21. Juni 1943 Rio Mamore 120 Meilen nordöstlich von Trinidad

Trotz Reubens Optimismus vergingen gute zwei Tage, ehe sie auf eine konkrete Spur von Ramos und seine Begleiter stießen. Und das sah anders aus, als irgendeinem von ihnen lieb war. Sie hatten La Paz noch am selben Tag verlassen. Die beiden FBI-Beamten hatten sich trotz Indianas energischen Nachfragen in beharrliches Schweigen gehüllt, was ihr Ziel oder ihren Weg anging, aber sie hatten ein Boot genommen und waren auf einem der zahllosen kleinen Flüsse, die das bolivianische Hochland durchschneiden, nach Osten gefahren. Am Mittag des nächsten Tages hatten sie den Rio Mamore erreicht und eine Stunde vor Sonnenuntergang Trinidad, die letzte nennenswerte Stadt vor der brasilianischen Grenze. Sie hatten in einem schäbigen Hotel übernachtet, und als sie am nächsten Morgen weiterfuhren, wurde Indianas Überzeugung, daß Reuben und Henley in diesem Land über ebensowenig Macht und Einfluß verfügten wie er oder Marian, gründlich erschüttert, denn sie waren nicht mehr allein: Aus dem lecken Kahn, auf dem sie das erste Stück des Weges zurückgelegt hatten, war ein altes, aber äußerst robustes Dampfboot geworden, auf dessen Vorderdeck sich ein halbes Dutzend finster aussehender und bis an die Zähne bewaffneter Gestalten drängte. Zu Indianas Überraschung befanden sich auch zwei bolivianische Polizeibeamte unter ihnen, mit denen sich Henley lautstark und heftig gestikulierend und in perfektem Spanisch unterhielt, während Marian und er an Bord gingen. Kaum eine Stunde nach Sonnenaufgang waren sie weiter nach Nordosten gefahren. Kurz nach der Mittagsstunde hatte das Land rechts und links des Flusses allmählich begonnen, sich zu verändern — aus dem mit Gras und nur vereinzelten Bäumen bewachsenen Hochland war ein grün-braun getupftes Muster geworden, das langsam, aber stetig in das wuchernde Grün eines tropischen Regenwaldes überging. Der Fluß wurde breiter und verzweigte sich, und Indiana war bald nicht mehr sicher, ob sie wirklich noch auf dem Rio Mamore oder schon auf einem seiner zahllosen Nebenarme fuhren, die zum Teil so breit wie der Fluß selbst, trotzdem aber auf keiner Karte verzeichnet waren. Eine Stunde vor Sonnenuntergang fanden sie dann das zerstörte Indianerdorf.

Genauer gesagt, waren es die Indianer, die sie fanden, denn der Dschungel rechts und links des Flusses war so dicht geworden, daß er sich wie eine undurchdringliche grüne Mauer erstreckte, so weit der Blick reichte. Indiana hatte es aufgegeben, die beiden FBI-Beamten weiter mit Fragen zu bombardieren, auf die er sowieso keine Antwort bekam, und stand am Bug des kleinen Dampfschiffes. Er war allein. Von den Männern, die Henley und Reuben angeheuert hatten, befand sich im Moment niemand in seiner Nähe, und Indiana war auch nicht gerade unglücklich darüber. Er erkannte Söldner, wenn er sie sah. Die acht sonnengebräunten, breitschultrigen Gestalten, die Marian und ihn am Morgen an Bord dieses Schiffes empfangen hatten, waren Söldner, wenn er jemals welche zu Gesicht bekommen hatte. Zum wiederholten Male — und zum wiederholten Male vergeblich — fragte sich Indiana, was um alles in der Welt die beiden FBI-Männer hier im bolivianischen Regenwald zu finden glaubten.

Indiana schrak aus seinen Gedanken hoch, als er Schritte hinter sich hörte. Er drehte sich halb um, erkannte Henley, der, in einen leichten Tropenanzug gehüllt und die unvermeidliche, qualmende Zigarette im Mundwinkel, gemächlich auf ihn zugeschlendert kam, und wandte sich dann wieder nach vorn. Der Fluß schlängelte sich in zahllosen Kehren und Windungen durch den Dschungel, und ein warmer Wind wehte ihm ins Gesicht. Obwohl die Sonne bereits zur Hälfte hinter den Baumwipfeln verschwunden und ihr Licht rot geworden war, war es noch immer sehr heiß.

Henley trat neben ihn, legte die Hände auf die rostzerfressene Reling und starrte länger als eine Minute wortlos an Indiana vorbei ins Leere. Dann schnippte er seine Zigarette ins Wasser, griff sofort in die Jackentasche und zündete sich eine neue an.»Es ist schön hier, nicht wahr?«fragte er, während er sein Feuerzeug aufschnappen ließ und eine blaue Rauchwolke in die Luft blies.

Einige Sekunden lang antwortete Indiana gar nicht. Dann wandte er sich um, drehte sich rücklings gegen die Reling und bedachte den FBI-Mann mit einem nachdenklichen Blick.»Es wäre noch schöner«, sagte er,»wenn Sie ohne das da hergekommen wären. «Er deutete auf den Pistolengurt, den sich Henley umgeschnallt hatte.

Der FBI-Beamte lächelte spöttisch. Die glühende Spitze seiner Zigarette beschrieb eine Figur hin zu Indianas eigenem Gürtel, an dem nicht nur seine zusammengerollte Peitsche, sondern auch eine Pistolentasche befestigt war. Seit sie das Hotel in La Paz verlassen hatten, trug Indiana wieder die Kleidung, in der er sich am wohlsten fühlte — eine abgewetzte braune Lederjacke, eine grobe Leinenhose und ein Hemd, das fast nur noch aus Flicken bestand, und dazu einen braunen Filzhut, der nicht nur so aussah, als wäre er bereits dreimal rund um die Welt gereist.»Sie sind doch auch bewaffnet, Dr. Jones.«

«Eine schlechte Angewohnheit«, gestand Indiana mit einem Lächeln, das keines war. Ernster fügte er hinzu:»Aber ich bringe keine Armee mit hierher.«

Henley sog an seiner Zigarette und zuckte mit den Schultern.»Man weiß nie, worauf man trifft. «Er zuckte abermals mit den Schultern, blickte Indiana kurz an und sah dann wieder auf den Fluß hinaus.»Wenn unsere Informationen stimmen, dann hat Ramos fast ein Dutzend Männer angeworben. Von denen, die Ihren Freund begleiten, ganz abgesehen.«

Indiana lag die scharfe Entgegnung auf der Zunge, daß Stanley nicht sein Freund sei, aber er schluckte sie hinunter und zwang sich wenigstens äußerlich zur Ruhe, als er antwortete.»Wovor um alles in der Welt haben Sie Angst, Henley?«

Er rechnete nicht damit, daß Henley wirklich antworten würde — aber der tat es. Sekundenlang starrte er weiter nachdenklich in die Fluten, die der stumpfe Bug des Dampfschiffes seit Stunden teilte, dann beugte er sich vor, stützte sich mit den Unterarmen auf der Reling ab und seufzte tief.»Ich weiß es nicht, Dr. Jones«, sagte er.»Das ist tatsächlich die Wahrheit. Niemand weiß, was Professor Corda hier sucht.«

«Und weswegen folgen Sie ihm dann bis ans Ende der Welt?«bohrte Indiana weiter.

