Neun

Die Marines hatten ungefähr ein Drittel der Länge des Superschlachtschiffs zurückgelegt, als in jedem Gang mit einem Mal vor ihnen gleichzeitig die Bärkühe auftauchten. Die bis dahin fast schon beängstigend leeren Korridore wurden auf einmal von lauten Stimmen und dröhnenden Schüssen erfüllt, da die Marines sich gegen die Heerscharen von Kiks zur Wehr setzten, die das Feuer auf sie eröffnet hatten und wie eine Wand auf sie zukamen.

»Sie sind gepanzert!«

»Vorsicht! Da rechts!«

»Durien ist zu Boden gegangen!«

»Schießt weiter!«

»Es sind einfach zu viele!«

»Luftschächte an den Decken! Sie schießen von da auf uns!«

»Meine Granaten sind aufgebraucht!«

»Jemand soll Sierra aufheben! Sie lebt noch!«

»Schluckt das, ihr Mistkerle!«

Nach und nach gelang es den Sergeants und Corporals, die Komm-Disziplin wiederherzustellen. Die Marines begannen, ihre Stellungen zu halten und mit allem Verfügbaren auf die Bärkühe zu feuern, deren Waffen eine Kombination aus Sturmgewehr und rechteckigem Schutzschild waren.

»Energie und Munition werden knapp!«

»Zurückziehen! Alle zurückziehen!«

»Die Kiks benutzen die Körper ihrer Toten als Schutzschild!«, rief ein Marine. »Sie schieben sie einfach vor sich her! Unsere Schüsse erreichen die Lebenden gar nicht erst!«

»Rückzug!«, wurde erneut befohlen. »Keinen schrittweisen Rückzug nach Teams, sondern alle sofort zurückziehen! Schnell, schnell! Wir holen die Reserve rein und gehen näher an der Außenhülle wieder in Stellung! Los jetzt!«

Geary verfolgte die Kampfszenen und sah, wie eine massive Wand aus toten Bärkühen durch einen Gang geschoben wurde. Die Rüstungen der Gefallenen waren vom Beschuss durch die Marines durchlöchert worden, zwischen ihnen ragten die Läufe jener Waffen hervor, mit denen die lebenden Kiks auf die im Rückzug befindlichen Marines schossen.

Er fuhr die Nahaufnahmen zurück, weil er begreifen wollte, was General Carabali vorhatte. Das Bild des Superschlachtschiffs auf seinem Display war nach und nach um jene Details ergänzt worden, die die Systeme von den vorrückenden Marines gesammelt hatten und nun zusammenfügten. Nun konnte er auch die Symbole der diversen Marines-Einheiten sehen, die alle kehrtgemacht hatten.

Warum zog Carabali ihre Truppen so schnell und so weit zurück? Sie gab kostbare Meter auf, die sie bereits erobert hatten und die sich nur mit sehr viel Mühe noch einmal einnehmen lassen würden, wenn die Bärkühe Stellungen errichteten und Hinterhalte anlegten.

Gearys Finger schwebte dicht über der Komm-Taste. Hat Carabali die Nerven verloren? Ich muss sie fragen, wieso sie so reagiert. Wieso sie…

Sein Blick fiel auf die Aktivitäten, die auf einer Gruppe von Bildern aus einem Bereich des Superschlachtschiffs zu erkennen waren. Die Marines hatten sich bis hinter eine Verteidigungslinie zurückgezogen, die mit einem explosionsartigen Beschuss die schützende Barriere aus toten Kiks in Stücke riss. Das Feuer durchsiebte die vordersten Reihen der Bärkühe, ehe sich auch diese Marines zurückfallen ließen, bis sie sich hinter einer weiteren Verteidigungslinie befanden, die sie mit schweren Geschützen bestückten. Ähnliches spielte sich überall auf dem Superschlachtschiff ab, doch Gearys Aufmerksamkeit galt weiter diesem einen Punkt, da die Marines plötzlich von den Kiks überrascht wurden, die von allen Seiten kamen — auch von oben und unten — und die dabei Gänge und Öffnungen nutzten, die für die Marines viel zu klein waren.

Nur eine Minute später, und der Zug Marines wäre von den anderen Einheiten abgeschnitten gewesen und von den Kiks überrannt worden, doch so hatten sie sich weit genug zurückgezogen, dass ein Sturm aus Abwehrbeschuss und heftige Nahkämpfe mit dem Gegner es dem Zug ermöglichten, sich in Sicherheit zu bringen und zu den Kameraden zurückzukehren.

Geary zog seine Hand zurück. Sie hat es gewusst. General Carabali hat erkannt, wozu die Bärkühe mit ihrer enormen zahlenmäßigen Überlegenheit auf ihrem eigenen Schiff in der Lage sein würden. Anstatt die Stellungen beizubehalten und dabei von den Kiks eingekreist zu werden, zieht sie ihre Leute schneller zurück, als die vom Feind überrannt werden können. Und dabei bezahlen die Angreifer auch noch teuer jeden Meter, den sie vorrücken.

»Admiral? Arbeitet Ihre Komm-Konsole ordentlich?«, fragte Desjani in einem Tonfall, der nichts Gutes für ihren Komm-Offizier versprach.

