Wolfgang Hohlbein Indiana Jones und das Gold von El Dorado

März 1943 Irgendwo in Südamerika

Es war, als hätte die Hölle ihre Pforten geöffnet, und es war keine Hölle aus Feuer und Glut, sondern aus Wasser und tobendem Wind und Eis. Unsichtbare Fäuste griffen nach dem kleinen Flugzeug. Orkanböen wirbelten es hin und her. Wasser und Eis hämmerten mal abwechselnd und mal gleichzeitig gegen die Kanzel. Der Kompaß spielte ebenso verrückt wie die elektronischen Instrumente, und manchmal zuckten die Blitze so rasch hintereinander um die winzige Maschine nieder, daß Corda das Gefühl hatte, er wäre in einem Käfig aus blauweißem, gleißendem Licht gefangen.

Er hatte längst die Orientierung verloren. Er wußte nicht mehr, wo Norden oder Süden, Osten oder Westen war. Aber der Höllensturm dort draußen mußte auch die Instrumente in seinem Körper durcheinandergebracht haben, denn er vermochte nicht einmal mehr zu sagen, wo oben oder unten war. Daß er das Flugzeug noch nicht in den Boden gerammt hatte, war längst nicht mehr seinem fliegerischen Können zu verdanken; seine Hände hielten den Steuerknüppel so fest, daß einige seiner Fingernägel abgebrochen waren und bluteten, aber er tat es im Grund nur noch, um sich irgendwo festzuhalten. Die Maschine war vollständig zum Spielball der entfesselten Elemente geworden. Die Stöße, die sich manchmal über den Steuerknüppel bis in seine Schultern und den Rücken fortsetzten, ließen seine Zähne aufeinanderschlagen und ihn vor Schmerz aufstöhnen. Ein unheimliches Knirschen und Mahlen hatte sich in das Heulen des Sturmes gemischt, als stöhne das Flugzeug wie ein lebendes Wesen im Todeskampf, und Corda rechnete seit Minuten damit, daß die Maschine einfach auseinanderbrechen würde. Er hatte aufgehört zu zählen, wie oft er sich überschlagen hatte, wie oft das Flugzeug wie ein Stein in die Tiefe gestürzt und von brüllenden Orkanböen wieder in die Höhe geschleudert worden war, wie oft zwischen den kochenden Wolken das Blau des Himmels oder das grünbraune Fleckenmuster des Dschungels sichtbar geworden war.

In den letzten Minuten hatte sich Corda an den Gedanken gewöhnt, sterblich zu sein. Er hatte in der Vergangenheit oft über den Tod nachgedacht. Über ihn geredet. Sogar einmal ein kleines Essay verfaßt, das aber niemals veröffentlicht worden war und sich mit der Situation von Menschen befaßte, die dem Tod ins Auge blickten. Trotzdem hatte er bisher zu jener großen Mehrheit der Menschen gehört, die den Tod als Möglichkeit für sich selbst ableugnen; so lange, bis er dann kommt.

Aber vielleicht war dieser Augenblick jetzt da. Professor Stanley Corda war sicher, daß er die nächsten Minuten nicht überleben würde. Er hatte sich immer für einen guten Flieger gehalten, aber kein Pilot der Welt, ganz gleich, wie gut er war, kein von Menschen gebautes Flugzeug, ganz gleich, wie stabil es war, konnte das hier überstehen. Früher oder später würde ihn eine dieser ungeheuren Sturmböen gegen den Boden oder einen Berg schmettern oder die Maschine einfach in der Luft zermalmen, wie die Faust eines Riesen, die sich um ein Spielzeug schloß und es zerdrückte.

Und wahrscheinlich eher früher als später.