Henley blickte ihn sehr ernst an.»Es könnte sein, daß er etwas von enormer Wichtigkeit gefunden hat.«

«Und wegen dieses könnte riskieren Sie und Reuben Ihr Leben — von den möglichen diplomatischen Verwicklungen ganz abgesehen?«fragte Indiana zweifelnd.

Henley nickte.»Wenn es nämlich das ist, was wir vermuten, dann stehen mehr als zwei Menschenleben auf dem Spiel, Dr. Jones.«

«Sie glauben doch nicht wirklich, daß Stanley ein Verräter ist?«fragte Indiana.

«Nein«, gestand Reuben mit erstaunlicher Offenheit.»Ich …«, er zögerte, nahm einen weiteren Zug aus seiner Zigarette, einzig und allein, um Zeit zu gewinnen, und überzeugte sich dann mit einem raschen Blick in die Runde davon, daß sie allein auf dem Vorderdeck waren.»Nein«, sagte er noch einmal.»Sehen Sie, Jones, wir wissen so ziemlich alles über Professor Corda. Sie haben völlig recht — er ist ein Dieb und Betrüger, aber er interessiert sich ungefähr so sehr für Politik und Macht wie ich mich für die Fruchtbarkeitsriten der Ureinwohner Neuguineas. «Er lächelte flüchtig über seinen eigenen Scherz.»Aber es ist möglich, daß er hier etwas gefunden hat, von dessen Bedeutung er selbst nichts weiß. Etwas, das sehr, sehr wertvoll ist. Und das in den falschen Händen sehr gefährlich werden kann.«

«Es hat mit dem Manhattan-Projekt zu tun«, vermutete Indiana, und diesmal nickte Henley.

«Ja. Ich will Ihnen die Wahrheit sagen, Dr. Jones. Reuben wird mich köpfen, vierteilen und verbrennen, wenn er es herausfindet, aber ich finde, Sie haben ein Recht, es zu erfahren. «Wieder zögerte er einen Moment. Indiana spürte, wie schwer es ihm fiel, jetzt weiterzureden.»Wir haben Ihnen bereits erzählt, daß einige der Kunden, die Cordas Beute gekauft haben, krank geworden sind.«

Indiana nickte.

«Es war keine geheimnisvolle Tropenkrankheit«, fuhr Hen-ley fort,»oder ein Fluch, wie der Dekan Ihrer Universität meinte.«

«Sondern?«

«Das Gold«, erklärte Henley,»das Professor Corda mitgebracht hat, ist radioaktiv verseucht.«

Indiana blickte ihn gleichermaßen erschrocken wie fragend an.

«Einige der Stücke waren so heiß, daß die Skalen unseres Geigerzählers schon gar nicht mehr ausreichten«, fuhr Henley fort, ohne ihn anzusehen.»Andere strahlen nur schwach radioaktiv, aber alle sind strahlenverseucht. Was wissen Sie überhaupt über Radioaktivität, Jones?«

«Nicht viel«, gestand Indiana.

«Nun«, sagte Henley,»dann können wir uns die Hand reichen. Ich weiß für meinen Teil nur das darüber, was man mir erzählt hat, und das ist wenig genug. Aber ich weiß, daß Radioaktivität in gefährlicher oder gar tödlicher Stärke in der Natur normalerweise nicht vorkommt. Aber die Stücke, die Corda mitgebracht hat, waren verseucht. Was immer er gefunden hat — möglicherweise, ohne daß er selbst es auch nur ahnt —, ist ein Phänomen, für das wir bisher noch keine Erklärung haben.«

«Und jetzt fürchten Sie, daß —«

«Wir fürchten überhaupt nichts«, unterbrach ihn Henley in so scharfem Ton, daß Indiana den Grund im ersten Moment gar nicht verstand. Dann begriff er, daß der FBI-Agent schlicht und einfach Angst hatte.»Ich weiß nicht, ob Sie sich darüber im klaren sind, Dr. Jones — aber im Augenblick findet so etwas wie ein Wettlauf zwischen uns und den Deutschen statt.«

«Ein Wettlauf?«

Henley nickte andeutungsweise und starrte weiter in den Fluß.»Wir sind nicht die einzigen, die ein Manhattan-Projekt haben«, sagte er.»Bei den Deutschen heißt es anders, aber Tatsache ist, daß sie genauso intensiv an der Entwicklung einer Atomwaffe arbeiten wie wir. Es ist eine Frage der Zeit, wer sie zuerst hat. Ich glaube zwar, daß wir es sein werden, aber sicher kann man da nie sein.«

«Stanley würde niemals mit den Nazis zusammenarbeiten«, sagte Indiana überzeugt.

«Das weiß ich«, antwortete Henley.»Aber verstehen Sie doch, Dr. Jones — die Vereinigten Staaten können es sich einfach nicht leisten, auch nur das winzigste Risiko einzugehen. «Er sah Indiana mit einem Ausdruck von Angst in den Augen an, der den schaudern ließ.»Haben Sie eigentlich eine Vorstellung, was eine Atomwaffe in den Händen der Nazis anrichten könnte?«

«Nein«, gestand Indiana schaudernd.

«Ich auch nicht«, sagte Henley.»Niemand weiß, was diese Waffe wirklich bewirkt. Aber ich möchte es wahrhaftig nicht herausfinden.«

Es wurde still. Lange Zeit standen sie einfach nur schweigend nebeneinander und blickten auf den Fluß hinaus, jeder in seine eigenen Gedanken versunken und jeder mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt. Indiana war nicht sicher, ob er die Tragweite dessen, was Henley ihm gerade erzählt hatte, wirklich begriff. Natürlich war die Vorstellung, daß Stanley in irgendeine Spionagegeschichte verwickelt sein sollte, schlichtweg absurd. Aber es konnte ja sein, daß er, ohne es selbst zu wissen, auf etwas gestoßen war, das den Lauf der Weltgeschichte verändern konnte.

Und dazu kam noch etwas, und das wurde Indiana erst nach einigen Augenblicken klar: Wenn das Gold, das Stanley gefunden hatte, wirklich den Tod brachte, dann rannte er geradewegs ins Verderben. Und nicht nur er, sondern auch Ramos und seine Begleiter, die sich an seine Fersen geheftet hatten. Und mit ihnen Marcus.

Er wollte sich mit einer entsprechenden Bemerkung an Hen-ley wenden. Aber fast gleichzeitig fiel ihm auf, daß Henley nicht mehr so entspannt und locker dastand wie noch vor Augenblicken. Er lehnte noch immer vornübergebeugt auf der Reling, aber sein Gesicht wirkte angespannt, und seine Hände hatten sich so fest um das rostige Eisen geschlossen, daß sie zitterten.

«Was haben Sie?«fragte Indiana alarmiert.

Henley antwortete nicht sofort. Sein Blick tastete aufmerksam über die undurchdringliche grüne Wand, die den Fluß an beiden Seiten einschloß.»Hören Sie«, sagte er.

Indiana lauschte. Er hörte nichts außer dem monotonen Tuk-kern des Dieselmotors und dem Rauschen des Wassers.»Ich höre nichts«, sagte er.

