ACHTUNDZWANZIG

Nachdem er drei Tage lang auf Schritt und Tritt über Wes und Chap gestolpert war, brauchte Trevor eine Pause. Sie frühstückten mit ihm, sie aßen mit ihm zu Mittag und zu Abend. Sie brachten ihn nach Hause und holten ihn früh morgens wieder ab. Sie führten das, was von seiner Kanzlei noch übrig war — Chap als Anwaltsgehilfe, Wes als Büroleiter —, und weil es so wenig anwaltliche Tätigkeiten zu erledigen gab, quälten sie ihn mit ihren endlosen Fragen.

Er war daher nicht sonderlich überrascht, als sie verkündeten, sie würden ihn nach Trumble fahren. Er erklärte, er brauche keinen Fahrer. Er sei oft genug allein in seinem kleinen Käfer dorthin gefahren und gedenke auch diesmal wieder allein zu fahren. Das ärgerte sie, und sie drohten, ihren Klienten anzurufen.

«Dann tun Sie das doch, verdammt noch mal!«rief er.»Ihr blöder Klient bestimmt nicht über mein Leben.«

Sie gaben zwar nach, doch ihr Klient bestimmte sehr wohl über Trevors Leben, und sie alle wussten es. Das Einzige, was jetzt zählte, war das Geld. Trevor war zum Verräter geworden.

Er verließ Neptune Beach, allein in seinem Käfer, gefolgt von Wes und Chap in ihrem Mietwagen sowie einem weißen Lieferwagen, in dem Leute saßen, die Trevor nie zu sehen bekommen würde und die er auch gar nicht sehen wollte. Nur so zum Spaß bog er unvermittelt auf den Parkplatz eines Supermarkts ein, um einen Sechserpack Bier zu kaufen, und lachte, als die anderen scharf bremsten und nur mit Mühe einen Unfall vermeiden konnten. Außerhalb der Stadt fuhr er enervierend langsam, nippte hin und wieder an einer Bierdose und genoss es, endlich allein zu sein. Er würde die nächsten dreißig Tage irgendwie überstehen. Für eine Million Dollar konnte er alles ertragen.

Als er sich der Ortschaft Trumble näherte, verspürte er Gewissensbisse. Konnte er das wirklich durchziehen? In wenigen Minuten würde er Spicer gegenübertreten, einem Mandanten, der ihm vertraute, einem Häftling, der ihn brauchte, einem Komplizen. Würde er, Trevor, so tun können, als wäre alles in Ordnung, während in Wirklichkeit ein Hochfrequenzmikrofon in seinem Aktenkoffer versteckt war? Konnte er Spicer die Briefe übergeben wie immer, obwohl er wusste, dass sie kontrolliert wurden? Obendrein ließ er seine Karriere als Anwalt sausen, und sie war etwas, für das er hart gearbeitet hatte und auf das er einst stolz gewesen war.

Er hatte seine moralischen Grundsätze für Geld verkauft. War seine Seele eine Million Dollar wert? Für solche Überlegungen war es jetzt zu spät. Das Geld lag auf seinem Konto. Er ertränkte seine Gewissensbisse mit einem großen Schluck Bier.

Spicer war ein Verbrecher. Beech und Yarber ebenfalls. Und er, Trevor Carson, war ebenso schuldig wie sie. Unter Dieben gibt es keine Ehre, sagte er sich in Gedanken immer wieder.

Als sie durch den Korridor zum Besuchsraum gingen, roch Link Trevors Bieratem. Trevor warf einen Blick in das Anwaltszimmer. Er sah Spicer, der eine Zeitung las, und wurde auf einmal nervös. Wie tief musste ein Anwalt gesunken sein, der zu einem vertraulichen Gespräch mit einem Mandanten ein elektronisches Abhörgerät mitnahm? Das Schuldgefühl traf ihn wie ein Keulenschlag, doch jetzt führte kein Weg mehr zurück. Das Mikrofon war beinahe so groß wie ein Golfball und von Wes sorgfältig am Boden von Trevors altem, verkratztem schwarzem Aktenkoffer montiert worden. Es war äußerst leistungsfähig und würde jeden Laut zu den gesichtslosen Männern in dem weißen Lieferwagen übertragen, in dem auch Wes und Chap saßen. Sie hatten Kopfhörer aufgesetzt und lauschten begierig auf jedes Wort.

