Dokument 3

KomKon 2

Ural/Norden

Bericht Nr. 011/99

Datum: 20. März’99

Autor: T. Glumow, Inspektor

Projekt 009: »Besuch der alten Dame«

Betr.: Kosmophobie, »Pinguin-Syndrom«


Bei der Analyse von Fällen aus den letzten einhundert Jahren, bei denen kosmische Phobien auftraten, bin ich zu dem Schluss gelangt, dass die Materialien zum sogenannten »Pinguin-Syndrom« im Rahmen des Projekts 009 für uns von Interesse sein können.


Quellen:

A. Möbius: Vortrag auf der XIV. Konferenz der Kosmopsychologen, Riga’84.

A. Möbius: Das »Pinguin-Syndrom«. PKP (»Probleme der Kosmopsychologie«) Nr. 42,’84.

A. Möbius: Nochmals zur Natur des »Pinguin-Syndroms«. PKP Nr. 44,’85.


Notiz zur Person:

Möbius, Asmodäus Matthäus, Doktor der Medizin, korrespondierendes Mitglied der AdMW Europas, Direktor der Filiale


Am 7. Oktober’84 berichtete Dr. Asmodäus Möbius auf der Konferenz der Kosmopsychologen in Riga über eine neue Art der Kosmophobie, die er als »Pinguin-Syndrom« bezeichnete. Es handelt sich dabei um eine ungefährliche psychische Abweichung, die sich in zwanghaft wiederkehrenden Albträumen während des Schlafs manifestiert. Sobald der Kranke in Schlaf oder Halbschlaf fällt, findet er sich im luftleeren Raum wieder - schwebend, vollkommen hilflos, ohnmächtig, einsam und von allen vergessen und dabei seelenlosen und unüberwindlichen Kräften ausgeliefert. Körperlich hat er das Gefühl zu ersticken und spürt, wie tödliche harte Strahlung seinen Körper durchströmt, ihn verbrennt, wie seine Knochen immer dünner werden und abschmelzen, wie sein Hirn zu sieden und zu verdampfen beginnt. Eine ungeheuer intensive, entsetzliche Verzweiflung erfasst ihn, und er wacht auf.

Dr. Möbius hielt diese Krankheit für ungefährlich, weil sie ohne bleibende psychische oder physische Schäden verlief und in der ambulanten Psychotherapie erfolgreich behandelt werden konnte. Das »Pinguin-Syndrom« hatte die Aufmerksamkeit Dr. Möbius’ vor allem deshalb erregt, weil das Phänomen neu und nie zuvor beschrieben worden war. Die Experten verwunderte vor allem, dass Menschen ganz unabhängig von ihrem Geschlecht, Alter oder Beruf erkrankten

Da sich aber Dr. Möbius sehr für die Ursachen des Phänomens interessierte, unterzog er das gesammelte Material (etwa eintausendzweihundert Fälle) einer Mehrfaktorenanalyse mit achtzehn Parametern und stellte zu seiner Befriedigung fest, dass in 78 Prozent aller Fälle das Syndrom bei Menschen auftrat, die kosmische Langstreckenflüge in Schiffen vom Typ »Gespenst 17 Pinguin« unternommen hatten. »Etwas in der Art hatte ich erwartet«, erklärte Dr. Möbius. »Das ist nicht der erste mir bekannte Fall, dass uns die Konstrukteure eine unzureichend erprobte Technik zur Verfügung stellen. Deswegen habe ich das Syndrom, das ich entdeckt habe, nach dem Schiffstyp benannt - dass es ihnen eine Lehre sein möge.«

Aufgrund des Berichts von Dr. Möbius fasste die Konferenz in Riga den Beschluss, die Schiffe vom Typ »Gespenst 17 Pinguin« außer Dienst zu stellen, bis die Konstruktionsmängel, von denen die Phobie hervorgerufen wurde, beseitigt seien.