»Alles bestens«, antwortete Geary. »Ich selbst war das Problem, weil ich fast vergessen hätte, dass General Carabali ihren Job besser beherrscht als ich.«

Während die Marines sich in Richtung Außenhülle zurückzogen, wuchs der Raum, den sie verteidigen mussten, da der Durchmesser der Hülle des Superschlachtschiffs zunahm. Aber Carabali holte zum einen Verstärkung herbei, zum anderen zogen sich ihre Streitkräfte zusammen und igelten sich an den Kreuzungspunkten der breitesten Korridore ein, sodass sie ihre schweren Waffen in alle Richtungen abfeuern konnten, während die Bärkühe weiter vorrückten. Unter dem konzentrierten Beschuss dieser Waffen sowie der Hand- und Schulterfeuerwaffen der Marines wurden die dicht gedrängten Kik-Reihen nach und nach aufgerieben. Dennoch versuchten sie unablässig, zu den Eindringlingen auf ihrem Schiff durchzukommen.

»Wie viele sind das eigentlich?«, brüllte ein Marine.

Einige Bärkühe hatten es bis in die Abteile geschafft, in die die Marines zuerst vorgedrungen waren, wo sie auf die Ingenieure losgingen, die die Brückenköpfe verteidigen sollten. Den Ingenieuren fehlte es an den schweren Waffen der anderen Marines, aber das machten sie mit ihren Werkzeugen mühelos wett. Unwillkürlich zuckte Geary zusammen, als er sah, was diese Leute anrichteten, indem sie auf die vorrückenden Bärkühe einschlugen. Wer mehr über die Bärkühe und ihre Technologie in Erfahrung bringen wollte, der würde in diesem Teil des Schiffs nicht mehr viel Brauchbares vorfinden.

Angewidert von diesem Gemetzel konnte Geary dennoch nicht den Blick von den Monitoren abwenden, auf denen die Bärkühe sich in großer Zahl mit ihren Handfeuerwaffen gegen die konzentrierte Feuerkraft der Marines zu behaupten versuchten. An einigen Stellen gelang es ihnen tatsächlich, die eingeigelten Marines an den Kreuzungspunkten zu erreichen und sich in solchen Massen auf sie zu stürzen, dass seine Leute drohten, von den Gegnern erdrückt zu werden. Geary sah, wie Marines trotz der überlegenen Kraft ihrer Gefechtsrüstungen zu Boden geworfen wurden und die Verteidigungslinien ins Wanken gerieten. Da sie auf ihrem Posten noch dichter gedrängt waren als auf dem Weg durch die beengten Korridore, konnten sich die Allianz-Soldaten nicht rühren. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als weiter auf den Feind zu schießen, während ihre Waffen vor Überlastung bereits zu glühen begannen.

Carabali hatte das ganze Geschehen mitverfolgt. Weitere Einheiten zur Verstärkung der Truppen trafen ein, sprangen aus den Shuttles in die provisorischen Luftschleusen, durch die sie so schnell wie möglich ins Innere des Schiffs geholt wurden. Diese Marines bildeten Sturmtrupps, die durch die Korridore zu den am heftigsten umkämpften Kreuzungen eilten, wo sie die angreifenden Kiks von hinten überraschten.

Auf diese Weise gelangte ein Kreuzungspunkt nach dem anderen wieder unter die Kontrolle der Marines, die ausladendere Stellungen einrichteten, damit es den Bärkühen nicht noch einmal möglich war, sich auf einzelne Positionen zu konzentrieren.

Der Sturm auf die Stellungen der Marines kam hier und da ins Stocken, und diese Entwicklung setzte sich fort, bis alle Stellen betroffen waren, an denen die Kiks vorgestürmt waren. Als die Angriffe eingestellt wurden, entstand mit einem Mal das Gefühl, als würde der Gegner nur einmal kurz Luft schnappen und seine Kräfte sammeln, um den Kampf gleich darauf fortzusetzen. Bevor aber diese Verschnaufpause verstrichen war, gab Carabali neue Befehle, und ihre Marines verließen die Stellungen und sprengten Löcher in die Schotte, damit sie die von toten Bärkühen verstopften Korridore umgehen konnten.

»Zähe Mistkerle«, meinte ein Marine, als er an einer massiven Wand aus reglosen Kiks vorbeiging, deren Rüstungen von Treffern aufgerissen waren. Ihr Blut schwebte wie lilafarbene Quallen durch die Schwerelosigkeit des Raums.

»Ein Glück, dass es nicht noch mehr waren«, erwiderte ein Kamerad.

»Es sind aber noch mehr von der Sorte da«, herrschte der Sergeant sie an. »Also Waffen bereit halten, Klappe zu und Augen offen.«

Als die Marines tiefer in das Schiff vordrangen, trafen sie auf versprengte Gruppen von Kiks, die sich in einem aussichtslosen, verzweifelten Aufbegehren auf die Marines stürzten. Ihre Attacken endeten erst, wenn der letzte Kik tot war. Geary beobachtete, wie sich die Symbole der Marines-Einheiten wieder im feindlichen Schiff ausbreiteten und schließlich den Punkt überschritten, an dem sie zuletzt vor den Bärkühen hatten zurückweichen müssen.

»Was ist denn das?«, fragte ein Lieutenant, als ihre Einheit einen äußerst weitläufigen Bereich etwa in der Schiffsmitte betrat, dessen Decke mindestens sechs Meter hoch war. Der Boden dieses Abteils war mit Vegetation bewachsen, eine Getreidereihe nach der anderen, die in riesigen Containern wuchsen. An den Spitzen der zahlreichen Stiele einer jeder Pflanze hing schwere Saat oder Obst, vielleicht auch eine Mischung aus beidem.

