Sie landeten in einem Talkessel, der von niedrigen bewaldeten Hügeln eingeschlossen war. Die Hügel verbargen den falschen Horizont, genau wie das Tageslicht das Leuchten des Ringweltbogens, und alles sah aus wie eine Landschaft auf irgendeiner von Menschen besiedelten Welt. Das Gras war zwar genaugenommen kein richtiges Gras, doch es war grün und bildete einen dichten Teppich an Stellen, wo man das auch von irdischem Gras erwartet hätte. Es gab Humus und Felsblöcke und Büsche mit grünen Blättern, die genauso knorrig waren, wie sie sein sollten.
Die Vegetation war geradezu verblüffend erdähnlich, wie Louis feststellte. Es gab Büsche, wo man Büsche erwartete, kahle Stellen, wo kahle Stellen sein sollten. Nach den Instrumenten an Bord der Flugräder waren die Pflanzen bis hinunter auf molekulare Ebene mit der irdischen Flora identisch.
Genau wie Der-zu-den-Tieren-spricht und Louis Wu durch irgendeinen virusähnlichen Vorfahren entfernt miteinander verwandt waren, so waren die Bäume dieser Welt mit beiden verwandt.
Sie entdeckten einen Busch, der sich vorzüglich als Zaunhecke geeignet hätte. Die Pflanze hatte einen holzigen Stamm, doch er wuchs in einem Winkel von 45 Grad aus dem Boden, entwickelte eine Blätterkrone, wuchs im gleichen Winkel wieder nach unten, senkte ein Büschel Wurzeln in den Bogen, beschrieb erneut einen Knick von neunzig Grad… Louis hatte eine ähnliche Pflanze auf Gummidgy gesehen — doch hier war die Heckenreihe saftig grün und borkenbraun, die Farben irdischer Flora. Louis taufte das Gewächs Ellenbogenwurzel.
Nessus trabte in dem kleinen Wäldchen umher und sammelte Insekten und Pflanzen, um sie im Kompaktlabor seines Flugrads zu untersuchen. Er trug seinen Druckanzug — einen durchsichtigen Ballon mit drei Stiefeln und zwei Handschuh-Mundstücken. Nichts auf der Ringwelt konnte ihn angreifen, ohne zuerst diese Barriere zu durchdringen: kein Raubtier, kein Insekt, keine Pollen oder Pilzsporen und kein Virusmolekül.
Teela saß rittlings auf ihrem Flugrad, und ihre mehr großen als sensiblen Hände ruhten leicht auf der Instrumentenkonsole. Ihre Mundwinkel zeigten noch immer leicht nach oben. Sie schien gewappnet gegen plötzliches Beschleunigen, entspannt und wachsam zugleich, und betonte die Kurven und Linien ihres Körpers, als säße sie Modell für ein Gemälde. Ihre grünen Augen sahen durch Louis Wu hindurch, genau wie durch die Barriere niedriger Hügel, und in die Unendlichkeit eines abstrakten Ringwelthorizonts.
»Ich verstehe das nicht«, sagte der Kzin. »Was genau fehlt ihr? Sie schläft nicht, doch sie scheint merkwürdig abwesend.«
»Trance«, murmelte Louis Wu. »Sie wird von selbst wieder zu sich kommen.«
»Dann ist sie also nicht in Gefahr?«
»Jetzt nicht mehr. Ich hatte Angst, sie würde von ihrem Flugrad fallen oder etwas Verrücktes mit ihren Kontrollen anstellen. Auf dem Boden ist sie sicher.«
»Aber weshalb zeigt sie kein Interesse an uns?«
Louis versuchte es ihm zu erklären.
Im Asteroidengürtel des irdischen Sonnensystems verbringen Männer ihr halbes Leben damit, Einmannschiffe zwischen den Felsen hindurchzusteuern. Sie navigieren nach den Sternen. Stundenlang beobachten diese Schürfer die Sterne: die schnellen, hellen Bögen von anderen fusionsgetriebenen Einmannschiffen, die langsamen, treibenden Lichtpunkte naher Asteroiden und die Fixpunkte, die richtigen Sterne und Galaxien.
