Karin Fabrici hatte fast den ganzen Tag nach dem Abend und der Nacht ihres Balles als Miß Nickeroog< verschlafen. Es war sehr anstrengend gewesen, man hatte sie hundertmal zum Tanzen geholt, bis in die frühen Morgenstunden hinein. Nur einer war nicht aufgetaucht, um mit ihr übers Parkett zu schweben, und gerade auf ihn hatte sie so sehr gewartet. Vergeblich.
Und das Herz war Karin schwer geworden. Sie zweifelte nicht daran, daß sie den Mann nie mehr sehen würde; er war abgereist, das stand für sie fest. Als der Ball endlich vorüber war, hatte sie sich vom Portier ihres Hotels eine starke Schlaftablette aushändigen lassen, ohne die es ihr trotz ihrer Müdigkeit nicht möglich gewesen wäre, den dringend benötigten Schlaf zu finden.
Am Spätnachmittag erwachte sie. Man hatte sie schlafen lassen. Der Rummel um sie war am Abflauen. Der Tag eines Filmstars lag hinter ihr, der festliche Ball auch; die Interviews jagten einander nicht mehr; Kosmetikerin meldete sich keine.
Karin stand im Bad vor dem Spiegel und betrachtete gähnend ihr Gesicht, als das Telefon läutete.
«Laßt mich doch in Ruhe«, murmelte sie vor sich hin und schlurfte zum Apparat. Sie war noch im Nachthemd.
«Ja?«meldete sie sich.
«Karin!«
«Mutti!«
Mimmis Stimme war natürlich sofort erkannt worden.
«Kind, was ist mit dir? Ich habe schon hundertmal versucht, dich zu erreichen, aber es wurde nicht abgehoben, obwohl man mir sagte, daß du auf deinem Zimmer seist.«
«Ich habe wohl nichts gehört, habe ganz tief geschlafen, Mutti.«
«Ich ließ es minutenlang läuten. So tief kann man nicht schlafen.«
«Wenn man eine Tablette genommen hat, schon.«
«Eine Tablette?«erschrak Mimmi.»Seit wann brauchst du zum Schlafen Tabletten?«
«Nur ausnahmsweise eine. Die Aufregung hier, weißt du.«
«Dir steht eine noch größere bevor, deshalb rufe ich an.«
«Ich verstehe dich nicht, was ist los? Ist etwas passiert bei euch?«
«Ja.«
«Mach mich nicht bang«, stieß Karin hervor.»Was denn?«
«Vati hat durchgedreht.«
«Durchgedreht? Wie denn?«
«Er hätte um ein Haar den Fernseher kaputtgeschlagen, als wir dich in der >Drehscheibe< erlebten.«
Karin fand das spaßhaft und kicherte, doch ihre Mutter sagte rasch:»Lach nicht, Kind, die Sache ist todernst. Er ist auf dem Weg zu dir, und ich wollte dich darauf vorbereiten. Ich mußte ihm gestern abend noch die Reisetasche packen. Wenn er nicht heute morgen und am Vormittag noch einmal im Geschäft aufgehalten worden wäre, hättest du ihn längst am Hals. Aber jetzt mußt du stündlich mit ihm rechnen.«
«Na und?«
«Kind«, seufzte Mimmi,»nimm das nicht auf die leichte Schulter. Du wirst einen ganz neuen Vater kennenlernen.«
«Aber Mutti, seit wann glaubst du, mir vor Vati Angst machen zu müssen?«
«Seit gestern.«
«Ach was, den wickle ich doch um den Finger, wie immer.«
«Nicht mehr, Karin. Es ist etwas geschehen in ihm, ich weiß auch nicht, was. Jedenfalls hat ihn deine Miß Nickeroog<-Geschichte völlig verwandelt, in Raserei versetzt. Er hatte quasi Schaum vorm Mund, glaub mir.«
«Aber warum denn?«
«Frag mich nicht, vernünftig ist ja mit ihm nicht zu reden.«
«Und du? Was hältst du von meiner Wahl? Warst du nicht stolz auf mich?«
«Ursprünglich ja, sehr stolz, aber inzwischen ist mir das vergangen.«
«Seid ihr denn alle verrückt, Mutti?«
«Warte, bis du deinen Vater erlebt hast, dann reden wir weiter.«
«Ich lasse mich von dem nicht terrorisieren. Diese Zeiten sind vorbei. Ich bin — «
«Karin«, unterbrach Mimmi ihre Tochter direkt flehenden Tones,»ich bitte dich inständig, gerade diesen Standpunkt diesmal ihm gegenüber nicht zu vertreten. Das könnte eine Katastrophe geben.«
«Welche Katastrophe? Du tust ja so, als ob Gefahr drohe, daß er sich an mir vergreift.«
«Eben.«»Waaas?«
Karin war erschüttert. Eine Ungeheuerlichkeit stand ihr vor Augen. Mit einem Schlag begriff sie den Ernst der Lage, wenn sie sich auch den Grund nicht erklären konnte und wohl nie würde erklären können.
