ZWEIUNDDREISSIG

Die Zeitung aus Jacksonville traf jeden Morgen gegen sieben Uhr in Trumble ein. Vier Exemplare wurden im Spielzimmer ausgelegt, wo die Häftlinge, die die Vorgänge in der Welt dort draußen noch verfolgen wollten, sie lesen konnten. Meist war Joe Roy Spicer einer der wenigen, die um sieben warteten, und normalerweise nahm er eine Zeitung mit, weil er sich im Lauf des Tages eingehend mit den Quoten aus Las Vegas befassen wollte. Es war immer derselbe Anblick: Einen großen Styroporbecher Kaffee in der Hand, die Füße auf dem Tisch, saß Spicer da und wartete auf Roderick, den Wärter, der die Zeitungen brachte.

Und darum war Spicer der Erste, der die Meldung las. Sie stand ganz unten auf der Titelseite: Der seit einiger Zeit verschwundene Trevor Carson, Anwalt aus Neptune Beach, war gestern Abend, kurz nach Einbruch der Dunkelheit, vor einem Hotel in Kingston auf Jamaika mit zwei Kugeln im Kopf tot aufgefunden worden. Spicer fiel auf, dass kein Foto von Trevor abgedruckt war. Aber warum hätte die Zeitung auch ein Foto von ihm haben sollen? Und warum war Trevors Tod ihr eine Meldung wert?

Laut der jamaikanischen Polizei war Carson ein Tourist. Offensichtlich war er ausgeraubt worden. Ein nicht namentlich genannter Gewährsmann hatte Mr. Carson, dessen Brieftasche gefehlt hatte, identifiziert. Der Gewährsmann schien eine Menge zu wissen. Der Absatz, in dem Trevors beruflicher Werdegang geschildert wurde, war recht kurz. Jan Soundso, seine ehemalige Sekretärin, wollte keinen Kommentar abgeben. Die Geschichte war schnell zusammengeschustert und nur deshalb auf der Titelseite gedruckt worden, weil das Opfer ein Rechtsanwalt aus der Gegend von Jacksonville war.

Yarber war gerade am anderen Ende der Aschenbahn und marschierte in einem strammen Tempo. Die Luft war feucht, und er hatte sein Hemd bereits ausgezogen. Spicer wartete auf ihn und reichte ihm wortlos die Zeitung.

Sie fanden Beech in der Cafeteria, wo er, das Plastiktablett in der Hand, in der Schlange an der Ausgabe stand und trübselig die Warmhaltepfanne mit Bergen von Rührei betrachtete. Sie setzten sich in eine Ecke, abseits von den anderen, stocherten in ihrem Essen herum und diskutierten die Angelegenheit in gedämpftem Ton.

«Wenn er auf der Flucht war, vor wem ist er dann geflohen?«

«Vielleicht war Lake hinter ihm her.«

«Er wusste ja nicht, dass es Lake war. Er hatte doch keine Ahnung.«

«Na gut, dann ist er eben vor Konyers geflohen. Als er zum letzten Mal hier war, hat er gesagt, Konyers sei ein ganz dicker Fisch. Er hat gesagt, Konyers wusste über uns Bescheid, und am nächsten Tag war er weg.«

«Vielleicht hatte er bloß Angst. Konyers hat ihn zur Rede gestellt und damit gedroht, seine Rolle in

unserem kleinen Spiel aufzudecken, und Trevor mit seinen schlechten Nerven hat beschlossen, alles Geld zusammenzuraffen, das er kriegen konnte, und abzuhauen.«

«Ich würde gern wissen, wessen Geld er zusammengerafft hat.«

«Niemand weiß von unserem Geld. Warum sollte es also verschwunden sein?«

«Trevor hat wahrscheinlich alle beklaut, die er beklauen konnte. So was passiert andauernd. Anwälte geraten in Schwierigkeiten und flippen aus. Sie räumen die Treuhandkonten ihrer Mandanten ab und tauchen unter.«

«Tatsächlich?«fragte Spicer.

Beech wusste von drei Fällen, und auch Yarber hatte mehrmals von so etwas gehört.

