Kapitel 13

Wochenlang änderte sich nichts. Karin vertrödelte die Zeit. Ihre Laune wechselte sprunghaft. Mal war sie bester Stimmung, freute sich über ihr gutes Tennisspiel, dann wieder machte ihr nicht einmal mehr das Reiten Spaß. Von Nickeroog sprach sie nicht mehr. Mimmis Hoffnung, Karin könnte eines Tages von selbst beginnen, ihr das Herz auszuschütten, blieb unerfüllt. Auf Drängen ihres Vaters erklärte sich Karin schließlich ohne große Lust bereit, sich zum Win-tersemester wieder an der Universität einzuschreiben. Bis dahin mußten aber erst noch ein paar Wochen ins Land ziehen.

Oma kam zu Besuch. Karin war ihr Liebling. Der Zustand ihrer Enkelin blieb der alten Dame nicht verborgen. Das Kind, sagte sie zu Mimmi, müsse mal eine Zeitlang aus ihrer gewohnten Umgebung heraus.

«Und wohin?«fragte Mimmi.

«Zu mir«, sagte Oma.

Der Kampf mit der lustlosen Karin war nicht leicht, aber Großmütter sind in solchen Fällen zäh, und so kam es, daß es bald im Hause Fabrici wieder stiller wurde, weil der Wirbel fehlte, den eine Tochter nun mal verursacht, auch wenn ihre Stimmung nicht immer hohe Wellen schlägt.

Mimmi las >Die toten Seelen< von Gogol. Paul ging seinen Geschäften nach. An einem Mittwoch hatte er wieder einmal bei der Industrie- und Handelskammer zu tun. Wenn das der Fall war, stand ihm immer gleich die Tür des Präsidenten offen, da er ja zu den wichtigeren Geschäftsleuten Düsseldorfs zählte. Der Präsident war insofern ein Boß, wie er im Buche stand, als er ihm überflüssig erscheinende Arbeit gern auf die Schultern anderer lud, ein Kenner französischer Rotweine war und den Zeiten nachtrauerte, in denen es noch einen Sinn gehabt hatte, daß er seine Sekretärin wechselte, wenn sie die Dreißig überschritt. Außerdem nahm er gern Einladungen an. Voraussetzung war natürlich, daß diese aus Häusern kamen, von denen er wußte, daß in ihnen gut gegessen wurde. Er war verwitwet. Mit Paul Fabrici war er per du. Er hieß Willibald Bock und erzählte gern obszöne Witze. Ein solcher Name und eine solche Vorliebe ergeben natürlich eine Verbindung, die an Stammtischen nicht ungenutzt bleibt. Meistens ist aber dann da an jene Hunde zu denken, die nur noch bellen.

«Willem«, sagte Paul Fabrici zum Präsidenten, nachdem das Geschäftliche erledigt war,»was machst du sonst?«

Bock seufzte.

«Du siehst es ja, Paul — nur Arbeit. Vor dir waren heute schon zehn oder zwölf bei mir.«

«Verzähl dich nicht«, lachte Fabrici.

«Im Ernst, Paul, mich entlastet ja keiner. Was glaubst du, was allein die Einarbeitung unseres neuen Syndikus für mich bedeutet?«

«Ein neuer?«

«Weißt du das noch nicht? Es stand in der Zeit.«

Jemand klopfte an die Tür und wurde vom Präsidenten aufgefordert, einzutreten.

«Da ist er ja, Paul«, sagte der Präsident, auf den relativ jungen Mann zeigend, der über die Schwelle trat.

Der neue Syndikus.

«Darf ich die Herren miteinander bekanntmachen?«fuhr Bock fort.»Herr Fabrici — Herr Doktor.«

Der Name, den Bock in seinen Bart murmelte, blieb Paul unverständlich, was ihm jedoch gleichgültig war. So etwas passiert ja oft bei Vorstellungen, und es fällt auch nicht ins Gewicht, wenn, wie hier auch wieder, ein Titel Gelegenheit bietet, sich damit zu begnügen.

«Freut mich, Herr Doktor«, sagte Paul, die Hand dem anderen schüttelnd, der erwiderte:»Ganz meinerseits, Herr Fabrici, wirklich ganz meinerseits.«

Ungewöhnlich daran erschien dieses >wirklich ganz meinerseits<. Paul fand es ein bißchen übertrieben, führte es aber auf das Bestreben des Neuen zurück, sich bei jedem hier einen guten Start zu verschaffen.

«Was gibt's?«fragte der Präsident seinen Untergebenen.

«Die Besprechung morgen vormittag mit den Notaren scheint zu platzen. Herr Hahn hat angerufen.«

«Mist!«

«Was soll ich machen, wenn ein neuer Termin notwendig werden sollte?«

«Verfügen Sie nach Ihrem Gutdünken. Ich gebe Ihnen freie Hand.«

«Gut.«

Andeutung einer Verbeugung, die mehr Fabrici galt als dem Präsidenten. Die Tür klappte. Paul und Bock waren wieder unter sich.

«Macht keinen schlechten Eindruck«, meinte Paul.

«Und wenn er sich noch so gut entpuppen sollte«, relativierte der Präsident Pauls Urteil,»die Hauptsache bleibt immer an mir hängen, Paul.«

«Das ist klar, Willem«, grinste Fabrici.

«Zur Erholung würde ich gern wieder mal ein junges Rebhuhn verspeisen.«

«Oder einen Fasan?«

«Und warum tust du's nicht?«

«Weißt du«, sagte der Präsident mit einer Miene, in der Abscheu lag,»in den Gasthäusern erlebst du da nur Enttäuschungen. Die setzen dir Exemplare vor, an denen du dir dein Gebiß ruinieren kannst.«

«Und wenn du wieder mal zu uns kämst?«

«Aber Paul«, wehrte der Präsident mit ausgestreckten Händen ab,»so habe ich das nicht gemeint. Wann wäre das?«

«In dieser Woche nicht mehr, ich muß nach München. Aber in der nächsten. Den Tag sage ich dir noch am Telefon. Es kommt darauf an, wann meine Frau das Geeignete organisieren kann.«

«Gut«, nickte der Präsident und fügte lebhaft hinzu:»Wenn du nach München mußt, kann ich dir in diesem Zusammenhang gleich einen guten Tip geben: Geh über den Viktualienmarkt.«

«Viktualienmarkt?«

«Kennst du den nicht?«

«Nein.«

«Etwas Einmaliges, sage ich dir. Der größte Markt Europas in seiner Art. Dort findest du Rebhühner und Fasane, die hältst du nicht für möglich.«

Versehen mit dieser Information, flog Paul Fabrici am nächsten Tag nach München. Der eigentliche Anlaß war aber ein anderer.

Paul wollte sich in einem Gestüt an der Isar nach einem eigenen Reitpferd für Karin umsehen. Nie vorher wäre ihm so etwas in den Sinn gekommen. Jetzt aber hatte sich Paul Fabrici gebeugt, als seine Frau zu ihm gesagt hatte:»Kauf ihr doch ein eigenes Pferd. Vielleicht trägt das zu ihrem Vergessen bei.«

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