Einem riesigen mißgestalteten Weihnachtsbaum vergleichbar, blinkten die Lichter des Hospitals — Sektor zwölf — vor dem nebelhaften Hintergrund der Sterne. Lichter, die gelb, rot, orange und von weichem Grün waren, und wieder andere, deren grelles Blau beinahe unerträglich schien. Manche Stellen waren auch dunkel. Hinter diesen undurchsichtigen Metallflächen lagen Abteilungen, wo das Licht so durchdringend grell war, daß man die Augen anfliegender Raumpiloten davor schützen mußte oder Abteilungen, die so finster und kalt waren, daß nicht einmal das Licht, das von den Sternen hereindrang, die Augen ihrer Bewohner erreichen durfte.
Für die Insassen des Telfi-Schiffes, das aus dem Hyperraum glitt und etwa zwanzig Meilen von diesem eigenartigen, mächtigen Gebilde entfernt im Raum schwebte, war diese Festbeleuchtung jedoch zu schwach, um ohne die Hilfe von Instrumenten wahrgenommen zu werden. Die Telfi waren Energie-Esser. Die Hülle ihres Schiffes flackerte in blauem, radioaktivem Schein, und das Innere war mit harter Strahlung erfüllt — was in jeder Beziehung normal war. Nur im Heck des kleinen Schiffes herrschten keine normalen Bedingungen. Hier lagen die aktiven Bestandteile eines Energiemeilers, verteilt auf kleine, subkritische und unabgeschirmte Massen im Maschinenraum des Schiffes herum. Und hier war es selbst für die Telfi zu heiß.
Das Gruppenwesen, das gleichzeitig der Kapitän des Telfi-Raumschiffes — und seine Mannschaft — war, aktivierte seinen Kurzstreckeninterkom und sprach in jener klickenden und summenden Sprache, die man zum Verkehr mit jenen bedauernswerten Wesen benutzte, die außerstande waren, mit einer „Telfigestalt“ zu verschmelzen.
„Das ist eine Telfi-Hundert-Einheiten-Gestalt“, sagte es langsam und deutlich. „Wir haben Verluste und benötigen Hilfe. Unsere Klassifikation ist VTXM, wiederhole VTXM…“
„Bitte Einzelheiten und Dringlichkeitsgrad“, sagte eine Stimme, als das Telfi gerade die Nachricht wiederholen wollte. Der Satz wurde in die gleiche Sprache übertragen, die der Kapitän benutzt hatte. Das Telfi gab schnell Einzelheiten an und wartete. Um es herum und teilweise es durchsetzend, wirkten hundert spezialisierte Einheiten, die gleichzeitig sein Geist und sein Körper waren. Einige der Einheiten waren blind, taub und vielleicht sogar tot, Zellen, die keinerlei Sinneseindrücke empfingen oder aufzeichneten. Aber dann gab es auch andere, die Wellen von solcher Todesqual ausstrahlten, daß das Gruppenwesen zuckte und sich wand. Würde denn diese Stimme nie antworten, fragten sie sich, und wenn ja, würde sie ihnen helfen können?
„Sie dürfen sich dem Hospital nur bis höchstens auf fünf Meilen nähern“, sagte die Stimme plötzlich. „Sonst könnte durch Ihre Annäherung Strahlungsgefahr für weniger strahlungsresistente Wesen, als Sie es sind, entstehen.“
„Wir verstehen“, sagte das Telfi.
„Gut“, sagte die Stimme. „Sie müssen auch bedenken, daß Ihre Rasse zu ›heiß‹ ist, als daß wir Sie direkt behandeln könnten. Es sind bereits ferngesteuerte Mechanismen zu Ihnen unterwegs, und es würde unsere Arbeit erleichtern, wenn Sie veranlaßten, daß Ihre Verletzten zur Hauptschleuse des Schiffes gebracht werden. Wenn das nicht möglich ist, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Uns stehen Apparate zur Verfügung, die Ihr Schiff betreten und die Verletzten entfernen können.“
Die Stimme schloß, indem sie sagte, man hoffe zwar, dem Patienten helfen zu können, sei jedoch im Augenblick nicht imstande, eine genaue Prognose abzugeben.
Die Telfigestalt dachte, daß die Qualen, die ihren Geist und ihren weitverzweigten, vielgliedrigen Körper heimsuchten, bald vorüber sein würden — ebenso aber auch ein Viertel eben dieses Körpers!
