15

In gewissem Sinne glich das Innere des Shaitaan dem Sternenschiff, das am Nordpol gelandet war: Das Bauwerk war gigantisch, aber offenbar vollkommen leer.

Die Halle, in die Daniel Charity gebracht hatte, war groß genug, um bequem die Liberty nebst einigen mittleren Wolkenkratzern aufnehmen zu können. In der Mitte erhob sich eine vielleicht fünf Meter hohe, runde Plattform, zu der eine Anzahl rostiger Stufen hinaufführten, und es gab eine geländerlose Galerie, die in halber Höhe an der Wand des riesigen Raumes entlangführte - aber das war auch schon alles. Ein gutes Dutzend schwerbewaffneter Ameisen bildeten einen lebenden Schutzwall rings um die Eisenplattform.

»Sind Sie enttäuscht?« fragte Daniel.

»Sollte ich das sein?«

Daniel zuckte mit den Schultern und gab einem der beiden Insektenkrieger in seiner Begleitung einen Wink. Er antwortete erst, als sich das Wesen entfernt hatte. »Vielleicht. Ich weiß nicht, was Sie erwartet haben.«

»Nichts«, antwortete Charity. »Wo sind Skudder und die anderen?«

»Sie werden geholt«, antwortete Daniel leicht verstimmt. Er schien wirklich enttäuscht zu sein, daß Charity sich so wenig von der ungeheuerlichen Größe des stählernen Domes beeindruckt zeigte. »K'tan ist bereits auf dem Weg, um sie herzubringen. Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich mein Wort halte.«

Er wartete einen Moment lang vergeblich auf irgendeine Reaktion Charitys, dann zuckte er mit den Schultern und deutete auf den runden Aufbau in der Mitte des Saales. »Sie werden gleich etwas Einzigartiges erleben, Charity«, sagte er. Er gab sich jetzt nicht einmal mehr Mühe, den Stolz in seiner Stimme zu verbergen. »Das dort ist der Weg nach New York.«

Charitys Blick folgte seiner Geste, und sie erkannte erst jetzt den schmalen, silbrigen Ring aus Metall, der über dem Sockel hing. Er war leer, nur ein schmaler, von Hunderten kleiner runder Öffnungen durchbrochener Kreis aus Metall, hinter dem sie die rückwärtige Wand des Saales erkennen konnte, aber die Luft in seinem Inneren schien ganz schwach zu flimmern.

»Ein Transmitter?«

Daniel nickte. Seine Augen leuchteten. »Ja. Es ist immer faszinierend, sie zu benutzen. Ich habe es schon oft getan, aber es ist jedes Mal so aufregend und erhaben wie beim allerersten Mal. Ein einziger Schritt, und Sie sind tausend Meilen entfernt. Oder eine Million Lichtjahre - ganz wie Sie wollen.«

»Ein kleiner Schritt für einen Mann, wie?« fragte Charity spöttisch. »Aber ein großer für die Menschheit.«

»Wenn Sie so wollen.«

»Vielleicht brechen Sie sich ja eines Tages den Hals dabei«, sagte Charity freundlich. »Das wäre dann ein wirklich großer Tag für die Menschheit.«

Daniel lachte. »Ich sehe schon, es wird ein langer Weg, bis ich Sie überzeugt habe.«

»Bestimmt«, versprach Charity. »Länger, als Sie auch nur ahnen, Stone.«

Daniel lächelte gequält. Er schien etwas sagen zu wollen, etwas, das wahrscheinlich nicht mehr besonders freundlich ausgefallen wäre, drehte sich dann aber mit einer abrupten Bewe- gung herum und ging auf einen der Insektenkrieger zu, die den Kordon um die Plattform bildeten. Charity sah, wie er ein paar Worte mit dem Moroni wechselte. Als er zurückkam, stand eine steile Falte zwischen seinen Augenbrauen.

»Ärger?« fragte sie hoffnungsvoll.