»Nahrung und Sauerstoffversorgung in einem«, merkte ein Sergeant an und zog sich durch die Schwerelosigkeit nach unten, um eine lange Reihe von Containern genauer zu betrachten. »Mein Vater hat auf einer solchen Farm in einer versiegelten Stadt gearbeitet, bevor das Huldera-System aufgegeben werden musste. Wenn ich nicht völlig falsch liege, verwenden die Bärkühe hier zumindest einen Teil ihrer Abfälle als Dünger wieder. Ein Glück, dass diese Wannen verschlossen sind, sonst wäre das ganze Zeugs hier herumgeflogen, nachdem die Schwerkraft ausgefallen war.«

Aus dem Trupp des Sergeants waren angewiderte Laute zu vernehmen, und mit einem Mal achteten seine Leute viel stärker darauf, was sie anfassten und wo sie hintraten.

Andere Einheiten stießen auf ganz ähnliche Anlagen, dann kam von einem Zug eine Meldung, die Geary aufhorchen ließ. »Lieutenant, ich glaube, wir haben eine Kontrollstation entdeckt. Sie sieht aber für eine Hauptanlage nicht groß genug aus.«

»Woher wollen Sie das denn wissen, Winski?«

»Ich habe mal mitgeholfen, bei Welfrida ein Syndik-Schiff zu entern, daher weiß ich das. Das Schiff war erheblich kleiner als dieses Ding hier, und da war die Kontrollstation ein ganzes Stück größer als die hier.«

»Tanya«, sagte Geary. »Sehen Sie sich das mal an.« Er schickte das Bild ebenfalls zu Captain Smythe. »Was halten Sie davon?«

Desjani machte eine zweifelnde Miene. »Vielleicht eine sekundäre Kontrollstation. Das Ding ist auf jeden Fall nicht mal groß genug für ein Schiff von der Größe der Dauntless

Smythe stimmte ihr zwar zu, ergänzte aber noch etwas anderes dazu: »Es könnte aber sein, dass wir nur auf Dinge stoßen, die aussehen wie sekundäre Kontrollstationen. Ich habe mir die Deckpläne dieses Superschlachtschiffs angesehen, die durch die Aufnahmen der Marines immer weiter ergänzt werden, und ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass die Bärkühe es vermieden haben, mit ein oder zwei großen Energiequellen zu arbeiten, und dass sie stattdessen viele kleinere Quellen benutzen. Vielleicht diente so etwas als Reserve. Oder aber es ist bei einem Schiff von dieser Größe sinnvoll, die Energiequellen zu verteilen, anstatt alle Leitungen von ein oder zwei großen Quellen ausgehend durch das ganze Schiff zu führen.«

»Warum haben sie das Schiff nicht in die Luft gejagt?«, fragte Geary nicht zum ersten Mal.

»Vielleicht ist ihnen der Gedanke nie gekommen. Es kann sein, dass sie die Jäger auf ihrem Planeten besiegten, indem sie sich weigerten, ihre Bemühungen aufzugeben. Stattdessen haben sie bis zum letzten Atemzug und bis zum letzten Kik gekämpft, weil sie ihre Gegner töten wollten.« Smythe stutzte und verzog den Mund. »Als Sie mir die Bilder von diesem Kontrollraum gezeigt haben, da konnte ich einen Teil der Korridore auf dem Schiff erkennen. Wieso türmen sich da ihre Toten? Wieso kämpfen sie immer weiter? Sie sterben doch alle in einem hoffnungslosen Kampf.«

»Vermutlich dachten sie, sie sterben sowieso, und das sollte wohl nicht kampflos geschehen.« Geary hatte die Bärkühe nicht leiden können. Nein, er hatte sie gehasst, weil sie ihn zu den Kämpfen zuerst im Pandora-System und dann hier gezwungen hatten. Inzwischen brachte er ihnen einen widerstrebenden Respekt entgegen, was auch für Desjani galt. Jetzt konnte man leicht nachvollziehen, wie sie es geschafft hatten, ihre Heimatwelt zu überrennen und alle Konkurrenten aus dem Feld zu werfen.

Doch das war nur ein Grund mehr, warum man ihnen nicht erlauben durfte, dieser Flotte ins Gebiet der Allianz oder der Syndikatwelten zu folgen.

Die Marines breiteten sich weiter auf dem Superschlachtschiff aus, wobei sie in immer kleinere Einheiten zerfielen, die immer kleinere Widerstandsnester der Kiks aushoben. Die weigerten sich nach wie vor zu kapitulieren und kämpften bis zum Tod. Hin und wieder ergriff eine Gruppe Bärkühe die Flucht vor den Marines, doch kaum waren sie in einer Sackgasse gelandet, machten sie kehrt und stürmten auf ihre Verfolger los.

Die menschlichen Eindringlinge stießen auf gigantische Mannschaftsquartiere, die sich über weite Teile des Schiffs erstreckten und lediglich in regelmäßigen Abständen von luftdichten Schleusen unterbrochen wurden. Überall fanden sich Abteile, die der Nahrungsaufnahme dienten, was den Eindruck erweckte, dass die Bärkühe permanent damit beschäftigt waren zu grasen. Die Marines entdeckten Räume, die nur Krankenstationen darstellen konnten, doch da alle Geräte viel kleiner ausfielen, als es die Menschen gewohnt waren, wirkten diese Einrichtungen wie verstörende Spielzimmer für Kinder. Sie fanden Waffenkammern ohne Waffen, weitere Kontrollräume.

Dann endlich wurde ein Trupp fündig und entdeckte die Brücke des Superschlachtschiffs, ein Abteil, in dem sich hinter den Kommandoplätzen etliche Sitzreihen befanden, so als würden Dutzende Zuschauer dort regelmäßig irgendwelche Veranstaltungen besuchen.

»Das ist sehr eigenartig«, fand Desjani. »Welchen Zweck soll das haben?«

»Wenn ich das wüsste«, erwiderte Geary.

