Kapitel 14

Acht Tage später stieg die Einladung, und beinahe wäre alles schiefgegangen. Anlaß dazu bot freilich am wenigsten die Küche im Hause Fabrici. Emilie, die sauerländische Köchin, blieb, wie immer, völlig ruhig und gelassen, nahm die nicht abreißende Kette von Befehlen, Anordnungen, Empfehlungen Mimmis entgegen, dachte keinen Augenblick daran, auch nur ein Wort davon zu befolgen, und machte ihre eigene Routine zur Grundlage des Betriebes. Im Backrohr brutzelten zwei Fasane — ein ganzer für Willibald Bock, zwei Hälften für Mimmi und Paul Fabrici. So war die Planung.

Als Beilagen waren Kartoffelkroketten und Ananaskraut in der Vorbereitung. Kastanienpüree, das Übliche zu Fasan, durfte bei Fabricis nicht auf den Tisch kommen; Paul lehnte das Zeug schärfstens ab.

Die Vögel stammten tatsächlich vom Münchner Viktualienmarkt. Paul hatte sich diesen Tip zu Herzen genommen. Daß er dabei zwei Fasane erwischt hätte, die aus dem Rahmen fielen, bezweifelte er, und das mit Recht. Den Markt als Ganzes hatte er freilich als Attraktion empfunden.

Mimmi stürmte wieder einmal in die Küche.

«Alles klar, Emilie?«

«Ja, gnädige Frau.«

«Haben Sie an die Fasane tüchtig Speck gebunden?«

«Ja.«

«Seit wann sind sie im Rohr?«

«Seit einer Viertelstunde.«

Mimmi blickte auf die Uhr an der Wand.

«Es ist jetzt viertel vor sechs. Um sieben wird gegessen, das wissen Sie, Emilie?«

«Das weißt ich, gnädige Frau.«

«Hoffentlich klappt alles?«

«Sie können sich darauf verlassen, gnädige Frau.«

Mimmi vermochte sich nur schwer wieder von der Küche zu trennen, da ihre Überzeugung fest war, nur ihre Anwesenheit sei eine Garantie gegen ausbrechende Katastrophen. Doch auch im Speisezimmer wurde sie ebenso dringend gebraucht, weil dem Unvermögen des Dienstmädchens, den Tisch richtig zu decken, einfach Rechnung getragen werden mußte.

Der Hausherr kam heim. Mimmi hatte schon sehnlichst auf ihn gewartet und trat ihm im Flur entgegen.

«Endlich! Du wolltest doch heute schon eine Stunde eher kommen?«

«Es ging nicht. Ich wurde aufgehalten. Ist alles in Ordnung? Wann hast du Bock angerufen?«

«Ich?«Mimmis Augen weiteten sich.»Ich dachte, du machst das?«

«Waaas?«Paul schloß die Augen, um sich ganz fest im Zaum zu halten.»Iiich?«

«Ja, du.«

«Davon war doch überhaupt nicht die Rede.«

«Es war auch nicht die Rede davon, daß ich anrufen sollte.«

Nun öffnete Paul die Augen, um seine Frau starr anzusehen.

«Mimmi!«

Sie wußte, was kam.

«Mimmi, weißt du, was das heißt?«

Ja, sie wußte es, schwieg aber.

«Bock hat überhaupt keine Ahnung von der ganzen Einladung, Mimmi. Das heißt es, Mimmi.«

Vor der Drohung, die von dem dauernden Mimmi< ausging, konnten nur Tränen schützen. Rasch fing Pauls Gattin zu weinen an. Sie hatte Übung darin.

Normalerweise hätte das Paul dennoch nicht von einem Wutausbruch abhalten können, aber dazu war jetzt keine Zeit. Paul stürzte zum Telefon. Im Büro war Bock nicht mehr. Paul versuchte es daraufhin zu Hause. Bock meldete sich. Paul schilderte ihm mit gepreßter Stimme die Situation und krönte seine Worte mit folgender Verlautbarung:»Man ist fünfundzwanzig Jahre verheiratet, Wil-lem, fünfundzwanzig Jahre, eine Ewigkeit, und man glaubt zu wissen, zu was eine Frau in der Lage ist. Aber man weiß es nicht, Willem!«

«Ich soll mich also zusammenpacken und zu euch kommen, Paul?«

«Ja, der Duft der Fasane durchzieht schon das ganze Haus, Willem.«

Durchs Telefon hörte man den Präsidenten die Luft durch die Nase einziehen. Doch dann sagte er:»Tut mir schrecklich leid, ich kann nicht.«

«Warum nicht?«

«Ich habe selbst Besuch. Unser neuer Syndikus ist bei mir. Ich habe ihm vorgeschlagen, gemeinsam einer Flasche den Hals zu brechen, damit wir uns auch privat ein bißchen näherkommen.«

«Verdammich!«stieß Paul Fabrici hervor.

