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Hartmann drückte seine Zigarette in den Aschenbecher und hustete, während er Breuer dabei zusah, wie er den ausgebrannten Monitor aus der Höhlung in der Wand wuchtete und dabei eine Reihe kleiner zischender Kurzschlüsse verursachte, weil er vergessen hatte, einige Drähte abzuklemmen.

Hartmann seufzte wortlos. Er fragte sich, wen Breuer in seinem früheren Leben bestochen oder erpreßt hatte, um diesen Job zu bekommen. Er war zwar ein Genie an seinen Computern, aber ihn einen Stecker in die Steckdose schieben zu lassen, grenzte schon an Selbstmord.

Er schüttelte wortlos und sehr mißbilligend den Kopf, zündete sich eine neue Zigarette an und blies eine graue Rauchwolke in Sterns Gesicht, der demonstrativ hustete und mit den Händen in der Luft herumzufuchteln begann.

»Irgend etwas Neues?«

Stern schüttelte den Kopf und tat so, als blicke er konzentriert auf seine Monitore. »Nein. Sie sind immer noch da. Und es kommen immer neue. Bis jetzt sind es...« Sein Blick wanderte über drei, vier der kleinen Bildschirme und streifte mißbilligend das glühende Ende der Zigarette in Hartmanns Mundwinkel. »Fünfundzwanzig.«

»Bombardieren sie noch?«

»Nein. Aber sie kreisen über dem Gebiet, das sie beschossen haben. Das gefällt mir nicht.«

Hartmann warf einen flüchtigen Blick zu Breuer hinüber, der gerade versuchte, einen Kabelschuh zu lösen. Hartmann hoffte inständig, daß es ihm gelang. Ersatzteile wurden allmählich knapp. »Glauben Sie, daß sie landen?«

Diesmal schüttelte Stern sofort und sehr entschieden den Kopf. »Unmöglich!« sagte er. »Ich weiß nicht, was für ein Teufelszeug sie da geworfen haben, aber es sind verdammt dreckige Bomben.«

Hartmann legte den Kopf schräg und sah ihn fragend an.

»Kurze Halbwertzeiten«, erklärte Stern. »Vielleicht drei oder vier Tage; maximal. Aber im Moment ist es dort verflucht heiß.«

Hartmann sog so heftig an seiner Zigarette, daß ihr Ende weiß aufglühte und Stern ihm einen weiteren, mißbilligenden Blick zuwarf. Danach fragte er: »Haben Sie schon irgend etwas von diesen beiden Flaschen gehört?«

»Lehmann und Felss?« Stern schüttelte den Kopf. »Nein. Aber sie sind auch erst vor ein paar Minuten los. Ich...«

Er brach mitten im Satz ab, und für einen Moment erschien ein erschrockener Ausdruck auf seinem Gesicht. »Da stimmt irgend etwas nicht«, murmelte er.

»Was stimmt nicht?« fragte Hartmann. Aber Stern antwortete nicht.

Plötzlich glitten seine Finger in rasendem Tempo über die Tasten auf dem Pult vor sich, und ein halbes Dutzend der kleinen Bildschirme begann wie wild zu flackern. Eine Alarmsirene begann zu wimmern und verstummte mit einem Mißton, als Stern mit der Hand auf einen Schalter schlug.

Hartmann sah ihm einen Moment mit einer Mischung aus Interesse und Ärger zu, dann drehte er sich demonstrativ herum und betrachtete weiter Breuers tapfere Versuche, den zerstörten Monitor auszutauschen, ohne dabei sein Leben einzubüßen. Nachdenklich sog er an seiner Zigarette, hustete wieder und drückte sie mit einer ärgerlichen Bewegung in den Aschenbecher.

»Leutnant Hartmann?«

Irgend etwas am Klang von Sterns Stimme gefiel Hartmann nicht. Er drehte sich herum und sah den Techniker fragend an. »Was gibt's?« rief er.

Stern schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Er deutete auf das Instrumentenpult vor sich. »Sie sollten sich das selbst ansehen, Herr Leutnant«, sagte er.

Hartmann warf ihm einen unwilligen Blick zu und trat um das Pult herum, aber anders als sonst reagierte Stern nicht darauf, sondern wiederholte nur seine auffordernde Geste. Seine Augen waren dunkel vor Furcht, und auf seiner Stirn erschien plötzlich ein Netz feiner, glitzernder Schweißtropfen, obwohl es in der kleinen Überwachungszentrale eher zu kalt als zu warm war.