Henley nickte.»Eben. Es ist zu still.«

Erst jetzt, als Henley das sagte, fiel es Indiana auch auf: Der Chor aus Vogel- und Tierstimmen, das Knacken und Rauschen des Busches, das nie endende Geräuschkonzert des Dschungels, das ihre Fahrt während der letzten Stunden begleitet hatte, war verstummt.

Henley richtete sich leicht auf.»Was bedeutet das?«

«Ich weiß es auch nicht«, murmelte Indiana.»Ich — Vorsicht!«

Seine Warnung wäre zu spät gekommen, hätte er sich nicht gleichzeitig zur Seite geworfen und Henley einfach mit sich gerissen. Sie stürzten aneinandergeklammert schwer auf das eiserne Deck des Schiffes, den Bruchteil einer Sekunde, bevor sich ein ganzer Hagel winziger, gefiederter Geschosse dort niedersenkte, wo er und Henley gerade noch gestanden hatten.

Henley fluchte und versuchte gleichzeitig, auf die Füße zu springen, die Pistole aus dem Gürtel zu ziehen und sich der glühenden Zigarette zu entledigen, die ihm bei seinem Sturz in den Hemdkragen gerutscht war, während Indiana sich eng gegen das Deck preßte und zum östlichen Ufer hinübersah. Für einen Augenblick glaubte er, schattenhafte, huschende Bewegungen zwischen den Blättern zu erkennen, schlanke, sonnengebräunte Körper, die nur als Schemen zu erkennen waren und sich vollkommen lautlos bewegten.

Henley hatte es endlich geschafft, die Zigarette aus seinem Hemd zu bergen und sich halbwegs auf die Knie zu erheben. Jetzt kämpfte er fluchend mit dem Verschluß seiner Pistolentasche, den er vor lauter Nervosität nicht aufbekam.

«Bleiben Sie bloß unten, Sie Narr!«sagte Indiana.

Henley starrte ihn verstört an. Im selben Augenblick surrte etwas Kleines kaum eine Handbreit an seinem Gesicht vorbei und zerbrach klappernd an den Deckaufbauten hinter ihm, und Henley warf sich mit einem neuerlichen Fluch herum und landete flach ausgestreckt neben Indiana.

«Was ist das?«keuchte er.

Wie zur Antwort klapperte es dicht neben ihnen, als sich eine weitere Salve der kleinen, tödlichen Geschosse auf das Deck des Schiffes niedersenkte.

«Blasrohre!«antwortete Indiana, während er immer noch vergeblich versuchte, die Schützen im dichten Unterholz am Ufer auszumachen.»Irgend jemand mag uns nicht.«

Langsam, das Gesicht und den Oberkörper so dicht gegen das Deck gepreßt, wie er konnte, begann er rückwärts auf das Ruderhaus zuzukriechen. Sie waren gute vierzig oder fünfzig Meter vom Flußufer entfernt; selbst für die schon fast legendären Blasrohrindianer viel zu weit, um einen sicheren Schuß anzubringen. Trotzdem bewegte er sich mit äußerster Behutsamkeit. Er wußte, daß diese winzigen, gefiederten Geschosse meistens vergiftet waren. Schon ein Kratzer reichte, um einen Menschen umzubringen oder für den Rest seines Lebens zu verkrüppeln.

Hinter ihnen flog krachend die Tür des Ruderhauses auf, und die Hälfte von Henleys Söldnertruppe stürmte an Deck. Offensichtlich war der Angriff auf sie nicht unbemerkt geblieben.

«Geht in Deckung!«schrie Indiana.»Vorsicht!«

Drei der vier Männer reagierten sofort. Noch ehe Indiana seine Warnung ganz ausgesprochen hatte, zogen sie sich geduckt zurück und richteten ihre Waffen auf den Waldrand. Der vierte aber war töricht genug, den Helden spielen zu wollen. Hoch aufgerichtet und breitbeinig trat er an die Reling, riß das Gewehr an die Schulter und gab kurz hintereinander drei Schüsse ab. Indiana konnte nicht erkennen, ob er irgend etwas anderes als Blätter und Äste traf — aber das Echo des letzten Schusses war noch nicht ganz verklungen, als der Busch eine ganze Salve winziger, gefiederter Pfeile ausstieß, die sich, einen eleganten Bogen beschreibend, auf den Fluß und das kleine Boot niedersenkten. Die meisten flogen zu kurz und fielen wie Regen neben dem Schiff ins Wasser. Drei oder vier zerbrachen klappernd an der Reling und auf dem stählernen Deck. Aber einer traf den Oberarm des Söldners und blieb zitternd in seinem Bizeps stecken.

Der Mann schrie vor Schmerz und Überraschung auf, prallte zurück, ließ sein Gewehr fallen und riß den Pfeil mit einer blitzschnellen Bewegung heraus. Die winzige Wunde blutete kaum. Trotzdem überlebte er die Verletzung nur um Sekunden. Einen Moment lang stand er wie erstarrt da, blickte abwechselnd den winzigen blutenden Punkt an seinem rechten Arm und den kaum fingerlangen Pfeil in seiner Hand an, machte einen weiteren, halben Schritt zurück und begann zu wanken. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz. Er taumelte, brach ganz langsam in die Knie und stürzte schließlich nach vorn. Er war tot, noch ehe sein Körper auf dem Deck aufschlug.

Die drei überlebenden Söldner eröffneten wütend das Feuer auf den Waldrand, und auch im hinteren Teil des Schiffes flog eine Tür auf, und der Rest von Reubens Privatarmee stürmte an Deck.

«Was ist los?«brüllte Reuben, der als letzter ins Freie gerannt kam. Henleys gebrüllte Antwort ging im Krachen der Gewehrsalven unter, aber aus dem Dschungel erhob sich ein weiterer Schwarm winziger Blasrohrpfeile und fiel wie tödlicher Regen auf das Deck herab, so daß sich auch Reuben und seine Begleiter hastig in Deckung warfen.

Indiana hatte endlich das Ruderhaus erreicht, richtete sich halb auf und huschte geduckt zu Reuben hinüber. Auch er hatte seine Pistole aus dem Gürtel gezogen, schoß aber nicht. Es gab einfach nichts, worauf er zielen konnte. Der Waldrand lag noch immer scheinbar leblos da. Wer immer die Angreifer waren, sie waren Meister der Tarnung.

«Wer ist das?«fragte Reuben erschrocken.

«Indianer«, antwortete Indiana.»Wir bewegen uns jetzt in ihrem Gebiet.«

«Eingeborene?«Reuben gab einen ungezielten Schuß auf das Flußufer ab.»Aber ich dachte, die wären friedlich.«

«Das sind sie normalerweise auch«, antwortete Indiana.»Ich weiß nicht, was los ist. Wo ist Marian?«

Reuben machte eine Kopfbewegung auf die offenstehende Tür hinter sich.»Unter Deck. Keine Angst, ihr passiert nichts. «Einen Moment lang sah er gebannt zum Flußufer hinüber. Er wirkte eher irritiert als erschrocken.»Ich verstehe das nicht«, sagte er.»Man hat mir mehrfach versichert, daß die Eingeborenen dieser Gegend friedlich seien.«

Wie zur Antwort prasselte eine weitere Salve der kleinen tödlichen Geschosse auf das Deck herab. Sie war sehr viel besser gezielt als die ersten, richtete aber trotzdem keinen Schaden an, denn die Männer hatten sich allesamt in Deckung zurückgezogen. Sie feuerten jetzt nicht mehr blindlings in den Busch, sondern gaben nur dann und wann einen gezielten Schuß ab, ohne jedoch einen sichtbaren Erfolg zu erzielen.