Ein Mann kann seine Seele unter dem weißen Licht der Sterne verlieren. Manchmal merkt er erst viel später, daß sein Körper automatisch reagiert und das Schiff gesteuert hat, während sein Geist in Sphären weilte, an die er sich nicht erinnern kann. Sie nennen es den entrückten Blick. Es ist gefährlich. Nicht immer kehrt die Seele zurück.
Auf der riesigen Hochebene des Mount Lookitthat kann ein Mann am Rand des Abgrunds stehen und auf die Ewigkeit hinuntersehen. Der Berg ist nur vierzig Meilen hoch, doch das menschliche Auge findet die Ewigkeit im undurchdringlichen Nebel, der den Fuß des Berges verhüllt.
Die Nebel über dem Abgrund ist weiß und gestaltlos und uniform. Er erstreckt sich von der verhüllten Bergflanke bis zum Horizont der Welt. Die Leere kann die Seele eines Menschen entführen und festhalten. Starr und entrückt steht er dann am Rand der Ewigkeit, bis jemand kommt und ihn von dort wegführt. Sie nennen es PlateauTrance.
Und dann gibt es noch den Ringwelthorizont…
»Es handelt sich um Selbsthypnose«, erklärte Louis. Er warf einen prüfenden Blick in Teelas Augen. Sie bewegte sich unruhig. »Ich könnte sie wahrscheinlich aus diesem Zustand aufwecken, aber warum ein unnötiges Risiko eingehen? Lassen wir sie schlafen.«
»Ich verstehe nicht, was Hypnose ist«, sagte Der-zu-den-Tierenspricht. »Ich habe davon gehört, aber ich begreife es nicht.«
Louis nickte. »Das überrascht mich nicht. Kzinti würden sich kaum für eine Hypnose eignen. Das gleiche gilt übrigens auch für Puppenspieler.« Nessus hatte in der Zwischenzeit seinen Streifzug durch das Unterholz abgebrochen und sich still dazugesellt.
»Wir können studieren, was wir nicht verstehen«, sagte der Puppenspieler. »Wir wissen, daß Menschen eine Neigung besitzen, Entscheidungen auszuweichen. Etwas in ihnen verlangt danach, daß ein anderer sagt, was sie tun sollen. Ein leicht zu hypnotisierender Mensch ist vertrauensselig und besitzt gute Konzentrationsfähigkeit. Er unterwirft sich dem Willen des Hypnotiseurs, und das ist der Beginn seiner Hypnose.«
»Aber was ist Hypnose?«
»Ein künstlich herbeigeführter Zustand der Besessenheit.«
»Weshalb sollte jemand freiwillig so etwas tun?«
Darauf wußte auch Nessus keine Antwort.
»Weil er dem Hypnotiseur vertraut«, erklärte Louis.
Der-zu-den-Tieren-spricht schüttelte den großen Kopf und wandte sich ab.
»Soviel Vertrauen zu jemand anderem ist Irrsinn! Ich gestehe, auch ich begreife Hypnose nicht«, sagte Nessus. »Sie, Louis?«
»Nicht ganz«, räumte Louis ein.
