Wie in einem Alptraum, besessen von rasender Verzweiflung, die Zähne zusammengebissen, das Gesicht schweißbedeckt, so kämpfte Spencer darum, die Kontrolle über das Flugzeug wiederzugewinnen. Die eine Hand am Gashebel, die andere fest ums Steuerhorn geklammert. In seinem Innern kämpfte die Empfindung, etwas Unwirkliches zu erleben, mit wachsendem Ärger und Widerwillen. Was war geschehen? Er hatte nicht nur rasend schnell die Höhe verloren, sondern praktisch auch die ganze Fahrtgeschwindigkeit. Sein Verstand weigerte sich, zu bedenken, was in den letzten zwei Minuten hätte geschehen können.
Irgend etwas hatte sich ereignet, das ihn verwirrte. Das war alles, woran er sich erinnern konnte. Oder war das nur eine Entschuldigung vor sich selbst? Er konnte in diesen paar Sekunden gar nicht so viel Höhe verloren haben. Schon vorher mußten sie ständig im Sinken gewesen sein, obwohl es nicht lange her war, seit er das Variometer das letztemal überprüft hatte. Oder hatte das Instrument nicht funktioniert? Oder lag es am Gas? Plötzlich spürte er den unbezähmbaren, immer stärker werdenden Wunsch, zu schreien. Zu schreien wie ein Kind. Die Steuer im Stich lassen. Diesem hämischen Flackern der Instrumentennadeln zu entfliehen, sich nicht mehr um dieses ganze Chaos von Anzeigegeräten zu kümmern und einfach davonzulaufen. Zurückzurennen in den warmen, freundlich erleuchteten Passagierraum des Flugzeuges und zu schreien: „Ich kann es nicht machen. Keinem Menschen kann man zumuten, das hier zu tun...! "
„Wir gewinnen langsam Höhe", kam Janets Stimme sichtlich erleichtert.
Spencer erinnerte sich plötzlich daran, daß jemand neben ihm saß. Und erst in diesem Moment drangen auch die Schreie einer Frau hinten im Passagierraum in sein Bewußtsein. Wilde, wahnsinnige Schreie. Er hörte einen Mann rufen: „Es ist nicht der Pilot! Beide sind ausgefallen. Beide Piloten! Wir sind geliefert!"
„Halten Sie das Maul und setzen Sie sich!" Das war Bairds scharf klingende Stimme. „Sie haben mir nichts zu befehlen!"
„Ich sagte: gehen Sie zurück und setzen Sie sich!"
„Schon gut", kam die ölige Stimme von Otpot, dem Lancashire-Mann. „Überlassen Sie ihn nur mir, Doktor. Nun, Sie... "
Spencer schloß einen Moment die überanstrengten Augen, um danach die beleuchteten Instrumentennadeln, die vor ihm tanzten, wieder klarer sehen zu können. Er war, konstatierte er mit Bitterkeit, total erledigt. Ein Mann kann Jahre damit zubringen, von einer Stadt zur anderen zu hasten, immer unterwegs zu sein und sich einzureden, er wäre diesem Leben niemals gewachsen, wenn nicht sein Körper absolut auf der Höhe wäre. Doch wenn dann zum erstenmal eine Krise eintritt, wenn zum erstenmal wirkliche Anforderungen an den Körper gestellt werden, bricht er zusammen. Und dies ist das Grausamste: das Bewußtsein, daß die Körperkräfte nicht mehr mitmachen, und sich vorzukommen wie ein altes Auto, das im Begriff ist, rückwärts den Berg hinunter zu rollen. „Entschuldigen Sie", sagte Janet.
Spencer, der sich noch immer gegen das Steuer stemmte, warf ihr einen überraschten Blick zu. „Was?" fragte er stumpfsinnig.
Das Mädchen saß ihm zugewandt. Im grünlichen Licht des Instrumentenbrettes erschien ihr blasses Gesicht fast durchsichtig.