»Ich fürchte«, sagte er leise, »wir bekommen Ärger.«


*


Die Treppe führte in engen Windungen in die Tiefe, wie ein Schneckenhaus aus Beton, und Charity hatte schon nach wenigen Dutzend Stufen aufgehört, sie zu zählen. Es gab Licht hier unten; ein rotes, blasses Licht, das alle Bewegungen ruckhaft und abgehackt erscheinen ließ und das aus einer Anzahl winziger, von rostigen Drahtkörben geschützter Lampen unter der Decke stammte.

Sie hatten eine kleine, völlig zerstörte Schleusenkammer durchquert, in der irgend etwas explodiert sein mußte. Die Wände waren geschwärzt, und alles, was nicht aus Beton gewesen war, war bis zur Unkenntlichkeit verschmort oder verkohlt gewesen. Aber ihr war trotzdem aufgefallen, daß die Tür am Ende dieser kleinen Schleusenkammer ungewöhnlich dick und massiv gewesen war: eine Platte aus fast zollstarkem Spezial-Stahl, die selbst einem Schuß aus ihren Lasern standgehalten hätte. Und doch hatte irgend etwas die Tür aus den Angeln gerissen. Die tiefen, schimmernden Kratzer in dem gehärteten Stahl erinnerten Charity auf unangenehme Weise an die Spuren gewaltiger Krallen oder Zähne. Und wem immer diese Krallen oder Zähne auch gehörten - keiner von ihnen verspürte große Lust, diesem Wesen zu begegnen.

Aber so wie es aussah, lebte hier unten nichts und niemand mehr. Auf dem gesprungenen Beton der Stufen lag eine fast fünf Zentimeter dicke Staubschicht, die unter ihren Schritten aufwirbelte. Charity schätzte, daß sie sich mittlerweile fünfzig Meter tief in die Erde hinab bewegt hatten. Manchmal tasteten sie sich durch Bereiche vollkommener Finsternis, denn nicht alle Lampen waren noch intakt. Und einmal hatten sie über etwas hinwegklettern müssen, das bis zur Unkenntlichkeit verschrumpelt und mumifiziert gewesen war. Kein Mensch, aber auch kein Lebewesen, wie es ihnen bekannt war.

Nach weiteren fünfzig Metern erreichten sie endlich das Ende der Treppe. Auch hier war eine Tür zertrümmert worden. Charity blieb unwillkürlich stehen, aber Kyle deutete mit einer knappen Handbewegung auf die Staubschicht auf dem Boden und schüttelte beruhigend den Kopf. Der graue Staubteppich war unberührt.

Das rote Licht begleitete sie auch auf die andere Seite der Tür. Sie betraten einen breiten, halbrunden Stollen, dessen Wände aus nacktem Beton bestanden. Unter der Decke liefen dicke, isolierte Rohre und straff gespannte Kabel entlang, und in einiger Entfernung konnte Charity eine halbrunde Metalltür erkennen, die ebenfalls mit brutaler Gewalt aus den Angeln gerissen worden war.

»Was ist das hier?« flüsterte Skudder. Seine Stimme hallte als unheimlich verzerrtes, dunkles Echo aus dem leeren Gang zurück, und Charity machte instinktiv eine Handbewegung, leiser zu sprechen.

»Keine Ahnung«, antwortete sie. »Aber zur U-Bahn gehört dieser Gang bestimmt nicht mehr.«

Sie nahm ihre Waffe von der Schulter und entsicherte sie. Ihre Schritte wirbelten den Staub auf und erzeugten unheimliche Echos an den unsichtbaren Wänden vor ihnen. Und wieder gaukelten Charitys überreizte Nerven ihr Bewegungen vor, die nicht da waren. Sie versuchte vergeblich, sich einzureden, daß Kyle sie frühzeitig vor jeder Gefahr warnen würde. Sie wußte, wie ungeheuer scharf die Sinne des Megamannes waren. Aber je weiter sie in diese unheimliche, unterirdische Welt vordrangen, desto intensiver wurde das Gefühl in Charity, aus unsichtbaren, gierigen Augen angestarrt, belauert zu werden. Und ein Blick in die Gesichter Nets und Skudders bewies ihr, daß sie mit diesem Gefühl nicht allein war.

Nach einer Weile erreichten sie eine Gabelung. Charity wollte sich nach links wenden. Kyle hob die Hand, lauschte einen Moment mit geschlossenen Augen und schüttelte dann den Kopf.

»Dort entlang!« sagte er, während er in die andere Richtung deutete. Er machte keine Anstalten, seine Worte zu erklären, und die anderen folgten ihm schweigend.

