Sechs

Dies war eine der Gelegenheiten, bei denen die gewaltigen Entfernungen im All einfach nur frustrierend waren. Da eine Streitmacht unbekannter Aliens sich vor ihnen befand und eine zweite sich von hinten näherte, deren feindselige Absichten ihnen nur zu vertraut waren, wollte Geary etwas unternehmen. Irgendetwas. Aber er konnte nur warten, ohne zu wissen, wie die neue fremde Spezies auf die Ankunft der Menschen reagieren würde. Ihm war mehr als bewusst, dass jede Aktion von seiner Seite falsch ausgelegt werden könnte. Unterdessen hatte die Armada der Bärkühe erneut beschleunigt und näherte sich der Allianz-Flotte. Zumindest in dieser Hinsicht spielten die immensen Entfernungen Geary in die Hände, denn selbst wenn die Bärkühe auf über 0,2 Licht beschleunigten, würde es Stunden dauern, um die Schiffe der Menschen einzuholen.

»Captain, wir empfangen etwas von vorn«, meldete der Komm-Wachhabende. »Ein sich wiederholendes Funksignal auf etlichen Frequenzen gleichzeitig.«

Rione lachte laut auf. »Die wollen mit uns reden.«

»Vielleicht wollen sie uns ja nur sagen, dass sie uns umbringen werden«, murmelte Desjani, dann fragte sie ihren Wachhabenden: »Nur Audio oder auch Video?«

»Eindeutig Video, Captain. Es ähnelt einem der alten Sendeformate, die früher von den Menschen benutzt wurden. Daher können wir das Signal auch in ein brauchbares Bild umwandeln, sobald das System das erforderliche Protokoll erzeugt hat. Das Bild kann ab und zu ruckeln, aber es sollte klar und deutlich sein, und das Gleiche dürfte auch für den Ton gelten.«

»Lassen Sie es uns sehen, sobald Sie bereit sind«, befahl Desjani.

»Das sollte in weniger als einer Minute der Fall sein, Captain.«

Tatsächlich vergingen lediglich Sekunden, ehe sich vor Geary und den anderen auf der Brücke virtuelle Fenster öffneten, die ein klares, deutliches Bild zeigten. Im ersten Moment bekam Geary den Mund nicht mehr zu, und erst allmählich wurde ihm klar, dass alle auf der Brücke verstummt waren.

»Wie groß ist das Ding?«, fragte Desjani schließlich mit erstickter Stimme. »Lieutenant Yuon?«

»Das… das lässt sich nicht sagen, Captain«, stammelte Yuon. »Es gibt keine Bezugsgröße, an der wir uns orientieren könnten.«

Geary zwang sich, das Bild genauer zu betrachten. Hätte sich eine sehr große Spinne irgendwie mit einem Wolf gepaart, wäre wohl dieses Ding dabei herausgekommen: mindestens sechs Gliedmaßen, die als Arme ebenso wie als Beine dienen konnten; glänzende Haut, die hart wie ein Panzer zu sein schien, aber mit Haarbüscheln überzogen war; der Kopf verfügte über sechs Augen, die um den Mittelpunkt herum verteilt waren; eine lappenähnliche Öffnung oberhalb der Augen diente möglicherweise der Atmung; darunter ein riesiges Maul aus mehreren Kiefern. Zwei Lappen zu beiden Seiten des Kopfs aus hauchdünner, von feinen Adern durchzogener Haut stellten möglicherweise die Ohren dar.

Es war so, als hätte jemand bei allen Lebewesen nach den am schrecklichsten aussehenden Elementen gesucht und sie zu diesem Ding kombiniert.

»Wenigstens hat es keine Tentakel«, stellte Charban fest.

Geary richtete sein Augenmerk auf die Kleidung der Kreatur, wie Seide schimmernde Stoffbänder in leuchtenden Farben überzogen den Leib in einem komplexen Muster. Die Farben stachen sich dabei nie und ergaben ein sonderbares, auf ihre Weise aber schönes Bild.

Die Kreatur sprach in schrillen, wabernden Tönen. Dabei streckte sie vier ihrer Gliedmaßen zu beiden Seiten des Körpers zu voller Länge aus. Auch die Klauen an den Enden dieser Gliedmaßen wurden gespreizt. Während das Wesen zu ihnen sprach, behielt es diese Pose bei. Die Töne wurden hin und wieder von einem Knacken unterbrochen, das immer dann entstand, wenn die Kiefer aufeinanderschlugen.

»Die Vorfahren mögen uns beistehen«, flüsterte Desjani, dann schluckte sie und redete in einem fast normalen Tonfall weiter. »Werden wir bedroht?«

»Ich habe keine Ahnung«, entgegnete Geary.

»Etwas, das so aussieht, baut solche Schiffe und denkt sich derartige Formationen aus?«

»Offenbar ja.« Er schaute nach unten und atmete ein paar Mal tief durch, um seine Fassung zu bewahren. »Leiten Sie das an die zivilen Experten weiter. Ich will wissen, was das Ding ihrer Meinung nach macht.«

Schließlich meldete sich Rione zu Wort. Ihre Stimme klang von allen auf der Brücke noch am normalsten. »Es redet mit uns. Was für eine Spezies das auch sein mag, sie haben mit uns Kontakt aufgenommen. Die Enigmas haben erst nach langem Versteckspiel begonnen mit uns zu reden, und auch das nur sehr zögerlich. Von den Bärkühen haben wir nicht ein einziges Wort gehört.«

»Vielleicht will es ja bloß wissen, wonach wir schmecken«, meinte Desjani leise und musste dann lachen. »Möchte wissen, was in ihrer Sprache ›schmeckt wie Hühnchen‹ heißt.«

Auch Geary musste lachen, da der rabenschwarze Humor eine willkommene Ablenkung nach dem Schock war, den er erlitten hatte, als die Kreatur zum ersten Mal auf seinem Display aufgetaucht war.«

»Captain?« Der Komm-Wachhabende hatte sein halb hysterisches Gelächter über Desjanis Witz unter Kontrolle gebracht. »Es ist etwas an diese Mitteilung angehängt. Irgendein Programm.«

Desjani warf Geary einen finsteren Blick zu. »Ein Trojaner, ein Virus oder was?«, fragte sie den Wachhabenden.