„Entschuldigen Sie, daß ich das alles so gemacht habe", sagte sie einfach. „Es war schlimm für Sie. Ich - ich konnte nichts dafür... "
„Keine Ahnung, wovon Sie reden", sagte er rauh. Er wußte nichts weiter zu sagen. Er schämte sich. Der weibliche Passagier hinten schluchzte jetzt laut. „Ich versuche, den Kahn so schnell in die Höhe zu bringen, wie ich kann. Aber ich wage es nicht, zu schnell zu steigen! Sonst sacken wir wieder ab! " Unter dem Donnern der Motoren kam Bairds Stimme von der Tür her: „Was ist bei euch eigentlich los? Ist alles in Ordnung?"
„Tut mir leid, Doktor", sagte Spencer. „Ich konnte das Ding einfach nicht halten. Ich glaube aber, jetzt ist es okay."
„Versuchen Sie wenigstens, waagrecht zu bleiben", beklagte sich Baird. „Wir haben schließlich kranke Leute an Bord."
„Es war mein Fehler", sagte Janet. Sie sah, daß Baird vor Erschöpfung schwankte und sich am Türpfosten festhielt.
„Nein", protestierte Spencer. „Wenn Sie nicht gewesen wären, wären wir abgestürzt. Ich beherrsche dieses Ding nicht. Das ist alles."
„Unsinn", sagte Baird kurz. Sie hörten einen Mann schreien: „Geht ans Funkgerät!" Der Arzt rief laut in den Passagierraum hinein: „Nun hören Sie alle mal zu. Eine Panik wäre das Schlimmste, was uns jetzt passieren könnte - und das Tödlichste!"
Dann schlug die Tür zu und schnitt seine Stimme ab. „Das war eine gute Idee", sagte Janet ruhig. „Ich sollte mit Captain Treleaven in Verbindung bleiben. "
„Ja", stimmte Spencer zu. „Sagen Sie ihm, was passiert ist, und daß wir dabei sind, wieder Höhe zu gewinnen. " Janet stellte den Mikrophonknopf auf „Senden" und rief Vancouver an. Es kam keine Antwort. Sie rief wieder. Nichts war zu hören.
Spencer spürte Angst in sich aufsteigen. Er befahl sich selbst, sie zu unterdrücken.
„Was ist los?" fragte er Janet. „Sind Sie sicher, daß Sie durchkommen?"
„Ja, ich glaube."
„Blasen Sie ins Mikrophon. Wenn es in Ordnung ist, können Sie das hören."
Sie tat es. „Ja, es ist zu hören. Hallo - Vancouver!! Hallo -Vancouver! Hier ist 714. Können Sie mich hören? Bitte kommen." Ruhe.
„Hallo - Vancouver. Hier ist 714. Bitte antworten! Bitte kommen!" Immer noch Ruhe.
„Lassen Sie mich", sagte Spencer. Er nahm die rechte Hand von den Gashebeln und drückte auf seinen Mikrophonknopf. „Hallo - Vancouver! Hier ist Spencer, 714. Notruf! Bitte kommen! "
Die Stille schien greifbar und undurchsichtig wie eine Wand. Es war, als seien sie die einzigen Menschen in der ganzen Welt.
„Der Sendeanzeiger schlägt aus", sagte Spencer. „Ich bin sicher, daß wir richtig senden. " Nochmals versuchte er es -wieder ohne Resultat. „Ich rufe alle Stationen. Mayday -mayday - mayday! Hier ist Flug 714 in ernsten Schwierigkeiten. Irgend jemand kommen! Bitte kommen!"
Der Äther schien absolut tot.
„Damit ist alles klar, Janet. Wir sind von der Frequenz abgekommen. "
„Wie konnte das passieren?"
„Fragen Sie mich nicht. In unserer Lage kann alles passieren. Sie müssen alle Frequenzen durchprobieren, Janet."
„Ist das nicht zu gewagt? Unsere Frequenz zu wechseln?"
„Meiner Ansicht nach ist sie schon gewechselt. Keine Ahnung, wie das passieren konnte. Ich weiß nur das eine: Ohne Funk kann ich die Nase dieses Vogels getrost gleich jetzt runterdrücken, um endlich Schluß zu machen. Ich habe keine Ahnung, wo wir sind. Und wenn ich's wüßte, würde es nichts nützen, weil ich die Maschine nicht heil runterbringe."
Janet glitt aus ihrem Sitz, zog die Schnur des Kopfhörers hinter sich her und trat ans Funkgerät. Im Kopfhörer krachte und krächzte es.
„Ich hab jetzt alle Frequenzen versucht", sagte Janet schließlich.