«Was will er denn überhaupt?«fragte sie.
«Daß du sofort mit ihm nach Hause kommst.«
«Dann soll er mir das in ruhiger Form erklären, und ich überlege es mir. Wenn er mich aber anfaßt, ist alles vorbei, und er sieht mich nie wieder.«
«Karin!«rief Mimmi Fabrici entsetzt in die Muschel.»Und ich? Was ist mit mir? Soll dadurch auch ich mein Kind verlieren?«
«Wir können uns treffen.«
«Nein!«
«Du mußt einsehen, Mutti, daß ich unter solchen Umständen nicht mehr nach Hause kommen könnte.«
«Wenn das passiert«, fing Mimmi am Telefon zu weinen an,»sterbe ich. Und du wärst dafür verantwortlich, Karin.«
«Ich?«
«Ja, du.«
«Aber — «
«Weil du ihm nicht nachgibst. Nur einmal nicht nachgibst. Darum geht's doch.«
«Mutti«, seufzte Karin.
«Ein einziges Mal. Diesmal eben.«
«Mutti.«
«Aber ich kann dich dazu nicht zwingen«, schluchzte Mimmi.»Und jetzt muß ich auflegen, ich bin nicht mehr imstande — «
«Einen Moment, Mutti!«
«Ja?«
«Vater ist ein Scheusal!«
«Das will ich nicht bestreiten, mein Kind, aber wir lieben ihn beide, und wenn du das wahrmachst, was du angedroht hast, bringst du auch ihn ins Grab, darüber mußt du dir im klaren sein. Er könnte es nicht verwinden.«
«Auch du bist ein Scheusal, Mutter!«
«Nein, mein Kind.«
«Eine Erpresserin!«
«Die dich abgöttisch liebt, genau wie dein Vater.«
«Eines sage ich dir, Mutter.«
«Was?«
«Wenn ich nach Hause komme, sperre ich mich drei Tage in mein Zimmer ein und spreche kein Wort mit euch beiden.«
«Karin!«jubelte Mimmi.»Von mir aus vier Tage, aber ich sehe die Möglichkeit nicht, daß du diese Idee verwirklichen kannst.«
«Wer will mich daran hindern?«
«Dein Vater.«
«Schon wieder!«
«Du kennst ihn doch. Gewalttätig, wie er ist, wird er deine Tür einrennen, um dich an seine Brust zu ziehen.«
«Ach Mutti«, seufzte Karin wieder.»Ihr zwei.«
«Noch eine letzte Bitte, mein Kind.«
«Welche?«
«Sag deinem Vater nicht, daß ich dich angerufen und präpariert habe. Er ist ein Scheusal, weißt du. Hast du doch selbst gesagt?«
«Du bist auch eines.«
«Sonst würde ich doch nicht zu deinem Vater passen.«
«Wiedersehen, Mutti.«
«Wiedersehen, mein Liebling, ich küsse dich.«
«Ich dich auch.«
Karin legte auf und neigte dazu, noch einmal ins Bett zu gehen und dieses Telefongespräch zu überdenken. Vater war also im Anmarsch, als eine Art wildgewordener Stier. Vorsicht war demnach geboten, wenn Mutter nicht übertrieben hatte. Diesen Anschein hatte es jedenfalls nicht gehabt.