»Nein«, antwortete Daniel. »Es gibt nur eine kleine Verzögerung. Der Transmitter ist bereits auf einen anderen Empfänger eingestellt worden. Und es dauert ziemlich lange, ihn umzuprogrammieren.«

Charity sah erneut zu dem riesigen, schwebenden Ring auf. Der Anblick war bizarr und irgendwie zugleich absurd. Was sie da vor sich sah, war vielleicht eine der phantastischsten Erfindungen, die jemals gemacht worden waren, Produkt einer Technik, die der Erde um Jahrtausende voraus sein mußte. Den Moroni allerdings auch. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, hätte nichts von alledem, was sie bisher zu Gesicht bekommen hatte, nicht auf der Erde entwickelt und hergestellt werden können, das Sternenschiff eingeschlossen. Nein, dachte sie - irgend etwas stimmte an dieser ganzen Geschichte über Moron und seine galaxisumspannende Macht nicht, die Daniel ihr erzählt hatte.

»In gewissem Sinne ist es sogar Ihre Schuld, wissen Sie das?« fuhr Daniel fort. »Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie so rasch überwältigen zu können.«

»Das tut mir leid«, sagte Charity. »Hätte ich das geahnt, hätte ich mich natürlich heftiger zur Wehr gesetzt. Es wird nicht wieder vorkommen.«

»Bestimmt nicht«, sagte Daniel ärgerlich. »Aber vielleicht ist es sogar ganz gut so - Sie werden etwas sehen, was Sie bestimmt interessiert. Schauen Sie dorthin.«

Seine Hand wies auf einen Punkt hinter ihr, und als Charity sich herumdrehte, sah sie, daß sich in der Wand der Halle ein gewaltiges, dreieckiges Tor geöffnet hatte. Grelles Sonnenlicht fiel von draußen herein, so daß Charity die Gestalten, die in einer langen Reihe in die Halle traten, im ersten Moment nur als verschwommene dunkle Schatten wahrnehmen konnte. Dann sah sie ein flüchtiges Aufblitzen und hörte einen Laut, der sie erschrocken zusammenfahren ließ: das leise Weinen eines Kleinkindes.

»Das sind ...«

»Shai-Priesterinnen«, sagte Daniel, als sie nicht weitersprach. »Sie kommen, um die Auserwählten zu bringen. Und bitte, Charity, seien Sie leise. Es ist eine heilige Zeremonie. Stören Sie sie nicht.«

»Heilig?« Charity starrte ihn an. »Sie stehlen den Menschen ihre Kinder und nennen das eine heilige Handlung?«

»Für sie ist es das«, antwortete Daniel ernsthaft. »Glauben Sie mir - den meisten dieser Kinder steht ein besseres Leben bevor, als sie es auf diesem Planeten jemals hätten erwarten können. Und nun seien Sie bitte leise.«

Das Tor begann sich langsam zu schließen, und dann erkannte Charity fünfzig gold- und silberfarbene gewändertragende Gestalten, die sich der Transmitterplattform näherten. Jede von ihnen trug einen der goldfarbenen Metallstäbe bei sich, wie auch sie einen aus Angellicas Wohnung mitgenommen hatte - und jede trug ein winziges Bündel auf den Armen.

Der Zug der Priesterinnen bewegte sich sehr langsam. Er hatte noch nicht die Hälfte des Weges zur Plattform zurückgelegt, als sich die Tür hinter Daniel und Charity abermals öffnete und ein kleiner Trupp Insektenkrieger eintrat. Zwischen ihnen schritten Skudder, Net und Abn El Gurk.

»Ihre Freunde sind da«, sagte Daniel überflüssigerweise. »Sie sehen, ich halte mein Wort.«

»Ja, Sie sind wirklich vertrauenswürdig«, sagte Charity.

Daniel sagte nichts. Mit ernster Miene trat er zurück und gab den Moroni ein Zeichen, ihre Gefangenen loszulassen. Skudder und Net traten mit hastigen Schritten neben Charity, während Gurk einfach stehenblieb und Daniel mit einer Art gelangweilter Verachtung musterte, die Charity noch nicht zuvor an ihm bemerkt hatte.

Aber es gab offensichtlich eine ganze Menge, dachte sie, was sie bisher nicht über Gurk gewußt hatte. Bisher war der Gnom ihr wie ein grimmiger Clown vorgekommen. Aber er war sehr viel mehr. Vielleicht der Schlüssel zu dem allem hier.

