Spencer versuchte, seine schmerzenden Beine ein wenig zu entspannen. Sein ganzer Körper war wie gerädert. Durch seine Furcht und die Anstrengung, sich zu konzentrieren, hatte er unnötig viel Energie verbraucht. Seine Finger waren eingeschlafen. Sie zitterten und waren gefühllos. Während er die unruhigen Bewegungen der Instrumente überwachte, stieg vor seinen Augen beständig ein Lichtfleck auf und sank langsam zurück wie eine Baumwollflocke. Die ganze Zeit über hörte er jetzt die innere Stimme - so klar wie jene im Kopfhörer - einen eindringlichen Monolog sprechen. ,Was immer du tust', sagte sie, ,gib nicht nach! Wenn du weich wirst, bist du erledigt. Denke daran; im Krieg hast du das oft erlebt. Du dachtest: jetzt ist es aus. Und dann war doch jedesmal noch eine letzte Energiereserve da, von der du vorher nie etwas gewußt hattest...' Er zwang sich zu sprechen: „Wie ging's diesmal?" fragte er Janet. Er wußte, daß er kurz vor dem Zusammenbruch stand. Sie schien zu ahnen, was die Frage bedeutete: „Wir haben es ausgezeichnet gemacht, finde ich", sagte sie gedehnt. „Ich hatte den Eindruck, Captain Treleaven war ganz vergnügt, nicht wahr?"
„Ich habe ihn kaum gehört", sagte er. Er bewegte den Kopf hin und her, um die Nackenmuskeln zu entspannen. „Ich hoffe nur, daß es jetzt genug ist. Wie oft haben wir die Klappen und das Fahrwerk jetzt ausgefahren und eingefahren? Dreimal? Wenn er es noch mal verlangt, werde ich... "
,Halt', sagte er zu sich selbst. ,Laß sie nicht merken, in was für einem Zustand du bist...' Sie beugte sich zu ihm hinüber und wischte ihm mit einem Taschentuch über Gesicht und Stirn. ,Komm jetzt', ermahnte er sich. ,Reiß dich zusammen! Das ist alles nur eine nervöse Reaktion. Denk an Treleaven, denk daran, daß er genauso übel dran ist. Er ist zwar sicher am Boden, aber...
Und was geschieht, wenn er etwas vergißt...?'
„Haben Sie gesehen?" sagte Janet. „Die Sonne geht auf."
„Natürlich", log er und hob die Augen. Vor ihnen im Westen war der Wolkenteppich in Rosa und Gold getaucht. Die weite Wölbung des Himmels war nun schon heller geworden. Im Süden konnte er zwei Berggipfel sehen, die wie Inseln in einem wogenden Ozean aus den Wolken ragten.
„Es wird nicht mehr lange dauern." Er hielt inne. Dann: „Janet..."
„Ja?"
„Bevor wir runtergehen, sehen wir noch ein letztes Mal - ich meine, noch einmal nach den Piloten. Vermutlich werden wir ziemlich aufbumsen. Ich möchte nicht, daß die beiden herumgeworfen werden." Janet warf ihm ein dankbares Lächeln zu. „Können Sie einen Moment allein weitermachen?" fragte sie. „Keine Angst. Ich schreie schon, wenn etwas ist." Sie streifte den Kopfhörer ab und stand auf. Als sie sich umwandte, öffnete sich die Tür zur Passagierkabine, und Baird schaute herein.
„O - Sie sind vom Funkgerät weg!" bemerkte er. „Ich wollte gerade einen Blick auf den Captain und den Copiloten werfen, um zu sehen, ob man etwas für sie tun kann."
„Nicht nötig", sagte Baird. „Ich habe vor ein paar Minuten nach ihnen geschaut, als Sie gerade sehr beschäftigt waren."
„Doktor", rief Spencer, „wie steht's hinten?"
„Deshalb komme ich", sagte Baird. „Die Zeit wird allmählich knapp... "
„Könnten wir Ihnen über Funk irgendeine Hilfe verschaffen?"
„Ich würde mit dem Arzt da unten gern meine Diagnose vergleichen, aber es dürfte im Augenblick wichtiger sein, das Gerät für Sie frei zu halten. Wie lange brauchen wir noch?"
„Tja - eine knappe halbe Stunde, würde ich sagen. Was meinen Sie?"