Reuben starrte sekundenlang weiter gebannt zum Ufer, dann bedeutete er Indiana mit Gesten, zu bleiben, wo er war, und huschte geduckt zum Ruderhaus. Der Mann hinter dem Steuer hatte sich angstvoll zusammengekauert, obwohl die winzigen Geschosse wirklich nicht genug Wucht hatten, die Glasscheiben zu durchschlagen. Indiana beobachtete, wie Reuben einige Sekunden lang aufgeregt und heftig gestikulierend auf ihn einredete, dann wurde das Tuckern des Diesels plötzlich langsamer, und das Boot verlor merklich an Fahrt.

«Was … was soll das?«fragte Indiana fassungslos, als Reuben einige Augenblicke später zu ihm zurückkehrte.»Sind Sie verrückt geworden? Wieso lassen Sie anhalten?«

«Ich muß wissen, was da los ist«, antwortete Reuben ernst.»Ich verstehe das nicht.«

«Aber ich«, antwortete Indiana.»Sie wollen uns umbringen.«

Reuben schüttelte den Kopf.»Man hat mir versichert, daß diese Indianer vollkommen friedlich sind«, sagte er.»Und außerdem sind sie vielleicht primitiv, aber nicht dumm. Sie müssen wissen, daß sie keine Chance gegen uns haben.«

Zumindest was das anging, schien Reuben sich zu irren, denn im selben Moment prasselte eine weitere Pfeilsalve auf das Schiff herab. Eines der winzigen Geschosse verfehlte den FBIBeamten nur um Zentimeter, und Reuben wurde sichtlich blaß. Trotzdem bedeutete er dem Steuermann mit befehlenden Gesten, das Tempo weiter zu verlangsamen.

«Feuer einstellen!«schrie er.»Hört auf zu schießen!«

Die Männer blickten ihn verwirrt und ungläubig an, stellten aber einer nach dem anderen das Feuer ein, und nach einer letzten, nicht mehr besonders gut gezielten Salve hörte auch der Pfeilregen aus dem Busch aus. Das Boot verlor mehr und mehr an Fahrt und lag schließlich reglos auf der Stelle.

Indiana blickte weiter gebannt zum Waldrand hinüber. Er erkannte jetzt hier und da Bewegung: Ein Huschen da, ein Schemen dort, nichts, was man wirklich sehen konnte. Aber schließlich teilte sich die grüne Wand aus Blättern, und erst eine, dann zwei, drei und schließlich mehr als ein Dutzend kleinwüchsige, schlanke Gestalten mit bronzefarbener Haut traten aus dem Wald. Die meisten von ihnen waren nackt bis auf einen knappen Lendenschurz, und alle waren mit Blasrohren bewaffnet, die länger waren als sie selbst.

«Aymará«, sagte Reuben,»das sind Aymará. Ich erkenne den Federschmuck.«

Indiana sah ihn verwirrt an. Reuben hatte sich entweder sehr gut auf diese Expedition vorbereitet, oder er war nicht der unbedarfte kleine FBI-Beamte, der zu sein er vorgab.

Nach und nach traten immer mehr Indianer aus dem Wald heraus. Die meisten blickten das Schiff nur aufmerksam und reglos an, aber einige hielten ihre Blasrohre auch schußbereit weiter auf das Boot gerichtet, und ein paar wateten sogar in den Fluß hinaus, als wollten sie zu ihnen herüberschwimmen.

Reuben blickte die schweigende Armee — sie war mittlerweile auf gut fünfzig oder auch sechzig Männer angewachsen — sekundenlang mit unbewegtem Gesicht an, dann steckte er seine Pistole in den Gürtel zurück — und richtete sich auf.

«Was tun Sie da?«fragte Indiana erschrocken.»Sind Sie verrückt?«

Reuben achtete nicht auf ihn. Unendlich behutsam, die leeren Hände weit vor sich gestreckt, stand er ganz auf, verharrte einen Moment reglos und ging dann mit sehr langsamen Schritten zur Reling hinüber. Ein gutes Dutzend Blasrohre folgte seiner Bewegung, aber Reuben ging weiter und ignorierte auch Henleys heftiges Gestikulieren und die erschrockenen Rufe der Söldner.

Indiana beobachtete mit angehaltenem Atem und ungläubig aufgerissenen Augen, wie er ganz dicht an die Reling herantrat und beide Arme hob, die leeren Handflächen auf das Ufer gerichtet.

«Beidrehen!«befahl Reuben.»Zum Ufer!«

Der Mann hinter dem Ruder zögerte, bis Henley schließlich aufstand und ihm ebenfalls einen befehlenden Wink gab. Der Dieselmotor erwachte rumorend wieder zum Leben. Ein sanftes Zittern lief durch den stählernen Rumpf des Schiffes, als es fast widerwillig wieder Fahrt aufnahm und sich für einen Moment quer zur Strömung legte, um den Bug auf das Ufer auszurichten.

«Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun, Reuben«, murmelte Indiana.

Er hatte sehr leise gesprochen, aber der FBI-Agent mußte seine Worte trotzdem verstanden haben, denn er nickte und antwortete, ohne den Blick von den stumm dastehenden Indianern am Ufer zu nehmen.»Ich hoffe es auch, Dr. Jones. «Er lachte humorlos.»Wenn nicht, bin ich der erste, der es merkt.«

Ganz langsam näherte sich das Schiff dem Ufer. Die Zahl der Indianer, die nach und nach aus dem Unterholz hervorgetreten waren, war noch weiter angewachsen, und zwischen den Kriegern entdeckte Indiana nun auch Kinder und Alte und sogar ein paar Frauen. Auch sie waren bewaffnet.

Der Anblick irritierte ihn. Die südamerikanischen Indianer — zumal Stämme, die noch existierten — waren nicht unbedingt sein Spezialgebiet, aber er wußte doch, daß das Volk der Ay-mará nicht besonders groß und außerdem für sein freundliches Wesen und seine Friedfertigkeit bekannt war. Indiana fragte sich vergeblich, was diese Menschen so gereizt haben mochte, daß sie das Schiff und seine Besatzung warnungslos angegriffen hatten.

Das Schiff bohrte sich knirschend in das Gewirr aus Luftwurzeln und überhängenden Ästen, das das Ufer bedeckte, und kam mit einem letzten, spürbaren Zittern zur Ruhe. Einige der Indianer wichen ein paar Schritte zurück, und Indiana konnte trotz der Entfernung und der schreiend bunten Farben, mit denen sich die meisten Eingeborenen die Gesichter bemalt hatten, ihre Unsicherheit und ihr Mißtrauen deutlich erkennen. Weitere Blasrohre richteten sich auf sie, und er spürte gleichzeitig, wie die Nervosität unter Reubens Söldnern zunahm. Er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, daß keiner von ihnen die Nerven verlor und einen Schuß abgab. Trotz ihrer überlegenen Bewaffnung hatten sie nicht die geringste Chance gegen diese Übermacht.

