Siebzehn

»Was?« Desjani starrte ihn ungläubig an.

»Sie werden uns rammen«, wiederholte Geary, der von dieser Einschätzung völlig überzeugt war. »Wenn sie vierzehn von ihren Kriegsschiffen den Befehl geben, je einen unserer Schlachtkreuzer zu rammen, dann schalten sie den Kern unserer Flotte aus und nehmen uns gleich beim ersten Aufeinandertreffen einen Großteil unserer Feuerkraft. Die restlichen Enigma-Schiffe hätten dann nicht mehr viel Arbeit mit unseren überlebenden Leichten Kreuzern und Zerstörern, und gleich danach erledigen sie die Syndiks, ehe sie auf dem Weg aus dem System auch noch das Hypernet-Portal zusammenbrechen lassen. Ich gehe jede Wette ein, dass sie genau das beabsichtigen.«

Sie ließ ihren Blick hastig über das Display wandern, dann knurrte sie förmlich: »Ja, Sie haben recht. Aus deren Sicht wäre das tatsächlich denkbar. Wir haben gesehen, wie sie diesen Asteroid gerammt haben. Und wir wissen, sie sind bereit, aus allen möglichen Gründen die eigenen Leute zu opfern. Wenn wir schnurstracks auf sie zufliegen, stehen die Chancen für sie gut, unsere Schiffe zu streifen, und bei diesen Geschwindigkeiten genügt das ja bereits. Aber woher wissen wir, dass sie das wirklich vorhaben? Wenn wir einfach ausweichen, versäumen wir jede Gelegenheit, auf sie zu feuern.«

»Wir warten ab, ob sie langsamer werden«, erklärte Geary. »Wenn sie nicht abbremsen, was sie genau wie wir machen müssen, wenn sie im Vorbeiflug irgendetwas treffen wollen, dann wissen wir, dass sie es auf eine andere Art von Treffer abgesehen haben.«

»Bei diesen Geschwindigkeiten ist es selbst mit einer Waffe von der Größe eines Raumschiffs schwierig, ins Schwarze zu treffen«, murmelte Desjani, die ein paar Simulationen durchspielte. »Hmm, wenn sie zwei Schiffe auf jeden von unseren Schlachtkreuzern ansetzen, stehen ihre Chancen gleich viel besser. Oh, verdammt. Deshalb hatten sie auch diese Position eingenommen, damit wir geradewegs auf sie zufliegen. Das erhöht ihre Chancen, mit einer Kollisionstaktik unsere Schiffe auszuschalten.«

Eine Stunde konnte eine lange Zeit sein. Wenn eine massive feindliche Streitmacht geradewegs auf einen zuhielt und möglicherweise die Absicht hegte, die größten Schiffe in der eigenen Formation auf die zuverlässigste und zugleich abscheulichste Weise außer Gefecht zu setzen, dann kam einem eine Stunde verdammt kurz vor, da einem kaum Zeit blieb, sich eine wirkungsvolle Gegenmaßnahme zu überlegen. Nachdem Geary einige frustrierend lange Minuten damit zugebracht hatte, über eine Lösung nachzudenken, und noch immer keinen Ton gesagt hatte, wandte sich Desjani zu ihm um.

»Und? Werden Sie mir Ihren genialen Plan zur Lösung unseres Problems verraten?«

»Ja, sobald mir einer eingefallen ist«, grummelte Geary.

Was sie dann sagte, verblüffte ihn.

»Wissen Sie, Admiral, wir müssen sie bei diesem Vorbeiflug nicht so hart treffen. Wir müssen sie sogar überhaupt nicht treffen.«

Geary drehte den Kopf zu ihr um. »Fühlen Sie sich nicht wohl, Tanya?«

»Mir geht’s gut. Vielleicht bin ich zu lange irgendwelchen taktischen Überlegungen ausgesetzt gewesen, aber ansonsten ist alles bestens.« Sie zeigte auf ihr Display. »Als wir in dieses System kamen, da nahmen wir an, wir müssten die Enigmas so heftig und so schnell wie möglich treffen, weil wir dachten, sie sind hier, um das ganze System zu verwüsten. Aber das machen die Enigmas nicht, weil alles intakt bleiben soll. Damit zwingen sie uns, hierzubleiben und gegen sie zu kämpfen. Mir ist klar geworden, dass wir noch immer annehmen, wir müssten sie so heftig und so schnell wie möglich treffen, obwohl wir eine ganz andere Situation als die erwartete angetroffen haben. Sie kommen zu uns, und wir sind weit von allem entfernt, was die Enigmas unter Beschuss nehmen könnten. Bei der Geschwindigkeit, mit der wir jetzt unterwegs sind, wird der große Rest unserer Flotte eintreffen, kurz bevor die Enigmas unsere Formation durchflogen haben. Die Ankunft werden sie aber erst anschließend sehen können, sodass sie sich auf einmal zwischen zwei Formationen wiederfinden. Dann können wir uns richtig auf sie stürzen.«

Geary hätte sich ohrfeigen können. »Das stimmt. Ich hatte immer noch im Hinterkopf, dass wir uns beeilen müssen, aber jetzt sind wir im Vorteil. Wir müssen diesmal keinen hochriskanten Vorbeiflug und Beschuss riskieren. Captain Desjani, habe ich Ihnen schon mal gesagt, wie wertvoll Sie für mich sind?«

»Ja, aber nicht oft genug.«

»Ich werde versuchen, das zu ändern.« Jetzt konnte er die Situation mit anderen Augen betrachten. »Was glauben Sie, wie die Enigmas die Kollisionen herbeiführen wollen, obwohl diese Flotte den Ruf hat, in letzter Minute ein Manöver zu vollziehen, bei dem wir unser Feuer nur auf einen Teil der feindlichen Formation konzentrieren? Wie sollen sie wissen, auf welchen Kurs sie ihre Selbstmordschiffe zu schicken haben?«