«Wer hat ihn dann umgebracht?«

«Gut möglich, dass er einfach im falschen Stadtviertel herumspaziert ist.«

«Beim Sheraton Hotel? Glaube ich nicht.«

«Okay, und wenn Konyers ihn hat umlegen lassen?«

«Das wäre möglich. Konyers hat Trevor irgendwie aufgespürt und rausgekriegt, dass er Rickys Kontaktmann war. Er hat Trevor in die Mangel genommen und ihm gedroht, ihn hinter Gitter zu bringen oder so, und Trevor ist in die Karibik abgehauen. Aber er wusste nicht, dass Konyers in Wirklichkeit Lake war.«

«Und Lake ist mit Sicherheit reich und mächtig genug, um einen Anwalt aufzuspüren, der zu viel trinkt.«

«Aber was ist mit uns? Lake weiß inzwischen, dass Ricky nicht Ricky ist, sondern Joe Roy, und dass er diese Sache mit ein paar Freunden, die ebenfalls im Knast sitzen, durchzieht.«

«Die Frage ist: Kann er uns was anhaben?«

«Wenn er's kann, bin ich wahrscheinlich der Erste, der es erfährt«, sagte Spicer mit einem nervösen Lachen.

«Und es besteht immer noch die Möglichkeit, dass Trevor sich in der falschen Gegend von Kingston herumgetrieben hat, wahrscheinlich betrunken. Vielleicht hat er versucht, eine Frau anzumachen, und sich dabei ein paar Kugeln eingefangen.«

Sie waren sich einig, dass Trevor der Typ für so etwas war.

Mochte er in Frieden ruhen. Allerdings nur, wenn er sich nicht an ihrem Geld vergriffen hatte. Sie trennten sich wieder. Yarber kehrte zur Aschenbahn zurück, um seine Runden zu drehen und dabei nachzudenken. Yarber machte sich daran, für zwanzig Cent pro Stunde einen Computer im Büro des Gefängnispfarrers zu reparieren. Spicer ging in die Bibliothek, wo Argrow an einem Tisch saß und in juristischen Fachbüchern blätterte.

Die juristische Abteilung der Bibliothek stand allen Häftlingen offen, doch eine ungeschriebene Regel besagte, dass man wenigstens einen der Richter fragen musste, bevor man die Bücher benutzte. Argrow war neu und kannte diese Regel offenbar noch nicht. Spicer beschloss, es durchgehen zu lassen.

Sie nickten sich zu, und Spicer begann, die Tische aufzuräumen und Bücher in die Regale zu sortieren.

«Es geht das Gerücht, dass ihr juristische Beratungen macht«, sagte Argrow vom anderen Ende des Raumes. Sie waren allein in der Bibliothek.

«Hier gibt's viele Gerüchte.«

«Ich will in Berufung gehen.«

«Und was war bei deiner Verhandlung?«

«Die Geschworenen haben mich in drei Fällen schuldig gesprochen: Bankbetrug, Bunkern von Geld im Ausland, auf den Bahamas. Der Richter hat mich zu fünf Jahren verknackt. Vier Monate hab ich abgesessen, aber ich weiß nicht, ob ich die restlichen sechsundfünfzig überstehe. Ich brauche ein bisschen Hilfe im Berufungsverfahren.«

«Vor welchem Gericht ist die Sache verhandelt worden?«

«Virgin Islands. Ich hab für eine große Bank in Miami gearbeitet. Jede Menge Drogengelder.«

Argrows Antworten kamen sehr schnell, und er schien etwas zu eifrig. Das irritierte Spicer, aber nur ein wenig. Die Erwähnung der Bahamas hatte ihn aufhorchen lassen.

«Irgendwie hab ich meine Leidenschaft für Geldwäsche entdeckt. Jeden Tag gingen Millionen durch meine Hände, und das war regelrecht berauschend. Ich konnte schmutziges Geld schneller waschen als jeder andere Banker in Süd-Florida. Kann ich immer noch. Aber leider hab ich mich mit den falschen Leuten eingelassen und ein paar falsche Entscheidungen getroffen.«

«Hast du dich schuldig bekannt?«

«Klar.«

«Damit gehörst du hier zu einer kleinen Minderheit.«

«Nein, ich hatte ja wirklich einen Fehler gemacht, aber die Strafe war zu hart. Jemand hat mir gesagt, dass ihr eine Strafmilderung rausholen könnt.«

Spicer vergaß die Unordnung auf den Tischen und in den Regalen. Er zog einen Stuhl heran und hatte plötzlich Zeit für eine Unterhaltung.»Wir können ja mal einen Blick in die Unterlagen werfen«, sagte er, als hätte er schon bei Tausenden von Berufungsverfahren geholfen.

