Dokument 11

Arbeitsfonogramm

Datum: 10. Mai’99

Gesprächsteilnehmer: M. Kammerer, Leiter der Abteilung BV; T. Glumow, Inspektor

Projekt 009: »Besuch der alten Dame«

Betr.: Das Institut der Sonderlinge als möglicher Gegenstand des Projekts 009


KAMMERER: Interessant. Du hast wirklich ein wachsames Auge, Junge. Und eine Version hast du sicher auch parat? Lass mich hören.

GLUMOW: Die Schlussfolgerung oder die Logik?

KAMMERER: Die Logik, bitte.

GLUMOW: Am einfachsten wäre es anzunehmen, dass ein begeisterter Anhänger der Metapsychologie die Namen von Albina und Kir nach Charkow gemeldet hat. Wenn er Zeuge der Ereignisse in Malaja Pescha war, mag ihn die Anomalität ihrer Reaktionen überrascht haben, so dass er seine Beobachtung an Fachleute weitergeben wollte. Es kommen meiner Meinung nach mindestens drei Personen infrage, die das hätten tun können. Basil Newerow, der Mann vom Katastrophenschutz. Oleg Pankratow, der Lektor und ehemalige Astroarchäologe. Und seine Frau Sossja Ljadowa, die Malerin. Freilich, sie waren keine Zeugen im eigentlichen Sinn, aber das ist in diesem Fall nicht wichtig. Ohne Ihre Erlaubnis allerdings wollte ich sie nicht befragen, obwohl ich glaube, dass es möglich ist, direkt von ihnen zu erfahren, ob sie die Information ans Institut weitergegeben haben oder nicht …

KAMMERER: Es gibt einen einfacheren Weg.

GLUMOW: Den Dienstweg, ich weiß. Ich könnte eine Anfrage ans Institut richten. Aber das führt hier zu nichts, und zwar aus folgendem Grund: Wenn es ein wohlmeinender Enthusiast war, dann klärt sich alles auf, und es ist nichts weiter zu bereden. Ich würde aber eher folgende Variante in Betracht ziehen: Es gab dort keinen wohlmeinenden Enthusiasten, sondern einen eigens dafür angereisten Beobachter vom Institut der Sonderlinge.

Pause.

GLUMOW: Wenn wir annehmen, dass sich in Malaja Pescha ein Beobachter vom Institut der Sonderlinge befand, bedeutet das, dass man dort ein psychologisches Experiment durchgeführt hat mit dem Ziel, Menschen in - sagen wir - normale und ungewöhnliche zu sortieren. Zum Beispiel, um später bei den ungewöhnlichen diese »Sonderlichkeit« zu suchen. In dem Fall gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ist das Institut der Sonderlinge ein gewöhnliches Forschungszentrum, wo gewöhnliche Wissenschaftler arbeiten. Diese führen gewöhnliche Experimente durch, die zwar in ethischer Hinsicht fraglich sind, letzten Endes aber der Wissenschaft dienen sollen. Dann aber ist unverständlich, wie sie über eine Technologie verfügen können, die sogar die perspektivischen Möglichkeiten unserer Embryomechanik und unserer Biokonstruktion bei weitem übertrifft? Pause.

GLUMOW: Oder das Experiment in Malaja Pescha ist nicht von Menschen durchgeführt worden, wie wir anfangs glaubten. Aber in welchem Licht erscheint dann das Institut der Sonderlinge?

Pause.

GLUMOW: Dann wäre das Institut in Wirklichkeit gar keins, und die »Sonderlinge« dort wären keine »Sonderlinge«, und die Mitarbeiter befassten sich in Wahrheit mit etwas ganz anderem als mit Metapsychologie.

KAMMERER: Und womit? Womit befassen sie sich dort? Und was sind das für Leute?

GLUMOW: Sie halten meine Überlegungen also wieder nicht für überzeugend?

KAMMERER: Im Gegenteil, Toivo. Im Gegenteil! Sie sind sogar allzu überzeugend. Aber ich möchte, dass du deine Ideen direkt, nüchtern und unzweideutig formulierst. Wie im Bericht.

GLUMOW: Bitte sehr. Das sogenannte »Institut der Sonderlinge« ist in Wirklichkeit ein Werkzeug der Wanderer, um Menschen nach einem mir noch unbekannten Merkmal zu selektieren. Ende.

KAMMERER: Und deshalb ist Danja Logowenko, der Stellvertreter des Direktors und ein alter Freund von mir …

GLUMOW (unterbricht ihn): Nein! Das wäre zu phantastisch. Aber vielleicht wurde Ihr Danja Logowenko schon längst selektiert? Seine langjährige Bekanntschaft mit Ihnen ist keine Garantie dagegen. Er wurde selektiert und arbeitet für die Wanderer. Wie auch das gesamte Personal des Instituts, ganz zu schweigen von den »Sonderlingen« …

Pause.

GLUMOW: Seit mindestens zwanzig Jahren befassen sie sich mit der Selektion. Und als genügend Selektierte gefunden waren, organisierten sie das Institut, installierten dort ihre Gleitfrequenzkammern und lassen seitdem unter dem Vorwand, nach »Sonderlingen« zu suchen, jährlich bis zu zehntausend Menschen durchlaufen. Und wir wissen ja noch gar nicht, wie viele solcher Einrichtungen es unter den verschiedensten Bezeichnungen auf der Erde gibt.

Pause.