„Machen Sie weiter", sagte Spencer. „Sie müssen etwas bekommen. Wenn's nötig ist, werden wir auf jedem einzelnen Kanal rufen." Weit, weit weg war plötzlich seine Stimme. „Warten Sie, Janet! Was ist das?" Janet drehte eilig zurück. „Stellen Sie's stärker ein!"
„...auf 128,3", sagte die Stimme, stärker werdend. „Vancouver Control an Flug 714. Wechseln Sie Ihre Frequenz auf 128,3. Wiederholen Sie bitte. Bitte kommen."
„Behalten Sie das!" sagte Spencer zu Janet. „Ist das so die richtige Einstellung? Dem Himmel sei Dank! Bestätigen Sie's ganz schnell... schnell!"
Janet kletterte in ihren Sitz zurück und rief hastig. „Hallo -Vancouver. 714 antwortet. Empfangen Sie laut und klar? Bitte kommen. "
Sofort kam Vancouver zurück. Die Stimme des Funkers klang so, als habe der Mann eben tief aufgeatmet. „714? Hier ist Vancouver. Wir haben Sie verloren. Was war passiert? Bitte kommen. "
„Vancouver - wir sind froh, Sie zu hören", sagte Janet und hielt sich die Stirn, „wir hatten allerhand Schwierigkeiten. Die Maschine ist abgesackt, und wir kamen von der Frequenz runter. Aber jetzt ist alles wieder in Ordnung - bis auf die Passagiere. Sie haben es nicht sonderlich gut aufgenommen. Wir steigen wieder. Bitte kommen. "
Diesmal war Treleaven am Apparat. Er sprach in derselben vertrauenerweckenden und gemessenen Weise wie vorher. Durch seine Stimme klang jetzt ein Unterton enormer Dankbarkeit mit dem Schicksal. „Hallo - Janet", sagte er. „Ich bin froh, daß Sie die gute Idee hatten, Sie könnten von der Frequenz runter sein. George - ich habe Sie vorhin auf die Gefahr des Geschwindigkeitsverlustes aufmerksam gemacht! Sie müssen die Fluggeschwindigkeit dauernd beobachten. Noch was: Wenn Sie abgesackt waren und die Maschine wieder fangen konnten, dann haben Sie das Gefühl als Pilot noch nicht verloren."
„Haben Sie das gehört?" fragte Spencer ungläubig zu Janet hinüber. Sie wechselten ein nervöses, verzerrtes Lächeln.
Treleaven fuhr fort: „Wahrscheinlich haben Sie ein bißchen Angst gehabt. Verschnaufen Sie einen Moment, Während Sie Höhe gewinnen, möchte ich, daß Sie ein paar Instrumente ablesen und mir die Werte durchgeben. Also fangen wir mit der Tankanzeige an." Während Captain Treleaven die Informationen wiederholte, die er anforderte, öffnete sich wieder die Tür der Pilotenkabine, und Baird schaute herein. Er wollte beiden etwas sagen. Aber er bemerkte, daß sie ihre Aufmerksamkeit auf das Instrumentenbrett konzentrierten. Er trat vollends ein, schloß die Tür hinter sich und ließ sich neben dem Piloten und dem Ersten Offizier auf ein Knie nieder. Er benützte seinen Augenspiegel als Taschenlampe, um ihre Gesichter zu betrachten. Dun hatte sich zum Teil aus seinen Decken gewickelt und lag stöhnend, mit angezogenen Knien, auf seinem Lager. Pete schien bewußtlos zu sein.
Der Doktor zog die Decken zurecht, wickelte die beiden Kranken wieder ein, wischte ihre Gesichter mit einem feuchten Handtuch ab und überlegte. Dann richtete er sich auf und stützte sich mit der Hand gegen die schräge Decke.
Janet gab Zahlen durchs Mikrophon. Ohne ein Wort zu verlieren, ging der Doktor hinaus. Sorgfältig schloß er hinter sich die Tür. Draußen, im Passagierraum, glich die Szene nun mehr einer Unfallstation als der Kabine eines Linienflugzeuges. Die kranken Passagiere waren in dicke Wolldecken gehüllt. Man hatte ihre Sitze so weit wie möglich zurückgelegt. Ein oder zwei Kranke waren fast bewußtlos und atmeten schwer. Andere stöhnten gequält, während Freunde oder Verwandte um sie bemüht waren und immer wieder die feuchten Tücher auswechselten.
