14


Generalmajor Krämer war ein kleiner, untersetzter Mann mit grauen Haaren. Er trug eine maßgeschneiderte Uniform, aber die Art, auf die er sich bewegte, ließ sie trotzdem so aussehen, als wäre er in den Anzug seines großen Bruders geschlüpft. Seine Stimme war leise und hätte angenehm geklungen, hätte er nicht die Angewohnheit gehabt, sich mit knappen, fast abgehackt wirkenden Sätzen auszudrücken.

Allerdings hatte Charity selbst fast die meiste Zeit geredet; die gleiche Geschichte, die sie seit ihrem Erwachen schon unzählige Male erzählt hatte und die Krämer garantiert bereits kannte, denn er hatte das Gespräch gleich mit der Bemerkung eröffnet, daß Leutnant Hartmann ihn bereits über Funk über das Wichtigste informiert hatte. Trotzdem hatte er aufmerksam zugehört, während sie ihm erzählte, was sie seit ihrem Erwachen in den Ruinen von SS01 erlebt hatte.

»... und jetzt sind wir hier«, schloß Charity. »Ich kann nicht unbedingt sagen, daß mich die Art Ihrer Einladung besonders erfreut hat.«

»Die äußeren Umstände waren unglücklich«, gestand Krämer. Er warf Hartmann, der hinter Charity stand, einen Blick zu. »Ist es wahr, was Captain Laird über Lehmann sagt?«

Hartmann antwortete mit einem knappen »Ja.«

»Dann verhaften Sie ihn«, sagte Krämer.

Hartmann wollte widersprechen. »Aber...«

»Er steht unter Arrest«, unterbrach ihn Krämer. »Sobald ich Zeit dazu finde, wird er sich vor mir persönlich verantworten müssen. Ich lasse keine Selbstjustiz in meiner Truppe zu.«

»Wahrscheinlich hat er einfach die Nerven verloren«, hörte sich Charity fast zu ihrer eigenen Überraschung sagen. »Es ging alles so furchtbar schnell und ... er war sehr nervös.«

Krämer zog überrascht die Augenbrauen zusammen. »Sie verteidigen ihn?« fragte er. »Das überrascht mich. Er hat einen Ihrer Freunde erschossen.«

Charity schüttelte den Kopf. »Kyle ist nicht tot«, sagte sie leise. Einige Sekunden lang blickte Krämer sie nachdenklich an, dann wedelte er mit der Hand, um Hartmann fortzuschicken, und stand mit einem Ruck auf. Charity unterdrückte ein Lächeln, als sie sah, daß Krämer dadurch kleiner wurde. Er war kaum größer als Gurk, offenbar hatte er auf einem sehr hohen Stuhl gesessen.

»Ich nehme an«, begann er, nachdem Hartmann sie alleingelassen hatte, »Sie und Ihre Freunde erwarten jetzt Hilfe von uns.«

Charity zögerte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf. »Eigentlich nicht«, sagte sie.

Krämer blickte sie mit einem Ausdruck leichter Überraschung, aber auch deutlicher Erleichterung an. »Nein?«

»Das alles hier ist ... sehr beeindruckend«, antwortete Charity zögernd. »Aber ich vermute, wenn Sie die Macht hätten, die Moroni zu schlagen, hätten Sie es bereits getan.«

»Das stimmt«, bestätigte Krämer. »Ich schätze, wir können ihnen einen Denkzettel verpassen, an den sie sich noch in hundert Jahren erinnern, aber wir können sie nicht besiegen.« Er seufzte hörbar. »Wir haben fünfzig Jahre hier überstanden, aber wissen Sie auch warum? Weil wir uns ganz ruhig verhalten haben.«

»Aber Hartmann sagte...«

Krämer unterbrach sie. »Hartmann denkt, was er denken soll, Captain Laird. Er denkt, wir hätten eine Chance. Er denkt, wir brauchten nur lange genug abzuwarten, bis irgendwann der Tag kommt, an dem wir es ihnen zeigen.«

»Aber der wird nicht kommen«, sagte Charity.

Krämer nickte. »Es ist nichts als ein Spiel, Captain Laird. Wir schießen ab und zu einen von ihren Gleitern ab, und sie erwischen ab und zu eine von unseren Außenstationen oder eine Patrouille.«

»Ein sonderbares Spiel«, sagte Charity düster.