»Das ist ziemlich leicht«, antwortete sie fast überheblich. Auf ihrem Display leuchteten Darstellungen von Gearys Flotte und der Enigma-Streitmacht auf, die aufeinanderzurasten. »Die haben uns kämpfen sehen und wissen, dass Sie wahrscheinlich in letzter Sekunde den Kurs ändern werden, um einen Teil ihrer Formation unter massiven Beschuss zu nehmen. Um das tun zu können, müssen wir in eine gewisse Reichweite zu ihnen gelangen, ohne Rücksicht darauf, in welche Richtung wir ausweichen wollen.« Sie gab weitere Daten ein, woraufhin ein abgeflachter Kegel angezeigt wurde, der die feindliche Formation umschloss und die Richtungen angab, in die sie ein Ausweichmanöver in letzter Sekunde bringen würde. »Wir wären dann irgendwo in diesem Kegel. Wenn ich für die Enigmas kämpfen würde, dann würde ich genau darauf achten, wann ein Zucken durch unsere Formation geht. Sobald es dazu gekommen ist, sehe ich, in welche Richtung der neue Vektor weist, und damit weiß ich dann auch, auf welchen Punkt in diesem Kegel wir zielen müssen. Beispielsweise so…«

Desjani gab eine Zahl ein, dann wurde der Kegel durch einen einzelnen Vektor ersetzt. »Sehen Sie? Ganz einfach. Sofern man gut genug manövrieren kann, um den eigenen Vektor so schnell zu ändern, dass man die gegnerische Flotte auch dann noch erwischt, wenn sie längst den Kurs geändert hat. Von Menschen gebaute Schiffe sind zu so etwas nicht in der Lage, von Enigmas gebaute Schiffe dagegen schon.«

»Und wenn ich nicht ausweiche, mache ich es ihnen nur noch leichter«, hielt Geary dagegen. »Ich kann nur froh sein, dass Sie nicht die Enigmas befehligen.«

»Da haben Sie verdammt recht. Also? Was werden Sie nun machen?«

»Ihren Kegel benutzen. Wie viel stärker müssen wir von unserem Kurs abweichen, um die Enigmas zu treffen, die auf uns schießen wollen, und können trotzdem davor sicher sein, irgendwo innerhalb des Kegels abgefangen zu werden?«

»Das hängt davon ab, in welche Richtung Sie ausweichen wollen.« Abwartend zog sie eine Augenbraue hoch. »Üblicherweise entscheiden Sie sich für die rechte obere Ecke.«

»Das haben Sie mir schon erzählt.« Er hielt inne und überlegte. »Machen wir es ihnen doch etwas einfacher. Wir gehen nach rechts oben. Aber viel weiter nach oben als üblich.«

»Es könnte aber sein, dass wir dann bei der Begegnung mit ihnen überhaupt keinen Treffer landen«, warnte Desjani.

»Die Befehlshaberin eines gewissen Schlachtkreuzers hat mir vor gar nicht so langer Zeit erklärt, dass wir uns das leisten können«, erwiderte Geary.

Rione meldete sich wieder zu Wort. »Admiral, die Spinnenwölfe sind im System eingetroffen.«

»Gut.«

»Wie halten wir die Enigmas davon ab, sie zu zerstören?«

Das machte die Sache zusätzlich komplizierter.

Als würde sie Gearys Überlegungen laut aussprechen, sagte Desjani: »Wenigstens müssen wir uns um die Spinnenwölfe keine Sorgen machen. Die sind zwar nicht ganz so schnell wie die Enigmas, dafür scheinen sie aber noch etwas besser manövrieren zu können. Sofern sie sich nicht auf einen Kampf einlassen wollen, sollten sie in der Lage sein, jedem Versuch der Enigmas aus dem Weg zu gehen, sie in die Kampfhandlungen einzubeziehen.«

Geary nickte und sah zu Rione. »Genau meine Meinung.«

»Vielen Dank… Admiral.« Sie schaute nach vorn auf sein Display. »Wie ich gehört habe, gab es hier einige politische Veränderungen.«

»So sieht es aus, allerdings kennen wir noch nicht das genaue Ausmaß. Sie können gern mit Lieutenant Iger darüber reden. Seine Leute versuchen derzeit, diese Veränderungen zu analysieren.«

Rione verstand, dass sie soeben eine Abfuhr erteilt bekommen hatte. »Gut, dann lasse ich Sie jetzt wieder in Ruhe, damit Sie sich auf Ihr Gefecht konzentrieren können, Admiral.«

»Halbe Stunde bis zum Kontakt«, meldete Lieutenant Castries.

»Dann wollen wir mal so abbremsen, als wollten wir uns mit ihnen einen Schlagabtausch liefern«, sagte Geary. »An alle Einheiten der Verfolgerformation: Bei Zeit eins fünf Geschwindigkeit reduzieren auf 0,1 Licht.«

Einige Minuten später drehten sich die Dauntless und die anderen Schiffe um ihre eigene Achse, sodass die Antriebseinheiten nach vorn wiesen. Dann begann das angeordnete Bremsmanöver. Als die erforderliche Geschwindigkeit erreicht war und die Kriegsschiffe abermals eine halbe Drehung beschrieben hatten, verblieben bis zum Kontakt nur noch fünf Minuten.

Geary warf einen prüfenden Blick auf alles, was sein Display anzeigte, weil er sichergehen wollte, dass er durch seine Konzentration auf die Enigmas keine wichtigen Entwicklungen an anderer Stelle im Sternensystem übersehen hatte. Die Spinnenwölfe hatten nach oben beschleunigt, wohl um in einen Orbit zu schwenken, der nicht genau durch die beiden Streitmächte hindurch verlief. Der Rest von Gearys Flotte musste vor wenigen Minuten den Sprungraum verlassen haben, aber das Licht dieser Ankunft hatte sie noch nicht erreicht. Die Syndiks und Rebellen hier im System würden innerhalb der nächsten Stunde Gearys Verfolgergruppe zu sehen bekommen, doch von den drei anwesenden Flotten hatte bislang keine das Eintreffen der Allianz-Kriegsschiffe bemerkt oder den bisherigen Vektor geändert.

»Die Enigmas haben noch nicht abgebremst«, sagte Desjani.