Wieder traf ein ungeheurer Schlag das kleine, zweisitzige Sportflugzeug, und diesmal spürte Corda, wie etwas in dessen Rumpf zerbrach. Die Maschine kippte über den Propeller nach vorn, schien einen Moment völlig reglos in der Luft zu stehen und begann dann wie ein Stein zu stürzen. Eines der Seitenfenster zerbrach. Mit Eis und Glassplittern vermischtes Regenwasser überschüttete Corda, und ein Heulen wie das Geräusch eines angreifenden Sturzkampfbombers mischte sich in das Brüllen des Orkans. Ganz instinktiv zerrte Corda mit aller Kraft am Steuer, und die Maschine begann zu bocken und sich wie ein Kreisel um die Längsachse zu drehen, stürzte aber weiter senkrecht dem Boden entgegen.

Also ist jetzt der Moment gekommen, dachte Corda. Bei allen Irrtümern, die ihm bei seinen früheren Gedanken an den Tod und das Sterben unterlaufen sein mochten, war doch eines wahr. Er hatte nicht die Spur von Angst. Ganz im Gegenteil. Auf einmal breitete sich eine fast heitere Gelassenheit in ihm aus, während das Flugzeug immer schneller und schneller dem Boden entgegenraste, und er verspürte allenfalls eine leise Trauer, als er an Marian dachte. Nicht, weil er sie nun nie wiedersehen würde, sondern weil ihr letztes Treffen so häßlich geendet hatte. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten sie sich geliebt. Bei all den häßlichen Dingen, die in den letzten Jahren geschehen waren, hatte er geglaubt, daß dieses Gefühl erloschen wäre, aber das stimmte nicht ganz. Etwas davon war immer noch in ihm verborgen, ganz tief in ihm, zugedeckt unter Erinnerungen an Streit und Auseinandersetzungen, an Verletztwerden und Selber-Verletzen, aber es war noch da. Er hätte viel darum gegeben, hätte er noch einmal mit ihr reden und ihr das sagen können.

Plötzlich traf ein fürchterlicher Schlag das Flugzeug. Die Maschine wurde wie ein Fußball vom Kick eines Soccer-Spielers im rechten Winkel aus ihrer Bahn geschleudert, überschlug sich ein dutzendmal und wirbelte dabei um vier oder auch acht verschiedene Achsen gleichzeitig. Das Glas vor Cor-das Gesicht zerbarst, zerfetzte die Polster neben ihm und hinterließ tiefe, blutige Schnitte in seinem Gesicht, und der Sturm hämmerte mit solcher Gewalt in die Kabine, daß er nicht mehr atmen konnte. Er sah, wie eine der Tragflächen abbrach und mit einer Bewegung wie ein spöttisches Winken im grauen Chaos des Orkans verschwand, und dann riß die Wolkendecke unter ihm für den Bruchteil einer Sekunde auf. Es ging zu schnell, als daß er wirklich etwas hätte sehen können, aber was er wie eine vorüberhuschende Impression aus einem Alptraum wahrnahm, war ein metallisches Aufblitzen von gelber Farbe; als rase er über einen riesigen Spiegel dahin, der nicht mit Silber, sondern mit Gold beschichtet war.

Die Lücke in der Wolkendecke schloß sich so schnell wieder, wie sie entstanden war, und rings um Corda und das auseinanderbrechende Flugzeug war nur noch ein graues, brüllendes Chaos, aus dem aus allen Richtungen zugleich unsichtbare Fäuste auf das Flugzeug einzuschlagen und es in Stücke zu hauen schienen. Corda warf sich zurück und zerrte mit aller Gewalt am Steuerknüppel, und plötzlich war kein Widerstand mehr da. Er wußte, daß die Maschine nach ihrer Tragfläche nun auch das Leitwerk verloren hatte.