„Ich weiß nicht recht", sagte Baird zweifelnd. Er stand hinter Spencer. Jeder Zentimeter seines Körpers schien aus Müdigkeit zu bestehen. Er hatte die Ärmel seines Oberhemds hochgekrempelt und die Krawatte gelöst. „Zwei Patienten sind im Zustand völliger Erschöpfung", sagte er. „Wie lange sie noch ohne Behandlung durchhalten, kann ich nicht sagen. Aber sicher nicht mehr lange, das steht fest. Ein paar andere werden bald genauso schlimm dran sein, wenn ich mich nicht sehr täusche."
Spencer verzog das Gesicht. „Hilft Ihnen jemand?"
„Ja. Sonst hätte ich's gar nicht geschafft. Vor allem dieser Bursche aus Lancashire ist großartig. Er hat sich wirklich als..."
In die Kopfhörer kam Leben: „Hallo - 714! Hier ist Vancouver. Bitte kommen."
Spencer winkte Janet in den Sitz zurück. Hastig legte sie sich die Kopfhörer um. „Ich gehe wieder nach hinten", sagte Baird. „Viel Glück!"
„Ein Moment", sagte Spencer und nickte dem Mädchen zu.
„714 hier", sprach Janet ins Mikrophon. „Wir werden sofort wieder rufen, Vancouver!"
„Doktor", sagte Spencer eilig, „ich möchte Ihnen reinen Wein einschenken. Es kann verdammt kitzlig werden. Es wird einiges passieren!" - Der Doktor sagte nichts. „Sie wissen, wie ich das meine. Wahrscheinlich werden die Leute da hinten ein bißchen durchgerüttelt. Versuchen Sie doch, sie irgendwie etwas abzusichern, ja?" Baird suchte nach Worten. Dann antwortete er in rauhem Ton: „Tun Sie, was Sie können. Alles andere überlassen Sie mir." Er klopfte dem jungen Mann leicht auf die Schulter und ging nach hinten. „Okay jetzt", sagte Spencer zu dem Mädchen. „Bitte kommen, Vancouver. Fahren Sie fort", rief sie. „Hallo - 714", antwortete die klare, ruhige Stimme Treleavens. „Nachdem wir Ihnen jetzt eine verdiente Schnaufpause gegönnt haben, müssen wir aber weitermachen.
Sie müssen jetzt unbedingt jedes Wort verstehen. Empfangen Sie mich klar? Bitte kommen. "
„Sagen Sie ihm, ich hätte mich jetzt ein paar Minuten ausgeruht", sagte Spencer, „und wir hören ihn mit Stärke neun... "
„... kurze Ruhe", sagte Janet, „und wir hören Sie mit Stärke neun."
„Ausgezeichnet, George. Unser Flugtraining hat Sie ein bißchen fertiggemacht. Aber Sie werden verdammt froh darüber sein, wenn Sie hereinkommen. Sie befinden sich jetzt auf Warteposition und können anfangen, Höhe zu verlieren. Erst möchte ich aber noch mit Janet sprechen. Hören Sie zu, Janet?"
„Hallo - Vancouver. Ja, ich höre Sie."
„Janet, bevor wir die Landung machen, möchten wir, daß Sie die Notlandungsübungen zur Sicherheit der Passagiere durchführen. Verstehen Sie mich? Bitte kommen."
„Ich verstehe, Captain. Bitte kommen."
„Noch was, Janet. Unmittelbar, bevor Sie landen, müssen wir den Piloten bitten, die Notglocke zu drücken. Und, George - der Schalter für diese Klingel ist oberhalb, rechts vom Copilotensitz. Er ist rot angemalt."
„Sehen Sie ihn?" fragte Spencer, ohne aufzublicken. „Ja", sagte Janet. „Ich hab ihn."
„In Ordnung. Vergessen Sie das nicht."
„Janet", bemerkte Treleaven, „dies ist Ihre letzte fliegerische Aufgabe vor der Landung. Ich möchte nämlich, daß Sie dann nach hinten zu den Passagieren gehen."
„Sagen Sie ihm - nein!" fiel Spencer ein. „Ich brauche Sie hier vorn!"
„Hallo, Vancouver", sagte Janet. „Ich habe Ihre Anweisungen verstanden. Aber der Pilot braucht meine Hilfe. Bitte kommen."
Es entstand eine lange Pause. Dann antwortete Treleaven: „Gut, 714. Ich verstehe Spencers Standpunkt. Aber es ist Ihre Pflicht, Janet, dafür zu sorgen, daß sämtliche Sicherheitsmaßnahmen getroffen sind, bevor wir daran denken können, zu landen. Gibt es bei Ihnen oben jemanden, der die Sache übernehmen könnte?"