»Weder noch, Captain. Es ist nicht in irgendeiner Weise versteckt worden. Der Anhang ist auf den ersten Blick erkennbar. Entweder sind diese… ähm, was immer sie sind… völlig unbeholfen, was Sicherheitsvorkehrungen bei Computern angeht, oder aber sie wollten sicherstellen, dass wir das Programm auf jeden Fall entdecken.«

»Lassen Sie es von der Sicherheitsabteilung überprüfen«, wies Desjani an. »Ich will, dass unsere Kodierspezialisten es analysieren und mir ihre Einschätzung mitteilen, bevor wir irgendwas damit machen. Augenblick mal, jedes Schiff der Flotte könnte diese Nachricht empfangen haben.«

»Ja, Captain.«

Geary betätigte hastig die Komm-Kontrolle, ohne den Blick von der Nachricht abzuwenden. »An alle Einheiten: Die an die Nachricht der Aliens angehängte Software wird weder gespeichert noch gestartet noch in irgendeiner anderen Form aktiviert. Sie wird zunächst unter kontrollierten Bedingungen getestet und aktiviert.«

Im Komm-Fenster vor Geary hatte die Kreatur ihre Nachricht beendet, sie verschränkte die vier oberen Gliedmaßen vor der Brust, dann hob sie zwei von ihnen hoch, um den Kopf einzurahmen, ehe im nächsten Moment die Übermittlung beendet wurde.

»Und jetzt?«, fragte Desjani.

»Ich weiß nicht«, erwiderte Geary. »Vielleicht ist es leichter zu entscheiden, was wir tun sollen, wenn sie nicht mit uns reden.«

»Uns sitzen die Bärkühe im Nacken. Wir können nicht einfach hier stillstehen und darauf warten, dass wir dahinterkommen, was diese… diese Spinnenwölfe wollen oder vielleicht auch nicht wollen.«

»Sie sollten eine Antwort senden«, sagte Rione.

»Eine Antwort?«, wiederholte Geary. »Auf was denn? Ich weiß nicht, was das Ding zu uns gesagt hat.« Vor ein paar Stunden war es noch eine gute Idee gewesen, blindlings eine Nachricht an die Fremden abzuschicken. Doch nachdem er nun die Übermittlung der Spinnenwölfe gesehen hatte, kam es ihm so vor, dass zwischen seiner und dieser Spezies eine Lücke klaffte, die erheblich breiter war als die ohnehin immense Entfernung zwischen zwei Sternen.

»Sie werden meine Gesten nicht begreifen, sie werden meine Worte nicht verstehen, und möglicherweise finden sie mich genauso hässlich wie ich sie.«

»Dennoch sollten Sie etwas erwidern«, beharrte Rione. »Lassen Sie sie wissen, dass wir reden wollen. Vielleicht wissen sie ja, was ein Mensch ist. Immerhin sind sie sozusagen Nachbarn der Enigmas.«

Geary sah Rione mürrisch an. »Ich habe die Bärkühe angelächelt, und als sie meine Schneidezähne sahen, dachten sie, ich wollte sie verspeisen.«

»Das ist nur eine Vermutung, Admiral«, hielt sie ihm vor Augen. »Wenn auch eine ziemlich überzeugend klingende Vermutung, wie ich zugeben muss. Aber Sie sprachen zuvor von technischen Aspekten, die auch auf Lebewesen zutreffen. Eine Angriffshaltung unterscheidet sich von einer Abwehrhaltung, nicht wahr? Das muss doch so sein, oder?«

Charban meldete sich zu Wort. »Das kommt ganz auf die Umstände an. Es gibt eine ganze Reihe von Gefechtsmethoden, bei denen ein Individuum sich in der Schwebe befindet und gleichermaßen zum Angriff wie auch zur Verteidigung bereit ist. Diese Dinge sind aber sehr hochentwickelt.« Er hielt inne und schaute nachdenklich drein. »Bei uns Menschen deuten wir Angriffslust an, indem wir uns nach vorn beugen, die Arme dicht am Körper halten und zum Zuschlagen bereit sind. Eine Abwehrhaltung kann ganz ähnlich aussehen. Aber wenn ein Mensch seine friedfertigen Absichten kundtun will, dann stellt er sich hin, streckt die Arme aus und hält seinem Gegenüber die geöffneten Hände hin. Diese Haltung passt weder zum Angriff noch zur Abwehr.«

»Die Art, wie der… ähm… Spinnenwolf dastand«, stimmte Geary ihm zu. »Die Arme ausgestreckt, die Klauenhände geöffnet.«

»Bereit um zuzuschnappen«, warf Desjani ein. »Mit welcher Feinmotorik bewegen die eigentlich ihre Klauen?«

»Auch eine berechtigte Frage.« Geary setzte eine finstere Miene auf. Er wusste, Rione hatte recht, doch er fragte sich, ob er tatsächlich noch frei und ruhig reden konnte, nachdem er nun wusste, wie seine Zuhörer aussahen. »Können wir die Antwort im gleichen Format senden wie die Nachricht, die wir empfangen haben?«

»Natürlich kann die Dauntless das«, erwiderte Desjani und wirkte fast beleidigt angesichts seines Gedankens, ihr Schiff könnte zu irgendetwas nicht fähig sein.

»Wir können das gleiche Umwandlungsprogramm einsetzen, Admiral«, erklärte der Komm-Wachhabende. »Wir lassen einfach Ihre Mitteilung in unserem durchlaufen und senden es in deren Format.«

Er nickte stumm und versuchte, sich in die richtige geistige Verfassung zu bringen, um zu diesen Kreaturen zu sprechen, ohne sich dabei anmerken zu lassen, wie sehr ihr Aussehen ihn abstieß.

Mit beschwichtigender Stimme meldete sich wieder Charban zu Wort. »Sie können einen anderen zum Teil danach beurteilen, was er tut, was er erschafft und womit er sich umgibt. Bei den Bärkühen sind wir so vorgegangen, indem wir uns ihre Welt angesehen haben und zu dem Schluss gekommen sind, dass sie anderen gegenüber erbarmungslos sein müssen. Hier können wir zwar keinen Blick auf die Heimatwelt dieser neuen Spezies werfen, aber wir sehen, was sie geschaffen haben. Wir können erkennen, wie ihnen bestimmte Dinge am liebsten sind. Das verschafft uns eine Grundlage, um mit ihnen mitzufühlen.«

»Mitfühlen«, wiederholte Geary, hörte aber aus diesem einen Wort seine eigene Skepsis heraus.

»Ja. Genau so, wie Sie bestimmte Aspekte von uns Menschen in dem sehen, was wir erschaffen und wir Dinge in Angriff nehmen.« Charban machte eine ausholende Geste. »Wir haben diese Flotte geschaffen, ein mächtiges Kriegsgerät. Das sagt etwas über uns aus, aber da ist mehr als nur das Offensichtliche. Nicht alles in dieser Flotte spiegelt pure Wissenschaft, Physik oder Ingenieurskunst wider. Vieles davon zeigt, wie wir Dinge erledigt wissen möchten, weil wir es eben so wollen. Es ist uns wichtig, auch wenn wir den Grund dafür vielleicht gar nicht erklären können.«

»Der Goldene Schnitt«, sagte Rione. »Er bestimmt ein Verhältnis zwischen Zahlen. Wir Menschen wenden ihn oft an, weil uns Dinge mit diesen Proportionen gefallen.«

»Ein Verhältnis?«, erkundigte sich Geary.