Otpot beugte sich über den Mann, den er eben in seinen Sitz zurückgeworfen hatte, und hielt ihm eine Predigt: „Ich tadele Sie nicht, sehen Sie. Manchmal ist's besser, sich Luft zu machen. Aber man kann doch nicht anfangen zu schreien vor den armen Leuten - vor allem vor den Damen! Der alte Doktor hier ist ein Pfundskerl, und dasselbe gilt für die beiden, die vorn sitzen und fliegen. Auf alle Fälle müssen wir diesen Leuten vertrauen, wenn wir nach allem, was passiert ist, überhaupt noch runterkommen wollen! "
Der Passagier, der doppelt so groß war wie Otpot, schien vorübergehend gebändigt zu sein und starrte steinern auf sein eigenes Spiegelbild im Kabinenfenster neben seinem Sitz.
Der forsche kleine Lancashire-Mann kam zum Arzt, der ihm dankbar auf den Arm klopfte. „Sie sind ja beinahe ein Hexenmeister!" sagte Baird.
„Ich habe mehr Angst als er", versicherte Otpot freimütig. „Eins ist klar: wenn Sie nicht bei uns wären, Doktor..." Er zog eine eindrucksvolle Grimasse. „Was haben Sie jetzt vor?" fragte er dann. „Ich weiß es nicht", antwortete Baird. Sein Gesicht war finster. „Vorn die beiden hatten Schwierigkeiten. Es ist nicht verwunderlich. Ich nehme an, Spencer fühlt sich nicht sehr wohl in seiner Haut. Er trägt mehr Verantwortung als irgendeiner von uns."
„Wie weit haben wir's noch?"
„Keine Ahnung. Ich habe jedes Zeitgefühl verloren. Aber wenn wir auf Kurs sind, dann kann es nicht mehr allzu lange dauern. Mir kommt es vor, als wären es Tage." Otpot sagte so leise wie möglich: „Was meinen Sie? Haben wir überhaupt eine Chance?" Baird wies die Frage müde ab. „Warum fragen Sie mich? Es gibt immer eine Chance. Aber ein Flugzeug nur in der Luft zu halten - oder es herunterzubringen, ohne es in Stücke zu schlagen... das ist ein gewaltiger Unterschied." Baird beugte sich über Mrs. Childer. Unter der Decke suchte er ihr Handgelenk und fühlte ihr den Puls. Sein Gesicht war unbeweglich. Die Frau hatte trockene Haut und atmete schnell und flach. Ihr Mann, grau im Gesicht, sagte: „Doktor, gibt es wirklich nichts, was wir für sie tun können?" Baird betrachtete die geschlossenen, eingesunkenen Augen der Kranken. Langsam sagte er: „Mr. Childer, Sie haben das Recht, die Wahrheit zu hören. Sie sind ein verständiger Mann. Ich werde es Ihnen geradeheraus sagen. Wir fliegen zwar, so schnell es möglich ist. Aber selbst im besten Fall kann ich für das Leben Ihrer Frau nicht garantieren." Childers Mund bewegte sich wortlos. „Sie verstehen das doch", wandte Baird bedächtig ein. „Ich habe getan, was ich konnte, und ich werde auch weiter tun, was ich kann. Aber das ist leider sehr wenig. Wenn ich ihr Morphium gegeben hätte, dann hätte ich - vielleicht - die Qualen Ihrer Frau mildern können. Jetzt - falls das ein Trost für Sie ist - hat die Natur uns diese Arbeit abgenommen."
Childer fand die Stimme wieder. „Keine Selbstvorwürfe", protestierte er. „Was auch geschehen mag - ich bin Ihnen dankbar, Doktor."
„Natürlich ist er das", wandte Otpot herzlich ein. „Wir alle sind Ihnen dankbar. Keiner hätte mehr tun können als Sie, Doktor."
Baird lächelte matt, seine Hand lag auf der Stirn der Frau. „Freundliche Worte können auch nichts ändern", sagte er rauh. „Sie sind ein tapferer Mann, Mr. Childer, und ich bewundere Sie. Aber versuchen Sie nicht, sich selbst zu täuschen."