General Carabali meldete sich und erstattete wie immer todernst Bericht: »Der organisierte Widerstand an Bord des Schiffs hat aufgehört, Admiral. Aber ich kann noch nicht sagen, dass die Situation jetzt keine Risiken mehr birgt. Das weiß ich erst, wenn wir uns viel gründlicher umgesehen haben. Meine Marines auf dem Schiff werden in Gefechtsbereitschaft bleiben, und jegliches Flottenpersonal, das an Bord kommen möchte, muss von Marines begleitet werden.«

»Danke, General«, sagte Geary. »Verdammt gute Arbeit. Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Erfolg und ich spreche Ihnen mein Mitgefühl für Ihre Verluste aus.«

»Danke, Admiral.«

»Leben noch irgendwelche Bärkühe?«

»Die Kiks haben bis zum Tod gekämpft, und in den Fällen, in denen wir im Begriff waren, sie zu überwältigen, sind sie einfach gestorben. Bislang wissen wir nicht, ob sie irgendetwas bei sich tragen, das ihnen die Möglichkeit gibt, sich im Ernstfall das Leben zu nehmen, oder ob das Ganze eine psychologische Angelegenheit ist. Sie haben auch die Verletzten getötet, die bewusstlos waren, sobald die Gefahr bestand, dass wir sie gefangen nehmen könnten.«

»Die Vorfahren mögen uns beistehen!«

Carabali verzog den Mund. »Na ja, Admiral, stellen Sie sich doch mal vor, Sie wären eine Kuh und Sie wüssten, welches Schicksal eine Ihrer Mitkühe ereilen wird, wenn sie in Gefangenschaft gerät. Dann ergibt das Handeln der Kiks durchaus einen Sinn. Sie beschützen ihre Verwundeten vor einem Schicksal, das schlimmer ist als der Tod. Meine Marines suchen unter den Toten nach Kiks, die so schwer verletzt wurden, dass sie ohnmächtig sind, aber von den anderen irrtümlich nicht getötet wurden.«

Dann zögerte Carabali. »Wo wir gerade von toten Feinden reden… Admiral, nach jeder Schlacht stellt sich die Frage, was man mit den sterblichen Überresten des Gegners anfängt. Unsere Verfahrensweise während des Kriegs war sehr unterschiedlich, wie Sie wissen, auch wenn unsere Widersacher eigentlich Menschen wie wir waren. Aber seit Sie das Kommando übernommen haben, behandeln wir diese Überreste mit Würde und Respekt. Jetzt allerdings… Admiral, hier sind so viele Tote, dass ganze Korridore unpassierbar sind, außerdem treibt so außerordentlich viel Blut durch die Luft, dass wir es nicht wagen würden, die Ventilation einzuschalten, selbst wenn wir wüssten, wo der Schalter wäre. Was sollen wir mit ihnen machen?«

Wie konnten sie so viele tote Gegner angemessen beisetzen? Vor allem, da viele der Leichen in kleine Stücke zerrissen worden waren…

Aber sie mussten sie aus dem Schiff schaffen, sonst würde es in wenigen Tagen unmöglich werden, sich dort aufzuhalten.

»General, wir behandeln sie so gut, wie wir es können. Die Toten sollen in einen der Frachträume gebracht werden. Die medizinische Abteilung wird zweifellos ein paar Exemplare behalten wollen. Für den Rest gilt, dass jedes Mal ein Gottesdienst abgehalten wird, wenn der Frachtraum voll ist. Danach werden die Toten auf eine Flugbahn in Richtung des Sterns geschickt, und anschließend beginnen wir, das Dock von Neuem zu füllen.«

»Ja, Sir. Es wäre nützlich, wenn uns Matrosen dabei helfen könnten. Ich weiß, es ist keine angenehme Aufgabe, und es gilt etliche Tote wegzuschaffen.«

Geary warf einen Blick auf die Anzeigen zum Flottenstatus, während er bedächtig den Kopf schüttelte. »General, jeder verfügbare Matrose arbeitet quasi rund um die Uhr bei der Reparatur des eigenen oder eines anderen Schiffs mit. Oberste Priorität ist es, die Gefechtsbereitschaft so bald wie möglich wiederherzustellen.« Welche anderen Ressourcen standen sonst noch zur Verfügung?

Die Senioroffiziere aus dem Syndik-Arbeitslager auf Dunai.

Die Syndik-Bürger, die sie vor der Enigma-Rasse gerettet hatten. Viel war das nicht, aber immerhin etwas. »Ich werde bei unseren beiden Passagiergruppen anfragen, ob es freiwillige Meldungen gibt, und ich werde bei den Hilfsschiffen nachfragen, ob es dort womöglich irgendwelche Geräte gibt, die diese Aufgabe eigenständig erledigen können.«

Carabali machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung, dennoch nickte sie. »Ich verstehe. Momentan hat es niemand leicht. Aber ein paar Mann, die meinen Marines unter die Arme greifen könnten, wären schon eine große Hilfe.«

»Ich werde dafür sorgen, dass Sie die bekommen, General.«

Fast zwei Tage lang wurde das Schiff auf den Kopf gestellt. Die Marines setzten kleine Robotersonden ein, um auch die Bereiche zu erkunden, in die sie selbst nicht vordringen konnten. Dann erst wurde das Kik-Schiff von General Carabali offiziell für in Besitz genommen erklärt.

Lange vor Ablauf dieser Zeit waren Ingenieure, die eigentlich dringend benötigt wurden, um die Reparaturen auf Gearys Schiffen zu erledigen, von diesen Aufgaben abgezogen worden, um herauszufinden, wie die Kontrollen des Superschlachtschiffs funktionierten. Außerdem sollten sie dafür sorgen, dass keinerlei Gefahren mehr drohten.