Ins Bett ging Karin nicht mehr. Ich bin ja noch gar nicht angezogen, fiel ihr ein. Außerdem war sie durch das läutende Telefon unterbrochen worden, als sie im Bad Toilette gemacht hatte. Dieses Werk mußte also auch noch vollendet werden.
Was mache ich dann? fragte sich Karin. Gehe ich noch ans Meer, zum Baden? Besser nicht, mein leerer Strandkorb würde nur schmerzliche Erinnerungen in mir aufwühlen. Erinnerungen an ihn.
Auf jeden Fall, sagte sie sich, muß ich beim Portier hinterlassen, wo ich zu erreichen bin, wenn Vater eintrifft.
Sie legte nur hauchdünn Puder auf, zog die Lippen nach, schlüpfte in ein hübsches Leinenkleid und sah aus wie die Karin Fabrici vor dem ganzen Miß-Rummel.
Also, was mache ich jetzt? fragte sie sich noch einmal. Und dann überstürzten sich die Ereignisse.
Das Telefon läutete wieder.
«Ja?«
«Gnädiges Fräulein«- der Portier war das —»ein Herr ist bei mir, der fragt, ob er Sie sehen kann.«
Schon Vater? Das ging aber schnell, dachte Karin und sagte:»Natürlich. Schicken Sie ihn rauf.«
«Auf Ihr Zimmer?«
«Ja. Wohin sonst?«
«Sie kommen nicht herunter?«
Karin wurde ärgerlich.
«Was wollen Sie damit sagen? Hat man hier im Hause vielleicht etwas dagegen, daß mein Vater zu mir auf mein Zimmer kommt?«
«Ihr Vater?«
«Ja. Hat er Ihnen das nicht gesagt?«
«Nein. Ich hätte ihm das auch nicht geglaubt.«
«Wieso nicht?«
«Weil er Sie dann wohl etwas zu früh als Tochter hätte bekommen müssen, gnädiges Fräulein«, antwortete der Portier, und man konnte fast durch das Telefon sehen, wie er sich dabei zu grinsen erlaubte.
«Herr Kabel«, erklärte Karin nun etwas umständlich,»ich erwarte meinen Vater, daher das Mißverständnis, das sich zwischen uns an-scheinend ergeben hat. Der Herr, der sich bei Ihnen befindet, ist also ein anderer?«
«Ja.«
«Und warum sagen Sie mir nicht, wer er ist?«
«Verzeihen Sie, das wollte ich ja, aber Sie ließen es nicht dazu kommen, gnädiges Fräulein.«
«Sein Name?«
«Krahn.«
«Peter Krahn?«fragte Karin überrascht.
«Einen Moment, seinen Vornamen hat er mir noch vorenthalten.«
Karin vernahm, wie der Hörer abgelegt wurde, wie zwei Männer undeutlich ein paar Worte miteinander wechselten, und dann kam auch schon wieder die Stimme des Portiers.
«Gnädiges Fräulein.«
«Ja.«
«Ihre Vermutung trifft zu. Es handelt sich um Herrn Peter Krahn.«
«Rauf mit ihm!«rief Karin spontan, korrigierte sich jedoch rasch:»Ich wollte sagen, schicken Sie ihn bitte herauf zu mir, Herr Kabel. Auch gegen ihn bestehen keinerlei Bedenken. Wir sind eine Art Nachbarskinder. Er wird mir nichts antun.«
«Sehr wohl, gnädiges Fräulein.«
Als Peter Krahn den Lift verließ, stand Karin schon vor ihrem Zimmer auf dem Flur und winkte ihm. Sie freute sich sichtlich und nahm ihn mit der Frage in Empfang:»Was machst du denn hier, Peter?«
Seine Verlegenheit war nicht zu übersehen. Erst als sich die Tür zu Karins Zimmer hinter ihnen geschlossen hatte und er auf einem Stuhl saß, antwortete er:»Ich komme von deinem Vater.«
«Von wem? Der wollte doch selbst kommen?«
«Dein Vater?«
Bei dem Dialog der beiden war einer erstaunter als der andere.
«Ja«, nickte Karin.
«Wer sagt das?«fragte Peter.
«Meine Mutter. Sie hat mich vor einer halben Stunde angerufen und mir mitgeteilt, daß er praktisch jeden Augenblick hier auftauchen kann.«
Peter schüttelte den Kopf.
