New York
Es kam selten vor — aber an diesem Tag hatte Dr. Indiana Jones neben seiner Begeisterung für die Geschichte versunkener Kulturen und die Geheimnisse der Vorzeit noch etwas mit seinen Studenten gemein: Er wartete sehnsüchtig darauf, daß das Schrillen der Glocke das Ende der Vorlesung verkündete. Er fühlte sich nicht besonders gut; vorsichtig ausgedrückt. Er hatte am vergangenen Abend noch ein Glas mit Marcus getrunken, dem Kurator der Universität, einem alten Freund von ihm, und es war nicht bei diesem einen Glas geblieben, denn sie hatten über alte Zeiten und überstandene Abenteuer gesprochen und waren ins Schwärmen gekommen; wie so oft. Entsprechend schlecht war er an diesem Morgen aus dem Bett gekommen, und der Tag hatte bisher auch keine Lichtblicke gebracht — im Gegenteil: Seine Sekretärin hatte ihm schweigend und mit dem üblichen vorwurfsvollen Blick die obligatorische Tasse schwarzen, kochendheißen Kaffee auf den Schreibtisch gestellt, dazu aber einen Zettel mit der ganz und gar nicht obligatorischen, knappen Mitteilung gelegt, daß er sich nach seiner zweiten Vorlesung bei Grisswald melden solle, dem neuen Dekan der Universität. Der Zettel war in Grisswalds eigener Handschrift gekritzelt, die so kantig und unangenehm war wie der Mann selbst. Indiana Jones und er waren nicht gerade Freunde.
Grisswald war vor einigen Monaten an die Universität gekommen und hatte von der ersten Sekunde an keinen Hehl daraus gemacht, was er von den Exkursionen und Extratouren seines prominentesten Dozenten hielt: nämlich gar nichts. Indiana hatte sich einen langen Vortrag über Sinn und Zweck der hehren Wissenschaft anhören müssen, über die Rolle als Vorbild, die er als Lehrer den jungen Menschen gegenüber übernommen habe, die sich in seine Obhut begäben, und die Verantwortung für ihre Entwicklung und ihr späteres Leben, die auf ihm läge. Er hatte weiter hören müssen, daß man lebensgefährliche Abenteuer in verlassenen Winkeln der Welt, Kämpfe mit blutdürstigen Eingeborenen oder kaum weniger blutdürstigen SS-Agenten, Expeditionen an die Grenzen des Vorstellbaren — und (mit einem vorwurfsvollen Blick) Erlaubten — doch lieber denen überlassen solle, die dafür geschaffen seien; hirnlosen Abenteurern halt, die nur auf dem Papier der Zeitungen, die über sie berichteten, schillernde Gestalten seien.
Indianas Antwort darauf hätte zu seiner sofortigen Entfernung aus dem Lehrkörper und vermutlich dem Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika geführt, wäre er nicht von Marcus mit einem derben Stoß in die Rippen daran gehindert worden, sie auszusprechen. Seine Sympathien Grisswald gegenüber hielten sich seit jenem denkwürdigen Gespräch in Grenzen. In sehr engen Grenzen, um genau zu sein. Es war nicht so, daß ihm schon direkt übel wurde, wenn er nur den Namen des Dekans hörte. Trotzdem hatten sich seine Kollegen — und auch die meisten seiner Studenten — angewöhnt, ihn in seiner Gegenwart nicht laut auszusprechen.
Dabei war Grisswald nur ein paar Jahre älter als er. Aber das war nur äußerlich. In seinem Inneren war er ein verknöcherter, alter Mann, der vor dreihundert Jahren vergessen hatte zu sterben. Irgendwann, das hatte sich Indiana vorgenommen, würde er ihm das alles ganz genau sagen. Damit wäre sein Gastspiel an dieser Universität zwar ein- für allemal beendet, aber es war ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis es soweit kam. Der einzige Grund, aus dem Indiana überhaupt noch hier war, war der, daß er über einen gewissen Ruf verfügte und eine Menge einflußreicher Freunde. Selbst ein Mann wie Grisswald würde es sich zweimal überlegen, ehe er sich zu offen mit ihm anlegte. Aber früher oder später würde er eine Gelegenheit finden, ihm ein Bein zu stellen. Vielleicht schon heute. Die beiden lieblos auf das Blatt gekritzelten Sätze versprachen nichts Gutes.
Indiana verscheuchte den Gedanken an Grisswald, ordnete pedantisch seine Unterlagen auf dem Pult und schob sie dann in die abgewetzte Ledermappe, die er immer mit sich herumtrug. So sehnsüchtig er auch auf das Ende der Stunde gewartet hatte, plötzlich hatte er es gar nicht mehr eilig, den Hörsaal zu verlassen. Er erwog in Gedanken ein paar Ausreden, die es ihm ermöglichen würden, das Treffen mit Grisswald sausen zu lassen, verwarf sie aber alle wieder. Es war zwar unwahrscheinlich, aber immerhin möglich, daß Grisswald zur Abwechslung einmal eine positive Nachricht hatte — zum Beispiel, daß er unheilbar an Tuberkulose erkrankt war; oder daß seine Tante in Europa gestorben war und ihm ein Vermögen hinterlassen hatte, das ihn von der Pflicht entband, seinen Lebensunterhalt weiter an einer Universität zu bestreiten, wo er mit (Original-Zitat) zweifelhaften Erscheinungen wie gewissen abenteuerlustigen Professoren zusammenarbeiten mußte.
Schließlich verließ er den Hörsaal doch und wandte sich nach rechts, um ohne sonderliche Hast die Treppe hinaufzusteigen, die ihn zu Grisswalds Refugium führte. Er war so sehr mit Gedanken darüber beschäftigt, welche Vorwürfe ihm Grisswald wohl heute wieder machen würde, daß er um ein Haar mit einer schlanken Frauengestalt zusammengeprallt wäre, die die Treppe herabkam. Im letzten Moment erst blieb er stehen, griff automatisch zu, als auch sein blondes Gegenüber erschrocken zurückprallte und um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte, und ließ dabei seine Mappe fallen. Sie ging auf und verstreute ihren Inhalt über das untere Drittel der Treppe. Erst jetzt erkannte Indiana, wen er vor sich hatte.
«Marian!«rief er, überrascht und erfreut zugleich. Doch schnell erlosch sein Lächeln, als er den Ausdruck auf Marian Cordas Gesicht sah. Sie lächelte zwar ebenfalls, aber sie hatte sich nicht gut genug in der Gewalt, um ihre wirklichen Gefühle zu verbergen, und ganz kurz hatte Indiana auch einen Ausdruck von Schmerz, ja fast Furcht, auf ihren Zügen gesehen.
«Was hast du?«fragte er besorgt.
«Nichts«, antwortete Marian hastig. Sie lächelte wieder, aber Indiana sah Tränen in ihren Augen schimmern. Bevor er dazu kam, irgend etwas zu sagen, löste sich Marian mit einer raschen Bewegung aus seinem Griff und blickte schuldbewußt auf das Durcheinander von Papieren hinab, das auf der Treppe lag.
«Oh«, sagte sie.»Das tut mir leid. Warte — ich helfe dir, das aufzuheben.«
Sie ging an Indiana vorbei und wollte sich nach der Aktentasche bücken, aber er griff rasch wieder nach ihren Schultern und zog sie mit sanfter Gewalt in die Höhe. Er kannte Marian Corda seit gut zehn Jahren; seit dem Tag genau, an dem sie zusammen mit ihrem Mann hierhergekommen war. Stanley Corda kannte er seit der gleichen Zeit, denn schließlich waren sie Kollegen und unterrichteten sogar in denselben Fächern. Der Unterschied zwischen Stan und Marian Corda war einzig der, daß er sie mochte; ihren Mann nicht.
«Was ist los?«fragte er.
Marian versuchte abermals, seine Hand abzustreifen, aber diesmal hielt er sie fest.»Nichts«, sagte sie.»Ich war in Gedanken — das ist alles. Es tut mir leid.«
Sie wollte sich wieder seiner Hand entwinden, und er spürte, daß er schon etwas mehr als leichten Druck würde anwenden müssen, um sie festzuhalten. Widerwillig ließ er sie los und sah einen Moment lang schweigend zu, wie sie mit kleinen, hastigen Bewegungen die Blätter von der Treppe auflas und in seine Aktenmappe hineinstopfte.
«Ist es wegen Stan?«fragte er.
Marian sah nicht auf, aber sie hielt für einen Moment mitten in der Bewegung inne, und er konnte sehen, wie ihre Schultern zu zittern begannen.
Behutsam ließ er sich neben ihr in die Hocke gleiten, nahm ihr die Aktentasche aus der Hand, legte sie auf den Boden und berührte ihre Schultern. Marian Corda war fünf Jahre älter als er, sah aber jünger aus. Sie war hübsch, und als Indiana sie kennengelernt hatte, war sie eine Schönheit gewesen, um die viele ihren Mann beneidet hatten. Aber das Leben an der Seite eines harten, manchmal grausamen Mannes hatte sie bitter gemacht. Es hatte ihre Schönheit zwar nicht zerstört, sie aber in etwas anderes verwandelt; Indiana stimmte das traurig, sooft er sie sah. Eine Frau wie Marian hätte einen anderen Mann verdient gehabt.
«Ja«, sagte sie schließlich. Sie wandte den Kopf, aber Indiana sah trotzdem, daß sie mit den Tränen kämpfte.
«Kann ich dir irgendwie helfen?«fragte er.
«Nein«, antwortete sie.»Es ist nichts Besonderes. Wir hatten Streit, das ist alles. «Sie griff wieder nach seiner Aktenmappe, ließ sie dann aber wieder los, richtete sich auf und machte zwei schnelle Schritte an Indiana vorbei die Treppe hinab, blieb jedoch plötzlich wieder stehen.»Weißt du, wo er ist?«
«Stanley?«Indiana schüttelte den Kopf.»Nein. Ich habe ihn heute noch nicht gesehen. «Er zog die Taschenuhr aus der Weste und klappte den Deckel auf.»Eigentlich fängt seine Vorlesung in zehn Minuten an. Er müßte schon im Hörsaal sein. Warst du dort?«
Marian nickte und schüttelte fast im selben Moment den Kopf.»Ja, vor einer halben Stunde. Er kommt sonst immer sehr früh, um alles vorzubereiten. Aber vielleicht gehe ich noch einmal hin.«
«Und du bist sicher, daß ich dir nicht helfen kann?«fragte Indiana. Bei der Frau jedes anderen Kollegen wäre er zumindest verlegen geworden, eine solche Frage zu stellen, denn die ehelichen Streitigkeiten anderer gingen ihn nichts an, und er hatte sich stets gehütet, sich in Privatangelegenheiten einzumischen. Aber Marian und ihn verband seit dem ersten Tag eine tiefe Freundschaft, und er wußte, daß sie ihm diese Frage nicht übelnehmen würde. Einen Moment lang sah sie ihn traurig an, und er rechnete fast damit, daß sie sein Angebot annehmen und ihm erzählen würde, was passiert war. Aber dann schüttelte sie wieder den Kopf und zwang sich zu einem unsicheren Lächeln.»Nein. Es war … nur das übliche.«
Mit einem Ruck drehte sie sich um und lief mit raschen Schritten die Treppe hinunter.
Indiana blieb stehen und blickte ihr nach, bis sie am Ende des Korridors verschwunden war. Ihr Anblick hatte ihn mit einer Mischung aus Trauer und Zorn erfüllt. Er hätte schon blind sein müssen, um nicht zu sehen, daß es mehr als ein kleiner Streit gewesen war. Marian kam selten an die Universität, und noch seltener ließ sie irgend jemanden spüren, wie es zwischen ihr und Stan wirklich aussah. Wahrscheinlich gab sie sich die Schuld an dem, was zwischen ihnen nicht stimmte. Das war zwar völliger Unsinn, aber so war sie nun einmal. Und genau das war ein weiterer Grund, weswegen Indiana ihren Mann nicht besonders mochte. Corda war ein Mann, der die Schwächen seiner Mitmenschen gnadenlos ausnutzte. Und er machte da bei seiner eigenen Frau keine Ausnahme.
Indiana seufzte, nahm sich vor, seinem lieben Kollegen bei nächster Gelegenheit einmal kräftig ins Gewissen zu reden — das hatte er sich im Laufe der letzten zehn Jahre mindestens hundertmal vorgenommen, es aber kein einziges Mal getan, und er würde es auch diesmal nicht tun —, und verbrachte die nächsten fünf Minuten damit, den restlichen Inhalt seiner Aktentasche von der Treppe zu bergen. Danach setzte er seinen Weg zu Grisswald fort.
Das Gespräch mit Grisswald wurde genauso unergiebig, wie er erwartet hatte. Wie sich herausstellte, hatte der Dekan ihn natürlich aus keinem anderen Grund zu sich zitiert, als an seinen Unterrichtsmethoden herumzumäkeln und ihm Vorwürfe zu machen.»So geht das nicht weiter, Dr. Jones«, sagte er, wobei seine makellos manikürten Finger mit einem daumennagelgroßen Anhänger spielten, der vor ihm auf der Tischplatte seines ebenso makellos aufgeräumten Schreibtisches lag.»Ich habe mir die Mühe gemacht, mir Ihre Akte anzusehen.«
«So?«Indiana zog die linke Augenbraue hoch.
«So. «Grisswald nickte und bedachte ihn dabei mit einem Blick, mit dem der Direktor eines Heimes für schwer erziehbare Kinder den schlimmsten seiner Zöglinge mustern mochte.»So geht das nicht weiter, Dr. Jones«, sagte er.»Allein in den letzten vier Jahren sind Sie der Universität fast acht Monate ferngeblieben — innerhalb der Semester, versteht sich.«
«Ich war beschäftigt«, verteidigte sich Indiana.»Zwei Reisen habe ich allein im Auftrag der Regierung unternommen und zwei weitere in dem Ihres Vorgängers.«
«Ich glaube, daß es ein schwerer Fehler meines Vorgängers war, Ihnen das zu gestatten«, seufzte Grisswald. Er hob abwehrend die Hand, als Indiana etwas sagen wollte.»Ich weiß, was Sie sagen wollen, Dr. Jones. Sie haben wichtige Dinge für unser Land getan. Und Sie haben eine Menge für diese Universität getan. Ich weiß, wie viele Stücke Sie für unsere Sammlung mitgebracht haben und wie viele wertvolle Erkenntnisse. Trotzdem«, er schüttelte abermals den Kopf und seufzte noch tiefer.»Sie müssen das verstehen. Auch ich muß meine Aufgabe ordnungsgemäß erledigen, und die besteht nun einmal darin, für einen reibungslosen Ablauf des Universitätsbetriebes zu sorgen. Ein Dozent, der mehr in den südafrikanischen Regenwäldern ist als an seinem Arbeitsplatz, stört diesen Ablauf.«
«Südamerika«, sagte Indiana ruhig.
Grisswald blinzelte und ließ das goldene Schmuckstück, mit dem er bisher gespielt hatte, auf die Tischplatte zurücksinken.»Wie?«
«Südamerika«, wiederholte Indiana lächelnd.»In Afrika gibt es keine Regenwälder.«
Grisswalds wie mit einem Lineal gezogene Augenbrauen zogen sich für einen Moment ärgerlich zusammen, aber dann hatte er sich wieder in der Gewalt.»Selbstverständlich«, sagte er.»Entschuldigen Sie den Versprecher.«
«Natürlich«, sagte Indiana.
In Grisswalds Augen blitzte es auf, aber er beherrschte sich.»Es geht nicht gegen Sie persönlich, Dr. Jones«, sagte er.»Aber Sie stören einfach den Ablauf. Was soll ich denn den Studenten sagen, die sich bei mir beschweren, weil Ihre Vorlesungen ausfallen?«
«Tun sie das denn?«fragte Indiana.
«Bisher nicht«, erwiderte Grisswald.»Gottlob, möchte ich sagen. Denn ich wäre um eine Antwort sehr verlegen. Soll ich ihnen etwa erzählen, ihr Lehrer gräbt gerade unter den Fundamenten der Cheopspyramide? Wie gesagt — es geht nicht gegen Sie persönlich. Ich weiß, es gab Mißverständnisse zwischen uns, aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich würde hier sitzen und dasselbe zu Ihnen sagen, wenn wir alte Freunde wären.«
Indiana bezweifelte, daß Grisswald Freunde hatte, und schon gar alte Freunde, aber er zog es vor, diesen Einwand für sich zu behalten.»Worauf wollen Sie hinaus?«fragte er.
Diesmal zögerte Grisswald einen Moment.»Wir müssen eine Lösung finden, Dr. Jones«, sagte er schließlich. Es fiel ihm sichtlich schwer. Er wich Indianas Blick aus.
«Wenn Sie mich feuern wollen, dann sagen Sie es ruhig«, sagte Indiana.
«Gottbewahre — nein«, antwortete Grisswald fast erschrocken.»Ihre fachlichen Kompetenzen sind unbestritten. Ich kann es mir gar nicht leisten, einen Mann von Ihrer Qualifikation völlig grundlos zu entlassen. Aber wir sollten versuchen, uns wie vernünftige Männer zu benehmen und eine Lösung zu finden. Es ist nicht nur Ihre Neigung zu Abenteuern.«
«Was denn noch?«fragte Indiana.
«Auch in unserem Verhältnis stimmt so einiges nicht«, sagte Grisswald.»Die Spannungen zwischen uns sind bekannt. Und nicht nur Ihnen und mir, sondern allen an dieser Universität. So etwas vergiftet die Atmosphäre, und das — «
«— können Sie sich nicht leisten«, unterbrach ihn Indiana, nur noch mühsam beherrscht.»Ich weiß.«
Grisswald musterte ihn vorwurfsvoll.»Ganz genau«, sagte er schließlich.»Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag, Dr. Jones: Die Semesterferien beginnen in einer Woche. Sie nutzen die Ferien dazu, sich in aller Ruhe über Ihre Rolle an dieser Universität und vor allem die Gestaltung Ihrer Zukunft klarzuwerden. Und wir treffen uns eine Woche vor Beginn des nächsten Semesters und reden miteinander.«
Indiana stand auf.»Ich wüßte nicht, was es da zu reden gäbe«, sagte er aufgebracht.»Wenn Sie mir aber nahelegen wollen, mir einen neuen Job zu suchen, dann sagen Sie es offen, Grisswald. Und begründen Sie es.«
Grisswald seufzte. Er wirkte traurig.»Schade«, sagte er.»Ich hätte mir einen anderen Ausgang dieses Gespräches gewünscht. Aber wenn Sie darauf bestehen — bitte. Ich bin sicher, jede andere Universität in unserem Land wird Sie mit offenen Armen aufnehmen.«
Indiana starrte ihn sekundenlang wütend an, sagte aber nichts mehr, sondern drehte sich mit einem Ruck um und stampfte auf die Tür zu. Kurz bevor er sie erreichte, rief ihn Grisswald noch einmal zurück.
«Dr. Jones!«
Eine halbe Sekunde lang war Indiana geneigt, einfach weiterzugehen und die Tür hinter sich ins Schloß zu knallen, aber dann blieb er doch stehen und drehte sich noch einmal zu Grisswald um.»Ja?«
«Da ist noch etwas«, sagte Grisswald.
Indiana sah ihn fragend an, bekam aber keine Antwort, und so trat er schließlich widerwillig an den Tisch zurück. Griss-wald schob ihm das kleine goldene Schmuckstück, mit dem er bisher gespielt hatte, über die Platte hinweg zu.»Haben Sie das schon einmal gesehen?«
Indiana griff danach und drehte es mit wachsender Verblüffung in den Fingern. Was er bisher für einen goldenen Anhänger gehalten hatte, war gar keiner. Es war ein winziger Käfer, der ganz aus Gold bestand. Und es war die mit Abstand perfekteste Nachahmung eines Lebewesens, die Indiana jemals gesehen hatte.
«Nein«, sagte er verwirrt.»Wieso? Was ist das überhaupt?«
Grisswald beugte sich vor und nahm ihm den Käfer aus den Fingern.»Das möchte ich auch gern wissen«, sagte er.»Ich hatte gehofft, von Ihnen eine Antwort auf diese Frage zu bekommen.«
«Wieso?«wunderte sich Indiana.»Woher stammt das?«
«Auch das weiß ich nicht«, antwortete Grisswald.»Ich hatte heute morgen schon sehr früh Besuch, Dr. Jones. Sehr unangenehmen Besuch, wie ich hinzufügen möchte.«
Indiana sah ihn fragend an.