Gurk schien ihren Blick irgendwie zu spüren, denn er hörte unvermittelt auf, Daniel anzustarren, und drehte sich mit einem Ruck zu ihr herum. Und für einen Moment sah sie etwas in seinen Augen, was sie schaudern ließ; ein unendliches, uraltes Wissen und eine Ruhe und Überlegenheit, wie sie nur in den Augen eines Wesens geschrieben stehen konnte, das Jahrtausende an sich hatte vorüberziehen sehen. Doch dann, als Gurk die Augen abwandte, stand Charity wieder einem grinsenden Zwerg gegenüber. Aber sie wußte, daß sie sich nicht getäuscht hatte. Gurk war mehr, als er zu sein vorgab.

»Was geht hier vor?« drang Skudders Stimme in ihre Gedanken.

»Bitte, seien Sie leise«, sagte Daniel.

Skudder schenkte ihm einen eisigen Blick, und Charity sagte hastig, aber mit gesenkter Stimme: »Tu, was er sagt. Es ist eine Shai-Zeremonie. Wir müssen warten, bis der Transmitter umgepolt ist.«

»Sie bringen ... die Kinder weg?« fragte Net. Sie deutete auf die Priesterinnen, die sich dem Podest weiter genähert hatten. »Damit? Ist das einer von diesen ... Sendern, von denen du gesprochen hast?«

Charity nickte wortlos.

»Also das war es, was sie mit Lydias Kind vorhatten«, sagte Net. »Ich kann sie beinahe verstehen.«

»Ich kann sie verstehen«, sagte Charity leise.

Net sah sie mit einer Mischung aus Verwirrung und Zorn an, antwortete aber nicht mehr, und auch Charity schwieg und konzentrierte sich ganz auf das, was in der Halle geschah.

Der Zug der Priesterinnen hatte sich der Plattform bis auf hundert Schritte genähert und war stehengeblieben. Nur eine der hochgewachsenen, golden gekleideten Gestalten ging weiter - die einzige, wie Charity erst jetzt erkannte -, die kein Kind auf den Armen trug. Mit langsamen, gemessenen Schritten näherte sie sich der Plattform, blieb am Fuße der Treppe stehen und verharrte ein paar Momente. Dann ging sie weiter, stieg die breiten Eisenstufen empor und näherte sich dem Transmitter. Langsam, mit bedächtigen Bewegungen hob sie den goldenen Stab und schob ihn in eines der zahllosen Löcher des silbernen Ringes. Ein hartes, metallisches Geräusch erklang.

Die Priesterin trat zurück, und im gleichen Moment hörte die Luft im Inneren des Metallringes auf zu flimmern. Dann erschienen Farben wie aus dem Nichts, zuckende Blitze und weiche, wolkenartige Formen, die so rasch wieder vergingen, wie sie entstanden - und plötzlich war der Ring nicht mehr länger leer, sondern von wabernder Schwärze erfüllt, ein Nichts, das kein Nichts war.

Net sog überrascht die Luft ein, und auch Skudder fuhr ein wenig zusammen.

Nur Gurk zeigte nicht die allerkleinste Reaktion.

»Was ... was ist das?« flüsterte Net.

Charity antwortete nicht, aber Daniel sagte leise: »Eine andere Welt, mein Kind. Eine von zahllosen Welten, die Ihnen offensteht, wenn Sie Vernunft annehmen.«

Und im gleichen Moment explodierte ein Teil der Wand, vor der sie standen.

Charity hörte ein schrilles, unglaublich hohes Pfeifen, und plötzlich zerriß eine weißblaue Stichflamme die Tür, durch die sie selbst vor Minuten hereingekommen war.

Die Druckwelle riß sie von den Füßen. Charity stürzte, riß instinktiv die Arme über den Kopf und rollte sich zu einem Ball zusammen, als glühende Trümmerstücke und Flammen auf sie herabregneten.

Die Wand, vor der sie gestanden hatte, war hinter einem Vorhang aus Flammen und greller Weißglut verschwunden. Und plötzlich taumelte ein brennender Insektenkrieger aus der Feuerwand, lodernd wie eine Fackel.

Und dann ...

Charity vergaß das Bild nie wieder in ihrem Leben.