Aber der gefährliche Moment verging, ohne daß etwas geschah. Reuben blieb noch einige Augenblicke weiter reglos und mit erhobenen Händen an der Reling stehen, dann senkte er ganz langsam die Arme und rief ein einzelnes Wort in einem Dialekt, den Indiana noch nie gehört hatte. Im ersten Moment schien es, als würde gar keine Reaktion erfolgen, aber dann traten zwei, drei Aymará beiseite, um einem alten, grauhaarigen Mann in einem grün- und rotgemusterten Federmantel Platz zu machen. Er bewegte sich mit den mühsamen, schlurfenden Schritten eines wirklich alten Mannes, ging schwer auf einen mit reichen Schnitzereien verzierten Stock gestützt und trug den linken Arm in einer Schlinge aus geflochtenen Pflanzenfasern. Und jetzt, als hätte es dieses Anblicks bedurft, um seine Aufmerksamkeit darauf zu lenken, sah Indiana auch, daß zahlreiche Indianer verletzt waren — viele trugen Verbände aus Blättern oder grobem Stoff, manche Wunden waren gar nicht versorgt worden oder begannen gerade erst zu heilen, und einige schienen kaum in der Lage zu sein, sich auf den Beinen zu halten. Trotzdem waren sie hierhergekommen, um an dem Angriff auf das Boot teilzunehmen. Was um alles in der Welt war hier passiert, dachte Indiana entsetzt.

Die Tür neben ihm wurde geöffnet, und Marian machte einen halben Schritt auf das Deck hinaus, entdeckte die Indio-Armee und blieb mitten in der Bewegung stehen. Erschrocken riß sie die Augen auf und schlug die Hand vor den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken.

«Bleib, wo du bist!«sagte Indiana hastig. Und auch Reuben drehte sich um und warf Marian einen fast entsetzten, beschwörenden Blick zu.

Unter die Indios am Ufer war Unruhe gekommen. Noch mehr Waffen richteten sich auf das kleine Schiff und seine Besatzung, und für einen winzigen Moment spürte Indiana, daß die Spannung wieder einen gefährlichen Punkt erreichte. Aber das Wunder wiederholte sich — auch diesmal verging der Augenblick, ohne daß einer der Indios die Nerven verlor. Zögernd senkten sich die meisten Waffen wieder. Die meisten. Nicht alle.

Reuben drehte sich mit gemessenen Bewegungen wieder zum Ufer um und blickte dem alten Indio entgegen. Der Eingeborene — Indiana schloß aus seiner Kleidung und dem Respekt, den die anderen Aymará ihm entgegenbrachten, daß es ihr Häuptling oder der Medizinmann des Stammes sein mußte — trat so dicht an das Ufer heran, wie er konnte, und straffte die dürren Schultern. Trotz seiner ausgemergelten Gestalt und den grauen Schatten, die Fieber und Schmerz auf seinen Wangen hinterlassen hatten, wirkte er stolz und respektgebietend.

Indiana warf Marian einen beschwörenden Blick zu und erhob sich dann langsam hinter seiner Deckung. Vom Ufer aus folgten fünfzig oder auch hundert Augenpaare mißtrauisch seinen Bewegungen, als er Reubens Beispiel folgte und mit schon fast übertriebener Gestik, damit auch ja jeder einzelne Indio genau sah, was er tat, seine Waffe in den Halfter steckte und dann neben Reuben an die Reling trat. Der FBI-Agent nickte beinahe unmerklich, um sein Einverständnis kundzutun, löste den Blick jedoch nicht vom Gesicht des alten Indianers. Der Aymará seinerseits blickte abwechselnd Reuben und Indiana aus Augen an, deren Wachheit und Schärfe in krassem Gegensatz zu seinem faltenzerfurchten Gesicht standen. Schließlich sagte er etwas, das Indiana nicht verstand, Reuben jedoch erleichtert aufatmen ließ. Der angespannte Ausdruck auf dem Gesicht des FBI-Mannes blieb, aber Indiana konnte trotzdem spüren, daß eine unsichtbare Last von Reuben genommen war.

«Was sagt er?«fragte er.

Reuben deutete ein hastiges Kopfschütteln an und antwortete dem Indio in der gleichen Sprache. Indianas Respekt vor dem FBI-Mann stieg. Offensichtlich hatte sich Reuben wirklich sehr gründlich auf diese Expedition vorbereitet. Oder, flüsterte eine leise, aber hartnäckige Stimme hinter seiner Stirn, auch Henley hatte ihm längst nicht die ganze Wahrheit erzählt, und die beiden FBI-Beamten wußten sehr viel mehr, als sie bisher zugegeben hatten.

Reuben und der Indianer unterhielten sich eine Weile in einer fremdartigen, sonderbar kehlig klingenden Sprache, die Indiana noch nie zuvor gehört hatte, dann drehte sich Reuben um und machte eine Armbewegung, die das gesamte Deck einschloß.»Legt die Waffen fort«, sagte er.»Alle!«

Etwas, womit Indiana nicht gerechnet hatte, geschah ganz plötzlich: Nicht nur Henley, sondern auch die Männer, die Indiana bisher für gedungene Söldner gehalten hatte, gehorchten augenblicklich. Rasch und widerspruchslos legten sie ihre Gewehre auf den Boden, zogen auch Pistolen und Messer aus den Gürteln und standen auf. Erst als Reuben den Blick wandte und Indiana strafend und wortlos ansah, wurde dem klar, daß er plötzlich der einzige an Deck war, der noch eine Waffe trug. Beinahe hastig schnallte er den Gürtel mit dem Pistolenhalfter ab und legte ihn zu Boden, behielt die zusammengerollte Peitsche aber in der Hand. Reuben betrachtete sie eine halbe Sekunde lang mißbilligend, schien dann aber zu dem Schluß zu kommen, daß es der Mühe nicht wert war, etwas zu sagen.

«Was ist passiert?«flüsterte Indiana.»Wieso haben sie uns angegriffen?«

«Später«, antwortete Reuben leise.»Bitte sagen Sie jetzt nichts mehr, Dr. Jones. «Einen Moment lang blickte er die Indianer am Ufer und besonders den Alten noch unentschlossen an, dann gab er sich einen Ruck, schwang sich mit einer schnellen, aber nicht überraschenden Bewegung über die Reling und sprang ins Wasser hinab. Selbst hier, unmittelbar am Ufer, war es noch so tief, daß Reuben fast bis an die Brust versank. Er breitete die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten, balancierte das letzte Stück zum Ufer und kletterte, die Luftwurzeln und überhängenden Äste geschickt als Halt ausnutzend, zu den Indios hinauf. Obwohl er einigen dabei so nahe kam, daß er sie hätte berühren können, machte keiner von ihnen Anstalten, ihm zu helfen. Allerdings versuchten sie auch nicht, ihn anzugreifen.

Indiana hörte, wie Henley hinter ihm erschrocken die Luft einsog und etwas murmelte, das sich wie »völlig übergeschnappt« anhörte, und auch Marian und die Söldner traten nacheinander zögernd weiter an die Reling heran und sahen Reuben fassungslos zu.