«Das verstehe ich nicht.«
«Warum nicht?«
«Ich sage dir doch, daß er mich zu dir geschickt hat.«
«Wann?«
«Vor zwei Tagen… nein, vor drei… oder doch… ich bin schon ganz durcheinander. «Er brach ab, machte eine wegwerfende Geste und sagte:»Ist ja egal. Jedenfalls war das seine Idee.«
«Und was sollst du hier bei mir?«
«Dich holen.«
«Mich holen?«
Er nickte.
«Mit welchem Recht?«fragte ihn Karin.
Er blickte zu Boden. Dort blieb sein Blick haften.
«Das mußt du deinen Vater fragen«, brachte er schließlich hervor.
Karin hatte nicht lange nachzudenken. Ein Licht ging ihr auf. Das war gar nicht schwierig aufgrund der zahlreichen einschlägigen Gespräche, die schon in der Familie Fabrici stattgefunden hatten.
«Etwa mit dem Recht meines zukünftigen Mannes?«fragte sie.
«Ja«, erwiderte er, aufschauend und erleichtert davon, daß Karin ihm dieses Geständnis abgenommen hatte.
«Unsinn!«Karin glaubte, daß der Augenblick gekommen war, ein für allemal ein klärendes Wort zu sprechen, auch wenn dies Peter schmerzen sollte.»Wir sind nicht füreinander geschaffen. Mein Vater macht sich diesbezüglich absolut falsche Vorstellungen. Ich finde dich furchtbar nett, Peter, sehr sympathisch, aber lieben kann ich dich nicht. Ich hoffe, du bist mir nicht böse; wenn ich dir das so unumwunden sage, doch es geht nicht anders. Ich möchte keine Illusionen — falls es sie gibt — in dir nähren.«
So, nun war es heraus. Auch Karin spürte ein Gefühl der Erleichterung.
Und Peter? Was war mit ihm?
Er horchte in sich hinein, wartete auf den Schmerz, der kommen mußte. Es kam aber keiner.
Komisch, dachte er, noch vor zwei oder drei Tagen.
«Bist du sehr enttäuscht, Peter?«hörte er Karin fragen.
«Begeistert bin ich gerade nicht«, erwiderte er.»Aber welcher Mann ist das, der soeben einen Riesenkorb bekommen hat. Wenn das schon nicht sein Herz traf, dann zumindest seinen Stolz.«
«So?«Das klang deutlich enttäuscht, und das war wiederum typisch weiblich.»Du fühlst dich also nur in deinem Stolz verletzt?«
«Genügt dir das nicht?«
«Irgendwie hätte ich mir das ja denken können. Sehr stark kann nämlich dein Drang, mich zu sehen, nicht gewesen sein.«
«Wieso nicht?«
«Deinen Worten entnehme ich, daß du schon tagelang auf der Insel weilst und mich jetzt erst aufgesucht hast.«
«Ja«, gab er, errötend, zu.»Da ist einiges dazwischengekommen. Aber bei deinem Ball war ich anwesend. Eigentlich wollte ich da schon Verbindung zu dir aufnehmen.«
«Und warum hast du's nicht getan?«
Er grinste.
«Weil ich verunglückt bin.«
«Verunglückt?«
«Ja«, nickte er, verstärkt grinsend.»In der Bar.«
«Ach so«, lachte Karin.
«Da hat mich einer ganz schön vollgepumpt, kann ich dir sagen. Die Nachwirkungen spüre ich noch heute.«
Er seufzte mitleidheischend und faßte sich an seinen Kopf, der ihm anscheinend nachträglich immer noch weh tat.
«Unter so was leide ich Tage«, sagte er.»Ich bin eine solche Sauferei nicht gewöhnt.«
«Zu der du natürlich ganz gegen deinen Willen verführt wurdest«, meinte Karin ironisch.