Du Trottel, wollte Argrow sagen. Du bist in der zehnten Klasse von der Highschool abgegangen und hast mit neunzehn ein Auto geklaut. Dein Vater hat seine Beziehungen spielen lassen und dafür gesorgt, dass es nicht zur Anklage kam. Du bist mit gefälschten Briefwahlscheinen und den Stimmen von Toten zum Friedensrichter gewählt worden, und jetzt sitzt du in einem Bundesgefängnis und willst das große Ding abziehen.

Und, räumte Argrow ein, du hast die Macht, den nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten fertig zu machen.

«Was wird das kosten?«fragte er.

«Wie viel hast du?«erwiderte Spicer, ganz wie ein echter Anwalt.

«Nicht viel.«

«Ich denke, du weißt, wie man Geld auf Auslandskonten versteckt.«

«Ja, das weiß ich, das kannst du mir glauben. Ich hatte mal eine hübsche Summe beisammen, aber davon ist nichts mehr übrig.«

«Dann kannst du also nichts bezahlen?«

«Nicht viel. Vielleicht zweitausend.«

«Was ist mit deinem Anwalt?«

«Der hat mir dieses Urteil eingebracht. Und für einen neuen hab ich nicht genug Geld.«

Spicer dachte nach. Ihm wurde bewusst, dass Trevor ihm tatsächlich fehlte. Alles war viel einfacher gewesen, als sie ihn als Kontaktmann zur Außenwelt gehabt hatten, der das Geld weitergeleitet hatte.»Hast du deine Kontakte auf den Bahamas noch?«

«Ich habe Kontakte in der ganzen Karibik. Warum?«

«Weil du uns das Geld überweisen lassen musst. Bargeld ist hier verboten.«

«Du willst, dass ich euch zweitausend Dollar überweise?«

«Nein, ich will, dass du uns fünftausend Dollar überweist. Das ist unser Mindesthonorar.«

«Und wo ist eure Bank?«

«Auf den Bahamas.«

Argrow kniff die Augen zusammen. Er runzelte die Stirn und dachte ebenso gründlich nach wie Spicer. Ihre Gedankengänge kamen einander näher.

«Warum auf den Bahamas?«fragte Argrow.

«Aus demselben Grund, aus dem du das Geld auf die Bahamas geschafft hast.«

Beiden Männern ging allerhand durch den Kopf.»Eine Frage«, sagte Spicer.»Du hast gesagt, du könntest Geld schneller waschen als jeder andere.«

Argrow nickte und sagte:»Kein Problem.«

«Kannst du das noch immer?«

«Du meinst, von hier aus?«

«Ja. Von hier aus.«

Argrow lachte und zuckte die Schulter, als wäre das die leichteste Sache der Welt.»Klar. Ich hab ein paar Freunde.«

«Wir treffen uns in einer Stunde wieder hier. Vielleicht hab ich da was für dich.«

Eine Stunde später kehrte Argrow in die Bibliothek zurück. Die drei Richter saßen an einem Tisch, auf dem so viele Papiere und Gesetzbücher lagen, dass es aussah, als wäre der Oberste Gerichtshof von Florida zusammengetreten. Spicer stellte ihm Beech und Yarber vor. Argrow nahm ihnen gegenüber Platz. Außer ihnen war niemand in der Bibliothek.

Sie sprachen kurz über seine Berufungsverhandlung, wobei er bei den Details recht unbestimmt blieb. Seine Akte war von dem vorigen Gefängnis hierher unterwegs, und ohne sie konnten sie nichts unternehmen.

Das Thema der Berufungsverhandlung war, wie alle Beteiligten wussten, nur die Einleitung zu diesem Gespräch.

«Spicer hat uns erzählt, dass du ein Experte auf dem Gebiet der Geldwäsche bist«, sagte Beech.