«Hallo, Joe Roy«, sagte Trevor.

«Hallo«, antwortete Spicer.

«Ich muss den Koffer kontrollieren«, sagte Link. Er warf einen flüchtigen Blick hinein.»Sieht okay aus. «Trevor hatte Wes und Chap gesagt, dass Link hin und wieder den Inhalt des Koffers überprüfte. Das Mikrofon war unter einem Stapel Papiere verborgen.

«Hier ist die Post«, sagte Trevor.

«Wie viele?«fragte Link.

«Acht.«

«Hast du auch Briefe?«fragte Link Spicer.

«Nein, heute nicht«, antwortete der.

«Ich warte draußen«, sagte Link.

Die Tür wurde geschlossen, und plötzlich herrschte Stille. Es war eine sehr lange Stille. Man hörte nichts, nicht ein einziges Wort. Die Männer in dem weißen Lieferwagen lauschten angestrengt, bis klar war, dass irgendetwas schief gegangen war.

Als Link den kleinen Raum verließ, stellte Trevor den Aktenkoffer rasch draußen auf den Boden, wo er für den Rest des Gesprächs zwischen Anwalt und Mandant blieb. Link bemerkte den Koffer, dachte sich aber nichts dabei.

«Wieso hast du ihn draußen hingestellt?«wollte Spicer wissen.

«Er ist leer«, sagte Trevor schulterzuckend.»Da draußen ist er im Blickfeld der Überwachungskameras. Wir haben nichts zu verbergen. «Trevor hatte einen letzten kurzen Anfall von Gewissensbissen gehabt. Den nächsten Besuch würde er vielleicht abhören lassen, aber diesen hier nicht. Er würde Wes und Chap einfach sagen, der Wärter habe den Koffer mit hinaus genommen — so etwas geschehe manchmal.

«Egal«, sagte Spicer. Er musterte nacheinander die Umschläge, bis er an zwei kam, die etwas dicker waren als die anderen.»Ist das das Geld?«

«Ja. Es sind ein paar Hunderter dabei.«

«Warum? Habe ich mich nicht deutlich ausgedrückt? Ich hab doch gesagt: Zwanziger und Fünfziger.«

«Es ging nicht anders. Ich hab nicht damit gerechnet, dass ich so schnell so viel Bargeld brauchen würde.«

Spicer las die Absenderangaben auf den anderen Briefen. Dann fragte er mit spöttischem Unterton:»Und was war in Washington?«

«AI Konyers ist eine harte Nuss. Mailbox America ist sieben Tage die Woche rund um die Uhr geöffnet. Es ist immer eine Aufsicht da, und es gibt viel Publikumsverkehr. Die Sicherheitsmaßnahmen sind gründlich. Es wird wohl eine Weile dauern.«

«Wen hast du darauf angesetzt?«

«Einen Detektiv aus Chevy Chase.«

«Sag mir den Namen.«

«Wie meinst du das: Sag mir den Namen?«

«Sag mir den Namen von dem Detektiv.«

Trevor war ratlos — seine Phantasie ließ ihn im Stich. Spicer hatte irgendwelche Hintergedanken, seine dunklen Augen funkelten.»Ich weiß ihn nicht mehr«, sagte Trevor.

«In welchem Hotel bist du abgestiegen?«

«Was soll das, Joe Roy?«

«Sag mir den Namen von deinem Hotel.«

«Warum?«

«Ich habe das Recht, es zu wissen. Ich bin dein Mandant. Ich zahle deine Spesen. In welchem Hotel bist du abgestiegen?«

«Im Ritz-Carlton.«

«In welchem?«

«Weiß ich nicht. Im Ritz-Carlton eben.«

«Es gibt zwei davon in Washington. Welches war es?«

«Ich weiß es nicht. Nicht in der Innenstadt.«

«Welchen Flug hast du genommen?«

«Jetzt komm schon, Joe Roy — was soll das?«

«Welche Fluggesellschaft?«

«Delta.«

«Und die Flugnummer?«

«Weiß ich nicht mehr.«

«Du bist gestern zurückgekommen. Vor weniger als vierundzwanzig Stunden. Was war deine Flugnummer?«

«Ich weiß es nicht mehr.«

«Und du bist ganz sicher, dass du wirklich in Washington warst?«

«Natürlich war ich in Washington«, sagte Trevor, aber die Lüge ließ seine Stimme ein wenig zittern. Er hatte sich nicht vorbereitet, und seine Ausreden brachen schneller in sich zusammen, als er sie erfinden konnte.