«Es handelte sich um dieses Schmuckstück«, fuhr Grisswald nach einer langen, unangenehmen Pause fort.»Um dieses und andere. Sie wurden gestohlen.«
«Gestohlen?«
«Nun«, Grisswald zuckte mit den Schultern,»ich nehme es jedenfalls an. Welchen anderen Grund sollte es geben, wenn die Polizei bei mir auftaucht und mich fragt, was ich über die Herkunft dieser Stücke weiß?«
Indiana verstand nun gar nichts mehr. Unaufgefordert zog er sich einen Stuhl heran und ließ sich darauf fallen. Grisswald blickte zuerst den Stuhl, dann ihn selbst und dann wieder den Stuhl sehr tadelnd an, überging Indianas Eigenmächtigkeit aber und beließ es bei einem strafenden Blick und fuhr fort:»Leider haben mir die Beamten auch nichts Konkretes gesagt. Aber in den letzten Wochen sind eine ganze Reihe solcher Kleinode in der Stadt zum Verkauf angeboten worden. Sie konnten oder wollten mir nicht sagen, wer sie verkauft hat, aber es muß sich um ein Mitglied des Lehrkörpers handeln.«
«Es ist nicht verboten, Gold zu verkaufen«, sagte Indiana.
«Nicht, wenn man es auf legalem Wege erworben hat«, stimmte ihm Grisswald zu.»Aber wäre das so, wäre wohl kaum die Polizei bei mir erschienen, um sich zu erkundigen, welcher meiner Mitarbeiter wohl als Ursprung dieser Schmuckstücke infrage käme, nicht wahr?«
Es dauerte noch eine Sekunde, bis Indiana begriff. Dann verdüsterte sich sein Gesicht.»Ich verstehe«, sagte er gepreßt.»Irgend jemand hier an unserer Universität steht im Verdacht, Fundstücke unterschlagen oder gestohlen zu haben. Und ganz selbstverständlich denken Sie dabei als erstes an mich.«
Grisswald antwortete nicht darauf.
«Ich muß Sie enttäuschen, Grisswald«, fuhr Indiana aufgebracht fort.»Seit Sie hierhergekommen sind, macht mir meine Arbeit zwar sehr viel weniger Spaß, aber ich verdiene immer noch genug, um nicht stehlen zu müssen. Und selbst«, fügte er in noch schärferem Tonfall hinzu, als Grisswald ihn unterbrechen wollte,»wenn ich es täte, wäre ich kaum so dämlich, meine Beute hier in der Stadt an den Mann bringen zu wollen.«
«So war das nicht gemeint, Dr. Jones«, begann Grisswald. Aber Indiana hörte ihm gar nicht mehr zu. So wuchtig, daß sein Stuhl scharrend zurückflog und umfiel, sprang er auf, drehte sich herum und stürmte aus dem Büro.
Und diesmal knallte er die Tür so heftig hinter sich zu, daß es noch drei Stockwerke tiefer zu hören sein mußte.
Indiana kochte innerlich noch immer vor Zorn, als er zehn Minuten später den Campus verließ und mit weit ausgreifenden Schritten die Straße überquerte. Hätten sich mit dieser Universität nicht so viele schöne Erinnerungen verbunden und hätte er nicht so viele gute Freunde hier gehabt, dann hätte er nicht nur die Tür zu Grisswalds Büro zu-, sondern gleich dessen Schreibtisch umgeworfen und ihm endlich einmal gesagt, was er wirklich von ihm hielt. Welchen rachsüchtigen Gott mochte er bei irgendeinem seiner Abenteuer so erzürnt haben, daß er ihm einen Widerling wie Grisswald schickte, um ihm das Leben zu vergällen?
Als er die andere Straßenseite erreicht hatte, wandte er sich erst nach rechts und fast in der gleichen Bewegung in die entgegengesetzte Richtung. Nein — er konnte jetzt nicht nach Hause gehen. Er brauchte einen Kaffee oder besser noch einen kräftigen Schluck Whisky, um sich zu beruhigen. So steuerte er ein kleines Café wenige Schritte entfernt an, das den Studenten als Treffpunkt diente und selbst zu dieser frühen Stunde bereits gut besucht war. Die meisten Tische waren besetzt, und auch an der Theke war kein Platz mehr frei. Aber Dr. Jones war hier gut bekannt, und so mußte er nicht lange suchen, bis einer der Kellner erschien und ihn an einen kleinen Tisch am Fenster führte. Indiana setzte sich, bestellte einen Kaffee und einen Bourbon und wandte demonstrativ den Blick ab, als ihn einige der Studenten an den Tischen erkannten und ihm zulächelten.
Ein sonderbares, fast melancholisches Gefühl überkam ihn, als er zum Universitätsgebäude auf der anderen Straßenseite hinübersah. Er war jetzt so lange hier, daß er sich gar nicht vorstellen konnte, an irgendeiner anderen Universität m irgendeiner anderen Stadt zu lehren. Für ihn war dieses große, altehrwürdige Gebäude aus roten Ziegelsteinen mehr als ein Arbeitsplatz, mehr als eine Schule. Es war ein Ort ständiger Abenteuer: In seinen staubigen Archiven warteten Millionen Geheimnisse darauf, enträtselt zu werden, in den endlosen Reihen von Büchern in seiner Bibliothek Millionen Erkenntnisse darauf, entdeckt zu werden, in den Hörsälen Tausende von Studenten darauf, daß er seine Begeisterung und sein Wissen über die Kulturen alter Zeiten und Völker mit ihnen teilte. Der Gedanke, daß es einem Kriecher wie Grisswald gelingen könnte, ihm all dies zu nehmen, machte ihn wütend. Aber er war inzwischen fast sicher, daß Grisswald am Ende siegen würde.
Die Grisswalds dieser Welt würden es immer irgendwie schaffen, die Sieger zu bleiben.
Der Kellner kam und brachte den Kaffee und den Bourbon. Indiana stürzte den Inhalt seines Glases mit einem Zug herunter und begann dann lustlos in seiner Tasse zu rühren. Der Whisky brannte in seiner Kehle und hinterließ eine warme Spur in seiner Speiseröhre bis in seinen Magen hinab, aber seine Hände zitterten eher noch stärker, und statt ihn zu beruhigen, bewirkte der Alkohol eher das Gegenteil. Sein Zorn auf Grisswald wuchs ins Unermeßliche. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, aufzustehen und zurückzugehen, um das unterbrochene Gespräch mit dem Dekan zum Ende zu bringen, und zwar zu dem, das es verdiente.
Im selben Moment sah er, wie Marian Corda aus dem Gebäude trat und die Straße überquerte, ohne nach rechts und links zu blicken. Sie ging sehr schnell, und obwohl sie zu weit entfernt war, als daß er ihr Gesicht sehen konnte, spürte er ihre Erregung. Ihre Haltung war verkrampft und ihre Bewegungen ruckhaft und nicht ganz natürlich. Offenbar war er nicht der einzige, für den dieser Tag nicht besonders gut verlief.
Als Marian die andere Straßenseite erreicht hatte, hielt ein Auto direkt hinter ihr. Marian fuhr ganz leicht zusammen, warf einen Blick über die Schulter zurück — dann wandte sie sich mit einem Ruck nach rechts und ging schneller. Im selben Augenblick öffneten sich die beiden Türen des Wagens, und zwei Männer in maßgeschneiderten Anzügen und mit hellen Hüten stiegen aus und folgten ihr. Sie rannten nicht, aber sie schritten zu schnell aus, als daß Indiana ihre Eile hätte übersehen können. Auch Marian beschleunigte ihre Schritte, und die beiden Anzugträger gingen noch schneller. Indiana sah ein wenig aufmerksamer hin. Was ging dort vor?
Plötzlich machte seine Niedergeschlagenheit einem Gefühl heftiger Anspannung Platz. Er vergaß schlagartig Grisswald und das unangenehme Gespräch, stand auf und verließ eilig das Café, ohne seine Rechnung zu zahlen; er war hier bekannt und konnte das später nachholen.
Als er auf die Straße hinaustrat, hatte Marian bereits die Ecke des Blocks erreicht und wandte sich nach rechts. Sie ging sehr schnell und warf den beiden Männern hinter sich dabei immer wieder rasche, fast ängstliche Blicke zu, und als sie in die Seitenstraße einbog, beschleunigte sie ihre Schritte noch einmal, so daß sie nun beinahe rannte. Auch die beiden Anzugträger legten Tempo zu.
Indiana Jones aber rannte nicht nur beinahe, sondern tatsächlich, als auch sie um die Ecke bogen und ihn somit nicht mehr sehen konnten.
Erst als er in die schmale Seitenstraße einbog, fiel auch er wieder in ein normales Tempo zurück. Sein Abstand zu Mari-ans Verfolgern war ebenso zusammengeschmolzen wie deren zu ihr.
«Mrs. Corda!«
Marian wandte erschrocken im Gehen den Blick, als einer der beiden ihren Namen rief, geriet ins Stolpern und stürzte nur deshalb nicht, weil sie im letzten Moment an der Wand neben sich Halt fand. Aber die Verzögerung durch ihr Straucheln reichte den beiden Männern, um sie einzuholen.»Mrs. Corda, bitte!«sagte der größere der beiden.»Das hat doch keinen Sinn. Wir wollen Ihnen doch nur ein paar Fragen stellen.«
Marian sah sich mit dem Blick eines gehetzten Tieres um, das man in die Enge getrieben hat. Es gab tatsächlich keinen Ausweg mehr für sie. Einer der beiden Burschen stand direkt vor ihr, der andere war an ihr vorbeigegangen und blockierte den Fluchtweg die Straße hinab. Indiana ging ein wenig langsamer und tat so, als betrachte er interessiert die Auslagen eines Geschäfts auf der anderen Straßenseite, spitzte aber aufmerksam die Ohren und verfolgte das Geschehen in der Spiegelung der Schaufensterscheibe.
«Lassen Sie mich in Ruhe!«sagte Marian. Ihre Stimme zitterte vor Angst.»Ich habe Ihnen schon gesagt, daß ich nichts weiß.«
«Davon möchten wir uns lieber persönlich überzeugen«, fuhr der Große fort. Er streckte die Hand aus, um Marian am Ellbogen zu ergreifen, aber sie zog ihren Arm hastig zurück und preßte sich enger gegen die Wand.»Lassen Sie mich in Ruhe!«sagte sie noch einmal.
Indiana schlenderte fast gemächlich näher, steckte beide Hände in die Jackentaschen und blieb unmittelbar hinter dem größeren der beiden Burschen stehen.
«Sie werden jetzt mit uns kommen, Mrs. Corda«, fuhr der Mann fort.»Es sei denn — «
«Haben Sie nicht gehört, was die Lady gesagt hat?«unterbrach ihn Indiana.
Der Mann drehte sich mit einem Ruck herum und blickte sein Gegenüber mit einer Mischung aus Zorn und Überraschung an. Er hatte ein schmales, markantes Gesicht mit einer kleinen Narbe auf der linken Wange. Seine Augen waren kalt und taxierten Indiana mit einem raschen Blick, stuften ihn offenbar schnell als harmlos ein.»Verschwinden Sie!«sagte er grob.
Indiana verschwand nicht, sondern blickte ihn eine Sekunde lang lächelnd an, musterte dann den zweiten Burschen — er war das genaue Gegenteil des Großen: klein, stämmig bis fett, mit einem teigigen Gesicht von ungesunder Farbe und kräftigen Händen mit kurzen Stummelfingern — und sagte dann:»Ich glaube, es ist besser, wenn Sie verschwinden. Und nehmen Sie Ihren Freund mit. Bevor ich die Polizei rufe.«
Der Mann riß erstaunt die Augen auf, aber bevor er noch antworten konnte, trat sein Freund mit einem zornigen Schritt auf Indiana zu und fuhr ihn an:»Halt dich da raus, Freundchen. Oder — «
«Oder?«fragte Indiana freundlich, als der Dicke nicht weitersprach, sondern den Rest des Satzes als unausgesprochene Drohung in der Luft hängen ließ. Dabei lächelte er, zog langsam die Hände aus der Tasche, setzte umständlich die dünne, goldgefaßte Brille ab und schob sie in die Brusttasche seines Jacketts. Fast mit der gleichen Bewegung lockerte er den Knoten seiner Krawatte und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das Haar. Und so winzig diese Veränderungen auch waren, hatten sie doch eine erstaunliche Wirkung. Aus dem biederen, fast unscheinbar wirkenden Universitätsangestellten, für den ihn die beiden bisher wohl gehalten hatten, wurde plötzlich ein Mann, der gefährlich war. Und zumindest der kleinere der beiden Kerle schien dies auch sehr genau zu spüren, denn seine Augen wurden plötzlich schmal, und in die Herablassung auf seinem Gesicht mischte sich Vorsicht.
«Lassen Sie die Dame in Ruhe«, sagte Indiana Jones noch einmal. Auch seine Stimme hatte sich verändert, ebenso wie die Art, wie er lächelte.
«Jetzt reicht’s!«sagte der Dicke.»Hau ab, Mann, oder ich mach’ dir Beine!«Seine Hand hob sich und verschwand unter der Jacke, und Indiana schlug ihm ohne jede Vorwarnung die Faust unter das Kinn.
Der Schlag war so hart, daß er selbst vor Schmerz aufstöhnen mußte. Der Dicke verdrehte die Augen und fiel wie der sprichwörtliche nasse Sack zu Boden. Währenddessen fuhr Indiana blitzartig herum, packte den anderen an den Aufschlägen seiner maßgeschneiderten Anzugjacke, zerrte seinen Oberkörper mit einem plötzlichen, harten Ruck nach vorn und herunter und winkelte gleichzeitig das Bein an. Sein Knie grub sich knirschend in die Rippen des Mannes, und er konnte hören, wie die Luft pfeifend aus dessen Lungen entwich.
Trotzdem war der andere keineswegs geschlagen. Obwohl er sich vor Schmerzen krümmte und kaum atmen konnte, schoß er einen Fausthieb nach Indianas Gesicht ab, dem dieser nur um Haaresbreite entgehen konnte und der ihn zurück und auf Distanz zu seinem Gegner trieb. Sofort setzte ihm dieser nach, drosch wild und zu dem einzigen Zweck, ihn weiter vor sich herzutreiben, mit der linken Hand nach ihm und versenkte gleichzeitig die rechte in die Jackentasche. Es gehörte nicht besonders viel Fantasie dazu, zu erraten, was er darin trug. Indiana gab ihm jedoch keine Chance, seine Waffe zu ziehen. Er nahm ganz bewußt einen der wütend, aber nicht besonders zielsicher geführten Fausthiebe in Kauf, sprang den Burschen an und hämmerte ihm drei-, viermal hintereinander die Fäuste in den Leib; sehr hart und gezielt auf die gleiche Stelle, an der ihn sein Knie getroffen hatte. Und diese grobe Behandlung war selbst für diesen Riesen zuviel. Stöhnend taumelte er zurück, stieß Indiana mit einer instinktiven Bewegung von sich und kippte nach vorn, wobei er sich gleichzeitig drehte. Es gelang ihm zwar, seinen Sturz mit ausgestreckten Armen abzufangen, indem er sich kaum einen Meter neben Marian an der Wand abstützte, aber er stand in einer so grotesk nach vorn geneigten Haltung da, daß Indiana der Versuchung einfach nicht widerstehen konnte, ihm die Beine unter dem Leib wegzutreten. Der Kerl schrie auf, prallte mit dem Gesicht gegen die rauhe Ziegelsteinmauer und schrammte zum Boden an ihr entlang.
Indiana wartete nicht ab, ob er endlich aufgab oder auch diese Attacke einfach wegsteckte. Mit einem Satz sprang er über ihn hinweg, packte Marians Handgelenk und zerrte sie hinter sich her, während er die Straße hinabzurennen begann. Sie schrie vor Schrecken auf und versuchte sich instinktiv loszureißen, aber Indiana hielt ihren Arm mit eiserner Kraft fest, so daß sie hinter ihm herstolpern mußte, ob sie wollte oder nicht.
Sie erreichten die nächste Biegung der Straße, wandten sich abermals nach rechts, und Indiana blieb auch jetzt nicht stehen, sondern lief im Gegenteil noch schneller, als er nur ein paar Schritte entfernt etwas gewahrte, das ihm die Glücksgöttin persönlich geschickt haben mußte: ein Taxi, das mit laufendem Motor am Straßenrand stand und aus dem gerade ein Fahrgast ausstieg und den Chauffeur bezahlte.
Noch während dieser sein Wechselgeld in Empfang nahm, riß Indiana hastig die hintere Tür auf, stieß Marian in den Wagen und folgte ihr mit einem Sprung. Während er die Tür hinter sich zuwarf, sah er zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Von ihren beiden Verfolgern war noch nichts zu sehen. Aber das würde nicht lange so bleiben. Indiana kannte Männer wie diese beiden zur Genüge. Daß er sie so leicht hatte ausschalten können, war pures Glück gewesen und der Umstand, daß er sie überrascht hatte. Ganz offensichtlich hatten sie ihn unterschätzt. Ein zweites Mal würde ihnen dieser Fehler nicht unterlaufen.
Der Mann, der gerade aus dem Taxi ausgestiegen war, stand noch immer wie erstarrt da, den Oberkörper noch in den Wagen gebeugt und die Hand mit dem Wechselgeld vor sich ausgestreckt, und blickte Indiana und Marian verblüfft an, und auch der Taxichauffeur schien im ersten Moment völlig perplex. Dann verdunkelten schwarze Gewitterwolken sein Gesicht.»He!«sagte er.»Was soll das? Ich übernehme keine Fuhre mehr. Feierabend!«
Indiana sah abermals zurück und fuhr erschrocken zusammen, als er Pat und Patachon nebeneinander — wankend, trotzdem sehr schnell — am Ende der Straße auftauchen sah.»Fahren Sie los!«sagte er.
Der Taxifahrer schüttelte stur den Kopf.»Hab’n Sie was an den Ohren, Mann? Ich hab’ Feierabend. Meine Schicht ist um!«
«Ich flehe Sie an!«sagte Indiana. Wieder sah er hastig über die Schulter zurück. Die beiden Burschen waren noch zwanzig oder dreißig Schritte entfernt; allerhöchstens. Und sie kamen sehr schnell näher. Das Gesicht des Größeren hatte sich auf dramatische Weise verändert. Sein Blick auch. Er hatte die linke Hand gegen Mund und Nase gepreßt, und in der rechten hielt er einen Revolver, mit dem er wütend herumfuchtelte.
«Um Gottes willen — fahren Sie los!«sagte Indiana zum dritten Mal. Einer plötzlichen Eingebung folgend fügte er hinzu:
«Das da ist ihr Mann und sein Bruder. Die beiden bringen uns um, wenn sie uns erwischen!«
Das wirkte. Der Fahrer starrte die beiden näher kommenden Killer noch eine halbe Sekunde lang aus aufgerissenen Augen im Spiegel an, dann gab er plötzlich Gas und fuhr so abrupt los, daß Indiana und Marian in die Polster zurückgeschleudert wurden und sein voriger Fahrgast gerade noch rechtzeitig Kopf und Oberkörper aus dem Wagen reißen konnte, um nicht die Hand zu verlieren. Für das Wechselgeld, das darauf gelegen hatte, ging das zu schnell. Es regnete klimpernd auf den Beifahrersitz und zwischen den Füßen des Fahrers nieder.
Indiana stemmte sich ächzend aus dem Polster hoch und sah durch die Heckscheibe. Pat und Patachon waren stehengeblieben. Der Kleine gestikulierte wütend hinter dem Wagen her und schüttelte drohend die Faust, während der andere noch ein paar Schritte weiterlief und dabei unentwegt mit seiner Pistole herumfuchtelte. Aber er wagte nicht, auf den Wagen zu schießen. Nicht auf offener Straße und am hellichten Tag. Schließlich war das hier nicht der Wilde Westen.
Einige Sekunden später hatten sie die nächste Kreuzung erreicht, und der Fahrer ließ den Wagen mit kreischenden Reifen um die Kurve schlingern. Indiana wurde halbwegs auf Marian geschleudert, fing sich im allerletzten Moment wieder und stemmte sich mit einem entschuldigenden Lächeln hoch.
Sie schien es nicht einmal bemerkt zu haben. Ihr Gesicht war bleich wie das einer Toten, und ihre Lippen zitterten. Tränen glitzerten in ihren Augen. Sie beherrschte sich nur noch mit allerletzter Kraft.
«Sag jetzt nichts«, sagte Indiana ganz leise.»Später.«
«Mann!«ächzte der Taxifahrer.»Das war verdammt knapp. Die beiden sahen ja richtig gefährlich aus!«
Indiana setzte sich auf, fuhr sich glättend mit den Händen über das Haar und kramte seine Brille aus der Jackentasche.»Das sind sie auch«, antwortete er, nachdem er sie aufgesetzt und sich mit wenigen Handgriffen wieder in einen unscheinbaren Universitätsdozenten zurückverwandelt hatte.»Sie können mir glauben, es sind sehr unangenehme Menschen. Ich hasse Gewalttätigkeiten. Und ich hasse Menschen, die zu Gewalttätigkeiten neigen. So etwas ist primitiv und eines Gentlemans nicht würdig.«
Der Taxifahrer warf ihm einen schrägen Blick durch den Spiegel hinweg zu und schwieg.