Der Augenblick der Wahrheit - dachte er bitter. So sieht er aus. Ich wußte, daß er heute nacht kommen würde. Und ich wußte auch tief im Innern, daß ich ihm standhalten würde. So schmeckt also die reine Wahrheit. Keine Spur von romantischem Heldenmut... Noch ehe eine Stunde vergangen sein wird, sind wir wahrscheinlich alle tot. Zum mindesten werde ich dann als das erscheinen, was ich bin: ein elender Versager. „Als die Stunde kam, war er ihr nicht gewachsen. " Ein perfekter Nachruf, das muß man sagen!
„Ich versichere Ihnen", sagte Childer pathetisch, „wenn wir aus dieser Sache heil herauskommen, werde ich dafür sorgen, daß jeder weiß, was wir Ihnen zu danken haben!"
Baird sammelte seine Gedanken. „Was...?" brummte er. „Ich würde viel darum geben, wenn ich zwei oder drei Packungen Bittersalz an Bord hätte." Er richtete sich auf. „Machen Sie so weiter, Mr. Childer. Überzeugen Sie sich immer wieder davon, daß Ihre Frau warm liegt. Halten Sie ihre Lippen feucht. Wenn Sie sie dazu bringen können, von Zeit zu Zeit etwas Wasser zu trinken, um so besser. Vergessen Sie nicht, daß sie ein gefährliches Maß an Körperflüssigkeit verloren hat."
In diesem Augenblick war Harry Burdick im Kontrollraum von Vancouver dabei, seine eigene Körperflüssigkeit mit einem weiteren Becher Kaffee zu ersetzen. Treleaven hatte jetzt außer dem Mikrophon, das er in der Hand hielt, auch noch einen Kopfhörer um, an dem ein kleines Mikrophon befestigt war. Dort hinein fragte er: „Radar! - Haben Sie irgend etwas?" In einem anderen Teil des Gebäudes saß der Radar-Chefoperateur mit einem Assistenten vor einem Radarschirm für weite Entfernungen und antwortete in ruhigem Konversationston: „Überhaupt nichts."
„Das verstehe ich nicht", sagte Treleaven, zum Kontrolleurgewandt. „Sie müßten jetzt im Radarbereich sein."
„Vergessen Sie nicht", warf Burdick ein, „daß er Geschwindigkeit verloren hat."
„Ja, das ist schon richtig", stimmte Treleaven zu. Dann sprach er in das kleine Mikrophon: „Radar - lassen Sie mich sofort wissen, wenn Sie etwas haben!" Zum Kontrolleur: „Ich kann es nicht riskieren, ihn durch die Wolken runterzubringen, ohne zu wissen, wo er ist. Bitten Sie die Air Force um einen weiteren Check, Mr. Grimsell."
Er nickte dem Funker zu: „Verbinden Sie mich wieder! Hallo - 714. George, hören Sie jetzt gut zu. Wir gehen jetzt die ganze Sache nochmals durch. Aber vorher will ich noch ein paar Dinge erklären, die Sie vielleicht vergessen haben, oder die nur bei großen Flugzeugen vorkommen. Hören Sie mich? Bitte kommen." Janet antwortete: „Fangen Sie an, Vancouver. Wir hören genau zu. Bitte kommen. "
„Allright, 714. Bevor Sie landen können, müssen verschiedene Prüfungen und Korrekturen vorgenommen werden. Ich sage Ihnen später, wann und wie das zu machen ist. Ich wiederhole jetzt nochmals einiges, um Sie vorzubereiten. Zuerst muß die hydraulische Pumpe eingeschaltet werden. Dann muß der Bremsdruck etwa 900 bis 1000 Pfund pro Quadrat-Inch anzeigen. An einige dieser Dinge werden Sie sich vielleicht aus Ihrer Jagdflugzeugpraxis erinnern, aber ein Auffrischungskursus kann nicht schaden. Wenn das Fahrwerk herausgelassen ist, drehen Sie die Benzinpumpen an und kontrollieren, ob der Durchfluß ausreicht. Zuletzt stellen Sie das Gemisch auf ,reich' und regulieren die Propellerverstellung. Haben Sie das alles verstanden? Wir werden es Schritt für Schritt machen, so daß Janet die Schalter stellen kann. Ich werde Ihnen jetzt sagen, wo sie zu finden sind. Fangen wir an..."