1. Ich habe festgestellt, dass bei der sorgfältigen Überprüfung des Typs »Gespenst 17 Pinguin« keinerlei nennenswerte Konstruktionsfehler zum Vorschein kamen. Die tatsächliche Ursache für das Auftreten des »Pinguin-Syndroms« bleibt also weiterhin im Dunkeln. (In dem Bestreben, auch zukünftig jedes Risiko auszuschalten, entfernte die Raumflottenbehörde alle »Pinguine« von den Passagierlinien und rüstete sie auf Autopiloten um.) Die Fälle von Erkrankungen am »Pinguin-Syndrom« gingen rapide zurück. Soviel mir bekannt ist, wurde der letzte vor dreizehn Jahren registriert.

Ich gab mich damit jedoch nicht zufrieden. Mich beschäftigten die 22 Prozent der Probanden, deren Verbindung zu Schiffen des Typs »Gespenst 17 Pinguin« ungeklärt war. Von

Die statistische Signifikanz der Hypothese vom ursächlichen Zusammenhang der »Pinguine« beim Auftreten der Phobie steht völlig außer Zweifel. Dennoch sind 22 Prozent ziemlich viel. Daher unterzog ich die Materialien von Möbius einer weiteren Mehrfaktorenanalyse mit zwanzig zusätzlichen Parametern. Die Parameter musste ich, offen gestanden, ziemlich zufällig auswählen, weil ich nicht über die geringste Hypothese verfügte. Die Parameter lauteten zum Beispiel: Startdaten (Angabe des Monats), Geburtsort (Angabe der Region), Hobby (Angabe der Kategorie) usw.

Die Sache erwies sich aber als ganz einfach. Nur der althergebrachte Glaube an die Isotropie des Raums hatte Dr. Möbius daran gehindert zu entdecken, was ich nun herausfand: dass das »Pinguin-Syndrom« nur Menschen befiel, die Raumflüge zur Saula, zur Redoute und zur Kassandra unternommen hatten, sprich durch den Subraumsektor des Eingangs 41/02 gereist waren.

Das »Gespenst 17 Pinguin« war also vollkommen unschuldig - nur, dass die überwiegende Mehrheit dieser Schiffe damals von der Werft direkt zum Einsatz auf die Linien Erde- Kassandra-Zephir und Erde-Redoute-EN 2105 geschickt wurde. 80 Prozent aller Schiffe auf diesen Linien waren damals »Pinguine«. So erklären sich Dr. Möbius’ 78 Prozent. Was die übrigen 22 Prozent der Erkrankungen betrifft, so hatten 20 Prozent der betroffenen Personen diese Routen in Schiffen anderer Typen bereist. So blieben nur noch 2 Prozent übrig, die nirgendwohin geflogen waren, aber nicht mehr ins Gewicht fielen.

2. Dr. Möbius’ Daten sind unvollständig. Unter Verwendung der von ihm gesammelten Anamnesen sowie von Daten aus den Archiven der Raumflottenbehörde stellte ich fest, dass in der Zeit auf den betreffenden Linien in beiden Richtungen insgesamt 4512 Personen befördert worden waren. Davon hatten 183 (hauptsächlich Besatzungsmitglieder) die gesamte Strecke mehrfach zurückgelegt. Über zwei Drittel dieser Gruppe tauchten nicht in den Untersuchungen von Dr. Möbius auf. Es scheint, dass sie entweder gegen das »Pinguin-Syndrom« immun waren oder es aus bestimmten Gründen nicht für nötig hielten, einen Arzt zu konsultieren. In dem Zusammenhang schien mir sehr wichtig festzustellen,

- ob sich in dieser Gruppe Personen befinden, die immun gegen das Syndrom sind;

- falls es solche Fälle von Immunität gibt: ob sich die Gründe dafür ermitteln lassen; zumindest aber die biosoziopsychologischen Parameter, nach denen sich diese Personen von den Erkrankten unterscheiden.

Mit diesen Fragen wandte ich mich direkt an Dr. Möbius. Er antwortete mir, dass ihn das Problem der Immunität nie interessiert habe, er aber intuitiv dazu neige, die Existenz solcher biosoziopsychologischer Parameter für sehr unwahrscheinlich zu halten. Auf meine Bitte hin erklärte er sich bereit, die Untersuchung des Problems einem seiner Laboratorien zu übertragen, wobei aber die Ergebnisse frühestens in zwei, drei Monaten zu erwarten seien.