Die Ingenieure der Hilfsschiffe hatten ein halbes Dutzend Dekontaminierungseinheiten zur Verfügung gestellt, mobile Geräte, die ein Schiff von allen Verseuchungen und Verunreinigungen befreien konnten. Sie saugten das Blut aus der Luft, wischten die Schotte, Decken und Böden sauber, sammelten das ein, was von den Ingenieuren als zufällige biologische Überreste bezeichnet wurde, und schafften in großen Stückzahlen die relativ unversehrt gebliebenen toten Bärkühe in den Frachtraum. Ihre Arbeit gewährte den erschöpften und schlecht gelaunten Marines eine Verschnaufpause. Offiziere des mittleren Dienstgrads der Flotte und der Marines wechselten sich im Frachtraum ab, wobei jeder von ihnen die Worte des standardmäßigen Gottesdienstes sprach, ehe die nächste Ladung toter Bärkühe ins All geschickt wurde, um ihre letzte Reise zum Stern dieses Systems anzutreten.

In der Masse der toten Bärkühe hatten die Marines sechs Überlebende entdeckt, die so schwer verletzt waren, dass sie nicht aus ihrer Bewusstlosigkeit geholt werden konnten. Alle sechs wurden in medizinische Quarantäne auf die Mistral gebracht, wo die Flottenärzte sich den Kopf darüber zerbrachen, wie sie sie am Leben erhalten sollten.

»Und was machen wir jetzt mit dem Ding?«, fragte Desjani am dritten Tag. Sie war genauso erschöpft und müde wie alle anderen auch. »Wir nehmen es mit, richtig?«

»Ja, das müssen wir.« Geary wusste, sie kannte die Antwort auf ihre Frage so gut wie er selbst.

»Und wie?«

Die Antwort darauf fiel deutlich schwieriger aus. »Ich werde Captain Smythe fragen.« Geary rieb sich die Augen und bemerkte, dass sein Verstand sich nach so vielen Tagen mit zu wenig Schlaf anfühlte, als wäre er in Watte gepackt worden. Es kostete einfach zu viel Zeit, alle Reparaturen und sonstigen Arbeiten zu überwachen. »An alle Einheiten: Hier spricht Admiral Geary. Morgen ist Ruhetag. Alle sollen sich erholen, ausruhen, schlafen, essen und neue Kraft schöpfen. Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«

Desjani schaute ihn ungläubig an. »Wir können uns keinen Ruhetag leisten.«

»Ich weiß, wir können das nicht. Aber es geht nicht anders. Wir gehen alle auf dem Zahnfleisch, wir sind vor Übermüdung wie benommen. Wir brauchen Ruhe, wir müssen uns erholen. Danach können wir wieder deutlich mehr leisten.«

Auch Captain Smythe hatte etwas gegen diesen Befehl einzuwenden. »Meine Ingenieure brauchen keinen Ruhetag, Admiral. Dadurch werden sie nur aus ihrem Rhythmus gerissen. Die können noch zwei oder drei Tage weitermachen, ohne eine Pause einlegen zu müssen.«

»Wollen Sie behaupten, Ihre Ingenieure befinden sich in bester Verfassung und werden das auch noch sein, wenn sie ohne Pause zwei oder drei Tage weiterarbeiten?«, fragte Geary ungläubig.

»Auf jeden Fall. Natürlich wird es häufiger zu Halluzinationen und widersprüchlichem Verhalten kommen, aber…«

»Sie sollen sich ausruhen, Captain Smythe. Das ist ein Befehl. Ich werde mich höchstpersönlich davon überzeugen, ob man sich an meine Anweisungen hält.«

Auch wenn Geary selbst vorhatte, am Morgen auszuschlafen, konnte er es sich nicht leisten, einen ganzen Tag lang nichts zu tun.

»Ich bitte um eine persönliche Besprechung«, sagte Captain Badaya, dessen Bild in Gearys Quartier stand.

Er wirkte so zurückhaltend, wie Geary ihn wohl noch nie erlebt hatte. »Gewährt. Setzen Sie sich, Captain.«

»Vielen Dank, Admiral.« Badaya nahm in seinem eigenen Quartier Platz und beugte sich vor, bis er sich mit den Ellbogen auf den Knien abstützen konnte. »Sie kennen ja bereits meinen förmlichen Bericht zum letzten Gefecht.«

»Ja. Sie haben sich darin nicht geschont.«

»Was ich auch verdient habe.« Er lehnte sich nach hinten. »Ich hab’s vermasselt. Ich konnte nicht damit rechnen, dass die Titan einen Teil ihres Antriebs verlieren würde. Und ich konnte auch nicht wissen, dass die Incredible einen Defekt an ihren Hauptantriebseinheiten genau in dem Moment erleiden würde, als die Schilde der Illustrious zusammenbrachen. Aber als das geschah, hätte ich besser und schneller reagieren sollen. Ohne Captain Geary wäre der größte Teil der mir unterstellten Schiffe vermutlich zerstört worden, und der Rest hätte schwerste Schäden davongetragen.«

»Die Entscheidung, die Captain Jane Geary getroffen hat, hätte eigentlich gar nicht so gut funktionieren dürfen, wie es der Fall gewesen ist«, machte Geary ihm klar.

