ACHTZEHN

Die Männer flogen von Langley nach Des Moines, wo sie zwei Limousinen und einen Kleinbus mieteten. Die Fahrt nach Bakers, lowa, dauerte 40 Minuten. Sie trafen zwei Tage vor dem Brief in der kleinen, verschneiten Stadt ein. Als Quince den Brief im Postamt abholte, kannten sie den Namen des Postmeisters, des Bürgermeisters, des Polizeipräsidenten und des Kochs im Pfannkuchenhaus neben dem Metallwarenladen. Doch niemand in Bakers wusste, wer sie waren.

Sie beobachteten Quince, als er vom Postamt zur Bank eilte. Eine halbe Stunde später erschienen zwei Agenten, die nur unter den Namen Wes und Chap bekannt waren, in dem Teil des Bankgebäudes, wo Mr. Garbe jun. sein Büro hatte, und stellten sich seiner Sekretärin als Inspektoren der Bundesbank vor. Sie wirkten tatsächlich sehr überzeugend: dunkle Anzüge, schwarze Schuhe, kurz geschnittenes Haar, lange Mäntel, knappe Ausdrucksweise, sachliches Auftreten.

Quince hatte seine Tür verschlossen und schien zunächst nicht geneigt, die beiden Männer zu empfangen. Sie legten seiner Sekretärin jedoch dar, ihr Anliegen sei äußerst dringlich, und nach fast 40 Minuten öffnete sich seine Tür einen Spaltbreit. Mr. Garbe sah aus, als hätte er geweint. Er war bleich und zittrig und gab sich nicht einmal den Anschein höflicher Freude über den Besuch. Dennoch bat er sie herein, war aber offenbar zu erschüttert, um sie nach ihren Dienstausweisen zu fragen. Er konnte sich nicht einmal ihre Namen merken.

Er setzte sich an seinen großen Schreibtisch und sah die beiden Männer an, die ihm gegenübersaßen und sich glichen wie ein Ei dem anderen.»Was kann ich für Sie tun?«fragte er mit einem sehr schmalen Lächeln.

«Ist die Tür verschlossen?«fragte Chap.

«Natürlich. «Die beiden Zwillinge hatten den Eindruck, dass sich der größte Teil von Mr. Garbes Arbeitstag hinter verschlossenen Türen abspielte.

«Kann uns jemand hören?«fragte Wes.

«Nein. «Quince wurde immer verwirrter.

«Wir haben Sie angelogen«, sagte Chap.»Wir sind nicht von der Bundesbank.«

Quince wusste nicht, ob er wütend oder erleichtert oder noch ängstlicher sein sollte, als er ohnehin schon war, und so saß er einfach da, erstarrt, mit offenem Mund, und wartete auf den Gnadenschuss.

«Es ist eine lange Geschichte«, sagte Wes.

«Sie haben fünf Minuten.«

«Nein, wir haben so viel Zeit, wie wir wollen.«

«Sie sind hier in meinem Büro. Hinaus mit Ihnen.«

«Nicht so eilig. Wir wissen einiges.«

«Ich werde den Sicherheitsdienst rufen.«

«Nein, das werden Sie nicht.«

«Wir haben den Brief gelesen«, sagte Wes.»Den Brief, den Sie gerade aus Ihrem Postfach geholt haben.«

«In meinem Postfach waren mehrere Briefe.«

«Aber nur einer von Ricky.«

Quince ließ die Schultern hängen und schloss langsam die Augen. Dann öffnete er sie wieder und sah seine beiden Peiniger mit einem Ausdruck völliger Verzweiflung an.»Wer sind Sie?«murmelte er.

«Jedenfalls keine Feinde.«

«Sie arbeiten für ihn, stimmt's?«

«Für wen?«

«Für Ricky, wer immer das ist.«

«Nein«, sagte Wes.»Wir arbeiten gegen ihn. Sagen wir einfach, wir haben einen Klienten, der mehr oder weniger in derselben Situation ist wie Sie. Er hat uns beauftragt, ihn zu schützen.«

Chap zog einen dicken Umschlag aus der Manteltasche und warf ihn auf den Schreibtisch.»Hier sind fünfundzwanzigtausend Dollar in bar. Überweisen Sie die an Ricky.«

Quince starrte den Umschlag mit offenem Mund an. Ihm gingen so viele Gedanken durch den Kopf, dass ihm schwindelte. Also kniff er die Augen zusammen und versuchte vergeblich, sich zu konzentrieren. Es spielte keine Rolle, wer sie waren. Wie hatten sie den Brief gelesen? Warum boten sie ihm Geld? Wie viel wussten sie?