Mit jenem Glücksgefühl, das acht Stunden Schlaf, ein gutes Frühstück und die Aussicht auf eine interessante Arbeit erzeugen können, machte Conway sich auf den Weg zu seiner Station. Eigentlich war es natürlich nicht seine Station — wenn irgend etwas gefährlich zu werden drohte, erwartete man von ihm nur, daß er laut genug um Hilfe rief. Aber in Anbetracht der Tatsache, daß er erst seit zwei Monaten hier war, störte ihn das nicht, ebensowenig wie es ihn störte, daß noch eine lange Zeit vergehen würde, bis man ihm Fälle anvertrauen würde, bei denen die Behandlung über rein mechanische Methoden hinausging. Uneingeschränktes Wissen über die Physiologie einer beliebigen fremden Spezies ließ sich binnen Minuten mit einem Trainingsband erwerben, aber das Geschick, dieses Wissen entsprechend zu verwenden — speziell in der Chirurgie — kam erst mit der Zeit.
In einem Seitenkorridor sah Conway einen FGLI, den er kannte — einen tralthanischen Internisten, der seinen elefantenartigen Körper auf sechs schwammigen Füßen vorwärts bewegte. Die kurzen Beine schienen noch gummiartiger als gewöhnlich, und der kleine OTSB, der in Symbiose mit dem Tralthaner lebte, schlief praktisch. Conway sagte freundlich:
„Guten Morgen“, und erhielt die übersetzte und daher notwendigerweise völlig gefühllose Antwort:
„Du kannst mich gern haben.“ Conway grinste.
Im Empfang war gestern abend viel zu tun gewesen. Conway war nicht aufgerufen worden, aber es schien, als hätte der Tralthaner mindestens zwölf Stunden durchgearbeitet.
Ein paar Meter hinter dem Tralthaner begegnete er einem zweiten, der langsam neben einem kleinen DBGD, wie er selbst einer war, herging. Nicht ganz wie er selbst, freilich — DBGD war die Gruppenklassifikation, die den körperlichen Attributen, der Zahl der Arme, Köpfe, Beine und so weiter ihren Platz zuwies. Der Umstand, daß das Wesen siebenfingrige Hände besaß, nur einen Meter zwanzig groß war und wie ein Teddybär aussah — Conway hatte das Heimatsystem des Wesens vergessen, erinnerte sich aber, daß es von einer Welt kam, die plötzlich eine Eiszeit erlebt hatte, weshalb seine höchste Lebensform gleichzeitig Intelligenz und einen dicken roten Pelz entwickelt hatte —, zeigte sich erst, wenn man die Klassifikation auf zwei oder drei Gruppen ausdehnte. Der DBGD hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und starrte geistesabwesend zu Boden. Sein riesiger Begleiter schien ähnlich konzentriert, zog aber die Decke vor, was auf die völlig verschiedenartige Lage der Sehorgane zurückzuführen war. Beide trugen ihre Berufsinsignien an goldenen Armbändern, und das bedeutete, daß es sich um hochqualifizierte Diagnostiker handelte. Conway verzichtete darauf, guten Morgen zu sagen und achtete sogar darauf, beim Vorübergehen nicht unnötig laut aufzutreten.
Vielleicht waren die beiden in ein medizinisches Problem vertieft, dachte Conway, oder — was ebenso wahrscheinlich war — sie hatten sich gerade gestritten und ignorierten einander deshalb. Diagnostiker waren eigenartige Leute. Man konnte nicht gerade sagen, daß sie von Haus aus verrückt waren, aber ihr Beruf zwang ihnen eine Art von Verrücktheit geradezu auf.
An jeder Korridorkreuzung hatten Lautsprecher ein unverständliches, fremdes Kauderwelsch ausgestrahlt, das er im Vorübergehen nur halb gehört hatte, aber als die Lautsprecher plötzlich auf Terraenglisch umschalteten und Conway seinen eigenen Namen hörte, blieb er überrascht stehen.
„… sofort zu Einlaßschleuse zwölf“, wiederholte die Stimme monoton. „Klassifikation VTXM-23. Doktor Conway, bitte gehen Sie zu Einlaßschleuse zwölf. Klassifikation VTXM-23…“
Conways erster Gedanke war, daß sie unmöglich ihn meinen konnten. Das sah ja aus, als ziehe man ihn zu einem Fall heran — sogar einem großen, denn die Zahl 23 nach der Klassifikation bezog sich auf die Anzahl der zu behandelnden Patienten. Und diese Klassifikation, VTXM, war ihm völlig neu. Conway wußte natürlich, was die Buchstaben bedeuteten, aber er hatte nie gedacht, daß sie in dieser Kombination existieren konnten. Es mußte sich um irgendeine telepathische Spezies handeln — das V an erster Stelle der Klassifikation sagt aus, daß Telepathie ihr wichtigstes Attribut war und ihr Körperbau nur von sekundärer Bedeutung — ferner ging aus der Klassifikation hervor, daß diese Spezies Strahlungsenergie direkt umzuwandeln vermochte und gewöhnlich als eng zusammenhängende Gruppe, oder, wie der Psychologe das nannte, „Gestalt“, existierte. Während er noch überlegte, ob er einem derartigen Fall gewachsen war, hatte er sich bereits umgedreht und eilte auf Schleuse zwölf zu.
