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O’Mara klappte schnell seinen Helm zu und schloß dann ein Kabel von seinem Anzugmikrophon an den Interkom an, um sprechen zu können, ohne daß Caxton oder der Monitor bemerkten, daß er den Anzug trug. Wenn er Zeit haben sollte, um seinen Plan durchzuführen, durften sie nicht ahnen, daß in seiner Kabine irgend etwas Außergewöhnliches vor sich ging. Dann kamen die letzten Schaltvorgänge am Luftdruckregulator und den Schwerkraftgittern.

Binnen zwei Minuten hatte sich der atmosphärische Druck in den beiden Räumen auf das sechsfache erhöht, und die Schwerkraft betrug vier G, also praktisch betrachtet „normale Umweltbedingungen“ für einen Hudlarer. Seine Schultermuskeln schmerzten — sein schwacher G-Gürtel absorbierte nur drei Viertel G von den vier G — dann zog er die schwere Last, die sein Arm geworden war, aus der Gitterkammer und wälzte sich auf den Rücken.

Ihm war, als säße das FROB-Baby auf seiner Brust. Große schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen. Durch sie sah er undeutlich einen Teil der Decke und in einem völlig verrückten Winkel den Bildschirm. Das Gesicht darauf begann ungeduldig zu werden.

„Hier bin ich wieder, Major“, keuchte O’Mara. Er kämpfte darum, seinen Atem zu kontrollieren, so daß die einzelnen Worte nicht zu gepreßt erschienen. „Sie wollen wahrscheinlich hören, was ich über den Unfall zu sagen habe?“

„Nein“, lehnte der Monitor ab. „Ich habe Caxtons Bandbericht gehört. Mich interessiert vielmehr, was Sie getrieben haben, ehe Sie hierher kamen. Ich habe Nachforschungen angestellt, und mir ist da etwas aufgefallen, was…“

Eine donnernde Lärmeruption unterbrach ihr Gespräch. O’Mara erkannte das Signal sofort richtig — der FROB war hungrig und schlecht gelaunt.

Mit geradezu unmenschlicher Anstrengung wälzte O’Mara sich zur Seite und stemmte sich dann auf den Ellbogen hoch. So verhielt er eine Weile, um Kräfte zu sammeln, und zog sich dann auf Hände und Knie. Als ihm das schließlich gelungen war, stellte er fest, daß seine Arme und Beine zum Platzen angeschwollen waren. Er legte sich stöhnend flach auf die Brust. Im gleichen Augenblick wurde ihm schwarz vor den Augen.

Er konnte weder auf Händen und Knien kriechen noch konnte er sich auf dem Bauch fortbewegen. Und daß er unter drei G nicht aufstehen und gehen konnte, stand fest. Was blieb ihm also übrig?

O’Mara wälzte sich wieder mühsam zur Seite und rollte sich zurück. Diesmal aber stemmte er sich auf die Ellbogen. Die Nackenstütze seines Anzugs hielt seinen Kopf, aber die Ärmel waren innen nur sehr dünn gepolstert, und so schmerzten seine Ellbogen. Die Anstrengung, seinen Körper, der jetzt dreimal so schwer wie normal war, aufrecht zu halten, verursachte ihm Herzklopfen. Und das schlimmste von allem war, daß ihm bereits wieder schwarz vor den Augen wurde.

Aber es mußte doch irgendeinen Weg geben, um die verschiedenen Druckstadien in seinem Körper auszugleichen oder zumindest so zu verteilen, daß er bei Bewußtsein bleiben und sich bewegen konnte. O’Mara versuchte, sich die Konstruktion der Beschleunigungssessel zu vergegenwärtigen, die vor der Entdeckung der künstlichen Schwerkraft in Raumschiffen benutzt worden waren. Man hatte damals in beinahe kniender Haltung gesessen, erinnerte er sich plötzlich.

Zoll für Zoll schob er seine Ellbogen vor und näherte sich so dem Schlafzimmer. Jetzt kamen ihm seine Muskeln zweifellos zunutze — denn unter Umweltbedingungen wie diesen wäre jeder normal starke Mann zweifellos flach gegen den Boden gepreßt worden. Trotzdem brauchte er fünfzehn Minuten, um den Nahrungssprüher im Schlafzimmer zu erreichen, und diese ganzen fünfzehn Minuten schrie das Baby so, daß O’Mara die Trommelfelle zu platzen drohten. Infolge des erhöhten Luftdrucks war der Lärm so ungeheuer laut, daß jede Faser in O’Maras Körper mitzuschwingen schien.