„Was ist mit dem Doktor?" erinnerte Spencer. Janet schüttelte den Kopf. „Der hat genug zu tun", sagte sie.
„Aber wir haben noch mehr zu tun", knurrte er. „Ich muß Sie unbedingt hier haben, wenn wir auch nur die geringste Chance haben wollen, runterzukommen." Sie zögerte. Dann drückte sie auf den Mikrophonknopf. „Hallo - Vancouver. Doktor Baird wird sich auf jeden Fall um die kranken Passagiere kümmern, wenn wir landen. Ich glaube, daß er sowieso der beste Mann ist. um die Passagiere für den Notfall zu unterweisen. Außerdem ist noch ein Mann da, der ihm hilft. Bitte kommen."
„Hallo, Janet. Sehr gut! Schnallen Sie sich jetzt los und bringen Sie dem Doktor die ganze Sache bei - aber sehr sorgfältig. Es darf unter gar keinen Umständen irgendwelche Irrtümer geben. Sagen Sie mir, wenn Sie damit fertig sind."
Janet legte die Kopfhörer ab und kletterte aus ihrem Sitz. „Hallo - George", fuhr Treleaven fort, „geben Sie acht, daß Sie jetzt alles mitbekommen. Ich gebe Ihnen alle nötigen Anweisungen, wenn Sie den Flugplatz anfliegen. Ich möchte, daß Sie sich mit der Sache vertraut machen. An einiges werden Sie sich aus Ihren alten Fliegertagen erinnern. Ich bin sicher, Sie wissen, woran Sie sind. Sofern Sie irgendwelche Zweifel haben, wäre jetzt noch Zeit, mir das zu sagen. Wir können so viele Scheinanflüge machen, wie Sie wollen, damit Sie Training bekommen. Aber wenn Sie dann endgültig landen, muß alles einwandfrei klappen. Wir fangen mit der ersten Übung an, sobald Janet wieder da ist."
Im Kontrollraum von Vancouver nahm Treleaven die kalte Zigarette aus dem Mundwinkel und warf sie weg. Er sah zur elektrischen Uhr auf und blickte dann den Kontrolleur an. „Wieviel Benzin haben sie an Bord genommen? " fragte er.
Grimsell nahm den Notizblock vom Tisch. „Wenn sie normal fliegen, reicht es noch für 90 Minuten", sagte er. „Wie schaut's aus, Captain?" fragte Burdick. „Glauben Sie wirklich, daß für Platzrunden und Anflüge genug Zeit bleibt?"
„Es sieht so aus", sagte Treleaven. „Übrigens ist das ja sein erster Alleinflug! Aber es wäre gut, die Sache mit dem Benzin genau zu prüfen, Mr. Grimsell, ja? Wir müssen noch etwas übrigbehalten - für den Ozean, falls wir uns als letzte Maßnahme doch für die Wasserung entscheiden."
„Mister Burdick", rief der Telefonist, „Ihr Präsident ist am Apparat!"
Burdick schnaufte. „Momentan hat er zu warten! Sagen Sie ihm, daß ich jetzt unmöglich mit ihm reden kann. Verbinden Sie ihn mit dem Maple-Leaf-Büro. Warten Sie noch. Geben Sie zuerst mir das Büro!" Er hob einen Hörer ab und wartete ungeduldig. „Bist du da, Dave? Hier ist Harry. Zu deiner Orientierung: der Alte ist am Apparat. Schau zu, daß du mit ihm fertig wirst. Sag ihm, die 714 fliegt noch, und seine Gebete könnten nicht inniger sein als unsere. Ich werde ihn anrufen, sobald es etwas zu berichten gibt. Ich vermute ohnehin, daß er eine Maschine hierher nehmen wird. Mach's gut, Boy!" Der Assistent des Kontrolleurs wandte sich an seinen Chef, eine Hand über die Sprechmuschel eines Apparates gelegt: „Und hier hängt Howard am Apparat. Er sagt, die Presseleute wären..."
„Ich werde mit ihm sprechen. " Der Kontrolleur griff nach dem Telefon. „Hör zu, Cliff! Wir können jetzt auf gar keinen Fall mehr Gespräche führen, die nicht dienstlich sind. Die Dinge sind im Augenblick wirklich zu kritisch! Ja - ich weiß. Wenn sie Augen im Kopf haben, dann sollen sie selber schauen." Mit einem Knall warf er den Hörer auf die Gabel.