Er konnte ihnen jedenfalls nicht trauen.

«Das Geld gehört Ihnen«, sagte Wes.»Als Gegenleistung wollen wir einige Informationen.«

«Wer ist Ricky?«fragte Quince und öffnete die Augen einen Spaltbreit.

«Was wissen Sie über ihn?«fragte Chap.

«Dass er nicht Ricky heißt.«

«Stimmt.«

«Dass er im Gefängnis sitzt.«

«Stimmt«, sagte Chap abermals.

«Er behauptet, dass er Frau und Kinder hat.«

«Stimmt zum Teil. Seine Frau ist eine Ex-Frau. Sie haben gemeinsame Kinder.«

«Er behauptet, sie hätten kein Geld, und darum müsse er Leute erpressen.«

«Stimmt nicht ganz. Seine Frau ist ziemlich reich und die Kinder haben sich auf ihre Seite geschlagen. Wir wissen nicht, warum er Leute erpresst.«

«Aber wir wollen, dass er damit aufhört«, fügte Chap hinzu.»Und dazu brauchen wir Ihre Hilfe.«

Quince wurde plötzlich bewusst, dass er zum ersten Mal in den einundfünfzig Jahren seines Lebens zwei Menschen gegenübersaß, die wussten, dass er homosexuell war. Er war entsetzt. Einen Augenblick lang wollte er alles leugnen und eine Geschichte erfinden, wie es zu seinem Briefwechsel mit Ricky gekommen war, doch ihm fiel einfach nichts ein. Er war zu verängstigt, um irgendwelche Ideen zu haben.

Dann wurde ihm bewusst, dass diese beiden Unbekannten ihn ruinieren konnten. Sie kannten sein kleines Geheimnis und hatten die Macht, sein Leben zu zerstören.

Und doch boten sie ihm 25 000 Dollar in bar an.

Der arme Quince bedeckte die Augen mit den Händen und sagte:»Was wollen Sie?«

Chap und Wes dachten, er werde jeden Augenblick losheulen. Nicht dass sie das sehr gestört hätte, aber es bestand keine Notwendigkeit dazu.»Unser Angebot sieht so aus, Mr. Garbe«, sagte Chap.»Sie nehmen das Geld, das da auf Ihrem Schreibtisch liegt, und sagen uns alles, was Sie über Ricky wissen. Sie zeigen uns die Briefe. Sie zeigen uns alles. Wenn das Zeug in einem Schnellhefter oder einer Schachtel oder an irgendeinem geheimen Ort aufbewahrt ist, wollen wir es sehen. Wenn wir haben, was wir brauchen, werden wir so schnell, wie wir gekommen sind, wieder verschwinden und Sie werden nie erfahren, wer wir sind und wen wir schützen.«

«Und Sie werden das Geheimnis bewahren?«

«Absolut.«

«Wir haben keinen Grund, irgendjemandem von Ihnen zu erzählen«, sagte Wes.

«Können Sie ihn dazu bringen aufzuhören?«fragte Quince und starrte sie an.

Chap und Wes sahen einander an. Bisher war alles wie am Schnürchen gelaufen, doch auf diese Frage gab es keine eindeutige Antwort.»Wir können nichts versprechen, Mr. Garbe«, sagte Wes.»Aber wir werden unser Bestes tun, diesem Ricky Manieren beizubringen. Er belästigt, wie gesagt, auch unseren Klienten.«

«Sie müssen mich ebenfalls beschützen.«

«Wir werden tun, was wir können.«

Quince stand unvermittelt auf, beugte sich vor und legte die Hände flach auf den Tisch.»Dann bleibt mir wohl nichts anderes übrig«, sagte er. Er rührte den Umschlag mit dem Geld nicht an, sondern trat an einen antiken verglasten Schrank, in dem zahlreiche alte Bücher standen. Mit einem Schlüssel öffnete er den Schrank und mit einem anderen eine kleine, versteckte Kassette auf dem zweiten Brett von unten. Vorsichtig entnahm er ihr einen dünnen Schnellhefter, den er behutsam neben den Geldumschlag legte.