«Ich habe versucht, mich mit ihnen zu unterhalten, wie es unter zivilisierten Menschen üblich ist«, fuhr Indiana fort,»aber es war sinnlos. Stellen Sie sich vor — dieser grobe Klotz wollte mich tatsächlich schlagen!«
«Welcher grobe Klotz?«erkundigte sich der Taxifahrer. Er machte eine Kopfbewegung auf Marian.»Ihr Mann oder ihr Schwager?«
«Ihr …«Indiana stockte, lächelte verlegen und verbesserte sich:»Nun, es war nicht direkt ihr Mann, müssen Sie wissen. Es war nur sozusagen ihr … hm … so etwas wie ihr Verlobter, wenn Sie verstehen. «Er zog eine Grimasse.»Die ganze Geschichte ist wirklich unangenehm. Ich bin Ihnen zu großem Dank verpflichtet.«
«Das scheint mir auch so«, antwortete der Taxifahrer.»Wohin fahren wir überhaupt?«
Indiana nannte seine Adresse.
«Wissen die beiden Typen, wo Sie wohnen?«fragte der Taxifahrer.»Ich meine — es geht mich zwar nichts an, aber Sie könnten eine Menge Ärger bekommen, wenn ihr SozusagenVerlobter und seine gewalttätige Verwandtschaft dort auftauchen. «Er machte sich nicht einmal mehr die Mühe, den hämischen Unterton aus seiner Stimme zu verbannen, und das Lächeln, mit dem er Indiana ansah, war beinahe mitleidig. Genau das sollte es auch sein. Es war Indiana sehr viel lieber, daß dieser Mann heute abend im Kreis seiner Kollegen die Geschichte eines Trottels erzählen würde, der von einem aufgebrachten, gehörnten Ehemann gejagt wurde, als die eines Mannes, dem zwei Unterweltkiller auf den Fersen gewesen waren.
«Sie haben keine Ahnung«, sagte er.»Außerdem werden sie es nicht wagen, in mein Haus einzudringen. Wozu gibt es Recht und Ordnung in diesem Land?«
Der Taxifahrer seufzte und enthielt sich jedes weiteren Kommentars, bis sie ihr Ziel erreicht hatten.
Indiana bezahlte ihn, ging mit raschen Schritten um den Wagen herum und half Marian beim Aussteigen; auf eine so steife, gestelzte Art, daß der Taxifahrer alle Mühe hatte, nicht in schallendes Gelächter auszubrechen, als er ihm dabei zusah. Marian spielte perfekt dabei mit, aber das lag vermutlich einzig daran, daß sie noch immer wie betäubt zu sein schien. Ihr Blick war leer, und sie folgte ihm wie ein willenloses Kind, das gar nicht begriff, was mit ihm geschah. Indiana führte sie durch den verwilderten Vorgarten zu seinem Haus, bugsierte sie hinein und sah sich noch einmal nach allen Seiten um, ehe auch er durch die Tür trat. Aber die Straße war leer bis auf das Taxi, dessen Fahrer ihm noch einmal grüßend zunickte und dann mit quietschenden Reifen davonschoß.
Indiana schloß die Tür hinter sich, legte — ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten — die Kette vor und führte Marian ins Wohnzimmer. Der Raum sah aus, wie das Wohnzimmer eines Junggesellen nach einer halb durchzechten Nacht nun einmal aussieht: reichlich chaotisch. Auf dem Tisch standen eine zu Dreivierteln geleerte Flasche Whisky, zwei Gläser, ein ganzer Berg von Büchern, Pergamenten, Aktendeckeln, Fotografien und Zeichnungen. Das Durcheinander war Indiana plötzlich peinlich. Aber Marian war nicht in der Stimmung, auf so etwas zu achten.
Er bugsierte sie zur Couch und drückte sie mit sanfter Gewalt darauf nieder. Sie ließ sich auch das widerstandslos gefallen, aber sie hatte jetzt nicht mehr die Kraft, die Tränen zurückzuhalten. Sie weinte lautlos und heftig, und Indiana kam sich plötzlich verlegen und hilflos vor wie ein Schuljunge.
«Ist alles in Ordnung mit dir?«fragte er.
Marian antwortete nicht, aber Indiana begriff auch so, daß das wohl die mit Abstand dämlichste Frage war, die er in den letzten fünf Jahren gestellt hatte. Mit einem verlegenen Achselzucken trat er zurück, blickte noch einen Moment schweigend auf sie herab und floh dann in die Küche, um einen starken Kaffee für Marian und vor allem sich selbst zuzubereiten.
Er fühlte sich zutiefst verwirrt, hilflos und zugleich wütend auf sich selbst, weil er so wenig für Marian tun konnte. Aber in seinem Hinterkopf arbeitete es bereits, während er aus dem Durcheinander im Spülbecken zwei saubere Tassen und Unterteller herauszufischen versuchte und Kaffeepulver in die Kanne tat. Er fühlte sich ein bißchen schuldbewußt, daß er jetzt hier und nicht drüben im Wohnzimmer bei Marian war, um sie zu trösten. Gleichzeitig sagte ihm eine innere Stimme, daß es so richtig war. Er kannte Marian lange und gut genug, um zu wissen, daß sie jetzt allein sein wollte.
Als er nach zehn Minuten mit einem Tablett voll mit dampfenden Kaffeetassen und einem halben Paket Salzkräckern, das vom vergangenen Abend übriggeblieben war, in den Wohnraum, eine Mischung aus Wohnzimmer, Bibliothek und Arbeitszimmer, zurückkehrte, saß Marian aufrecht auf der Couch und hatte die Tränen vom Gesicht gewischt. Sie war noch immer blaß, und ihre Finger zitterten unmerklich, als sie nach der Kaffeetasse griff, aber sie wirkte trotzdem gefaßt.
Indiana setzte sich ihr gegenüber, gewann noch einige Sekunden damit, einen Schluck von dem kochendheißen Kaffee zu trinken, und fragte dann übergangslos:»Also — was war los?«
«Nichts«, antwortete Marian. Sie wich seinem Blick aus.
Er setzte die Tasse ab, hob die rechte Hand und betrachtete mit einem fast melancholischen Lächeln seinen angeschwollenen Knöchel.»Das sah mir aber gar nicht nach nichts aus.«
«Ich weiß nicht, wer die beiden waren«, behauptete Marian.»Wirklich. Ich weiß nicht, was sie von mir wollten.«
Indiana seufzte.»Aha, und was war das? ›Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, daß ich Ihnen nicht helfen kann‹«, zitierte er aus dem Gedächtnis.
Marian zog die Unterlippe zwischen die Zähne und begann darauf herumzukauen.»Ich … ich will dich da nicht hineinziehen, Indiana«, sagte sie leise.»Bitte.«
«Ich glaube, ich bin schon mittendrin«, erwiderte Indiana ruhig.»Ich glaube übrigens nicht, daß er dies Ding nur mit sich herumgeschleppt hat, weil er Angst hatte, sonst von einem plötzlichen Windstoß davongeweht zu werden.«
Gegen ihren Willen mußte Marian lächeln; aber nur ganz kurz, und der Ausdruck von Schmerz und Trauer in ihren Augen blieb.»Das ist schlimm genug«, sagte sie.»Ich bin dir sehr dankbar, daß du mir geholfen hast. Aber jetzt muß ich gehen.«
Sie stand auf, aber Indiana griff über den Tisch nach ihrem Arm und drückte sie sanft, doch sehr energisch auf die Couch zurück.»Du wirst nirgendwo hingehen, bevor du mir nicht erzählt hast, was los ist«, sagte er.
Auf Marians Gesicht breitete sich ein fast gequälter Ausdruck aus.»Bitte, Indiana«, sagte sie.»Ich … ich weiß nicht, wer diese Männer waren, das ist die Wahrheit. Ich habe sie noch nie gesehen. Ich habe heute morgen mit einem von ihnen telefoniert, das ist alles. Aber ich glaube, daß sie gefährlich sind. Ich will nicht, daß du auch noch in Gefahr gerätst.«
«Auch noch?«hakte Indiana nach. Er machte eine Handbewegung, als Marian antworten wollte.»Wer ist denn sonst noch in Gefahr?«
Marian blickte ihn an und schwieg.
«Jetzt hör mir mal gut zu, Mädchen«, sagte Indiana ernst.»Wir kennen uns seit zehn Jahren, und wir sind seit zehn Jahren gute Freunde. Du solltest mich gut genug kennen, um zu wissen, daß ich einen Freund nicht im Stich lasse. Also — was ist los? Es hat mit Stanley zu tun, nicht wahr?«
Marians sichtbares Zusammenzucken bewies ihm, daß er ins Schwarze getroffen hatte.
«Was hat er angestellt?«fragte Indiana.»Jemanden betrogen? Ein Grab zuviel ausgeräumt und dabei das Wertvollste in seiner Tasche verschwinden lassen?«
Diesmal fuhr Marian wie unter einem Schlag zusammen.
Ihre Augen wurden groß, und Indiana hatte alle Mühe, ein bitteres Auflachen zu unterdrücken.
«Ich weiß es seit Jahren«, sagte er.»Dein Mann ist nicht unbedingt das, was man eine Zierde unseres Berufsstandes nennen würde. Er hat eine Menge von dem, was er gefunden hat, für sich selbst abgezweigt.«
«Und du hast nie darüber gesprochen?«
Indiana schüttelte den Kopf.»Nein«, bestätigte er.»Mit niemandem, außer mit Stan selbst.«
«Mit ihm?!«
«Ich habe ihn gewarnt«, sagte Indiana.»Er hat natürlich alles abgestritten, aber ich hatte den Eindruck, daß er es sich trotzdem zu Herzen genommen hat. Wenigstens dachte ich das bis vor einer halben Stunde.«
Was er sagte, entsprach der Wahrheit. Er hatte Corda schon vor längerer Zeit gewarnt, es nicht zu übertreiben, aber er hatte es nicht getan, um ihn zu schützen. Der einzige Grund, warum er mit seinem Wissen nicht zum Dekan der Universität oder gleich zur Staatsanwaltschaft gegangen war, saß ihm gegenüber auf der Couch in seinem Wohnzimmer und hieß Marian. Es war nur die Rücksicht auf sie gewesen, deretwegen er Corda bisher geschont hatte.
«Ich weiß nicht, worum es geht«, sagte Marian nach einer Weile, und diesmal spürte er, daß sie die Wahrheit sprach.»Stan hat sich verändert, Indy.«
«Ich weiß. «Er nickte.»Er ist nicht mehr der Mann, den du geheiratet hast, nicht wahr? Aber ich glaube, das war er nie.«
«Das meine ich nicht«, antwortete Marian.»Es hat nichts mit uns zu tun. Ich weiß nicht, was es ist, aber seit er von seiner letzten Reise zurück ist, geht … irgend etwas mit ihm vor. Er spricht kaum noch mit mir und hat sich ständig in seinem Arbeitszimmer vergraben und die Tür abgeschlossen. Ich habe es seit drei Monaten nicht mehr betreten. Er ist wie besessen.«
«Wovon?«
«Genau das weiß ich ja nicht«, erwiderte Marian.»Aber ich habe Angst um Stan, Indy. Es muß etwas mit dieser letzten Reise zu tun haben. Er muß irgend etwas gefunden oder entdeckt haben, was ihn so verändert hat. Er redet wirres Zeug, und er … er trifft sich mit sonderbaren Leuten. Unheimlichen Leuten.«
«Wie meinst du das?«Indiana wurde hellhörig.
Marian hob die Schultern.»Ich habe sie nur ein- oder zweimal gesehen«, sagte sie.»Und Stan war deshalb sehr wütend auf mich.«
«Männer wie die beiden von vorhin?«
Wieder schüttelte Marian den Kopf.»Nein. Es waren … ziemlich zwielichtige Gestalten. Und er gibt ihnen Geld, sehr viel Geld. «Sie stockte einen Moment, und Indiana konnte sehen, welche Überwindung es sie kostete, weiterzusprechen.»Ich war heute morgen auf der Bank, Indy. Ich wollte etwas abheben. Aber unser Konto ist völlig leer. Stanley hat gestern abend bis auf den letzten Dollar alles abgehoben. Deshalb war ich vorhin in der Universität, um mit ihm zu sprechen.«
«Und was hat er gesagt?«erkundigte sich Indiana.
«Er war nicht da«, sagte Marian.»Er ist gar nicht erschienen. Er ist heute morgen wie immer aus dem Haus gegangen, aber er ist nicht in der Universität angekommen.«
«Und jetzt hast du Angst, daß ihm etwas passiert ist«, vermutete Indiana. Er überlegte einen Moment.»Diese Männer, die anriefen«, sagte er dann.»Was genau wollten sie von dir?«
Marian machte eine hilflose Geste.»Sie haben … Fragen gestellt. Aber ich habe gar nicht begriffen, was sie wollten. Sie fragten nach irgendeinem Plan. Nach einer Karte, die Stanley ihnen versprochen hat. Und sie haben gedroht, sie würden sie sich mit Gewalt holen, wenn ich sie ihnen nicht gäbe. Aber ich kann sie ihnen nicht geben, weil ich gar nicht weiß, wo sie ist. Ich weiß nicht einmal genau, wovon sie überhaupt reden.«
«Hast du in Stans Arbeitszimmer nachgesehen?«
«Es ist abgeschlossen«, sagte Marian.»Und Stanley hat den einzigen Schlüssel immer bei sich.«
«Du solltest zur Polizei gehen«, sagte Indiana ernst.»Ich würde dir das sogar ganz dringend empfehlen. Die beiden Burschen, die dich vorhin verfolgt haben, sahen nicht so aus, als ob sie sehr viel Spaß verstünden.«
«Zur Polizei?«Marians Stimme wurde fast schrill.
«Es wäre das beste«, sagte Indiana besänftigend.»Mit Männern, die mit Pistolen herumfuchteln, sollte man nicht scherzen.«
«Aber was soll ich ihnen denn sagen?«fragte Marian.»Daß Stan sich verändert hat? Daß er wie besessen ist? Daß er sich mit zwielichtigen Gestalten trifft und ihnen Karten zum Kauf anbietet? Das ist nicht verboten.«
«Es kommt erst einmal darauf an, was für Karten es sind und was für Gestalten«, antwortete Indiana. Aber er verstand, warum Marian davor zurückscheute, die Polizei einzuschalten. Trotz allem war Stanley ihr Mann.»Wenn du möchtest, dann rede ich mit Stan«, fuhr er fort.»Noch besser — ich begleite dich nach Hause und sehe mir an, was er in seinem Arbeitszimmer in den letzten drei Monaten getrieben hat.«
«Die Tür ist abgeschlossen.«
Indiana lächelte flüchtig.»Das Schloß, das mich aufhält, muß erst noch konstruiert werden.«
«Das ist wirklich lieb von dir, Indy«, sagte Marian.»Aber ich möchte nicht, daß du noch tiefer in die Sache hineingezogen wirst. Du hast meinetwegen schon genug Ärger gehabt.«
Indiana sah sie durchdringend an. Er zweifelte nicht an dem, was Marian ihm bisher erzählt hatte — aber es war nicht die ganze Wahrheit. Er spürte sehr deutlich, daß es da noch etwas gab, was sie ihm verschwieg.
«Ich möchte jetzt gehen, Indiana«, sagte sie plötzlich.
«Den Teufel wirst du tun«, antwortete er.»Du wirst dies Haus nicht ohne mich verlassen. Ich werde zuerst zu dir nach Hause mitfahren und dort nach dem Rechten sehen. Diese beiden Typen von vorhin wissen vielleicht nicht, wo ich wohne. Aber ich bin ziemlich sicher, daß sie wissen, wo du wohnst. Möchtest du ihnen wieder begegnen?«
Marian wurde noch ein bißchen blasser, und Indiana fuhr, nach einer angemessenen Pause, um seine Worte wirken zu lassen, fort:»Ich halte es für falsch, nicht zur Polizei zu gehen. Aber es ist deine Entscheidung. Ich respektiere sie, aber dann mußt du auch meine Hilfe annehmen, ob es dir paßt oder nicht.«
Das Haus, in dem Marian und Stanley Corda lebten, lag fast am entgegengesetzten Ende der Stadt, in einer Gegend, in der die Grundstückspreise dreimal so hoch waren wie in der, in der Indiana und die meisten seiner Kollegen residierten. Hier versuchten die Häuser nur noch bescheiden auszusehen, waren es aber ganz und gar nicht mehr. Statt eines leicht verwilderten Vorgartens erstreckte sich vor diesem Haus eine Rasenfläche von der Abmessung eines kleinen Parks, und statt eines Schuppens, der vor zehn Jahren hätte gestrichen werden müssen und in dem ein betagter Ford vor sich hin rostete, lehnte eine schmucke Doppelgarage mit Stanleys deutschem Nobelwagen und Marians Buick an diesem Haus. Es gibt zweifellos gewisse Unterschiede zwischen meinem und Professor Stan Cordas Lebensstil, dachte Indiana sarkastisch, während er neben Mari-an auf die Tür zuging. Ehrlichkeit lohnt sich eben nicht immer. Nicht zum ersten Mal fragte er sich beim Anblick dieses Hauses, wieso noch niemandem an der Universität aufgefallen war, daß Corda ein Leben führte, das er sich im Grunde gar nicht leisten konnte. Vermutlich war Indiana Jones der einzige, der wirklich wußte, woher das Geld für dieses Haus, die Wagen und den aufwendigen Lebensstil von Stan Corda stammte. Doch Stanley war vielleicht ein Dieb, aber kein Dummkopf. Er hatte niemals über Geld geredet, wohl aber hier und da eine gezielte Bemerkung fallengelassen, die es seinen Kollegen und Vorgesetzten ermöglichte, ihr kriminalistisches Gespür zu aktivieren und sich aus den hingeworfenen Brocken und einigen gut konstruierten Indizien genau die Geschichte zusammenzu-basteln, die sie glauben sollten — nämlich, daß Stan kurz vor seinem Umzug hierher eine Erbschaft gemacht hatte, die ihm dieses Haus erlaubte und deren Zinsen er nun aufzehrte.
Indiana blieb auf der Treppe vor dem Eingang stehen und sah sich aufmerksam nach allen Seiten um, während Marian ihre Handtasche aufklappte und nach dem Hausschlüssel zu suchen begann. Er fühlte sich wie auf dem Präsentierteller. Von dem schwarzen Ford, mit dem die beiden Schläger vor der Universität vorgefahren waren, konnte er keine Spur entdecken. Aber so dumm waren sie bestimmt nicht, nicht früher oder später hierher zurückzukehren und in aller Ruhe auf Marian zu warten.
«Was ist los?«fragte er, als Marian immer hektischer in ihrer Handtasche herumkramte und dabei die Stirn runzelte.
Sie seufzte, blickte ihn eine Sekunde lang fast hilflos an — und seufzte dann noch einmal und sehr viel tiefer.»Ich Dummkopf!«sagte sie.»Der Schlüssel ist ja im Wagen!«
Indiana sah sie fragend an.
«Er steht noch auf der Straße vor der Universität.«
Jetzt war er überrascht.
Sie lächelte; verwirrt und auch ein wenig verlegen.»Ich … war viel zu aufgeregt, um daran zu denken«, gestand sie.»Ich — «
Der Rest ihrer Worte ging in einem halblauten, überraschten Aufschrei unter, denn sie hatte sich mit der Schulter gegen die Tür gelehnt, während sie mit Indiana sprach — und der verhinderte einen Sturz nur im letzten Moment, denn die Tür gab unter der Berührung nach und schwang nach innen.
Indiana war mit einem Satz bei ihr und riß sie zurück — aber nicht nur, weil sie zu stürzen drohte. Vielmehr hatte er gesehen, daß keineswegs Marian nur vergessen hatte, die Tür hinter sich zuzuziehen — jemand hatte ein Brecheisen genommen und das Schließblech mitsamt einem Gutteil des Türrahmens einfach herausgebrochen!
Marian riß erstaunt die Augen auf, aber Indiana legte hastig den Zeigefinger auf die Lippen, schob sich mit einer schnellen Bewegung an ihr vorbei und blieb mit angehaltenem Atem und lauschend in dem großen Wohnzimmer stehen, das er betreten hatte.
Er hörte nichts. Obwohl draußen heller Tag war, waren die Vorhänge zugezogen, so daß das Zimmer in einem unwirklichen Dämmerlicht dalag, in dem die Möbel zu gestaltlosen Umrissen zusammenschmolzen und die Schatten voller bedrohlicher Bewegungen zu sein schienen. Aber alles, was er hören konnte, waren Marians hastige Atemzüge hinter ihm, und er spürte einfach, daß niemand hier war. Zumindest nicht in diesem Zimmer.
So leise er konnte drehte er sich zu ihr um und flüsterte ihr zu:»Bleib hier. Wenn du irgendein verdächtiges Geräusch hörst oder jemand anderes als ich oder Stanley hier auftauchen, dann lauf weg und ruf die Polizei.«
Er gab Marian keine Gelegenheit zu antworten, sondern schlich auf Zehenspitzen durch das Wohnzimmer und betrat vorsichtig die angrenzende Küche.