Dieser Gang war niedriger; unter seiner Decke zog sich eine endlos lange Doppelreihe großer Leuchtstoffröhren entlang, von denen einige noch brannten und kleine, ovale Inseln weißer Helligkeit in dem düsterroten Dunkelkammerlicht erschufen, das hier unten herrschte. Zudem gab es hier zahlreiche Türen, die an beiden Seiten abzweigten. Charity blieb ein paarmal stehen und versuchte, eine davon zu öffnen, aber sie waren entweder verschlossen oder die Räume dahinter waren leer oder vollkommen verwüstet.

Aber trotz der unübersehbaren Spuren von Zerstörung, auf die sie auf Schritt und Tritt stießen, fiel Charity auf, daß hier unten anscheinend keine Kämpfe stattgefunden hatten. Die Verwüstungen, die sie sahen, waren entweder von Tieren angerichtet worden oder einfach der langen Zeit zuzuschreiben, die vergangen war. Wer immer diese Anlage erschaffen hatte, hatte den Invasoren entweder keinen Widerstand geleistet oder Zeit genug gehabt, sich in aller Ruhe zurückzuziehen.

Sie schätzte, daß sie sich ungefähr eine Meile weit in den Tunnel hineinbewegt hatten, als Kyle plötzlich erneut stehenblieb und warnend die Hand hob.

»Was ist los?« fragte Charity alarmiert. Sie trat neben den Megamann und richtete den Lauf ihrer Waffe in die rötliche Dämmerung vor ihnen. Aus eng zusammengepreßten Augen versuchte sie, irgend etwas zu erkennen. Aber alles, was sie sah, waren rote Schatten.

»Ich ... weiß es nicht«, sagte Kyle zögernd. Plötzlich wirkte er sonderbar angespannt. »Aber irgend etwas ist dort.«

Auch Skudder trat neben ihn und richtete seine Waffe auf den Gang, während Net einen Schritt zurückwich und sich schützend vor Helen und den Zwerg stellte. Eine Zeitlang lauschten Charity und Skudder gebannt, ohne irgend etwas anderes als das Geräusch ihrer eigenen Atemzüge und das schnelle Hämmern ihrer Herzen zu hören, und schließlich war es wieder Kyle, der mit einem erschrockenen Laut zusammenfuhr und einen Schritt zurückprallte.

Und noch bevor Charity ihn erneut fragen konnte, was er gehört hatte, sah sie es selbst: Inmitten des roten Lichtes vor ihnen bewegte sich etwas. Es war zu klein und bewegte sich zu schnell, als daß sie es genau identifizieren konnte, aber das rasende Huschen wiederholte sich, kam näher, verschwand wieder - und dann unterdrückte sie nur mit Mühe einen erschrockenen Aufschrei.

Vor ihnen bewegte sich ein graubraunes, massiges Fellbündel über den Gang. Dunkle, von einer beunruhigenden Intelligenz erfüllte Augen starrten Charity und die anderen über einer spitzen Schnauze hinweg voller Gier an, und der fast meterlange, nackte Schwanz der Bestie peitschte nervös wie der einer angreifenden Katze.

»Ratten!« rief Helen entsetzt. »Großer Gott! Das sind ... Ratten!«

Charity fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen, die plötzlich trocken und spröde zu sein schienen, hob aber trotzdem das Lasergewehr und visierte den riesigen Nager durch die Zieloptik an.

Das Tier war eindeutig eine Ratte - aber es war fünfmal so groß, fünfmal so stark und mindestens fünfzigmal so häßlich wie jede Ratte, die Charity früher zu Gesicht bekommen hatte. Sie hatte solche Tiere erst einmal gesehen; in der leeren Pipeline, die die Bewohner der Freien Zone von Paris kurzerhand zu einer Autobahn umfunktioniert hatten.

Die Ratte war stehengeblieben und starrte sie an, und für eine endlose Sekunde hatte Charity das entsetzliche Gefühl, daß die Ratte genau spürte, daß sie durch das Zielfernrohr hindurch beobachtet wurde, und diesen Blick voller Zorn erwiderte.

Vorsichtig, sehr langsam, um das Tier nicht durch eine unbedachte Bewegung zum Angriff zu reizen, senkte sie das Gewehr und blickte es mit bloßen Augen an. Hinter der ersten Ratte tauchten weitere Nager aus der Dunkelheit auf: eine ganze Rattenarmee.