„Ich will mit Ihnen sprechen!“ schrie der Monitor, als einmal einen Augenblick Stille eintrat. „Können Sie dieses verdammte Ding nicht einen Augenblick zum Schweigen bringen?“

„Es hat Hunger“, sagte O’Mara. „Wenn ich es gefüttert habe, ist es ruhig…“

Das Sprühgerät war auf einen Rollwagen aufmontiert, und O’Mara hatte einen Fußschalter angebracht, um beide Hände zum Zielen frei zu haben. Jetzt, da sein Pflegling durch eine Schwerkraft von vier G gehemmt war, brauchte O’Mara aber seine Hände nicht. Er schob den Wagen mit den Schultern in die richtige Stelle und drückte dann das Pedal mit dem Ellbogen nieder. Der Hochdruckstrahl bog sich infolge der zusätzlichen Schwerkraft etwas nach unten durch, aber es gelang dennoch, das Baby mit Nahrung zu bedecken. Viel schwieriger war es, die entzündeten Stellen von dem Nahrungsbrei zu reinigen. Die Wasserdüse, die vom Boden aus bedient, höchst ungenau funktionierte, kam dafür überhaupt nicht in Frage. So mußte er den großen, grellblauen Flecken — er hatte sich aus drei zusammengewachsenen Flecken gebildet — der jetzt beinahe ein Viertel der gesamten Hautfläche ausmachte, mit den Händen reinigen.

Nachher streckte O’Mara die Beine aus und ließ sich müde auf den Boden sinken. Trotz der drei G, die auf ihm lasteten, empfand er diese Stellung als große Erleichterung.

Das Baby hatte zu schreien aufgehört.

„Was ich sagen wollte“, sagte der Monitor, als das Schweigen ein paar Minuten gedauert hatte, „ist, daß Ihre früheren Arbeitszeugnisse nicht ganz mit dem zusammenpassen, was ich hier finde. Sie waren auch vorher ein unruhiger, ewig unzufriedener Geist, aber Sie waren jedesmal bei Ihren Kollegen äußerst populär, und das galt in etwas geringerem Maße auch für Ihre Vorgesetzten — letzteres hauptsächlich, weil Ihre Vorgesetzten sich manchmal irrten, Sie nie…“

„Ich war genauso klug wie sie“, sagte O’Mara müde, „und habe es oft genug bewiesen, aber ich sah nicht intelligent aus.“

Eigenartig, dachte O’Mara. Seine persönlichen Schwierigkeiten schienen ihn jetzt kaum zu interessieren. Er konnte einfach nicht von dem blauen Flecken auf der Haut des Babys wegsehen. Die Farbe war dunkler geworden, und es schien, als wäre der Flecken in der Mitte angeschwollen. Anscheinend hatte sich die superharte Oberhaut aufgeweicht, und der ungeheure innere Druck des FROB hatte eine Schwellung verursacht. Indem er die Schwerkraft und den Druck auf die Norm von Hudlar brachte, sollte es gelingen, diese Entwicklung aufzuhalten — wenn es sich nicht um ein Symptom einer völlig anderen Erkrankung handelte.

O’Mara hatte daran gedacht, seine Idee einen Schritt weiter durchzuführen und die Luft rings um den Patienten mit Nahrungsflüssigkeit anzureichern. Auf Hudlar bestand die Nahrung der Eingeborenen aus winzigen Organismen, die in ihrer überaus dicken Atmosphäre herumschwebten, aber im Handbuch stand ausdrücklich, daß Nahrung aller Art den befallenen Hautstellen unter allen Umständen ferngehalten werden mußte.

„… trotzdem“, sagte der Monitor, „hätte man Ihnen geglaubt, wenn bei einem Ihrer letzten Jobs eine ähnliche Geschichte passiert wäre. Selbst wenn das Ganze Ihre Schuld gewesen wäre, hätten sich alle vor Sie gestellt, um Sie vor Außenseitern wie mir zu schützen.

