17


Die Stille fiel ihm auf. Er war noch nie zuvor hiergewesen, aber es war nicht das erste Nest, das er sah. Er hatte die Berichte über das, was in den vergangenen achtundvierzig Stunden passiert war, aufmerksam studiert. Der Platz und das Gebäude hätten vor Jared und Dienern nur so wimmeln müssen. Er hatte das Pfeifen und Klicken Tausender Insektenstimmen und das Starten und Landen von Gleitern erwartet und die aggressive Nervosität eines Nestes, dessen Königin im Sterben lag.

Statt dessen schlug ihm eine unheimliche Ruhe entgegen.

Der riesige Platz vor der Kathedrale bot einen Anblick der Verwüstung. In zahllosen Explosionskratern lagen tote Jared und die Kadaver von Ameisenkriegern. Auch die Kathedrale selbst war in Mitleidenschaft gezogen. Ein großer Teil des Daches war eingestürzt. Aber so schrecklich dieser Anblick war, die Stille, die über allem lastete, war schlimmer. Nirgendwo war auch nur eine Spur von Leben zu entdecken. Nicht einmal Aasfresser waren gekommen, um über die Leichen herzufallen.

Stone sah Luzifer alarmiert an. Auch der Moroni wirkte angespannt, fast nervös. Stones Blick tastete über die reglosen Gestalten der Jared und über das ausgeglühte Schiffswrack. Für einen Moment spürte selbst er Angst. Sie war so intensiv, daß er beinahe zum Schiff zurückgerannt wäre. Gleichzeitig fühlte er, daß er vor der Gefahr, die er spürte, nicht weglaufen konnte.

Mit klopfendem Herzen ging Stone weiter und zögerte noch einmal, ehe er mit kleinen, mühsamen Schritten die Treppe zum Portal hinaufging.

Drinnen angekommen, blieb er einen Moment mit geschlossenen Augen stehen, um sich an das Dämmerlicht zu gewöhnen. Als er die Lider wieder hob, bot sich ihm ein Anblick völliger Zerstörung. Was noch vor wenigen Tagen ein intaktes Nest gewesen war, der Ursprung eines neuen Volkes, war zerrissen und ausgebrannt. Hunderte von aufgeplatzten Eiern lagen auf dem Boden, dazwischen Dutzende von Jared und reglosen Ameisen.

Aber die Königin lebte.

Stone hielt erschrocken den Atem an, als er die schweren Verletzungen sah, die sie davongetragen hatte. Doch in ihren riesigen, schimmernden Facettenaugen glühte noch immer jenes unheimliche Feuer, das Stone jedes Mal aufs neue erschauern ließ, wenn er einer dieser gigantischen Kreaturen gegenüberstand. Und im gleichen Moment, als hätte sie seine Schritte gehört, hob sie den Kopf und starrte ihn an.

Die Bewegung brach den Bann, der für einen Moment von Stone Besitz ergriffen hatte. Er ging weiter und gewahrte erst jetzt die beiden riesigen, weiß schimmernden Ameisengestalten, die neben dem verstümmelten Leib der Königin standen. Der Anblick überraschte ihn. Ärgerlich wandte er sich zu Luzifer um. »Wieso hast du mir nicht gesagt, daß die Inspektoren hier sind?«

»Ich wußte es nicht«, antwortete Luzifer.

Stone blickte ihn einen Herzschlag lang fast haßerfüllt an und schüttelte zornig den Kopf, als Luzifer ihm folgen wollte. Der Moroni zog sich lautlos zurück, während Stone weiterging. Innerlich fast einer Hysterie nahe, trat der Governor den beiden Inspektoren entgegen und deutete ein Kopfnicken an. Eines der beiden Wesen reagierte gar nicht, aber das andere fuhr herum, musterte ihn eine Sekunde lang mit seinen kalten Kristallaugen. »Wer hat Ihnen erlaubt, hierher zu kommen?«

»Niemand«, antwortete Stone ruhig. »Aber es hat auch niemand gesagt, daß ich es nicht darf. Darüber hinaus glaube ich nicht, daß ich Befehle von Ihnen entgegenzunehmen habe.«

Der Inspektor deutete auf Luzifer: »Ihr Stellvertreter wurde darüber unterrichtet, daß wir mit der Möglichkeit eines verfrühten Sprunges rechnen müssen. In diesem Falle sind all Ihre Befugnisse außer Kraft gesetzt, Gouvernor Stone.«

»Wer sagt das?« erkundigte sich Stone in fast beiläufigem Ton.

»Vorgänge, die das Schicksal des Volkes angehen«, antwortete der Inspektor, »unterliegen nicht der Entscheidungsgewalt des jeweiligen Planetengovernors. Das sollten Sie wissen.«

Stone zuckte mit den Achseln und ging gelassen an dem Inspektor vorbei. »Vielleicht habe ich es vergessen.«

Drei Schritte vor der Königin blieb er stehen und betrachtete das riesige Geschöpf mit einer Mischung aus Ekel und Faszination. Er verstand wenig von Medizin - aber nach allem, was er sah, hätte die Königin gar nicht mehr leben dürfen.