Seine Patienten erwarteten ihn in der Schleuse. Sie befanden sich in einem kleinen Metallkasten, der ringsum mit Bleibarren bedeckt war und bereits auf einem Rollwagen ruhte. Der Wärter unterrichtete Conway kurz davon, daß die Wesen sich „das Telfi“ nannten und daß eine erste Diagnose es geraten erscheinen lasse, sie in den Strahlungsoperationssaal zu bringen, der bereits für ihn vorbereitet wurde. Infolge der geringen Größe seiner Patienten könne er im übrigen dadurch Zeit einsparen, indem er mit ihnen zum Trainingssaal gehe und sie vor der Tür abstelle, während er sein Telfi-Trainingsband nahm.
Conway bedankte sich mit einem Nicken, sprang auf den Wagen und setzte ihn in Bewegung, wobei er bemüht war, den Eindruck zu erwecken, daß er so etwas jeden Tag tue.
Als Conway den Trainingsraum betrat, fand er dort einen Monitor vor. Conway hatte für das Monitor-Korps nicht viel übrig. Er wußte natürlich, daß es Leute gab, die manchmal durchdrehten und daß es dann jemand geben mußte, der das Nötige unternahm, um für die Erhaltung des Friedens zu sorgen. Aber er verabscheute jede Art von Gewaltanwendung so sehr, daß er es einfach nicht über sich brachte, die Menschen, die diese notwendigen Schritte unternahmen, auch leiden zu können.
Und was hatte ein Monitor außerdem in einem Hospital zu suchen?
Die Gestalt im dunkelgrünen Overall wandte sich um, als er eintrat, und Conway bekam seinen zweiten Schock. Der Monitor trug nicht nur die Rangabzeichen eines Majors auf der Schulter, sondern auch den Äskulapstab des Arztes!
„Mein Name ist O’Mara“, sagte der Major mit angenehmer Stimme. „Ich bin Chefpsychologe dieses Irrenhauses. Und Sie, nehme ich an, sind Dr. Conway.“
Er lächelte.
Conway zwang sich ebenfalls zu einem Lächeln, wußte aber, daß es gezwungen aussah und daß der andere dies wußte.
„Sie wollen das Telfiband“, sagte O’Mara eine Spur weniger freundlich. „Nun, Doktor, da haben Sie sich diesmal ja etwas Hübsches ausgesucht. Lassen Sie es nur schleunigst wieder löschen, wenn Sie mit dem Fall fertig sind — Sie können mir glauben, das wollen Sie bestimmt nicht behalten. Geben Sie mir hier Ihren Daumenabdruck, und setzen Sie sich dann dort hinüber.“
Während die Elektroden an die Schläfenkontakte des Trainers angeschlossen wurden, war Conway bemüht, eine starre, undurchdringliche Miene zu bewahren und nicht jedesmal zusammenzuzucken, wenn die Hände des Majors ihn berührten.
O’Maras Haar war kurz geschnitten und von metallischgrauer Farbe, und auch seine Augen erinnerten an blauen Stahl.
„So, das wär’s“, sagte O’Mara, als alles vorüber war. „Aber ich glaube, Doktor, daß wir beide einen kleinen Schwatz halten sollten; nennen wir es ruhig ein Orientierungsgespräch. Aber nicht jetzt. Sie haben zu tun — nachher.“
Conway spürte, wie die stahlblauen Augen sich in seinen Rücken bohrten, als er hinausging.
Er hätte sich jetzt bemühen müssen, seinen Geist zu entspannen, damit das neu eingeprägte Wissen sich „setzen“ konnte, aber Conway konnte sich nicht von dem Gedanken lösen, daß ein Monitor ein Mitglied von hohem Rang des permanenten Hospitalstabes war — und Arzt obendrein. Wie ließen sich die beiden Berufe vereinen? Conway dachte an das Armband, das er trug, das Armband mit dem schwarzroten tralthanischen Kreis, der flammenden Sonne der chloratmenden Illensa und den Stab mit der Schlange von der Erde — die geehrten Symbole der Medizin der drei Hauptrassen der galaktischen Union. Und da war jetzt dieser Dr. O’Mara, dessen Kragenspiegel behauptete, daß er ein Heiler sei und dessen Epauletten sagten, daß er etwas anderes war.
Eines stand fest: Conway würde erst dann wieder ganz beruhigt sein, wenn er herausgefunden hatte, weshalb der Chefpsychologe des Hospitals ein Monitor war.