»Captain?«, warf Lieutenant Yuon ein. »Unsere kombinierte Geschwindigkeit wird 0,26 Licht betragen. Die Treffgenauigkeit der Gefechtssysteme wird erheblich eingeschränkt sein. Ich empfehle, die Geschwindigkeit zu reduzieren.«

»Vielen Dank, Lieutenant, aber diesmal nicht.«

Geary nickte, und als er sich sicher war, wie er wann vorgehen wollte, aktivierte er sein Komm. »An alle Einheiten: Bei Zeit vier vier drehen Sie sieben Grad nach Steuerbord und sechs Grad nach oben. Feuern Sie auf alle Enigma-Einheiten, die in Waffenreichweite kommen.« Er hatte den Captains der Schlachtkreuzer bereits Bescheid gegeben, dass sie auf der Hut sein sollten, um nicht von den Enigmas gerammt zu werden. Also ging es jetzt nur noch darum, der Physik ihren Lauf zu lassen.

Um genau vierundvierzig Minuten nach der vollen Stunde schwenkte die Allianz-Formation nach oben und in Richtung Stern, wodurch sich der Abstand zur Enigma-Streitmacht drastisch vergrößerte, woran sich nur etwas ändern würde, wenn die ebenfalls eine Kursänderung vornahm. Geary beobachtete die Enigmas und sah, wie die feindlichen Schiffe in den letzten Sekunden vor dem Kontakt einen Satz auf die Allianz-Flotte zuzumachen schienen. Für einen Moment bekam er es mit der Angst zu tun, obwohl sein Instinkt ihm sagte, dass die Enigmas sie verfehlen würden, selbst wenn sie jetzt noch den Kurs änderten.

Einen Augenblick später, der zu kurz ausfiel, um von den menschlichen Sinnen noch wahrgenommen zu werden, waren beide Flotten aneinander vorbeigeflogen, die Distanz zwischen ihnen wurde rasch wieder größer. »An alle Einheiten: Sofort ausführen! Drehen Sie acht fünf Grad nach oben und null acht Grad nach Backbord.« Kaum hatte er ausgesprochen, warf er einen flüchtigen Blick auf das Display, das den Flottenstatus anzeigte. »Keine Treffer.«

»Weder bei uns noch bei ihnen«, bestätigte Desjani. »So wie wir es auch erwartet haben. Sehen Sie die Schiffe da?« Sie zeigte auf ihr Display, wo die Flugbahnen von mehr als einem Dutzend Enigma-Schiffen einen wilden Schlenker nach oben machten, weil sie versucht hatten, die ausweichende Allianz-Flotte doch noch irgendwie zu erreichen. Danach waren sie auf ihren alten Kurs zurückgekehrt. »Die hätten uns gerammt, wenn wir auf unserem Kurs geblieben wären. Sie haben sie durchschaut, Admiral.«

»Wir haben sie durchschaut«, korrigierte Geary sie. Auf seinem Display leuchtete eine Reihe von Symbolen auf, die die Ankunft der restlichen Flotte im System anzeigten, deren Licht sie nun endlich erreicht hatte. Auf den ersten Blick — solange man sich also nicht mit der Auflistung der Schäden der einzelnen Schlachtschiffe befasste — machte dieser größere Teil von Gearys Flotte einen bedrohlichen Eindruck, vor allem mit der gewaltigen Invincible in der Mitte der Formation. Die Menschen hatten nie ein solch riesiges Kriegsschiff gebaut, und nun besaß die Allianz dennoch eins.

Die Verfolgergruppe flog weiter aufwärts und beschrieb dabei einen riesigen Bogen, der sie zurück zum Sprungpunkt führte, auf den momentan die Enigmas zuhielten. Obwohl sie die andere Hälfte der Flotte auch gesehen haben mussten, jagten sie ihre Schiffe steil aufwärts.

»Sie… sie nehmen Kurs auf die Spinnenwölfe«, rief Lieutenant Castries.

»Tatsächlich«, bestätigte Desjani. »Augen auf, meine Damen und Herren. Ich glaube, die Spinnenwölfe werden jetzt einmal demonstrieren, wie Ausweichmanöver auszusehen haben.«

Kurz bevor seine Formation den höchsten Punkt des Bogens erreicht hatte, gab Geary einen neuen Kurs aus, der seine Schiffe auf eine Flugbahn gehen ließ, auf der sie die Enigmas abfangen konnten, die weiter auf die Spinnenwölfe zuhielten. Er wusste noch nicht, wie er den langsameren und nach wie vor weit entfernten Rest seiner Flotte ins Geschehen eingreifen lassen sollte. »Captain Armus, dringen Sie weiter ins System vor und lenken Sie Ihre Flotte nach eigenem Ermessen.«

»Hoppla!«, rief Lieutenant Yuon erschrocken, als sich die Spinnenwolf-Formation in ihre sechs Schiffe aufteilte, die umeinander kreisend einen Tanz vollzogen, der sie auf einer spiralförmigen Flugbahn noch höher über die Ebene des Sternensystems brachte. »Was machen die da, Captain?«

»Die lenken die bösen Jungs ab«, erwiderte Desjani mit einem amüsierten Grinsen auf den Lippen.

Geary nickte und verspürte die gleiche Genugtuung. Die Spinnenwölfe wollten sich zwar nicht am Kampf gegen die Enigmas beteiligen, aber offenbar hatten sie kein Problem damit, den Feind in eine Falle zu locken. »An alle Einheiten: Feuern Sie nach eigenem Ermessen.«

Die vom Anblick der herumwirbelnden Spinnenwolf-Schiffe offenbar völlig faszinierten Enigmas mussten im gleichen Moment den Alarm ihrer Gefechtssysteme gehört haben, die sie davor warnten, dass sich hinter ihnen die Verfolgergruppe in hohem Tempo von schräg oben näherte. Die Enigma-Schiffe versuchten, in alle Richtungen davonzufliegen, doch für dieses Manöver war es bereits zu spät, da sich die Verfolger der Allianz durch das untere Viertel der Enigma-Formation fraßen.

Geary spürte, wie die Dauntless von ein paar Treffern leicht durchgeschüttelt wurde, als sie die Enigmas längst hinter sich gelassen hatten. Er nahm sich die Zeit, um sich anzusehen, wie die Enigmas nun reagieren würden. Dabei beobachtete er, dass der Enigma-Befehlshaber die Verfolgung der Spinnenwölfe aufgegeben hatte und seine Formation nach Steuerbord drehen ließ. Gleich darauf ließ er sie jedoch nach Backbord zurückkehren. Hinter seiner Flotte trudelten beschädigte und zerstörte Schiffe in alle Richtungen davon.