»Aber es funktioniert«, widersprach Krämer. »Und solange wir uns an die Regeln halten, tun sie es auch. Wir sind hier unten sicher, solange wir ihnen keinen zu großen Schaden zufügen. Ich bin nicht sehr glücklich über das, was in Köln geschehen ist, glauben Sie mir. Und nicht nur wegen Ihrer Freunde. Sie hätten das Nest nicht zerstören dürfen. Aber ich kann die Piloten verstehen. Wenn überhaupt, dann war es mein Fehler.«

»Wieso?«

»Ich sagte doch bereits, es ist ein Spiel. Aber wenn diese Königin tot ist oder stirbt, dann werden sie es nicht mehr dabei belassen, ein paar von unseren Patrouillen aufzulauern. Sehen Sie - wir sitzen hier isoliert vom Rest der Welt. Wir wissen lediglich, was sich unmittelbar in unserer Nähe abspielt, ansonsten haben wir über die Welt nur wenig Informationen.«

»Aber Sie wußten, daß es diese zweite Königin gibt?«

Krämer nickte. »Das ja«, antwortete er. »Aber wir wußten nicht wo. Meine Männer haben die letzten zehn Jahre nach ihrem Nest gesucht.«

»Aber wozu?« wunderte sich Charity. »Wenn Sie ohnehin nicht vorhatten...«

»Irgendeine Aufgabe brauchen sie, oder?« unterbrach sie Krämer. »Sie sind Soldaten, Captain Laird, und Soldaten brauchen eine Aufgabe. Sie können einen Mann nicht irgendwo hinsetzen und im Ernst von ihm verlangen, daß er ein Jahr lang die Hände in den Schoß legt. Nicht, wenn Sie sich nach diesem Jahr noch auf ihn verlassen wollen.«

»Doch was geschieht jetzt mit uns?« fragte Charity unvermit telt. »Mit Skudder, Net und mir?«

»Geschehen?« Krämer klang ehrlich verwundert. »Nichts«, sagte er. »Ich sagte Ihnen bereits - die Männer waren ein wenig übereifrig. Wenn Sie wert darauf legen, entschuldige ich mich offiziell für ihr Verhalten. Sie und Ihre Begleiter sind unsere Gäste, solange Sie wollen. Sie können bleiben - oder gehen.«

»Aber wir haben keine Hilfe von Ihnen zu erwarten«, vermutete Charity.

»Das kommt darauf an, was Sie unter dem Wort Hilfe verstehen«, antwortete Krämer. »Ausrüstung, Waffen, Verpflegung haben wir genügend, aber mehr können wir Ihnen nicht anbieten.«

»Das heißt, Sie wollen weitere fünfzig Jahre hier sitzen und abwarten, was geschieht?«

»Wenn es sein muß, auch fünfhundert«, antwortete Krämer ungerührt. »Obwohl ich es dann nicht mehr sein werde, der hier sitzt.«

»Das stimmt«, erwiderte Charity bissig. »Wahrscheinlich wird es eine zwei Meter große Spinne sein. Oder ein intelligenter Riesenskorpion.« Sie machte eine ärgerliche Handbewegung, als Krämer auffahren wollte. »Ich verstehe Sie ja. Aber sehen Sie, ich war dort draußen. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, was sie mit diesem Planeten machen. Und ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß sie sich nicht damit zufriedengeben, ihn erobert zu haben. Sie verändern ihn. Sie haben bereits damit begonnen.«

»Ich weiß«, sagte Krämer leise. »Glauben Sie, ich wäre blind? Aber was soll ich tun? Ich habe ein Dutzend Hubschrauber und Panzer, und noch zwei oder drei andere Überraschungen, mit denen Ihr Freund Stone wahrscheinlich nicht rechnet. Aber das ist zu wenig, um einen ganzen Planeten zu befreien, meinen Sie nicht auch?«

»Es wäre auch zu wenig, wenn Sie hundertmal so viele Waffen hätten«, erwiderte Charity. »Sie haben uns schon einmal besiegt, und damals haben uns alle Armeen der Welt nichts genutzt.«

»Ich weiß«, sagte Krämer. »Ich war dabei.«

Charity sah ihn eine Sekunde lang überrascht an, dann fiel ihr wieder ein, was Hartmann erzählt hatte. Aber bevor sie eine entsprechende Frage stellen konnte, meldete sich das altmodische Telefon auf Krämers Schreibtisch. Der General nahm ab, lauschte einen Moment schweigend und hängte dann wortlos wieder ein.