Wie kommt es also, daß aus einer freundlichen, angenehmen Persönlichkeit so etwas wurde…?“

„Ich habe mich gelangweilt“, erklärte O’Mara.

Sein Pflegling hatte keinen Laut mehr von sich gegeben, aber O’Mara hatte die charakteristischen Tentakelbewegungen des FROB gesehen, die darauf hinwiesen, daß bald wieder ein neuer Ausbruch kommen würde. Und er kam auch. Während der nächsten zehn Minuten war es daher natürlich unmöglich zu sprechen.

O’Mara wälzte sich auf die Seite und rollte sich dann wieder auf seine jetzt abgeschürften und blutenden Ellbogen. Er wußte, was nicht stimmte; der Kleine hatte sein übliches „Streicheln“ nach dem Essen vermißt. O’Mara humpelte langsam zu den beiden Seilen des von ihm eigens für diesen Zweck entwickelten Flaschenzuges. Aber die Seilenden hingen über einen Meter über dem Boden.

Auf einem Ellbogen gestützt und bemüht, das tote Gewicht des anderen Arms zu heben, dachte O’Mara, das Seil könnte jetzt ebensogut vier Meilen von ihm entfernt sein. Der Schweiß rann ihm über das Gesicht, so sehr mußte er sich abmühen. Er zitterte so, daß seine behandschuhte Hand das Seil zum erstenmal nicht erreichte und er ein zweitesmal danach greifen mußte. Diesmal hatte er mehr Glück.

Der Apparat funktionierte nach einem System von Gegengewichten. Für die Längsseile bedurfte es daher keiner besonderen Kraft. Ein schweres Gewicht stürzte auf den Rücken des Kleinen und verabreichte ihm somit einen freundlichen Klaps. O’Mara wartete ein paar Minuten und bemühte sich dann, den Versuch mit dem anderen Seil zu wiederholen; wenn er daran zog, würde er gleichzeitig das erste Gewicht wieder in die Höhe befördern.

Nach etwa dem achten Klaps stellte er fest, daß er das Ende des Seils, nach dem er griff, nicht sehen konnte, obwohl er es mit der Hand fand. Sein Kopf war zu hoch über seinem Körper, und er war dauernd im Begriff, das Bewußtsein zu verlieren. Die verringerte Blutzufuhr zu seinem Gehirn hatte auch andere Auswirkungen…

„… schön brav, schön brav“, hörte O’Mara sich sagen. „Jetzt ist’s gut. Pappi macht’s schon richtig. Schön brav jetzt, ruhig…“

Das Komische daran war, daß er wirklich Verantwortung, ja beinahe Sorge für das Baby empfand. Dafür hatte er es nicht gerettet! Vielleicht riefen auch die drei G, die ihn gegen den Boden preßten und jeden Atemzug zu anstrengend wie ein ganzes Tagewerk und die kleinste Bewegung zu einer Operation machten, die ihm jede Kraftreserve abverlangte, die Erinnerung an eine andere Art von Druck in ihm wach — die langsame, unaufhaltsame Bewegung von zwei großen leblosen Metallmassen.

Der Unfall.

Als leitender Monteur dieser Schicht hatte O’Mara gerade die Warnlichter eingeschaltet, als er die beiden Hudlarer ihrem Sprößling nachjagen sah, der sich auf einer der gerade in Montage befindlichen Flächen befand.

Er hatte ihnen durch seinen Translator nachgerufen, sie aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen und es ihm zu überlassen, den Kleinen zu verjagen — da Baby viel kleiner war als seine Eltern, würden die sich langsam schließenden Flächen länger brauchen, um es zu erreichen, und während dieser paar zusätzlichen Minuten hätte O’Mara es aus der Gefahrenzone holen können. Aber die beiden Hudlarer hatten entweder ihre Geräte abgeschaltet oder wollten ihr Kind nicht einem dieser winzigen Erdenmenschen anvertrauen. Was auch immer der Grund sein mochte, sie blieben in der Gefahrenzone, bis es zu spät war. O’Mara hatte hilflos zusehen müssen, wie die beiden Bauteile sie zuerst einschlossen und dann zermalmten.