Was war da zu machen? Die Fasane brutzelten ihrer Vollendung entgegen. Die Situation stellte sich Paul als kleiner gordischer Knoten dar, dem nicht anders beizukommen war, als daß man ihn durchhaute. Es bedurfte dazu nur eines kleinen Alexanders, und Paul Fabrici entpuppte sich als solcher, indem er sagte:»Weißt du was, Willem? Du kommst trotzdem.«

«Und was mache ich mit dem Syndikus?«

«Den bringst du einfach mit.«

«Das geht doch nicht, Paul.«

«Warum nicht?«

«Du hast nur von zwei Fasanen gesprochen? Die sind dann zu wenig.«

«Ich verzichte auf meine Hälfte.«

«Dann ja. Bis wann müssen wir bei euch sein?«

«Um sieben.«

«Höchste Zeit. Wir beeilen uns.«

Nachdem es Paul Fabrici so gelungen war, eine drohende Panne abzuwenden, dachte er nicht im entferntesten daran, daß eine zweite fast buchstäblich schon vor der Tür stand.

Ein Taxi fuhr draußen vor, dem Karin entstieg. Niemand erwartete sie schon heute. Ihre Schlüssel lagen irgendwo im Gepäck vergraben. Sie läutete deshalb an der Haustür, und Vater, der gerade durch den Flur lief, öffnete ihr. Völlig überrascht starrte er sie an.

«Du?«

«Tag, Vati.«

Er vergaß, beiseitezutreten, um ihr den Weg freizugeben.

«Darf ich nicht hereinkommen, Vati?«

«Natürlich«, besann er sich und nahm ihr den schweren Koffer ab.»Warum hast du uns nicht angerufen, daß du schon kommst?«

«Wozu?«antwortete sie.»Nun bin ich ja da.«

Sie stiegen hinauf in Karins Zimmer. Als Mimmi hinzukam, von Paul gerufen, war sie genauso überrascht wie er. Die beiden Frauen begrüßten sich mit Umarmungen und Küssen.

«Was ist mit Oma?«fragte dann Mimmi.

«Die mußte zur Beerdigung einer Freundin nach Frankfurt. Ich benützte die Gelegenheit, ihrer weiteren Fürsorge zu entfliehen. Anders hätte ich das nicht übers Herz gebracht. Sie war reizend, aber anstrengend. Ich habe ihr einen netten Brief hinterlassen.«

«Du mußt dich rasch umziehen, Karin«, sagte Mimmi.»Es kommen gleich Gäste.«

«Gäste?«

«Dabei ergibt sich ein Problem«, mischte sich Paul ein.»Das Essen reicht nicht. Zwei Fasane, weißt du. Ursprünglich waren die berechnet für drei Personen: deine Mutter, mich und Herrn Bock, den du ja kennst. Nun bringt aber dieser unvorhergesehen auch noch seinen neuen Syndikus mit, einen Doktor Soundso, und durch dich sind wir jetzt zu fünft.«

Paul blickte zwischen Karin und Mimmi hin und her.

«Wie soll das gehen?«fragte er.

«Ganz einfach«, erklärte Mimmi.»Dein verfressener Freund tritt eine Fasanenhälfte ab.«

«Das sagst ihm aber du!«»Nein«, ließ sich Karin vernehmen.»Mich könnt ihr vergessen. Ich bin ohnehin abgespannt von der Reise und bleibe lieber auf meinem Zimmer. Laßt es euch schmecken.«

«Dann werde ich dir aber jedenfalls etwas vom leckeren Nachtisch bringen«, versprach Mimmi.»Süßes magst du doch immer.«

«Ja, Mutti, mach das«, nickte Karin.