«Du weißt die Flugnummer nicht, du hast vergessen, wie das Hotel heißt, in dem du abgestiegen bist, und du kannst dich nicht an den Namen des Detektivs erinnern, mit dem du zwei Tage lang zusammen warst. Du hältst mich anscheinend für ziemlich dumm.«

Trevor gab keine Antwort. Er dachte an das Mikrofon in seinem Aktenkoffer und daran, was für ein Glück es war, dass der Koffer vor der Tür stand. Dieser Wortwechsel war etwas, das Wes und Chap lieber nicht hören sollten.

«Du hast getrunken, stimmt's?«sagte Spicer angriffslustig.

«Ja«, antwortete Trevor. Das war zur Abwechslung mal nicht gelogen.»Ich hab mir unterwegs eine Dose Bier gekauft.«

«Oder zwei.«

«Ja, zwei.«

Spicer stützte die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich vor, bis sein Kopf über der Mitte des Tisches war.»Ich hab schlechte Nachrichten für dich, Trevor. Du bist gefeuert.«

«Was?«»Entlassen. Rausgeschmissen. Weg vom Fenster.«

«Du kannst mich nicht feuern.«

«Ich hab's gerade getan. Gemäß einer einstimmigen Entscheidung der Bruderschaft. Wir werden den Direktor davon in Kenntnis setzen, damit dein Name von der Anwaltsliste gestrichen wird. Das ist dein letzter Besuch, Trevor.«

«Aber warum?«

«Weil du lügst, weil du trinkst, weil du unzuverlässig bist, weil deine Mandanten dir nicht mehr vertrauen.«

Das entsprach den Tatsachen, doch es traf Trevor hart. Er war nie auf den Gedanken gekommen, sie könnten den Mut haben, ihn zu feuern. Er biss die Zähne zusammen und sagte:»Und was ist mit unserem kleinen Geschäft?«

«Wir machen einen sauberen Schnitt. Du behältst dein Geld, und wir behalten unseres.«

«Und wer soll euer Verbindungsmann draußen sein?«

«Das lass unsere Sorge sein. Du kannst jetzt wieder einem ehrbaren Beruf nachgehen, wenn du dazu imstande bist.«

«Was weißt du von einem ehrbaren Beruf, Joe Roy?«

«Geh einfach, Trevor. Steh auf und verschwinde! Hat mich sehr gefreut.«

«Na gut«, murmelte er. Seine Gedanken waren ein einziges Durcheinander, doch zwei schoben sich in den Vordergrund. Erstens: Spicer hatte diesmal, zum ersten Mal in vielen Wochen, keine Briefe mitgebracht. Zweitens: Wozu brauchten sie die 5000 Dollar? Wahrscheinlich war es das Bestechungsgeld für ihren neuen Anwalt. Sie hatten diesen Überraschungsangriff gut geplant. In dieser Hinsicht waren sie immer im Vorteil — sie hatten so viel Zeit. Drei hochintelligente Männer, die jede Menge Zeit hatten. Es war einfach nicht gerecht.

Sein Stolz gebot ihm aufzustehen. Er streckte die Hand aus und sagte:»Tut mir Leid, dass es so gekommen ist.«

Spicer schüttelte ihm widerwillig die Hand. Am liebsten hätte er gesagt: Mach, dass du rauskommst.

Als sie einander zum letzten Mal ins Auge sahen, sagte Trevor beinahe im Flüsterton:»Konyers ist euer Mann, Sehr reich. Sehr mächtig. Er weiß von euch.«

Spicer sprang auf wie eine Katze. Ihre Gesichter waren nur Zentimeter voneinander entfernt. Er flüsterte:»Lässt er dich beobachten?«

Trevor nickte und zwinkerte ihm zu. Dann öffnete er die Tür. Ohne ein Wort an Link nahm er den Aktenkoffer. Was hätte er dem Wärter auch sagen sollen? Tut mir leid, alter Freund, aber mit den 1000 Dollar, die du jeden Monat unter der Hand kriegen solltest, ist es jetzt vorbei. Das findest du schade? Dann frag doch mal Joe Roy Spicer nach den Gründen.