«Das kannst du mir wirklich glauben.«»Wer war denn der Kerl?«fragte sie, ohne daß sie das wirklich interessiert hätte. Zugleich fiel ihr ein, daß sie eine miserable Gastgeberin war. Sie hatte Peter überhaupt noch nichts angeboten.»Entschuldige«, sagte sie.»Du sitzt da und wartest sicher auf einen Schluck. Ich lasse dir vom Zimmerkellner etwas bringen. Worauf hast du Lust?«
«Um Gottes willen, nur das nicht!«rief Peter, beide Hände abwehrend ausgestreckt.»Mir dreht sich der Magen um, wenn ich an so etwas nur denke!«
«Auch keine Tasse Kaffee oder Tee?«
«Gar nichts.«
«Habt ihr denn um die Wette getrunken?«
«Das nicht, im Gegenteil. Wenn ich mich recht entsinne, hat der sich sogar zurückgehalten und nur mich vollgepumpt, um mir die Würmer aus der Nase zu ziehen.«
«Dir die Würmer aus der Nase zu ziehen?«
«Über dich.«
«Über mich?«erwiderte Karin, obwohl ihr Interesse immer noch nicht erwachte.
«Sogar auch über eure ganze Familie. «Um keinen unangenehmen Eindruck bei Karin hochkommen zu lassen, setzte Peter rasch hinzu:»Ich habe ihm natürlich nur das Beste erzählt.«
«Das hoffe ich.«
«Deinen Vater fand er prima.«
«So?«
«Allerdings nur zum Teil. Einverstanden war er mit dessen Einstellung zu deiner >Miß-Wahl< hier. Die hat er nämlich auch abgelehnt.«
«Das belastet mich aber sehr«, erklärte Karin ironisch.
«Nicht gefallen hat ihm der Plan von deinem Vater, dich mit mir zu verheiraten!«
«Peter«, stieß Karin hervor,»das hast du ihm auch erzählt? Diskret warst du gerade nicht.«
«Der Suff, Karin«, lautete Peters kurze, aber wirksame Entschuldigung.
«Trotzdem.«
«Du wirst dem Mann ja nie begegnen, Karin. Wie er mir sagte, war das sein letzter Abend auf Nickeroog. Außerdem erinnere ich mich, daß ich während unserer Unterhaltung von ihm verlangt habe, über das Ganze nicht zu sprechen. Ich ließ mir das sogar schwören von ihm, und daran hält er sich, diesen Eindruck hatte ich von ihm. Ich erwarte von dir, sagte ich zu ihm, als wir schon Bruderschaft getrunken hatten, daß du ein Gentleman bist, Walter.«
Karin zuckte zusammen.
«Walter?«
«So hieß er.«
«Wie noch?«
«Wie noch?«Peter strich sich über die Stirn.»Darüber muß ich erst nachdenken. Irgend etwas mit einem o… oder au.«
«Torgau?«
«Ja!«rief Peter, überrascht Karin anblickend.»Ganz genau: Torgau. Woher weißt du das? Kennst du den?«
Statt diese Fragen Peters zu beantworten, stellte ihm Karin eine eigene:»Und dem hast du erzählt, daß wir zwei heiraten sollen?«
Peter sah keine andere Möglichkeit, als noch einmal auf den Alkohol zu verweisen.
Karin war blaß geworden. Wenn ich nicht schon sitzen würde, dachte sie, müßte ich mich jetzt ganz rasch auf den nächsten Stuhl niederlassen.
Die Knie waren ihr weich geworden.
«Großer Gott«, sagte sie leise.
Peter spürte, daß etwas Schlimmes geschehen war.
«Kennst du den?«wiederholte er seine Frage.
Karin wollte darüber nicht sprechen, sie blieb stumm. Peter wußte aber auch so, was das hieß, denn wenn Karin den Mann nicht gekannt hätte, wäre es selbstverständlich gewesen, daß sie Peters Frage verneint hätte.
«Das hat er mir nicht gesagt, Karin.«
Warum nicht? fragte sich Peter Krahn.
Karin schwieg immer noch.
Ich habe den Kerl falsch eingeschätzt, dachte Peter. Er hat ein hinterlistiges Spiel mit mir getrieben. Das muß ihm wohl Spaß gemacht haben. Manche Leute sind so. Schlechte Charaktere.
«Gut, daß er weg ist, Karin. Ich würde sonst mit dem noch ein Wörtchen sprechen.«
Karin räusperte sich.
«Wohin ist er denn, Peter?«
«Wie?«
«Ich meine, wo er zu Hause ist?«
Peter zuckte mit den Schultern.