Die Gäste erschienen pünktlich. Präsident Bock hatte dazu den Taxifahrer zu verkehrswidrigem Tempo antreiben müssen. Mimmi erlebte einen kleinen positiven Schock, als ihr von Präsident Bock der neue Syndikus der Industrie- und Handelskammer vorgestellt wurde. Das bewirkte der Doktortitel des relativ jungen Mannes, dessen Aussehen auch noch als sehr gut< zu bezeichnen war. Beide Attribute bündelten sich und erzielten bei Mimmi einen unvermeidlichen Effekt. Unverbesserlich, wie sie war, fragte sie sich: Wäre das keiner für meine Karin?

Das Essen brachte Emilies gediegenem Können die Würdigung des Präsidenten Bock in der Form ein, daß er ihr einen Zwanzigmarkschein in die Küche schickte. Außerdem bat er Paul Fabrici, ihr zu bestellen, daß sie jederzeit einen Stellungswechsel zu ihm ins Auge fassen könne.

«Und was würdest du dann mit deiner jetzigen Köchin machen?«fragte ihn grinsend Paul.

«Sie zum Arbeitsamt schicken zur Umschulung.«

«Zu welcher?«

«Egal«, erwiderte der Präsident, sich mit der Serviette sorgfältig den Mund abwischend.»Zu jeder, die nichts mit der Zubereitung von Nahrungsmittel zu tun hätte.«

Nach dem gebotenen allgemeinen Gelächter auf dem Rücken einer Abwesenden, die solchen Hohn keineswegs verdiente, teilte Mim-mi mit, daß sie sich nun ein paar Minuten um die Ernährung ihrer Tochter kümmern müsse.

«Ist sie krank?«fragte der Syndikus höflich.

«Nein, nein, nur müde«, erwiderte Mimmi.»Sie kam erst vor einer Stunde von einer Reise zurück. Das war auch der Grund, wes-halb sie nicht an unserem Essen teilgenommen hat. Sie zog es vor, auf ihrem Zimmer zu bleiben.«

«Schade.«

«Vielleicht kann ich sie dazu verleiten, doch noch eine Zeitlang herunterzukommen.«

«Das wäre sehr schön.«

«Sie sind nicht von hier, Herr Doktor?«

«Nein, ich komme aus Norddeutschland.«

«Man hört es. Und was brachte Sie nach Düsseldorf?«

«Eine Ausschreibung der Industrie- und Handelskammer. Sie kam mir zur Kenntnis, ich bewarb mich, und es hat geklappt; innerhalb weniger Wochen.«

Mimmi brachte ihren verschütteten Charme zum Erstrahlen, indem sie lächelnd sagte:»Ein Gewinn für unsere Stadt, finde ich.«

Der Syndikus errötete. Auch das stand ihm gut.

«O danke, gnädige Frau«, sagte er.»Sie bringen mich in Verlegenheit.«

Mimmi nickte ihm zu und erhob sich, um ihre Tochter nicht länger auf ihren Nachtisch warten zu lassen.

«Prima, Mutti«, sagte Karin dann, das leckere Zeug aus einem Schüs-selchen löffelnd.»Was gab's eigentlich bei euch hier Neues, während ich weg war?«

«Nicht viel. Peter Krahn hat sich verlobt.«

Karins Löffel stand still.

«Peter?«

«Ja.«

«Mit wem?«

«Stell dir vor, mit einer Nickeroogerin. Ich finde das unmöglich. Die kann er doch nur ganz kurz gekannt haben.«

Karins Gesicht verschattete sich. Sie legte den Löffel beiseite. Es schien ihr den Appetit verschlagen zu haben.

«Das stimmt«, sagte sie mit abwesendem Blick.»Nur ganz kurz.«

Mimmi hätte sich ohrfeigen können, weil sie so unbedacht gewesen war, den Namen >Nickeroog< fallenzulassen.

«Iß doch noch ein bißchen«, sagte sie.

«Nein, danke.«

«Vati läßt dich bitten, daß du doch noch ein bißchen herunterkommst«, log Mimmi.