»Trotzdem war es die richtige Entscheidung«, beharrte Badaya. »Ich war mit der Frage beschäftigt, wie ich meine gesamte Formation retten sollte, obwohl ich das gar nicht konnte. Aber sie hat erkannt, dass es notwendig war, ein Opfer zu bringen. Ich weiß, es ist nicht Ihre Art, Offiziere öffentlich zu demütigen, auch wenn sie es verdient hätten — und Sie und ich kennen beide einige von denen, die es verdient hätten. Aber ich wollte Ihnen sagen, ich werde nicht dagegen protestieren, wenn ein anderer Offizier das Kommando über eine Unterformation übernimmt, zu der auch mein Schlachtkreuzer gehört. Mir ist klar, dass jeder das als eine Degradierung ansehen wird, aber mir ist auch bewusst, dass ich in einer höheren Kommandoposition gescheitert bin. Vielleicht werde ich mit der Zeit einen Weg finden, mit solchen Situationen besser umzugehen. Wenn Sie es für angemessen halten, werde ich auch nicht widersprechen, wenn Sie das Kommando über die Sechste Schlachtkreuzerdivision an Captain Parr übertragen. Er ist nicht so erfahren wie ich, aber er ist ein guter Offizier.«

Geary musterte Badaya eine Weile, ehe er antwortete: »Es hätte besser laufen können, aber es hätte auch viel schlimmer kommen können.«

»Danke, Admiral.«

»Ich musste an den befehlshabenden Offizier auf meinem ersten Schiff denken«, redete Geary weiter. »Ich war noch ein frischgebackener Offizier, gerade mal einen Monat auf dem Schiff, als mir ein schwerer Fehler unterlief. Mein Abteilungsleiter hätte mir am liebsten den Kopf abgerissen, der XO brüllte mich an, dass mir fast die Trommelfelle platzten. Das ging den ganzen Morgen so. Dann wurde ich zum Captain gerufen.«

»Das muss aber ein wirklich schlimmer Fehler gewesen sein«, meinte Badaya.

»Allerdings. So schlimm, dass ich nicht darüber reden werde, was eigentlich passiert war. Aber mein Captain rief mich zu sich. Ich Junioroffizier zitterte am ganzen Leib, zumal man mich bereits stundenlang zur Schnecke gemacht hatte. In ruhigem Tonfall sagte er zu mir: ›Aus Fehlern lernen wir.‹ Nachdem ich ihn einen Moment lang ungläubig angestarrt hatte, fügte er in einem Tonfall hinzu, der so frostig war wie gefrorener Stickstoff: ›Machen Sie diesen Fehler nie wieder.‹ Und dann schickte er mich weg.«

Badaya lachte. »Das kann ich kaum glauben.«

»Was ich damit sagen will: Ich habe aus diesen zwei Sätzen mehr gelernt als aus all den Beschimpfungen und Vorhaltungen, die ich den Morgen über ertragen hatte. Dieser Captain war in der Lage, mich mit zwei Sätzen zur Schnecke zu machen und mir gleichzeitig zu vermitteln, dass er weiterhin sein Vertrauen in mich setzte. Danach habe ich ihn nie wieder enttäuscht. Ich wollte immer Gewissheit haben, dass ich ihn nicht noch mal enttäusche.« Geary lehnte sich zurück und strahlte absichtlich Gelassenheit aus. »Ja, Sie haben Mist gebaut, und das wissen Sie auch. Ich werde das bei zukünftigen Entscheidungen über den Befehlshaber einer Unterformation in Erwägung ziehen, und Sie wissen, ich muss das tun. Aber ich werde auch in Erwägung ziehen, was Sie richtig gemacht haben. Es wird keine Veränderungen beim Kommando über die Sechste Schlachtkreuzerdivision geben. Ich habe keine Probleme mit Captain Parr, der sich als guter Offizier bewährt hat, wie Sie selbst ja auch sagen. Aber Sie besitzen weiterhin mein Vertrauen als Befehlshaber dieser Division.«

Es dauerte gut eine halbe Minute, bis Badaya sich in der Lage sah, darauf zu antworten, und selbst dann war seine Stimme fast mehr ein Krächzen. »Sie sind tatsächlich er, wissen Sie? Ich habe Leute reden hören, dass niemand wirklich Black Jack sein kann, aber…«

»Ich habe auch genug Fehler gemacht«, unterbrach Geary ihn und hielt inne, als ihm deutlich wurde, dass er diesen Augenblick für andere Dinge zu seinen Gunsten nutzen konnte. »Vor allen Dingen auf den Gebieten, für die ich nicht ausgebildet bin. Captain Badaya, nur weil viele der Politiker, die die Allianz führen, keine gute Arbeit geleistet haben und nach wie vor nicht leisten, heißt das noch lange nicht, dass Sie oder ich das besser machen könnten.«

Badaya schaute ihn an, seine Augen verrieten, wie sein Verstand arbeitete. Schließlich sagte er: »Das ist ein gutes Argument. Haben Sie bei einer Schlacht jemals das Gefühl, dass das alles zu viel für Sie ist, Admiral? Dass zu viele Dinge gleichzeitig geschehen und Sie nicht wissen, wie Sie sich entscheiden sollen?«

»Aber natürlich.«

»Als Sie gerade eben von den Politikern sprachen, da habe ich versucht, mir vorzustellen, wie ich in einer Krisensituation politische Entscheidungen treffe. Dabei ist mir schnell deutlich geworden, wie leicht man dabei das Gefühl bekommen kann, dass alles zu viel für einen ist.« Er ließ eine kurze Pause folgen. »Deshalb überlassen Sie ihnen immer noch in den meisten Punkten die Entscheidungen, nicht wahr?«