Nichts. Der Raum war vollständig verwüstet: Jemand hatte sämtliche Schränke geöffnet und ihren Inhalt auf den Boden verteilt, den Tisch und die Stühle umgeworfen und sogar die Rückwand des Einbauschrankes neben der Spüle herausgerissen, so daß das nackte Mauerwerk sichtbar war. Aber auch hier war niemand.
Tatsächlich war im ganzen Haus niemand. Indiana durchsuchte es Zimmer für Zimmer, und es war überall der gleiche Anblick: Verwüstung und Unordnung. Sämtliche Schränke waren durchwühlt, sämtliche Schubladen auf den Boden geleert, sämtliche Kommoden untersucht worden. Jemand hatte dieses Haus gründlich und offensichtlich in aller Ruhe vom Dachboden bis zum Keller durchsucht; und zwar jemand, der sein Handwerk verstand. Und der es nicht besonders eilig gehabt haben konnte. Aber dieser jemand war nicht mehr da. Indiana überlegte einen Moment, ob es vielleicht Pat und Pata-chon gewesen waren; aber dieser Gedanke überzeugte ihn nicht.
Marian hatte die Gardinen zurückgezogen und betrachtete nun im hellen Sonnenlicht fassungslos die Zerstörung, die auch vor ihrem Wohnzimmer nicht haltgemacht hatte. Wer immer hiergewesen war, hatte im wahrsten Sinne des Wortes viel Porzellan zerschlagen.
«Und ich hatte Hemmungen, dich mit in meine Wohnung zu nehmen«, sagte er, nur um Marian ein wenig aufzuheitern.»Wenn ich du wäre, dann würde ich meine Putzfrau feuern — und zwar auf der Stelle.«
«Was … was ist hier … passiert?«hauchte Marian fassungslos.»Wer war das?«
«Wahrscheinlich dieselben, die dich heute morgen angerufen haben«, vermutete Indiana.
Marian sah auf. Ihre Augen waren weit und dunkel vor Schrecken.»Die beiden Männer vor der Universität?«
Wieder zögerte Indiana mit einer Antwort. Etwas wie das hier paßte nicht zu den beiden. Außerdem hätten sie gar keine Zeit dazu gehabt. Er zuckte nur mit den Schultern, ging zur Haustür und drückte sie zu. Sie schwang fast sofort wieder auf, da das Schloß herausgebrochen war.
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«Stanley«, murmelte Marian.»Ich … ich muß Stan anrufen. «Sie ging zum Fenster, hob das Telefon auf, das auf einem jetzt umgeworfenen Blumenhocker danebengestanden hatte, wählte die ersten drei Nummern des Universitätsanschlusses und ließ den Hörer dann resigniert sinken.»Aber ich weiß ja gar nicht, wo er ist«, murmelte sie.
Es wäre aber besser, es würde dir einfallen, dachte Indiana. Er sprach es nicht aus, denn er hatte das Gefühl, daß Marian im Moment nicht mehr besonders viele schlechte Nachrichten vertragen würde — aber er war ziemlich sicher, daß diejenigen, die für diese Verwüstung verantwortlich waren, nicht gefunden hatten, was sie suchten. Und das bedeutete, daß sie wahrscheinlich wiederkommen würden.
«Du solltest die Polizei rufen«, sagte er.
Marian schüttelte fast erschrocken den Kopf.»Keine Polizei«, sagte sie.
Indiana widersprach nicht. Im Moment war die Frage, was vernünftig war oder nicht, völlig unwichtig. Das einzige, was im Augenblick zählte, war, daß Marian sich beruhigte. Er spürte, daß sie mit ihren Kräften fast am Ende war. Er trat hinter sie, legte ihr behutsam den Arm um die Schulter und drückte sie sanft an sich. Marian zitterte. Wieder sah er Tränen in ihren Augen schimmern, aber sie hatte sich noch immer in der Gewalt.
«Okay«, sagte er.»Wie du willst. Aber dann mußt du mir erlauben, dir zu helfen. Wir gehen jetzt zusammen in Stans Arbeitszimmer hinauf und sehen uns dort ein wenig um — einverstanden?«
Marian nickte fast unmerklich. Sie wollte antworten, brachte aber keinen Ton heraus, sondern schluckte nur ein paarmal mühsam. Dann deutete sie eine Kopfbewegung zur Treppe an.
Indiana machte sich keine sonderlichen Hoffnungen, dort oben wirklich etwas von Wichtigkeit zu finden. Wenn das, wonach die Einbrecher gesucht hatten, wirklich dort gewesen war, dann hatten sie es zweifellos gefunden und mitgenommen. Aber vielleicht fand er einige andere Hinweise, die endlich Licht in diese mysteriöse Geschichte brachten.
«Zumindest kann uns Stan jetzt nicht mehr vorwerfen, sein Schloß aufgebrochen zu haben«, sagte er in einem neuerlichen — vergeblichen — Versuch, Marian aufzuheitern, als er das zertrümmerte Schloß an der Tür zu Stanleys Arbeitszimmer bemerkte.
Das Zimmer bot einen ebenso chaotischen Anblick wie der Rest des Hauses. Hunderte, wenn nicht Tausende von Büchern, die heute morgen noch säuberlich geordnet auf den Regalen gestanden hatten, die drei der vier Wände bis zur Decke säumten, waren auf den Boden geworfen worden, und dazwischen lag der Inhalt von Stanleys Schreibtisch; zahllose, zum größten Teil eng bekritzelte Blätter mit seiner fast unleserlichen Handschrift, zerrissene Notizbücher, Landkarten, Notizen, ein Tintenfaß, das aufgeschraubt und offenbar absichtlich über einige der herumliegenden Bücher ausgeschüttet worden war, eine zerbrochene Maya-Statue, die Stanley von einer seiner zahlreichen Expeditionen nach Südamerika mitgebracht hatte, ein silberner Fotorahmen — das Glas war zerschlagen und das Bild herausgerissen, als hätte man dahinter nach etwas gesucht — und etwas, das Indianas besondere Aufmerksamkeit erregte: eine kleine Silberschatulle, deren Deckel mit Smaragd- und Rubinsplittern besetzt war. Verblüfft bückte er sich danach und klappte sie auf, und seine Verwirrung wuchs noch mehr, als er sah, daß ihr Inhalt noch vollzählig war. Sie enthielt die schönsten Stücke aus Stanleys Münzsammlung, die zwar klein, aber von erlesenem Geschmack war. Er verstand das nicht. Die Schatulle allein würde in einem Antiquitätengeschäft sicherlich an die tausend Dollar bringen, und die Münzen, die Stan darin aufbewahrte, noch einmal das Drei- bis Vierfache. Aber die Einbrecher hatten sie achtlos liegengelassen.
«Wenigstens wissen wir jetzt, daß sie nicht nach Wertsachen gesucht hatten«, sagte er, als er wieder aufstand, sich nach kurzem Zögern noch einmal vorbeugte und die Schatulle aufhob, um sie auf ihren Platz auf dem Schreibtisch zurückzustellen.
Marians Blick folgte seiner Bewegung.»Aber was dann?«flüsterte sie.
«Das weiß ich nicht«, antwortete Indiana. Er ergriff Marian am Arm und sah sie durchdringend an.»Bitte, denke nach, Marian«, sagte er.»Stan muß doch irgend etwas gesagt haben. Irgendeine Andeutung, eine Bemerkung, irgend etwas …«
«Er hat ja kaum noch mit mir gesprochen«, sagte Marian hilflos.»Das heißt — «
«Ja?«fragte Indiana, als Marian stockte.
«Einmal hat er eine Bemerkung gemacht, die ich nicht verstanden habe«, sagte sie.»Es ergab keinen Sinn, weißt du?«
«Was genau hat er gesagt?«
«Genau weiß ich es nicht mehr«, sagte Marian.»Er … er hat ein Buch gelesen, weißt du? Und plötzlich hat er laut aufgelacht und gesagt, was für Narren die Spanier doch waren.«
«Wieso?«
«Das war alles«, antwortete Marian.»Ich habe ihn auch nicht gefragt. Er hätte mir sowieso nicht geantwortet. «Die letzten Worte hatte sie mit leiser, trauriger Stimme hervorgestoßen, und Indiana widerstand der Versuchung, weiter in sie zu dringen. Er hatte ohnehin die Erfahrung gemacht, daß es sehr wenig Sinn hatte, jemanden mit Gewalt dazu bringen zu wollen, sich zu erinnern. Trotzdem stellte er noch eine letzte Frage.»Kannst du dich noch erinnern, welches Buch es war?«
«Nein«, sagte Marian hilflos.»Es … es hat auf dem Regal neben dem Fenster gestanden, auf dem zweiten oder dritten Brett, glaube ich. «Sie deutete mit der ausgestreckten Hand dorthin, wo das Buch gestanden hatte. Jetzt befand sich dort nur noch eines von zahllosen leeren Regalbrettern.
Indiana seufzte enttäuscht. Eine Sekunde lang tastete sein Blick über den Haufen von Büchern, der vor dem Regal auf dem Boden lag, aber er gab den Gedanken, ihn methodisch zu durchsuchen, beinahe so schnell wieder auf, wie er ihm gekommen war. Wie die meisten seiner Kollegen — und ihn selbst eingeschlossen — hatte Stanley Corda ein eigenes System entwickelt, seine Bücher zu ordnen. Es war völlig sinnlos, in diesem Tohuwabohu nach einem bestimmten Buch zu suchen, einem Buch noch dazu, das Marian wahrscheinlich nicht einmal wiedererkennen würde, wenn sie es selbst in der Hand hielt. Und selbst wenn — Stanley Cordas Spezialgebiet war die südamerikanische Geschichte während und nach der Eroberung durch die Conquistadoren. Wahrscheinlich gab es Hunderte von Büchern in diesem Zimmer, die sich mit den Spaniern befaßten.
«Warum gehst du nicht hinunter in die Küche und siehst nach, ob noch zwei Tassen heilgeblieben sind?«fragte er.»Ich könnte jetzt einen Kaffee vertragen. Ich sehe mich inzwischen hier noch ein bißchen um. Vielleicht finde ich ja doch etwas.«
Marian wandte sich wortlos um, und Indiana sah ihr nach, bis sie auf der Treppe verschwunden war. Ihm stand der Sinn ganz und gar nicht nach Kaffee, aber er kannte sie gut genug, um zu wissen, daß sie am besten mit der Situation fertig wurde, wenn sie sich irgendwie beschäftigte. Und der Anblick dieses verwüsteten Zimmers und der quälende Gedanke daran, was Stan all diese Monate hindurch darin getan haben mochte, würden ihr ganz bestimmt nicht helfen, ihre Fassung zurückzuerlangen.
Und vielleicht fand er ja tatsächlich etwas. Indiana gab sich zwar nicht der Illusion hin, sich nur bücken zu müssen, um plötzlich auf einem Blatt Papier die Antwort auf alle Fragen in der Hand zu halten. Aber er kam bestimmt schon ein gutes Stück weiter, wenn er herausbekam, woran Stan seit seiner Rückkehr aus Bolivien gearbeitet hatte. Und es müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn ihm das nicht gelänge. Schließlich war auch er Wissenschaftler, noch dazu mit beinahe dem gleichen Fachgebiet wie Corda.
Zum zweiten Mal und sehr viel gründlicher begann er, das Zimmer zu durchsuchen. Er blickte auf und unter Regalbretter, sah unter die Platte von Stans Schreibtisch und zog die Schubladen heraus, um sie herumzudrehen und auch den leeren Raum dahinter abzutasten. Er durchsuchte sämtliche Verstecke, auf die er gekommen wäre und die vor ihm schon Männer gefilzt hatten, die wahrscheinlich sehr viel mehr davon verstanden als er; dann begann er, Stans Aufzeichnungen und Notizen vom Boden aufzuheben und zu drei unordentlichen Stapeln auf der Schreibtischplatte zu türmen. Zuerst sortierte er alles aus, was ihm auf den ersten Blick uninteressant erschien. Indiana war sich allerdings darüber im klaren, daß dieses Auswahlverfahren höchst unsicher war und er möglicherweise gerade das, was er brauchte, mit einem Achselzucken beiseiteschob. Aber jedes einzelne dieser Schriftstücke durchzulesen und nach einem verborgenen Sinn zu suchen, das hätte wahrscheinlich Monate gedauert. Trotzdem blieb noch immer ein erschreckend großer Stapel von Blättern und losen Notizzetteln übrig.
Er hatte gerade den Stuhl aufgerichtet und wollte sich eben daraufsetzen, als er aus dem Erdgeschoß das Klirren von Porzellan hörte. Es war nicht das erstemal — Marian hatte hörbar damit begonnen, die zerbrochenen Tassen und Teller zusammenzufegen —, aber es war lauter, und eine Sekunde später hörte er Marian etwas in erschrockenem Tonfall sagen. Hastig drehte er sich um und machte einen Schritt zur Tür — und blieb ruckartig wieder stehen.
Eine Männerstimme antwortete Marian. Und obwohl Indiana nicht verstehen konnte, was sie sagte, hörte er doch deutlich den drohenden Ton darin. Auf Zehenspitzen schlich er weiter, blieb an der Tür stehen und lauschte gebannt. Er konnte noch immer nicht verstehen, was Marian und der Mann sagten, aber er achtete auch nicht auf die Worte, sondern versuchte, sich an den Geräuschen zu orientieren; er versuchte, herauszubekommen, ob der Mann dort unten allein war, und wenn nicht, wieviele es waren.
Marians Stimme und die des Mannes wurden erregter, dann hörte er schnelle Schritte, die Geräusche eines kurzen Kampfes und dann ein helles Klatschen, dem ein mehr überraschter als schmerzhafter Aufschrei folgte. Einen Augenblick später schrie Marian auf, und er konnte hören, wie ein schwerer Körper zu Boden fiel.
Indiana vergaß seine Vorsicht, stürmte aus dem Zimmer und die Treppe hinab — und blieb nach zwei oder drei Stufen wie angewurzelt stehen.
Er hatte sich geirrt. Entweder war es das, oder die beiden Burschen am unteren Ende der Treppe hatten gewußt, daß er da war, und sich mucksmäuschenstill verhalten. Besonders überrascht wirkten sie jedenfalls nicht. Einer von ihnen — ein wahrer Koloß von Mann mit schwarzem Haar und einem narbigen Gesicht und Muskelpaketen an den Oberarmen, deren bloßer Anblick Indiana schier vor Ehrfurcht erstarren ließ — blickte ihm mit unbewegtem Gesicht entgegen. Der andere — er war kleiner, aber deswegen keineswegs schmächtig — grinste wie ein Honigkuchenpferd und zielte mit einer doppelläufigen Schrotflinte auf Indiana.
«Hallo, Jungs«, sagte Indiana unsicher.
Der Große antwortete nicht. Der Kleinere sagte:»Hallo, Blödmann!«und drückte ab.
Indiana hatte das Gewehr keinen Sekundenbruchteil aus den Augen gelassen und sah, wie sich der Finger um den Abzug krümmte. Im letzten Moment warf er sich zur Seite und zurück.
Der Knall war ohrenbetäubend. Etwas surrte mit dem Geräusch eines zornigen Hornissenschwarmes so dicht an seinem Gesicht vorbei, daß er einen kochendheißen Luftstrom spüren konnte, und schlug ein kopfgroßes Loch in die Tür zu Stans Arbeitszimmer.
Indiana sprang mit einem Satz in den Raum zurück und ließ sich fallen, und im gleichen Augenblick entlud sich die Schrotflinte unten an der Treppe ein zweites Mal und zertrümmerte das Fenster, das der Tür gegenüberlag. Gleichzeitig hörte er ein wütendes Knurren und dann ein Geräusch, als stampfe eine ganze Elefantenherde die Treppe hinauf. Es gehörte nicht besonders viel Fantasie dazu, sich auszumalen, woher dieses Geräusch kam.
Indiana rappelte sich hoch und sah sich verzweifelt nach einem Fluchtweg um. Der Raum hatte keine zweite Tür, und gegen einen gewagten Sprung aus dem Fenster sprachen sowohl die Höhe, in der das Zimmer lag, als auch die scharfkantigen Glasscherben, die noch im Rahmen steckten. Und es gab in diesem Zimmer absolut nichts, was sich als Waffe eignete.
Die Schritte des Riesen ließen das ganze Haus erzittern und näherten sich rasend schnell. Indianas Gedanken überschlugen sich. Er spürte, wie er in Panik zu geraten drohte, und verschwendete eine kostbare Sekunde darauf, sie niederzukämpfen. Er brauchte eine Waffe — irgend etwas, um diese lebende Lawine aus Fleisch und Muskeln zu stoppen! Aber es gab hier nichts, nichts außer –
Ein gehetzter Blick über die Schulter zurück zeigte ihm nicht nur den schwarzhaarigen Riesen, der bereits zwei Drittel der Treppe zurückgelegt hatte, sondern auch die Tür. Außer daß ein Loch von der Größe eines Medizinballes in ihr oberes Drittel geschlagen war, hatte die Schrotladung sie auch halb aus den Angeln gerissen, so daß sie nur wie durch ein Wunder noch nicht umgefallen war. Die Idee, die ihm gekommen war, schien ihm selbst völlig verrückt, aber außergewöhnliche Situationen erforderten nun einmal außergewöhnliche Einfalle.
Während der Riese weiter die Treppe hinaufstürmte, machte Indiana mitten in der Bewegung kehrt, rannte ihm entgegen und packte mit beiden Händen die Tür. Die Angst gab ihm zusätzliche Kraft, so daß er sie fast mühelos völlig aus den Angeln riß und weiterstürmte, ohne auch nur merklich im Schritt innezuhalten. Auch der Riese stürmte heran. Er hatte die Arme jetzt nicht mehr vor der Brust verschränkt, sondern halb erhoben und zu Fäusten geballt, und auf seinen Zügen machte sich ein verblüffter Ausdruck breit, als er Indiana erblickte, der ihm brüllend entgegengestürmt kam und dabei nichts Geringeres als ein ganzes Türblatt vor sich her trug. Offensichtlich konnte er kaum glauben, was er sah.
Eine halbe Sekunde später glaubte er es dann wahrscheinlich doch — als nämlich die zollstarke Eichenplatte, noch beschwert durch Indianas Gewicht, gegen sein Gesicht prallte und ihn einfach umwarf. Er fiel nach hinten und zurück auf die Treppe, klammerte sich dabei aber instinktiv an der Tür fest und riß sowohl sie als auch Indiana mit sich. Was vielleicht auch nicht so besonders klug war. Die Tür samt Dr. Indiana Jones begrub ihn unter sich, und dann begannen sie alle drei — das Muskelpaket zuunterst, Indiana obenauf und die Tür wie die Käsescheibe eines Sandwichs zwischen ihnen — die steile Holztreppe hinunterzurutschen; direkt und immer schneller werdend auf den zweiten Gangster zu, der gerade sein Gewehr aufgeklappt hatte, um es neu zu laden, und ihnen jetzt aus fassungslos aufgerissenen Augen entgegenstarrte.
Als er endlich begriff, daß das, was er sah, weder ein Alptraum noch die verspäteten Nachwirkungen einer Zechtour waren, reagierte er sofort — und völlig falsch. Mit einem Schrei ließ er sein Gewehr fallen, wirbelte herum und raste davon, wobei er aber nicht auf die Idee kam, einfach mit einem Sprung zur Seite auszuweichen, sondern sich in gerader Linie von der Treppe fortbewegte.
Eine Sekunde später hatte Indiana die letzte Treppenstufe erreicht und verlor die untere Hälfte seines improvisierten Schlittens, als sich die Füße des Muskelmannes im Geländer verhakten und er liegenblieb. Die Tür fuhr scharrend über seine Brust und sein Gesicht hinweg und schoß weiter, wobei sie wie ein flach geworfener Stein auf dem Wasser auf dem Teppich in die Höhe sprang und dabei noch schneller wurde und die Entfernung zwischen ihr und dem Flüchtenden dabei rasend schnell schmolz.
Der Bursche hatte das Fenster erreicht und blieb stehen. Mit entsetzt aufgerissenen Augen fuhr er herum und riß die Hände schützend vor das Gesicht, als er das Türblatt und Indiana auf sich zuschießen sah. Aber es erreichte ihn nicht. Das Wohnzimmer der Cordas maß weit mehr als zehn Meter, und diese Distanz und vor allem der Teppich, der sich vor der Tür zu immer größeren Wellen zusammenschob, reichten aus, ihren Schwung aufzuzehren und sie kaum einen halben Meter vor den Füßen des Burschen zum Stillstand kommen zu lassen. Er stand da wie erstarrt und reagierte nicht einmal, als Indiana sich mühsam in die Höhe rappelte.
«Das war ganz schön knapp, wie?«fragte Indiana.
Der Bursche nahm die Arme herunter, klappte den Mund zu und sah Indiana vollkommen fassungslos an. Dann nickte er, begann dümmlich zu grinsen und atmete erleichtert auf. Im selben Augenblick versetzte ihm Indiana einen Faustschlag unter das Kinn, der ihn zurück- und durch das zerborstene Fenster in den Garten hinaustürzen ließ.