GLUMOW: Und Hexenmeister ist keineswegs aus dem Institut geflohen und zurück auf den Saraksch gereist, weil man ihn gekränkt oder er Bauchschmerzen bekommen hätte. Er hat die Wanderer gewittert! Wie unsere Wale, wie die

Pause.

GLUMOW: Kurzum, wir können, wie es scheint, zum ersten Mal in der Geschichte die Wanderer zu fassen kriegen.

KAMMERER: Ja. Und alles begann mit zwei Namen, die du zufällig auf dem Display bemerkt hast. Bist du übrigens sicher, dass das ein Zufall war? (Hastig:) Gut, gut, lassen wir das. Was schlägst du vor?

GLUMOW: Ich?

KAMMERER: Ja. Du.

GLUMOW: Also, wenn Sie mich fragen … Die ersten Schritte liegen meiner Meinung nach auf der Hand. Zunächst müssen die Wanderer im Institut überführt und die Ausgewählten enttarnt werden. Dann eine geheime mentoskopische Beobachtung organisieren. Wenn nötig, kann jede Person auch zu einer Mentoskopie mit maximaler Tiefe gezwungen werden. Ich nehme an, sie sind darauf vorbereitet und blockieren ihr Gedächtnis. Das macht nichts. Gerade das wird ein Indiz sein. Schlimmer ist es, wenn sie ein falsches Gedächtnis vortäuschen können …

KAMMERER: In Ordnung. Das reicht. Ausgezeichnet, bravo, du hast gute Arbeit geleistet. Und jetzt nimm meine Anweisung entgegen. Stell für mich Listen der folgenden Personen zusammen: erstens, Personen mit einer Inversion des »Pinguin-Syndroms« - alle, die die Mediziner bis heute registriert haben. Zweitens, Personen, bei denen keine Fukamisation durchgeführt wurde …

GLUMOW (unterbricht ihn): Das sind mehr als eine Million Menschen!

KAMMERER: Nein, ich meine die Personen, die den Empfang dieser »Reifeimpfung« verweigert haben, das sind zwanzigtausend.

GLUMOW: Darunter auch die, die später wieder aufgetaucht sind?

Kammerer: Besonders die. Damit befasst sich Sandro, ich werde ihn dir zuarbeiten lassen. Das ist alles.

GLUMOW: Eine Liste der Inversanten, eine Liste der Verweigerer, eine Liste der Wiederaufgetauchten. Klar. Und trotzdem, Big Bug …

KAMMERER: Sprich.

GLUMOW: Und trotzdem hätte ich gerne Ihre Erlaubnis, mich mit Basil Newerow und dem Ehepaar aus Malaja Pescha zu unterhalten.

KAMMERER: Um ein reines Gewissen zu haben?

GLUMOW: Ja. Womöglich war es doch ein wohlmeinender Enthusiast.

KAMMERER: Genehmigt. (Nach einer kleinen Pause) Interessant, was wirst du wohl tun, wenn sich herausstellt, dass es wirklich ein gewöhnlicher, wohlmeinender Enthusiast war …


Jetzt habe ich dieses Fonogramm noch einmal abgehört. Meine Stimme war damals jung, gewichtig, selbstsicher - die Stimme eines Menschen, der Schicksale lenkt, für den es weder in der Vergangenheit noch in Gegenwart und Zukunft Geheimnisse gibt, eines Menschen, der weiß, was er tut und dass er Recht hat. Ich kann jetzt kaum fassen, was ich damals für ein großartiger Komödiant und Heuchler war. Denn in Wahrheit waren meine Nerven hauchdünn und kurz vorm Zerreißen. Ich besaß einen fertigen Aktionsplan und wartete auf die Zustimmung des Präsidenten, doch sie kam und kam nicht. Ich

Und dennoch erinnere ich mich deutlich, welch große Befriedigung ich an jenem Morgen empfand, als ich Toivo Glumow anhörte und ihn dabei beobachtete. Denn es war seine Sternstunde. Fünf Jahre lang hatte er sie gesucht, die Nichtmenschen, die heimlich auf seine Erde gekommen waren. Er hatte sie trotz allen Misserfolgen weitergesucht, fast im Alleingang, durch nichts und niemanden ermuntert. Geplagt von der herablassenden Haltung seiner geliebten Frau, hatte er sie gesucht - und am Ende gefunden. Er hatte Recht behalten. Er war, wie sich nun zeigte, scharfsinniger gewesen als alle, geduldiger als alle, ernsthafter als all die geistreichen Köpfe, die leichtgewichtigen Philosophen, die intellektuellen Strauße.

Freilich, ich bin es, der ihm dieses Triumphgefühl zuschreibt. In jenem Moment, nehme ich an, empfand Toivo wahrscheinlich nur eins: brennende Ungeduld, den Feind so bald wie möglich an der Gurgel zu packen. Denn obwohl es ihm gelungen war, unumstößlich zu beweisen, dass sich sein Gegner auf der Erde befand und aktiv war, ahnte er damals noch nicht, was er da eigentlich bewiesen hatte.

Ich aber wusste es. Und trotzdem - als ich ihn an jenem Morgen ansah, war ich begeistert und stolz auf ihn. Es war wunderbar, ihn zu beobachten; er hätte mein Sohn sein können, und ich wäre froh gewesen, einen solchen Sohn zu haben.

Und wenn ich ihn gerade mit Arbeit überhäuft hatte, geschah es deshalb, damit er nicht mehr aus dem Arbeitszimmer herauskam und an seinen Schreibtisch gefesselt blieb. Denn die Antwort aus dem Institut stand noch immer aus, und die Arbeit an den Listen musste ohnehin getan werden.

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