Aber er sagte nichts. Er war verwirrt, ihm schwindelte beinahe, und der Alkohol war keine große Hilfe. Was sollte er Wes und Chap sagen? Das war die Frage, die ihn im Augenblick am meisten beschäftigte. Sie würden ihm zusetzen, sobald sie ihn zu fassen bekamen.

Wie immer, aber nun zum letzten Mal, verabschiedete er sich von Link und dann von Vince, Mackey und Rufus am Empfang und trat hinaus in die glühende Sonne.

Wes und Chap hatten ihren Wagen drei Parklücken von seinem Käfer entfernt geparkt. Sie wollten mit ihm reden, gingen aber kein Risiko ein. Trevor beachtete sie nicht, warf den Aktenkoffer auf den Beifahrersitz und setzte sich ans Steuer. Die beiden anderen Wagen folgten ihm auf der Landstraße nach Jacksonville.

Ihre Entscheidung, sich von Trevor zu trennen, war nach sorgfältigsten Erwägungen gefällt worden. Sie hatten sich stundenlang in ihrem kleinen Zimmer verkrochen und die Konyers-Unterlagen studiert, bis sie jeden Brief auswendig kannten. Sie hatten zu dritt Runde um Runde um die Aschenbahn gedreht und ein Szenario nach dem anderen entworfen. Sie hatten gemeinsam gegessen und Karten gespielt und die ganze Zeit im Flüsterton Theorien darüber entwickelt, wer ihre Post überwachte.

Trevor war der nächstliegende Schuldige und der Einzige, über den sie verfügen konnten. Wenn ihre Opfer nachlässig wurden, dann konnten sie, die Richter, nichts daran ändern. Doch wenn ihr Anwalt zu leichtsinnig war, mussten sie ihm das Mandat entziehen. Er war ohnehin kein Mensch, der viel Vertrauen verdiente. Wie viele gute, viel beschäftigte Anwälte wären wohl bereit, für eine Erpressung schwuler Männer ihre Karriere aufs Spiel zu setzen?

Der einzige Grund, warum sie zögerten, Trevor einen Tritt in den Hintern zu geben, war die Angst, er könnte ihnen ihr Geld stehlen. Wenn er das tat, würden sie ihn nicht daran hindern können, doch sie waren bereit, dieses Risiko einzugehen, denn Aaron Lake versprach einen höheren Ertrag. Sie hatten das Gefühl, dass sie Trevor ausbooten mussten, um an Lake heranzukommen.

Spicer erzählte ihnen von seinem Gespräch mit dem Anwalt. Trevors geflüsterte Warnung verblüffte sie. Konyers ließ Trevor beschatten. Konyers wusste von der Bruderschaft. Hieß das, dass Lake ebenfalls Bescheid wusste? Wer war Konyers in Wirklichkeit? Warum hatte Trevor geflüstert, und warum hatte er seinen Aktenkoffer vor die Tür gestellt?

Mit einer Gründlichkeit, zu der nur drei gelangweilte Richter imstande waren, gingen sie diesen und zahllosen weiteren Fragen auf den Grund. Und dann entwarfen sie ihre Strategie. Trevor stand in seiner neuerdings sauberen, blitzenden Küche und kochte Kaffee, als Wes und Chap leise eintraten, um ihn zu verhören.

«Was war los?«fragte Wes. Die beiden runzelten die Stirn und machten einen ziemlich besorgten Eindruck.

«Was meinen Sie damit?«antwortete Trevor, als wäre alles in schönster Ordnung.

«Was war mit dem Mikro?«

«Ach, das. Der Wärter hat den Koffer mitgenommen und draußen abgestellt.«

Sie sahen sich stirnrunzelnd an. Trevor goss das Wasser in die Kaffeemaschine. Die Tatsache, dass es bereits fünf Uhr war und Trevor Kaffee kochte, entging den Agenten nicht.