Als der Aufprall dann kam, ging alles so schnell, daß er nicht einmal wirklich Zeit fand, noch mehr zu erschrecken. Kantige graue Schatten stachen plötzlich wie riesige Speere aus dem wirbelnden Chaos heraus und schlitzten den Rumpf der Maschine unter Corda auf. Er hörte das Splittern von Holz, und sein Gehör marterte das Kreischen von zerberstendem Metall, wieder schlug die Welt vor seinen Augen einen doppelten oder auch dreifachen Salto, dann traf ein erneuter Schlag den Rumpf des Flugzeugs und zermalmte ihn endgültig. Corda wurde nach vorne und aus dem zerbrochenen Fenster der Maschine geschleudert, sah das wirbelnde Messer des Propellers auf sich zurasen und im letzten Moment in die Tiefe sacken, und begriff gerade noch, daß ihm eine weitere, kostbare Sekunde Lebenszeit geschenkt worden war, ehe er auf den Boden aufprallen und zerschmettern mußte.

Dann nichts mehr.

Aber der Aufprall tötete ihn nicht. Er raubte ihm nicht einmal das Bewußtsein. Für eine Zeitspanne, deren Länge zu schätzen er sich außerstande fühlte, schien ein Teil seines Fühlens und Denkens abgeschaltet zu sein; er nahm alles, was mit ihm und um ihn herum geschah, weiterhin mit fast übernatürlicher Klarheit wahr, aber er registrierte nur noch, ohne zu verstehen. Irgend etwas fing seinen Sturz auf; mit einer entsetzlichen Wucht, die ihn vor Schmerz hätte aufbrüllen lassen müssen, die er nun aber nur einfach teilnahmslos zur Kenntnis nahm. Er fiel weiter, brach durch einen zweiten, nicht mehr ganz so unerbittlichen Widerstand, und dann einen dritten — und landete auf etwas Hartem und zugleich Nachgiebigem, das den zahllosen Prellungen und Schnitten an seinem Körper weitere hinzufügte, seinem Fall aber gleichzeitig die tödliche Wucht nahm.

Er näherte sich der Bewußtlosigkeit — vielleicht dem Tod — so sehr, wie es gerade noch möglich war, ohne einem von beiden anheimzufallen. Die pochenden Schmerzen und das Gefühl der feuchten Wärme seines eigenen Blutes, das über sein Gesicht und über seine Hände lief, verblaßten. Das Licht schien schwächer zu werden und erlosch dann ganz, und auch das Heulen des Sturmes sank zu einem kaum mehr wahrnehmbaren Flüstern herab, wie das Singen ferner, trauriger Kinderstimmen, die in einen nie endenden Kanon eingestimmt hatten.

Wie lange er so dalag, wußte er nicht. Die Zeit verstrich. Irgend etwas berührte sein Gesicht und zog sich wieder zurück, und der strömende Regen durchnäßte ihn. Er spürte die Feuchtigkeit, aber nicht die Kälte. Irgendwann nach Minuten, die wie Jahre waren — oder auch nach Jahren, die wie Minuten waren —, zogen sich die Bewußtlosigkeit und ihr größerer, dunkler Bruder von ihm zurück, als hätten sie ihn geprüft und noch nicht für würdig befunden, in ihr Reich aufgenommen zu werden, und Corda öffnete langsam die Augen. Er fühlte, daß er auf dem Rücken lag, aber über ihm war kein Himmel, sondern nur ein schwarzes, konturloses Nichts. Doch auch dieser letzte Schatten einer finsteren Welt, die er für Bruchteile von Sekunden berührt hatte, verschwand, und plötzlich sah er das Schimmern von Blau und Gold und schwarzer Lava, und die wirbelnden Schemen, die er jetzt noch wahrnahm, waren die kochenden Wolken des Sturmes, der noch immer über ihm tobte.

Das erste wirklich reale Gefühl, dessen er sich bewußt wurde, war Erleichterung. Nicht Erleichterung, noch am Leben zu sein, sondern sehen zu können, denn als er die Augen öffnete und nichts sah, hatte er angenommen, blind zu sein. Aber er war weder blind noch lebensgefährlich verletzt, und als er es versuchte, konnte er sich sogar aufrichten. Natürlich fiel er sofort wieder zurück. Übelkeit und Schwindel wechselten für Minuten miteinander ab, so daß er wieder mit geschlossenen Augen und leise stöhnend stillhielt. Bis auch das verging und er vorsichtig ein zweites Mal die Lider hob.