»Eine irrationale mathematische Konstante«, warf Lieutenant Castries ein und schaute blinzelnd auf die Ergebnisse der Anfrage, die sie eingegeben hatte. »Abgeleitet vom Verhältnis einer größeren zu einer kleineren Menge. Sie beträgt 1 zu 1,6. Man findet sie in der Architektur und der Bildhauerei, es ist das Format für gedruckte Bücher, für Papier, Spielkarten und unter anderem auch für virtuelle Fenster.«

»Ganz genau.« Rione deutete auf ihr Display. »Diese Anzeigen weisen dieses Format wahrscheinlich aus dem Grund auf, dass wir Dinge gern in diesem Größenverhältnis sehen. Das ist irgendwie ein Teil von uns. Und jetzt sehen Sie diese Kreaturen und deren Schiffe an. Wenn sie so etwas erschaffen können, besitzen sie auf irgendeine Weise selbst innere Schönheit.«

»Die muss aber sehr tief in ihrem Inneren verborgen sein«, sagte Geary.

»Sehen Sie sich an, was sie geschaffen haben, und denken Sie daran, wenn Sie sich an sie wenden.«

»Sie könnten sich auch zuerst betrinken«, schlug Desjani vor. »Das macht es immer einfacher, etwas Abscheuliches zu akzeptieren.«

»Ich werde gar nicht erst fragen, woher Sie das wissen«, gab Geary zurück, seufzte und stand auf, wobei er versuchte, eine Haltung zu wahren, die nicht aggressiv wirkte. Dann auf einmal hielt er inne. »Bilder. Wir können es mit Bildern versuchen. Was muss ich tun, damit mein Display mit mir zusammen zu sehen ist?«

»Wir sollen ihnen eines unserer Displays zeigen?«, hakte Desjani nach.

»Ja.«

»Einen Augenblick, Admiral«, sagte der Komm-Wachhabende, während seine Finger förmlich über die Tastatur wirbelten. »Fertig. Wenn Sie jetzt senden, ist es neben Ihnen zu sehen. Hier ist ein sekundäres Fenster, das Ihnen anzeigt, wie das als Ganzes aussieht.«

Das sekundäre Fenster öffnete sich vor ihm, und Geary konnte sich betrachten, wie er neben dem Bild eines Displays stand. Einen Moment lang überlegte er, wie er anfangen sollte, dann betätigte er die Komm-Kontrolle. »Vielen Dank, dass Sie mit uns Kontakt aufgenommen haben. Wir möchten in friedlicher Absicht dieses System durchqueren.« Er zeigte auf den Sprungpunkt, durch den sie ins System gekommen waren, und zeichnete mit dem Finger eine Kurve zu einem der Sprungpunkte auf der anderen Seite des Systems. »Dort sind Feinde, die uns bis hierher verfolgt haben.« Jetzt hielt er die Handfläche wie einen schützenden Schild vor die Armada der Bärkühe, die andere Hand war erhoben, als wollte er zuschlagen. »Wir wollen nicht mit Ihnen kämpfen.« Beim Anblick der Darstellung der Spinnenwolf-Streitmacht ließ er die Arme sinken und drehte die leeren Handflächen nach vorn. »Auf die Ehre unserer Vorfahren, hier spricht Admiral Geary, Ende.«

»Captain?« Desjani drehte sich zur Seite und betrachtete das Fenster, das vor ihr aufgetaucht war und einen Lieutenant Commander zeigte. Geary erkannte den Mann als den Offizier, der für die Systemsicherheit der Dauntless zuständig war. »Wir haben den Anhang dieser Nachricht isoliert und auf einem System geöffnet, das mit keinem anderen System auf dem Schiff verbunden ist. Dadurch war es unmöglich, irgendetwas an Bord zu infizieren. Es hat einiges an Arbeit bedeutet, aber wir sind dahintergekommen, wie dieses Programm funktioniert, weil es sein eigenes Betriebssystem enthielt, das sich offenbar an unsere Hardware anpassen konnte.«

»Es hat sich an unsere Hardware angepasst?«

»Ja, Captain, aber keine Sorge. Es kann nicht auf andere Systeme überspringen. Es gibt keine materielle oder elektronische Verbindung, und die Einheit befindet sich in einem isolierten Umfeld.«

Desjani atmete tief durch, dann fragte sie: »Und was für ein Programm ist das?«

»Ich glaube…« Der Offizier der Systemsicherheit kratzte sich am Kopf. »Es gibt Bilder zu sehen, und da ist auch eine Art interaktive Routine. Mich erinnert das Ganze an ein Kinderbuch für wirklich kleine Kinder, denen man bestimmte Begriffe beibringen will.«

»Begriffe?«, rief Charban dazwischen. »Dann ist das so was wie ein Bilderbuch, das dem Zweck dient, eine Kommunikation zu ermöglichen.«

»Ja, Sir«, stimmte der Offizier ihm zu. »So kommt es mir vor.«

»Lassen Sie es vorläufig noch unter Quarantäne«, wies Desjani ihn an. »Und mach-«

»Wir müssen darauf zugreifen«, wurde sie von Charban unterbrochen.

»Das ist mein Schiff, und ich entscheide, wer auf die Systeme zugreifen darf.«

»Captain Desjani«, wandte Geary förmlich ein. »Ich bin Ihrer Meinung, dass das Programm unter Quarantäne bleiben muss. Trotzdem müssen wir so bald wie möglich darauf zugreifen, damit General Charban, Gesandte Rione und die zivilen Experten sich damit befassen können.«

»Wir können ein in sich geschlossenes Netzwerk anlegen«, schlug der Offizier der Systemsicherheit vor. »Das wird etwas Arbeit machen, und sie werden auch nur in einem einzigen Quartier darauf zugreifen können, weil wir zwischen den Arbeitsstationen nur kurze, materielle Verbindungen verlegen können. Aber auf diese Weise können sie alle gleichzeitig damit spielen.«

»Nehmen Sie einen der großen Konferenzräume«, forderte Desjani ihn auf. »Und gehen Sie von maximal einem Dutzend Benutzer gleichzeitig aus. Wie lange werden Sie dafür benötigen?«

»Eine halbe Stunde, Captain.«

»Dann tun Sie’s, und denken Sie daran, mir Bescheid zu geben, wenn Sie mehr Zeit benötigen, um das fertigzustellen. Ich will nicht, dass diese Software in irgendeiner Weise auf die übrigen Systeme zugreifen kann.«