«Was ist denn da draußen los?«drang eine zornige Stimme aus der Küche. Indiana fuhr auf der Stelle herum, spannte sich — und erstarrte abermals mitten in der Bewegung, als er in die Mündung eines großkalibrigen Revolvers starrte, mit der eine Gestalt unter der Küchentür auf ihn zielte.
Der Mann war groß, dunkelhaarig und von drahtiger Statur, und das, was er sah, schien ihn zwar zornig zu machen, ihn aber keinen Sekundenbruchteil lang zu überraschen. Indiana begriff sofort, daß er hier dem gefährlichsten der drei Burschen gegenüberstand.
«Rühr dich nicht!«sagte der Mann. Er machte nicht einmal eine drohende Bewegung mit der Waffe, aber Indiana sah, daß der Hahn gespannt und ein Zeigefinger um den Abzug gekrümmt war. Blitzschnell überschlug er seine Chancen, sich mit einem Sprung in Sicherheit zu bringen. Das Ergebnis, zu dem er kam, gefiel ihm nicht besonders.
«Wer bist du?«fragte der Dunkelhaarige und legte den Kopf schräg.»Was tust du hier?«
«Nichts«, antwortete Indiana hastig.»Ich habe mich in der Tür geirrt. Entschuldigen Sie bitte, ich gehe sofort wieder.«
Der Mann lächelte nicht.»Du hast wohl deinen witzigen Tag, wie?«fragte er kalt. Jetzt hob er doch drohend die Pistole, so daß ihr Lauf nun nicht mehr auf Indianas Magen, sondern auf eine Stelle genau zwischen seinen Augen zielte.»Ich habe dich etwas gefragt. Wer bist du? Was tust du hier?«
Indiana sah eine Bewegung hinter dem Mann, und dann erschien Marian in seinem Blickfeld, bleich, zitternd, aus einer kleinen Platzwunde über dem Auge blutend — und mit einer gläsernen Milchkaraffe in der linken und einer gußeisernen Bratpfanne in der rechten Hand.
«Nimm die Pfanne«, sagte Indiana.»Das ist sicherer. Und hol kräftig aus.«
Ein flüchtiges, verächtliches Lächeln huschte über die Züge des Mannes mit der Pistole.»Für wie blöd hältst du mich?«fragte er.»Auf diesen Trick fällt doch keiner mehr rein.«
«Das ist gut«, sagte Indiana, und Marian holte aus und schlug dem Burschen die Karaffe mit solcher Wucht gegen die Schläfe, daß sie klirrend zerbarst und er wie vom Blitz getroffen zusammenbrach. Noch im Sturz krümmte sich sein Finger um den Abzug. Ein ungeheurer Knall ließ das Haus bis in seine Grundfesten erbeben, und hinter Indiana zersplitterte das letzte Bild an der Wand, das die Einbrecher bei ihrem ersten Besuch herabzureißen vergessen hatten.
Mit einem Sprung war Indiana bei Marian, als er sah, wie sie zu taumeln begann. Er fing sie auf, trug sie zum Sofa und überzeugte sich rasch davon, daß sie nicht ernsthaft verletzt war. Sie war benommen und reagierte nicht, als er sie ansprach, und sie war offensichtlich geschlagen worden, denn ihre rechte Gesichtshälfte begann sich dunkel zu verfärben und anzuschwellen. Aber es war wohl nur der Schock, der sie so apathisch machte.
Indiana ging zum Fenster und sah, daß der Bursche, den er niedergeschlagen hatte, ebenso bewußtlos war wie die beiden anderen. Aber das würden sie nicht lange bleiben. Sie mußten hier weg, und zwar schnell.
Trotzdem nahm er sich die Zeit, die beiden Gangster zu durchsuchen — allerdings ohne Erfolg. Er fand weder Ausweise noch andere Papiere oder irgend etwas, das auf ihre Identität hindeutete. Aber das hatte er beinahe erwartet. Die drei waren Profis; vielleicht nicht besonders helle, aber auch nicht so dumm, ihre Visitenkarten zu einem Überfall mitzunehmen.
Marian bewegte sich stöhnend auf der Couch, und Indiana kehrte mit zwei, drei raschen Schritten zu ihr zurück.
«Was ist passiert?«murmelte sie verstört.»Indiana, was — «
«Jetzt nicht«, unterbrach er sie. Er streckte die Hand aus und half ihr aufzustehen. Marians Augen weiteten sich erschrocken, als sie die beiden bewußtlosen Gestalten unter der Küchentür und vor der Treppe sah, aber Indiana gab ihr keine Gelegenheit, etwas zu sagen, sondern fragte hastig:»Kannst du laufen?«
Sie nickte.
«Gut«, sagte er.»Dann geh zum Wagen. Warte dort. Ich komme sofort nach.«
«Wo willst du hin?«
«Ich hole nur rasch etwas«, sagte er.»Lauf ins Auto und verriegele die Tür von innen. Und warte nicht auf mich, wenn einer von den Burschen hier herauskommt.«
Er drehte sich schnell um, sprang mit einem Satz über den bewußtlosen Burschen vor der Treppe hinweg und war in Stanleys Arbeitszimmer verschwunden, noch ehe Marian das Haus verlassen hatte.
Es dauerte drei oder vier Stunden, bis Marian ihre Fassung soweit zurückgewonnen hatte, daß er mit ihr reden konnte. Während der Fahrt nach Hause hatte sie bleich und zitternd auf dem Beifahrersitz neben ihm gesessen und ins Leere gestarrt, und sie hatte auch nicht reagiert, als Indiana sie ein paarmal ansprach. Und auch später in Indianas Haus hatte sie kein Wort gesprochen, ja, nicht einmal geantwortet, als er sie mehrmals fragte, ob sie damit einverstanden sei, daß er Marcus um Hilfe bat. Schließlich hatte er ihr Schweigen als Zustimmung ausgelegt und seinen alten Freund angerufen, der nicht einmal eine halbe Stunde später erschien und sich mit wachsendem Schrek-ken anhörte, was Indiana ihm erzählte. Natürlich hatte auch er sofort vorgeschlagen, zur Polizei zu gehen, aber was Indianas Zureden nicht bewirkt hatte, das erreichte dieses Wort: Als Marian das Wort Polizei hörte, fuhr sie zusammen und erwachte aus ihrer Lähmung, und so wie Indiana zuvor gelang es auch Marcus nicht, sie davon zu überzeugen, daß es wirklich das beste wäre, sich an die Behörden zu wenden. Er willigte ein, wenigstens noch so lange zu warten, bis sie Cordas Aufzeichnungen gesichtet und vielleicht ein wenig Licht in diese Angelegenheit gebracht hatten.
Was sich als wesentlich leichter gesagt als getan erwies. Das meiste von dem, was Indiana aus Stans Arbeitszimmer mitgebracht hatte, war vollkommen nutzlos. Notizen, die sich mit seiner Arbeit befaßten. Entwürfe für Vorlesungen, Querverweise auf Literatur, ganze Blätter mit völlig unverständlichen Kürzeln, die in Cordas privater Schnellschrift abgefaßt waren und die auch Marian nicht lesen konnte. Aber hier und da glaubte Indiana auch eine Spur zu sehen. Er konnte sie nicht greifen. Es waren nur Andeutungen, ein angefangener Satz, ein Wort hier, ein Begriff da, Längen- und Breitenangaben, die aber verschlüsselt zu sein schienen, denn sie ergaben nicht den mindesten Sinn, als Indiana sie auf einer Karte nachzuvollziehen versuchte — aber er hatte plötzlich das Gefühl, der Lösung sehr nahe zu sein. Was immer Stanley da auf Dutzenden von eng bekritzelten Blättern entworfen hatte, ergab einen Sinn. Nur schien er ihm jedesmal zu entschlüpfen, wenn er die Hand danach ausstrecken wollte. Aber das änderte nichts daran, daß es ihn gab.
Es begann bereits zu dämmern, als Marcus und er vorläufig aufgaben. Indianas Kopf schwirrte von all den scheinbar sinnlosen Informationen, die er aufgenommen und aus denen er versucht hatte, ein Muster zu sortieren, und seine Augen brannten, denn Stanleys Handschrift war nicht nur nahezu unleserlich, sondern auch so winzig, daß er das Alte Testament damit bequem auf drei Seiten hätte packen können. Erschöpft lehnte sich Indiana zurück und griff nach der Tasse mit längst kalt gewordenem Kaffee, den Marian vor zwei oder drei Stunden zubereitet hatte. Sein Wohnzimmer unterschied sich mittlerweile kaum noch von dem der Cordas — auf dem Tisch, der Couch, den Stühlen, dem Kaminsims und dem Boden stapelten sich Bücher und Papiere, und die Luft war zum Schneiden dick vom Qualm der Pfeife, die Marcus rauchte. Auch er sah müde aus; seine Augen waren rot und hatten dunkle Ringe, und der Ausdruck auf seinem Gesicht schwankte zwischen irritiert und erschrocken. Offensichtlich erging es ihm genau wie Indiana. Sie beide spürten, daß sich in diesem scheinbar sinnlosen Durcheinander etwas verbarg, etwas Großes und Bedeutendes.
«Stanley muß doch irgend etwas gesagt haben«, murmelte Indiana müde und wahrscheinlich zum zweihundertsten Mal im Verlaufe des Nachmittags. Und zum genausovielten Male antwortete Marian nicht darauf.
«Er hat sich ziemlich verändert in den letzten Wochen«, sagte Marcus, während er sich zurücklehnte und schon wieder Tabak in seine gerade erst erloschene Pfeife stopfte. Indiana sah ihn fragend an.»Du kannst ihn nicht besonders gut leiden, ich weiß«, sagte Marcus.»Deshalb hast du wahrscheinlich auch nicht so sehr auf ihn geachtet. Ich schon.«
«Und?«
Marcus zuckte mit den Achseln.»Nichts — und«, sagte er.»Er war schon immer ziemlich verschlossen, aber in den letzten Wochen hat er kaum noch mit jemandem geredet. Einige seiner Studenten haben sich schon über ihn beschwert, weil er so unhöflich war und praktisch keine Fragen mehr beantwortet hat, die nicht während der Vorlesung gestellt wurden.«
Indiana sah Marian fragend an, aber sie wich seinem Blick aus und starrte in die flackernden Flammen des Kaminfeuers.
«Machen wir Schluß für heute«, schlug Marcus seufzend vor.»Ich schlage vor, ich fahre noch einmal an eurem Haus vorbei und sehe dort nach dem Rechten.«
«Kommt nicht in Frage«, antwortete Indiana an Marians Stelle.»Es könnte sein, daß du dort auf jemand anderen als Stanley triffst.«
Marcus nahm die Pfeife aus dem Mund und fuhr sich müde mit Daumen und Zeigefinger über die Augen.»Ich habe nicht vor, hineinzugehen«, sagte er.»Niemand wird Verdacht schöpfen, wenn ich daran vorbeifahre. Schließlich kennen die Burschen mich nicht. «Er zögerte einen Moment, wandte sich dann an Marian und fügte hinzu:»Sie sollten doch die Polizei rufen, meine Liebe. Ich weiß zwar immer noch nicht, was hier vorgeht, aber mit den Burschen ist offensichtlich nicht zu spaßen.«
Marian schüttelte nur den Kopf.»Lassen Sie mich wenigstens noch bis morgen damit warten. Es … gibt vielleicht noch eine Spur.«
Indiana war das unmerkliche Stocken in ihren Worten sehr wohl aufgefallen. Fragend und schon wieder ein bißchen alarmiert sah er Marian an.»Welche Spur?«
Wieder wich sie seinem Blick aus.»Morgen«, sagte sie. Sie stand auf.»Mr. Brody hat recht, Indiana. Es war ein anstrengender Tag, für uns alle. Ich werde jetzt gehen — «
«Unsinn!«unterbrach sie Indiana.»Du gehst nirgendwohin! Die Burschen werden wiederkommen.«
«Ich will dich nicht in Gefahr bringen.«
«Das tust du nicht«, antwortete Indiana mit einer Überzeugung in der Stimme, die ihm selbst etwas künstlich vorkam. Trotzdem fügte er hinzu:»Du bist hier in Sicherheit. Und ich auch. Wenn sie wüßten, wer ich bin und wo ich wohne, wären sie längst hier aufgetaucht.«
Marian widersprach nicht mehr, aber sie sah ihn sehr zweifelnd an, und Indiana hatte plötzlich das ungute Gefühl, daß es alles andere als eine ruhige Nacht werden würde.
Er sollte recht behalten.
Am nächsten Morgen erschien Dr. Henry Jones jun. zum ersten Mal in seiner Zeit an der Universität unpünktlich zu einer Vorlesung. Seine Studenten empfingen ihn mit einem schadenfrohen Applaus, als er, unordentlich gekleidet und mit wirrem Haar, in den Hörsaal stolperte, und wie es die Art von Studenten im zweiten Semester ist, taten sie ihr Bestes, um ihm während der Vorlesung das Leben schwerzumachen.
Nicht, daß das noch nötig gewesen wäre. Indiana hatte sehr schlecht geschlafen. Nach einem halbherzigen Versuch, das Chaos in seinem Wohnzimmer wieder zu beseitigen, waren Marian und er früh zu Bett gegangen, aber keiner von ihnen hatte mehr als eine oder zwei Stunden Schlaf gefunden in dieser Nacht. Indiana war bei jedem noch so winzigen Geräusch hochgeschreckt, und ein paarmal hatte er gehört, wie auch Ma-rian sich im Zimmer nebenan unruhig im Bett hin- und herwälzte. Zweimal war er aufgestanden und zum Fenster gegangen, als er draußen auf der Straße Geräusche hörte, aber es waren nur harmlose nächtliche Spaziergänger gewesen, die sich unterhielten.
Er verstand selbst nicht, warum er so nervös war. Gefahr — auch Lebensgefahr! — gehörte zu dem Leben, das er führte, wenn er nicht als Dozent an der Universität tätig war. Es war weiß Gott nicht das erste Mal, daß er sich mit seinen Fäusten hatte zur Wehr setzen müssen, und auch nicht das erste Mal, daß jemand versucht hatte, ihn umzubringen. Und trotzdem gab es einen Unterschied: Bisher war stets er es gewesen, der diese friedliche Welt verließ und sich in die weit weniger friedliche, aber sehr viel aufregendere draußen stürzte. Er hatte die Gefahr gesucht, nicht sie ihn. Diesmal war es umgekehrt. Etwas war in sein so übersichtlich geordnetes Zuhause eingebrochen, und plötzlich war nicht mehr er es, der die Initiative übernahm, sondern andere; Menschen, von denen er nicht wußte, wer sie waren, geschweige denn, warum sie taten, was sie taten. Das Gefühl, nicht zu agieren, sondern nur noch zu reagieren, machte ihn nervös.
Er war sehr froh, als die Vorlesung zu Ende war und er den Hörsaal verlassen konnte. Aber seine Erleichterung war möglicherweise ein wenig voreilig.
Der Tag ging so weiter, wie er begonnen hatte — er hatte den Hörsaal gerade verlassen, als er jemand seinen Namen rufen hörte und stehenblieb. Durch den Strom der sich lärmend zum Ausgang wälzenden Studenten versuchte sich seine Sekretärin zu ihm durchzuarbeiten. Indiana sah ihr mit gemischten Gefühlen einige Sekunden lang zu — irgend etwas sagte ihm, daß sie keine guten Neuigkeiten brachte, und außerdem hatte er jetzt wahrlich Besseres zu tun, als sich mit irgendwelchem Verwaltungskram herumzuschlagen —, fügte sich dann aber in sein Schicksal und ging ihr entgegen.
«Gut, daß ich Sie noch treffe, Dr. Jones«, begann sie atemlos.»Mr. Grisswald sucht sie.«
Indiana verdrehte die Augen.»Sagen Sie ihm, ich wäre nicht da«, antwortete er und machte Anstalten, sich schon wieder herumzudrehen und weiterzugehen.»Erzählen Sie ihm, ich wäre zum Südpol abgereist, um Pinguine zu zählen.«
«Ich glaube, Sie sollten besser zu ihm gehen, Dr. Jones. Er sah sehr zornig aus.«
Indiana blieb abermals stehen. Daß Grisswald zornig aussah, war nichts Besonderes. Aber etwas in der Stimme seiner Sekretärin sagte ihm, daß es mehr als der übliche Kleinkrieg zwischen ihnen war. So entschied er sich nach einigen Augenblik-ken, wenn auch widerwillig, das einzig Vernünftige zu tun und den unangenehmen Teil dieses Tages so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.
Ohne anzuklopfen, betrat er Grisswalds Vorzimmer. Seine Sekretärin fuhr von ihrer Schreibmaschine hoch und betrachtete ihn eindeutig erschrocken und mit einem Blick, als hätte sie gerade in der Zeitung gelesen, daß er in seiner Freizeit kleine Mädchen vergewaltige, sagte aber kein Wort, sondern deutete nur mit einer Kopfbewegung auf die geschlossene Doppeltür zu Grisswalds Refugium. Indiana warf seine Aktentasche auf ihren Schreibtisch, fuhr sich noch einmal glättend über den Anzug, zog seinen Krawattenknoten zu und öffnete die Tür.
Eine halbe Sekunde später wünschte er sich, es nicht getan zu haben, sondern statt dessen tatsächlich zum Südpol abgereist zu sein.
Grisswald saß wie der Gestalt gewordene Zorn Gottes hinter seinem Schreibtisch und musterte ihn mit Blicken, die so eisig waren, daß er leicht den Pazifischen Ozean damit hätte einfrieren können.
Er war nicht allein. Hinter ihm standen Pat und Patachon. Der kleinere der beiden hatte die Arme vor der Brust verschränkt und die Beine leicht gespreizt; er stand da wie ein Catcher, der einen hoffnungslos unterlegenen Gegner mustert und überlegt, auf welche Weise er ihm wohl am besten Arme und Beine verknoten kann. Der größere der beiden hatte sich nicht ganz so gut in der Gewalt — seine Hände zitterten leicht, und in seinen Augen blitzte eine nur noch mühsam unterdrückte Wut. In Anbetracht dessen, was mit seinem Gesicht passiert war, konnte Indiana das sogar verstehen. Es war auch gestern schon nicht besonders hübsch gewesen, aber die Rutschpartie an der Mauer herab hatte ihm im wahrsten Sinne des Wortes den letzten Schliff verliehen. Es erinnerte an das eines uralten Indianers mit dem fürchterlichsten Sonnenbrand, den man sich nur vorstellen kann.
«Dr. Jones«, begann Grisswald.»Wie schön, daß Sie uns auch einmal mit Ihrer Anwesenheit beehren. «Er machte eine herrische Handbewegung.»Schließen Sie die Tür.«
Indiana gehorchte. Seine Gedanken überschlugen sich, während er langsam auf Grisswalds Schreibtisch zutrat und dabei abwechselnd ihn und die beiden Ganoven musterte. Er hatte plötzlich ein sehr ungutes Gefühl. Etwas war hier nicht so, wie es sein sollte. Besser gesagt, nicht so, wie er geglaubt hatte, daß es war.
«Was geht hier vor?«fragte er knapp.
Grisswalds Gesicht verdüsterte sich noch weiter.»Halten Sie den Mund, Jones«, sagte er.»Ich wußte immer, daß ich eines Tages Ärger Ihretwegen bekommen würde. Aber ich hätte mir nicht einmal träumen lassen, wie groß dieser Ärger ist. «Er deutete mit einer abgehackten Kopfbewegung auf die beiden Gestalten hinter sich.»Wie ich höre, haben Sie sich ja bereits kennengelernt. Meine Herren, darf ich vorstellen: Das ist Dr. Indiana Jones. «Er machte eine Handbewegung auf Indiana, dann nur eine angedeutete Geste auf die beiden Kerle hinter sich.»Dr. Jones — das sind Mr. Henley und Mr. Reuben. Die beiden Herren möchten Ihnen einige Fragen stellen. Und ich bete um Ihretwillen, daß Sie ein paar verdammt gute Antworten darauf wissen.«
«Vielleicht erklären Sie mir erst einmal, was hier überhaupt vorgeht!«sagte Indiana, absichtlich in den gleichen ruppigen Ton verfallend wie Grisswald. Er beugte sich vor, stützte die Fäuste auf die Tischplatte und funkelte den Dekan von oben herab an.»Ich kenne diese beiden Typen in der Tat. Ich konnte Marian Corda gestern gerade noch — «
Er sprach nicht weiter. Der größere der beiden — Reuben — hatte in der gleichen Geste wie gestern unter sein Jackett gegriffen, aber er zog keine Waffe darunter hervor, sondern ein schmales Kunstlederetui, das er nun mit einer gekonnten Bewegung unmittelbar unter Indianas Gesicht aufklappte.
Indiana starrte völlig perplex sekundenlang auf den Ausweis, den es enthielt.»FBI?«stotterte er schließlich.