Als wäre der Sturm nur geschickt worden, um ihn und sein Flugzeug zu vernichten, und zöge sich nun nach getaner Arbeit wieder zurück, war der Himmel bereits wieder überwiegend blau. Hier und da war noch eine Wolke zu sehen, und es roch nach Regen und nassem Fels und noch etwas anderem, das Corda im ersten Moment nicht benennen konnte, aber über ihm schien bereits wieder die Sonne, und das Brüllen des Sturmes und das Krachen der Donnerschläge waren zu einem fernen Raunen geworden. Vorsichtig hob er die Hand, tastete mit spitzen Fingern sein Gesicht ab und fühlte sein eigenes Blut, aufgeschürfte Haut — und einen kleinen, dreieckigen Glassplitter, der sein linkes Auge nur um einen Zentimeter verfehlt hatte und wie eine Pfeilspitze in seiner Schläfe steckte. Corda biß die Zähne zusammen, ergriff ihn mit spitzen Fingern und zog ihn vorsichtig aus seinem Fleisch. Es tat sehr weh, viel mehr als alles, was er vorher erlitten hatte, und aus der Wunde lief ein Strom hellroten Blutes über sein Gesicht und seine Hände. Stöhnend verbarg Corda das Gesicht in den Händen, blieb einige Augenblicke lang reglos so sitzen und richtete sich dann wieder auf. Einen Moment lang betrachtete er die winzige Glasscherbe, die er zwischen Daumen und Zeigefinger hielt und die sich von seinem eigenen Blut hellrot gefärbt hatte, und erschauderte bei dem Gedanken, wie knapp sie sein Auge verfehlt hatte. Einen Zentimeter weiter, und sie hätte ihn geblendet oder sich in sein Gehirn gebohrt und ihn umgebracht. Dann begriff er, wie lächerlich dieser Gedanke war. Bei allem, was er überlebt hatte, war dieser kleine Schnitt an seiner Schläfe weniger als nichts. Er lachte, hob die Hand und schleuderte den Glassplitter in hohem Bogen von sich.

Ein goldener Schimmer brach sich auf dem wirbelnden Glas, und Corda blickte der kleinen Scherbe verwirrt nach, bis sie zwischen den Felsen verschwand. Der Lichtblitz erinnerte ihn an etwas anderes, das er gesehen hatte, Sekunden, bevor das Flugzeug zerbrochen war und ihn abgeschüttelt hatte. Danach noch einmal, ebenso flüchtig, und ebenso, ohne daß er dem Ganzen irgendeine Bedeutung hätte zumessen können.

Zum ersten Mal sah er sich wirklich aufmerksam um. Er war zwischen scharfkantigen Graten aus Lava und verwittertem Granit aufgeschlagen, und was seinen Sturz aufgefangen hatte, war ein verkrüppelter Baum ohne Blätter, der seine Wurzeln in winzige Spalten und Risse des Bodens krallte. Ein Zufall mit einer Chance von Eins zu Zehnmillionen, dachte Corda schaudernd. So weit er sehen konnte, erblickte er nur nackten Fels und rasiermesserscharfe Kanten; dieser Baum war der einzige Abgesandte der Vegetation, der in diese kahle Welt aus Stein und Härte vorgedrungen war.