»Wo zum Teufel will er hin?«, wunderte sich Desjani.

»Zum Rest der Flotte«, sagte Geary. »Sie haben die Invincible entdeckt.«

»Das Ding zieht wirklich jede Bedrohung an.«

»Dafür wird es aber auch von ein paar unangenehmen Stacheln geschützt«, gab er zurück, dann ließ er seine Flotte ebenfalls nach Backbord beidrehen und Kurs auf die Spitze der Enigma-Formation nehmen, die an der Verfolgergruppe vorbeizurasen versuchte, um den Rest der Flotte zu erreichen.

Dieses Manöver gab Geary etwas Zeit, sich mit den Ergebnissen der letzten Konfrontation auseinanderzusetzen. Zunächst nahm er sich die Enigma-Verluste vor und sah, dass sie einunddreißig Schiffe kampfunfähig geschossen hatten. Seine eigene Formation war nicht völlig verschont worden, doch da sie bei der Attacke im Vorteil gewesen waren, waren nur zwei Leichte Kreuzer und vier Zerstörer ausgeschaltet worden, von denen lediglich die Musket als Totalverlust bezeichnet werden musste.

Aber auch wenn seine Schiffe relativ wenig Treffer abbekommen hatten, wurde die Liste der Systemausfälle auf Gearys Display länger und länger. Höllenspeerbatterien auf den einen Schiffen, die Feuerkontrolle auf anderen, hier und da Teile der Schutzschilde. Ein Leichter Kreuzer mühte sich ab, in die Formation zurückzukehren, da er den letzten Befehl wohl nicht empfangen hatte. Da von ihm auch keine aktuellen Statusmeldungen eingingen, war davon auszugehen, dass auf der Strike wahrscheinlich das Komm-System ausgefallen war.

»Wenn die auf die Invincible zielen…«, begann Desjani.

»Dann wird ihr nicht mal die dicke Panzerung helfen. Ich weiß.« Geary nahm mit verschiedenen Schiffen gleichzeitig Kontakt auf. »Captain Armus und die befehlshabenden Offiziere der Dreadnaught, Orion, Dependable, Conqueror, Relentless, Reprisal, Superb und Splendid. Wir gehen davon aus, dass die Enigmas unsere großen Schiffe rammen wollen und dass sie es beim Angriff auf Ihre Formation vor allem auf die Invincible abgesehen haben dürften. Achten Sie auf Enigma-Schiffe, die auf Kollisionskurs zu Ihnen oder der Invincible gehen, und sorgen Sie dafür, dass weder die Schiffe noch irgendwelche großen Trümmerteile durchkommen. Captain Armus, ergreifen Sie alle notwendigen Maßnahmen, um die Rammtaktik der Enigmas nach Kräften zu vereiteln. Und stellen Sie sicher, dass jeder in Ihrer Formation Ausschau hält nach Enigma-Schiffen, die Schlachtschiffe, Hilfsschiffe und Sturmtransporter rammen könnten.«

Die Enigmas beschleunigten wieder und versuchten, schneller jenen Punkt hinter sich zu bringen, an dem die Verfolgergruppe auf ihre Formation treffen würde. Geary sah mit an, wie dieser Punkt durch die Aktion des Gegners immer weiter nach vorn verlagert wurde, sodass er sich zu fragen begann, ob es den Enigmas wohl gelingen würde, ein Zusammentreffen vollständig zu verhindern.

»An alle Einheiten: Feuern Sie von hinten auf sie, sobald wir sie erreicht haben. Achten Sie auf Minen, die die Enigmas hinter sich zurücklassen könnten.« Minen auf diese Weise einzusetzen, wäre zwar mehr eine Verzweiflungstat, aber mit etwas Glück würde es den Enigmas gelingen, ein paar von Gearys Schiffen außer Gefecht zu setzen.

Die Verfolgerformation jagte über die Oberseite der Enigma-Flotte hinweg, Raketen und Höllenspeere prasselten auf die Kriegsschiffe nieder und trafen sie am Heck, während sie weiter beschleunigten und unverändert auf den größeren Teil der Allianz-Flotte zuhielten. Geary, der den vorderen Teil der feindlichen Flotte zu treffen versucht hatte, musste erkennen, dass die relative Bewegung der beiden Streitmächte zueinander seine eigenen Schiffe vor allzu schweren Treffern und entsprechenden Schäden bewahrt hatte. Die Enigma-Schiffe hatten ihre Hecksektionen den Angreifern von der Allianz zugewandt, wodurch sie den größten Teil ihrer Waffen gar nicht zum Einsatz bringen konnten. Zudem waren die Antriebseinheiten dem Beschuss durch die Schiffe der Verfolgergruppe ausgesetzt, sodass sie Schäden erlitten, die unter anderen Umständen von der Hüllenpanzerung geschluckt worden wären.

»An alle Einheiten: Sofort ausführen! Drehen Sie fünf null Grad nach Steuerbord und eins null Grad nach unten. Beschleunigen Sie auf 0,15 Licht.«

Als die Verfolger erneut Kurs auf die Enigmas nahmen, wurde Geary deutlich, dass er sie erst wieder einholen konnte, nachdem sie bereits den Rest seiner Flotte erreicht hatten. Der Feind hatte seine überlegene Beschleunigung ausgenutzt, um für den Augenblick außer Reichweite zu gelangen.

Aber hinter der Enigma-Formation trieben dreiundzwanzig weitere ihrer Schiffe im All, manche trudelten unkontrolliert umher, andere waren in Trümmerwolken verwandelt worden. Die Verluste der Allianz waren dagegen bislang minimal ausgefallen.