Der Lieutenant Commander nickte. »Jawohl, Captain. Ich würde auch nicht wollen, dass so etwas sich ungehindert ausbreiten kann. Aber wenn wir herausfinden können, wie diese Anpassung läuft, dann sind wir vielleicht in der Lage, ein paar gute Dinge zu übernehmen.«

Desjani verzog ein wenig den Mund, während sie den Offizier ansah. »Deren Software kann Dinge, die unsere nicht kann?«

»Richtig, Captain.« Der Mann grinste so breit wie ein Kind, dem man ein besonders schönes Geschenk gemacht hatte. »Wir wissen noch nicht, wie das funktioniert, aber es war faszinierend, das mitanzusehen. Diese Software ist einfach… cool.«

»Danke. Kümmern Sie sich um das Netzwerk«, entgegnete Desjani. Nachdem das Bild des Offiziers verschwunden war, schaute sie zu Geary. »Irgendeine Software, bei der meinen Computerleuten das Wasser im Mund zusammenläuft, und die haben uns das einfach so gegeben.«

»Vielleicht halten sie sie ja für nichts Besonderes«, gab Geary zu bedenken.

»Möglicherweise. Aber wenn das stimmt, dann möchte ich nicht wissen, wozu ihre besondere Software in der Lage ist.«

Desjani drehte sich zu Charban um. »General, Sie werden auf dieses Programm zugreifen können, sobald meine Leute das isolierte Netzwerk fertiggestellt haben.«

Auch Geary wandte sich an ihn und Rione: »Diese Aliens müssen uns das Programm gegeben haben, damit wir einen Weg finden, um mit ihnen zu kommunizieren. Ich muss ihnen vor allem anderen schnellstmöglich zu verstehen geben, dass wir nicht mit ihnen kämpfen wollen. Wir wollen nur ihr Gebiet unbehelligt durchqueren. Und ich muss wissen, was sie über die Bärkühe denken. Sind es ihre Feinde? Verhalten sie sich neutral? Oder sind sie deren Verbündete? Werden sie sich zurückhalten, wenn es zum Kampf zwischen uns und der Bärkuh-Armada kommt?«

Charban nickte eifrig. Seine Augen funkelten erwartungsvoll. »Das werden unsere vorrangigen Aufgaben sein. Aber von der Zeit abgesehen, die wir benötigen, um herauszufinden, wie wir diese Fragen stellen müssen, ist da auch noch das Problem der Entfernung zu den Schiffen der Spinnenwölfe. Wir sind von ihnen immer noch über fünfzig Lichtminuten weit weg, dementsprechend lang wird sich eine Kommunikation hinziehen.«

»Ich weiß, wir brauchen mehr Zeit.« Geary betätigte eine andere Taste. »An alle Einheiten: Beschleunigen Sie bei Zeit fünf null auf 0,15 Licht.« Das sollte eigentlich genügen, um etwas mehr Zeit herauszuholen, bevor die Bärkühe sie erreichen konnten. Diese zusätzlichen Stunden würden womöglich genügen, um dahinterzukommen, was die Spinnenwölfe vorhatten.

»Wie zum Teufel sollen wir bloß diese Schiffe unschädlich machen?«, fragte sich Desjani, als sie auf ihr Display schaute, das die Superschlachtschiffe der Bärkühe zeigte. Die folgten mit relativ hoher Geschwindigkeit der Allianz-Flotte.

»Gibt es hier irgendjemanden, der nicht die Bilder gesehen hat, die uns die Wesen in den Schiffen vor uns geschickt haben?«, fragte Geary, während er seinen Blick durch den Konferenzraum wandern ließ.

Da die Nachricht an die gesamte Flotte geschickt worden war, ging er davon aus, dass jeder sie kannte. Das Minenspiel seiner Captains war für ihn Antwort genug.

»Die Absichten der Spinnenwölfe sind uns immer noch unbekannt«, fuhr er fort. »Unsere Experten und Gesandten arbeiten daran, eine brauchbare Kommunikation zu ihnen in die Wege zu leiten, aber die wird im günstigsten Fall für einige Zeit sehr simpel und sehr eingeschränkt ausfallen.«

»Werden sie sich auf die Seite der Kiks stellen?«, fragte Captain Badaya. »Das ist das, was wir vor allem anderen wissen müssen.«

»Kiks?« Geary sah, dass einige verstehend nickten, während andere mit dem Begriff genauso wenig anfangen konnten wie er selbst.

»Den haben sich die Matrosen ausgedacht«, erläuterte Captain Duellos. »Sie fingen an, die Bärkühe als Killerkühe zu bezeichnen, und inzwischen haben sie das auf Kik verkürzt.«

»Damit kann ich leben«, murmelte Desjani.

Geary konnte nichts gegen diese Bezeichnung einwenden, da sie nicht obszön oder anderweitig verletzend war. Wenn seine Leute sich entschieden hatten, diese Kreaturen als Kiks zu bezeichnen, sollte ihm das recht sein. Doch das Geplänkel hatte ihn abgelenkt, und er brauchte einen Moment, ehe ihm Badayas eigentliche Frage wieder in den Sinn kam. Er aktivierte eine Kopie der jüngsten von den Spinnenwölfen übermittelten Nachricht, die daraufhin vor jedem der Anwesenden in der Luft schwebend auftauchte. Die animierte Nachricht von Schiffen der Spinnenwölfe, die auf die Bärkühe schossen, war mehr als eindeutig. »Wie es aussieht, sind sie deren Feinde. Achten Sie auf die nächste Szene.«

Die Animation verschob sich, Bilder der Allianz-Flotte wurden einkopiert. Die Kriegsschiffe der Menschen und die der Spinnenwölfe bewegten sich gemeinsam weiter und eröffneten gleichzeitig das Feuer auf den Gegner, dessen Armada in einer gelungenen Computergrafik-Explosion verging.

»Sie wollen sich mit uns verbünden?«, fragte Captain Duellos. »Die hässlichsten Kreaturen im ganzen Universum, und die wollen mit uns befreundet sein?«

Captain Bradamont, der bei den Konferenzen nur selten einmal ein Wort herausbrachte, erklärte daraufhin: Wie der Admiral ja zu einem früheren Zeitpunkt erwähnt hatte, dürften sie im Gegenzug das Gleiche von uns denken.«

Gelächter machte sich breit, einmal weil die Bemerkung wirklich witzig war, aber genauso, um sich von der dauernden Anspannung wenigstens für einen Moment zu befreien.