Er sah sich aufmerksamer um. Die Felsen, gegen die sein Flugzeug geprallt war, gehörten zum Rand eines gewaltigen Kraterwalles, der sich unendlich weit über die grünen Wipfel des bolivianischen Dschungels erhob. Corda schätzte, daß er für den Abstieg Stunden brauchen würde; wenn er ihn überhaupt schaffen konnte. Langsam drehte er sich in die entgegengesetzte Richtung und versuchte, einen Blick ins Innere des erloschenen Vulkans zu werfen. Da sah er aber nichts als grauen Dunst und Nebel, die wie eine Decke über dem Krater lagen und alles, was weiter als dreißig oder vierzig Schritte von ihm entfernt war, seinen Blicken entzogen. Aber er hatte etwas golden aufblitzen sehen, nicht nur gerade, als er den Glassplitter fortwarf, sondern schon vorher aus der Kanzel seines abstürzenden Flugzeugs heraus.

Der logische Teil seines Denkens sagte ihm, daß er sein bißchen Kraft lieber dafür aufheben sollte, sich herumzudrehen und den langen und wahrscheinlich gefährlichen Abstieg in den Dschungel hinab zu beginnen. Aber da war noch eine andere Stimme in ihm, die nichts mit Logik zu tun hatte und im Moment stärker war als alles andere. Er spürte einfach, daß sich hinter diesem wallenden Vorhang aus Nebel und Dunst etwas verbarg. Etwas Großes und Geheimnisvolles.

Mit zusammengebissenen Zähnen humpelte Corda an dem Baum vorbei, dessen Äste ihm das Leben gerettet hatten und dabei zerborsten waren. Mit jedem Schritt wurde ihm qualvoll bewußt, daß zwischen den Begriffen» nicht schwerverletzt «und» unverletzt «Welten lagen; ein weißglühender Pfeil bohrte sich von innen genüßlich langsam durch sein Knie und in den Oberschenkel hinauf, und an seinem ganzen Körper schien plötzlich keine Stelle mehr zu sein, die nicht brannte, pochte, stach oder auf irgendeine andere vorstellbare (und auch unvorstellbare) Weise weh tat. Zitternd hielt er inne, streckte die Hand nach dem Baumstamm aus — und zog sie überrascht wieder zurück.

Der Baum sah aus wie ein Baum, und er war ein Baum — aber seine Rinde fühlte sich an wie Stein. Corda griff ein zweites Mal zu, kratzte vorsichtig mit dem Fingernagel über die Baumrinde und sah, wie sich die dünne Asche- und Rußschicht löste, die die Jahrhunderte darauf abgeladen hatten. Aber darunter kam kein versteinertes Holz zum Vorschein, sondern — Gold!

Sekundenlang stand Professor Stanley Corda einfach da und starrte fassungslos auf das kleine Loch in der Rinde, dann begann er plötzlich mit beiden Händen hektisch an der Baumrinde zu scharren und zu kratzen, und schließlich nahm er einen von seinem Hemd abgerissenen Stoffstreifen zuhilfe, um die Ablagerungen der Jahrhunderte zu entfernen. Es gelang ihm nicht überall, aber dort, wo es ihm gelang, bot sich ihm überall der gleiche Anblick: blindgewordenes, zerschrammtes Gold. Aber eindeutig Gold! Corda hatte in seinem Leben als Archäologe (und nebenberuflicher Grabräuber) zuviel dieses kostbaren Metalls in der Hand gehalten, um auch nur eine Sekunde lang unsicher zu sein. Es war Gold. Er fühlte die charakteristische, samtene Härte und die Weichheit des Metalls.

Aber das war unmöglich!

Verblüfft drehte sich Corda wieder herum und blickte zum ersten Mal bewußt auf die zerbrochenen Äste hinab, die er bei seinem Sturz vom Baum abgerissen hatte. Sie waren schwarz und mit einer zentimeterdicken Schicht aus Ruß und Asche bedeckt, aber hier und da blitzte es auch an ihnen golden auf, und als er einen davon aufhob und sich die Bruchstelle genauer betrachtete, blendete ein hellgelber Schimmer seine Augen.