Desjani schüttelte den Kopf. »Admiral, Sie verlangen da etwas viel von Captain Armus.«

»Mir ist bewusst, dass Captain Armus nicht zu den Flexibelsten und Schnellsten gehört«, erwiderte er und merkte, wie harsch sein Tonfall klang. »Aber er ist zuverlässig.«

Die Spinnenwolf-Schiffe waren noch etwas höher über die Ebene des Sternensystems aufgestiegen und hatten Kurs auf den Stern und die inneren Planeten genommen. Von ihrer Position aus konnten sie den weiteren Verlauf des Gefechts wie von einem Logenplatz aus mitverfolgen, wo für sie kein Risiko bestand, noch einmal mit den Enigmas in Berührung zu kommen.

Der Rest der Allianz-Flotte befand sich fast direkt vor Gearys Verfolgergruppe, zwischen beiden hielten sich die Enigma-Schiffe auf, die den Abstand zu Gearys Formation zwar langsam, aber kontinuierlich vergrößerten.

»Kontakt zwischen Hauptformation und Enigma-Flotte in fünfundzwanzig…« Lieutenant Castries unterbrach sich kurz. »Ich muss neu berechnen, die Hauptformation bremst ab.«

»Sie bremsen ab?«, fragte Desjani ungläubig. »Da haben sie solche Mühe zu beschleunigen, und dann bremsen sie ab?«

Geary betrachtete sein Display und begann zu verstehen. »Sie denken wie der Befehlshaber eines Schlachtkreuzers, aber Armus ist Captain eines Schlachtschiffs. Er will alles so einrichten, dass die Feuerkraft seiner Schlachtschiffe maximale Wirkung erzielt. Das heißt, er will eine kombinierte Geschwindigkeit von unter 0,2 Licht erreichen.«

»Aber wenn man es mit einem Gegner zu tun hat, der einen rammen will…«

»Captain, er kann ihnen gar nicht ausweichen, weder mit den Schlachtschiffen noch mit der Invincible. Und sehen Sie sich mal an, was er mit den Hilfsschiffen und den Sturmtransportern macht.« Diese Schiffe hatten inzwischen kehrtgemacht und hinter einer Wand aus Schiffen Schutz gesucht, die so dicht angeordnet war, dass dazwischen kaum noch Platz war. »Er weiß, dass er alles abschießen muss, das sich ihm nähert.«

»Das erinnert viel zu sehr an die Taktiken, von denen Sie gesagt haben, wir sollen sie nicht benutzen. Das gegenseitige Losstürmen, pure Feuerkraft gegen Feuerkraft, keine Feinheiten, keine geschickten Manöver.«

»Alles hat irgendwann einmal seine Berechtigung, Tanya.«

Sie wollte noch etwas erwidern, als sie ihn auf einmal erstaunt ansah, da ihr ein Gedanke gekommen war. »Sie wussten es. Sie haben gewusst, dass Sie Armus benötigen, weil er so reagieren würde. Aber woher haben Sie es gewusst?«

»Ich habe es nicht gewusst, ich habe bloß geraten. Und es war mein Glück, richtig geraten zu haben.«

»Aber sicher.« Desjani beschrieb eine religiöse Geste der Dankbarkeit. »Und Sie haben nicht den Hauch einer Inspiration vernommen, nicht wahr?«

Statt zu antworten, schüttelte er nur den Kopf. Er wusste, die Legende von Black Jack ließ wenig Platz für das Glück, stattdessen wurde jeder Erfolg irgendwelchen übermenschlichen Kräften zugeschrieben.

Aber das war vielleicht auch nur eine andere Definition des Wortes Glück.

»Zehn Minuten bis zum Kontakt mit der Hauptflotte«, meldete Lieutenant Castries.

Die Schiffe der Hauptflotte hatten den Bremsvorgang abgeschlossen und drehten sich wieder, um dem herannahenden Feind den Bug zu zeigen, dessen Panzerung, Schilde und Waffen am stärksten waren. Geary hätte gern das Kommando über diese Schiffe gehabt, aber sie waren zu weit entfernt, weshalb er sich gezwungenermaßen darauf verlassen musste, dass Captain Armus den richtigen Zeitpunkt wählte, um das Feuer zu eröffnen.

Mit dem bloßen Auge hätte Geary bestenfalls eine auffallend regelmäßige Linie aus hellen Objekten ausmachen können, doch auf dem Display konnte er deutlich erkennen, dass es sich dabei um die Hauptflotte handelte. Jedes Schiff war dort mit Namen und Daten versehen. Direkt vor der Invincible hatten die Dreadnaught, die Orion, die Dependable und die Conqueror eine kleine Diamantformation eingenommen, um als Schild für das Kik-Schiff und die vier Schlachtschiffe zu dienen, von denen es geschleppt wurde. Bei diesem Anblick war Geary mit düsterer Gewissheit erfüllt, dass Jane Geary diesmal um jeden Preis auf ihrem Posten bleiben würde.

Die Enigmas hatten sich zu einer flachen keilförmigen Formation geordnet, als wollten sie damit die Allianz-Flotte in zwei Hälften spalten.

Desjani sprach tonlos ein Gebet, doch ihr Gesichtsausdruck strahlte Zuversicht aus.

Geary sah wieder auf sein Display, obwohl er wusste, dass alles, was ihm dort angezeigt wurde, hinter den tatsächlichen Geschehnissen hinterherhinkte. Er konnte nur dasitzen und zuschauen.

Nur Augenblicke, bevor die beiden Streitmächte aufeinandertrafen, wurden von allen Allianz-Schiffen Phantome abgefeuert, gleichzeitig jagten die Höllenspeerbatterien verheerende Salven in Richtung Gegner, dicht gefolgt von Heerscharen von Kartätschen. Das perfekt aufeinander abgestimmte Sperrfeuer der unterschiedlichen Waffensysteme erfüllte das Gebiet vor den Kriegsschiffen der Allianz. Raketen und Höllenspeere erreichten fast gleichzeitig ihre Ziele, und nicht mal eine Sekunde später wurden die Schiffe von den Kartätschen getroffen. Anstelle einer Serie von hintereinander erfolgenden harten Schlägen wurde der anstürmende Gegner von einem einzelnen gewaltigen Hieb getroffen.