»Ihr Freund ist wach geworden«, sagte er. »Ich glaube, er wünscht Sie zu sehen.«

Charity stand auf. »So wie ich Skudder kenne, ist er gerade dabei, Ihre halbe Basis kaputtzuschlagen«, vermutete sie.

In Krämers Augen erschien ein flüchtiges Lächeln. »Sagen wir, er versucht es«, sagte er. »Aber vielleicht ist es wirklich besser, wenn Sie hingehen und mit ihm reden.« Er machte eine Bewegung auf seinen Schreibtisch. »Ich habe hier noch einige Kleinigkeiten zu erledigen, wie Sie sich vielleicht denken können. Aber danach stehe ich Ihnen voll und ganz zur Verfügung. Bis dahin wird sich Leutnant Hartmann um Sie kümmern.«

Charity verließ in Hartmanns Begleitung die kleine Baracke. Krämers Hauptquartier war eines der kleinsten Gebäude der unterirdischen Stadt. Bei den meisten anderen handelte es sich um große, fensterlose Hallen, zwischen denen sich niedrige, aus Beton gegossene Kuppeln verbargen, einige von ihnen so klein, daß sie eigentlich nur der Einstieg zu anderen, tiefer gelegenen Ebenen der Bunkerfestung sein konnten.

Skudder und Net waren in einem dreistöckigen Gebäude nur wenige hundert Schritte entfernt untergebracht. Charity hörte die Stimme des Hopis schon, als sie in den Gang traten, an dessen Ende sich sein Zimmer befand. Das Gebäude diente offensichtlich als Krankenhaus, das im Moment aber so gut wie keine Patienten zu haben schien; fast alle Türen standen offen und gewährten Charity Einblick in kleine, aber freundlich eingerichtete Zimmer mit zwei, manchmal drei Betten.

Vor der Tür, durch die Skudders wütende Stimme drang, standen zwei Soldaten Wache. Als sie Hartmann erkannten, traten sie respektvoll einen Schritt zur Seite, und der Leutnant öffnete die Tür.

Skudder war ans Bett gefesselt. Er starrte sie ärgerlich an, und dann schlug der Ausdruck in seinem Blick in puren Zorn um, als er Hartmann erkannte, der vorsichtig hinter Charity das Krankenzimmer betrat. »Hartmann!« schnappte er. »Was soll das? Ist das Ihre Art, Verbündete zu behandeln?«

»Nein.« Hartmann drehte sich ärgerlich zu den beiden Soldaten draußen im Gang um und winkte sie herein. »Wer hat Befehl gegeben, diesen Mann zu fesseln?« fragte er zornig.

»Niemand, Herr Leutnant«, antwortete einer der beiden stockend. »Wir dachten nur ... nun, er ... er sah gefährlich aus, und wir...«

»Sie sollen nicht denken«, sagte Hartmann bissig. »Tun Sie einfach, was man Ihnen befielt. Und jetzt binden Sie ihn los!«

Der Soldat beeilte sich, seinen Befehl auszuführen, wobei er sich aber alle Mühe gab, Skudder nicht zu nahe zu kommen.

»Es tut mir leid«, sagte Hartmann, nachdem der Soldat zurückgetreten war. »Ich entschuldige mich für diese Idioten. Sie sind unser Gast, nicht unser Gefangener.«

Skudder rieb sich mit finsterem Gesichtsausdruck die Handgelenke, starrte abwechselnd ihn, die beiden Soldaten und Charity an und stand schließlich auf. »Wenn das so ist«, sagte er, »dann bringen Sie mich zu Ihrem Kommandanten. Ich habe ein paar Worte mit ihm zu reden.«

»Generalmajor Krämer wird in wenigen Minuten hier sein«, sagte Hartmann. »Ich habe Captain Laird bereits alles erklärt. Glauben Sie mir, was passiert ist, tut mir sehr leid.«