Reuben ließ das Etui mit einer sichtlich triumphierenden Geste wieder in seiner Jacke verschwinden und nickte.»Special Agent Reuben«, sagte er und deutete auf seinen Begleiter.»Das ist Special Agent Henley.«
«Oh«, sagte Indiana betroffen.
Reuben wirkte nicht betroffen, sondern nur wütend.»Sie haben uns eine Menge Schwierigkeiten bereitet, Dr. Jones«, sagte er.»Bedanken Sie sich bei Mr. Grisswald, daß wir Sie nicht von der Stelle weg verhaftet und für die nächsten zwanzig Jahre eingesperrt haben.«
«Aber — «begann Indiana, wurde aber sofort wieder von Reuben unterbrochen.
«Widerstand gegen die Staatsgewalt, Dr. Jones. Behinderung eines FBI-Agenten im Dienst. Tätlicher Angriff auf einen Staatsbeamten. Ich könnte noch mehr aufzählen, aber das allein reicht schon für fünfzehn Jahre.«
«Woher, zum Teufel, sollte ich wissen, wer Sie sind?«begehrte Indiana auf.»Sie hätten sich ausweisen können!«
«Das haben wir versucht«, sagte Henley.
«Aber Sie haben uns ja sofort angegriffen«, fügte Reuben hinzu,»heimtückisch und vollkommen warnungslos.«
Indiana hatte die Szene etwas anders in Erinnerung, aber er wußte sehr wohl, wie wenig es ihm jetzt nutzen würde, sich mit diesen beiden Männern zu streiten. Er sagte nichts mehr, sondern musterte Grisswald und Pat und Patachon nur abwechselnd mit finsteren Blicken.
«Wo ist Mrs. Corda, Jones?«fragte Grisswald.
«Woher soll ich das wissen?«gab Indiana ruppig zurück.
Reuben machte eine zornige Handbewegung.»Spielen Sie nicht den Narren, Jones. Nachdem Sie uns beide überfallen haben, ist sie zusammen mit Ihnen verschwunden. Seither hat sie niemand mehr gesehen.«
«Waren Sie bei ihr zu Hause?«erkundigte sich Indiana lächelnd.
Reubens Gesicht wurde noch röter, als es ohnehin schon war. Er sah aus, als würde er jeden Moment explodieren, und Indiana trat vorsichtshalber einen halben Schritt vom Schreibtisch zurück.»Das ist die zweite Frage auf unserer Liste, Dr. Jones«, knurrte er.»Das Haus wurde vom Dachboden bis zum Keller auseinandergenommen. Sie wissen nicht zufällig, von wem — und warum?«
«Nein«, antwortete Indiana ruhig.»Und ich denke, es ist besser, wenn ich jetzt gar nichts mehr sage. «Er wandte sich an Grisswald.»Gestatten Sie, daß ich Ihr Telefon benutze?«
«Wozu?«fragte Grisswald.
«Um meinen Anwalt anzurufen«, antwortete Indiana ruhig.
Reuben wollte abermals auffahren, aber Indiana bekam plötzlich Schützenhilfe von einer Seite, von der er sie am allerwenigsten erwartet hatte. Grisswald hob beruhigend die Hand und sagte:»Ich bitte Sie, Dr. Jones, das ist doch nicht nötig. Sie stehen hier nicht unter irgendeiner Anklage. Die beiden Herren wollen lediglich ein paar Informationen von Ihnen. «Er drehte sich im Stuhl herum und sah zu Reuben hoch.»Bei allen Meinungsverschiedenheiten, die zwischen Dr. Jones und mir herrschen, Mr. Reuben«, sagte er,»lege ich doch für seine Integrität meine Hand ins Feuer.«
«Verbrennen Sie sich nicht«, murmelte Reuben, aber Griss-wald fuhr unbeeindruckt fort:»Dr. Jones neigt vielleicht dazu, manche Dinge etwas unkonventionell anzugehen. Aber er würde niemals ein Gesetz übertreten.«
Er drehte sich wieder herum und wandte sich direkt an Indiana.»Es geht hier nicht um Sie, Jones. Es geht um Professor Corda. Er ist seit gestern morgen verschwunden. Nach seiner letzten Vorlesung hat ihn niemand mehr gesehen. Die beiden Herren wollten seiner Frau lediglich ein paar Fragen stellen, als Sie dazugekommen sind.«
«Für mich sah das anders aus«, murmelte Indiana, aber Grisswald ignorierte seinen Einwand einfach.
«Sie erinnern sich gewiß an das Amulett, das ich Ihnen gestern gezeigt habe?«fragte er und zog gleichzeitig eine Schublade in seinem Schreibtisch auf. Indiana nickte, und Grisswald zog den winzigen Goldkäfer hervor und stellte ihn mit spitzen Fingern vor sich auf die Tischplatte.»Bitte, denken Sie noch einmal in Ruhe nach, Jones«, sagte er.»Es ist wichtig. Möglicherweise nicht nur für Professor Corda, sondern auch für einige andere Leute — und auch für seine Frau; an der Ihnen ja eine Menge zu liegen scheint.«
Indiana überging die Spitze geflissentlich, bedachte den kleinen Goldkäfer aber nur mit einem flüchtigen Blick und schüttelte dann den Kopf.»Nein«, sagte er.»Aber worum geht es hier eigentlich?«
Wieder wollte Reuben auffahren, und wieder unterbrach ihn Grisswald mit einer raschen Geste.»In wenigen Worten erklärt, darum: In den letzten Wochen ist eine Anzahl solcher und ähnlicher Kunstgegenstände hier in der Stadt aufgetaucht. Jemand hat dieses Zeug in erstaunlicher Menge verkauft; zu überaus günstigen Preisen und so geschickt, daß er seine Identität bisher erfolgreich geheimhalten konnte.«
«Das haben Sie mir gestern schon gesagt«, sagte Indiana.»Aber ich verstehe nicht, was das FBI damit zu tun hat? Ich meine, selbst wenn es sich um gestohlene Kunstgegenstände handelt — «
«Das tut nichts zur Sache«, mischte sich Henley ein.»Wir wissen seit gestern morgen, daß diese Kunstgegenstände von Professor Corda stammen. Die Frage ist, wo er sie herhat.«
Jones tauschte einen raschen Blick mit Grisswald, den die beiden FBI-Agenten zwar bemerkten, aber wohl nicht deuten konnten. Natürlich waren die Gerüchte um Cordas etwas zwiespältiges Verhältnis zu seiner Berufsehre und gewissen Eigentumsauffassungen auch bis zu Grisswald durchgedrungen. Aber Indiana war der einzige, der wußte, woher Cordas Wohlstand stammte. Vermutlich wußte es Grisswald spätestens seit diesem Morgen auch. Aber sein Blick machte Indiana klar, daß er den beiden FBI-Männern gegenüber davon noch nichts erwähnt hatte, und so zog es auch Indiana vor, es weiter für sich zu behalten.»Ich weiß es nicht«, sagte er.
«Seltsam«, sagte Henley nachdenklich und mit einem Lächeln, das abstoßend unecht war.»Aber irgendwie glaube ich Ihnen nicht, Dr. Jones.«
Indiana zuckte nur mit den Achseln.
«Wo ist Mrs. Corda?«fragte Reuben.»Sie handeln sich eine Menge Ärger ein, wenn Sie uns nicht helfen, Jones.«
«Ich weiß es nicht«, sagte Indiana — was zumindest im Augenblick sogar der Wahrheit entsprach. Er hatte Marian zwar in seinem Haus zurückgelassen, aber er war davon überzeugt, daß sie nicht mehr dort war.
Henley blickte ihn an, als könne er seine Gedanken auf seiner Stirn ablesen. Aber zu Indianas Überraschung sagte er nichts mehr, sondern schüttelte nur noch den Kopf und seufzte hörbar.
«So kommen wir nicht weiter«, sagte Reuben.»Was gestern passiert ist, war sicherlich nur die Folge eines Mißverständnisses. Ich bin bereit, darüber hinwegzusehen und es zu vergessen — wenn Sie mit uns zusammenarbeiten. Es ist auch in Mrs. Cordas Interesse.«
«Wieso?«
«Weil wir glauben, daß sie sich in Gefahr befindet«, sagte Henley.»Ebenso wie ihr Mann.«
Er deutete mit einer flatternden Handbewegung auf den goldenen Käfer auf der Tischplatte.»Wir müssen wissen, wo diese Dinge herkommen, Dr. Jones. Verstehen Sie mich richtig — es interessiert mich nicht, ob Ihr Kollege das Grab eines Pharaos ausgeräubert hat oder nicht. Es ist uns völlig egal, wie er in den Besitz dieser Schmuckstücke gekommen ist.«
«Ich fürchte, jetzt verstehe ich gar nichts mehr«, sagte Indiana. Und in diesem Moment war es die Wahrheit.»Zuerst wollen Sie wissen, wo das Zeug herkommt, und dann — «
«Es ist gefährlich, Jones«, unterbrach ihn Grisswald. Reuben sah ihn fast erschrocken an, aber Grisswald deutete ein Kopfschütteln zur Antwort an und fuhr fort:»Irgend etwas stimmt mit diesen Dingern nicht. Einige der Leute, denen Corda sie verkauft hat, sind krank geworden. Es hat bereits zwei Tote gegeben.«
«Wie bitte?«fragte Indiana erschrocken.
Grisswald nickte und rückte instinktiv ein kleines Stück von dem kleinen Goldkäfer vor sich fort.»Ich weiß, es hört sich albern an«, sagte er mit einem unsicheren Lächeln,»aber es sieht so aus, als verfüge Professor Corda seit einiger Zeit über einen nahezu unbegrenzten Goldschatz. Ich will jetzt gar nicht darüber reden, ob er ihm gehört oder nicht. Aber etwas ist mit diesem Gold nicht richtig. Es ist, als — «
«— als läge ein Fluch darauf«, murmelte Indiana, als Griss-wald nicht weitersprach.
Der Dekan sah ihn schweigend mit weiten Augen an. Er lächelte noch immer. Aber es wirkte gequält; es war eher eine Grimasse als ein wirkliches Lächeln.»Es klingt verrückt, ich weiß«, sagte er nach einer Weile.»Aber für verrückte Dinge sind Sie ja hier der Spezialist, nicht wahr?«
«Das reicht«, sagte Reuben grob.»Ich frage Sie zum letzten Mal, Dr. Jones. Wo ist Marian Corda?«
«Ich weiß es nicht«, antwortete Indiana.»Sie war gestern bei mir, das ist richtig. Ich habe darauf bestanden, daß sie in meinem Haus übernachtet.«
«Wieso?«fragte Henley.
«Wieso?«Indiana lachte abfällig.»Sie haben ihr Haus gesehen, nicht wahr?«
«Und Sie dachten, daß wir dafür verantwortlich wären«, fügte Henley hinzu.
Diese Einsicht überraschte Indiana nur im ersten Moment, bis er begriff, daß Henley das nur sagte, um sein Vertrauen zu gewinnen.»Ich habe mich geirrt«, gestand er mit einem Achselzucken.»Und?«
«Und Mrs. Corda hat nichts erzählt?«fragte Reuben.»Nichts von dem, was ihr Mann mitgebracht hat?«Er machte ein abfälliges Geräusch.»Sie können mir nicht erzählen, daß jemand König Midas’ Schatz gefunden hat und nicht darüber spricht.«
«Unsinn!«antwortete Indiana.»Ich — «
Etwas machte deutlich hörbar klick hinter Indianas Stirn, und er brach mitten im Wort ab und starrte Reuben aus weit aufgerissenen Augen an. Plötzlich glaubte er noch einmal, Marians Worte vom vergangenen Abend zu hören: Es ist alles wahr! Was waren die Spanier doch für Narren!
Und dann wußte er es. Die Erkenntnis blitzte so plötzlich in seinen Gedanken auf, daß er sich am liebsten selbst geohrfeigt hätte. Marcus und er hatten die Lösung die ganze Zeit in Händen gehalten. Es stand alles in Stans Papieren, so deutlich, daß man nur hinzusehen brauchte. Er verstand einfach nicht, warum er es nicht sofort gesehen hatte.
«Was haben Sie, Jones?«fragte Grisswald, dem Indianas veränderter Gesichtsausdruck ebensowenig entgangen war wie den beiden FBI-Männern.
«Nichts«, antwortete Indiana unsicher. Er versuchte zu lächeln, spürte aber selbst, daß es zur Grimasse geriet.»Mir ist nur … gerade etwas eingefallen.«
«Was?«hakte Reuben nach.
«Wahrscheinlich ist es nicht von Bedeutung«, murmelte Indiana ausweichend.
«Vielleicht überlassen Sie es uns, das zu beurteilen«, sagte Henley.
«Als ich … mit Marian gestern in ihrem Haus war«, sagte er,»da ist uns ein Mann aufgefallen.«
«Was für ein Mann? Was hat er getan? Wie sah er aus?«
«Ein Mann eben«, antwortete Indiana.»Er stand auf der anderen Straßenseite, und ich hatte das Gefühl, er beobachtet das Haus. Er war sehr groß, bestimmt an die zwei Meter, und sehr muskulös. Ein ziemlich häßlicher Kerl. Aber wie gesagt — wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten.«
Der Blick, den Henley mit seinem Kollegen tauschte, überzeugte Indiana davon, daß es sehr wohl etwas zu bedeuten hatte. Und daß den beiden der Mann, den Indiana ihnen beschrieben hatte, keineswegs fremd war.
«Ist das alles?«fragte Reuben mißtrauisch.
Indiana nickte.»Ja. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht weiterhelfen kann.«
«Es wäre aber besser für Sie, wenn Sie es könnten«, sagte Reuben. Nachdenklich tastete er mit den Fingerspitzen über sein zerschrammtes, aufgeschürftes Gesicht und fügte hinzu:»Wissen Sie, mein Gedächtnis wird schlechter, je besser Ihres wird.«
«Ich werde nachdenken«, versprach Indiana.»Falls mir noch etwas einfällt, sage ich es Ihnen.«
Er wandte sich an Grisswald.»Kann ich jetzt gehen? Ich habe noch eine Menge zu tun.«
«Sicher«, antwortete Grisswald. Indiana wollte gehen, aber Henley rief ihn noch einmal zurück.»Noch etwas, Dr. Jones.«
Indiana bewegte den Kopf, wandte sich aber nicht mehr ganz zu ihm um.»Ja?«
«Es hat nichts mit dieser Geschichte zu tun«, sagte Henley,»aber — haben Sie jemals den Begriff Manhattan-Projekt gehört?«
Indiana überlegte einen Moment und verneinte dann.»Was soll das sein?«
«Oder hat Professor Corda etwas davon erwähnt?«fuhr Henley unbeirrt fort.
Indiana verneinte abermals.»Wir sprechen nicht sehr viel miteinander«, sagte er.
Henley schien eher erleichtert als enttäuscht und machte eine Handbewegung, daß er gehen könne.
Indiana verließ mit gemessenen Schritten Grisswalds Büro, ging mit etwas weniger gemessenen Schritten durch das Vorzimmer und begann zu rennen, kaum daß er wieder draußen auf dem Flur war. Seine Kollegen und etliche Hundert Studenten warfen ihm irritierte Blicke nach, als er im Laufschritt durch die langen Korridore des Universitätsgebäudes hetzte, aber er achtete nicht darauf, sondern legte die Entfernung zu dem Museum im Westflügel in wenigen Minuten zurück und stürmte dort in Marcus Brodys winziges mit in Bücherregalen und großen Kisten und Kartons gesammelten Fundstücken bis zum Bersten vollgestopftes Büro, ohne anzuklopfen.
Marcus saß an seinem Schreibtisch und verpestete die Luft mit blauen Qualmwolken. Er sah überrascht auf, als Indiana hereingeplatzt kam, kam aber nicht einmal dazu, etwas zu sagen, denn Indiana stieß atemlos hervor:
«Marcus! Wir waren Idioten! Ich weiß jetzt, was Corda entdeckt hat!«
«Was?«fragte Marcus und nahm die Pfeife aus dem Mund.
Indiana atmete zweimal hintereinander tief ein und aus, damit sich seine rasenden Lungen wieder halbwegs beruhigen konnten, ehe er antwortete.»Ich glaube, er hat El Dorado gefunden.«
Es war alles da. Marcus und er hatten auf der Stelle die Universität verlassen und waren zu Indianas Haus zurückgerast, und sie fragten sich beide erneut und mehr als einmal, wieso es ihnen nicht schon gestern abend klargeworden war. Jetzt, wo sie wußten, wonach sie zu suchen hatten, erwiesen sich Cordas Aufzeichnungen als nahezu unerschöpfliche Quelle von Informationen. So fantastisch der Gedanke auch schien: Stanley Corda war überzeugt gewesen, das sagenhafte Goldland El Dorado entdeckt zu haben.
«Das ist unfaßbar«, murmelte Marcus immer und immer wieder.»Er hat es wirklich gefunden! Es existiert, Indiana! Und wir alle waren davon überzeugt, daß es sich nur um eine Legende handelt!«
«Die Spanier nicht«, sagte Indiana.»Sie wußten, daß es existiert. Wahrscheinlich«, fügte er nach sekundenlangem Zögern hinzu,»haben einige von ihnen es auch gefunden.«
«Aber keiner ist zurückgekommen«, sagte Marcus.
«Dann hätten sie auch nicht davon erzählen können«, korrigierte Indiana mit sanftem Tadel.»Nein, nein. Da muß noch mehr sein. «Er blickte nachdenklich auf die Blätter hinab, die er vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Sie enthielten die Antworten auf fast alle Fragen, die jemals im Zusammenhang mit dem sagenhaften Goldland gestellt worden waren. Bis auf eine Kleinigkeit — der Ort, an dem es lag.»Ich muß immer daran denken, was Grisswald gesagt hat«, fuhr er nachdenklich fort.»Ein paar von denen, denen Corda das Zeug verkauft hat, sind krank geworden. Zwei sind sogar schon gestorben.«
Marcus’ Gesicht verdüsterte sich.»Dieser Kerl ist eine Schande für uns alle«, sagte er.»Er gehört ins Gefängnis. Das muß man sich einmal vorstellen! Er findet El Dorado und hat nichts Besseres zu tun, als sich die Taschen vollzustopfen!«
«Ich fürchte, ganz so einfach ist es nicht!«murmelte Indiana.»Irgend etwas stimmt mit diesem Gold nicht.«
Marcus sah ihn eine Sekunde lang erschrocken an, dann versuchte er zu lachen, aber es gelang ihm nicht ganz.»Gleich wirst du auch noch erzählen, daß ein Fluch auf diesem Gold liegt.«
Indiana nickte ernst.»Ganz genau das hatte ich vor.«
«So etwas wie einen todbringenden Fluch gibt es nicht«, behauptete Marcus — obwohl er es eigentlich besser wissen mußte.
Trotzdem nickte Indiana.»Wahrscheinlich hast du recht«, sagte er.»Aber vielleicht gibt es etwas, das in der Wirkung auf dasselbe hinausläuft. «Er fuhr sich nachdenklich mit dem Zeigefinger am Kinn entlang.»Ich frage mich nur, was dieser FBIMann gemeint hat, als er vom Manhattan-Projekt sprach.«
Er sah Marcus dabei nicht an, aber er bemerkte sogar aus den Augenwinkeln, wie Brody zusammenfuhr.»Was hast du?«fragte er.
«Nichts«, antwortete Marcus, viel zu hastig, um überzeugend zu wirken.
«Du weißt, was das ist«, stellte Indiana fest.
Marcus druckste eine Weile herum. Schließlich nickte er.»Es gibt Gerüchte«, sagte er.»Ich habe davon gehört, ja. Aber ich dürfte es gar nicht wissen. Und ich dürfte es dir schon gar nicht erzählen.«
«Dann tu es auch nicht«, riet ihm Indiana.»Erzähl es dem Kamin oder der Standuhr. Ich verspreche dir, nicht hinzuhören.«
Marcus zog eine Grimasse, griff in die Jackentasche und förderte Tabaksbeutel und Pfeife zutage.»Wie gesagt«, begann er, während er sich mit kleinen, fahrigen Bewegungen seine Pfeife zu stopfen begann,»es sind nur Gerüchte. Aber angeblich sind sie dabei, oben in Nevada eine neue Waffe zu konstruieren.«
«Und?«fragte Indiana verwundert.
«Eine Kernspaltungswaffe«, sagte Marcus mit besonderer Betonung.
Jetzt war es Indiana, der erschrocken zusammenfuhr und seinen Freund ungläubig anstarrte.»Wie bitte?«
Brody setzte seine Pfeife in Brand und nahm einen tiefen Zug. Er hustete ein paarmal, ehe er antwortete.»Eine Atombombe, ja. Washington fürchtet schon seit einer Weile, daß die Deutschen dabei sind, eine solche Waffe zu konstruieren. Sie setzen alles in Bewegung, um ihnen zuvorzukommen. Sie basteln seit einem Jahr an diesem Ding herum. Der Codename für das Projekt ist — «
«Manhattan«, murmelte Indiana.