Geary hörte irgendjemanden auf der Brücke der Dauntless erschrocken nach Luft schnappen, als die Region vor dem größeren Teil der Flotte von gigantischen Energieausstößen in grelles Licht getaucht wurde. Die Enigma-Schiffe gleich hinter der Spitze ihrer Formation rasten mitten hinein in die Trümmer und die entfesselte Energie der Waffen und der explodierenden Enigma-Schiffe, die als Erste von diesem vernichtenden Sperrfeuer erfasst und zerrissen worden waren.

Die Schiffe der Allianz-Flotte schienen unterdessen Funken zu sprühen, verursacht durch Trümmerteile, die gegen Schilde und Panzerung prallten. Die Dreadnaught zuckte unter einer Serie von Treffern zusammen, die den Bug in grelles Licht tauchten. Die Orion geriet ins Wanken, die Dependable wich vor wiederholten brutalen Treffern am Bug zurück. Und für einen erschreckenden Moment schien es, dass die Conqueror explodiert war.

Als die Flottensensoren dann aber hinter den Lichtblitz schauten und die Statusmeldungen eingingen, wurde klar, dass es sich um eine dichte Wolke aus winzigen Trümmerteilen gehandelt hatte, die beim Auftreffen auf die Schilde der Conqueror eine gewaltige Entladung verursacht hatte, ohne jedoch bis zum Schiff selbst vorzudringen und ihm schwere Schäden zuzufügen. Die Superb und die Splendid, die durch ihre Verbindung mit der Invincible praktisch hilflos waren, mussten weitere Treffer einstecken. Dann folgte eine gewaltige Explosion, als irgendetwas Großes es durch die Barriere schaffte und gegen die dicke Bugpanzerung der Invincible prallte.

Das Trümmerfeld trieb davon, und es wurde deutlich, dass im Bug der Invincible ein großer Krater klaffte. Davon abgesehen war das Schiff aber unversehrt geblieben.

»Verdammt«, flüsterte Desjani. »Ich kann einfach nicht glauben, dass sie das überlebt hat. Eine Invincible, die ihrem Namen gerecht wird.«

Die Hilfsschiffe rückten vor, so gut sie konnten, um sich wieder hinter den Schlachtschiffen in Sicherheit zu bringen. Unterdessen drehten sich die Schweren Kreuzer zügig um die eigene Achse, damit sie sich den Enigma-Schiffen widmen konnten, die es durch die Allianz-Formation hindurch geschafft hatten. Die Schlachtschiffe am vorderen Rand der Formation bewegten den Bug nach oben, um weiter auf die Enigmas ausgerichtet zu sein, die sich nun über ihnen befanden.

Die Enigmas… Geary schickte ein Stoßgebet zum Himmel. Rund hundertsechzig Enigma-Schiffe waren auf Armus’ Formation zugestürmt. Nicht mal achtzig waren jetzt noch kampffähig, die jetzt um die Hauptflotte kreisten und… »Was ist denn das?«

»Sie lösen ihre Formation auf«, sagte Desjani.

In der nächsten Sekunde war ihm der Grund dafür klar. »An alle Einheiten der Verfolgergruppe: Manövrieren Sie ab sofort eigenständig. Die Enigmas konzentrieren sich jetzt nicht länger darauf, unsere Flotte zu besiegen, sondern sie lösen ihre Formation auf, um mit einzelnen Einheiten an uns vorbeizukommen, damit sie andere Ziele im System angreifen können. Operieren Sie eigenständig und feuern Sie auf jedes Enigma-Kriegsschiff, das sich in Waffenreichweite befindet. Ich wiederhole. An alle Einheiten der Verfolgergruppe: Operieren Sie ab sofort eigenständig und schießen Sie auf jedes Enigma-Schiff, das Sie erreichen können.«

Desjani rasselte bereits Befehle runter, um die Dauntless auf einen Vektor auszurichten, damit sie eine Gruppe von Enigma-Kriegsschiffen abfangen konnte, die noch immer dicht beisammen waren. »Ich stimme zwar Ihrer Meinung zu, dass sie es nicht länger darauf abgesehen haben, unsere Flotte zu vernichten. Aber woher wissen wir, dass nicht einfach jedes Schiff für sich versucht, den Sprungpunkt zu erreichen?«, fragte sie im nächsten Moment.

»Wenn sie entkommen wollten, hätten sie einfach als Formation weiterfliegen können. Wenn sie sich aufteilen, wird es für uns viel schwieriger oder sogar nahezu unmöglich, sie daran zu hindern, sich Zielen wie beispielsweise dem Hypernet-Portal zu nähern. Es ist nicht der Sieg auf ganzer Linie, um den es ihnen eigentlich gegangen wäre, aber das könnte uns immer noch etwas kosten, das wir haben wollen und das wir benötigen.«

»Und wenn sich unsere Hauptformation ebenfalls auflöst…«

»Nein! Dann könnten einige Enigma-Schiffe versuchen, unsere Sturmtransporter und Hilfsschiffe anzugreifen!«

Auf seinem Display sah die Verfolgerformation aus, als wäre sie explodiert, da die Schiffe auf Hunderten verschiedenen Vektoren davonflogen. Geary ließ den Blick über die übrigen Bereiche des Displays wandern, um sich ein Bild von den Positionen der möglichen Ziele für die Enigmas sowie der drei kleinen Syndik-beziehungsweise Nicht-Syndik-Flotten zu machen. Bislang hatte er sich noch nicht an diese möglicherweise freundlichen, wahrscheinlich aber neutralen Streitkräfte gewandt, doch jetzt öffnete er die Kanäle, die für eine solche Nachricht erforderlich waren. »An alle bewaffneten Streitkräfte im Midway-Sternensystem: Hier spricht Admiral Geary. Die Enigma-Schiffe haben ihre Formation aufgelöst und werden Kurs auf geeignete Ziele in diesem System nehmen. Wir werden so viele von ihnen aufhalten, wie wir können, aber Sie müssen ebenfalls eingreifen und auf jedes Schiff schießen, das uns entkommt. Wenn alle anderen Möglichkeiten eines Angriffs scheitern, werden die Enigmas auf Kollisionskurs gehen. Nähern Sie sich auf keinen Fall den sechs eiförmigen Schiffen, die meine Flotte begleitet haben. Sie sind in diesem Gefecht neutral, aber sie sind Verbündete der Menschheit.« Das war vermutlich eine ziemliche Übertreibung, was die Einstellung der Spinnenwölfe den Menschen gegenüber betraf, aber das hier war nicht der richtige Moment, um über semantische Feinheiten zu diskutieren.