»Wenn die glauben, wir seien hässlich«, fügte Captain Badaya an, »dann sollten die erst mal ein paar von unseren Marines zu Gesicht bekommen.«

Wieder wurde ausgelassen gelacht, während General Carabali mit einer wegwerfenden Handbewegung reagierte. »Es ist eine bekannte Tatsache, dass die Marines bei der Landung auf einem Planeten alle Mädchen und Jungs abkriegen, während die Flottenoffiziere und die Matrosen nur dumm rumstehen und in die Röhre gucken.«

»Ich glaube, die meisten hier sind meiner Meinung, dass das Verhaften der lokalen Bevölkerung eher wenig mit einem Kennenlernen der Jungs und Mädchen zu tun hat«, warf Duellos ein.

Geary sorgte dafür, dass nicht sofort die nächste Lachsalve folgte. Er wusste, dass die Erleichterung in der gelösten Stimmung schnell wieder der Erkenntnis weichen musste, dass sie vor einer besonders ernsten Bedrohung standen. »Wichtig ist, dass wir Verbündete haben. Bedauerlicherweise fehlt uns die Möglichkeit, einen gemeinsamen Angriff auf die Armada zu koordinieren. Wir müssen unabhängig voneinander operieren, die Bärkühe angreifen und gleichzeitig darauf achten, dass wir den Spinnenwölfen nicht in den Weg fliegen.«

»Und müssen wir nicht auch die Spinnenwölfe im Auge behalten?«, wollte Tulev wissen. »Ich meine, wir haben schließlich nur ihr Wort, dass sie Feinde der Bärkühe sind.«

»Wir werden unsere neuen Verbündeten und allerbesten Freunde nicht aus den Augen lassen«, bestätigte Desjani.

Geary zögerte, als ihm auffiel, wie alle Anwesenden Desjanis Bemerkung als endgültige Antwort in der Sache akzeptierten, so als hätte er selbst das gesagt. Gingen sie davon aus, dass sie bereits mit ihm über die weitere Vorgehensweise gesprochen hatte? Oder meinten sie, dass Tanya nicht nur auf der Brücke der Dauntless, sondern auch bei ihrer dienstlichen Beziehung das Sagen hatte? »Richtig«, sagte er letztlich und konnte nur hoffen, dass es nicht so klang, als würde er klein beigeben. »Wir verlassen uns allein auf uns selbst und halten die Augen offen.«

Er aktivierte das Display, welches das Sternensystem darstellte. Vor ihnen befand sich die höchst komplexe Formation der Spinnenwölfe mit ihren makellos glatten Schiffen, die jetzt nur noch zehn Lichtminuten entfernt waren. »Wir befinden uns immer noch zwischen den Fronten, aber das wird nicht mehr lange so bleiben.« Hinter ihnen hatte sich die Armada der Bärkühe zur beunruhigenden Form eines Vorschlaghammers stabilisiert. Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass sich die Superschlachtschiffe in den vordersten Reihen befanden. Da Geary seine Flotte konstant mit 0,15 Licht hatte weiterfliegen lassen, waren die Bärkühe kontinuierlich näher gekommen, und inzwischen waren sie nur noch zwei Lichtminuten hinter ihnen.

Auf dem Display löste sich die Formation aus unterschiedlich großen, untereinander verbundenen Dreiecken endlich auf, die einzelnen Schiffe flogen in verschiedene Richtungen davon, wobei sich nach einer Weile drei nahezu gleich große Unterformationen herausbildeten, die jede einem anderen Vektor folgte. »Wir haben den Bärkühen ein einzelnes Ziel geboten, auf das sie losstürmen konnten, und nun lassen wir sie wählen. Ganz egal, für welche Formation sie sich entscheiden, es bleiben immer zwei Formationen übrig, mit denen wir sie angreifen können.«

»Falls diese Spinnenwölfe tatsächlich die Feinde der Bärkühe sind«, warf Duellos ein, während er das Display betrachtete, »dann fliegen die vielleicht einfach auf sie zu, sobald wir ihnen ausgewichen sind. Wäre ich einer von diesen Spinnenwölfen, würde mir das nicht unbedingt gefallen.«

Wieder hielt Geary inne. Diesen Punkt hatte er nicht in Erwägung gezogen, da er davon ausgegangen war, dass die Bärkühe zwangsläufig die Allianz-Flotte verfolgen würden. Doch mit den Spinnenwölfen unmittelbar vor ihnen war es denkbar, dass sie die einfach zu ihrem neuen Ziel erklärten.

Er sah zu Desjani, die ihm geholfen hatte, den Plan zu entwickeln. Vergeblich versuchte sie in diesem Moment, eine überraschte Miene zu machen. Tanya, du hast diese Möglichkeit ganz offensichtlich erkannt, aber kein Wort gesagt. Darüber werden wir noch reden müssen.

Badaya runzelte die Stirn, während er nachdachte. »Wenn es dazu kommt und die Kiks geradewegs auf die Spinnenwölfe zufliegen, wird das für uns eine exzellente Gelegenheit sein zu beobachten, ob die beiden Spezies tatsächlich verfeindet sind und wie die Spinnenwölfe bei einer Raumschlacht auf ihre Gegner losgehen. Das ist ein geschickter Schachzug, Admiral.«

»Danke«, sagte Geary, ohne dabei Desjani anzusehen. »Wir werden uns ansehen, was geschieht, aber wir müssen in der Lage sein, angemessen zu reagieren, ganz gleich, was die Bärkühe tun werden. Und wir müssen immer auf Abstand zur Formation der Spinnenwölfe bleiben, falls sie doch nicht ganz so freundlich sind, wie sie behaupten.«

Commander Neeson beugte sich vor. »Mein Offizier für Systemsicherheit hat mir von diesem Programm erzählt, das die Spinnenwölfe uns geschickt haben. Unsere Softwarespezialisten sind völlig aus dem Häuschen.«

»Ja, ich habe gehört, dass die Fähigkeiten dieses Programms alles übertreffen, was von Menschen entwickelte Software kann«, entgegnete Geary.

»Ist der Rest ihrer Technologie unserer genauso überlegen? Meine Ingenieure sind ganz begeistert von diesen Schiffen.«

Geary antwortete auf die einzig mögliche Weise: »Das werden wir noch herausfinden. Im Augenblick können wir nicht mal etwas zu ihren Manövrierfähigkeiten sagen, da ihre Flotte noch immer keine Kursänderung vorgenommen hat. Ihre Schildstärke scheint unserer zu entsprechen, aber wir wissen nicht, ob sie mit voller Leistung betrieben wird oder nicht.«

Captain Smythe meldete sich zu Wort: »Meine Spezialisten haben das analysiert, was auf den uns zugeschickten Videos zu sehen war. Die einzige Schlussfolgerung, auf die sie sich einigen konnten, ist die, dass die Brücke im wahrsten Sinn des Wortes dreidimensional angelegt ist.«

»Dreidimensional?«, wiederholte Tulev.