„Ich glaube, der Junge hat sie uns bis jetzt ganz schön vom Halse gehalten", grunzte Burdick. „Ganz meine Meinung", stimmte der Kontrolleur zu. „Aber wir können uns jetzt nicht verrückt machen lassen." Treleaven stand am Funkgerät. Seine Finger trommelten abwesend. Seine Augen waren unverwandt auf die Uhr gerichtet. Draußen auf dem Flugplatz waren die Sicherheitsmaßnahmen im ersten Licht der Dämmerung in vollstem Gange.
In einem Krankenhaus legte eine Schwester den Hörer auf die Gabel und sprach mit einem Arzt, der am Tisch saß und arbeitete. Sie reichte ihm seinen Mantel und griff gleichzeitig nach ihrem eigenen. Sie eilten hinaus. Wenige Minuten später öffnete sich die Garagentür des Krankenhauses. Ein Ambulanzwagen schoß heran, dann ein zweiter.
In einer Station der städtischen Feuerwehr stand eine der Mannschaften sprungbereit. Beim ersten Ton der Alarmglocke warfen sie ihre Spielkarten auf den Tisch und rannten zur Tür. Der letzte von ihnen flitzte nochmals zum Tisch zurück und deckte die Karten eines Gegenspielers auf. Er hob eine Augenbraue - dann raste er hinter seinen Kollegen her.
Bei der kleinen Häusergruppe in der Nähe von Sea Island Bridge, die in direkter Linie hinter dem Flugfeld lag, verfrachteten Polizisten ein paar Familien in Autobusse. Die meisten dieser Leute trugen hastig übergeworfene Straßenkleider, unter denen ihre Nachtgewänder vorlugten. Ein kleines Mädchen, das aufmerksam zum Himmel hinaufsah, stolperte über seine eigenen Pyjamahosen. Es wurde von einem Polizisten schleunigst wieder aufgehoben und in einem Bus verstaut. Der Polizist setzte sich neben den Fahrer, dann fuhren sie los.
„Hallo - Vancouver!" rief Janet, die noch ein wenig atemlos war. „Ich habe die Sicherheitsanweisungen gegeben, Bitte kommen. "
„Braves Mädchen!" sagte Treleaven erleichtert. „Also – George", fuhr er dann rasch fort, „die Uhr rennt, als wenn sie was gegen uns hätte. Zuerst stellen Sie Ihren Höhenmesser auf 30,1 ein. Dann nehmen Sie vorsichtig etwas Gas weg. Aber behalten Sie die Geschwindigkeit bei, bis Sie pro Minute 500 Fuß an Höhe verlieren. Beobachten Sie unentwegt Ihre Instrumente. Sie werden beim Sinken ziemlich lange in den Wolken sein. " Spencer griff nach den Gashebeln und zog sie vorsichtig zurück. Das Instrument zeigte eine Fallgeschwindigkeit von 600 Fuß pro Minute an. Die Nadel fiel langsam und ein wenig unregelmäßig weiter und blieb dann konstant bei 500 Fuß pro Minute stehen. „Jetzt kommen die Wolken", sagte er, als das schwache Tageslicht abrupt zu verschwinden schien. „Fragen Sie ihn. wie hoch die Untergrenze der Wolken hängt." Janet gab die Frage durch. „Die Untergrenze liegt bei etwa 2000 Fuß", antwortete Treleaven. „Und Sie müssen etwa 15 Meilen vom Flugplatz entfernt rauskommen. "
„Sagen Sie ihm, daß wir gleichbleibend 500 Fuß pro Minute sinken", sagte Spencer. Janet gab es durch.
„Gut, 714. George - jetzt wird's ein bißchen kniffliger. Konzentrieren Sie sich. Beobachten Sie unentwegt das Variometer. Gleichzeitig aber möchte ich Sie mit allen Handgriffen bekannt machen, die zur Landung nötig sind. Glauben Sie, daß Sie das jetzt machen können?"
Spencer kam kaum dazu, zu antworten. Seine Augen klebten unentwegt auf dem Instrumentenbrett. Er bewegte nur die Lippen und nickte nachdrücklich. „Ja, Vancouver", sagte Janet. „Wir werden's versuchen."
„Okay. Wenn Ihnen irgend etwas nicht klar ist, sagen Sie es mir sofort." Treleaven schüttelte eine Hand ab, die ihm irgend jemand auf die Schulter gelegt hatte, der ihn unterbrechen wollte. Seine Augen waren starr auf eine kahle Stelle an der Wand gerichtet. Im Geiste sah er das Instrumentenbrett Spencers deutlich vor sich.