Es war ein Mann, aber es war auch ein Dämon, ein schreiendes, taumelndes Etwas, das gegen jede Logik noch immer lebte und sich bewegte und grellweiße, tödliche Lichtblitze aus seinen Händen schleuderte. Ein Teil seiner Kleider und sein Haar brannten lichterloh, und wo seine Haut sein sollte, war nur noch rotes Fleisch, an dem zischende Flammen leckten.

Einer der Insektenkrieger schoß auf ihn. Charity sah ganz genau, wie der Strahl seine linke Schulter traf und durchbohrte, aber die Gestalt taumelte nicht einmal, sondern fuhr mit einer unvorstellbar schnellen Bewegung herum und tötete den Moroni mit einem Laserschuß.

Und dann verwandelte sich der Saal in eine Hölle aus zuckenden Lichtblitzen. Unter den Shai-Priesterinnen brach eine Panik aus. Daniel begann Befehle zu brüllen, und ein halbes Dutzend seiner Insektenkrieger riß gleichzeitig seine Waffen hoch und feuerte auf den Angreifer. Gleichzeitig lösten sich auch die Wachen vor der Transmitterplattform von ihrem Platz und stürmten heran.

Charity stemmte sich mühsam auf Hände und Knie hoch, kroch ein Stück zur Seite und stand vollends auf. Rechts und links von ihr zuckten Laserblitze durch die Luft, und einer der dünnen weißen Strahlen traf nicht einmal eine Handbreit neben ihr den Boden und ließ das Eisen kirschrot aufglühen, aber sie rührte sich nicht. Wie gelähmt stand sie da und starrte die brüllende Gestalt an, die aus der Flammenwand herausgetreten war. Ihre Kleider waren nicht vollkommen verbrannt - auf dem zerfetzten Rest der schwarzen Jacke konnte sie deutlich die Umrisse eines stilisierten, feuerroten ›M‹s erkennen.

Es war der Megamann.

Sie war sicher, ihn mit dem Gammastrahler getroffen zu haben, einer Waffe, deren Energieabgabe hoch genug war, einen Panzer zum Schmelzen zu bringen. Sie hatte gesehen, wie das Motorrad explodierte und das, was von seinem Körper übrig war, in Fetzen riß - aber er stand vor ihr, und er lebte!

Es ist unmöglich, dachte sie, vollkommen unmöglich und unvorstellbar, denn dieser einzelne, tödlich verwundete Mann stand mehr als einem Dutzend von Daniels Insektenkriegern gegenüber, aber er war es, der die Moroni vor sich hertrieb, nicht umgekehrt! Dutzende von Laserstrahlen zuckten in seine Richtung, und er wurde immer und immer wieder getroffen, aber er stürmte weiter und feuerte ununterbrochen zurück, und fast jeder seiner Schüsse traf.

Charity hätte fast zu spät begriffen, daß dieses unvorstellbare Wesen direkt auf sie zustürmte.

Skudder riß sie mit einem so heftigen Ruck herum, daß sie vor Schmerz aufschrie. Instinktiv wollte sie sich losreißen, aber Skudder schlug ihre Hand einfach zur Seite und zerrte sie mit sich, fort von dem tobenden, brennenden Ungeheuer. Blindlings stürmten sie los, bis Skudder plötzlich eine scharfe Wendung machte und die gleiche Richtung wie die fliehenden Priesterinnen einschlug.

»Nein!« brüllte Gurk. »Nicht dorthin! Folgt mir!«

Der Zwerg schlug einen Haken, um einem Laserschuß auszuweichen, den ein übereifriger Insektenkrieger auf ihn abgab - und rannte mit weit ausgreifenden Schritten direkt auf die Transmitterplattform zu!

Charity sah sich im Laufen um, während sie sich dem stählernen Rund näherten. Der Megamann war ein wenig zurückgefallen, und wie immer er das Kunststück fertigbrachte, die Hölle aus Energie und Hitze zu überstehen, mit der ihn die Ameisen überschütteten, es schien ihm zunehmend schwerer zu fallen, seine Bewegungen waren nicht mehr ganz so fließend und schnell wie noch vor Augenblicken. Aber das hieß nicht, daß er langsam war. Wahrscheinlich hätte er sie eingeholt, hätten sich nicht in diesem Moment gleich drei Moroni-Krieger auf ihn gestürzt.