Gerade als er den Schnellhefter aufschlug, quäkte eine hohe, schrille Stimme durch die Gegensprechanlage.»Mr. Garbe, Ihr Vater möchte Sie sofort sprechen.«

Quince schrak entsetzt zusammen. Er erbleichte und sein Gesicht verzerrte sich in Panik.

«Äh, sagen Sie ihm, dass ich in einer Besprechung bin«, antwortete er und versuchte erfolglos, bestimmt zu klingen.

«Sagen Sie es ihm«, antwortete seine Sekretärin und schaltete die Sprechanlage ab.

«Entschuldigen Sie mich«, sagte er und rang sich ein Lächeln ab. Er nahm den Hörer, wählte eine dreistellige Nummer und wandte Chap und Wes den Rücken zu, damit sie nicht hörten, was er sagte.

«Dad, ich bin's. Was ist los?«fragte er mit gesenktem Kopf.

Es trat eine lange Pause ein, in der sein Vater ihm allerlei zu sagen hatte.

«Nein, nein, sie sind nicht von der Bundesbank. Sie sind, äh, Anwälte aus Des Moines und vertreten die Familie eines alten Kommilitonen.«>,

Eine kürzere Pause.

«Äh, Franklin Delaney. Du erinnerst dich wahrscheinlich nicht an ihn. Er ist vor vier Monaten gestorben, ohne ein Testament zu hinterlassen. Ein ziemliches Durcheinander. Nein, Dad, es hat nichts mit der Bank zu tun.«

Er legte auf. Nicht schlecht gelogen. Die Tür war verschlossen. Das war im Augenblick das Wichtigste.

Wes und Chap erhoben sich, traten gemeinsam an den Schreibtisch und beugten sich vor, als Quince den Schnellhefter aufschlug. Das Erste, worauf ihr Blick fiel, war das Foto, das mit einer Büroklammer an der Innenklappe befestigt war. Wes zog es vorsichtig heraus und sagte:»Und so sieht Ricky angeblich aus?«

«Ja«, sagte Quince. Er schämte sich, war aber entschlossen, diese Sache durchzustehen.

«Ein gut aussehender junger Mann«, sagte Chap, als betrachteten sie das Ausklappfoto in einer

Ausgabe des Playboy. Alle drei fühlten sich sogleich sehr unbehaglich.

«Sie wissen, wer Ricky ist, nicht?«fragte Quince.

«Ja.«

«Sagen Sie es mir.«

«Nein, das gehört nicht zu unserer Abmachung.«

«Warum wollen Sie es mir nicht sagen? Ich gebe Ihnen doch alles, was Sie wollen.«

«Weil wir etwas anderes vereinbart haben.«

«Ich will den Scheißkerl umbringen.«

«Entspannen Sie sich, Mr. Garbe. Wir haben eine Abmachung. Sie kriegen das Geld, wir kriegen Ihre Briefe und keinem passiert etwas.«

«Fangen wir noch mal von vorn an«, sagte Chap und musterte den leidenden, mitgenommenen kleinen Mann in dem zu großen Drehsessel.»Wie hat diese Sache angefangen?«

Quince kramte in dem Schnellhefter und zog ein dünnes Magazin hervor.»Das habe ich in einer Buchhandlung in Chicago gekauft«, sagte er und drehte das Heft um, damit sie den Titel lesen konnten. Es hieß Out and About und bezeichnete sich als Zeitschrift für erwachsene Männer mit besonderen Ansprüchen. Er ließ sie das Titelblatt betrachten und blätterte dann zu den hinteren Seiten. Wes und Chap berührten die Zeitschrift nicht, nahmen aber vom Inhalt so viel wie möglich auf. Sehr wenige Bilder, viel klein gedruckter Text. Es handelte sich keineswegs um Pornografie.

Auf Seite 46 befanden sich einige Kleinanzeigen. Eine davon war rot angestrichen. Sie lautete:

Attr. Mann, weiß, Mitte 20, sucht Brieffreundschaft mit liebevollem, diskretem Herrn, Anf. 40 bis Ende 50

Wes und Chap beugten sich vor, um sie zu lesen, und richteten sich dann gleichzeitig wieder auf.»Und auf diese Anzeige haben Sie geantwortet?«fragte Chap.