„George, jetzt sage ich Ihnen alles, was Sie bei der Landung tun müssen. Zuerst schalten Sie die hydraulische Pumpe auf AN. Tun Sie jetzt nichts anderes, als sich diese Dinge einzuprägen. Die Anzeige ist ganz links am Brett, etwas links unterhalb des Kreiselkompasses. Haben Sie's? Bitte kommen." Er hörte, wie Janet antwortete: „Der Pilot weiß das, Vancouver, und hat den Schalter gefunden."
„Schön, 714. Erstaunlich, wie man sich wieder an alles erinnert, was, George?" Treleaven zog sein Taschentuch hervor und wischte sich über den Nacken. „Als nächstes müssen Sie die Enteisungsanlage kontrollieren. Sie ist sicher eingeschaltet und kann rechts am Instrumentenbrett abgelesen werden. Ziemlich genau vor Janet. Dann kommt die Durchflußkontrolle. Das ist nicht weiter kompliziert, muß aber auch gemacht werden, bevor Sie landen. Vergessen Sie auch nicht, nach dem Variometer zu schauen, George? Als nächstes folgt der Bremsdruck. Es sind zwei Apparaturen dafür vorhanden, eine für die inneren und eine für die äußeren Bremsen. Sie befinden sich gleich rechts von der hydraulischen Schaltung, die Sie vorhin gefunden haben. Bitte kommen. "
Nach einer Pause gab Janet durch: „Gefunden, Vancouver. Das Instrument zeigt 950 an und... 1010 Pfund..."
„Demnach sind sie in Ordnung. Aber vor der Landung müssen sie nochmals angeschaut werden. Jetzt die Luftklappen. Sie müssen ein Drittel geschlossen sein. Der Schalter ist genau vor Janets linkem Knie, und Sie werden sehen, daß das Ding in Drittel eingeteilt ist. Kommen Sie so schnell mit? - Bitte kommen. "
„Ja, Vancouver. Wir sehen alles."
„Das können Sie übernehmen, Janet. Als nächstes kommen die Schalter für die Innenkühlung. Sie sind deutlich markiert. Sie müssen ganz offen sein. Vergewissern Sie sich, Janet. Machen Sie sie ganz auf. Das nächste und eigentlich Wichtigste ist das Fahrgestell. Sie müssen den ganzen Vorgang jetzt durchexerzieren. Aber überlegen Sie sich vorher alles genau -angefangen mit dem Ausfahren der Klappen bis zu dem Moment, in dem die Räder richtig eingerastet sind. Ich gebe Ihnen die entsprechenden Anweisungen. Haben Sie mich beide verstanden? Bitte kommen. "
„Sagen Sie ja, danke", sagte Spencer, der seine Augen nicht vom Instrumentenbrett wandte. Seine Schulter hatte begonnen, abscheulich zu jucken, aber er zwang sich gewaltsam, nicht daran zu denken. „Okay, 714. Wenn Sie im Anflug sind und wenn die Räder ausgefahren sind, müssen die Benzinpumpen eingeschaltet werden. Sonst kann's passieren, daß Ihnen die Benzinzufuhr im blödesten Augenblick wegbleibt. Der Schalter dafür ist in der Nähe des Autopiloten, dicht bei der Gemischkontrolle."
Janet suchte das Instrumentenbrett ab. „Wo?" flüsterte sie Spencer zu. Er deutete auf das Brett und zeigte ihr den Schalter: „Dort!" Sein Finger wies auf einen kleinen Schalter.
„In Ordnung, Vancouver", sagte Janet. „Jetzt müssen Sie das Gemisch auf ,reich' regulieren. Ich weiß, George brennt schon drauf - also brauche ich nichts weiter zu sagen. Er wird das schon richtig machen. Dann müssen Sie die Propeller verstellen, bis die grünen Lichter unter den Schaltern aufleuchten. Sie befinden sich ziemlich genau vor Georges rechtem Knie, glaube ich. Stimmt's?"
„Der Pilot sagt ja, Vancouver."