«Bis sie mich geschnappt haben«, sagte Argrow bescheiden.»Ich schließe daraus, dass ihr schmutziges Geld habt.«

«Wir haben ein kleines Auslandskonto. Das Geld haben wir mit Rechtsberatungen und anderen Dingen verdient, die hier nichts weiter zur Sache tun. Wie du weißt, dürfen wir für Beratungen kein Honorar berechnen.«

«Tun wir aber trotzdem«, sagte Yarber.»Und wir kriegen es auch.«

«Wie viel ist auf dem Konto?«fragte Argrow, der den Kontostand vom Tag zuvor auf den Cent genau kannte.

«Dazu kommen wir später«, sagte Spicer.»Es kann gut sein, dass das Geld verschwunden ist.«

Argrow schwieg einen Augenblick und machte ein verwirrtes Gesicht.»Wie bitte?«sagte er.

«Wir hatten einen Anwalt«, sagte Beech langsam und betonte jedes Wort.»Er ist verschwunden und hat vielleicht unser ganzes Geld mitgenommen.«

«Ich verstehe. Und dieses Konto ist auf einer Bank auf den Bahamas?«

«Da war es jedenfalls. Wir wissen nicht, ob es noch dort ist.«

«Wir haben große Zweifel daran«, sagte Yarber.

«Aber wir möchten es gern genau wissen«, fügte Beech hinzu.

«Wie heißt die Bank?«fragte Argrow.

«Es ist die Geneva Trust Bank in Nassau«, antwortete Spicer und wechselte einen Blick mit seinen Kollegen.

Argrow nickte wissend, als wären ihm die kleinen schmutzigen Geheimnisse dieser Bank bestens bekannt.

«Du kennst diese Bank?«fragte Beech.

«Klar«, sagte er und ließ sie etwas zappeln.

«Und?«fragte Spicer.

Argrow platzte fast vor Selbstgefälligkeit und Insiderwissen. Er runzelte die Stirn, erhob sich und ging, tief in Gedanken versunken, in der kleinen Bibliothek auf und ab. Dann trat er wieder an den Tisch.»Also gut, reden wir nicht lange um den heißen Brei herum. Was soll ich für euch tun?«

Die drei sahen erst ihn und dann einander an. Es war offensichtlich, dass sie sich über zwei Dinge im Zweifel waren: wie weit sie diesem Mann, den sie gerade erst kennen gelernt hatte, trauen konnten und was genau sie eigentlich von ihm wollten.

Da das Geld wahrscheinlich ohnehin weg war, hatten sie jedoch nicht viel zu verlieren. Yarber sagte:»Wenn es darum geht, schmutziges Geld zu waschen, kennen wir uns nicht besonders gut aus. Das war ja schließlich auch nicht unser Beruf. Entschuldige also unseren Mangel an Wissen, aber gibt es eine Möglichkeit herauszufinden, ob das Geld noch da ist?«

«Wir wissen nicht genau, ob unser Anwalt es geklaut hat«, fügte Beech hinzu.

«Ihr wollt, dass ich den Stand eines geheimen Kontos herausfinde?«fragte Argrow.

«Ja, genau«, sagte Yarber.

«Wir könnten uns vorstellen, dass du noch ein paar

Freunde in der Branche hast«, sagte Spicer unschuldig,» und wir sind einfach neugierig, ob es möglich ist, den Kontostand herauszukriegen.«

«Ihr habt Glück«, sagte Argrow und machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen.

«Wie meinst du das?«fragte Yarber.

«Ihr habt euch die Bahamas ausgesucht.«

«Genau genommen hat sich unser Anwalt die Bahamas ausgesucht«, sagte Spicer.

«Jedenfalls nehmen es die Banken auf den Bahamas nicht so genau. Viele Geheimnisse werden ausgeplaudert, viele Angestellte lassen sich bestechen. Die meisten Profi-Geldwäscher machen einen Bogen um die Bahamas. Panama ist der heiße Tipp, und die Banken auf Grand Cayman sind natürlich auch immer noch sehr zuverlässig.«

Natürlich, natürlich. Die drei nickten. Auslandskonto war Auslandskonto? Ein weiteres Beispiel dafür, wie dumm sie gewesen waren, einem Trottel wie Trevor zu vertrauen.

Argrow sah ihre verwirrten Gesichter und dachte daran, wie ahnungslos sie waren. Für drei Männer, die es in der Hand hatten, die Präsidentschaftswahl entscheidend zu beeinflussen, erschienen sie ihm erstaunlich naiv.

«Du hast die Frage noch nicht beantwortet«, sagte Spicer.