»Ich würde mich über Ihre Mitwirkung an der Verteidigung dieses Systems gegen die Enigmas sehr freuen«, fügte er hinzu. »Auf die Ehre unserer Vorfahren. Geary Ende.«

Die weit verstreute und sich noch immer ausbreitende Streitmacht der Enigmas war über das System verteilt wie die Pollen einer Pusteblume, die von einem heftigen Windstoß erfasst worden war. Ihnen gegenüber und etwas mehr in Richtung des Sterns gelegen, hatten sich die Schiffe aus Gearys Verfolgergruppe ebenfalls in alle Himmelsrichtungen ausgebreitet. Zwar waren sie den Enigmas zahlenmäßig überlegen, doch ihnen fiel die schwierigere Aufgabe zu, diejenigen aufzuhalten, die irgendwie an ihnen vorbeikommen wollten.

Dazwischen befand sich immer noch die Hauptformation, was bei Geary einen Hoffnungsschimmer erwachen ließ. »Die einzelnen Enigma-Schiffe können nicht zu dicht an Armus’ Formation vorbeifliegen, weil sie sonst in deren Beschuss geraten.«

»Das schränkt die Möglichkeiten ein, welche Wege sie nehmen können, und für uns wird es leichter, sie in eine bestimmte Richtung zu dirigieren«, stimmte Desjani ihm zu. »Ich gebe Ihnen zwei Ziele, Lieutenant Yuon. Ich will sie beide haben.«

»Jawohl, Captain. Die Feuerkontrollsysteme verfolgen die von Ihnen bestimmten Ziele.«

»Feuern Sie, sobald sie nahe genug sind«, befahl sie.

Geary konnte nicht länger nachhalten, was sich alles auf seinem Display abspielte. Hunderte von Vektoren verliefen ober- und unterhalb der Hauptformation. Jäger und Gejagte hetzten durch den Raum, flogen Ausweichmanöver und beschossen sich gegenseitig, sobald sie aneinander vorbeizuckten. Die Dauntless feuerte im Vorbeiflug auf ein viel kleineres Enigma-Schiff, das durch den Treffer in zwei Teile zerbrach. Augenblicke später wurde ein zweites Schiff getroffen, das kaum kontrollierbar durch das System trudelte, dicht gefolgt von zwei Allianz-Zerstörern.

»Ich habe keine Ahnung, wie es aussieht«, murmelte Geary, während er das Gewirr aus sich kreuzenden Vektoren betrachtete. Auf seinem Display sah er daneben auch die Meldungen über die Trefferquoten, die Schätzungen der den feindlichen Schiffen zugefügten Schäden und die Schadensmeldungen seiner eigenen Schiffe, die ihrerseits von den Enigmas beschossen worden waren.

»Behalten Sie das da im Auge«, schlug Desjani vor, während die Dauntless ein Wendemanöver vollzog, das die Trägheitsdämpfer gequält aufstöhnen und die Struktur des Schiffs ächzen ließ. Sie zeigte auf eine einzelne Zahl. »Die geschätzte Anzahl feindlicher Schiffe. Solange die weiter sinkt, sieht es für uns gut aus.«

Sein Kopf wurde herumgerissen, als die Dauntless ihr Manöver vollendete und sofort Kurs auf ein Enigma-Schiff nahm, das einen Leichten Kreuzer attackierte und dabei mehr Schaden anrichtete, als es selbst einstecken musste. »Sagen Sie dem Maschinenraum, ich brauche mehr Schub vom Hauptantrieb«, befahl Desjani ihren Wachhabenden auf der Brücke.

»Der Maschinenraum meldet, dass wir bereits bei hundertzehn Prozent sind, Captain. Wenn wir weiter…«

»Hundertfünfzehn. Jetzt!«

»Jawohl, Captain.«

Sekunden später machte die Dauntless einen kleinen Satz nach vorn, der genügte, um den Abstand zu verringern. »Erledigen Sie ihn«, wies sie an.

Phantom-Raketen wurden abgefeuert und rasten auf das Enigma-Schiff zu, das zu spät erkannte, dass seine Attacke auf den Leichten Kreuzer nicht unbemerkt geblieben war. Es wollte sich noch seitlich wegdrehen, aber die beiden Phantome trafen ins Ziel und demolierten den Antrieb. Die Dauntless kam näher und hämmerte mit Höllenspeeren auf das Enigma-Schiff ein, das hektisch das Feuer erwiderte.

»Unsere Bugschilde sind kurz davor auszufallen!«, rief Lieutenant Castries.

»Verstehe«, gab Desjani ruhig zurück. »Sie werden schon lange genug durchhalten.«

Ein Schuss des Enigma-Schiffs durchbrach die Schilde und bohrte ein Loch in ein Vorratslager im vorderen Teil, dann aber brachen die Schilde des Gegners zusammen, und die Dauntless ließ einen Regen aus Höllenspeerfeuer auf das andere Schiff niedergehen.

Geary bekam kaum etwas davon mit, wie das Schiff in einer Explosion verging, vielmehr beschäftigte er sich mit der Gesamtsituation und behielt die Anzeige im Auge, auf die Desjani ihn hingewiesen hatte. Auch wenn die Zahl schnell kleiner wurde, schafften die Enigmas es dennoch, die Reihen der Allianz-Flotte zu durchbrechen und an den Kriegsschiffen der Menschen vorbeizukommen.