»Ja«, knurrte Skudder. »Man sieht es Ihnen direkt an.«

Bevor Hartmann eine ärgerliche Entgegnung machen konnte, trat Charity zwischen die beiden Männer und fragte: »Wo ist eigentlich Net?«

»Nebenan«, knurrte Skudder und wies zur Tür. »Sie duscht.«

»Duscht?« wiederholte Charity. Überrascht sah sie Hartmann an. »Sie haben eine Dusche hier und warmes Wasser?«

»Ja«, antwortete Hartmann spöttisch. »Sogar richtige Seife.«

Charity lachte überrascht auf. »Ich habe seit Monaten keinen Wasserhahn mehr gesehen, der funktioniert.«

Hartmann lächelte. »Ich verstehe Ihre Überraschung gut.«

Charity zögerte einen Moment, dann fragte sie: »Glauben Sie, daß noch Zeit genug ist, um auch...«

»Selbstverständlich«, unterbrach sie Hartmann, der zu spüren schien, daß ihr die Frage unangenehm war. »Und ehe Sie fragen - das Wasser ist nicht rationiert. Die Basis liegt unter einem unterirdischen Fluß.«

Mit einem sanften Lächeln wandte Charity sich zur Tür.


*


Nach Monaten, in denen sie nur selten aus ihrem Anzug herausgekommen war, tat das warme Wasser unendlich gut. Charity genoß die wechselnden heißen und eisigen Schauer, die über ihre Haut liefen. Sie blieb sehr lange in der Duschkabine, selbst als das Stück Seife, das sie vorgefunden hatte, schon längst aufgebraucht war. Dann klopfte jemand vorsichtig gegen die Milchglasscheibe.

Sie drehte das Wasser ab, fuhr sich mit den Händen durch das Gesicht und erkannte einen verzerrten Umriß auf der anderen Seite der Tür. »Ja?«

»Bist du fertig?«

»Nein«, antwortete Charity fröhlich. »Komm in einer Woche wieder.«

Skudder bewegte sich unruhig auf der anderen Seite der Milchglastür. »Dieser komische General«, sagte er, »wartet schon eine ganze Weile.«

»Dann kann er auch noch zehn Minuten länger warten«, erwiderte Charity. Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit und streckte den Arm hinaus. »Irgendwo dort draußen muß ein Handtuch liegen. Bis du so nett und bringst es mir?«

Skudder hantierte eine Zeitlang lautstark im Zimmer herum, dann drückte er ihr ein flauschiges Tuch in die Hand und verschwand blitzschnell wieder von der Tür. Charity trocknete sich sorgsam und übertrieben lange die Haare ab, dann wickelte sie sich in das Tuch und trat aus der Kabine heraus.

Einen Moment lang blickte Skudder sie durchdringend an, dann drehte er sich mit einem verlegenen Ruck um.

»Sei nicht albern«, sagte Charity. »Sieh lieber nach, ob du irgend etwas Sauberes zum Anziehen für mich findest.« Sie stieß mit dem Fuß nach ihrem Anzug, der unordentlich zusammengeknüllt auf dem Boden lag. »Das Zeug stinkt, als hätte eine ganze Ziegenherde darin überwintert.«

Während Skudder rasch und ohne Erfolg die beiden Schränke in der Wand neben der Tür durchsuchte und dann den Raum verließ, begann sie, die Taschen ihrer Uniform zu leeren und den breiten Instrumentengürtel zu entfernen. Nach wenigen Augenblicken schon kehrte der Hopi zurück, eine saubere Uniform über dem linken Arm und ihre beiden Gewehre unter den rechten geklemmt.

»Glaubst du, daß wir die brauchen?« fragte Charity ihn mit einer Geste auf die Waffen, während sie die Kleidungsstücke an sich nahm.

Skudder zuckte mit den Achseln und lehnte die Gewehre an die Wand neben die Tür. »Ich weiß nicht«, murmelte er. »Ich fühle mich einfach sicherer so.«

»Du scheinst dich sowieso nicht besonders wohl zu fühlen, wie?«

»Ich war noch nie gern eingesperrt«, antwortete er mit einer wegwerfenden Handbewegung.