»Ja, richtig.« Es war eine teilweise Lüge, bei der Geary sich innerlich verkrampfte. Badaya war der Ansicht, dass Geary hinter den Kulissen der Regierung sagte, was sie zu tun und zu lassen hatte. Es war notwendig gewesen, diesen Eindruck entstehen zu lassen, weil sich nur so ein Staatsstreich in Gearys Namen, wenn auch ohne seine Zustimmung, hatte verhindern lassen. Trotzdem suchte Geary nach einem Ausweg aus diesem Täuschungsmanöver, gleich nachdem er sich darauf hatte einlassen müssen. »So schlecht sie ihre Arbeit auch erledigen mögen, jedenfalls gilt das für die meisten von ihnen, können sie das immer noch besser als ich. Es gibt einige, die sind schlichtweg verheerend, aber es sind auch einige Gute darunter. Das Wichtigste dabei ist, dass sie ihre Macht aus der Tatsache ableiten, von den Menschen der Allianz gewählt worden zu sein.«

Badaya sah Geary eindringlich an. »Die Menschen der Allianz würden Sie wählen, wenn Sie sie öffentlich fragen würden.«

»Ich weiß.« Das war jetzt die ungeschminkte Wahrheit. »Und das macht mir eine Höllenangst.«

»Das kann ich nur zu gut verstehen.« Badaya stand auf und salutierte. »Vielen Dank, Sir.«

Sein Komm meldete sich in dem Moment, in dem Badayas Bild verschwunden war.

»Was wollte er?«, fragte Desjani.

»Er hat sich entschuldigt.«

»Entschuldigt? Badaya? Der sonst fröhlich drauflosredet? Verdammt.« Desjani hatte Badayas oftmals peinliche Bemerkungen über sie und Geary nie gut aufgenommen. »Sie können tatsächlich Wunder wirken, wie?«

»Sehr witzig. Ruhen Sie sich aus?«

»Ob ich mich ausruhe? Oh ja, Sir. Ich ruhe mich so unglaublich aus, dass ich sogar im Schlaf schlafe.«

»Tanya, Sie sollen ein gutes Beispiel für Ihre Besatzung abgeben.«

Sie reagierte mit einem steifen, aber korrekten Salut. »Ja, Admiral. Ich höre und gehorche.«

Nachdem Captain Badaya und Captain Desjani sich zurückgezogen hatten, rieb sich Geary die Augen und dachte daran, ein wenig zu schlafen…

In diesem Moment schallte eine Serie von Klingeltönen aus dem Lautsprechersystem des Schiffs, gefolgt von einer Stimme, die verkündete: »Admiral der Allianz-Flotte trifft ein.«

Ein Admiral? In diesem Sternensystem gab es nur eine Möglichkeit, wo auf einmal ein Admiral der Allianz-Flotte herkommen konnte, nämlich von der Mistral oder der Typhoon, wo die befreiten Kriegsgefangenen untergebracht waren. Aber von keinem der Schiffe sollte ein Admiral zur Dauntless unterwegs sein.

Geary griff eben nach der Komm-Einheit, da erwachte die bereits von selbst zum Leben. Wieder sah er Desjani, die ihm meldete. »Admiral Lagemann ist mit einem Shuttle eingetroffen und bittet um ein Treffen mit Ihnen, Admiral.«

»Admiral Lagemann?« Seine plötzliche Anspannung ließ gleich wieder nach. Ein persönlicher Besuch war ungewöhnlich, aber kein Grund argwöhnisch zu werden. Schließlich pendelten momentan unzählige Shuttles zwischen den Schiffen hin und her. »Natürlich. Schicken Sie ihn in mein Quartier.«

Der Admiral benötigte nur fünf Minuten, um Gearys Quartier zu erreichen. Als er eintrat, nickte er zum Gruß. Es war das erste Mal, dass Geary dem Mann persönlich gegenüberstand. »Es stand ein Shuttleflug von der Mistral zur Dauntless an, da dachte ich mir, diese Gelegenheit nutze ich, um Ihnen einen Besuch abzustatten. Ich bin Ihnen schließlich einen Bericht schuldig, Admiral Geary.«

»Ein Bericht?« Geary konnte sich nicht erinnern, um was es ging, da sein Kopf mit so vielen Dingen vollgestopft war, mit denen er sich seit dem Ende der Schlacht und der Einnahme des Superschlachtschiffs befassen musste. »Es freut mich, Sie endlich persönlich kennenzulernen. Nehmen Sie doch Platz.«

»Danke.« Lagemann setzte sich hin, sah sich kurz in Gearys Quartier um und lächelte flüchtig. »Nichts Luxuriöses, aber wenigstens ein Zuhause, nicht wahr?«

»So kann man es auch ausdrücken.« Ein anderes Zuhause als dieses hier gab es nicht. Da war seine Heimatwelt Glenlyon, auf der der Kult um Black Jack die wildesten Blüten trieb. Der Gedanke, dorthin zurückzukehren, auf eine Welt voller vertrauter Orte, aber ohne auch nur ein einziges vertrautes Gesicht… jeder Mensch, den er dort gekannt hatte, war im Verlauf der letzten hundert Jahre gestorben. Und dann war es eine Welt, auf der man ihn wie einen Superhelden verehrte — das war eine noch erschreckendere Aussicht als jede Schlacht, die noch vor ihm liegen mochte.

»So ähnlich sah es auf meinem letzten Flaggschiff auch aus.« Admiral Lagemann setzte eine ironische Miene auf. »Ebenfalls ein Schlachtkreuzer. Die Invincible

»Die Invincible? Ich frage mich, wie viele Schiffe mit dem Namen es in der Zwischenzeit wohl gegeben hat«, sagte Geary.