Janet und Spencer fanden mit Treleavens Hilfe alle Schalter.
„Sagen Sie ihm, wir haben sie geprüft, Janet."
„Hallo - Vancouver. Es ist alles klar."
„Gut, 714. Es bestehen also über die Stellung all dieser Hebel keinerlei Zweifel mehr, Janet? Sind Sie ganz sicher? Bitte kommen. "
„Hallo - Vancouver. Ja, ganz sicher. Bitte kommen."
„714. Vergewissern Sie sich nochmals, daß Sie in horizontalem Flug sind. Bitte kommen. "
„Vancouver - ja. Wir fliegen horizontal und über den Wolken. "
„Also, George, lassen Sie uns die Klappen wieder auf 15 Grad stellen. Geschwindigkeit 140. Wir gehen die ganze Fahrgestellprozedur nochmals durch. Überwachen Sie diesmal die Geschwindigkeit wie ein Luchs! Wenn Sie bereit sind, fangen wir an."
Grimmig begann Spencer mit der Prozedur. Er folgte konzentriert jeder Anweisung, während Janet ihm besorgt die Geschwindigkeit zurief und die Klappen- und Fahrwerkhebel bediente. Nochmals fühlten sie den starken Druck, als die Geschwindigkeit gebremst wurde. Im Osten tasteten sich die ersten Streifen eines schwachen Tageslichtes herauf.
Im Kontrollraum von Vancouver trank Treleaven den ersten Schluck kalten Kaffee. Er nahm von Burdick eine Zigarette an und blies den Rauch geräuschvoll von sich. Er sah überanstrengt aus.
„Wie schaut's jetzt aus?" fragte der Airline-Manager. „Nicht schlecht. Besser konnten wir's nicht erwarten", antwortete der Captain. „Aber die Zeit ist gefährlich kurz. Er müßte mindestens ein dutzendmal die Klappen und das Fahrwerk aus- und einfahren. Mit etwas Glück bringen wir es auf dreimal, bevor er da ist. Sofern er auf Kurs bleibt."
„Werden Sie mit ihm Anflüge trainieren?" warf der Kontrolleur ein.
„Ich muß. Zumindest zwei oder drei. Ich würde sonst keinen roten Heller für seine Chancen geben, bei der Erfahrung, die er mitbringt. Mal sehn, wie er sich macht. Andererseits... " Treleaven zögerte.
Burdick warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus. „Andererseits was?" fragte er. Treleaven umging die Antwort. „Es ist besser, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen", sagte er. „Der Mann dort oben hat vor Angst fast den Verstand verloren, und mit gutem Grund. Wenn seine Nerven nicht durchhalten, wird's besser sein, auf dem Ozean zu wassern."
„Aber der Aufprall...", rief Burdick. „Und die kranken Leute -und das Flugzeug! Es würde einen Totalverlust bedeuten! "
„Mit Risiken müssen Sie rechnen", sagte Treleaven eisig und blickte dem rundlichen Manager scharf in die Augen. „Wenn unser Freund über die Rollbahn hinausschießt, müssen Sie das Flugzeug sowieso abschreiben."
„Harry hat das nicht so gemeint", mischte sich der Kontrolleur hastig ins Gespräch.
„Zum Teufel nein, wirklich nicht", sagte Burdick unbehaglich.
„Außerdem besteht die Gefahr", fuhr Treleaven fort, „daß -wenn er hier aufschlägt - garantiert Feuer ausbricht und wir froh sein müßten, wenn wir überhaupt einen Menschen retten. Wir müssen darauf gefaßt sein, daß er außerdem noch am Boden allerhand mitreißt. Wenn er dagegen auf dem Ozean heruntergeht, bricht das Flugzeug zwar auseinander - aber wir haben die Chance, einige Passagiere zu retten, wenn auch nicht die Schwerkranken. Bei diesem leichten Nebel und annähernder Windstille wird das Wasser glatt sein und den Aufprall mildern. Durch Radar können wir ihn für die Bauchlandung so nahe wie möglich an die Rettungsboote heranbringen."