«Nein, Mutti.«

«Auch die beiden anderen Herren würden dich gerne sehen. Präsident Bock ist wieder in Fahrt, sage ich dir. Der angelt uns noch die Emilie weg.«

«Keine Angst, Emilie verläßt uns nicht.«

«Der neue Syndikus, den er dabei hat, würde dir sicher gefallen. Ein blendend aussehender Mann. Doktor der Jurisprudenz.«

«Ach Mutti.«

Das klang so absolut uninteressiert, daß Mimmi die Hoffnung aufgab. Hätte man Karin gesagt, daß Apollo höchst persönlich vom alten Olymp herabgestiegen wäre, um auf sie zu warten, wäre auch damit bei ihr kein Erfolg zu erzielen gewesen.

Mimmi griff nach dem noch fast vollen Schüsselchen, an dessen Inhalt Karin plötzlich keinen Gefallen mehr gefunden hatte.

«Du ißt das also nicht mehr?«

«Nein.«

«Willst du morgen geweckt werden?«

«Nein. Laßt mich bitte schlafen.«

«Gut«, sagte Mimmi und ging zur Tür. Sie war ein bißchen eingeschnappt und gedachte, zum Zeichen dafür das Zimmer ohne Gruß zu verlassen. Über die Schulter sprach sie, als sie die Tür aufzog und über die Schwelle nach draußen trat, zurück:»Doktor Torgau hätte sich sicher sehr gefreut.«

Sie wollte die Tür hinter sich zuziehen, als sie einen erstickten Laut hörte:»Mutti!«

Sie machte noch einmal kehrt.

«Ja?«

Ihre Tochter starrte ihr entgegen. Sie war totenblaß geworden. Kaum zu glauben, daß das in so kurzer Zeit vor sich gegangen sein konnte.

«Karin, was hast du?«fragte Mimmi erschrocken.

«Wer, sagtest du, Mutti?«

«Doktor Torgau. Wieso entsetzt dich das?«

«Sein Vorname?«

«Den weiß ich nicht. Ich verstehe dich nicht. Warum — «

«Woher kommt er?«unterbrach Karin ihre Mutter, die sich überhaupt nicht mehr auskannte.

«Aus Norddeutschland.«

Karins Blässe minderte sich zögernd.

«Wie sieht er aus?«

«Blendend, das sagte ich dir doch schon.«

«Wie im einzelnen? Seine Haare? Seine Gesichtsform? Seine Augen? Seine Größe? Ist er schlank? Ist er — «

«Karin«, unterbrach nun Mimmi ihre Tochter,»mach mich nicht verrückt. Wenn du das alles wissen willst, wenn du den anscheinend zu kennen glaubst, dann komm herunter und sieh ihn dir an. Ich habe ihn nicht gemessen, wie groß er ist, und gewogen habe ich ihn auch nicht. Seine Augen… nun, von denen glaube ich sagen zu können, daß sie sehr leidenschaftlich sind.«

«Leidenschaftlich?«

«Ja, das glaube ich. Ich täusche mich sicher nicht.«

Karins Miene wurde zu einem großen Fragezeichen.

«Wie kommt er in unser Haus?«

«Laß es dir von ihm selbst sagen.«

Ein Lächeln blühte in Karins Gesicht auf, verdrängte den letzten Rest der Blässe. Das Lächeln wurde stärker.

«Mutti!«rief Karin plötzlich, sprang auf, lief auf Mimmi zu, riß sie in die Arme und schwenkte sie herum.

Es war ein groteskes Bild. Mimmi hielt das Schüsselchen mit dem Nachtisch in der Hand und war krampfhaft bemüht, den schönen Teppich vor Pudding und Himbeersoße zu bewahren.

«Hör auf, Karin«, bat sie.»Dein Perser war erst in der Reinigung. Laß mich los.«

Karin blieb stehen. Heftig ging ihr Atem. Das verlieh ihrer Brust einen wunderhübschen Bewegungsrhythmus.

«Laß uns gehen«, sagte Mimmi.

Beide strebten zur Tür. Nach zwei Schritten hielt jedoch Karin noch einmal an.

«Nein«, sagte sie.

«Wieso?«fragte Mimmi.

«Ich trau mich nicht.«

«Wieso nicht?«

«Mutti«, sagte Karin mit angstvoller Miene,»wenn das ein anderer ist und nicht der, den ich meine, sterbe ich. Das würde ich nicht mehr aushalten.«

«Komm«, sagte Mimmi, ihre Tochter an der Hand nehmend, mit sicherem Instinkt.»Er ist es.«

«Woher willst du das wissen?«

«Weil ich deinen Geschmack kenne… und den meinen.«

Sie stiegen die Treppe hinunter. Karins Hand zitterte in der von Mimmi. Als sie sich dem Speisezimmer näherten, drang ihnen von drinnen das Stimmengewirr dreier Männer entgegen, die sich lebhaft unterhielten.