«Warum hat er das getan?«

«Eine Routinesache. Ungefähr einmal im Monat behält der Wärter den Koffer während des Besuchs.«»Hat er ihn durchsucht?«

Trevor sah zu, wie der Kaffee durch den Filter lief. Absolut kein Grund zur Unruhe.»Er hat wie immer einen kurzen Blick hineingeworfen — wahrscheinlich hat er nicht mal richtig hingesehen. Dann hat er die Briefe an Spicer herausgenommen und den Koffer vor die Tür gestellt. Das Mikro hat er nicht bemerkt.«

«Sind ihm die dicken Briefumschläge aufgefallen?«

«Natürlich nicht. Nur keine Aufregung.«

«Und das Gespräch lief gut?«

«Es war alles wie immer, nur dass Spicer keine Briefe für mich hatte. Das ist in letzter Zeit ein bisschen ungewöhnlich, aber es kommt vor. Ich fahre in zwei Tagen wieder hin, und dann wird er mir ein Bündel Briefe übergeben, und der Wärter wird den Aktenkoffer nicht mal anrühren. Sie werden jedes Wort hören. Wollen Sie einen Kaffee?«

Die beiden entspannten sich.»Danke, aber wir gehen jetzt lieber«, sagte Chap. Sie hatten Berichte zu schreiben und Fragen zu beantworten. Als sie zur Tür gingen, hielt Trevor sie auf.

«Hören Sie«, sagte er sehr höflich,»ich bin durchaus imstande, mich selbst anzuziehen und zum Frühstück eine Schale Cornflakes zu essen, und zwar allein. Das kann ich schon seit vielen Jahren. Und ich will meine Kanzlei erst um neun Uhr öffnen, und da es meine Kanzlei ist, werde ich sie auch erst um neun öffnen und keine Minute früher. Wenn Sie um diese unchristliche Zeit hier sein wollen, sind Sie herzlich willkommen — aber erst um neun, nicht um acht Uhr neunundfünfzig. Halten Sie sich bis um neun fern von meinem Haus und meiner Kanzlei. Verstanden?«

«Klar«, sagte einer von ihnen, und dann waren sie verschwunden. Für sie spielte das keine Rolle. Die ganze Kanzlei, das Haus, der Wagen, ja selbst der Aktenkoffer — alles war verwanzt. Sie wussten sogar, wo Trevor seine Zahnpasta kaufte.

Trevor trank eine ganze Kanne Kaffee und wurde langsam wieder nüchtern. Dann begann er, seinen sorgfältig ausgearbeiteten Plan umzusetzen. Er hatte an nichts anderes gedacht, seit er Trumble verlassen hatte. Er nahm an, dass sie ihn beobachteten, zusammen mit den Jungs in dem weißen Lieferwagen. Sie hatten die Geräte, die Mikrofone und Wanzen, und Wes und Chap wussten bestimmt, wie man damit umging. Geld spielte keine Rolle. Er hielt es für das Beste, seiner Phantasie die Zügel schießen zu lassen und zu glauben, dass sie alles wussten, dass sie jedes Wort hörten, ihm überallhin folgten und stets genauestens darüber informiert waren, wo er sich gerade befand.

Je paranoider er war, desto besser standen seine Chancen, ihnen zu entkommen.

Er fuhr 25 Kilometer zu einem Einkaufszentrum bei Orange Park, einem südlichen Vorort von Jacksonville. Dort schlenderte er herum, betrachtete die Auslagen in den Schaufenstern und aß in einem fast leeren Restaurant eine Pizza. Es fiel ihm schwer, nicht in irgendeinem Laden hinter einen Kleiderständer zu springen und zu warten, bis seine Verfolger vorbeigingen, doch er widerstand der Versuchung. In einem Elektronikgeschäft kaufte er ein kleines Mobiltelefon. Die Grundgebühr für den ersten Monat war im Kaufpreis bereits enthalten.

Es war nach neun, als er nach Hause zurückkehrte. Er war sicher, dass sie ihm gefolgt waren. Zunächst stellte er den Fernseher auf volle Lautstärke und kochte noch eine Kanne Kaffee. Im Badezimmer stopfte er sich Geld in die Taschen.

Nach Mitternacht — das Haus war dunkel und still, und Trevor lag scheinbar in tiefem Schlaf — schlich er zur Hintertür hinaus. Die Luft war kühl, der Vollmond stand am Himmel, und Trevor gab sich

redlich Mühe, den Eindruck zu erwecken, als wolle er bloß einen kleinen Strandspaziergang machen. Er trug eine Cargo-Hose mit vielen Taschen, zwei Jeanshemden und eine weite Windjacke, in deren Futter er Geldbündel gestopft hatte. Während er ziellos am Wasser entlang Richtung Süden ging, hatte Trevor insgesamt 80000 Dollar bei sich — ein harmloser Tourist, der einen Mitternachtsspaziergang machte.