»Vermutlich ein Dutzend. Ich war lange genug in Syndik-Gefangenschaft, und jeder weiß, wie lange eine Invincible durchhält. Ich weiß nicht, wieso ich so dumm war, ausgerechnet eine von ihnen zu meinem Flaggschiff zu machen. Darf ich?« Lagemann griff nach der Displaykontrolle und aktivierte ein Bild der Gebiete, die die Flotte durchflogen hatte. »Sie hatten uns um eine Einschätzung gebeten, was die Enigmas unserer Meinung nach vorhaben dürften.«

Und gleich darauf hatte er das vollkommen vergessen. Ein Glück, dass er daran gedacht hatte, diese Aufgabe zu delegieren. »Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen?«

»Ein Hinterhalt.« Lagemann grinste ihn schief an. »Keine große Überraschung, nicht wahr?« Er hob einen Stern hervor. »Von dort sind wir nach Pandora gesprungen. Die Enigmas waren dort mit einer recht großen Streitmacht hinter uns her, aber sie sind uns nicht nach Pandora gefolgt. Zweifellos wussten sie, was uns dort erwartet. Da sie also darüber auf dem Laufenden waren, über welche Verteidigungseinrichtungen die Bärkühe verfügen, hatten sie allen Grund zu der Annahme, dass wir nur minimale Chancen hatten, Pandora unversehrt wieder verlassen zu können.«

»Das war keine Situation, in der ich mich noch einmal wiederfinden möchte«, kommentierte Geary.

»Würden wir uns also zurück zum Stern der Enigma-Rasse kämpfen, um auf dem Weg heimzukehren, auf dem wir hergekommen sind, dann könnten sie dort die Überreste unserer Flotte mühelos aufreiben. Das wäre eine logische Schlussfolgerung, die die Enigmas ziehen könnten. Sie müssten nur eine genügend große Streitmacht zurücklassen, die es mit allem aufnehmen kann, was es zurück in ihr System schafft. Allerdings würden sie damit nicht verhindern, dass die Menschheit irgendwann eine weitere Flotte losschickt, die ebenfalls ihr Territorium durchquert.«

Lagemann verschob die Darstellung, bis die von Menschen besiedelten Gebiete zu sehen waren. »Nein, wenn sie sicherstellen wollen, dass nicht noch mehr Menschen bei ihnen aufkreuzen, müssen sie die Eingangstür zu ihrem Gebiet verriegeln.«

»Pele?«, fragte Geary. »Da gibt es doch überhaupt nichts.«

»Nein. Aber damit wir nach Pele gelangen konnten, mussten wir…«

»…Midway passieren«, sagte Geary und betrachtete erschrocken das Display. »Die Enigmas werden versuchen, uns die Möglichkeit zu nehmen, dass wir Midway als Zugang zu ihrem Territorium benutzen.«

»Das ist unsere Einschätzung der Lage. Sie könnten zumindest dort hinfliegen und das Hypernet-Portal kollabieren lassen. Sind Sie sicher, dass die Syndiks ihre Portale mit den entsprechenden Sicherungen versehen haben, die verhindern, dass ein Zusammenbruch das gesamte Sternensystem verwüstet?«

»Davon bin ich überzeugt. Als wir das letzte Mal das Portal bei Midway gesehen haben, konnten wir am Hypernet-Portal die Vorrichtung entdecken, die einen katastrophalen Kollaps verhindert.«

Lagemann biss sich auf die Lippe und schaute finster drein. »Das war ein schwerer Schlag für mich, als ich in den Aufzeichnungen sah, wie viel Schaden ein kollabierendes Hypernet-Portal anrichten kann. Eine Explosion von der Gewalt einer Nova! Und wir haben die verdammten Dinger in all unseren wichtigen Sternensystemen installiert!«

»Genau das wollten die Enigmas ja auch erreichen, als sie uns diese Technologie unterschoben«, sagte Geary. »Die Allianz und die Syndikatwelten sollten gigantische Bomben in ihren Systemen platzieren. Eine von beiden Seiten musste früher oder später feststellen, dass sich die Portale auch als Waffen nutzen lassen, und dann wären sie dazu benutzt worden, die Menschheit massiv zu dezimieren oder sogar komplett auszulöschen. Und falls wir Menschen zu intelligent sind oder aus moralischen Gründen davor zurückschrecken, unsere Spezies zu vernichten, könnten die Enigmas die Portale so zum Einsatz bringen.«

»Ich hätte sicher nicht darauf gewettet, dass wir zu intelligent für so etwas sind«, meinte Lagemann. »Auf jeden Fall ist der Plan gescheitert. Nun müssen die Enigmas uns System für System stoppen, und das gelingt ihnen am besten, wenn sie Midway als das System auslöschen, von dem aus wir in ihr Territorium vordringen können. Eine Streitmacht mit genau dieser Aufgabe könnte in dem Moment entsandt worden sein, als wir den Sprung nach Pandora unternahmen.«

Midway konnte einem massiven Angriff der Enigmas nichts entgegensetzen. Falls die Behörden dort noch der Regierung der Syndikatwelten unterstanden, verfügten sie nur noch über eine kleine Flotte aus Kreuzern und Jägern, die das System beschützen sollten. Mit der Entsendung einer Reserve war auch nicht zu rechnen, da die mobilen Streitkräfte der Syndikatwelten in den letzten Phasen des Krieges von Geary zerschlagen worden waren. Die Überreste hatten alle Hände voll damit zu tun, im Auftrag ihrer Regierung so viele Sternensysteme wie möglich davon abzuhalten, sich von der Führung loszusagen.

Das Einzige, was Midway noch aufzubieten hatte, war Admiral Gearys Versprechen, sie gegen die Enigma-Rasse zu verteidigen.

Doch er befand sich jetzt auf der anderen Seite des Territoriums der Enigmas und der Bärkühe, und damit war er sehr weit von Midway entfernt.

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