Auf nach fer Hohen Heide

Kasperl ließ sich den Weg nach der Hohen Heide genau beschreiben.

„Wenn du am Ziel bist", sagte die Unke, „dann setze dich unter die alte Wetterfichte, die einsam neben dem schwarzen Teich in der Heide steht. Dort warte den Aufgang des Mondes ab. Das Feenkraut findet man nämlich nur, wenn der Mond scheint. Im Mondlicht beginnt es zu leuchten, man sieht seine kleinen silbernen Blütendolden unter den Wurzeln der Wetterfichte hervorschimmern. Wenn du ein Büschel davon gepflückt hast, ist alles gut. Dann kann dir auch Zwackelmann keinen Schaden mehr zufügen: Wer das Feenkraut in der Hand hält, der ist für ihn unsichtbar."

„Meinst du, dass er mich suchen wird, wenn er heimkommt und merkt, dass ich weg bin?"

„Das glaube ich ganz bestimmt. Darum musst du versuchen das Feenkraut möglichst bald in die Hand zu bekommen. Doch nun geh, denn du hast einen weiten Weg vor dir. Alles Gute – und viel, viel Glück!"

Kasperl erhob sich und winkte mit seiner Laterne der Unke im Unkenpfuhl einen Gruß zu.

„Auf Wiedersehen!"

„Auf Wiedersehen! Aber vergiss nicht die Türen hinter dir zuzumachen! Zwackelmann braucht nicht zu merken, dass du mit mir gesprochen hast."

Ach richtig, die Türen! An die hatte Kasperl nicht mehr gedacht. Er schloss sie und stieg dann die Kellertreppe hinauf. Auch die Kellertür klinkte er wieder zu. Dann nahm er aus Zauberer Zwackelmanns Speisekammer ein Brot und zwei Würste mit und brach auf.

Er kletterte durch das Kammerfenster hinaus in den Kräutergarten. Draußen nahm er den Hut ab. Es fiel ihm nicht schwer, sich von ihm zu trennen. Er legte ihn unweit vom Zaun in das Petersilienbeet.

Ob er es diesmal schaffte? Ihm war nicht besonders wohl zumute. Er dachte an gestern Abend und an die Ohrfeigen, die er bekommen hatte.

„Ach was, ich versuche es! Mehr als Pech haben kann ich nicht ..."

Aber diesmal ging alles glatt: Keine Geisterhand nahm ihn beim Kragen und riss ihn zurück, es setzte auch keine Ohrfeigen. Aufatmend ließ er sich jenseits des Zaunes ins Gras fallen.

„Uff!", sagte Kasperl, „man sollte es nicht für möglich halten, wozu so ein Seppelhut gut ist ..."

Doch nun auf nach der Hohen Heide!

Er wanderte eine Stunde und zwei Stunden, immer dem Weg folgend, den ihm die Unke beschrieben hatte. Erst durch den Wald, dann ein Stück auf der Landstraße, dann einen Bach entlang, bis er wieder an einen Wald kam. Hier mussten drei Birken stehen, von denen die mittlere einen gespaltenen Stamm hatte.

Richtig, da standen sie! – und genau wie die Unke gesagt hatte, führte an dieser Stelle ein Fußpfad ins Waldesdickicht. Von ihm durfte Kasperl jetzt nicht mehr abweichen. Aber es dauerte nochmals zwei Stunden, bevor er die Hohe Heide erreichte, und als er dort ankam, wurde es langsam Abend.

Kasperl war froh, dass er endlich am Ziel war. Er setzte sich unter die Wetterfichte am Ufer des schwarzen Teiches, zog Schuhe und Strümpfe aus, ließ seine müden Beine ins Wasser baumeln und wartete auf den Mond. Zum Zeitvertreib aß er das Brot und die beiden Würste auf.

Er bemühte sich, nicht an den großen Zauberer Petrosilius Zwackelmann zu denken, doch das gelang ihm nicht. Je länger er dasaß und warten musste, desto unbehaglicher fühlte er sich.

Ob Zwackelmann schon zurück war aus Buxtehude? Was würde er anstellen, wenn er merkte, dass Kasperl verschwunden war?

„Lieber Mond", seufzte Kasperl, „wo bleibst du bloß? Willst du nicht endlich aufgehen? Wenn mich Zwackelmann findet, bevor ich das Feenkraut pflücken konnte, ist alles aus. Hörst du mich, alter Mond? Du sollst aufgehen!"

Aber der Mond ließ sich sehr viel Zeit. Er kam und kam nicht zum Vorschein und Kasperl saß wie auf Nadeln und dachte an Petrosilius Zwackelmann.



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