«Ja. Ich habe einen kurzen Brief geschrieben und zwei Wochen später bekam ich eine Antwort von Ricky.«

«Haben Sie eine Kopie Ihres Briefes?«

«Nein, ich mache keine Kopien. Nichts, was in diesem Schnellhefter ist, hat dieses Zimmer verlassen. Ich hatte Angst, hier in der Bank Kopien zu machen.«

Wes und Chap runzelten ungläubig und enttäuscht die Stirn. Mit was für einem Idioten hatten sie es hier zu tun?

«Tut mir Leid«, sagte Quince. Am liebsten hätte er das Geld eingesteckt, bevor sie es sich anders überlegten.

Um die Sache in Gang zu halten, nahm er Rickys ersten Brief und hielt ihnen den hin.»Legen Sie ihn einfach auf den Tisch«, sagte Wes und dann beugten sie sich wieder vor und lasen ihn, ohne ihn zu berühren. Quince fiel auf, dass sie sehr langsam und mit äußerster Konzentration lasen. Er konnte wieder klarer denken und sah einen leisen Hoffnungsschimmer. Wie schön, dass er das Geld hatte und nicht unter falschen Vorspiegelungen einen weiteren Kredit aufnehmen und einen Haufen Lügen erfinden musste, um den wahren Verwendungszweck zu verschleiern. Und außerdem hatte er jetzt Verbündete, nämlich Wes und Chap und alle möglichen anderen Leute, die Ricky unschädlich machen wollten. Sein Herz raste nicht mehr und er atmete langsamer.

«Den nächsten Brief, bitte«, sagte Chap.

Quince legte sie nacheinander auf den Tisch, einen neben den anderen: drei lavendelfarbene, einen hellblauen, einen gelben, allesamt in Druckbuchstaben geschrieben von jemandem, der viel Zeit hatte. Wenn sie eine Seite durchgelesen hatten, drehte Chap sie mit einer Pinzette um. Sie berührten das Papier kein einziges Mal.

Das Eigenartige an diesen Briefen, flüsterten Wes und Chap einander viel später zu, war, dass sie so überzeugend wirkten. Ricky war ein gequälter, leidender junger Mann, der sich nach jemandem sehnte, mit dem er sprechen konnte. Er war sympathisch und Mitleid erregend. Und er war voller Hoffnung, denn er hatte das Schlimmste hinter sich und würde bald in die Freiheit entlassen werden, wo er sich neue Freunde suchen würde. Die Briefe waren hervorragend geschrieben!

Nach einem langen Schweigen sagte Quince:»Ich muss mal telefonieren.«,

«Mit wem?«

«Geschäftlich.«

Wes und Chap sahen einander zweifelnd an und nickten dann. Quince ging mit dem Telefonapparat zur Anrichte und sah hinaus auf die Main Street, während er mit einem anderen Bankier sprach.

Irgendwann begann Wes, sich Notizen zu machen — zweifellos für das Kreuzverhör, das sie anstellen wollten. Quince stand am Bücherschrank und versuchte, eine Zeitung zu lesen und die Tatsache zu ignorieren, dass dieser Fremde sich Notizen machte. Er war jetzt ganz ruhig und dachte so methodisch wie möglich nach. Er dachte darüber nach, was er tun würde, wenn diese beiden Typen gegangen waren.

«Haben Sie die hunderttausend Dollar überwiesen?«fragte Chap.

«Ja.«

Wes, derjenige mit dem grimmigeren Gesicht, sah ihn verächtlich an, als wollte er sagen: Was für ein Trottel!

Sie lasen weiter in den Briefen, machten sich Notizen und flüsterten miteinander.

«Wie viel Geld hat Ihr Klient ihm geschickt?«fragte Quince nur so zum Spaß.

Wes machte ein noch grimmigeres Gesicht.»Das können wir nicht sagen.«

Quince war nicht überrascht. Diese Burschen hatten keinen Sinn für Humor.

Nach einer Stunde setzten sie sich wieder und Quince nahm in seinem Bankiers-Drehsessel Platz.