Die Insekten schienen endgültig begriffen zu haben, daß ihre Waffen ihrem Gegner nichts anhaben konnten, denn sie versuchten nicht einmal mehr, auf ihn zu schießen, sondern griffen ihn mit ihren Krallen an.

Der Megamann tötete sie alle drei. Mit bloßen Händen.

Doch so schnell er auch war - der Kampf kostete Zeit, und es waren genau die wenigen Sekunden, die Charity und Skudder brauchten, um den Transmitter zu erreichen.

Skudder blieb stehen und ließ endlich ihren Arm los. Hilflos sah er sich um. Er schien erst jetzt wirklich zu begreifen, was er getan hatte. Sie befanden sich genau im Zentrum der riesigen Halle, und rings um sie herum war nichts mehr, wohin sie hätten fliehen können. Mit einer Mischung aus Verzweiflung und Zorn starrte er auf Gurk herab.

»Und jetzt, Zwerg?« fragte er schweratmend. »Hast du vielleicht noch ein kleines Wunder parat?«

»Du stehst davor«, antwortete Gurk. Er deutete auf den Transmitter. »Spring.«

»Dort hinein?!« Nets Stimme war schrill vor Entsetzen. »Das ist nicht dein Ernst!«

Aber es war Gurks Ernst. Und er verschwendete keine Sekunde mehr darauf, das zu sagen, sondern packte Net überraschend und mit unerwarteter Kraft am Arm - und zerrte sie mit sich in den Transmitter. Für den Bruchteil einer Sekunde schienen ihre Gestalten schwerelos im Nichts zu hängen, dann begannen sie zu verblassen, wurden transparent - und waren einfach verschwunden. Im Inneren des Transmitterkreises war wieder nichts mehr als brodelnde körperlose Schwärze.

Skudder riß entsetzt die Augen auf. »Was ... was ist das?« stammelte er. »Wohin führt dieses Ding?«

Charity sagte nichts. Sie drehte sich herum und sah ihrem Verfolger entgegen. Der Megamann hatte den Fuß der Treppe erreicht und stürmte heran. Sie hatten noch eine Sekunde, vielleicht zwei.

Eine dieser beiden Sekunden verschwendete sie damit, Skudder ein letztes, mühsam erzwungenes Lächeln zu schenken und nach seiner Hand zu greifen.

Dann traten sie nebeneinander in den Transmitter und hörten auf zu existieren.


Daniel richtete sich stöhnend auf. Er hatte Schmerzen. Sein Kopf dröhnte, und eine Welle von Übelkeit schien sich in ihm auszubreiten. Auf seinem Gesicht und seinen Händen klebte Blut.

Es fiel Daniel selbst jetzt noch schwer, zu glauben, was er sah. Großer Gott - und er hatte allen Ernstes bezweifelt, was man ihm über die Megakrieger erzählt hatte!

Kyle tobte wie ein Berserker. Er hatte mehr als die Hälfte der Krieger schon bei seinem ersten Angriff getötet, aber sein Wüten fand kein Ende. Fassungslos sah Daniel zu, wie Kyle einen Krieger nach dem anderen überwand, bis schließlich auch der letzte fiel und der Weg zum Transmitter frei war. Taumelnd bewegte sich Kyle auf den fünf Meter durchmessenden Silberring zu, blieb plötzlich stehen und brach ganz langsam in die Knie.

Vielleicht war das seine Chance. Selbst die Kräfte eines Megamannes waren irgendwann einmal erschöpft. Wenn er nur ein wenig Glück hatte und vorsichtig war, dann würde es ihm vielleicht gelingen, die Halle zu verlassen, ehe Kyle auf ihn aufmerksam wurde und ihn tötete.

Als hätte er seine Gedanken gelesen, hob Kyle in diesem Moment den Kopf und sah ihn an. Sein Gesicht war eine blutige Maske, in der nur noch die Augen zu leben schienen.

»Rufen Sie ... die Krieger zurück, Daniel«, flüsterte Kyle.