»Es scheint kein Deck zu geben«, erläuterte der Captain. »Keine Ebene, um die herum die verschiedenen Stationen angeordnet sind. Vielmehr erweckt die Anordnung der Geräte den Eindruck, als würden sie nicht in Begriffen wie oben oder unten denken, sondern alles einfach dort eingebaut haben, wo es am besten passt.«

»Sie können sich nicht in der Schwerelosigkeit entwickelt haben«, protestierte jemand.

»Nein, aber auf jeden Fall denken sie nicht, dass irgendetwas unten oder oben sein muss und nicht umgekehrt.«

»Haben Sie diese Analyse an die zivilen Experten weitergeleitet?«, wollte Geary von Smythe wissen.

»Ähm, ich…«

»Holen Sie das bitte nach, sobald dieses Treffen vorüber ist.« Er überlegte einen Moment lang, um sich sicher zu sein, dass er nichts vergessen hatte. »Wir wissen von unserer Begegnung bei Pandora, dass die Superschlachtschiffe der Bärkühe extrem hart im Nehmen sind. Anstatt sie unter Beschuss zu nehmen, werden unsere Gefechtssysteme angewiesen, das Feuer zunächst auf die kleineren Kriegsschiffe zu konzentrieren, von denen sie begleitet werden. Wir schießen diese Eskorten kampfunfähig, notfalls werden wir sie auch vernichten, und sobald die Superschlachtschiffe nicht mehr von ihnen geschützt werden, nehmen wir sie uns der Reihe nach vor.«

»Und wenn sie die Flucht ergreifen?«, wollte Captain Jane Geary wissen.

»Dann winken wir ihnen zum Abschied hinterher, während sie Kurs auf den Sprungpunkt nehmen.« Er wusste nicht, wie man seine Antwort aufnehmen würde, schon gar nicht in dieser Flotte, die lange Zeit nur den beharrlichen Angriff gekannt hatte, nachdem durch die hohen Verluste über Jahrzehnte hinweg alles taktische Wissen praktisch verloren gegangen war. »Wenn sie sich zurückziehen, haben wir gewonnen. Ein Streben nach einem noch größeren Triumph würde zweifellos nur mehr von unseren Leuten das Leben kosten, und ich bin der Ansicht, dass wir durch die Kämpfe mit den Bärkühen schon mehr als genug Menschenleben verloren haben.«

»Wir müssen den Kiks eine Lektion erteilen«, beharrte Jane Geary. »Das hier ist der ideale Zeitpunkt, um genau das zu machen.«

»Wir müssen nach Hause zurückkehren«, grummelte Captain Hiyen als Antwort darauf. »Die Schiffe der Callas-Republik sind Teil dieser Flotte, deren Aufgabe es ist, unser Zuhause zu verteidigen. Indem die Kiks mit blutiger Nase heimkehren, sind sie nicht länger in der Lage, uns zu folgen, also wissen sie auch nicht, wo sie uns finden können, und damit hat die Flotte diese Aufgabe erfüllt.«

»Die Allianz-Flotte«, mischte sich der Commander des Schweren Kreuzers Barding ein, »schreckt vor keiner Schlacht zurück und begnügt sich niemals mit weniger als einem vollkommenen Triumph.«

»Reden Sie nur«, konterte der Captain der Sapphire. »Das da ist Black Jack, schon vergessen? Wenn er sagt, dass ein errungener Sieg das Verlangen nach Ehre befriedigt, dann stelle ich seine Worte nicht infrage. Wie kann irgendeiner von Ihnen so etwas tun?«

»Black Jack war auch nur ein Mensch«, sagte Jane Geary in einem Tonfall, als hätte sie das schon Dutzende Male gesagt. Nach allem, was Geary über seine Großnichte wusste, hasste sie schon ihr Leben lang die Legende rund um Black Jack, die sie und ihren Bruder gezwungen hatte, zur Flotte zu gehen und in die Fußstapfen des legendären Großonkels zu treten. »Wir tun weder uns noch dem Flottenbefehlshaber einen Gefallen, wenn wir nicht die notwendigen Fragen aufw-«

»Das hier ist keine Diskussionsrunde!« Dass Geary das gesagt hatte, wurde ihm erst bewusst, als alle Anwesenden verstummten und sich zu ihm umdrehten. »Ich habe das Kommando, und mein Plan wird befolgt werden. Hat sonst noch jemand eine Frage?«

Niemand wollte sich äußern. Als die Offiziere einer nach dem anderen verschwanden und schließlich nur noch Tanya Desjani bei ihm war, musste Geary noch immer mit sich ringen, um seine Wut unter Kontrolle zu bringen.

»Ich habe versucht mit ihr zu reden«, sagte Desjani. »Sie war höflich zu mir, mehr auch nicht. Als ich dann einen kleinen Scherz wagte, ich würde ja jetzt zur Familie gehören, da bekam ich das Gefühl, dass ihre Laune noch unter den Nullpunkt gesunken war.«

»Ich begreife das nicht.«

»Ich glaube, ich komme allmählich dahinter.« Tanya stand auf und kniff für einen Moment die Lippen fest aufeinander. »Sie hasst es, eine Geary zu sein. Ihr Leben lang hat sie es gehasst, in Ihrem Schatten zu stehen…«

»Es war niemals mein Schatten!«

»Also gut, in Black Jacks Schatten. Auf jeden Fall hat sie es gehasst, aber immerhin war sie eine Geary. Jeder sah in ihr einen Teil der Legende, auch wenn es ihr nicht gefallen hat. Aber jetzt…« Sie hob die Schultern. »Jetzt sind Sie wieder da. Sie sind Black Jack persönlich — nein, versuchen Sie gar nicht erst, das gleich wieder abzustreiten — und allein durch Ihre Anwesenheit rauben Sie ihr die Luft zum Atmen. Sie ist jetzt nur noch Jane. Und nun bin ich auch noch Ihre Partnerin, ich bin auserwählt, um an Ihrer Seite zu sein. Was bleibt da noch für sie übrig?«

Eine Weile stand er schweigend da. »Sie versucht, sich zu beweisen.«

»Richtig. Weil sie glaubt, dass ihr alles genommen worden ist, was sie einmal war. Etwas muss diese Leere füllen. Sie hat sich verändert, seit sie auf Ihrer Heimatwelt war. Was glauben Sie, was die Leute dort zu ihr gesagt haben? Wie oft musste sie sich Vergleiche anhören, nicht mit einer Legende, sondern mit dem Mann selbst? Jetzt will sie beweisen, dass sie auch eine Geary ist.«

Er starrte auf das Schott vor sich, sah aber nicht dessen Oberfläche, sondern die Gesichter anderer Captains, die vor ihr versucht hatten, zu Ruhm und Ehre zu gelangen. Captain Midea bei Lakota mit der Paladin auf dem Weg in den Untergang. Captain Falco, der die Triumph, die Polaris und die Vanguard bei Vidha in den Tod führte. Captain Kila, die bei Padronis kaltblütig die Vernichtung der Lorica arrangierte und dabei auch noch versuchte, die Dauntless zu zerstören. Jeder von ihnen hatte sich für einen Helden gehalten, und die Schiffe mitsamt ihren Besatzungen hatten dafür mit ihrem Leben bezahlt.