»Ich bin erleichtert«, flötete der Puppenspieler und blickte sich wieder einmal selbst in das Auge; zwei Pythons, die sich gegenseitig inspizierten. »Ich könnte niemandem vertrauen, der Unsinn begreifen kann.«
»Was haben Sie über die Pflanzen der Ringwelt herausgefunden?«
»Sie scheinen wirklich äußerst erdähnlich, wie ich schon sagte, Louis. Allerdings sind ein paar Arten weitaus stärker spezialisiert, als man erwarten sollte.«
»Höher entwickelt, meinen Sie?«
»Vielleicht. Eine höher spezialisierte Form hat vielleicht mehr Raum zum Wachsen, hier auf der Ringwelt jedenfalls. Entscheidend ist, daß die Pflanzen und Insekten ähnlich genug sind, um gefährlich zu werden.«
»Und umgekehrt?«
»O ja. Ein paar Pflanzen sind für mich eßbar. Ein paar andere sind für Sie als Nahrungsmittel geeignet, Louis. Sie müssen sie natürlich selbst untersuchen, zuerst auf Giftigkeit und dann auf Geschmack. Unsere Küchenautomatik kann jedenfalls alles verwerten, was grün ist.«
»Verhungern müssen wir demnach nicht.«
»Dieser Vorteil kompensiert wohl kaum die Gefahren. Wenn doch unsere Konstrukteure nur so weit gedacht und Sternsäerlockvögel an Bord der Lying Bastard gepackt hätten! Dieser ganze Ausflug wäre unnötig gewesen.«
»Sternsäerlockvögel?«
»Ein einfaches Gerät. Wir haben es vor vielen Jahrtausenden entwickelt. Es bringt die Sonne dazu, elektromagnetische Signale auszusenden, die Sternsäer anlocken. Hätten wir einen Köder, könnten wir einen Sternsäer herbeilocken und jedem Outsiderschiff von unserem Problem berichten, das dem Sternsäer folgt.«
»Aber Sternsäer bewegen sich viel langsamer als mit Lichtgeschwindigkeit. Es würde Jahre dauern!«
»Denken Sie nach, Louis! Wie lange auch immer wir warten müßten, wir brauchten die Sicherheit unseres Schiffes nicht zu verlassen.«
»Das nennen Sie ein erfülltes Leben?« schnaubte Louis. Und warf einen Blick zu Der-zu-den-Tieren-spricht. Er fixierte den Kzin und blickte ihm sekundenlang in die Augen.
Der Kzin hatte sich ein paar Meter von den beiden entfernt auf dem Boden eingerollt. Er erwiderte Louis’ Blick und grinste über das ganze Gesicht wie eine fette Alice-im-Wunderland-Katze. Lange sahen sich die beiden ungleichen Wesen in die Augen; dann erhob sich der Kzin scheinbar lässig, spannte sich und verschwand in dem fremdartigen Gebüsch.
Louis wandte sich wieder um. Irgendwie wußte er, daß etwas Wichtiges geschehen war. Aber was? Und warum? Er zuckte die Schultern und schüttelte den Gedanken ab.
Teela saß noch immer rittlings im Sattel, als wollte sie jeden Augenblick beschleunigen… als flöge sie noch immer. Louis erinnerte sich an die wenigen Male, die er von einem Therapeuten hypnotisiert worden war. Es war ihm wie Schauspielerei vorgekommen. Er hatte sich in eine rosige Freiheit von jeglicher Verantwortung gekuschelt und die ganze Zeit über gewußt, daß es nur ein Spiel war, das er mit dem Hypnotiseur spielte. Er hätte sich jederzeit daraus befreien können. Aber irgendwie hatte er es nie getan.
Plötzlich klärte sich Teelas Blick. Sie schüttelte benommen den Kopf und sah die anderen. »Louis! Wie sind wir denn hierher gekommen?«
»Auf die übliche Art und Weise.«
»Hilf mir aus dem Sattel.« Sie streckte die Arme aus wie ein Kind auf einer Mauer. Louis faßte sie um die Taille und hob sie vom Rad. Die Berührung sandte einen angenehmen Schauer über seinen Rücken und eine erwartungsvolle Wärme in seine Lenden und den Solarplexus. Er ließ die Hände, wo sie waren.
»Das letzte, woran ich mich erinnere, ist, daß wir eine Meile hoch in der Luft waren«, sagte Teela.