«Ich höre ihn, Mutti«, flüsterte Karin, bebend vor Erregung.»Er ist es wirklich.«

«Na also«, meinte Mimmi ziemlich laut und öffnete die Tür.

Schlagartig erstarb das Stimmengewirr. Karin blieb auf der Schwelle stehen und blickte nur einen der drei Männer an. Langsam erhob sich der Betreffende von seinem Stuhl.

«Guten Abend, Walter«, sagte Karin leise.

«Guten Abend, Karin.«

Paul Fabrici war baff. Sein Erstaunen hätte nicht größer sein können, besaß er doch nicht den geringsten Schimmer davon, was hier los war. Sein Blick wechselte von Karin zum neuen Syndikus, dann wieder zurück zu Karin, und dann wieder zum neuen Syndikus.

«Ich habe das Gefühl«, sagte er schließlich,»daß mir hier eine Erklärung geschuldet wird.«»Mir aber auch«, pflichtete der Präsident der Industrie- und Handelskammer bei.

Diesen Part konnte Mimmi übernehmen, wenigstens in groben Zügen. Sie fand jedoch, daß dabei die Kinder, wie sie im Geiste Karin und Walter schon nannte, nur stören würden, und sorgte deshalb für ihre Entfernung.

«Karin«, sagte sie,»ich irre mich bestimmt nicht, wenn ich annehme, daß sich Herr Doktor Torgau ganz gern unseren Garten ansehen würde. Möchtest du ihn ihm nicht zeigen?«

«Wenn du meinst, Mutti«, sagte Karin und strahlte Mimmi dankbar an.

«Was soll der Quatsch?«fauchte hingegen Paul Fabrici seine Gattin an, nachdem die beiden Jungen verschwunden waren.

Mimmi wußte, daß das, was jetzt bevorstand, keine leichte Geburt war. Sie stellte das Puddingschüsselchen, das sie immer noch in der Hand gehalten hatte, auf den Tisch und setzte sich. Dann sagte sie, zur Tür zeigend:»Das ist er, Paul.«

«Was ist er?«

«Derjenige, Paul.«

«Welcher derjenige?«

«Du weißt schon.«

«Nichts weiß ich, verdammich! Sprichst du von Doktor«- er blickte den Präsidenten an —»wie heißt er?«

«Torgau.«

«Ja«, nickte Mimmi,»von dem spreche ich.«

Paul war geneigt, mit der Faust auf den Tisch zu hauen, unterließ es aber dann doch.

«Von dem weiß ich nur«, polterte er,»daß er der neue Syndikus der Industrie- und Handelskammer in Düsseldorf ist.«

«Und«, ergänzte Mimmi mit Betonung,»dein zukünftiger Schwiegersohn, wenn's nach Karin geht.«

«Mach mich nicht verrückt!«fing Paul zu schreien an.

Auch Präsident Bock blickte nicht mehr durch und ließ dies erkennen, indem er sagte:»Wenn Sie erlauben, meine Liebe, schließe ich mich der Forderung Ihres Gatten an.«

Mimmi spannte die beiden nicht mehr länger auf die Folter und berichtete, was sich in Karins Zimmer zugetragen hatte. Nach Frauenart schilderte sie alles sehr breit, so daß z.B. auch nicht unerwähnt blieb, wie sie sich um den Teppich verdient gemacht hatte.

Paul Fabrici war sprachlos. Er unterbrach Mimmis Bericht nicht ein einziges Mal. Als erster äußerte sich der Präsident. Er brachte einen Verdacht vor. Und zwar müsse er das so sehen, sagte er anklagend, daß hinter der ganzen Bewerbung des Mannes um eine Stellung in Düsseldorf nicht nur der Wunsch nach einem Job allein gesteckt habe.

«Hoffentlich«, war Mimmi zu vernehmen.

Bock widersprach:»Nein, meine Liebe, das wirft nämlich nicht das beste Licht auf die Arbeitsmoral eines solchen Angestellten.«

«Finde ich auch«, knurrte Paul Fabrici.