Es gab eine Möglichkeit, das zu verhindern.

»Das halte ich für keine gute Idee«, sagte Tanya.

Er drehte sich zu ihr um. »Was wäre keine gute Idee?«

»Ihr das Kommando zu entziehen.«

»Woher…«

Sie beugte sich vor und legte den Zeigefinger auf seine Brust. »Ich weiß, an wen Sie denken. Sie meinen, sie ist wie Midea? Ich kannte Midea wesentlich länger als Sie. Jane Geary ist nicht mal annähernd so wie Midea. Sie verhält sich ein bisschen übermütig, und sie drängt darauf, in Aktion treten zu dürfen, aber sie ist nicht dumm.«

»Und was ist mit Falco?«

»Falco? Falco war der Inbegriff der Ignoranz. Ihn hat es nicht gekümmert, wie viele Schiffe und Besatzungsmitglieder dabei draufgehen mussten, damit er seine Siege erringen konnte.« Sie kniff ein wenig die Augen zusammen. »Ihnen geht noch jemand durch den Kopf.«

»Sie können tatsächlich meine Gedanken lesen, wie?« In diesem Augenblick erschien es ihm durchaus möglich, dass sie wirklich dazu in der Lage war.

»Reden Sie keinen Unsinn. An wen denken Sie noch?«

»Kila.«

Sekundenlang starrte Desjani ihn zornig an. »Niemand verdient es, mit diesem Miststück verglichen zu werden, und erst recht nicht Ihre eigene Großnichte. Merken Sie sich das, Admiral. Ich bin ein Albtraum für jeden unfähigen Offizier, das wissen Sie ganz genau. Jane Geary ist nicht unfähig, sondern intelligent. Im Augenblick fehlt ihr nur eine starke Hand, die sie führt. Sie sind ihr Vorgesetzter, also führen Sie sie.«

»Jawohl, Ma’am.«

»Das ist nicht witzig, Admiral. Und jetzt kommen Sie, wir müssen den Kiks eine Lektion erteilen, dass man sich nicht mit der Allianz-Flotte anlegt.«

»Da fällt mir was ein«, sagte Geary und ließ eine lange Pause folgen, bis Desjani ihn schließlich ansah. »Wieso haben Sie mich nicht auf die Möglichkeit aufmerksam gemacht, dass die Bärkühe sich auf die Spinnenwölfe konzentrieren könnten, wenn sich unsere Flotte in drei Unterformationen aufteilt?«

»Weil Sie das längst wussten. Ich wusste, Sie würden nicht zugeben, dass Sie wissen, so etwas könnte passieren. Aber Sie wissen, ich beherrsche meinen Job gut genug, um das zu erkennen. Und ich weiß, Sie wissen genug über Taktiken, weshalb Sie das genauso schnell wie ich erkannt haben.«

Es dauerte ein paar Sekunden, ehe Geary sich durch ihre Antwort gearbeitet hatte. »Tanya, ich hatte es bis zu dem Moment nicht gesehen, als in der Konferenz darauf hingewiesen wurde.«

»Wirklich nicht?« Sie musterte ihn, dann zuckte sie mit den Schultern. »Tut mir leid, Admiral. Sie sind ein guter Taktiker, und das wissen Sie. Ich gehe davon aus, dass Sie Dinge wissen, die offensichtlich erscheinen. In diesem speziellen Fall dachte ich, Sie sind einfach nur so diplomatisch, dass Sie nicht sagen wollten: ›Besser die hässlichen Gestalten als wir.‹«

»Sie müssen mich auf solche Dinge aufmerksam machen, anstatt davon auszugehen, dass ich das alles längst weiß.«

»Damit Sie mir an den Kopf werfen können, dass Sie das alles natürlich wissen?«, hielt Desjani dagegen.

»Das habe ich einmal gesagt!«

»Bei allem Respekt, aber das habe ich anders in Erinnerung, Sir.«

»Ich… Tanya, wieso zum Teufel kannst du manchmal meine Gedanken lesen, und dann wieder hast du keine Ahnung, was mir gerade durch den Kopf geht?«

»Dass du das sagen würdest, habe ich gewusst! Nein, ich kann nie deine Gedanken lesen. Können wir jetzt damit anfangen, ins Gefecht zu ziehen?«

»Ja.« Im Gegensatz zu dieser Diskussion hatte er wenigstens eine Chance, die Schlacht zu gewinnen.

Er nahm seinen Platz auf der Brücke der Dauntless ein und versuchte, an nichts anderes zu denken als an den bevorstehenden Kampf. Wir schießen diese Eskorten kampfunfähig, notfalls werden wir sie auch vernichten, und sobald die Superschlachtschiffe nicht mehr von ihnen geschützt werden, nehmen wir sie uns der Reihe nach vor. Es klang alles so leicht und mühelos. Es in die Tat umzusetzen, würde dagegen verdammt schwer werden.

Allein schon sein Versuch sich zu konzentrieren, wurde prompt durch ein Signal seiner Komm-Einheit gestört, das ihm anzeigte, dass jemand versuchte ihn anzurufen. Zumindest das funktionierte.

Nein, es funktionierte doch nicht, denn der eingehende Anruf kam von Captain Vente, dem offenbar endlich aufgefallen war, dass er seit dem Verlust der Invincible völlig aufs Abstellgleis geschoben worden war. Eine Nachricht von Captain Vente hätte automatisch blockiert werden müssen.

Sollte er Tanya etwas davon sagen? Nein, die konnte es sich jetzt auch nicht leisten, durch irgendetwas abgelenkt zu werden.