»Von jetzt an starrst du besser nicht mehr auf den Horizont.«
»Was ist geschehen? Bin ich am Steuer eingeschlafen?« Sie lachte und warf den Kopf in den Nacken, und ihr Haar folgte der Bewegung in einer dichten schwarzen Wolke. »Und ihr hattet alle Angst um mich! Es tut mir leid, Louis! Wo steckt Der-zu-den-Tierenspricht?«
»Er jagt sich einen Hasen«, erwiderte Louis. »Warum verschaffen wir uns nicht ebenfalls etwas Bewegung, wo wir schon die Gelegenheit dazu haben?«
»Was hältst du von einem Spaziergang im Wald?«
»Gute Idee.« Ihre Blicke trafen sich, und Louis sah, daß sie den gleichen Gedanken hatte wie er. Er griff in das Gepäckfach seines Flugrads und zog eine Decke hervor. »Fertig.«
»Sie erstaunen mich«, sagte Nessus. »Keine andere intelligente Spezies kopuliert derart häufig wie Menschen. Also schön, gehen Sie. Passen Sie auf, wo Sie sich hinlegen. Vergessen Sie nicht, daß überall unbekannte Lebensformen lauern.«
»Wußtest du eigentlich«, sagte Louis, »daß nackt früher einmal das gleiche bedeutete wie ungeschützt?«
Er fühlte sich, als würde er zusammen mit der Kleidung seinen Schutz ablegen. Die Ringwelt besaß eine funktionierende Biosphäre, ganz ohne Zweifel voller Insekten und Bakterien und zahnbewehrter Dinger, die dazu geschaffen waren, protoplasmisches Fleisch zu fressen.
»Nein«, entgegnete Teela. Sie stand nackt auf der Decke und streckte sich in der Mittagssonne. »Es ist herrlich! Weißt du eigentlich, daß ich dich noch nie bei Tageslicht ohne Kleider gesehen habe?«
»Ich dich auch nicht. Ich möchte hinzufügen, daß du tanj gut aussiehst. Komm, ich zeige dir etwas.« Er deutete mit der Hand auf seine haarlose Brust. »Tanj…«
»Ich sehe nichts.«
»Sie ist weg. Das sind die Nachteile von Boosterspice. Keine Erinnerungen. Die Narben verschwinden, und nach einer Weile…« Er fuhr mit den Fingerspitzen quer über seinen Brustkorb, doch da war nichts.
»Hier hat mir ein Reicher von Gummidgy einen Streifen von der Schulter bis zum Nabel herausgerissen… vier Zoll breit und einen halben Zoll tief. Sein nächster Angriff hätte mich in zwei Hälften zerfetzt. Er beschloß jedoch, zuerst das zu schlucken, was er schon von mir hatte. Anscheinend muß ich tödlich giftig für ihn gewesen sein, denn er rollte sich kreischend zusammen und starb.
Und jetzt ist nichts mehr zu sehen. Keine einzige Narbe am ganzen Körper!«
»Armer Louis. Ich habe auch keine Narbe an mir.«
»Du bist eine statistische Ausnahme und außerdem erst zwanzig Jahre alt.«
»Oh.«
»Mmm — wie glatt deine Haut ist.«
»Noch andere verschwundene Andenken?«
»Ich habe eine falsche Bewegung mit einem Minenstrahler gemacht…« Er führte ihre Hand.
Schließlich rollte er sich auf den Rücken, und Teela setzte sich rittlings auf ihn. Sie sahen sich für einen langen, strahlenden, unerträglichen Augenblick an, bevor sie sich bewegten.
Im Glühen eines herannahenden Orgasmus scheint jede Frau engelsgleich zu erstrahlen…
… etwas von der Größe eines Hasen schoß zwischen den Büschen hervor, hoppelte über Louis’ Brust und verschwand auf der anderen Seite wieder im Unterholz. Einen Augenblick später sprang der Kzin aus dem Gebüsch. »Ich bitte um Entschuldigung«, rief er und verschwand ebenfalls wieder, dem Hoppeltier hart auf den Fersen.
Als sie sich später alle wieder bei den Flugrädern trafen, war das Fell um den Mund von Der-zu-den-Tieren-spricht rot gefleckt. »Zum erstenmal in meinem Leben«, verkündete er voll stiller Befriedigung, »habe ich mein Essen gejagt — mit nichts anderem als meinen eigenen Zähnen und Klauen.«
Wenigstens befolgte er den Rat des Puppenspielers und nahm ein Breitband-Antiallergikum ein.