Nach anderthalb Kilometern beschleunigte er seine Schritte. Nach fünf Kilometern war er müde, behielt sein Tempo jedoch bei. Ausruhen konnte er sich später.

Er bog vom Strand ab und ging zu einem heruntergekommenen Motel. Auf der AI A war kein Verkehr; nur das Motel und eine etwas weiter entfernte Raststätte hatten geöffnet.

Die Tür quietschte laut genug, um den Nachtportier zu wecken. Irgendwo weiter hinten lief ein Fernseher. Ein dicklicher Junge von kaum zwanzig Jahren erschien und sagte:»Guten Abend. Brauchen Sie ein Zimmer?«

«Nein«, sagte Trevor und zog langsam ein dickes Bündel 100-Dollar-Scheine aus der Tasche. Er zählte zehn Scheine ab und legte sie nebeneinander auf den Tresen.»Ich brauche jemanden, der mir einen Gefallen tut.«

Der Nachtportier starrte auf das Geld und verdrehte die Augen. Hier am Strand trieben sich wirklich alle möglichen schrägen Vögel herum.»Unsere Zimmer sind nicht so teuer«, sagte er.

«Wie heißt du?«fragte Trevor.

«Ach, ich weiß nicht. Sagen wir mal: Sammy Sosa.«

«Okay, Sammy. Hier sind tausend Dollar. Die gehören dir, wenn du mich nach Daytona Beach fährst. Das dauert bloß anderthalb Stunden.«

«Drei Stunden. Ich muss ja auch wieder zurückfahren.«

«Na gut, also drei Stunden. Das macht mehr als dreihundert Dollar die Stunde. Wann hast du zuletzt dreihundert Dollar pro Stunde verdient?«

«Ist schon eine Weile her. Aber ich kann nicht. Ich hab die Nachtschicht und muss von zehn bis acht hier sein.«

«Wer ist dein Chef?«

«Der ist in Atlanta.«

«Und wann war er das letzte Mal hier?«

«Ich hab ihn noch nie gesehen.«

«Natürlich nicht. Wenn du der Besitzer von so einer Bruchbude wärst, würdest du dann vorbeikommen und nach dem Rechten sehen?«

«So schlimm sind die Zimmer nun auch wieder nicht. Wir haben Farbfernseher ohne Extragebühr, und die meisten Klimaanlagen funktionieren.«

«Es ist eine Bruchbude, Sammy. Du kannst abschließen, wegfahren, drei Stunden später wieder da sein, und keiner wird irgendwas merken.«

Sammys Blick ruhte auf dem Geld.»Sind Sie auf der Flucht vor den Bullen oder so?«»Nein. Und ich bin unbewaffnet. Ich hab's bloß eilig.«

«Warum?«

«Ich stecke gerade in einer üblen Scheidung, und ich hab ein bisschen Geld. Meine Frau will alles haben, und sie hat einen sehr gerissenen Anwalt. Ich muss einfach verschwinden.«

«Sie haben Geld, aber keinen Wagen?«

«Also, Sammy — willst du oder willst du nicht? Wenn du nein sagst, gehe ich zu der Raststätte da drüben und finde jemanden, der schlau genug ist, mein Geld zu nehmen.«

«Zweitausend.«

«Du machst es für zweitausend?«

«Ja.«

Der Wagen war klappriger, als er befürchtet hatte. Es war ein alter Honda, den weder Sammy noch die fünf Vorbesitzer jemals gewaschen hatten. Doch die AI A war frei, und die Fahrt nach Daytona Beach dauerte genau 98 Minuten,

Um 3 Uhr 20 hielt der Honda vor einem die ganze Nacht geöffneten Waffelgrill. Trevor stieg aus, dankte Sammy und sah ihm nach, als er davonfuhr. Drinnen trank er einen Kaffee, unterhielt sich mit der Kellnerin und bat sie um das Telefonbuch. Dann bestellte er Pfannkuchen und machte mit seinem neuen Handy ein paar Anrufe.

Der nächste Flughafen war Daytona Beach International. Kurz nach vier hielt Trevors Taxi vor dem Terminal für Privatflugzeuge. Dutzende kleiner Maschinen standen ordentlich aufgereiht auf der Rollbahn. Sicher konnte man eine von ihnen kurzfristig chartern. Trevor brauchte nur eine, vorzugsweise eine zweimotorige.

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