«Das weiß ich nicht. Darüber haben wir nicht gesprochen.«
Also knüpfte sich auch daran keine Hoffnung. Karin fühlte sich leer. Aber was hatte sich eigentlich verändert, zum Schlechten? Karin hatte sich doch vorher schon gesagt, daß Walter Torgau entschwunden war — niemand wußte, wohin. Indes, das war immer noch nur eine Befürchtung von ihr gewesen. Gewißheit hatte sie erst jetzt, und das war der Unterschied.
Urplötzlich sehnte sich Karin Fabrici nach Hause; sie wollte von Nickeroog nichts mehr sehen und hören.
Ihre Frage traf Peter Krahn unvorbereitet:»Wann fährst du zurück?«
«Ich?«
«Ja.«
«Wieso?«
«Du solltest mich doch holen? Ich bin bereit.«
«Aber.«
Er verstummte. Anscheinend wußte er nicht gleich, was er sagen sollte. Unsicherheit hatte ihn erfaßt. Nervös rieb er sich das Kinn. Da fiel ihm das Richtige ein.
«Aber dein Vater kommt doch? Du wartest auf ihn?«
In der Tat, den hatte Karin ganz vergessen. In ihrem Inneren mußte es also ziemlich chaotisch aussehen.
«Du hast recht«, sagte sie,»der kommt.«
Er war sogar schon da. Die Dinge fügten sich so, daß in der gleichen Minute Paul Fabrici unten das Hotel betrat und dem Portier mitteilte, wozu er hergekommen sei: um Fräulein Fabrici zu sprechen.
«Sind Sie ihr Vater?«fragte ihn der Portier.
Paul, der es nicht für nötig gehalten hatte, sich vorzustellen, antwortete erstaunt:»Ja. Woraus schließen Sie das?«
«Sie werden von Ihrer Tochter erwartet, Herr Fabrici.«
«Aha«, knurrte er.»Das hätte ich mir denken können.«
«Im Moment befindet sich allerdings noch ein junger Mann auf ihrem Zimmer.«
«Ein junger Mann?«
«Ein Herr Krahn.«
«Soso«, knurrte Paul noch bissiger.»Nun, das hätte ich mir vielleicht auch denken können.«
«Ich melde Sie an«, sagte der Portier und griff zum Telefon.
«Sie melden mich nicht an!«erklärte Paul Fabrici so scharf, daß der Portier seine Hand, die er schon nach dem Hörer ausgestreckt hatte, automatisch wieder zurückzog, wobei er allerdings milden Protest einlegte, indem er sagte:»Aber das ist meine Aufgabe, Herr Fa-brici.«
«Ihre Aufgabe ist es, mir die Zimmernummer meiner Tochter zu sagen.«
Der Hotelbedienstete fügte sich.
«Neunundvierzig.«
Paul Fabrici mußte sich dann sogar dazu überwinden, bei Karin anzuklopfen und nicht einfach ins Zimmer zu stürmen. Als er mit dem Fingerknöchel an die Tür pochte, sagte drinnen Karin gerade:»Dein Besuch war für mich sehr aufschlußreich, Pe…«
«Herein!«unterbrach sie sich.
Über die Schwelle trat ihr Vater mit einem grimmigen:»Störe ich?«
«Vati!«rief Karin.
«Wenn ich euch störe«, bellte Paul Fabrici, der anscheinend damit gerechnet hatte, die beiden im Bett vorzufinden,»müßt ihr es mir sagen.«
«Vati, du?«bemühte Karin sich weiter, ihre Nummer abzuziehen.
«Überrascht dich das?«
«Natürlich, ich hatte ja keine Ahnung.«
«So, hattest du nicht?«Er wandte sich Peter Krahn zu.»Und du? Hattest du auch keine?«
Der junge Mann hatte sich erhoben, um seinen väterlichen Freund zu begrüßen. Dessen Ton klang aber gar nicht väterlich. Dadurch verwirrt, erwiderte Peter:»Ich… ich weiß nicht.«
«So, du weißt nicht?«
«Nein.«
«Aber du weißt sicher noch, was ich von dir erwartet habe, als ich dich hierherschickte?«
«Doch«, stieß Peter gepeinigt hervor.