«Auf den Bahamas ist alles möglich.«

«Dann kannst du es also tun?«

«Ich kann’s versuchen. Ohne Garantie.«

«Wir haben folgenden Vorschlag«, sagte Spicer.»Wenn du den Kontostand herauskriegen kannst, machen wir deinen Berufungsantrag umsonst.«

«Der Vorschlag ist nicht schlecht«, sagte Argrow.

«Das finden wir auch. Einverstanden?«

«Einverstanden.«

Für einen kurzen Augenblick sahen sie einander verlegen an. Sie waren stolz auf ihre Übereinkunft, wussten aber nicht genau, wie es jetzt weitergehen sollte. Schließlich sagte Argrow:»Ich brauche noch ein paar Informationen über das Konto.«

«Wie zum Beispiel?«fragte Beech.

«Wie zum Beispiel eine Nummer und einen Namen.«

«Der Inhaber ist Boomer Realty, Ltd. Die Nummer ist 144-DXN-9593.«

Argrow schrieb die Angaben auf einen Zettel.

Die drei sahen ihm interessiert zu.»Nur so aus Neugier«, sagte Spicer.»Wie willst du dich eigentlich mit deinen Freunden da draußen in Verbindung setzen?«

«Per Telefon«, sagte Argrow, ohne aufzusehen.

«Aber nicht mit diesen Telefonen«, sagte Beech.

«Die werden abgehört«, sagte Yarber.

«Die kannst du nicht benutzen«, sagte Spicer mit Nachdruck.

Argrow nickte lächelnd, sah über die Schulter und zog einen kleinen Apparat, nicht viel größer als ein Taschenmesser, aus der Hosentasche. Er hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger und sagte:

«Dies, meine Herren, ist ein Telefon.«

Sie starrten ihn ungläubig an und sahen zu, wie er den Apparat oben und unten und an einer Seite aufklappte. Auch als er betriebsbereit war, wirkte er nicht wie etwas, mit dem man tatsächlich telefonieren konnte.»Digital«, sagte Argrow.»Vollkommen abhörsicher.«

«Wer kriegt die Rechnung?«wollte Beech wissen.

«Ich habe einen Bruder in Boca Raton. Er hat mir das Ding und den Vertrag dazu geschenkt. «Er klappte den Apparat wieder zusammen und ließ ihn vor ihren Augen in der Tasche verschwinden. Dann zeigte er auf das kleine Besprechungszimmer hinter ihnen, auf das Richterzimmer.»Was ist da drin?«fragte er.

«Das ist ein Besprechungszimmer«, sagte Spicer.

«Es hat keine Fenster, oder?«

«Nein, nur das kleine in der Tür.«

«Gut. Dann gehe ich jetzt da rein und hänge mich ans Telefon. Ihr bleibt hier und passt auf. Wenn jemand kommt, klopft ihr an die Tür.«

Die Richter waren einverstanden, auch wenn sie nicht glaubten, dass Argrow es schaffen würde.

Der Anruf ging an den weißen Kleinbus, der drei Kilometer von Trumble entfernt an einem gelegentlich vom Landkreis instand gesetzten Feldweg geparkt war. Der Weg verlief an einer Wiese entlang, deren Besitzer sich noch nicht hatte blicken lassen. Die Grenze des Grundstücks, auf dem das Gefängnis stand, war einen halben Kilometer entfernt, doch von dort, wo der Kleinbus stand, war nichts von den Gebäuden zu sehen.

In dem Wagen waren nur zwei Techniker. Der eine schlief tief und fest auf dem Fahrersitz, der andere saß hinten, hatte Kopfhörer aufgesetzt und döste. Als Argrow die Ruftaste auf seinem kleinen Apparat drückte, ertönte im Bus ein Summen. Beide Männer fuhren hoch.

«Hallo«, sagte er.»Hier ist Argrow.«»Ja, Argrow — hier ist Chevy eins. Schieß los«, sagte der Techniker mit den Kopfhörern.