Reuben sprach eine ganze Weile mit dem alten Indio. Obwohl die an Bord Zurückgebliebenen nicht verstehen konnten, worum es ging, sprachen die Stimmen und Gesten der beiden ungleichen Männer ihre eigene Sprache — offensichtlich war der alte Mann sehr erregt und sehr mißtrauisch, und Reuben schien mit Engelszungen zu reden, um ihn zu beruhigen. Einoder zweimal im Laufe des Gespräches war Indiana nicht mehr sicher, daß Reuben Erfolg haben würde, denn die Krieger scharten sich enger um ihren Anführer, und mehr als einer trat in eindeutig drohender Haltung auf den FBI-Mann zu. Aber schließlich machte der alte Mann eine gleichzeitig befehlend wie unendlich müde aussehende Geste, und der Ring aus Kriegern lockerte sich wieder. Reuben wandte sich um und bildete mit den Händen einen Trichter vor dem Mund, damit seine Worte an Bord des Schiffes verstanden wurden:»Dr. Jones! Miss Corda! Kommen Sie an Land!«

Indiana tauschte einen überraschten Blick zuerst mit Marian, dann mit Henley, aber etwas in Reubens Stimme hatte ihm klargemacht, daß jetzt nicht die Zeit für Fragen oder gar Diskussionen war. Mit einer raschen Bewegung kletterte er über die Reling, hielt sich mit der linken Hand an dem rostigen Eisen fest und löste mit der anderen die Peitsche vom Gürtel. Mit einer einzigen, gekonnten Bewegung ließ er die Schnur zum Ufer hinüberzischen, wo sie sich wie ein Lasso um einen Ast wickelte. Dann machte er eine auffordernde Kopfbewegung in Marians Richtung.»Darf ich bitten?«

Marian blickte ihn völlig verblüfft an, und unter den Kriegern am Ufer entstand ein teils verwirrtes, teils aber auch drohend klingendes Murren.»Beeil dich«, sagte Indiana, noch immer lächelnd, aber in drängenderem Ton.»Bevor sie nervös werden.«

Marian gab sich einen sichtbaren Ruck, kletterte umständlich zu ihm auf die Außenseite der Reling hinaus und sah mit unverhohlener Furcht zu der drohend dastehenden IndianerArmee hinab. Indiana ließ ihr keine Zeit, es sich anders zu überlegen, sondern schlang den linken Arm fest um ihre Taille und stieß sich von der Reling ab. Die ledernde Peitschenschnur knarrte protestierend, aber sowohl sie als auch der Ast hielten dem doppelten Gewicht stand, während sich die beiden in einem eleganten Bogen zum Ufer hinabschwangen.

Die Indios beobachteten Indianas unkonventionelle Methode, von Bord des Schiffes zu gehen, verwirrt und teilweise mit Belustigung. Marian stieß einen kleinen, überraschten Laut aus und riß sich hastig von ihm los, kaum daß sie wieder festen Boden unter den Füßen hatten, während Reuben Indiana mit deutlicher Verärgerung anblickte.

«War das nötig?«fragte er, als Indiana und Marian zu ihm und dem alten Aymará traten.

«Nein«, antwortete Indiana lächelnd.»Aber ich hatte keine Lust, nasse Füße zu bekommen.«

«Ich glaube, Sie haben zu viele Tarzan-Romane gelesen, Dr. Jones«, murrte Reuben und machte eine befehlende Geste, als Indiana antworten wollte.»Genug jetzt. Wir begleiten sie.«

Es dauerte eine Sekunde, bis Indiana ihn verstand.»Die Indios?«fragte er zweifelnd.

Reuben nickte.»Ihr Dorf liegt zehn Minuten von hier entfernt. Sie haben mir versprochen, das Schiff nicht anzugreifen, solange wir bei ihnen sind. Ich glaube, der Häuptling glaubt mir, daß wir nicht zu Ramos’ Bande gehören.«

Indiana ließ seinen Blick zweifelnd über die finsteren IndioGesichter gleiten. Er fühlte sich nicht besonders wohl in seiner Haut, und er machte keinen Hehl daraus.»Was ist passiert?«

«Genau weiß ich das auch nicht«, antwortete Reuben ehrlich.»Ich spreche ihre Sprache nicht sehr gut. Aber wenn ich den Häuptling richtig verstanden habe, dann sind sie vor drei Tagen von Männern überfallen worden, die auf einem Schiff wie dem unseren ankamen. Und die von einem verkrüppelten Mann angeführt wurden, der nicht sehen konnte.«

«Ramos.«

Reuben nickte düster.»Ja. Es hat eine Menge Tote und noch mehr Verletzte gegeben.«

«Und sie haben zuerst geglaubt, wir gehören zu ihm?«

Reuben zuckte abermals mit den Schultern.»Ich weiß auch jetzt noch nicht, was sie glauben, Dr. Jones. Was immer Ra-mos’ Männer getan haben, hat sie so in Wut versetzt, daß sie keinem weißen Mann mehr vertrauen. Vielleicht gelingt es uns, ihr Mißtrauen zu zerstreuen, wenn wir mit ihnen kommen. Oder ist Ihnen das zu gefährlich?«fügte er beinahe lauernd hinzu.

«Nein«, antwortete Indiana.»Aber ich halte es für keine gute Idee, daß Miss Corda uns begleitet.«

«Ich auch nicht«, erwiderte Reuben.»Aber der Häuptling besteht darauf.«

«Warum?«

«Woher, zum Teufel, soll ich das wissen?«antwortete Reuben gereizt.»Fragen Sie ihn doch.«

Er beruhigte sich so schnell wieder, wie er in Zorn geraten war, und zwang sich ein verunglücktes Lächeln ab.»Entschuldigung«, sagte er.»Warten Sie einen Moment hier. Ich muß Henley noch ein paar Anweisungen geben.«

Marian trat angstvoll näher an Indiana heran, als Reuben wieder zum Ufer zurückging und sich die Reihen der Krieger enger um sie schlossen. Indiana versuchte, so gelassen und sicher wie möglich auszusehen, aber er spürte selbst, wie kläglich dieser Versuch ausfiel. Er war nervös, und er hatte allen Grund dazu. Keiner der Aymará-Krieger reichte ihm weiter als bis zur Schulter, und die meisten Gestalten waren schon nicht mehr schlank zu nennen, sondern ausgemergelt. Aber es waren mehr als hundert, und was Indiana in ihren Gesichtern erblickte, das war nur zu oft blanke Mordlust. Aber auch eine fast kindliche Neugier, als sie zuerst zögernd, dann immer mutiger immer dichter an Marian und ihn herantraten. Schließlich streckte einer der Indios die Hand aus und tastete mit spitzen Fingern nach Marians Haar. Sie zuckte unter der Berührung zurück, war aber geistesgegenwärtig genug, nichts zu sagen und die Hand des Kriegers auch nicht beiseite zu schlagen.

Den ersten neugierigen Fingern folgten andere, und in das drohende Murren der Menge mischte sich aufgeregtes Schnattern, während die Indios Marians Haar, ihre Kleider und schließlich ihr Gesicht betasteten.

«Rühr dich nicht«, wisperte Indiana.»Sie werden dir nichts tun.«

Es war nicht zu erkennen, ob Marian seine Worte überhaupt verstanden hatte oder ob sie einfach starr vor Schrecken war; jedenfalls blieb sie reglos stehen und ließ es zu, von den Indios ausführlich betastet zu werden. Und Indiana spürte auch, daß an den Gesten der Männer nichts Feindseliges mehr war. Sie waren einfach neugierig, wie Kinder, die etwas sahen, was sie nie zuvor oder nur selten zu Gesicht bekommen hatten.