„Verlangen Sie die Navy! " befahl der Kontrolleur seinem Assistenten. „Außerdem die Air Force. Die Luft-Seehilfe ist schon in Bereitschaft. Sie sind ausgefahren und warten auf Anweisungen durch Funk."
„Trotz alledem möchte ich es nicht tun", sagte Treleaven. Er drehte sich zur Wandkarte um. „Es würde darauf hinauslaufen, daß wir die kranken Passagiere einfach aufgeben. Wir könnten das Glück haben, sie herauszubekommen, bevor das Flugzeug sinkt, aber..." Er sprach in sein kleines Mikrophon: „Radar! -Haben Sie etwas?"
„Immer noch nichts", kam die ruhige, unpersönliche Antwort. Dann: „Halt - warten Sie einen Moment! Das könnte er sein. Ja, Captain, ich habe ihn jetzt. Er ist zehn Meilen südlich vom Kurs. Lassen Sie ihn nach rechts gehen, auf einen Kurs von 265 Grad."
„Gut gemacht", sagte Treleaven anerkennend. Er gab dem Funker einen Wink, damit er die Verbindung zur Maschine wiederherstellte. In diesem Augenblick rief der Funker: Die Air Force meldet Sichtkontakt, Sir! Voraussichtliche Ankunftszeit in 38 Minuten."
„Gut! „Treleaven nahm das Handmikrophon vom Tisch. „Hallo - 714! Haben Sie die umgekehrte Prozedur mit Klappen und Fahrwerk durchgeführt? Bitte kommen. "
„Ja - Vancouver! Bitte kommen." Janets Stimme. „Hat diesmal alles geklappt? Sind Sie in horizontaler Lage geblieben?"
„Alles in Ordnung, Vancouver, sagt der Pilot!" Sie hörten, daß Janet ein kleines, nervöses Lachen von sich gab.
„Gut, 714. Wir haben Sie jetzt auf dem Radarschirm. Sie befinden sich zehn Meilen südlich vom Kurs. Drehen Sie nun vorsichtig nach rechts, benützen Sie die Gashebel, um die gegenwärtige Geschwindigkeit zu halten und das Flugzeug auf einen Kurs von 265 Grad zu bringen. Ich wiederhole. 265 Grad. Ist das klar? Bitte kommen. "
„Verstanden, Vancouver." Treleaven warf einen flüchtigen Blick durchs Fenster.
Die Dunkelheit draußen begann sich langsam zu lichten. „Gott sei Dank", sagte er, „sie werden ein bißchen was sehen -wenn auch erst in den letzten Minuten. "
„Jetzt muß alles bereit sein", sagte der Kontrolleur. Er rief seinen Assistenten: „Sagen Sie auf dem Turm Bescheid. Sie sollen die Feuerwehrleute alarmieren!" Dann, zum Telefonisten gewandt: „Geben Sie mir die Stadtpolizei."
„Und mir anschließend Howard im Presseraum", fügte Burdick hinzu. Dann zu Treleaven: „Wir werden die Burschen am besten auf die Möglichkeit einer Wasserung aufmerksam machen, bevor sie überstürzt eigene Entschlüsse fassen. Nein -warten Sie!" Er starrte den Captain an. „Es würde bedeuten, daß wir die kranken Passagiere abschreiben. Wenn wir das sagen, kann ich mich gleich aufhängen!" Treleaven hörte ihm nicht zu. Er hatte sich auf einen Stuhl fallen lassen, stützte den Kopf in die Hände und nahm das verworrene Gemurmel ringsum nicht mehr wahr. Aber beim ersten Knistern im Lautsprecher kam wieder Leben in ihn. Er sprang auf die Füße und nahm das Mikrophon zur Hand.
„Hallo - Vancouver", rief Janet. „Wir halten nun den Kurs von 265, wie angegeben. Bitte kommen."
„714 - das ist fein", sagte Treleaven mit warmer Heiterkeit. „Sie machen es ausgezeichnet. Lassen Sie es uns noch mal wiederholen. Wollen wir? Es wird das letztemal sein, bevor Sie den Flughafen erreichen. Also machen Sie's gut, George!"
Der Kontrolleur stand am Telefon und sagte mit großem Nachdruck: „Ja - sie werden etwa in einer halben Stunde hier sein. Das Schauspiel beginnt... "