»Krämer hat mir versichert, daß wir alles tun und lassen können, was wir wollen.«

Skudder warf Charity einen spöttischen Blick zu. »Diese ganze Anlage ist ein einziges riesiges Gefängnis. Ich komme mir vor wie lebendig begraben.«

Sie verstand sehr gut, was er meinte. Doch trotz der unglücklichen Umstände ihrer Ankunft war ihr Aufenthalt in dieser Station doch so etwas wie eine Heimkehr für sie. Für Skudder hingegen mußte es alles neu und erschreckend sein. »Ich glaube nicht, daß wir allzu lange hierbleiben«, sagte sie achselzuckend.

»Was ist mit Helen und dem Zwerg?« fragte Skudder plötzlich. »Glaubst du, daß sie noch leben?«

Charity überlegte einen Moment, ehe sie nickte. »Ja, ich glaube, daß wir sie recht bald wiedersehen.« Sie machte einen Schritt auf die Tür zu und blieb wieder stehen. »Du hast nicht nach Kyle gefragt.«

»Ihm passiert schon nichts. Er ist ja eine Art Übermensch.«

»Du magst ihn nicht besonders, wie?«

»Nein«, gestand Skudder. »Muß ich ihn mögen?«

»Natürlich nicht«, antwortete Charity. »Aber es wäre besser. Immerhin...«

»Weiß keiner von uns, was er wirklich vorhat«, unterbrach sie Skudder. »Daß er uns bisher geholfen hat, kann ein Trick sein.«

»Unsinn!« widersprach Charity.

»Vielleicht hat er noch nicht gefunden, wonach er sucht.«

Charity wollte erneut widersprechen, aber statt dessen blickte sie Skudder eine ganze Weile schweigend an und fragte schließlich: »Was hast du wirklich gegen ihn? Bist du eifersüchtig?«

»Habe ich Grund dazu?«

»Nein«, antwortete Charity. Dann drehte sie sich um und verließ das Zimmer.

Krämer, Hartmann und Net standen draußen auf dem Gang und unterhielten sich leise. Als Hartmann sie sah, maß er sie mit einem kurzen, eindeutig bewundernden Blick und nickte anerkennend. »Die Uniform steht Ihnen gut, Captain Laird«, sagte er.

»Ich melde mich trotzdem nicht freiwillig bei Ihnen«, antwortete Charity lächelnd. Sie machte eine Handbewegung zum Ausgang. »Gehen wir?«

»So eilig?«

»Wir haben eine Menge zu besprechen«, antwortete Charity. »Zum Beispiel, was wir wegen Kyle, Gurk und dem Mädchen unternehmen.«

»Im Moment, fürchte ich, können wir gar nichts tun«, antwortete Krämer. »Dort oben ist im Augenblick der Teufel los, wie Sie sich wahrscheinlich selbst denken können. Es wäre zu riskant, die Station jetzt zu verlassen.«

Charity schluckte die scharfe Entgegnung herunter, die ihr auf der Zunge lag. Von seinem Standpunkt aus hatte Krämer wahrscheinlich recht - die Ameisen würden den Tod der Königin nicht so ohne weiteres hinnehmen. Aber um so wichtiger war es, Helen, Kyle und den Zwerg zu finden - bevor Stones Truppen es taten.

»Und außerdem haben wir im Augenblick wirklich Wichtigeres zu tun«, fuhr Krämer fort.

»Zum Beispiel?« erkundigte sich Charity.

Krämers Gesicht verdüsterte sich. »Ich will Ihnen nichts vormachen«, sagte er. »Außerdem müßten Sie schon blind sein, um nicht selbst zu merken, daß wir ... Probleme haben.«

»Ich kann mir nicht vorstellen, daß es etwas gibt, womit Typen wie ihr nicht spielend fertig werdet«, warf Skudder spöttisch ein.

Charity warf ihm einen warnenden Blick zu, aber die Worte des Hopi schienen Krämer eher zu amüsieren als zu ärgern. »In gewissem Sinne sind sie nicht ganz unschuldig daran, mein Lieber.«

»Ich?«

Krämer schüttelte den Kopf. »Sie alle, oder besser gesagt, die Umstände Ihrer Ankunft hier.«

»Sie haben Angst, daß Ihr kleines Versteck auffliegen könnte, wenn die Ameisen zu intensiv nach uns suchen«, vermutete Skudder.

