Herr Pichelsteiner“, sagte der Professor, „hätten Sie wohl die unendliche Güte, die Kerze auszupusten?“

Mäxchen kicherte und knipste das Licht aus. „Nun bin ich also wieder klein“, murmelte er im Dunkeln. „Doch wenn du in der Nähe bist, ist mir’s recht.“

„Du sollst schlafen!“

„Eigentlich sind wir ja zwei ziemlich tolle Burschen“, meinte Mäxchen. „Oder etwa nicht?“

„Doch, doch“, brummte der Jokus. „Tolle Burschen und dicke Freunde. Und du sollst schlafen.“

„Wieso dick?“ fragte der Kleine Mann. „Du bist nicht einmal dick, wenn du den Zauberfrack anhast.“

„Du sollst schlafen!“ knurrte der Professor und gähnte, daß es sogar die Maiglöckchen auf dem Balkon hörten.

„Und wie ist das mit dir und dem Marzipanmädchen?“ fragte Mäxchen leise.

„Du sollst schla... “

„Ich schlafe ja schon“, sagte der Kleine Mann hastig und schloß den Mund und die Augen. Ob er freilich sofort einschlief, das weiß ich nicht. Denn erstens war es im Zimmer stockfinster. Und zweitens war ich ja gar nicht im Zimmer.

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