«Für unsereinen«, bekräftigte Bock,»hat es so etwas im ganzen Leben nicht gegeben — oder, Paul?«

«Du hast recht, Willem.«

Mimmi richtete sich auf, um ihren Mann auf die Hörner zu nehmen. Dies war nämlich jetzt eine Minute, in der sie sich von ihm um keinen Preis einschüchtern lassen wollte. Das Glück ihrer Tochter stand auf dem Spiel. Was Bock sagte, war ihr egal — aber nicht das, was Paul von sich gab. Sie funkelte ihn an.

«Nur so zu, Paul«, sagte sie.»Das ergibt die richtige Basis für den Start deines Nachfolgers in deiner Firma.«

Paul blickte sie an wie eine Geistesschwache.

«Meines was?«stieß er hervor.

«Deines Nachfolgers.«

«Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank?«

«Doch, ich schon, aber dir fehlen offenbar ein paar.«

Fassungslos schwieg er. War das noch seine Frau? Sein Schatten? Seine Sklavin?

«Dir fehlen sogar alle, scheint es«, fuhr Mimmi fort.»Wer erbt denn einmal deinen ganzen Kram?«

«Karin natürlich?«

«Und wer führt die Firma? Etwa auch sie?«

«Das kann sie nicht.«

«Eben. Wer also? Dein Schwiegersohn. Oder nicht?«

Paul schwieg, er blickte herum, als suche er nach einer Zigarre.

«Seit Jahren habe ich ja auch nichts anderes aus deinem Mund gehört«, fuhr Mimmi fort, ihm die Leviten zu lesen.»Weshalb bist du denn auf den Krahn verfallen. auf dieses Würstchen. weshalb denn?«

Sie wartete auf eine Antwort, aber Pauls Lippen blieben geschlossen.

«Weshalb wolltest du Karin denn in eine Kaufmannslehre stecken, obwohl du weißt, daß das, wie du selbst sagst, keine Lösung ist, sondern höchstens eine Notlösung?«Mimmi winkte mit der Hand.»Alles Quatsch! Die einzige Lösung ist die mit einem richtigen Schwiegersohn, und damit klappt's jetzt.«

Paul fand die Sprache wieder.

«Mit einem Schreibtischhengst«, stieß er verächtlich hervor.

Mimmi ließ sich nicht beirren.

«Mit einem hochgebildeten Menschen, Paul, der sich das, was er zur Führung eines Geschäfts braucht, ganz leicht aneignen wird. Im übrigen — «

Paul wollte das nicht gelten lassen.

«So leicht ist das nicht! Was sagst du, Willem?«

«Im übrigen«, ließ sich Mimmi nicht unterbrechen,»hast du keinen anderen Weg als den, Herrn Doktor Torgau zu akzeptieren, Paul.«

«Wieso, möchte ich wissen.«

«Es sei denn, du willst unsere Tochter aus dem Haus treiben.«

«Aber. «Nun unterbrach sich Paul selbst.»Nein, das möchte ich natürlich nicht.«

«Na also«, sagte Mimmi. Zum erstenmal lächelte sie wieder.

Paul, an eheliche Niederlagen nicht gewöhnt, hatte das Bedürfnis, irgendwie noch einmal aufzutrumpfen.

«Aber eines sage ich dir: Die geht mir vom ersten Tage an auch mit rein ins Geschäft, damit beide lernen. Sich an der Universität rumspielen, das kann sie vergessen.«

«Dafür bin ich auch«, lächelte Mimmi.

«Und das Reitpferd bleibt in München. Bin ich froh, daß sich der Transport verzögert hat. Der Kauf wird morgen früh von mir rückgängig gemacht.«

Auch dazu nickte Mimmi lächelnd.

«Welches Reitpferd?«fragte Willibald Bock.

«Kümmere du dich um einen neuen Syndikus«, fuhr ihm Paul, dessen Bedürfnis, aufzutrumpfen, noch nicht ganz gestillt war, über den Mund.

Mimmi nahm das Puddingschüsselchen vom Tisch und erhob sich.

«Wo willst du hin?«fragte Paul sie.

«In die Küche. Karin wird, wenn wir sie zu Gesicht bekommen, ihren Appetit wiedergewonnen haben, schätze ich.«

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