Verblüfft ließ Corda den Ast fallen und wandte sich wieder dem Baum zu. Minutenlang stand er einfach da und starrte ihn an, und er erwog und verwarf in dieser Zeit Dutzende von Erklärungen für das, was er sah. Keine war wirklich überzeugend. Ein Zufall? Eine Goldader, die von einer Laune der Natur aus dem Berg herausgewaschen worden war? Unmöglich. Selbst wenn es in dieser Lava Gold gegeben hätte, wäre es weicher gewesen als der Stein und von der Erosion fortgespült worden.

Ein Kultgegenstand, ein Jahrtausende altes Kunstwerk, das die Indianer, die diesen Dschungel einst bewohnt hatten, zu Ehren ihrer Götter errichtet hatten? Ebenso unmöglich. Die Inkas und Mayas waren nie in diesen Teil Boliviens vorgedrungen, und selbst, wenn doch — Corda kannte ihre Kunstwerke zur Genüge. Er hatte mehr als eines davon geborgen und ins Museum gebracht, und mehr als eines war auch auf dem Wege zwischen dem Fundort und besagtem Museum auf unerklärliche Weise verschwunden, und jedesmal hatte sich Cordas Guthaben bei seiner Bank auf unerklärliche Weise beträchtlich erhöht.

So fantastisch es klang — es schien nur eine einzige Erklärung zu geben.

Aber die war noch schwerer zu akzeptieren.

Widerstrebend wandte er sich von dem fantastischen Baum ab und blickte wieder auf die Decke aus Nebel und brodelnden, grauen Schwaden hinab, die das Innere des Vulkankraters verbarg. Erst jetzt fiel ihm auf, daß es sie eigentlich gar nicht geben konnte; der Sturm war zwar vorüber, aber selbst, wenn dort unten ein Sumpf gewesen wäre, hätte sich der Nebel nicht so schnell erneuern können.

Er sah sich unsicher nach allen Seiten um, entdeckte nach kurzem Suchen nur wenige Meter entfernt eine Stelle, die ihm günstig schien, ins Innere des Kraters hinabzugelangen, und machte sich mit zusammengebissenen Zähnen und wankend auf den Weg.

Es ging leichter, als er gedacht hatte. Aber es war auch unheimlicher, als er erwartet hatte. Der Nebel hüllte ihn ein wie feuchte Watte und durchtränkte seine Kleider und sein Haar schon wieder mit kalter Nässe; dabei ließ er den Boden unter seinen Füßen schlüpfrig werden, so daß er aufpassen mußte, wohin er seine Schritte lenkte. Die Gefahr, auszurutschen und sich auf den scharfen Lavagraten noch mehr zu verletzen, war groß. Außerdem war es der seltsamste Nebel, den Corda je erlebt hatte. Er war so dicht, daß er glaubte, ihn anfassen zu können, und ein sonderbarer Geruch ging von ihm aus: scharf und fremdartig, nicht einmal unbedingt unangenehm, aber doch so präsent, daß er alle anderen Sinneseindrücke zu überlagern schien.

Nicht, daß es sehr viele andere Eindrücke gegeben hätte. Vor ihm war nichts als eine graue Wand, in die er sich hineintasten mußte, und manchmal sah er nicht einmal, was unter seinen Füßen war. Er kam nur sehr langsam voran, und es war ihm völlig unmöglich, die Entfernung zu schätzen, die er zurücklegte. Dann und wann glaubte er, einen Umriß in den grauen Schwaden vor sich zu erkennen, fand aber nie etwas, wenn er in diese Richtung ging, und manchmal glaubte er, Geräusche zu hören: unheimliche, bizarre Laute, die der allgegenwärtige Nebel dumpf und irgendwie feucht klingen ließ.

Er war jetzt nicht mehr sicher, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, in diesen Vulkankrater hinabzusteigen. Er hatte mehr Glück gehabt, als er sich auch nur hätte träumen lassen, und vielleicht war das Schicksal der Meinung, daß er seinen Kredit bei ihm bis an den Rest seiner Tage ausgeschöpft hatte. Corda gestand sich ein, daß er sich offensichtlich verirrt hatte. Seine Chancen, den Weg aus diesem Nebel wieder herauszufinden, waren gleich Null.