„Zuletzt kommen die Kompressoren. Wenn die Räder draußen sind, müssen diese auf AUS stehen. Das heißt - in Ihrer Maschine - nach oben. Es sind die vier Hebel links von den Gashebeln. Gut. Habt ihr noch Fragen? Bitte kommen. "
Spencer sah Janet verzweifelt an. „Ich hätte einen Haufen Fragen", sagte er. „Wir werden nachher von all diesem Quatsch keinen Dunst mehr haben. "
„Hallo, Vancouver", sagte Janet, „wir glauben, daß wir uns überhaupt nichts merken können. "
„Das brauchen Sie auch nicht, 714. Ich werde für Sie mitdenken. Es gibt noch einige andere Punkte - wenn's soweit ist. Ich wollte nur gern die ganze Geschichte mit Ihnen durchgehen, George, damit Sie imstande sind, alles auszuführen, ohne daß Sie dabei allzuviel Konzentration verlieren. Denken Sie daran: dies ist nur eine Übung. Ihre Aufgabe besteht nach wie vor darin, das Flugzeug zu fliegen!"
„Fragen Sie ihn nach der Zeit", sagte Spencer. „Wie lange haben wir noch..?" Janet gab die Frage nach Vancouver durch. „Wie ich Ihnen schon sagte, George, haben wir massenhaft Zeit. - Aber wir wollen nichts davon vergeuden. Sie werden in etwa zwölf Minuten über dem Flugplatz sein. Aber lassen Sie sich dadurch nicht nervös machen. Wir haben Zeit, die Übungen zu wiederholen, sooft Sie wollen." Er machte eine Pause. Dann: „Die Radarleute sagen, daß eine Kursberichtigung nötig ist, George. Wechseln Sie die Richtung um 5 Grad auf 260 Grad. Bitte kommen. "
Treleaven schaltete sein Mikrophon aus und wandte sich an den Kontrolleur. „Wir haben sie jetzt auf dem Gleitpfad", sagte er. „Sobald wir sie sehen, lasse ich sie heruntergehen und ein paar Platzrunden üben. Wir werden sehen, wie sie sich dabei anstellen."
„Hier ist alles bereit", sagte der Kontrolleur. Er rief seinem Assistenten zu: „Geben Sie für den ganzen Flugplatz Alarm."
„Hallo, Vancouver", kam Janets Stimme durch den Lautsprecher. „Wir haben den Kurs auf 260 Grad geändert."
„Okay, 714", sagte Treleaven und zog sich mit einer Hand die Hose hoch. „Geben Sie mir bitte Ihre Höhe durch. "
„Vancouver", antwortete Janet wenige Sekunden später, „unsere Höhe beträgt jetzt 2.500 Fuß." Treleaven hörte die Angabe des Radaroperateurs in seinen Kopfhörern: „15 Meilen vom Flugplatz entfernt!"
„Schön, George", sagte er. „Sie müßten jetzt jeden Moment aus den Wolken herauskommen. Sobald Sie draußen sind, schauen Sie sich nach dem Blinkscheinwerfer am Flugplatz um. Bitte kommen. "
„Schlechte Neuigkeiten", sagte Burdick zu Treleaven. „Das Wetter ist verdammt dick. Gerade fängt's auch noch zu regnen an."
„Dagegen kann ich auch nichts machen", fluchte Treleaven. „Sagen Sie dem Turm", wandte er sich an den Kontrolleur, „sie sollen die Beleuchtung anschalten. Sie sollen alles einschalten, was irgend möglich ist. Die Maschine wird in ein paar Minuten hier sein. Ich möchte den letzten Sprechfunk auf derselben Frequenz durchführen wie bisher. Spencer hat keine Zeit, erst andere Frequenzen zu suchen."
„In Ordnung", sagte der Kontrolleur und hob einen Telefonhörer ab.
„Hallo - 714", rief Treleaven. „Sie sind jetzt 15 Meilen vom Flugplatz entfernt. Sind Sie noch in den Wolken, George? Bitte kommen. "
Es folgte eine lange Pause. Endlich kam wieder Leben ins Funkgerät. Es war Janets Stimme mitten im Satz. Sie sagte aufgeregt: „...hellt sich langsam auf - ich glaube, ich habe etwas gesehen... Ich bin nicht sicher...
Ja - jetzt seh ich deutlich! Sehen Sie auch, Mr. Spencer? Dort - geradeaus! Wir können das Blinklicht sehen, Vancouver!"
„Gott sei Dank", sagte Treleaven zu Burdick. „Sie sind durch. Schön, George", rief er ins Mikrophon. „Bleiben Sie jetzt auf zweitausend Fuß und warten Sie meine Anweisungen ab. Ich laufe jetzt zum Kontrollturm rauf. Sie werden mich also ein paar Minuten lang nicht hören. Wir werden die geeignete Landebahn in allerletzter Minute bestimmen, damit Sie gegen den Wind landen können. Vorher müssen Sie ein paar Scheinanflüge machen, um die Landung zu üben. Bitte kommen." Sie hörten Spencers Stimme sagen: „Ich werde es jetzt übernehmen, Janet!"