Brody nickte und zog abermals nervös an seiner Pfeife, so daß der Tabak in ihrem Kopf hellrot aufglühte.
«Aber was hat das mit Stanley und El Dorado zu tun?«fragte Indiana verwirrt.
Brody hob die Schultern.»Keine Ahnung«, sagte er.
Bevor Indiana weiterreden konnte, klopfte es an der Tür. Er stand auf, bedeutete Marcus mit Gesten, die Papiere verschwinden zu lassen, und ging langsam weiter zur Tür. Das Klopfen wiederholte sich, kurz bevor er sie erreicht hatte, und diesmal klang es rasch und nervös. Trotzdem legte Indiana die Kette vor und trat einen halben Schritt zur Seite, ehe er die Klinke herunterdrückte.
Draußen vor dem Haus stand Marian, und als Indiana den gehetzten Ausdruck auf ihrem Gesicht sah, hatte er es plötzlich sehr eilig, die Kette wieder zu entfernen und die Tür aufzureißen.
Mit einem raschen Griff zog er Marian zu sich herein und sah sich blitzschnell auf der Straße um, ehe er die Tür wieder zudrückte.
«Marian! Wo bist du gewesen? Hast du Stan gefunden?«
Sie schüttelte den Kopf und blickte instinktiv auf die geschlossene Tür hinter sich, so daß Indiana sofort hinzufügte:»Verfolgt dich jemand?«
«Ich bin nicht sicher«, antwortete sie zögernd. Indiana bugsierte Marian mit sanfter Gewalt zur Couch und gab Marcus einen Wink:»Erzähl es ihr«, sagte er.»Alles. «Dann eilte er zur Tür zurück, trat an das schmale Fenster daneben und zog die Gardine einen Spaltbreit zur Seite.
Im ersten Moment sah er nichts, die Straße lag so ruhig und friedlich vor ihm, wie er sie seit Jahren kannte, und nur dann und wann kam ein Fußgänger oder ein einzelnes Auto vorbei. Indiana blieb sicherlich fünf Minuten am Fenster stehen, während Marcus und Marian sich mit gedämpften Stimmen hinter ihm unterhielten, und er wollte schon aufgeben und sich zu ihnen gesellen, als das gleiche einsame Automobil zum dritten Mal zufällig die Straße hinabfuhr. Indiana erhaschte einen flüchtigen Blick auf die beiden Männer in der Fahrerkabine, nicht schnell genug, um sie zu identifizieren, aber immerhin sah er, wer sie nicht waren, nämlich Reuben und Henley, die beiden FBI-Männer. Er blickte dem Wagen nach, bis er aus seinem Gesichtskreis verschwunden war, dann ließ er die Gardine zurückgleiten und ging zu Marian und Brody zurück.
«Du hattest recht«, sagte er, an Marian gewandt.»Jemand verfolgt dich.«
Marian erschrak sichtbar, und Indiana hob beruhigend die Hand.»Ich glaube nicht, daß sie hierher kommen«, sagte er.»Wenn sie das wollten, hätten sie es längst getan. Offenbar beschatten sie dich nur. Nicht besonders geschickt.«
«Das FBI?«fragte Brody.
Indiana verneinte.»Nein. Die beiden sind zwar nicht gerade helle, aber so blöd nun auch wieder nicht. Das da draußen sind Amateure. Ich fürchte, wir haben es nicht nur mit ihnen zu tun.«
«Das müssen die Burschen sein, die euch beide gestern in Stanleys Haus überfallen haben«, vermutete Brody.
Indiana sah Marian fragend an, aber wieder blickte sie nur weg.»Bitte denk genau nach, Marian«, sagte er eindringlich.»Du mußt dich doch an irgend etwas erinnern. Du hast erzählt, Stan hätte sich manchmal mit seltsamen Leuten getroffen. Hat er nie einen Namen genannt? Oder eine Adresse, einen Treffpunkt … irgend etwas?«
Marian schüttelte schon fast automatisch den Kopf, stockte aber dann und überlegte einen Moment.»Einen Namen nicht«, sagte sie schließlich.»Aber einmal rief jemand an. Stan war im Bad und hatte vergessen, die Tür seines Arbeitszimmers abzuschließen. Er ist ziemlich wütend geworden, daß ich überhaupt ans Telefon gegangen bin.«
«Wer hat angerufen?«hakte Indiana nach.
«Ich erinnere mich nicht genau«, sagte Marian unglücklich.»Ein Mr. Rogers oder Rudgers oder so ähnlich …«Sie zuckte mit den Schultern und sah Indiana fast verlegen an.»Aber er war Antiquitätenhändler, soviel weiß ich noch.«
«Antiquitätenhändler?«Indiana runzelte zweifelnd die Stirn. Er kannte jeden Antiquitätenhändler in der Stadt; sowohl die offiziellen als auch die, die ihre Geschäfte nicht mit dem gleichen Maß an Legalität betrieben, vorsichtig ausgedrückt. Diese sogar ganz besonders gut. Aber einen Namen wie den, den Ma-rian gerade genannt hatte, hatte er noch nie gehört.
«Bist du sicher?«
«Ja«, antwortete Marian.»Ich erinnere mich jetzt sogar an die Adresse. Kensington Drive 194.«
Indiana tauschte einen überraschten Blick mit Marcus. Es wunderte ihn allerdings nicht so sehr, daß Marian sich so genau an die Adresse des Antiquitätenhändlers erinnern konnte — trotz seines vornehmen Namens war der Kensington Drive die mit Abstand berüchtigtste Straße der Stadt; eine jener Straßen, die man selbst bei hellem Tageslicht besser mied, wenn man nicht entweder lebensmüde oder Mitglied einer der zahllosen Straßengangs war, die das Viertel beherrschten.
«Bist du sicher?«vergewisserte er sich.
Marian nickte.»Ich habe Stan noch gefragt, was er in dieser Gegend verloren hat, aber er hat nicht geantwortet.«
Indiana stand auf.»Nun, dann werden wir am besten diesen Mr. Rogers fragen, wie immer er genau heißen mag.«
Marcus wurde ein bißchen blaß und nahm die Pfeife aus dem Mund.»Du willst doch nicht etwa dort hingehen?«
«Nicht unbedingt«, antwortete Indiana.»Wenn du mir den Weg abnehmen willst …«
Marcus’ Gesicht verlor noch mehr an Farbe.»Das ist nicht ungefährlich«, sagte er nervös.
«Ich weiß. Aber Gefahr ist mein zweiter Vorname.«»Und Leichtsinn dein dritter«, fügte Marcus düster hinzu.»Du bist verrückt.«»Wem sagst du das?«seufzte Indiana.
Bei Tageslicht wirkte der Kensington Drive vielleicht noch unheimlicher als bei Nacht. Das lag zum einen natürlich daran, daß Indiana nach Dunkelwerden hier tatsächlich noch nie gewesen war, mit Ausnahme einer einzigen Gelegenheit, bei der er sehr schnell mit dem Wagen das Viertel durchquert und dabei gebetet hatte, nur ja keine Reifenpanne zu haben oder auf andere Weise aufgehalten zu werden. Aber es lag auch daran, daß das helle Sonnenlicht gnadenlos die ganze Schäbigkeit des Viertels enthüllte. Dabei handelte es sich nicht einmal um das ärmste Viertel der Stadt. Aber die Häuser rechts und links des Kensington Drive waren eben auf eine ganz bestimmte Weise heruntergekommen: dicke puertoricanische Frauen lehnten auf Kissen in weitgeöffneten Fenstern und beobachteten den spärlichen Verkehr, Farbige in Leinenhosen und weißen Unterhemden standen in Hauseingängen und beäugten den Eindringling mißtrauisch, schmuddelige Kinder spielten lärmend auf der Straße oder rannten dem Wagen einige Schritte hinterher, zwielichtige Gestalten, die ihre vernarbten Gesichter hinter Bärten verbargen, spannten sich beim Anblick des altersschwachen Fords und verschwanden blitzschnell in Türen, ehe sie noch erkennen konnten, daß der Mann mit dem speckigen Filzhut vielleicht nicht ihresgleichen, aber auch ganz gewiß kein Polizist war. Vor einigen Häusern standen auch Automobile, protzig und chromblitzend und wahrscheinlich teurer als die Gebäude, vor denen sie abgestellt waren, und es gab eine ganze Anzahl von Spelunken und Spielhöllen und kleineren Läden, deren Auslagen etwas vortäuschten, was in den Geschäften dahinter ganz und gar nicht gehandelt wurde. Indiana fuhr langsamer, als er sich dem Haus mit der Nummer 194 näherte. Er war nervös, und er war sich der Tatsache bewußt, daß man ihm seine Nervosität ansehen konnte, obwohl er sich alle Mühe gab, äußerlich gelassen zu erscheinen. Und das war nicht gut; nicht in einer Gegend wie dieser. Indiana Jones hatte genug Erfahrung im Umgang mit zwielichtigen Subjekten und Verbrechern, um zu wissen, daß sie und deutsche Schäferhunde eine Gemeinsamkeit haben: Beide spüren, wenn man Angst vor ihnen hat. Und beide macht diese Furcht aggressiv und reizt sie zum Angriff.
Aber er hatte sich gut vorbereitet; so gut eben, wie man sich auf etwas vorbereiten kann, von dem man nicht einmal genau weiß, was es ist. In seiner rechten Jackentasche trug er einen zweischüssigen Damenrevolver, der zwar nur auf kurze Distanz wirksam war, dafür aber den Vorteil hatte, daß man ihn in der geschlossenen Hand verbergen konnte, und auf dem Beifahrersitz des Fords lag die zusammengerollte Löwenpeitsche, die er nun schon so lange hatte und die ihm mehr als einmal gute Dienste erwiesen hatte. Er hatte Marcus eingeschärft, die Straße im Auge zu behalten und sofort die Polizei anzurufen, falls sich dort irgend etwas Verdächtiges tat. Und dasselbe zu tun, wenn er nach Ablauf von zwei Stunden nicht zurück war oder sich auf anderem Wege bei ihnen meldete. Schließlich erreichte er das Haus, lenkte den Wagen an den Straßenrand und stellte den Motor ab. Sorgsam befestigte er die Peitsche an seinem Gürtel, verbarg sie unter der Jacke, so gut es ging, und stieg aus. Ganz automatisch wollte er die Tür verriegeln, zog den Schlüssel dann aber wieder aus dem Schloß, ohne ihn herumgedreht zu haben. Etwas so Simples wie das Türschloß eines Fords würde niemanden in dieser Gegend länger als zehn Sekunden aufhalten; und wenn sie sich schon an seinem Wagen zu schaffen machten, dann sollten sie wenigstens nicht die Scheiben einschlagen.
Als er die Straße überquerte, spürte er die vielen Blicke, die ihm folgten. Niemand sprach ihn an oder hielt ihn auf, aber direkt neben der Tür des schäbigen Ladens, den er ansteuerte, standen zwei furchteinflößend aussehende Gestalten, deren Blicke ihn regelrecht durchleuchteten und die ihn — und vor allem den Inhalt seiner Taschen — binnen Sekunden bis auf den letzten Heller taxierten. Das Ergebnis, zu dem sie kamen, schien sie nicht zu befriedigen, denn sie ließen ihn unbehelligt passieren, wandten sich dafür aber seinem Wagen zu und musterten nun diesen. Aber Indiana glaubte nicht, daß sie sich daran vergreifen würden. Der Wagen war so alt, daß er fast nur noch von Rost und den Gebeten seines Besitzers zusammengehalten wurde, und man sah ihm das deutlich an.
Vor der Tür des Ladens blieb er stehen und musterte einen Moment lang die Auslagen. Sehr viel gab es nicht zu sehen — hinter der blind gewordenen Scheibe prangte ein gewaltiges Scherengitter, das nichts anderes als ein vierteiliges Teeservice aus imitiertem Gold, bei dem das Sahnekännchen fehlte, und eine Handvoll falschen Schmuck beschützte. Indiana streckte die Hand nach der Klinke aus und betrat unter dem Bimmeln einer kleinen Glocke, die über der Tür angebracht war, den Laden.
Drinnen war es überraschend kalt und so dunkel, daß Indiana im ersten Moment überhaupt nichts sah außer Schatten. In der Luft hing ein Gemisch aus Moder und Desinfektionsgeruch. Der Laden war winzig. Und als sich Indianas Augen nach einigen Momenten an die Dämmerung gewöhnt hatten und er sah, daß er weder Regale noch Auslagen enthielt, sondern nichts als eine über die ganze Breite des Raumes reichende Theke, die von einem weiteren geschmiedeten Gitter abgeschirmt wurde, da begriff er schließlich, wo er war und wieso er sich an keinen Antiquitätenhändler namens Rogers erinnern konnte. Er befand sich in einem Pfandleihhaus.
In dem eisernen Gitter über der Theke öffnete sich eine winzige Klappe, und ein schmales, von roten Pusteln entstelltes Gesicht mit gierigen Augen blickte Indiana an.»Bitte?«
Indiana räusperte sich gekünstelt, warf einen Blick über die Schulter zurück, wie um sich davon zu überzeugen, daß ihm auch niemand gefolgt war, und trat näher an den Tresen heran.»Mr. Rogers?«
«Der bin ich«, antwortete der Mann hinter dem Gitter.»Was kann ich für Sie tun? Wollen Sie etwas versetzen oder kaufen?«
«Weder — noch«, antwortete Indiana. Erneut sah er sich um, und ihm war klar, daß seine Nervosität Rogers irgendwann auffallen mußte. Aber das war ja beabsichtigt.
«Ich komme nicht als Kunde«, sagte er.»Jedenfalls nicht direkt.«
Rogers sah ihn fragend, aber mit deutlich mehr Mißtrauen als bisher an und schwieg.
Indiana beschloß, aufs Ganze zu gehen.»Professor Corda schickt mich«, sagte er.
Rogers sagte noch immer nichts, aber die Reaktion auf seinem Gesicht bewies Indiana, daß er ins Schwarze getroffen hatte.»Es geht um die letzte Lieferung«, fuhr Indiana fort.
«Was für eine Lieferung?«fragte Rogers.»Wovon reden Sie überhaupt, Mann? Ich kenne Sie nicht. Und ich habe niemals von einem Professor Corda gehört.«
«Tatsächlich?«fragte Indiana.»Dann muß ich mich wohl getäuscht haben. Ich werde Stanley sagen, daß er mir wohl versehentlich die falsche Adresse genannt hat. Aber falls Sie Ärger mit einem Ihrer Kunden bekommen, Rogers, dann beschweren Sie sich nicht bei mir oder Stan.«
Er drehte sich auf dem Absatz herum und ging mit raschen Schritten zur Tür. Er hatte sie fast erreicht und begann schon zu befürchten, daß er es etwas übertrieben hatte, als Rogers ihn zurückrief.
«Warten Sie!«
Indiana blieb stehen, drehte sich provozierend langsam herum und sah, wie Rogers eine Klappe in seinem Tresen öffnete und mit mühsamen Bewegungen auf ihn zugeschlurft kam. Er zog das rechte Bein nach, und auch mit seinem rechten Arm schien etwas nicht zu stimmen, der Art nach zu schließen, in der er ihn hielt.
«Was haben Sie damit gemeint — wenn ich Ärger mit einem meiner Kunden bekomme?«
Indiana zuckte mit den Schultern.»Nichts. Ich muß mich geirrt haben. Bitte entschuldigen Sie die Störung.«
Er drehte sich wieder zur Tür, und Rogers ergriff ihn grob an der Schulter und zerrte ihn zurück. Indiana wandte sich langsam zu ihm um, blickte eine Sekunde lang auf Rogers’ Hand herab, und der kleine Mann mit dem blassen, pickeligen Gesicht zog seinen Arm hastig zurück.
«Okay, okay«, sagte er.»Sie sind richtig hier. Schließlich muß man vorsichtig sein, nicht wahr? Ich kenne Sie nicht. Was ist mit der letzten Lieferung?«
«Vielleicht nichts«, antwortete Indiana.»Aber vielleicht doch. Haben Sie sie noch hier?«
Wieder blitzte es in Rogers’ Augen mißtrauisch auf.»Warum?«
«Ich muß sie sehen«, antwortete Indiana.»Es kann sein, daß eines der Stücke falsch ist.«
«Falsch?«Rogers’ Gesicht verdüsterte sich vor Zorn.»Corda hat — «
«Ich sagte, es kann sein«, unterbrach ihn Indiana scharf.»Es ist möglich, daß man uns hereingelegt hat.«
«Ihr habt mich betrogen«, sagte Rogers lauernd. Seine Augen wurden noch kleiner, als sie ohnehin waren.»Ihr — «
«Ich wäre kaum hier, wenn wir das wollten«, sagte Indiana ruhig.»Im Gegenteil. Stanley war sehr zufrieden mit den Geschäften, die er mit Ihnen gemacht hat. Er hat vielleicht noch mehr für Sie.«
«Das klang bei unserem letzten Gespräch aber etwas anders«, sagte Rogers.
Indiana zuckte mit den Schultern.»Mißverständnisse kommen vor. Er hat mich extra hergeschickt, um das Schlimmste zu verhindern. Ist die Ware noch hier?«
Wieder zögerte Rogers, und Indiana begann bereits zu befürchten, daß er es nun doch übertrieben hatte. Aber dann nickte der Alte widerwillig, machte eine Geste zu Indiana, er solle ihm folgen, und schlurfte zu seiner Theke zurück.
Der Raum dahinter war wesentlich größer als der davor, aber bis unter die Decke vollgestopft mit Regalen voller Kisten und Kartons, Radiogeräte, Schmuckstücke, Uhren, Werkzeuge, Waffen, Musikinstrumente … der übliche Kram eben, der sich in einem Pfandleihhaus im Laufe der Zeit ansammelt. Indiana vermutete, daß das meiste davon ohnehin gestohlen war.
Rogers führte ihn in ein angrenzendes Zimmer, dessen Tür mit einem überdimensionalen Schloß gesichert war. Es war überraschend aufgeräumt und enthielt im Grunde nichts außer einem kleinen Schreibtisch, zwei Stühlen und einem alten, aber äußerst massiv aussehenden Safe. Rogers ging zu diesem Geldschrank und sah Indiana abwartend an, bis der verstand und sich diskret zur Seite drehte, während der Pfandleiher die Kombination einstellte. Als er das saugende Geräusch der sich öffnenden Geldschranktür hörte, wandte er sich wieder um und trat neugierig hinter ihn.
Trotz allem hatte er Mühe, seine Überraschung zu verbergen, als er sah, was der Safe enthielt. Neben ganzen Bündeln von Bargeld, Wertpapieren und sicherlich mehr als hundert goldenen Armband- und Taschenuhren lagen auf mehreren samtbezogenen Tabletts gute zwei Dutzend jener kleinen, goldenen Figürchen, wie er eins in Grisswalds Büro gesehen hatte. Sie stellten die unterschiedlichsten Dinge dar: Tiere, Blätter, Äste, Blüten … Einige waren auch einfach nur formlose Goldklumpen unterschiedlicher Größe, und bei zwei oder drei Figuren schien es sich eindeutig um Kunstgegenstände zu handeln, wenn es Indiana auch unmöglich war, sie einer bestimmten Kultur oder Epoche zuzuordnen.
«Welches ist es?«fragte Rogers und stellte die Tabletts auf den Schreibtisch.
Indiana trat näher heran und beugte sich neugierig vor. Zögernd streckte er die Hand nach einem der kleinen Goldgegenstände aus, führte die Bewegung aber nicht zu Ende. Irgendwie hatte er plötzlich das Gefühl, daß es besser sein könnte, sie nicht anzufassen. Er wußte nicht, woher diese Ahnung kam, aber sie war zu deutlich, als daß er sie ignorieren konnte. Da war irgend etwas, was er gehört hatte, irgend etwas, was man ihm erzählt — oder vielleicht gerade nicht gesagt — hatte, und da war irgend etwas mit Rogers, das nicht stimmte.
«Ist das alles?«fragte er, während er sich wieder aufrichtete.
«Ja«, antwortete Rogers.»Es — «
Das Geräusch der Glocke über der Tür unterbrach ihn. Fast erschrocken drehte er sich herum, machte einen Schritt zur Tür und blieb wieder stehen. Draußen war eine Frauenstimme zu hören, die Indianas Namen rief. Rogers musterte abwechselnd Indiana und den offenstehenden Safe. Ganz offensichtlich gefiel ihm der Gedanke nicht, den Fremden mit all diesen Kostbarkeiten allein zu lassen. Aber noch bevor er dazu kam, etwas zu sagen, hörten sie näher kommende Schritte, und dann wurde die Tür zu seinem Büro so hastig aufgestoßen, daß sie knallend gegen die Wand flog. Unter dem Eingang erschien –
«Marian!«rief Indiana überrascht.»Was tust du denn hier?«
Rogers fuhr zusammen und starrte abwechselnd ihn und Cor-das Frau wütend an.»Was hat das zu bedeuten?«schnappte er.»Wer ist diese Frau?«
«Sie sind hinter mir her!«sagte Marian atemlos.»Sie haben Marcus überfallen und — «
Der Rest ihrer Worte ging in Klirren von Glas und dem Geräusch von zerbrechendem Holz unter.