Er blieb stehen, drehte sich einmal im Kreis und begriff mitten in der Bewegung voller Schrecken, daß er auf dem besten Wege war, auch sein letztes bißchen Orientierung zu verlieren. Hastig drehte er sich wieder in die gleiche Richtung zurück, machte einen weiteren, unsicheren Schritt — und blieb abermals stehen.

Vor ihm war etwas. Im allerersten Moment hielt er es wieder für eine der Täuschungen, die ihn auf den Weg hier herunter schon mehrmals genarrt hatten, aber diesmal verschwand der Schatten nicht, als er genauer hinsah. Im Gegenteil, er schien deutlicher zu werden, ohne dabei an Form zu gewinnen. Corda sah, daß vor ihm etwas war, aber er wußte nicht, was das sein mochte.

Sein Herz schlug schneller. Er war niemals abergläubisch gewesen. Geschichten von Geistern und Gespenstern hatten ihm stets nur ein müdes Lächeln abgerungen, obwohl oder vielleicht gerade weil er sich so oft damit beschäftigte, wenn er auf den Spuren versunkener Kulturen war oder Jahrtausende alte Gräber öffnete. Aber in diesem Moment hätte es ihn nicht besonders überrascht, wenn der Nebel einen brüllenden Dämon ausgespien hätte, der gekommen war, um den Frevel zu rächen, den er begangen hatte, als er diesen verbotenen Ort betrat.

Doch der Schatten rührte sich nicht. Corda lauschte. Er hörte nichts außer dem Rauschen seines eigenen Blutes und den unheimlichen, dumpfen Lauten des Nebels, von denen er mittlerweile nicht mehr sicher war, ob sie nicht nur seiner eigenen Fantasie entsprangen.

Unendlich vorsichtig ging er weiter. Der Schatten wuchs ganz langsam heran, blieb aber immer noch formlos. Doch je näher Corda ihm kam, desto deutlicher sah er, daß vor ihm kein schwarzer Fels aus dem Boden ragte. Was er sah, war ein metallisches Schimmern; ein Schimmern von gelber Farbe.

Dann, ganz plötzlich, als hätte er eine unsichtbare Grenze überschritten, erkannte Corda, was vor ihm stand.

Mit einem gellenden Schrei prallte er zurück, verlor das Gleichgewicht und stürzte schwer zu Boden. Seine Wange streifte etwas Kaltes, das hart war, aber nicht so hart wie der Stein, auf den er gestürzt war, und er drehte automatisch den Kopf und schrie abermals auf, und diesmal voller Ekel, als er sah, was seine Wange gestreift hatte.

Und dann wurden seine Augen groß und rund vor Staunen, und aus dem Schrei wurde ein ungläubiges Keuchen.

Direkt neben seinem Gesicht hockte eine Spinne. Es war die größte Spinne, die er jemals zu Gesicht bekommen hatte — ein Körper wie zwei nebeneinandergelegte Männerfäuste, weit gespreizte Beine, die eine Spannweite von gut vierzig oder fünfzig Zentimetern haben mußten, und Augen von der Größe polierter Heftzwecken, die ihn mit kalter Wut anstarrten.

Aber es war nicht die Größe oder die unbeschreibliche Häßlichkeit dieses Wesens, die Corda wie erstarrt einfach daliegen und es anstarren ließen. Die Spinne lebte nicht. Und sie war genausowenig eine Spinne, wie der Baum dort oben am Kraterrand ein Baum gewesen war.

Sie bestand aus purem Gold.