Dann folgten Bruchstücke einer Unterhaltung. Und dann kam wieder Spencers Stimme durch den Äther. Seine Worte klangen schneidend: „Wir können nicht mehr darum würfeln, Vancouver! Die Situation hier bei uns erlaubt das nicht. Wir kommen jetzt - direkt rein! "
„Was??" stieß Burdick entsetzt hervor. „Aber das kann er doch nicht! "
„Seien Sie kein Narr, George", sagte Treleaven beschwörend. „Sie müssen ein paar Anflüge üben."
„Ich halte die Sinkgeschwindigkeit", sagte Spencer gepreßt. Seine Stimme zitterte. „Wir haben hier oben ein paar sterbende Menschen. Sterbende! Kapiert Ihr das? Ich riskiere beim ersten Anflug ebensoviel wie beim zehnten. Ich komme direkt rein."
„Lassen Sie mich mit ihm sprechen", bat der Kontrolleur den Captain.
„Nein", sagte Treleaven. „Wir haben keine Zeit für Auseinandersetzungen." Sein Gesicht war weiß. Die Adern an den Schläfen pulsierten. „Wir müssen rasch handeln. Wir haben keine andere Wahl. Nebenbei gesagt ist er jetzt Kommandant des Flugzeugs. Ich habe mich seinen Entscheidungen zu unterwerfen!"
„Das können Sie nicht machen", protestierte Burdick. „Glauben Sie nicht, daß er... "
„Gut", rief Treleaven ins Mikrophon. „Ist in Ordnung - wenn Sie's absolut so wollen. Warten Sie einen Moment, wir gehen jetzt schnell zum Turm hinauf. Viel Glück für uns alle! Ich höre Sie jetzt nicht, George." Er riß sich die Kopfhörer ab, warf sie auf den Tisch und sagte zu den anderen: „Los!" Die drei Männer eilten aus dem Zimmer und rasten den Korridor entlang. Burdick als Nachhut. Ohne den Fahrstuhl zu beachten, liefen sie die Treppen hinauf, alles beiseite stoßend, was ihnen von oben entgegenkam. Sie platzten in den Kontrollturm hinein. Ein Flugsicherungslotse stand an den riesigen Fensterflächen und schaute mit einem Fernglas in den sich lichtenden Himmel. „Da ist er!" rief er. Treleaven griff nach einem anderen Glas, warf einen Blick hindurch, dann stellte er es wieder hin.
„Gut", sagte er atemlos. „Jetzt müssen wir schnell die Landebahn bestimmen."
„Null - Acht", sagte der Lotse. „Das ist die längste. Außerdem liegt sie am günstigsten."
„Radar!" rief der Captain. „Hier - Sir." Treleaven trat an einen Seitentisch, auf dem unter einer Glasscheibe ein Plan des Flugplatzes lag. Er nahm einen dicken Fettstift zur Hand, um den vorgesehenen Kurs des Flugzeuges zu markieren. „Wir machen es folgendermaßen. Er dürfte jetzt ungefähr hier sein. Wir lassen ihn eine weite Linkskurve fliege n. Gleichzeitig holen wir ihn auf tausend Fuß herunter. Dann schicken wir ihn nach der See zu und bringen ihn in vorsichtiger Wendung zum Endanflug. Ist das klar?"
„Ja, Captain", sagte der Lotse.
Treleaven nahm einen Kopfhörer, der ihm von irgend jemandem hingehalten wurde, und setzte ihn auf. „Ist der Kopfhörer mit dem Radarraum verbunden?" fragte er. „Ja, Sir."
Der Kontrolleur sprach in ein Mikrophon, das seine Stimme nach draußen - mächtig verstärkt - übertrug: „Turm an alle Rettungsfahrzeuge. Piste Zwei - Vier gilt als Straße. Die Flughafenfahrzeuge nehmen Standort Nummer l und 2 ein. Die zivilen Mannschaften Nummer 3. Alle Ambulanzen kommen auf Standort 4 und 5. Ich befehle hiermit, daß kein Fahrzeug seinen Standort verläßt, bevor das Flugzeug an ihm vorüber ist! Anfangen! "
Captain Treleaven stützte sich auf die Platte eines Kontrollpults und drückte auf den Schalter eines Tischmikrophons. Neben seinem Ellbogen begannen die Spulen eines Tonbandgerätes sich zu drehen. „Hallo - George Spencer", rief er in ausgeglichenem Ton. „Hier ist Paul Treleaven im Turm von Vancouver. Hören Sie mich?"