«Nur noch ein paar Fragen«, sagte Chap und da wusste Quince, dass es jetzt noch mindestens eine Stunde dauern würde.

«Wie haben Sie diese Schwulen-Kreuzfahrt gebucht?«

«Das steht doch in dem Brief da. Der Kerl hat mir den Namen und die Telefonnummer eines Reisebüros in New York genannt. Ich hab dort angerufen und das Geld überwiesen. Es war ganz einfach.«

«Einfach? Haben Sie so was schon mal gemacht?«

«Wollen wir uns jetzt über mein Sexleben unterhalten?«

«Nein.«

«Dann wollen wir doch beim Thema bleiben«, sagte Quince affektiert und fühlte sich wieder besser. Für einen Augenblick kochte der Bankier in ihm. Dann fiel ihm etwas ein, das er einfach nicht für sich behalten konnte. Ohne den Anflug eines Lächelns sagte er:»Die Kreuzfahrt ist immer noch bezahlt. Wollen Sie die Tickets vielleicht übernehmen?«

Zum Glück lachten sie. Es war ein kurzes Aufblitzen von Humor, dann setzten sie die Vernehmung fort.»Haben Sie nicht daran gedacht, einen anderen Namen zu benutzen?«

«Doch, natürlich. Es war dumm, dass ich es nicht getan habe. Aber ich hatte so was noch nie gemacht. Ich dachte, der Typ sei ehrlich. Er ist in Florida und ich sitze hier tief in der Provinz, in lowa. Der Gedanke, er könnte ein Betrüger und Erpresser sein, ist mir nie gekommen.«

«Wir müssen das ganze Zeug kopieren«, sagte Wes.

«Das könnte ein Problem sein.«

«Warum?«

«Wo wollen Sie das kopieren?«

«Gibt es in der Bank kein Kopiergerät?«

«Natürlich, aber Sie werden diese Briefe nicht hier kopieren.«

«Dann gehen wir eben in einen Copy Shop.«

«Wir sind in Bakers. Hier gibt es keinen Copy Shop.«

«Gibt es denn ein Geschäft für Büromaterial?«

«Ja, und der Besitzer schuldet der Bank achtzigtausend Dollar. Im Rotary Club ist er mein Tischnachbar. Sie werden diese Briefe nicht dort kopieren. Ich will nicht damit in Verbindung gebracht werden.«

Wes und Chap sahen erst einander und dann Quince an.»Na gut«, sagte Wes.»Ich bleibe hier bei Ihnen und Chap macht sich auf die Suche nach einem Kopierer.«

«Wo?«

«Im Drugstore.«

«Sie haben den Drugstore gefunden?«

«Ja. Wir brauchten Pinzetten.«

«Der Kopierer dort ist zwanzig Jahre alt.«

«Nein, die haben einen neuen.«

«Aber Sie müssen vorsichtig sein. Der Inhaber ist ein Cousin zweiten Grades meiner Sekretärin.

Bakers ist eine kleine Stadt.«

Chap nahm den Schnellhefter und ging zur Tür. Es klickte laut, als er sie aufschloss, und als er sie öffnete, richteten sich sogleich viele Augen auf ihn. Am Schreibtisch der Sekretärin standen mehrere ältere Frauen, die dort eigentlich gar nichts zu suchen hatten. Als Chap durch die Tür trat, erstarrten sie und musterten ihn. Auch der alte Mr. Garbe war in der Nähe, hielt ein Hauptbuch in der Hand und tat, als wäre er sehr beschäftigt. In Wirklichkeit trieb ihn die reine Neugier. Chap nickte ihnen freundlich zu und schlenderte hinaus, wobei er an praktisch jedem Angestellten der Bank vorbeikam.

Es klickte abermals laut, als Quince die Tür wieder verschloss, bevor irgendjemand hereinkommen konnte. Er und Wes unterhielten sich ein paar Minuten lang unbeholfen über dies und das. Das Gespräch stockte mehrmals, denn sie hatten so gut wie nichts gemeinsam. Verbotener Sex hatte sie zusammengeführt — ein Terrain, auf das sie sich nicht wagten. Das Leben in Bakers bot wenig Gesprächsstoff. Und nach Wes' Lebensumständen konnte Quince nicht fragen.