«Ich hab Kontakt mit den drei Vögeln aufgenommen und spule das Programm ab. Angeblich telefoniere ich gerade mit Freunden draußen, um festzustellen, wie viel Geld auf ihrem Auslandskonto liegt. Bis jetzt läuft es noch besser, als ich gehofft habe.«

«Scheint mir auch so.«

«Alles klar. Ich melde mich später wieder. «Argrow drückte die» Ende«-Taste, hielt sich aber weiterhin das Telefon ans Ohr und tat, als wäre er in ein Gespräch vertieft. Er setzte sich auf die Tischkante, ging dann auf und ab und warf gelegentlich einen Blick auf die Richter und die Bibliothek. Spicer konnte sich nicht beherrschen und sah verstohlen durch das kleine Fenster in der Tür.»Er telefoniert«, sagte er aufgeregt.

«Was hast du denn gedacht?«fragte Yarber, der gerade das Rundschreiben mit den neuesten Gerichtsentscheidungen studierte.

«Krieg dich wieder ein, Joe Roy«, sagte Beech.»Das Geld ist zusammen mit Trevor verschwunden.«

Es vergingen zwanzig Minuten, die so ereignislos waren wie immer. Während Argrow telefonierte, vertrieben sich die Richter die Zeit. Anfangs warteten sie einfach, doch dann wandten sie sich dringenderen Dingen zu. Sechs Tage waren vergangen, seit Buster mit ihrem Brief geflohen war. Sie hatten nichts von ihm gehört, und das bedeutete, dass alles gut gegangen war. Er hatte den Brief an Konyers in den Briefkasten geworfen und war inzwischen über alle Berge. Der Brief müsste nach etwa drei Tagen in Chevy Chase eingetroffen sein, und Mr. Aaron Lake überlegte jetzt wahrscheinlich verzweifelt, was er tun sollte.

Das Gefängnis hatte sie Geduld gelehrt. Es gab nur einen Termin, der ihnen Sorgen machte. Lake hatte die Nominierung in der Tasche, und das hieß, dass er vielleicht nur bis zur Wahl im November verwundbar war. Wenn er sie gewann, konnten sie ihn vier Jahre lang unter Druck setzen, doch wenn er verlor, würde er, wie alle Verlierer, bald vergessen sein.»Wer spricht heute noch von Dukakis?«hatte Beech gefragt.

Sie hatten nicht vor, bis November zu warten. Geduld war schön und gut, aber hier ging es um ihre Freilassung- Lake war ihre einzige Chance, freizukommen, und zwar mit so viel Geld, dass sie ein angenehmes Leben führen konnten.

Sie wollten eine Woche warten und dann den nächsten Brief an AI Konyers in Chevy Chase schicken. Wie sie ihn hinausschmuggeln sollten, wussten sie zwar noch nicht, aber ihnen würde schon etwas einfallen. Link, der Wärter am Empfang, den Trevor monatelang geschmiert hatte, war ihr erstes Ziel.

Argrows Telefon eröffnete eine neue Möglichkeit.»Wenn er uns das Ding benutzen lässt«, sagte Spicer,»können wir Lake anrufen. Oder sein Wahlkampf-Hauptquartier, sein Büro im Kongress — jede verdammte Nummer, die wir über die Auskunft kriegen können. Wir hinterlassen die Nachricht, dass Ricky aus der Drogenklinik sich unbedingt mit Mr. Lake treffen will. Das wird ihm eine Heidenangst machen.«

«Aber Argrow — oder jedenfalls sein Bruder — sieht auf der Rechnung, wer mit dem Apparat angerufen worden ist«, gab Yarber zu bedenken.

«Na und? Wir bezahlen ihm die Gebühren. Dann weiß er eben, dass wir Lake angerufen haben — und wenn schon. Im Augenblick versucht alle Welt, ihn anzurufen. Argrow hat keine Ahnung, warum wir mit Lake sprechen wollten.«

Es war eine hervorragende Idee. Sie durchdachten sie von allen Seiten. Ricky konnte von der Drogenklinik aus anrufen und Nachrichten hinterlassen — Spicer konnte dasselbe tun. Der arme Lake würde nicht mehr aus noch ein wissen.

Der arme Lake. Er bekam das Geld schneller, als er es zählen konnte.

Nach einer Stunde kam Argrow aus dem Besprechungszimmer und verkündete, er sei ein gutes Stück weitergekommen.»Ich muss jetzt eine Stunde warten und dann noch ein paar Anrufe machen«, sagte er.»Gehen wir doch erst mal Mittag essen.«

Sie waren begierig, ihr Gespräch fortzusetzen, und taten das bei Hamburgern und Salat.

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