»Es wird Zeit, daß wir uns über die Eingeborenen unterhalten«, meinte Nessus.
»Eingeborene?« wiederholte Teela mit großen Augen. Louis berichtete in wenigen Worten.
»Aber warum sind wir geflüchtet? Was hätten sie uns denn tun können? Waren sie wirklich menschlich?«
Louis beantwortete die letzte Frage, weil sie ihn die ganze Zeit über beschäftigt hatte. »Ich kann es selbst nicht begreifen. Was suchen Menschen so weit von unserem Raum entfernt?«
»Trotzdem besteht kein Zweifel«, unterbrach Der-zu-den-Tierenspricht. »Vertrauen Sie Ihren Sinnen, Louis. Wahrscheinlich werden wir feststellen, daß sie einer anderen Rasse angehören als Sie oder Teela, aber es waren Menschen.«
»Weshalb sind Sie so sicher, Sprecher-zu-den-Tieren?«
»Ich kann sie riechen, Louis. Der Geruch stieg mir in die Nase, als ich die Schallfalte abstellte. Verlassen Sie sich auf meine Nase, Louis.«
Louis nahm es hin. Kzintinasen gehörten jagenden Fleischfressern. »Parallele Evolution?« schlug er vor.
»Unsinn«, flötete Nessus.
»Richtig.« Die menschliche Gestalt war adäquat für ein Wesen, das Werkzeuge benutzte, aber nicht mehr als andere Körperformen auch. Intelligenz kam in allen möglichen Gestalten daher.
»Wir vergeuden unsere Zeit«, fauchte Der-zu-den-Tieren-spricht. »Das Problem lautet nicht, wie Menschen herkommen konnten. Das Problem lautet: Wie stellen wir den ersten Kontakt her? Für uns wird jeder Kontakt ein Erstkontakt werden.«
Er hat recht, überlegte Louis. Die Flugräder kamen schneller voran als jede Nachrichtenübermittlung, über die die Einheimischen wahrscheinlich verfügten. Es sei denn, sie verwendeten Semaphore…
Der-zu-den-Tieren-spricht fuhr fort: »Wir müssen wissen, wie sich Menschen im Stadium des Barbarentums verhalten. Louis? Teela?«
»Ich kenne mich ein wenig in Anthropologie aus«, antwortete Louis.
»Schön, dann werden wir mit ihnen in Kontakt treten, und Sie werden für uns reden. Ich hoffe nur, daß der Autopilot einen akzeptablen Dolmetscher abgibt. Wir treten mit den nächsten Humanoiden in Kontakt, denen wir begegnen.«
Sie war kaum wieder in der Luft, als der Wald den Blick auf ein Schachbrettmuster bebauter Felder freigab. Sekunden später entdeckte Teela die Stadt.
Sie erinnerte an irdische Städte vergangener Jahrhunderte. Es gab zahlreiche Gebäude, die nur wenige Stockwerke hoch waren, dicht aneinandergedrängt in einer regellosen Anhäufung. Ein paar schlanke Türme ragten aus der Ansammlung hervor. Sie waren untereinander durch geschwungene Rampen für Bodenfahrzeuge verbunden: definitiv kein typisches Merkmal irdischer Städte. Irdische Städte aus vergleichbarer Zeit hatten eher Hubschrauberlandeplätze auf den Türmen gehabt.
»Vielleicht ist unsere Suche hier zu Ende«, sagte Der-zu-denTieren-spricht hoffnungsvoll.
»Ich wette, sie ist unbewohnt!« erwiderte Louis.
Es war nur eine Vermutung, doch er sollte recht behalten. Es wurde offensichtlich, als sie die Stadt überflogen.