«Und?«knurrte Fabrici ebenso kurz.
«Das. das war nicht so einfach.«
Karin griff ein.
«Peter«, sagte sie ruhig,»du stehst hier nicht vor Gericht. Deine Situation ist die eines Mannes, der sich nichts vorzuwerfen hat. Mein Vater kann jede Frage, die er an dich hat, auch mir stellen, und ich werde sie ihm beantworten. Deshalb würde ich an deiner Stelle jetzt gehen und alles Weitere mir überlassen. Ich danke dir für deinen Besuch.«
Draußen auf dem Korridor war Peter Krahn heilfroh und pries Karin innerlich für die Art, ihn so elegant und rasch und reibungslos vor die Tür gesetzt zu haben. Er wartete gar nicht auf den Lift, sondern lief erleichtert die Treppe hinunter.
Paul Fabrici stand Karin gegenüber.
«Wenn ich das richtig sehe«, sagte er erbittert,»hast du mich daran gehindert, mit dem ein Hühnchen zu rupfen.«
«Ja.«
«Wie kommst du dazu? Ich bin dein Vater!«»Rupfe dieses Hühnchen mit mir. Ich bin die richtige Adresse.«
«Ich habe dem gesagt«, brach es aus Paul Fabrici heraus,»daß er sich dich hier schnappen und in den Zug nach Düsseldorf verfrachten soll. Statt dessen ließ er den Betrieb mit dir hier weiterschleifen, statt dessen traf ich ihn nun in deinem Zimmer an und.«
«Und?«
«Und statt dessen dachte er sich wohl«, fuhr Fabrici fort, sich das, was er eigentlich hatte sagen wollen, verkneifend,»machen wir uns erst noch ein paar schöne Tage; der in Düsseldorf kann warten; wie sich das alles entwickelt, erfährt der früh genug.«
Beherrscht erklärte Karin:»So war das nicht.«
«Dann gibt's nur noch eine zweite Möglichkeit, die ich sowieso von Anfang an als die wahrscheinliche angesehen habe.«
«Welche?«
«Daß er sich als Schlappschwanz entpuppt hat, der bei dir nicht durchdringen konnte.«
Bejahend nickte Karin und meinte:»Das kommt der Sache schon näher. Den >Schlappschwanz< kannst du allerdings streichen.«
«Was hat er dir denn überhaupt gesagt?«
«Alles.«
«Und er stieß auf deine Ablehnung?«
«Absolut.«
«Dann möchte ich wissen, was du eigentlich gegen ihn hast?«
«Du meinst, was ich dagegen habe, ihn zu heiraten?«
«Ja.«
«Ganz einfach, ich liebe ihn nicht.«
Paul Fabrici, der sich überhaupt noch nicht hingesetzt hatte, sondern zwischen Tür und Fenster hin und her geschritten war, ließ sich in einen Sessel fallen. Er zündete sich eine seiner Zigarren an, an die er gewöhnt war. Das Streichholz auswedelnd, sagte er:»Und was hattest du dagegen, mit ihm wenigstens nach Hause zu fahren?«
«Diese Frage«, antwortete Karin mit einem kurzen Lächeln,»stellte sich nicht.«
«Warum nicht?«»Er will sich, scheint mir, mit der Rückfahrt Zeit lassen. Den Grund kenne ich nicht.«
«Wie ich sage!«bellte Paul Fabrici.»Verlaß ist auf den keiner. Ich sehe ihn schon richtig.«
Eine kleine Pause entstand, in der sich Paul Mühe gab, das Zimmer tüchtig einzuräuchern.
Schließlich fragte Karin:»Wie geht's Mutti?«
«Das weißt du doch.«
«Was ich weiß, ist, daß es ihr gutging, als ich von Düsseldorf abfuhr.«
«Und angerufen hat sie dich in der Zwischenzeit nicht?«
«Wie kommst du darauf?«
«Oder hat sie dich doch angerufen?«
Die Blicke der beiden kreuzten sich.