Schließlich sagte er:»Was sollte ich Ricky schreiben?«

Wes griff das Thema sogleich auf.»Tja, ich würde vor allem erst einmal warten. Warten Sie einen Monat. Lassen Sie ihn zappeln. Wenn Sie sich mit der Antwort und dem Geld zu sehr beeilen, könnte er finden, dass das Ganze zu leicht ist.«

«Und was, wenn er wütend wird?«

«Er wird nicht wütend werden. Er hat jede Menge Zeit und will in erster Linie das Geld.«

«Fangen Sie seine anderen Briefe auch ab?«

«Die meisten.«

Quinces Neugier war geweckt. Er unterhielt sich mit einem Mann, der sein größtes Geheimnis kannte, und hatte das Gefühl, als könnte er ihm Informationen entlocken.»Was wollen Sie gegen ihn unternehmen?«

Und aus irgendeinem Grund, den er nie verstehen würde, sagte Wes:»Wir werden ihn wahrscheinlich einfach umbringen.«

Friede breitete sich auf Quince Garbes Gesicht aus, ein warmes, beruhigendes Gefühl, das die Qual linderte und die Falten glättete. Sein Mund verzog sich zu einem kleinen Lächeln. Sein Erbe war also doch gesichert, und wenn sein Vater erst tot war und das Geld ihm gehörte, würde er Bakers, lowa, hinter sich lassen und leben, wie es ihm gefiel.

«Wie schön«, sagte er leise.»Wunderschön.«

Chap brachte den Schnellhefter in ein Motelzimmer, wo die anderen Mitglieder des Teams und ein geleaster Farbkopierer warteten. Sie machten jeweils drei Kopien und eine halbe Stunde später war er wieder in der Bank. Quince sah die Originale durch — es war alles in Ordnung. Sorgfältig verschloss er den Schnellhefter in der Kassette. Dann sagte er zu seinen Besuchern:»Ich glaube, Sie sollten jetzt gehen.«

Sie verließen ihn ohne Händedruck oder Abschiedsgruß. Was gab es schon zu sagen?

Am örtlichen Flughafen, dessen Startbahn gerade lang genug war, wartete ein Privatjet. Drei Stunden später meldeten sich Wes und Chap in Langley und erstatteten Bericht. Ihre Mission war ein voller Erfolg gewesen.

Gegen eine Zahlung von 40000 Dollar an einen Bankmanager auf den Bahamas, auf den man bereits in früheren Fällen zurückgegriffen hatte, erhielt man eine Übersicht über die Bewegungen des Kontos bei der Geneva Trust Bank. Boomer Realty verfügte über 189000 Dollar. Der Anwalt hatte etwa 68 000 Dollar auf seinem Konto. Die Übersicht verzeichnete sämtliche Überweisungen und Abhebungen. Devilles Leute setzten alles daran herauszufinden, von wem die Überweisungen stammten. Sie wussten von Mr. Garbes Anweisung aus Des Moines und sie wussten, dass weitere 100000 Dollar von einer Bank in Dallas überwiesen worden waren, doch es gelang ihnen nicht festzustellen, wer der Auftraggeber gewesen war.

Man war an vielen Fronten tätig, als Teddy Deville in den Bunker kommen ließ. York war bei ihm. Auf dem Tisch lagen die Kopien von Garbes Briefen und der Kontoübersicht.

Deville hatte den Boss noch nie so niedergedrückt erlebt. Auch York sagte nur wenig. Er trug die Hauptlast dieses Schlamassels, auch wenn Teddy sich selbst die Schuld gab.

«Die neuesten Entwicklungen, bitte«, sagte Teddy leise.