Trotzdem atmete auch er erleichtert auf, als nach einer Weile Reuben und der Häuptling zurückkamen und die Krieger wieder von ihnen zurückwichen. Der FBI-Mann war nicht mehr allein. In seiner Begleitung befand sich einer der Söldner, jetzt ohne Waffen wie Reuben selbst und auch Indiana, und sichtlich nervös.

«Okay«, sagte Reuben.»Gehen wir.«

Was Reuben als zehn Minuten bezeichnet hatte, erwies sich als ein gut halbstündiger Fußmarsch durch dichten Dschungel, und obwohl Indiana auf das vorbereitet zu sein geglaubt hatte, was sie erwartete, traf ihn der Anblick des Indio-Dorfes wie ein Schlag.

Die Siedlung lag auf einer weiten Lichtung mitten im Busch und bestand aus einem guten Dutzend großer, strohgedeckter Hütten, die sich um einen gewaltigen Rundbau in der Mitte des Dorfes erhoben.

Oder genauer: Es hatte daraus bestanden. Von den ehemals zwölf oder vierzehn Hütten standen noch drei. Der Rest war zu verkohlten Gerippen verbrannt, die von den Indios zum Teil schon wieder notdürftig mit Blättern gedeckt worden waren. Auch das große Gebäude in der Mitte des Dorfes hatte gebrannt; sein Dach war verschwunden und ein Drittel des Kreises aus aneinandergebundenen Baumpfählen schwarz verkohlt. Obwohl der Überfall einen guten Tag her sein mußte, lag noch immer durchdringender Brandgeruch über dem Ort; und noch ein anderer, schlimmerer Geruch, den Indiana im ersten Moment einfach wegzuleugnen versuchte. Aber er wußte sehr gut, was das war: der Gestank von verbranntem Fleisch.

Und dann sahen sie es: Am Waldrand, dicht neben der Stelle, an der sie aus dem Busch getreten waren, lagen die Leichen von zehn oder fünfzehn Indios, einige wenige scheinbar unverletzt, manche mit Schußwunden, die allermeisten aber auf furchtbare Weise verbrannt. Und auch viele von denen, die ihnen aus dem Dorf entgegenkamen — es waren ausnahmslos Frauen, Kinder und Alte, augenscheinlich waren sämtliche Männer mit dem Häuptling zum Ufer geeilt —, wiesen mehr oder minder schwere Brandwunden auf. Indiana tauschte einen gleichermaßen fragenden wie entsetzten Blick mit Reuben, aber der FBI-Mann zuckte nur mit den Achseln.

«Oh, mein Gott«, flüsterte Marian, als sie zwischen den Ay-mará auf die Lichtung hinaustraten und durch das niedergebrannte Dorf gingen.»Was ist hier passiert?«

Indiana sagte nichts darauf, schon deshalb nicht, weil ihm das Entsetzen über diesen Anblick die Kehle zuschnürte — aber er glaubte die Antwort auf ihre Frage zu wissen. Ramos war hierfür verantwortlich. Warum seine Männer das Dorf auch immer angegriffen hatten, sie mußten mit unvorstellbarer Brutalität vorgegangen sein. Und sie hatten ganz offensichtlich mehr mitgebracht als einige Pistolen und Gewehre.

«Das war ein Flammenwerfer«, sagte Reuben plötzlich.

Indiana sah ihn zweifelnd an, und der FBI-Mann zog die Augenbrauen zusammen und fuhr leiser und mit düsterem Gesichtsausdruck fort:»Ich kenne die Spuren, die diese Waffe hinterläßt. Aber warum hat er das getan?«

«Vielleicht brauchte er keinen Grund«, murmelte Indiana. Reuben blickte zweifelnd, aber Indiana dachte an den Haß und den Wahnsinn, den er in Ramos’ blinden Augen gesehen hatte.

Wenn er aber geglaubt hatte, die Grenzen des vorstellbaren Schreckens zu kennen, so täuschte er sich. Die Indios führten sie zu dem großen Rundbau in der Mitte des Dorfes, und als sie durch die verkohlte Tür traten, schlug Marian mit einem erschrockenen Schrei die Hand vor den Mund, und selbst Reuben und sein hartgesottener Begleiter erbleichten sichtlich.

Die Aymará hatten ihre Schwerverletzten hierhergebracht. In dem ausgebrannten Gebäude befanden sich sicherlich zwanzig oder fünfundzwanzig Personen — Männer, Frauen und auch Kinder — mit zum Teil so schrecklichen Brandwunden, daß sich Indiana fragte, wieso sie überhaupt noch lebten. Ein furchtbarer Geruch hing in der Luft, und dann und wann war ein leises Stöhnen zu hören.

Der alte Indio wandte sich mit einer Frage an Reuben, und der FBI-Mann riß sich mit sichtlicher Mühe von dem furchtbaren Anblick los und drehte sich zu Marian um.

«Können Sie ihnen helfen?«

Marian schüttelte fast erschrocken den Kopf.»Ich bin keine Ärztin«, sagte sie.»Ich verstehe überhaupt nichts von solchen Dingen.«

«Versuchen Sie es wenigstens«, sagte Reuben beinahe beschwörend.»Ich weiß nicht, warum — aber er scheint zu glauben, daß alle weißen Frauen so etwas können. «Er brach ab, überlegte eine Sekunde und wandte sich dann mit einer Frage an den alten Indianer, die dieser nach spürbarem Zögern und auch mit sichtbarem Widerwillen, aber doch mit einem Nicken beantwortete. Reuben drehte sich zu dem Söldner um.»Gehen Sie zurück zum Schiff«, befahl er.»Sagen Sie Henley, er soll mit zwei Männern hierherkommen. Und sie sollen den Erste-Hilfe-Kasten und jedes bißchen Verbandszeug mitbringen, das wir an Bord haben.«

Der Söldner ging, sichtlich froh, entlassen zu sein, und auch Marian überwand sich nach einem weiteren, bittenden Blick Reubens und trat zu einem der verletzten Kinder hinüber. Indiana sah, daß ihre Hände zu zittern begannen, als sie sich neben ihm auf die Knie niederließ.

«Was ist passiert?«flüsterte Indiana.»Fragen Sie ihn, was passiert ist.«

Reuben tat es, und nach und nach schien es ihm zu gelingen, das Vertrauen des alten Aymará-Häuptlings zu erringen. Trotzdem gestaltete sich die Unterhaltung schwierig, und es dauerte lange, bis sich aus den zum Teil zusammenhanglosen, zum Teil scheinbar völlig sinnlosen Informationen, die Indiana nach und nach von Reuben bekam, ein Bild zusammensetzen ließ.