»Fünfunddreißig«, sagte er, als die Allianz-Schiffe begannen, die Enigma-Schiffe zu verfolgen, die sich an ihnen vorbeigeschlichen hatten. Einen Moment später fanden mehrere Phantome in äußerster Reichweite noch ihr Ziel. »Vierunddreißig.«

»Damit sollten die Syndiks eigentlich klarkommen«, meinte Desjani lächelnd. Dann aber wurde sie wieder ernst, als sie die Situation in der näheren Umgebung studierte. »Sagen Sie dem Maschinenraum, sie sollen für den Hauptantrieb auf hundert Prozent runtergehen. Vor uns liegt eine lange Verfolgungsjagd, ehe wir wieder eines der Enigma-Schiffe einholen werden.«

»Die Syndiks verfügen nicht über genügend Schiffe, um alle denkbaren Ziele ausreichend zu schützen«, sagte Geary. »Haben wir eigentlich von den Syndiks irgendeine Antwort erhalten?«

Desjani sah zum Komm-Wachhabenden, der daraufhin nickte und sagte: »Vor fünf Minuten ist etwas eingegangen.«

»Ihr ständiger Befehl lautet…«

»…keine zeitkritischen Ereignisse für Nachrichten zu stören, die nicht dringend sind«, führte Desjani den Satz zu Ende. »Sie haben sich völlig richtig verhalten. Von wem kommt die Nachricht?«

»Von der Flotte, die vom bewohnten Planeten zu den Docks in der Nähe des Gasriesen unterwegs ist. Dem, der uns am nächsten ist. Die Nachricht ist an Admiral Geary gerichtet, Captain.«

»Schicken Sie sie auf mein Display und auf das von Captain Desjani«, befahl Geary.

Einen Augenblick später öffnete sich ein Fenster vor ihm und Desjani. Eine Frau in Syndik-Uniform war zu sehen, die sich auf der Brücke eines Schweren Kreuzers der Syndiks aufhielt. Die Kragenabzeichen entsprachen allerdings nicht dem Syndik-Standard, und ihre Worte widersprachen vom ersten Ton an dem restlichen Erscheinungsbild. »Hier spricht Kommodor Marphissa vom Schweren Kreuzer Manticore des Midway-Sternensystems.«

»Kommodor Marphissa vom Schweren Kreuzer Manticore«, wiederholte Desjani. »Militärische Dienstgrade und Namen für die Schiffe? Hier hat sich seit unserem letzten Besuch aber einiges geändert. Sie hat sich nicht als Syndik bezeichnet, aber sie sieht wie eine aus.«

»Möchte wissen, was aus CEO Kolani geworden ist«, sagte Geary.

»Wahrscheinlich etwas, was wir besser nicht wissen sollten.« Desjani musterte argwöhnisch das Bild der Kommodor.

»Kolani machte auf mich den Eindruck, den Syndikatwelten gegenüber bedingungslos loyal zu sein«, redete Geary weiter. »Das würde erklären, warum jetzt Kommodor Marphissa hier das Kommando führt.«

Die Frau hatte nach ihrer Vorstellung eine längere Pause eingelegt, als hätte sie bereits erwartet, dass ihre Zuschauer über sie diskutieren würden. Jetzt redete sie selbstsicher und ruhig weiter. »Wir heißen die Unterstützung der Allianz-Flotte unter dem Kommando Admiral Geary willkommen, das Midway-Sternensystem gegen jede Bedrohung zu verteidigen.«

Es war nicht zu überhören gewesen, welches Wort sie betont hatte. »Jede?«, wiederholte Desjani. »Jede? Dieses vormalige Syndik-Miststück will uns in einen Kampf gegen die Syndik-Regierung hineinziehen. Wie kommt sie auf die Idee, wir könnten darauf reinfallen?«

»Wir sind auf dem Weg zum Gasriesen«, fuhr Marphissa fort. »Wir werden weiter diesem Kurs folgen, bis wir entweder auf feindliche Streitkräfte treffen oder den Befehl erhalten, Ihnen zur Seite zu stehen. Ich habe allerdings bereits den ständigen Befehl, Admiral Gearys Flotte stets im Midway-System willkommen zu heißen. Für das Volk! Ich bin Kommodor Marphissa. Ende.«

Nachdenklich zog Geary die Stirn in Falten, als die Nachricht zu Ende war. »Haben Sie das gehört?«

»Jedes einzelne Wort«, sagte Desjani nachdrücklich.

»Ich meine den Schluss, als sie ›für das Volk‹ gesagt hat. Das habe ich von vielen Syndik-Oberen gehört, und es wird immer noch ohne Betonung und ohne jede Gefühlsregung gesagt. Es wird einfach hingeworfen, als hätte der Satz keinerlei Bedeutung.«

Desjani zuckte mit den Schultern. »Überrascht Sie das? Jeder weiß, dass das nur ein Witz ist. Den Syndikatwelten geht es niemals um das Volk.«

»Ja, aber so, wie die Kommodor es ausgesprochen hat, schien sie es ernst zu meinen«, beharrte er.

Sie spielte den Schluss der Mitteilung noch einmal ab, dann nickte sie widerstrebend. »Ja, okay, ich verstehe, was Sie meinen. Diese Leute haben sich gegen die CEOs erhoben. Vielleicht versuchen sie tatsächlich, etwas anderes zu sein als Syndiks. Aber die Personen an der Spitze, Iceni und Drakon, sind beide ehemalige CEOs. Entweder haben sie sich grundlegend geändert, oder sie spielen nur Theater. Ich weiß, worauf ich mein Geld setzen werde.«

Geary lehnte sich nach hinten und betrachtete sein Display, auf dem Hunderte Allianz-Kriegsschiffe vierunddreißig Enigma-Schiffe jagten, jedes auf einer anderen Flugbahn unterwegs, während sämtliche Vektoren im inneren Sternensystem oder am Hypernet-Portal endeten. Keiner der Vektoren wies einen Abfangspunkt auf, was die Tatsache verdeutlichte, dass seine Schiffe die Enigmas nicht einholen konnten, solange die nicht ihren Kurs oder ihre Geschwindigkeit änderten. »Wer immer diese ehemaligen Syndiks sind, kann ich nur hoffen, dass sie wissen, wie man kämpft. Wir können die Enigmas nicht mehr aufhalten. Das müssen sie jetzt erledigen.«

Alarmsignale leuchteten auf seinem Display auf, die ein Dutzend Enigma-Schiffe markierten.

»Sie haben Projektile für ein Bombardement gestartet«, meldete Desjani. »Nach den Flugbahnen zu urteilen, ist die bewohnte Welt das Ziel.« Sie ballte die Faust und schlug auf die Armlehne. »Die können weder wir noch die Syndiks aufhalten.«

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