Deville nahm nie Platz, wenn er im Bunker war.»Wir versuchen noch immer, das Geld zurückzuverfolgen. Wir haben mit dem Magazin Out and About Kontakt aufgenommen. Es erscheint in einem sehr kleinen Verlag in New Haven und ich habe meine Zweifel, ob wir es schaffen werden, jemanden einzuschleusen. Unser Kontaktmann auf den Bahamas hat einen Vorschuss bekommen und wird uns informieren, wenn irgendwelche Überweisungen eintreffen. Ein Team steht bereit, um Lakes Büro auf dem Capitol Hill zu durchsuchen, aber das ist wohl nicht sehr Erfolg versprechend. Ich bin jedenfalls nicht optimistisch. Wir haben zwanzig Leute vor Ort in Jacksonville.«

«Wie viele beschatten Lake?«

«Ich habe die Einheit gerade von dreißig auf fünfzig aufgestockt.«

«Er muss rund um die Uhr beobachtet werden. Wir müssen scharf aufpassen. Er ist nicht der Mann, für den wir ihn gehalten haben, und wenn wir ihn nur für eine Stunde aus den Augen lassen, könnte er einen Brief aufgeben oder sich eins von diesen Magazinen kaufen.«

«Das wissen wir. Wir tun unser Bestes.«

«Diese Sache hat höchste Priorität.«

«Ich weiß.«

«Könnten wir jemanden in das Gefängnis einschleusen?«fragte Teddy. Das war ein neuer Gedanke, den York vor nicht einmal einer Stunde zur Sprache gebracht hatte. Deville rieb sich die Augen und kaute an den Fingernägeln. Dann sagte er:»Ich werde mich darum kümmern. Wir werden ein paar Register ziehen müssen, die wir noch nie gezogen haben.«

«Wie viele Gefangene sitzen in Bundesgefängnissen?«fragte York.

«Ungefähr hundertfünfunddreißigtausend«, sagte Deville.

«Dann müsste es doch möglich sein, noch einen unterzubringen, oder nicht?«

«Ich werde sehen, was ich tun kann.«

«Haben wir einen Kontaktmann in der Vollzugsbehörde?«

«Das ist Neuland, aber wir werden uns darum kümmern. Wir haben einen alten Freund im

Justizministerium. Ich glaube, es wird sich machen lassen.«

Deville ließ sie allein. In einer Stunde oder so würden sie ihn wieder kommen lassen und neue Fragen, neue Ideen, neue Aufgaben für ihn haben.

«Der Plan, sein Büro auf dem Capitol Hill zu durchsuchen, gefällt mir nicht«, sagte York.»Zu riskant. Und außerdem würden wir dafür eine Woche brauchen. Diese Kerle haben unzählige Akten.«

«Mir gefällt das auch nicht«, sagte Teddy leise.

«Die Abteilung Dokumente könnte doch einen Brief von Ricky an Lake schreiben. Wir verdrahten den Umschlag und verfolgen ihn. Vielleicht führt er uns zu dem Ort, wo Lake die anderen Briefe versteckt hat.«

«Ausgezeichnete Idee. Sagen Sie's Deville.«

York schrieb es auf einen Block, auf dem bereits zahlreiche Notizen standen. Die meisten waren durchgestrichen. Er kritzelte noch ein wenig herum und stellte dann die Frage, die ihn schon seit einiger Zeit beschäftigte:»Werden Sie ihn zur Rede stellen?«

«Noch nicht.«

«Wann werden Sie es tun?«

«Vielleicht nie. Wir sammeln Informationen, wir bringen so viel wie möglich in Erfahrung. Er scheint sein Doppelleben sehr diskret zu führen. Möglicherweise hat er erst damit angefangen, als seine Frau gestorben ist. Wer weiß? Vielleicht kann er es unter Kontrolle halten.«

«Aber er muss wissen, dass Sie im Bilde sind. Sonst versucht er es vielleicht noch mal. Wenn er weiß, dass wir ihn beobachten, wird er sich zurückhalten. Vielleicht.«

«Und inzwischen geht die Welt vor die Hunde. Atomwaffen werden verkauft und über Grenzen geschmuggelt. Wir beobachten sieben kleine Kriege, drei weitere stehen unmittelbar bevor. Allein im letzten Monat haben sich ein Dutzend neue terroristische Gruppen gebildet. Im Nahen Osten bauen Verrückte Armeen auf und horten Öl. Und wir sitzen hier und befassen uns stundenlang mit drei verurteilten Richtern, die in diesem Augenblick wahrscheinlich Romme spielen.«

«Sie sind nicht dumm«, sagte York.

«Nein, aber ungeschickt. Sie haben den Falschen an der Angel.«

«Wahrscheinlich haben wir uns den Falschen ausgesucht. «

«Nein. Die haben sich den Falschen ausgesucht.«

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