Um keine Zeit zu verlieren, wandte ich mich ans Archiv des Medizinischen Zentrums der Raumflottenbehörde und versuchte, die Daten über 124 Piloten zu analysieren, die im fraglichen Zeitraum die gesamte Distanz der betreffenden Linien regelmäßig zurückgelegt hatten. Die Analyse zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung am »Pinguin-Syndrom« für die Piloten etwa bei einem Drittel lag und

3. Ich halte es für notwendig, an dieser Stelle eine Anmerkung zu zitieren, die Dr. Möbius in seinem Artikel »Nochmals zur Natur des Pinguin-Syndroms« veröffentlichte. Dr. Möbius schreibt:

»Eine bemerkenswerte Mitteilung erhielt ich vom Kollegen Kriwoklykow (Krimfiliale des Zweiten IRM). Nach der Veröffentlichung meines Vortrags von Riga schrieb er mir, er habe schon seit vielen Monaten Träume, die den Albträumen der am ›Pinguin-Syndrom‹ Erkrankten thematisch sehr ähnlich seien: Er fühlt sich im luftleeren Raum schweben, weitab von Planeten und Sternen, er spürt seinen Körper nicht, sieht ihn aber, wie auch zahlreiche andere kosmische Objekte, reale und phantastische. Doch im Unterschied zu den am ›Pinguin-Syndrom‹ erkrankten Menschen hat er dabei keine negativen Emotionen. Im Gegenteil, der Vorgang erscheint ihm interessant und angenehm. Ihm ist, als sei er ein selbstständiger Himmelskörper, der sich auf einer selbst gewählten Bahn bewegt: Schon die Bewegung bereitet ihm Freude, denn sie führt ihn zu einem Ziel, an dem sehr viel Interessantes auf ihn wartet. Und allein der Anblick der Sternenhaufen, die in den Tiefen des Raums funkeln, ruft in ihm größte Begeisterung hervor usw. Mir kam der Gedanke, dass es sich im Fall des Kollegen Kriwoklykow um eine Art Inversion des ›Pinguin-Syndroms‹ handeln könnte, die bzgl. der in meinem Artikel dargelegten Überlegungen von großem theoretischem Interesse wäre. Ich wurde jedoch enttäuscht: Wie sich herausstellte,


Notiz zur Person:

Kriwoklykow, Iwan Georgijewitsch, Psychiater der ärztlichen Ambulanz in der Basis »Lemboy« (EN 2105), hat im betrachteten Zeitraum in Raumschiffen verschiedener Typen mehrmals die Linie Erde-Redoute-EN 2105 beflogen. Befindet sich nach den Angaben des GGI gegenwärtig in der Basis »Lemboy«.


Im Verlauf eines persönlichen Gesprächs mit Dr. Möbius habe ich herausgefunden, dass er die »positive« Inversion des »Pinguin-Syndroms« im Laufe der letzten Jahre noch bei zwei weiteren Menschen entdeckt hat. Ihre Namen mitzuteilen, weigerte er sich unter Hinweis auf seine ärztliche Schweigepflicht.

Ich möchte das Phänomen einer Inversion des »Pinguin-Syndroms« hier nicht detailliert kommentieren; es scheint mir aber offensichtlich, dass wesentlich mehr Personen als bisher bekannt von einer solchen Inversion betroffen sein müssen.

T. Glumow


Ich habe das Dokument 3 hier nicht allein deshalb angeführt, weil es sich dabei um einen der vielversprechendsten Berichte handelt, die Toivo Glumow vorgelegt hat. Als ich ihn wieder und immer wieder las, beschlich mich das Gefühl, wir seien

Am 21. März las ich Toivos Bericht über das »Pinguin-Syndrom«.

Am 25. März hatte Hexenmeister seinen Auftritt im Institut der Sonderlinge (davon erfuhr ich erst ein paar Tage später).

Und am 27. März unterbreitete mir Toivo den Bericht über die Fukaminophobie.

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