Daniel erstarrte. Er hatte viel zuviel Angst, und er war viel zu entsetzt, um wirklich zu begreifen, was Kyles Worte bedeuteten - aber er spürte, daß vielleicht alles ganz anders war, als er bisher geglaubt hatte.

»Was ... was sagst du?« fragte er.

»Der ... Anzug«, flüsterte Kyle. »Beschädigt. Sie ... haben mich ... nicht erkannt. Bitte, ich ... sterbe, wenn sie ... wiederkommen.«

Er weiß es nicht, dachte Daniel, beinahe hysterisch. Der Angriff hatte gar nicht ihm gegolten! Kyle hatte keine Ahnung von dem Befehl, den er erlassen hatte!

Mühsam stand er auf, biß die Zähne zusammen, um die stechenden Schmerzen in seinem Rücken zu unterdrücken, und ging auf die Transmitterplattform zu. Kyle krümmte sich wimmernd und wankte hin und her, aber er fiel nicht. Und er würde auch nicht fallen, das begriff Daniel plötzlich. Er war mit einem Male nicht einmal mehr sicher, ob es überhaupt möglich war, ihn zu töten. Bald, vielleicht schon in Minuten, würde der Körper dieses unfaßbaren Wesens anfangen, sich zu regenerieren. Und irgendwann, nicht sehr viel später, würde er anfangen, nachzudenken.

Daniel ging schneller, bückte sich nach der Waffe eines toten Kriegers und verbarg sie unter seiner Jacke. Er hatte Angst - aber er hatte keine Wahl.

Zwei Schritte hinter Kyle blieb er stehen und sah auf den stöhnenden Megamann herab. Seine Hand tastete nach der Waffe und zog sich wieder zurück. Seine Finger zitterten.

»Identifizieren Sie mich, Daniel«, stöhnte Kyle. »Bitte. Sie werden Captain Laird ...«

»Du hast sie entkommen lassen«, unterbrach ihn Daniel. Wieder griff er nach dem Laser, und diesmal schlossen sich seine Finger um den fremdartig geformten Kolben der Waffe. Er hatte nur einen einzigen Schuß, das wußte er.

»Ich werde sie stellen«, flüsterte Kyle. »Ich brauche nur ... ein wenig Zeit, um mich zu erholen.«

»Wir haben keine Zeit.« Daniel deutete auf den Transmitterring und zog blitzschnell die Waffe, als Kyles Blick der Bewegung folgte. »Wieso bist du ihr nicht gefolgt? Du warst nur noch ein paar Meter entfernt.«

»Das kann ich nicht«, flüsterte Kyle.

»Wieso?«

»Shai«, stöhnte Kyle. »Der Transmitter ist auf ... Shai eingestellt. Die Priesterinnen ...«

Daniel starrte den Transmitter an, dann wieder Kyle.

»Ich ... darf nicht dorthin«, stöhnte Kyle. »Es ist der einzige Ort, zu dem ich ... nie wieder zurückkehren darf. Kein Megakrieger darf das.«

»Ich befehle es dir!« sagte Daniel hart.

Aber Kyle schüttelte nur schwach den Kopf. Er versuchte aufzustehen, aber seine Kraft reichte nicht mehr. »Es ist verboten«, wiederholte er. »Es tut mir leid, aber ich kann ... Ihrem Befehl nicht folgen.«

»Verboten?« fragte Daniel lauernd. »Von wem?«

»Von den Herren«, antwortete Kyle.

»Und was geschieht, wenn du es trotzdem tust?« fragte Daniel. Hastig fügte er hinzu: »Du hast gesehen, wie gefährlich Captain Laird ist. Es ist wichtig, sie einzufangen.«

»Ich kann es nicht«, sagte Kyle. »Kein Megamann darf an den Ort seiner Geburt zurückkehren. Er würde eliminiert.«

»Eliminiert?«

Daniel steckte die Waffe wieder ein und streckte statt dessen die Hand aus, um Kyle auf die Füße zu helfen.

»Bist du sicher?« fragte er.

Kyle nickte, und Daniel ergriff seinen Arm und stieß ihn mit aller Kraft in das wabernde Schwarz im Inneren des Transmitters.

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