Janets Stimme füllte den Kontrollraum. „Ja, Captain. Wir hören Sie laut und deutlich. Bitte kommen." Über die Kopfhörer berichtete die unpersönliche Stimme des Radaroperateurs: „Zehn Meilen! Jetzt muß er auf 253 Grad drehen! "
„Hallo - George. Sie sind jetzt 10 Meilen vom Flugplatz entfernt. Drehen Sie auf 253 Grad ab. Nehmen Sie das Gas zurück und fangen Sie an, auf 1000 Fuß zu sinken. Janet, bereiten Sie in bezug auf die Passagiere alles für die Landung vor. Von jetzt ab bestätigen Sie bitte keine Durchsage mehr - es sei denn, Sie hätten eine Frage." Spencer nahm eine seiner Hände auf einen Augenblick vom Steuer und bewegte die starren Finger. Er versuchte, das Mädchen, das neben ihm saß, anzulächeln. „Okay, Janet. Tun Sie Ihre Pflicht...", sagte er zu ihr.
Sie nahm ein Mikrophon vom Haken, das seitlich in der Kabine hing, und drückte auf den Knopf der Bordsprechanlage. Dann begann sie: „Achtung, bitte! Würden Sie bitte zuhören. Achtung, bitte!" Ihre Stimme schlug um. Sie faßte das Mikrophon fester und bemühte sich um eine klare Stimme. „Würden Sie bitte Ihre Sitze aufrecht stellen und sich fest anschnallen. Wir werden in einigen Minuten landen. Danke."
„Ausgezeichnet", komplimentierte Spencer. „Das klang genauso wie bei jeder x-beliebigen Landung, was?" Sie versuchte zurückzulächeln und biß sich dabei auf die Unterlippe. „Nicht so ganz", sagte sie. „Wir haben allerhand hinter uns", sagte Spencer. „Ich hätte es bis jetzt nicht geschafft ohne..." Er brach ab, bewegte vorsichtig die Steuer und wartete, bis das Flugzeug eine Reaktion auf diese Bewegungen zeigte. „Janet", sagte er, die Augen auf den Höhenmesser gerichtet, „wir haben nicht mehr viel Zeit. Jetzt geschieht, was früher oder später geschehen muß. Aber ich möchte sicher sein, daß Sie verstehen, warum ich gleich beim erstenmal versuchen muß, die Maschine auf den Boden zu bringen. "
„Ja", sagte sie leise. „Ich versteh's doch." Sie hatte die Gurte um die Hüften geschnallt. Nun preßte sie die Hände genauso fest zusammen wie die Lippen. „Ja... Ich wollte nämlich danke sagen", brachte er ungeschickt heraus. „Ich habe keine Versprechungen gemacht. Von Anfang an nicht. Und ich kann auch jetzt keine machen. Wenn irgend jemand weiß, wie unsicher ich bin, dann sind Sie es. Aber Runden über dem Flugplatz drehen würde es nicht besser machen. Und ein paar dieser Leute da hinten werden mit jeder Sekunde kränker. Es ist besser für sie, es sofort zu riskieren."
„Ich sagte Ihnen", antwortete sie, „Sie brauchen nichts zu erklären!"
Er warf ihr einen beunruhigten Blick zu. Er fürchtete, sich vor ihr völlig bloßgestellt zu haben. Sie schaute auf den Fahrtmesser. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen. Dann blickte er hinaus auf die breite Tragfläche. Sie balancierte auf ihrer Spitze die neblige, blaugraue Silhouette eines Hügels, der von funkelnden Straßenlampen durchzogen war. Unter dem Flugzeug glitten die blinkenden Lichter des Flughafens hinweg. Sie erschienen winzig und weit, weit entfernt, wie von Kinderhand achtlos weggeworfene rote und gelbe Perlen. Er fühlte, daß sein Herz bis zum Hals heraufschlug. Er war sich völlig im klaren darüber, daß sein Leben jetzt nach Minuten - ja, nach Sekunden meßbar wurde. „Nun geht's los", hörte er sich selbst sprechen. „Jetzt passiert's, Janet. Ich beginne zu sinken. Jetzt!"