Aber wenn die Komm-Systeme der Dauntless erneut Probleme bereiteten, dann musste sie davon in Kenntnis gesetzt werden, und er hatte dafür zu sorgen, dass sie repariert wurden. »Captain Desjani, meine Komm-Einstellungen werden vom System nicht beachtet.«

Ihre Miene verfinsterte sich. »Kommunikation: Das Komm des Admirals arbeitet nicht fehlerfrei. Sie haben fünfzehn Minuten Zeit für die Reparatur, sonst erhält dieses Schiff einen neuen Komm-Offizier.«

»Jawohl, Captain.«

Geary versuchte erneut, sich auf die kommende Schlacht einzustimmen, aber gleich darauf blinkte ein anderes Alarmsymbol auf seinem Display rot auf. Noch bevor er den Alarm bestätigen konnte, öffnete sich ein Fenster, darin war das Gesicht des Befehlshabers der Spartan zu sehen. »Admiral, mein halbes Schiff ist in Dunkelheit getaucht. Erste Vermutungen besagen, dass mehrere Knotenpunkte für die Energieverteilung fast gleichzeitig ausgefallen sind.«

Verdammt, verdammt, verdammt! »Funktionieren Steuerdüsen und der Antrieb noch?«

»Ja, Sir, wir haben noch unseren Antrieb. Wir basteln an den Steuerschaltkreisen, um das Problem auf der Backbordseite zu umgehen. In fünf Minuten sollte die Leistungsfähigkeit wiederhergestellt sein.«

Es hätte schlimmer kommen können, viel schlimmer sogar. »Wie wäre es damit, die Knotenpunkte auszutauschen?«, fragte Geary.

»Wir haben nur gerade so viele Ersatzeinheiten an Bord, um fünf der sieben ausgefallenen Knoten zu ersetzen.« Der Captain der Spartan blickte finster drein. »Ich sorge dafür, dass alle Aufzeichnungen unter Verschluss bleiben und die Stellen, an denen die Schäden aufgetaucht sind, so weit wie möglich unangetastet bleiben, ausgenommen natürlich alles, was im Rahmen der Reparaturen verändert oder bewegt werden muss. Falls das Sabotage oder Nachlässigkeit war, werden wir nachvollziehen können, wie es dazu gekommen ist.«

»Danke«, entgegnete Geary. »Ein guter Gedanke, allerdings spricht bedauerlicherweise vieles dafür, dass es lediglich technisches Versagen war. Haben Sie vor dem Ausfall die Energiesysteme Ihres Schiffs besonders belastet?«

»Besonders? Nur die Vorbereitungen für den Kampf, Sir. Die Schilde wurden auf maximale Leistung hochgefahren, um ihre Bereitschaft zu testen, und die Höllenspeer-Batterien wurden eingeschaltet.«

Würde ein solcher Vorfall auch auf anderen Schiffen eintreten, wenn sie sich für diese bevorstehende Schlacht bereit machten? »Geben Sie mir Bescheid, sobald Sie wieder voll manövrierfähig sind.« Während das Bild des Captains der Spartan noch verblasste, wandte sich Geary an die Flotte insgesamt: »An alle Einheiten: Wenn Sie sich auf das kommende Gefecht vorbereiten, achten Sie darauf, dass Sie die Systeme nacheinander hochfahren, nicht gleichzeitig. So vermeiden Sie, dass die Knotenpunkte für die Energieverteilung über Gebühr belastet werden.«

Von Captain Smythe ging bereits eine Rückmeldung ein: »Admiral, die vorläufige Analyse zeigt, dass die Energieverteilung an Bord der Spartan in rascher Folge ausgefallen ist. Nachdem der erste Knotenpunkt den Geist aufgab, hat das Energieverteilsystem automatisch versucht, die Energie durch die verbleibenden Knoten umzuleiten. Das hat zur nächsten Überladung geführt, weshalb durch die übrigen noch mehr Energie floss, und so weiter und so fort. Einer der Wachhabenden im Maschinenraum der Spartan hat noch gerade rechtzeitig die manuelle Abschaltung vornehmen können, bevor sämtliche Knoten auf dem Schiff durchbrennen konnten.«

Geary war weit davon entfernt, sich zu entspannen. Vielmehr regten sich heftige Kopfschmerzen. »Ich dachte, es gibt automatische Sicherungen, die so was verhindern.«

»Die gibt es, aber die Knotenpunkte für die Energieverteilung sind nicht die einzigen Systeme, die uns allmählich im Stich lassen, Admiral. In diesem Fall hat die automatische Abschaltung nicht reagiert. Es kann eine Weile dauern, ehe wir den Grund dafür herausfinden, aber ich habe bereits Eilmitteilungen an alle Schiffe geschickt, damit sie darauf achten können, ob sich so etwas bei ihnen ebenfalls ereignet.«

Ein weiterer Alarm blinkte auf, den Smythe auf seinem Display ebenfalls gesehen haben musste, da er erschrocken zur Seite schaute. »Die Titan hat soeben eine Hauptantriebseinheit verloren. Ursache unbekannt.«

Die Schlacht hatte noch nicht richtig begonnen, und schon wurden von seinen Schiffen bereits die ersten Schäden gemeldet. Die Titan war ohnehin ein träges Schiff, aber wenn sie jetzt auch noch auf eine Antriebseinheit verzichten musste…

»Captain Smythe, diese Antriebseinheit muss innerhalb der nächsten zwanzig Minuten wieder voll funktionsfähig sein.«

»Ich kenne ja nicht mal die Ursache für ihren Ausfall, Admiral! Folglich weiß ich auch noch nicht, in welchem Umfang Reparaturen notwendig werden!«

»Egal, was es ist, Sie haben zwanzig Minuten.«

»Wie Sie meinen, Admiral. Aber ich habe Sie schon vor Monaten gewarnt, dass diese Probleme auf uns zukommen. Machen Sie sich lieber darauf gefasst, dass es auf anderen Schiffen zu ähnlichen Systemausfällen kommen kann, sobald sie ihre Systeme gefechtsbereit machen.«

Smythe hatte gerade erst die Verbindung beendet, da entpuppte sich seine Warnung als prophetisch. Weitere Alarmsymbole übersäten im nächsten Moment Gearys Display. Ausgerechnet die Dependable meldete plötzliche Ausfälle in den Gefechtssystemen, die Dragon und die Victorious berichteten vom Verlust einer Höllenspeer-Batterie, nachdem die Energiesysteme versagt hatten. Die Witch hatte einen Teil ihrer Schildgeneratoren verloren. Auch auf den Schweren Kreuzern Parapet, Chanfron, Diamond und Ravelin, den Leichten Kreuzern Assault, Forte und Retiarii sowie den Zerstörern Herebra, Cutlass, Stave, Rifle und Flail waren Höllenspeer-Batterien ausgefallen. Vom Leichten Kreuzer Rocket kam die Meldung, dass es Probleme mit den Schilden gab.

Geary lehnte sich zurück, sein Blick hing an der Armada der Bärkühe fest, die beständig näher kam und nun gerade noch eine Lichtminute von der Allianz-Flotte entfernt war. Eine komplizierte Raumschlacht war soeben noch um einiges komplizierter geworden.

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