«Heidrun«, sagte Peter Krahn zur Tochter des Pensionsbesitzers Feddersen,»es hat sich entschieden, ich könnte noch ein bißchen bleiben.«
«Ja?«strahlte Heidrun.
Die beiden standen sich im Aufenthaltsraum der Pension gegenüber, den das Mädchen mit frischen Blumen versehen hatte. Peter war auf der Suche nach ihr gewesen und hatte sie dort gefunden. Es kam den zweien zustatten, daß sie allein waren. Die übrigen Gäste weilten auf ihren Zimmern oder trieben sich im Freien herum.
«Ich muß Sie demnach fragen, Heidrun«, fuhr Peter fort,»wann ich mein Zimmer aufgeben muß.«
«Überhaupt nicht«, erwiderte sie spontan. Scheinbar war sie sich nicht über die Konsequenzen im klaren, die mit einer solchen Antwort verbunden waren.
«Soll das heißen«, fragte Peter,»daß Sie es gern hätten, wenn ich für immer hierbliebe?«
Schon steckte Heidrun also in der Patsche. Sie konnte die Verlegenheitsröte nicht verhindern, der sie zum Opfer fiel. Den Ausweg sah sie darin, einen kommerziellen Standpunkt zu vertreten.
«In einem Gewerbe wie dem unseren«, sagte sie,»sind Dauergäste immer das Erfreulichste.«
«Ach so. «Das klang enttäuscht.
«Es gibt natürlich auch unter denen Leute, die man gern rasch wieder loshätte.«
«Und zu welchen gehöre ich?«ließ Peter nicht locker.
Das Blatt begann sich aber zu wenden. Heidrun war dabei, Oberwasser zu gewinnen.
«Teils zu den einen«, antwortete sie lächelnd,»teils zu den anderen.«
«Mit letzteren«, vergewisserte sich Peter,»meinen Sie die fiesen?«
«Die problematischen«, milderte Heidrun ab.
«Und zu denen zählen Sie mich?«
«Teilweise.«
Nun war er aber sichtlich geknickt, der gute Junge. Er blickte zu Boden.
«Das tut mir leid«, sagte er.
«Wenn es Ihnen leid tut«, lächelte Heidrun,»ist das schon der erste Weg zur Besserung.«
«Worin muß ich mich denn bessern?«
«Der ideale Gast ist nachts, wenn er nach Hause kommt, ganz leise, um niemanden zu wecken.«
«Oje«, seufzte Peter.»Ich weiß, worauf Sie anspielen. Aber das«, verteidigte er sich,»passierte doch nur einmal.«
«Das eine Mal reichte.«»Ich bin auf der Treppe hingefallen, ich war sturzbetrunken, Hei-drun.«
Sie richtete an ihn die Frage, die anscheinend die entscheidende für sie war:»Trinken Sie gern?«
«O nein!«rief er.»Ich mache mir überhaupt nichts aus Alkohol. Manchmal ein Glas Bier, das ist auch schon alles. Ich wurde dazu verführt, das können Sie mir glauben. Gerade deshalb war die Wirkung ja auch derart fürchterlich, weil ich so etwas überhaupt nicht gewöhnt bin.«
Mit allem Nachdruck hatte Peter seine Beteuerungen vorgebracht, um sicherzustellen, daß sie auch nicht verpufften. Dabei hätte es ihm doch absolut egal sein können, was ein kleines Mädchen auf einer abgelegenen Insel im Meer davon hielt, wenn es zu seinen Vorlieben gehört hätte, sich gerne einen hinter die Binde zu gießen. Doch das war ihm keineswegs egal. Deshalb freute er sich jetzt auch, als Heidrun sagte:»Nun gehören Sie für mich wieder uneingeschränkt zu den idealen Gästen, Peter.«
«Sie glauben mir also?«
«Natürlich«, versicherte sie und setzte hinzu:»Sie dürfen mich nicht falsch sehen, Peter. Bei anderen übergehe ich so etwas, die sind mir egal. Aber Ihnen mußte ich das sagen, es war mir ein inneres Bedürfnis. Da gab's nämlich gleich welche im Haus, die den Ausdruck >Säu-fer< fallenließen. So sind die Leute, wissen Sie. Ganz schnell bei der Hand mit solchen Sachen.«
«Und dagegen sträubten Sie sich?«
«Ja«, sagte Heidrun offen. Daß sie sich damit schon wieder selbst zu einer kleinen Patsche verhalf, schien ihr nun gleichgültig zu sein.
«Ich danke Ihnen«, strahlte Peter.»Ich hätte umgekehrt auch allerhand dagegen, wenn Sie in irgendeinem falschen Licht dastünden, Heidrun.«
«Das würden Sie mir dann auch sagen, nicht?«
«Unbedingt.«
Die beiden blickten einander an. Warum küßt er mich denn nicht? dachte Heidrun. Die Gelegenheit wäre doch so günstig. Niemand ist da. Es würde ihn ja zu nichts verpflichten.
Ich würde sie gern küssen, dachte Peter. Ich weiß aber nicht, wie die das aufnehmen würde. Die ist, glaube ich, anders als alle bisherigen; auch anders als Karin. Zerbrechlicher. Bei der darf man nichts kaputtmachen.
Eine Frage lag ihm auf der Zunge.
«Kennen Sie Düsseldorf, Heidrun?«
«Nein.«
«Düsseldorf ist schön.«
«Das glaube ich. «Aus Heimatliebe fühlte sie sich dazu verpflichtet, hinzuzufügen:»Aber Nickeroog ist auch schön.«
«Sicher«, pflichtete er bei.»In ganz anderer Hinsicht.«
«Die Unterschiede könnten gar nicht größer sein.«
Peter zögerte, dann gab er sich einen Ruck.
«Könnten Sie sich vorstellen, in einer Stadt wie Düsseldorf zu leben, Heidrun?«
«Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, Peter.«
«Dann tun Sie das mal, Heidrun«, wagte er einen kühnen Schritt.
Gerade in diesem Moment, als Heidrun dachte, jetzt muß er mich küssen, jetzt geht das nicht mehr anders, schien das Schicksal in widriger Weise einzugreifen.
«Heidrun!«Wie so oft, gellte wieder einmal dieser Ruf aus Mutters Mund durch das Haus.
«Ja, Mutti?«
«Kannst du mir beistehen? Wir müssen einen Kasten Bier in den Keller schaffen. Vati ist nicht da.«
«Gleich, Mutti.«
«Das mache ich«, sagte Peter.
«Kommt nicht in Frage«, widersprach Heidrun.
«Ich tue es ja nicht umsonst.«
«Was wollen Sie denn dafür haben?«
«Einen Kuß«, sagte Peter und erschrak über sich selbst.
Endlich! dachte Heidrun und fragte ihn:»Von wem? Von Mutti?«
Die Antwort darauf fand sich sofort, aber sie zog sich ein bißchen in die Länge, so daß Frau Feddersen sich noch gedulden mußte, bis ihr Hilfe zuteil wurde.