Der Anblick des Kleinen, der wegen seiner geringeren Größe immer noch unverletzt war und zwischen den Leichen seiner Eltern schwebte, ließ O’Mara blitzartig reagieren. Er konnte den Kleinen noch aus der Gefahrenzone jagen, ehe die beiden Teile sich an der Stelle zusammenfügten, wo er sich befunden hatte. Er selbst konnte sich gerade noch in Sicherheit bringen — ein paar bange Sekunden lang hatte er schon geglaubt, er müßte ein Bein zurücklassen.

Das war auch kein Platz für Kinder, dachte er und blickte auf den zuckenden Körper mit den blauen Flecken. Man sollte es einfach nicht zulassen, daß Kinder hierhergebracht wurden — nicht einmal die Kinder von Leuten, wie die Hudlarer es waren.

Aber jetzt hörte er wieder Major Craythornes Stimme.

„… nachdem, was ich hier höre“, sagte der Monitor, „kümmern Sie sich sehr gut um Ihren Schützling. Es wird unbedingt zu Ihren Gunsten sprechen, wenn Sie den Kleinen in gutem Zustand übergeben…“

In gutem Zustand, dachte O’Mara, als er wieder nach dem Seil griff. In gutem Zustand!

„… aber es gibt noch andere Überlegungen“, fuhr die ruhige Stimme fort. „Waren Sie unvorsichtig, indem Sie die Warnlichter erst nach dem Unfall einschalteten, wie man Ihnen vorwirft? Ungeachtet der guten Zeugnisse, die man Ihnen ausstellt, waren Sie hier ein streitsüchtiger Raufbold, und besonders Ihre Einstellung gegenüber Waring…!“

Der Monitor unterbrach sich und musterte ihn mißbilligend. Dann fuhr er fort: „Vor ein paar Minuten sagten Sie, Sie hätten das alles getan, weil Sie sich langweilten. Erklären Sie das.“

„Einen Augenblick, Major“, unterbrach ihn Caxton, dessen Gesicht plötzlich hinter dem Craythornes auf dem Bildschirm erschien. „Er versucht uns aus irgendeinem Grunde hinzuhalten, davon bin ich überzeugt. All diese Unterbrechungen, diese keuchende Stimme, mit der er spricht, und dieses Getue mit dem Baby, ist nur Bluff, um uns zu zeigen, was für ein großartiger Babysitter er ist. Ich denke, ich gehe hinüber und hole ihn hierher, damit er Ihre Fragen beantwortet.“

„Das wird nicht nötig sein“, sagte O’Mara schnell. „Ich stehe Ihnen jetzt voll zur Verfügung.“

Er sah vor seinem geistigen Auge Caxtons Reaktion, wenn der andere das Baby in seinem augenblicklichen Zustand erblickte; Caxton würde nicht lange überlegen oder Erklärungen abwarten oder gar darüber nachdenken, ob es fair war, einen ET in die Obhut eines Menschen zu geben, der seine Physiologie überhaupt nicht kannte. Er würde nur reagieren. Und zwar unangenehm.

Und was den Monitor anging…

O’Mara dachte, er würde, was den Unfall betraf, mit einem blauen Auge davonkommen. Aber wenn der Kleine auch starb, hatte er keine Chance mehr. Die Krankheit des Babys war ungewöhnlich, und es hätte schon vor Tagen auf die Behandlung reagieren müssen. Statt dessen wurde sein Zustand von Tag zu Tag schlechter, und es würde zweifellos sterben, wenn O’Maras letzter Versuch, die Umweltbedingungen seines Heimatplaneten zu reproduzieren, mißlang. Was O’Mara jetzt brauchte, war Zeit. Und zwar, wenn das Lehrbuch recht hatte, vier oder fünf Stunden.

Plötzlich wurde ihm bewußt, wie nutzlos das alles war. Der Zustand des Babys hatte sich nicht gebessert — es zuckte und schlug um sich und sah ausgesprochen krank und bedauernswert aus. O’Mara fluchte hilflos. Was er jetzt versuchte, hätte er schon vor Tagen versuchen müssen. Sein Baby war so gut wie tot, und wenn er die jetzige Behandlung noch fünf oder sechs Stunden fortsetzte, würde ihn das wahrscheinlich töten oder zumindest sein Leben lang zum Krüppel machen.

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