Der Wunschring

Kasperl und Seppel brauchten eine ganze Weile, bis sie imstande waren etwas zu sagen; dann aber fingen beide im gleichen Augenblick zu erzählen an. Sie redeten eine Zeit lang laut aufeinander ein: Kasperl auf Seppel und Seppel auf Kasperl. Jeder erzählte von seinen Erlebnissen, keiner verstand den anderen. Da wurde es Kasperl zu bunt, er hielt Seppel den Mund zu.

„Halt, aufhören!", rief er, „so geht das nicht, es darf immer nur einer reden!"

„Gut", sagte Seppel, „wir zählen es an den Knöpfen ab – einverstanden?"

Nun zählten sie beide, jeder an seinen Rockknöpfen: „Ich – du – ich ..."

Der Zufall wollte es aber, dass jeder von ihnen fünf Knöpfe an seinem Rock hatte. „Ich!", sagte Seppel beim fünften Knopf und schon legte er wieder von neuem los. Aber auch Kasperl hatte beim fünften Knopf „ich!" gesagt, und so kam es, dass wiederum beide gleichzeitig redeten.

„Weißt du was?", meinte Seppel, nachdem sie gemerkt hatten, dass da etwas nicht stimmen konnte, „wir müssen es anders machen. Versuchen wir's einmal mit einem Abzählreim – du wirst sehen, dann klappt es!"

Mit wichtiger Miene spuckte er dreimal auf seinen Zeigefinger. Abwechselnd Kasperl und sich auf den Bauch tippend, zählte er:


„Am – dam – dess,

Ene – bene – bess,

Ene – bene – butterwackel,

Am – dam – dess!"


Der dreimal bespuckte Zeigefinger entschied für Kasperl, die Sache war damit klar. „Also, gib Acht, Seppel ..."

Kasperl erzählte des Langen und Breiten von seinen Abenteuern, er redete wie ein Wasserfall.

Seppel bekam vom Zuhören feuerrote Ohren und fing zu schwitzen an. Vor Aufregung wagte er kaum zu schnaufen. Als Kasperl von Zwackelmanns traurigem Ende berichtete, schlug er die Hände über dem Kopf zusammen.

„Mensch, Kasperl!", rief er. „Das hätte ich ahnen sollen!"

„Wieso?", fragte Kasperl.

„Weil ich dann ganz gewiss nicht die halbe Nacht lang für ihn Kartoffeln geschält hätte!"

Nun erzählte auch Seppel. Er schilderte Kasperl, wie schlecht es ihm in der Räuberhöhle ergangen war – und dass Hotzenplotz seine Kasperlmütze verbrannt habe.

„Wie? Meine schöne Mütze?", rief Kasperl empört. „Jetzt schlägt's aber dreizehn! Der Räuber Hotzenplotz muss hinter Schloss und Riegel, der Haderlump!"

Seppel fand, dass der Augenblick günstig war.

„Tröste dich", sagte er seelenruhig, „er sitzt schon."

„Er – sitzt ...?", fragte Kasperl.

„Als Gimpel in diesem Vogelkäfig. – Ja, Kasperl, da staunst du wohl? Aber lass dir erzählen, wie es dazu gekommen ist ..."

Seppel fuhr fort zu berichten, und als er mit seiner Geschichte zu Ende war, schwitzte auch Kasperl.

„Was für ein Glück, dass nun alles in Butter ist!", rief er aus. „Und was nun?"

„Nun mit dem Gimpel zu Wachtmeister Dimpfelmoser – und dann nach Hause!"

Vergnügt schwenkte Seppel den Vogelkäfig und wollte aufbrechen. Aber Kasperl blieb stehen und rührte sich nicht von der Stelle.

„Erst brauche ich eine neue Zipfelmütze!", erklärte er.

„Woher willst du die nehmen?"

„Wir haben ja einen Wunschring, vergiss das nicht!"

Kasperl drehte den Wunschring und sagte:

„Ich wünsche mir eine neue Zipfelmütze – genau wie die alte war!"

Der Wunsch war kaum ausgesprochen, da wurde er schon erfüllt:

Eins-zwei saß die neue Zipfelmütze auf Kasperls Kopf. Sie glich seiner alten Mütze wie ein Ei dem anderen.

„Großartig!", sagte Seppel. „Wenn ich nicht selber gesehen hätte, dass Hotzenplotz deine alte Mütze ins Feuer geworfen hat, würde ich niemals glauben, dass dies eine neue ist! – Doch nun komm endlich!"

„Ja", sagte Kasperl, „nun komme ich!"

Sie nahmen den Vogelkäfig zwischen sich und ein lustiges Lied um das andere pfeifend marschierten sie heimwärts.

„Ich freue mich!", sagte Kasperl nach einer Weile.

„Ich auch!", sagte Seppel. „Und Großmutter wird sich auch freuen!"

„Großmutter?" Kasperl hielt plötzlich an. „Ach du liebe Zeit, Seppel!"

„Was hast du denn? Warum gehst du nicht weiter?"

„Mir ist etwas eingefallen! Wir hätten das Allerwichtigste fast vergessen!"

„Das Allerwichtigste?"

„Ja", sagte Kasperl, „Großmutters Kaffeemühle!"

„Herrje!", stöhnte Seppel und fasste sich an den Kopf, „du hast Recht, Kasperl! Großmutters Kaffeemühle muss her, da hilft alles nichts! Also kehrt – und zurück in die Räuberhöhle!"

„Ach wo!", meinte Kasperl, „das machen wir einfacher!"

Er drehte zum zweiten Mal seinen Wunschring und sagte:

„Ich wünsche mir Großmutters Kaffeemühle herbei!"

Es gab einen Plumps – und schon lag sie zu seinen Füßen im Gras.

„Donnerwetter!", rief Seppel, „das ist aber fix gegangen! Ob sie auch keinen Schaden genommen hat?"

Er hob die Kaffeemühle auf und probierte sie aus.

Die Kaffeemühle war in Ordnung: Sobald man die Kurbel

drehte, spielte sie „Alles neu macht der Mai ..." Doch, o Wunder – sie spielte es zweistimmig!

„Zweistimmig!", staunte Seppel, „wie schön! Da wird Großmutter aber horchen ... – Wie das nur möglich ist? Kannst du dir das erklären?"

Auch Kasperl fand die Geschichte sehr merkwürdig.

„Ob da die Fee Amaryllis dahinter steckt?", meinte er.

„Klar!", sagte Seppel, „natürlich! Sie wollte uns eine Freude machen damit, uns und Großmutter! Aber was tun wir nun mit dem dritten Wunsch?"

„Kannst du dir das nicht denken?", entgegnete Kasperl. „Ich weiß es schon!"



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