»Zurück!« flüsterte sie. »Und bewegt euch ganz langsam.«

Skudder nickte nervös; er senkte zwar sein Gewehr, hielt aber den Finger am Abzug. Auch Kyle widersprach nicht, sondern wich mit kleinen, sehr vorsichtigen Schritten zurück.

Die Ratten folgten ihnen. Charity schätzte allein die Zahl derer, die sie sehen konnten, auf mindestens fünfzig oder sechzig - und in der roten Dunkelheit mochten sich noch Hunderte verbergen. Die Stille war längst dem unaufhörlichen Kratzen harter Pfoten auf Beton und den leisen, hohen Pfiffen gewichen, mit denen sich die Tiere verständigten. Charity fragte sich, ob sie wirklich miteinander sprachen.

»Helen!« sagte sie. »Sie kennen diese Tiere. Werden sie uns angreifen?«

»Ich weiß es nicht«, flüsterte Helen stockend. Ihre Stimme zitterte vor Furcht. »Wenn sie sehr hungrig sind oder sich angegriffen fühlen...«

Charity sah aus den Augenwinkeln, wie Kyle ganz langsam die Hand zum Gürtel hob und eine kleine, sonderbar plump aussehende Waffe zog. »Um Gottes willen - nein!« flüsterte sie erschrocken. »Sie zerreißen uns, wenn Sie auch nur einen Schuß abgeben!«

Kyle erstarrte. Vielleicht hatte er den entsetzten Unterton in Charitys Stimme richtig gedeutet und begriffen, wie gefährlich diese Tiere waren. Vielleicht hatte er auch nur eingesehen, daß er sie nicht alle zugleich erschießen oder aufhalten konnte - und daß es ihm wenig nutzte, wenn er der einzige war, der hier lebend herauskam.

Schritt für Schritt wichen sie von der gewaltigen Armee graubrauner, pelziger Körper vor ihnen zurück, und die Ratten folgten ihnen im gleichen Abstand; nicht schneller, aber auch nicht langsamer.

Ihre Bewegungen hatten nichts von einem Angriff, dachte Charity verstört. Eher etwas von einer ... Warnung.

Und als hätte es ihre Gedanken gelesen, löste sich plötzlich eines der Tiere aus der Front der Ratten und eilte ein paar Schritte auf sie zu, ehe Skudder drohend seine Waffe hob und es wieder stehenblieb. Charity war völlig sicher, daß es kein Zufall war. Das Tier hatte die Bedeutung der Geste erkannt und reagierte darauf.

Die Ratte starrte abwechselnd Skudder, Kyle und Charity aus ihren dunklen, stechenden Augen an, dann zog sie die Lefzen zurück und gewährte ihnen einen Blick auf ein Gebiß, dessen bloßer Anblick Charity einen Schauer über den Rücken laufen ließ.

»Nehmt die Waffen herunter«, sagte sie leise.

Kyle gehorchte sofort, aber Skudder warf ihr einen überraschten, ja fast entsetzten Blick zu, und Charity wiederholte: »Nimm das Gewehr herunter, Skudder. Sie tun uns nichts. Sie wollen uns nur vertreiben. Das ist alles.«

Sie wandte sich wieder der Ratte zu und hob die linke, leere Hand. Ihr Vertrauen in den plötzlichen Evolutionssprung dieser Nager reichte nicht so weit, im Ernst anzunehmen, daß sie ihre Sprache verstanden - aber das Benehmen des Tieres zeigte ganz deutlich, daß es zumindest imstande war, die Bedeutung von Gesten zu begreifen.

Die Ratte folgte ihrer Bewegung aus mißtrauisch glitzernden Augen und stieß ein drohendes Zischen aus, rührte sich aber nicht mehr, und auch die Armee graubrauner Körper hinter ihr kam nicht mehr näher.

Langsam und unendlich vorsichtig hob Charity das Gewehr wieder und hängte sich die Waffe über die Schulter. Kyle steckte seine Pistole wieder unter den Gürtel, und nach einer weiteren Sekunde folgte endlich auch Skudder ihrem Beispiel.

»Vorsichtig jetzt!« flüsterte Charity. »Macht bloß keine hastige Bewegung!«

Langsam drehte sie sich herum, wobei sie die Ratte aufmerksam im Auge behielt, wartete, bis auch Skudder und Kyle sich umgewandt hatten, und deutete dann in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Ohne ein Wort ging sie los.

Zuerst langsam, dann immer schneller gingen sie den Weg zurück, bis sie wieder an die Abzweigung kamen, an der sie abgebogen waren. Erst dann wagte es Charity, stehenzubleiben und wieder zurückzublicken.

Von den Ratten war nichts mehr zu sehen.

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