»Keineswegs«, erwiderte Krämer ruhig. »Sie suchen uns seit fünfzig Jahren, ohne uns zu finden. Und wenn wir keinen Fehler machen, werden sie noch weitere fünfzig Jahre nach uns suchen.« Er wandte sich um und begann, langsam auf die Treppe zuzugehen. Charity und die anderen folgten ihm.

Charity hatte erwartet, daß Krämer seine Worte präzisieren würde, aber er beließ es bei einigen Belanglosigkeiten, bis sie das Gebäude verließen und wieder in die Höhle hinaustraten. »Was waren das für Probleme, von denen Sie gerade gesprochen haben?« fragte Charity schließlich.

»Probleme ist vielleicht nicht das richtige Wort«, erwiderte Krämer ausweichend. »Sagen wir, ich habe über zwei, drei Dinge nachgedacht. Unter anderem darüber, weshalb die Ameisen sich solche Mühe machen, Sie umzubringen.«

»Wir haben ihnen ziemlichen Ärger bereitet«, sagte Skudder.

Krämer schüttelte nur den Kopf. »Das glaube ich Ihnen gern«, sagte er. »Aber Ihre Tapferkeit und den Schaden, den Sie ihnen zugefügt haben, in Ehren, Mister Skudder - ich glaube, wir haben ihnen in den letzten fünfzig Jahren eine Menge mehr Ärger bereitet. Und trotzdem werfen sie uns keine Atombombe auf den Kopf.«

»Vielleicht tun sie es ja noch«, sagte Skudder.

»Vielleicht«, antwortete Krämer ungerührt. »Aber das glaube ich eigentlich nicht.« Er machte eine weit ausholende Handbewegung. »Um diese Basis zu zerstören, müßte man schon sehr genau wissen, wo sie ist - oder eine Waffe einsetzen, die die Hälfte dieses Kontinents unbewohnbar macht. Und das werden sie nicht tun. Sie brauchen diese Welt. Sie werden nicht fünfzig Jahre Kolonisationsarbeit wegwerfen, nur weil ein paar Rebellen ein paar ihrer Flugzeuge abschießen.« Er blieb nun selbst stehen, sah Charity eine Sekunde lang durchdringend an und schüttelte schließlich den Kopf, ehe er weiterging. »Nein, es muß etwas anderes sein. Sie haben mir erzählt, wieviel Mühe Sie darauf verwendet haben, sich Zugang zum NATO-Bunker in Paris zu verschaffen. Dort unten muß irgend etwas gewesen sein, das unvorstellbar wichtig für sie ist.«

»Wahrscheinlich«, sagte Charity achselzuckend. »Aber ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich nicht weiß, was es ist.«

»Ich glaube Ihnen«, antwortete Krämer.

»Aber unsere Freunde von Moron offensichtlich nicht. Und vielleicht ist das sogar gut so.«

»Wieso?« wunderte sich Charity.

»Weil Sie uns so möglicherweise einen entscheidenden Hinweis gegeben haben«, antwortete Krämer. Charity sah ihn verwirrt an, und er fügte hinzu: »Es kann sein, daß wir das, von dem sie anzunehmen scheinen, daß wir es wissen, doch noch finden.«

»Sie machen Scherze«, sagte Charity alarmiert. »Der Bunker wurde völlig vernichtet.«

Krämer nickte. »Dieser eine Bunker. Aber sehen Sie, es gab drei gleichartige Anlagen in ganz Europa. Eine befand sich in London. Soviel wir wissen, wurde sie bereits in den ersten Tagen der Invasion zerstört. Die zweite haben Sie selbst in die Luft gejagt. Und die dritte...«

»Ist hier?« vermutete Charity ungläubig.

Krämer nickte. »Richtig, Captain Laird. Was immer in den Computern der NATO-Basis in Paris gespeichert war - wir wissen es auch.«

Charity blieb stehen und starrte den kleinwüchsigen Generalmajor verblüfft an. »Ist Ihnen klar, was Sie da sagen?«

»Natürlich«, sagte er. »Was immer die Invasoren in Paris gesucht haben - wir haben es auch.«

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