Die Geschichte, die Indiana hörte, war so erstaunlich wie furchtbar. Sie waren nicht das zweite, sondern das dritte Schiff mit weißen Männern, das während der letzten beiden Tage den Fluß herabgekommen und in das Gebiet der Aymará eingedrungen war. Stanleys Vorsprung war nicht so groß, wie sie bisher angenommen hatten, und sie waren auf dem richtigen Weg. Er war hier entlanggekommen, mit einem Schiff, das drei oder vier Meilen weiter nördlich in einer kleinen Bucht angelegt und ein Dutzend Männer und zwei geländegängige Lastwagen entladen hatte. Die Aymará hatten ihn und seine Begleiter freundlich begrüßt, wie es ihre Art war, aber dann war es wohl zum Streit gekommen; wie und worüber, das konnte oder wollte der Alte ihnen nicht sagen. Cordas Begleiter hatten einen der Krieger erschossen und die Tochter des Häuptlings als Geisel genommen, um ihren freien Abzug zu sichern. Offenbar hatten sie das Mädchen tatsächlich unverletzt wieder laufenlassen, als sie sich in sicherem Abstand zum Dorf befanden. Aber entsprechend mißtrauisch waren die Indios natürlich gewesen, als kaum einen Tag später ein zweites Schiff mit bewaffneten Männern den Fluß herabgefahren kam und an der gleichen Stelle anlegte. Und es war auch zwischen diesen Männern und den Aymará zu einer Auseinandersetzung gekommen; und auch den Grund dieses zweiten Streites verschwieg der Häuptling beharrlich. Aber es hatte einen Unterschied gegeben — während sich Cordas Begleiter darauf beschränkt hatten, sich zu verteidigen und ihren freien Abzug zu sichern, hatten Ra-mos’ Begleiter das Feuer aus Maschinenpistolen und Flammenwerfern auf die Indios eröffnet und fast ein Viertel der Krieger verletzt oder getötet. Danach hatten sie das Dorf gestürmt und niedergebrannt, und auch sie hatten wie Corda zuvor Geiseln genommen — den Medizinmann des Stammes und zwei jüngere Krieger. Diese drei waren bisher nicht zurückgekehrt, und der Stamm hatte eine Anzahl seiner besten Männer losgeschickt, um Ramos und seine Mörderbande zu verfolgen und den Medizinmann zu befreien.

Indiana schüttelte verwirrt den Kopf, als Reuben mit seinem Bericht zu Ende gekommen war.»Das klingt irgendwie nicht sehr überzeugend«, murmelte er.

«Ich weiß«, antwortete Reuben.»Aber er sagt die Wahrheit. Jedenfalls glaube ich das. Die Aymará sind ein friedliches Volk. Ich kann es ihnen wahrhaftig nicht verdenken, daß sie uns angegriffen haben.«

«Das meine ich nicht«, antwortete Indiana.»Aber ich habe das Gefühl, er verschweigt uns etwas. «Er machte eine weit ausholende Handbewegung, die den ganzen Raum einschloß.»Nicht einmal ein Ungeheuer wie Ramos tut so etwas völlig grundlos. Von Corda ganz zu schweigen. Fragen Sie ihn doch bitte, worum es bei dem Streit ging.«

«Das habe ich bereits getan«, sagte Reuben.»Er hat irgend etwas von Tabu und verbotenen Fragen gefaselt. «Er lächelte flüchtig und nicht sehr echt.»Außerdem scheint er mich prinzipiell immer dann nicht mehr verstehen zu können, wenn ich ihn darauf anspreche. Ich wollte auch nicht zu sehr darauf dringen. Sie glauben uns anscheinend, daß wir nichts mit Cor-da und Ramos zu tun haben, aber sie sind natürlich immer noch mißtrauisch und voller Angst, was ich für meinen Teil sehr gut verstehen kann.«

Indiana ersparte es sich, eine weitere Frage zu stellen. Neben allem anderen hatte er das sichere Gefühl, daß ihm Reuben auch dann nicht die Wahrheit sagen würde, wenn er sie wüßte. Einen Moment lang war er in Versuchung, ihm zu erzählen, was er von Henley erfahren hatte. Aber er wollte Reubens Kollegen keine Schwierigkeiten bereiten — und vielleicht erfuhr er sogar mehr, wenn er so tat, als wisse er noch immer nicht, warum sie wirklich hier waren.

So ging er statt dessen zu Marian hinüber und half ihr dabei, sich um die Verwundeten zu kümmern. Wenigstens versuchte er es.

Es gab nicht viel, was sie für sie tun konnten. Indiana verstand so viel oder wenig von Medizin und Heilkunde, wie ein Mann eben davon versteht, der die Hälfte seines Lebens in unwegsamen Regionen der Welt verbracht hat. Aber es ging hier nicht darum, einen gebrochenen Arm zu schienen oder eine Fleischwunde zu versorgen. Sowohl Marian als auch ihm war schon nach wenigen Minuten klar, daß die wenigsten Indios, die sie hier sahen, ihre Verletzungen überleben würden. Der Anblick der mehr als zwanzig Schwerverwundeten und der Gedanke an die fast ebenso vielen Toten, die sie draußen gesehen hatten, erfüllte ihn mit einer kalten Wut, die ihn beinahe selbst erschreckte. Ramos hatte mehr getan, als diese Menschen umzubringen. Der Stamm würde auch dies überstehen, aber Indiana war klar, daß er hinterher nicht mehr derselbe sein würde. Und auch Marians Gesicht hatte sich in eine Maske aus Entsetzen verwandelt, aus einer Furcht, in der ein tiefes, ungläubiges Erschrecken mitschwang, das jetzt noch so heftig war wie im allerersten Moment.

«Ich verstehe einfach nicht, warum er das getan hat«, flüsterte sie.

«Ich auch nicht«, sagte Indiana.»Aber ich werde ihn fragen, mein Wort darauf.«

Marian sah ihn aus großen, schreckgeweiteten Augen an.»Es ist Stans Schuld, nicht wahr?«flüsterte sie.

«Was für ein Unsinn«, sagte Indiana.

«Es ist seine Schuld«, beharrte Marian.»Das wäre nicht passiert, wenn … wenn er nicht hierhergekommen wäre oder wenn er diesem Verbrecher gegeben hätte, was der haben wollte. Ich … ich hätte dafür sorgen müssen, daß er es tut.«

«Unsinn!«widersprach Indiana noch einmal, und diesmal weitaus heftiger als das erste Mal.»Hör auf, Marian. Du hast damit genausowenig zu tun wie ich.«

Marian schüttelte den Kopf. Ihre Lippen bebten, und ihr Gesicht hatte jede Farbe verloren.»Ich … ich hätte es vielleicht verhindern können«, murmelte sie.»Ich hätte mit ihm reden müssen. Vielleicht …«Sie brach ab. Ihr Blick begann zu flakkern. Für einen winzigen Moment glaubte Indiana, daß sie nun wirklich die Beherrschung verlieren würde. Aber dann beruhigte sie sich wieder.

«Natürlich. Du hast recht«, murmelte sie.»Entschuldige.«

«Das macht doch nichts«, sagte Indiana.

Marian lächelte traurig.»Ich fühle mich so hilflos«, sagte sie.»Wenn ich diesen Menschen doch nur helfen könnte.«

«Reubens Männer bringen Medikamente und Verbandszeug«, sagte Indiana.»Vielleicht können wir wenigstens ihre Schmerzen ein wenig lindem.«

«Das meine ich nicht«, antwortete Marian.»Das alles hätte nie passieren dürfen. Ich hätte Ramos aufhalten können.«

Indiana deutete mit einem gequälten Lächeln auf seinen Arm. Seit seinem Sprung von Bord des Schiffes schmerzte der wieder höllisch.»Du hast es versucht«, sagte er ironisch.»Ich bin ganz froh, daß es dir nicht gelungen ist. Sonst wäre ich jetzt vielleicht tot.«

Marian lächelte matt, aber ihre Augen blieben ernst, und Indiana sah Tränen darin schimmern. Und plötzlich fühlte er sich ebenso hilflos wie Marian, wenn auch aus einem ganz anderen Grund.

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