»Was ist hier passiert?« fragte er.

»Wir wissen es nicht«, erklärte der Inspektor. »Alles deutete auf einen bevorstehenden Sprung hin. Aber das ist eigentlich unmöglich. Es ist viel zu früh. Das Feld kann sich noch nicht so weit aufgebaut haben. Die Bevölkerungspopulation beträgt noch nicht einmal ein Zwanzigstel des erforderlichen Limits.«

Hinter Stone erklang plötzlich ein meckerndes Lachen. »Sieht so aus, als hättet zur Abwechslung mal Ihr eine Menge Ärger am Hals, wie?«

Stone erkannte die Stimme, noch bevor er sich herumdrehte und auf den glatzköpfigen Zwerg mit dem Greisengesicht herabblickte, der hinter ihm aufgetaucht war.

»Du?« fragte er überrascht.

Gurk zog eine Grimasse und begann auf den Zehenspitzen zu wippen. »Ich dachte, du freust dich, mich wiederzusehen.«

»Wo sind die anderen?«

»Nicht hier«, antwortete Gurk trotzig. »Und ehe du fragst - ich weiß auch nicht, wo sie sind.«

»Du würdest es mir sagen, wenn du es wüßtest«, sagte Stone spöttisch.

»Selbstverständlich«, erwiderte Gurk. »Davon abgesehen - ich glaube nicht, daß Charity und ihre Leute im Augenblick deine größte Sorge sind.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Königin, die begonnen hatte, leise, schmerzerfüllte Töne auszustoßen. »Ein hübscher Anblick, nicht wahr? Schau ihn dir nur gut an. Vielleicht ist es das letzte Mal, daß du so etwas zu sehen bekommst. Jedenfalls auf diesem Planeten. Aber keine Sorge«, fügte er gehässig hinzu, »ich bin sicher, daß deine Herren einen anderen Job für dich finden. Die Galaxis wimmelt von Planeten, die darauf warten, unterdrückt und ausgebeutet zu werden.«

Stone fuhr mit einer ärgerlichen Bewegung herum und wandte sich an den Inspektor.

»Wo sind die anderen?« Er machte eine herrische, weit ausholende Handbewegung. »Wo sind sie alle? Wieso ist hier niemand? Sie können unmöglich alle bei dem Angriff ums Leben gekommen sein!«

»Ich sagte bereits, Governor Stone«, antwortete der Inspektor, »daß Ereignisse, die das Schicksal des Volkes betreffen, nicht in...«

»Das hier geht mich sehr wohl etwas an!« unterbrach ihn Stone aufgebracht. »Verdammt, glaubt ihr, ich sehe tatenlos zu, wie hier alles in die Brüche geht? Wo sind sie? Wo sind die Jared? Die Krieger? Die Schiffe?«

»Fort«, erwiderte der Inspektor stur.

Gurk kicherte böse. »Er hat recht. Sie sind alle weg. Vor einer Stunde. Einfach...« Er schnippte mit den Fingern. »... so.«

Stone blickte abwechselnd den Zwerg und die beiden Inspektoren feindselig an. »Ihr verschweigt mir irgend etwas.«

Die beiden Moroni antworteten nicht, aber Gurk ließ abermals dieses böse, schadenfrohe Kichern hören. »Das kannst du laut sagen. Willst du wissen, was?«

Stone fuhr blitzschnell herum, packte den Zwerg am Kragen und schüttelte ihn. Der Gnom begann zu strampeln, hörte aber trotzdem nicht auf, wie irr zu lachen. Schließlich stellte Stone ihn grob wieder auf die Füße zurück und machte eine auffordernde Handbewegung.

Ein paar Augenblicke lang gefiel sich Gurk noch darin, mit vor der Brust verschränkten Armen dazustehen und den Beleidigten zu spielen, dann seufzte er tief, drehte sich um und schlurfte gemächlich auf die Königin zu. Nach kurzem Zögern folgte ihm Stone. Obwohl er nicht hinsah, konnte er fühlen, wie die Blicke der Königin ihm folgten. Er begann sich immer unwohler zu fühlen.

Gurk blieb stehen, wedelte auffordernd mit der Hand und deutete auf einen unförmigen Umriß herab, den Stone auf den ersten Blick für ein weiteres, zerstörtes Ei gehalten hatte. Dann sah er, daß er dafür zu groß war. Und als er einen weiteren Schritt machte und sich vorbeugte, erkannte er, was es wirklich war.

»O mein Gott!« stöhnte er, und Gurk ließ ein wahnsinniges Lachen ertönen.

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