«Also gut«, seufzte Karin,»sie hat.«
«Um mich dir anzukündigen?«
«Ja.«
«Dann weißt du, weshalb ich hier bin?«
«Ja.«
Die Pause, die nun eintrat, dauerte länger. In Paul Fabrici sammelte sich der Sturm an, dessen Ausbruch unvermeidlich schien. Seine Augen wurden schmal. Seine Backenzähne mahlten. Die Knöchel der Hand, in der er keine Zigarre hielt, waren weiß. Die Finger kneteten einen Gegenstand, der nicht vorhanden war.
«Hör zu, Karin«, begann er.»Du kannst nicht sagen, daß ich dir nicht deine Freiheit gelassen hätte. Im Gegenteil, das habe ich in viel zu großem Ausmaße getan. Oftmals war das falsch. Falsch war es z.B. daß ich dich allein hierherfahren ließ. Hätte ich dir das verwehrt, wäre es hier mit dir nicht zu dem ganzen Scheißdreck gekommen…«
Offenbar regte der ordinäre Ausdruck ihn selbst so sehr auf, daß die Explosion erfolgte. Der Ausdruck glich der Lunte fürs Pulverfaß.
«Aber so«, fing er an zu schreien, mit der freien Faust auf die Armlehne seines Polstersessels hauend,»so hast du dich und uns zum allgemeinen Gespött gemacht. Deine Mutter ja weniger, die denkt darüber anders — aber mich! Mich und dich selbst. Dich mit deinem unsäglichen Krönchen auf dem Haupt und deinem blöden Filmlächeln im Gesicht. Das hat, sage ich dir, ausgesehen. ausgesehen hat das wie… ich kann dir nicht sagen, wie das ausgesehen hat. Unmöglich jedenfalls.«
Er holte Atem.
«Deshalb ist damit jetzt Schluß. Das Stück hier ist zu Ende. Das Stück mit meiner Tochter. Die anderen können machen, was sie wollen, das ist mir egal, aber du, du kommst mit mir nach Hause, und zwar sofort.«
Abermaliges Atemholen. Und ehe Karin etwas sagen konnte, ging's weiter.
«Schweig! Widersprich mir nicht! Widersetz dich mir nicht, oder ich weiß nicht, was passiert. In mir sieht's aus, Karin, das kannst du dir nicht vorstellen.«
«Doch.«
«Nein!«
«Doch. Mutti hat's mir gesagt.«
«Ach die!«Pauls wegwerfende Geste brachte kaum mehr zu steigernde Geringschätzung zum Ausdruck, aber er sagte dennoch:»Dann weißt du also von ihr, daß du mich nicht zum Äußersten treiben darfst?«
«Ja.«
«Wie ich dich jedoch kenne, bist du trotzdem entschlossen, das zu tun?«
«Nein«, sagte Karin ruhig.
Verblüfft schwieg ihr Vater. Erstaunen zeigte sich in seinem Gesicht, wachsendes Erstaunen.
«Habe ich recht gehört?«fragte er dann.
«Ja«, nickte Karin.
«Du widersetzt dich nicht?«»Nein.«
Es war paradox, daß er ihr immer noch nicht glauben zu wollen schien.
«Du kommst mit mir nach Hause?«
«Ja.«
«Wann?«
«Mit dem nächsten Schiff.«
Eine herzergreifende Szene spielte sich ab. Ein leidenschaftlicher Zigarrenraucher entledigte sich seiner Havanna, die kaum angeraucht war, indem er sie im Bad in die Kloschüssel warf. Der Aschenbecher wäre für sie zu klein gewesen. Dann nahm Paul Fabrici seine Tochter in die Arme. Karin legte ihren Kopf an die breite Brust, die sich ihr zur Stütze darbot. Die Augen wurden ihr naß. Fabrici bemerkte das und hielt es für Tränen einer Tochter, die ihren Vater wiedergefunden hatte. Aber das waren sie nicht.
Paul mußte sich dagegen wehren, daß es ihn nicht auch übermannte. Er löste sich von Karin.
«Pack deine Sachen«, sagte er mit belegter Stimme.»Ich gehe schon mal runter und erledige deine Rechnung.«
«Ja«, nickte Karin, nach einem Taschentuch Ausschau haltend.
Er steckte sich eine neue Zigarre an. Dann ging er zur Tür, immer noch überrascht darüber, daß sich das Ganze wesentlich leichter als erwartet angelassen hatte.