Trübe Aussichten

Und was hatte Kasperl inzwischen erlebt?

Seit er sich von Seppel getrennt hatte, war er auf „seiner" Spur immer tiefer ins Dickicht geraten. Im Stillen verwünschte er nicht nur den Räuber Hotzenplotz und den elenden Weg voller Wurzeln und Dornenranken, auf dem er ihn da verfolgen musste, sondern auch – Seppels Hut.

Seppels Seppelhut rutschte ihm fortwährend ins Gesicht. Er konnte ihn in den Nacken schieben so oft er wollte: Spätestens nach dem übernächsten Schritt saß er ihm wieder auf der Nase!

„Vielleicht wird es besser, wenn ich ihn umdrehe?", dachte Kasperl und setzte den Hut verkehrt auf.

Das half aber auch nichts.

Noch oft musste Kasperl den dummen Hut in den Nacken schieben und noch oft rutschte ihm Seppels grüner Seppelhut wieder in die Stirn – bis es plötzlich ein furchtbares Knacken

und Prasseln gab und Kasperl samt Seppels Hut in eine der vielen, mit Reisig bedeckten Fallgruben stürzte, von denen die Räuberhöhle umgeben war.

Da saß er nun unversehens ein Stockwerk tiefer, der gute Kasperl, und rieb sich das Hinterteil. Ein Glück nur, dass er sich nichts gebrochen hatte! Das hätte leicht sein können bei dem tiefen Fall und dem harten Aufprall.

„Zu dumm!", dachte Kasperl und schaute sich in der Grube um. „Vier senkrechte glatte Wände und weiter nichts. Wie soll ich da jemals wieder hinauskommen?"

Aber da war ja noch Seppel! Der würde ihn sicher finden und hier herausholen. Schließlich war ja der Seppel sein bester Freund.

Ob er bald aufkreuzte? – Kasperl spitzte die Ohren. Es war ihm, als höre er jemanden kommen. Aber der Jemand war leider nicht sein Freund Seppel, sondern der Räuber Hotzenplotz! Kasperl bekam keinen schlechten Schreck, als am Rand der Fallgrube das Gesicht mit dem struppigen schwarzen Räuberbart auftauchte.

„Holla, Seppel!", rief Hotzenplotz. „Hoffentlich hast du dir nicht das Genick gebrochen! Magst du dem lieben Onkel nicht guten Tag sagen? Denk mal, der Onkel Hotzenplotz ist gekommen, um dir hier wieder herauszuhelfen. Du willst doch heraus hier?"

Kasperl nickte. Natürlich wollte er hier heraus. War er erst draußen, so konnte er weitersehen. Vielleicht fand er dann eine Gelegenheit zum Davonlaufen.

„Pass auf!", sagte Hotzenplotz, „tu genau, was ich sage! Ich lasse dir hier an dem Strick einen Sack hinunter – so, siehst du ... Und nun steig hinein, Seppel!"

„In den Sack?", fragte Kasperl zögernd.

„Ja, in den Sack", sagte Hotzenplotz. „Ich will dich darin heraufziehen, anders geht es nicht. – Na, nun mach schon, zum Donnerwetter! Und vergiss deinen Hut nicht da unten!"

Ach richtig, der Seppelhut!

Kasperl hob ihn vom Boden auf und setzte ihn auf den Kopf. Dann stieg er in den Sack und der Räuber Hotzenplotz zog ihn daran aus der Fallgrube herauf wie in einem Aufzug. Aber als er ihn glücklich oben hatte, tat er das, was Kasperl an seiner Stelle auch getan hätte: Er band den Sack zu. Jetzt war Kasperl erst recht gefangen.

Da half alles Zappeln und Schreien nichts, Hotzenplotz warf ihn sich über die Schulter – und ab in die Räuberhöhle!

„So, da wären wir!"

Hotzenplotz ließ den Sack neben Seppel zu Boden plumpsen.

„Nun wird es sich wohl herausstellen, wer von euch beiden der Seppel und wer der Kasperl ist!"

Er öffnete den Sack ein wenig, aber nur so weit, dass Kasperl den Kopf hervorstrecken konnte: den Kopf mit dem Seppelhut. Weiter ließ ihn der Räuber Hotzenplotz nicht heraus.

„Willst du nun endlich zugeben, dass du der Kasperl bist?", schnauzte er Seppel an.

Seppel wollte auch diesmal entgegnen, dass er der Seppel sei. Aber Kasperl kam ihm zuvor und zwinkerte mit den Augen. Vielleicht war es ganz nützlich, wenn sie der Räuber miteinander verwechselte.

„Warum gibst du mir keine Antwort, Kerl."

„Was soll er Ihnen denn antworten?", sagte Kasperl an Seppels Stelle. „Sie wissen es ja viel besser, Herr Plotzenhotz!"

„Plotzenhotz?! – Hotzenplotz heiße ich!" „Oh, Verzeihung, Herr Lotzenpotz." „Dummkopf!" „Wieso?"

„Weil ich Hotzenplotz heiße, zum Donnerwetter! Kannst du dir nicht mal die einfachsten Namen merken?"

„Aber natürlich, Herr Potzenlotz!"

Hotzenplotz nahm eine Prise Schnupftabak.

Er sah ein, dass es keinen Zweck hatte, sich zu ärgern. Der Bursche da, dieser Seppel, war offenbar wirklich so dumm, wie er aussah mit seinem Seppelhut.

Umständlich entfaltete der Räuber ein großes kariertes Schnupftuch.

Er nieste und schnäuzte sich.

Dann, nachdem er sich gründlich die Nase geputzt und das Taschentuch wieder weggesteckt hatte, trat er vor Kasperl und Seppel hin, hakte die Daumen in den Gürtel und hielt ihnen eine Ansprache.

„Ihr wolltet mich ausspionieren und seid nun in meiner Hand", sagte Hotzenplotz, „das ist gut so. Ihr verdient zwar kein Mitleid. Ich könnte euch, wenn ich wollte, den Bauch aufschlitzen oder den Kragen umdrehen – aber es passt mir nicht. Und warum nicht?"

Er nahm eine weitere Prise aus seiner Tabaksdose und nieste, bevor er fortfuhr:

„Weil ich mir etwas Besseres ausgedacht habe für euch! Dich, Kasperl" – er zeigte auf Seppel – „lege ich an die Kette, du bleibst in der Räuberhöhle und wirst für mich arbeiten, bis du schwarz wirst! – Und dich, Seppel" – Hotzenplotz zeigte auf Kasperl – „verkaufe ich!"

„Ach herrje!", stöhnte Kasperl, „an wen denn?"

„An wen?", sagte Hotzenplotz. „An den großen und bösen Zauberer Petrosilius Zwackelmann, meinen alten Freund!"



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