Marian machte einen weiteren stolpernden Schritt und fiel Indiana halbwegs in die Arme, während Rogers erschrocken aufschrie und versuchte, seinen Goldschatz vom Schreibtisch zu raffen und wieder in den Tresor zurückzustopfen; natürlich viel zu hastig und mit dem Ergebnis, daß ihm die Hälfte davon herunterfiel. Indiana registrierte fast nebenbei, daß eines der Stücke dabei in zwei Teile zerbrach. Aber er verschwendete kaum mehr als einen flüchtigen Gedanken daran, denn er hatte alle Hände voll damit zu tun, Marian zu beruhigen, die sich aus seinem Griff befreit hatte und so schnell abgehackte Sätze hervorsprudelte, daß er nur Bruchstücke verstand:»Marcus, FBI und Männer.«
Allerdings verging kaum eine Sekunde, bis er auch so begriff, was geschehen war: Das Splittern von Holz wiederholte sich, und fast im selben Moment erschien eine hünenhafte Gestalt unter der Tür zu Rogers’ Allerheiligstem. Indiana erschrak ein zweites Mal und diesmal sehr viel heftiger, als er ihn erkannte. Sein Gesicht hatte sich zwar auf dramatische Weise verändert, aber es war unzweifelhaft der gleiche Bursche, der gestern zusammen mit den beiden anderen in Stanleys Haus eingebrochen war.
Der andere schien ihn fast gleichzeitig auch zu erkennen, und in seinen dicht beieinander stehenden Augen erschien ein tük-kisches Funkeln. Er machte einen Schritt auf Indiana zu, fegte Marian mit einer fast beiläufigen Bewegung zur Seite und streckte die Arme aus.
Indiana wartete bis zum letzten Moment, dann duckte er sich, packte den ausgestreckten Arm des Riesen, zerrte mit aller Kraft daran, drehte sich gleichzeitig halb um seine eigene Achse und verlagerte sein Körpergewicht ruckartig nach vorn, so daß dem Angreifer seine eigene Kraft zum Verhängnis wurde und er über seine gekrümmte Schulter hinwegflog.
Theoretisch.
Sein Kopf tat ihm so weh, daß er sich im allerersten Moment ganz ernsthaft wünschte, gar nicht mehr aufgewacht, sondern gleich gestorben zu sein. Er war gefesselt und lag auf der Seite auf nacktem Stein- oder Betonboden, und rings um ihn herum herrschte Finsternis, die nur von einem bleichen, grauen Schimmern durchbrochen wurde. Aber so schwach dieses Licht war, ließ es ihn doch abermals vor Schmerz aufstöhnen, als er die Augen öffnete.
Hastig senkte er die Lider wieder und biß die Zähne zusammen, um einen neuerlichen Schmerzenslaut zu unterdrücken. Das Hämmern in seinem Hinterkopf ließ allmählich nach und war jetzt nicht mehr unvorstellbar, sondern nur noch unerträglich, und im gleichen Maße, wie der Schmerz verebbte, begann er seine Umgebung deutlicher wahrzunehmen.
Er sah nicht sehr viel, denn das graue Licht war zu schwach, um mehr als vage Umrisse aus der Dämmerung hervorzuheben, aber er hörte ein leises Stöhnen und die Geräusche eines oder mehrerer Menschen, die sich in seiner unmittelbaren Nähe bewegten. Dann flüsterte eine Stimme seinen Namen. Eine Stimme, die er sehr gut kannte. Aber der Schmerz in seinem Kopf war noch zu heftig, als daß er einen klaren Gedanken fassen konnte.
«Er kommt zu sich.«
Eine andere Stimme, die er nach einigen Augenblicken als die von Marian identifizierte.»Gott sei Dank. Ich hatte schon Angst, dieser Riesenkerl hätte ihn umgebracht.«
«Keine Sorge — er hat einen harten Schädel. In jeder Beziehung.«
Diesmal konnte er die Stimme identifizieren. Mit einem überraschten Ruck drehte er sich herum und setzte sich halb auf — was er im selben Sekundenbruchteil schon bitter bereute, denn das Dröhnen in seinem Hinterkopf steigerte sich zum Trommelfeuer einer ganzen Batterie schwerer Schiffsgeschütze. Stöhnend schloß er die Augen und ließ sich wieder nach vorn sinken, bis seine Stirn den grauen Betonboden berührte. Erst nach einigen Sekunden und sehr viel vorsichtiger als das erste Mal wagte er es, sich erneut aufzurichten und den Kopf in die Richtung zu drehen, aus der er Marians und Marcus’ Stimmen gehört hatte. Obwohl sie kaum fünf Meter von ihm entfernt waren, konnte er sie nur als Schatten in der Dunkelheit wahrnehmen.
«Marcus?«fragte er überrascht.»Was tust du hier?«
«Dasselbe wie du«, antwortete Marcus gelassen.»Gefesseltsein.«
Auch ohne den hämmernden Schmerz in seinem Kopf wäre Indiana im Moment nicht nach Scherzen zumute gewesen. Aber er beherrschte sich und schluckte die ärgerliche Antwort, die ihm auf der Zunge lag, herunter.»Was ist passiert?«fragte er gepreßt.
«Sie haben uns hereingelegt«, sagte Marcus.»Sie sind gekommen, als du gerade weg warst.«
«Diese Gangster?«
Er hörte, wie Marcus den Kopf schüttelte.»Die beiden FBIMänner, von denen du erzählt hast. Sie haben eine Menge dummer Fragen gestellt.«
«Und?«fragte Indiana, als Marcus nicht weitersprach.
Brody zögerte auch jetzt noch einen Moment.»Ich konnte sie abwimmeln«, sagte er dann.»Aber kaum eine Minute später klopfte es schon wieder. Ich bin zur Tür gegangen und dachte, sie hätten noch etwas vergessen oder …«
«Oder?«hakte Indiana nach.
«Ich weiß, es war leichtsinnig«, gestand Marcus zerknirscht.»Diese Schufte müssen draußen gewartet und uns die ganze Zeit beobachtet haben. Ich hatte kaum die Tür geöffnet, da hat mich auch schon einer von ihnen gepackt, und der andere hat sich gleichzeitig auf Marian gestürzt. Es … es tut mir leid. Ich wollte ihnen nicht verraten, wo du bist. Aber …«
Marcus sprach nicht weiter, und auch Indiana schwieg. Er konnte sich vorstellen, wie Brody zumute war. Aber er spürte nicht einmal Ärger. Marcus Brody war kein Held. Er hatte auch niemals behauptet, einer zu sein. Und außerdem hatte Indiana berechtigte Zweifel, ob es überhaupt irgend jemanden auf der Welt gab, der dem Riesenkerl, der ihn vorhin niedergeschlagen hatte, länger als einige Sekunden eine Antwort verweigern konnte.
«Es tut mir leid, Indiana«, murmelte nun auch Marian.»Aber sie haben mich gezwungen, sie zu dir zu bringen. Ich habe mich losgerissen, als wir aus dem Wagen stiegen, aber sie waren zu schnell.«
«Schon gut«, sagte Indiana.»Das macht alles nichts.«
«Es macht doch etwas«, grollte Marcus.»Ich Idiot hätte sie gar nicht hereinlassen sollen. Schließlich hast du mir eingeschärft, niemandem die Tür aufzumachen. Aber ich Trottel — «
«Es ist gut«, sagte Indiana noch einmal.»Ich nehme es dir nicht übel, Marcus. Wahrscheinlich hätte ich an deiner Stelle nicht anders gehandelt.«
Ein leises Lachen irgendwo aus der Dunkelheit hinter ihnen hinderte Marcus daran zu widersprechen. Indiana setzte sich mühsam mit angezogenen Knien weiter auf und wandte den Kopf in die Richtung. Nach einigen Sekunden wiederholte sich das Lachen, und ein Schatten begann sich aus der grauen Dämmerung zu schälen. Er kam nicht nahe genug, daß sie ihn genau erkennen konnten, aber irgend etwas daran war … falsch.
«Wie edel, Dr. Jones«, sagte eine schnarrende, unangenehme Stimme.»Wenn ich an Ihrer Stelle wäre, hätte ich jetzt Lust, Mr. Brody den Hals herumzudrehen. Aber ich glaube fast, Sie meinen das wirklich so.«
«Wer sind Sie?«fragte Indiana.
Wieder lachte die Gestalt und machte ein paar schlurfende Schritte, und Indiana sah jetzt, daß der Mann humpelte. Obwohl er noch immer halb in den Schatten verborgen war, konnte Indiana jetzt erkennen, daß der Mann ein Krüppel war: Er zog das rechte, offensichtlich steife Bein nach, und seine Schultern waren unterschiedlich hoch. Der rechte Arm war in einer unnatürlichen Haltung angewinkelt und schien ebenfalls nutzlos zu sein.
«Wer sind Sie?«fragte Indiana noch einmal.
Er bekam auch jetzt keine Antwort, aber der Krüppel kam noch näher, und hinter ihm tauchten zwei weitere, schattenhafte Umrisse aus der Schwärze auf — einer davon war so groß, daß Indiana sofort wußte, wem er gegenüberstand. Und offensichtlich war der Verkrüppelte mit der unangenehmen Stimme ihr Auftraggeber.
«Mein Name ist Ramos«, sagte er schließlich mit seiner dünnen, unangenehmen Stimme.
«Interessant«, antwortete Indiana.»Und wer sind Sie?«
Wieder lachte Ramos und machte einen Schritt auf ihn zu.»Eine berechtigte Frage, Dr. Jones«, sagte er.»Ich glaube, wir hatten bisher noch nicht das Vergnügen. Um so mehr freut es mich, daß Sie meine Einladung nun doch angenommen haben. Ich hoffe, Sie entschuldigen die kleinen Unbequemlichkeiten.«
Indiana schenkte ihm einen bösen Blick.»Hören Sie auf mit dem Unsinn und sagen Sie endlich, was Sie von uns wollen«, schnappte er.
Ramos legte den Kopf schräg und blickte auf ihn herab.»Von Ihnen? Nichts. «Er schüttelte den Kopf.»Aber von Ihrer entzückenden Freundin, Mrs. Corda.«
«Ich weiß nicht einmal, wer Sie sind«, sagte Marian.
«Das glaube ich Ihnen sogar«, antwortete Ramos.»Dafür weiß Ihr Mann um so besser, wer ich bin. Er und ich hatten eine geschäftliche Transaktion verabredet. Ich habe meinen Teil eingehalten — aber Ihr Mann leider nicht.«
«Hören Sie, Ramos«, sagte Indiana.»Ich weiß nicht, welches krumme Geschäft Stanley mit Ihnen abgeschlossen hat, und es interessiert mich auch nicht. Aber was immer zwischen Ihnen gewesen ist — machen Sie es mit ihm aus und nicht mit seiner Frau. Marian weiß nichts von Stanleys Geschäften.«
«Ich bin beinahe geneigt, Ihnen zu glauben, Dr. Jones«, antwortete Ramos.»Sehen Sie, ich habe eine Weile mit Professor Corda gearbeitet und glaube, ihn ganz gut zu kennen. Aber was soll ich machen? Ich habe eine Menge Geld und Mühe investiert. Auch ich habe Verpflichtungen. Meine Geschäftspartner erwarten, daß ich denen nachkomme. Professor Corda besitzt etwas, das von Rechts wegen mir gehört.«
«Dann suchen Sie ihn, zum Teufel, und fragen ihn danach«, sagte Indiana.»Ich — «
«Ich«, unterbrach ihn Ramos betont,»habe ein Prinzip, Dr. Jones, von dem ich niemals abgehe. Ich bekomme immer, was ich haben will. Niemand betrügt mich. Verstehen Sie, was ich meine?«
Indiana glaubte es zumindest. Ein rascher, eisiger Schauer lief über seinen Rücken. Behutsam setzte er sich weiter auf und zerrte dabei probehalber an seinen Fesseln; allerdings nur ein einziges Mal. Ein scharfer Schmerz schnitt in seine Handgelenke, und er begriff auf einmal, daß man ihn nicht mit Strik-ken, sondern mit dünnem Draht gebunden hatte. Jeder Versuch, seine Fesseln zu sprengen, würde ihm nur Schmerzen oder Verletzungen einbringen.
«Lassen Sie uns wie vernünftige Männer miteinander reden, Mr. Ramos«, sagte er.
Ramos kam näher, gefolgt von seinen beiden Schatten. Indiana konnte endlich erkennen, daß er tatsächlich so verkrüppelt und mißgestaltet war, wie er vorher angenommen hatte. Sein Gesicht war das eines häßlichen, bösen Zwerges. Und seine Augen waren milchige, weiße Kugeln ohne Pupillen. Er war blind.»Ich höre, Dr. Jones«, sagte er.
«Ich weiß nicht, welche Art von Geschäft Stanley mit Ihnen geschlossen hat, und es interessiert mich auch nicht«, sagte Indiana.»Aber ich gebe Ihnen mein Wort, daß Marian nichts damit zu tun hat und nichts darüber weiß.«
«Wer sagt, daß ich das bezweifle?«
«Ihre Männer waren in Cordas Haus«, fuhr Indiana fort.»Sie haben es zweifellos gründlich durchsucht. Wenn sie nicht gefunden haben, was sie gesucht haben, dann kann Marian Ihnen auch nicht weiterhelfen. Es nutzt Ihnen also gar nichts, uns hier gefangenzuhalten.«
«Ich weiß«, sagte Ramos lächelnd.
Indiana blickte ihn verwirrt an.»Ich glaube, ich verstehe wirklich nicht ganz — «
«Ich glaube, Sie verstehen sehr wohl, Dr. Jones«, sagte Ra-mos.»Ich sagte bereits: Ich kenne Professor Corda. Ich glaube nicht, daß er zurückkäme, um seine Frau auszulösen. Nicht bei dem, was ich von ihm will.«
«Warum dann dieser Überfall?«fragte Marcus.
«Eine berechtigte Frage, Mr. Brody«, sagte Ramos.»Ich werde sie Ihnen gern beantworten. Sehen Sie, ich habe Erkundigungen eingezogen; nicht nur über Professor Corda, sondern auch über Sie und Dr. Jones hier. Was ich von Ihnen will, ist ganz einfach: Professor Corda ist seit gestern morgen verschwunden, und es war mir trotz aller Mühe nicht möglich, ihn aufzuspüren. Aber ich denke, es gibt jemanden unter uns, dem es gelingen wird.«
«Ich weiß nicht einmal, wo er ist«, sagte Marian.
Ramos schüttelte lächelnd den Kopf.»Ich rede nicht von Ihnen, meine Liebe«, sagte er. Dann drehte er sich wieder zu Indiana herum und blickte aus seinen unheimlichen, blinden Augen auf ihn herab.»Ich denke, wir haben uns verstanden.«
Indiana schwieg.
«Wovon reden Sie überhaupt?«fragte Marcus verwirrt.
Diesmal war es Indiana, der an Ramos’ Stelle antwortete:»Er will, daß ich Stanley finde«, sagte er.»Und ich schätze, er wird euch beide solange hierbehalten, bis ich zurück bin.«
Ramos klatschte spöttisch in die Hände.»Ich sehe, ich habe mich nicht in Ihnen getäuscht, Dr. Jones«, sagte er lächelnd.»Und ich bin ziemlich sicher, daß Sie mich auch weiterhin nicht enttäuschen werden. Zumal ich Ihnen genau drei Tage gebe, Professor Corda zu finden, bevor ich damit beginne, Ihrem Freund zuerst die Finger und dann die Zehen abzuschneiden. Jeden Tag ein Stück.«
Marcus sog scharf die Luft ein, und Marian stieß einen leisen Schrei aus. Indiana blickte den blinden Verbrecher durchdringend an. Ramos lächelte noch immer, aber es war das kälteste, böseste Lächeln, das Indiana jemals gesehen hatte. Drohungen wie diese hatte er oft gehört, sogar noch schlimmere. Aber er wußte, daß Ramos seine Worte ernst meinte.
«Drei Tage sind zu wenig«, sagte er.»Ich — «
«Drei Tage«, unterbrach ihn Ramos.»Und den Rest von heute — ich will ja nicht kleinlich sein. Und falls es Sie noch ein wenig anspornt, lassen Sie sich gesagt sein, daß ich mit Mrs. Corda weitermachen werde, wenn ich Ihren Freund in Stücke geschnitten habe und Sie nicht zurück sind.«
«Er blufft!«behauptete Marcus.
«Nein«, sagte Indiana ruhig.»Das tut er nicht.«
«Das tue ich in der Tat nicht, Mr. Brody«, sagte Ramos ruhig.»Ich versichere Ihnen, daß ich niemals lüge. Aber ich habe mit dieser Reaktion gerechnet. Nur, um Sie davon zu überzeugen, daß ich es ernst meine — «
Er drehte sich halb um und gab den beiden Männern hinter sich einen Wink.»Bringt ihn her.«
Die beiden verschwanden für einen Moment in der Dunkelheit, und als sie zurückkamen, führten sie einen dritten, zappelnden Schatten zwischen sich. Als sie näher kamen, erkannte Indiana, daß es sich um Rogers handelte. Wie er selbst und vermutlich auch Marcus und Marian war der Hehler an Händen und Füßen gefesselt, trug aber zusätzlich einen Knebel, der so fest angelegt war, daß er kaum noch Luft bekam. Er wehrte sich ebenso heftig wie erfolglos gegen den Griff der beiden Gangster, und seine Augen waren groß und weit aufgerissen vor Angst.
Ramos wandte sich wieder um und blickte in die Richtung, aus der Marcus’ Stimme gekommen war.»Sie denken, ich bluffe?«Er lächelte kalt.»Bringt ihn um.«
«Nein!«rief Indiana.»Warum —?«
Rogers bäumte sich noch einmal mit verzweifelter Kraft auf, denn auch er hatte Ramos’ Befehl gehört. Aber seine Gegenwehr war sinnlos. Während der Riesenkerl ihn nun allein festhielt, zog der kleinere ein Klappmesser aus der Jacke, ließ die Klinge herausschnappen und stieß sie Rogers mit einer fast gemächlichen Bewegung ins Herz. Der erschlaffte im Griff des Ganoven und fiel reglos zu Boden, als dieser ihn losließ.
Marian wandte sich mit einem wimmernden Laut ab, während Marcus und Indiana Ramos fassungslos anstarrten.»Warum … warum haben Sie das getan?«flüsterte Indiana schließlich.»Das … das war völlig sinnlos, Ramos.«
«Vielleicht«, antwortete Ramos ruhig.»Aber wenn es Sie beruhigt, Dr. Jones: Es ist nicht besonders schade um ihn. Er war eine Kreatur, die den Tod schon lange verdient hatte.«
Indiana starrte ihn fassungslos an. Es war nicht das erste Mal, daß er dem Tod begegnet war. Es war nicht einmal das erste Mal, daß er Zeuge eines Mordes wurde. Aber er hatte selten erlebt, daß ein Mensch so kalt und fast beiläufig umgebracht wurde; völlig sinnlos, nur um einer überflüssigen Machtdemonstration willen. Er hörte, wie Marcus’ Atem hinter ihm schneller ging und Marian mit immer weniger Erfolg gegen ein Schluchzen ankämpfte, aber er drehte sich nicht zu ihnen um, sondern starrte Ramos weiter an. Und obwohl die blinden Augen des Verbrechers nichts anderes als ewige Dunkelheit sehen konnten, schien Ramos seinen Blick zu spüren, denn nach einer Weile verzogen sich seine Lippen zu einem dünnen, bösen Lächeln.
«Ich sehe, wir haben uns verstanden, Dr. Jones«, sagte er.
Indiana hatte verstanden. Und trotzdem und wider besseres Wissen versuchte er es noch einmal.»Hören Sie, Ramos«, sagte er eindringlich.»Wir wissen nicht, wo Stan ist. Aber ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich es Ihnen sagen werde, wenn ich es herausfinde. Lassen Sie Marian und Marcus laufen, und ich finde Corda, das verspreche ich Ihnen.«
Ramos lachte leise.»Für wie dumm halten Sie mich, Dr. Jones?«fragte er.
«Ich — «begann Indiana. Aber er kam nicht dazu, weiterzureden, denn Ramos machte eine blitzschnelle, kaum sichtbare Bewegung mit der linken Hand, und einer seiner beiden Schläger trat vor und versetzte Indiana eine Ohrfeige, die ihn hilflos nach hinten und auf den Betonboden stürzen ließ. Bunte Sterne tanzten vor seinen Augen, und der Geschmack seines eigenen Blutes füllte plötzlich seinen Mund.
«Denken Sie daran, Dr. Jones«, sagte Ramos.»Drei Tage — von morgen früh an gerechnet.«