Trotzdem verspürte Corda ein heftiges Ekelgefühl, das ihn dazu brachte, sich aufzurichten und hastig ein Stückweit von dem künstlichen Tier fortzukriechen. Abgesehen von seiner Farbe wirkte es so lebensecht, daß es ihn nicht erstaunt hätte, wäre es plötzlich auf ihn losgeschossen. Die großen Augen blickten ihn mit einem Ausdruck erstarrter Wut an, die häßlichen, haarigen Beine waren bis ins Feinste nachgebildet, so daß man jedes Härchen, jedes Gelenk, selbst die winzigen, gebogenen Krallen an ihrem Ende erkennen konnte. Auf dem aufgedunsenen Leib klebte etwas wie goldener Schaum; ein Eierpaket, wie es viele Spinnen mit sich herumschleppen und das der unbekannte Künstler, der dieses Tier erschaffen hatte, perfekt nachgebildet hatte.

Aber Corda war mit einem Male auch nicht mehr sicher, ob dieses Tier wirklich nachgebildet worden war.

Mühsam riß er seinen Blick von der riesigen Kreatur los, wandte den Kopf und starrte wieder den größeren, goldschimmernden Schatten an, bei dessen Anblick er zurückgeprallt war.

Er konnte ihn jetzt deutlich erkennen. Es war kein Schatten mehr. Es war ein Koloß von mehr als drei Metern Größe und einer Länge, die er nicht bestimmen konnte, denn der hintere Teil des Körpers verschwand im Nebel. Der Schädel, groß und häßlich und dreieckig und mit einem klaffenden Maul, in dem fingerlange Haifischzähne blitzten, war bis ins kleinste Detail nachgebildet! Corda konnte jede einzelne Schuppe erkennen. Er sah die riesigen, aufgeblähten Nüstern, die faustgroßen Reptilien-Augen, die ihn mit der gleichen Wut (oder war es Schmerz?) anstarrten wie die der Spinne, und darunter die gewaltigen Krallen des Ungeheuers, die unheimlich an menschliche Hände erinnerten und in einer zupackenden Bewegung ausgestreckt waren.

Schaudernd richtete sich Corda auf, tat einen Schritt auf das bizarre Wesen zu und blieb abrupt stehen. Er wagte es einfach nicht, ihm näher zu kommen. Er versuchte erst gar nicht mehr, zu begreifen, was hier vorging. Aber er wußte jetzt zweifelsfrei, daß er nicht dem Werk eines Inka- oder Maya-Künstlers gegenüberstand. Es konnten nicht menschliche Hände gewesen sein, die diese Statue erschaffen hatten.

Corda war kein Paläontologe, aber er kannte sich in der Frühgeschichte der Erde gut genug aus, um zu wissen, daß das, was da vor ihm stand — völlig aus Gold gemacht und in Lebensgröße! — , ein Allosaurus war. So etwas wie ein kleinerer, aber kaum weniger gefährlicher Bruder des größten Raubtieres, das jemals auf diesem Planeten gelebt hatte, des Tyrannosaurus Rex. Und abgesehen von seiner Gefräßigkeit hatte er noch etwas anderes mit jenem Urbild eines Drachen gemein: Er war ebenfalls vor siebzig Millionen Jahren ausgestorben.

Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, überwand Corda seine Angst und trat nun doch näher an die Statue heran. Seine Hand zitterte, als er sie ausstreckte und über die Schuppen des gewaltigen Körpers tastete, an denen jene Einzelheit exakt herausgearbeitet war. Sie waren kalt und feucht von der Nässe, die der Nebel auf ihnen abgeladen hatte, und er spürte nicht nur das Gold, sondern jede noch so winzige Unebenheit der gepanzerten Echsenhaut. Schaudernd trat er zurück und starrte aus weit aufgerissenen Augen in den Nebel. Ein unwirkliches Gefühl überkam ihn, als er sich vorzustellen versuchte, was noch in diesem unheimlichen Nebel lauern mochte. Fast grenzte es an Panik.

Doch er würde es herausfinden.

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