In ihrer Blütezeit mußte die Stadt von geradezu überwältigender Schönheit gewesen sein. Besonders ein Merkmal hätte selbst heute noch den Neid jeder Stadt im Bekannten Weltraum erweckt: Zahlreiche Gebäude hatten gar nicht auf dem Boden gestanden, sondern in der Luft geschwebt. Rampen und Aufzugtürme hatten sie mit den Nachbarhäusern und dem Boden verbunden. Frei von den Fesseln der Schwerkraft und von horizontalen oder vertikalen Beschränkungen kamen die Traumschlösser in allen Formen und Variationen daher.
Jetzt flogen vier Räder über ihre Ruinen. Jedes der schwebenden Bauwerke hatte niedrigere Gebäude am Boden unter sich begraben, als es abgestürzt war. Überall zerbrochene Steine und Mauern und Glas und Beton, zerrissener Stahl und verbogene Rampen und Aufzugtürme, die noch immer in die Höhe ragten.
Der Anblick ließ Louis erneut über die Eingeborenen nachdenken. Menschliche Architekten bauten keine Luftschlösser; sie waren zu sicherheitsbewußt.
»Sie müssen alle auf einmal abgestürzt sein«, sagte Nessus. »Ich sehe nirgendwo ein Zeichen von Reparaturversuchen. Ein Energieausfall, ohne Zweifel. Sprecher-zu-den-Tieren, würden Kzinti so leichtsinnig bauen?«
»Wir mögen die Höhe nicht besonders. Menschen sind da vielleicht anders. Vielleicht hängen sie nicht so an ihrem Leben.«
»Boosterspice!« rief Louis. »Das ist die Antwort! Sie hatten kein Boosterspice.«
»Ja, deswegen waren sie weniger sicherheitsbewußt. Sie hatten weniger Lebensspanne, die sich zu schützen lohnte«, spekulierte der Puppenspieler. »Das erscheint mysteriös, oder nicht? Wenn sie sich nicht um ihr Leben sorgen, dann werden sie sich erst recht nicht um das unsrige kümmern.«
»Sie reden den Ärger förmlich herbei.«
»Wir werden es bald genug herausfinden. Sprecher-zu-den-Tieren, sehen Sie das letzte Bauwerk, das große, cremefarbene mit den zerbrochenen Scheiben…?«
Sie waren darüber hinweggeflogen, während der Puppenspieler gesprochen hatte. Louis, der mit dem Steuern der Flugräder an der Reihe war, wendete für einen zweiten Blick.
»Ich hatte recht. Sehen Sie das, Sprecher? Rauch!«
Das Gebäude war eine kunstvoll verdrehte und verzierte Säule von vielleicht zwanzig Stockwerken Höhe. Die Fenster waren Reihen schwarzer Ovale. Die meisten Fenster der unteren Etage waren verschüttet. Die wenigen offenen entließen grauen Rauch in den Wind.
Der Turm stand versunken zwischen ein- und zweistöckigen Häusern. Eine Reihe dieser Häuser war von einem rollenden Zylinder zerstört worden, der anscheinend aus dem Himmel gefallen war. Doch die rollende Ruine hatte sich in Betontrümmer aufgelöst, bevor sie den einzelnen Turm erreichen konnte.
Die Rückseite des Turms bildete den äußersten Rand der Stadt. Dahinter befanden sich nur noch Ackerflächen. Humanoide Gestalten rannten von den Feldern herbei, während die Flugräder landeten.
Gebäude, die aus der Luft betrachtet intakt ausgesehen hatten, waren aus Höhe der Dächer nur noch Ruinen. Nichts war verschont geblieben. Der Energieausfall und das begleitende Desaster mußten Generationen zuvor stattgefunden haben. Dann waren Vandalismus, Regen und all die verschiedenen Formen der Verwitterung gekommen, die kleinere Lebensformen verursachten. Rost und Erosion hatten ein Übriges getan. Ein Übriges, das in der prähistorischen Vergangenheit der Erde Hügel über den Städten hatte entstehen lassen, die Archäologen späterer Zeitalter durchsieben konnten.
Die Stadtbewohner hatten ihre Stadt nach dem Unglück nicht wieder aufgebaut. Sie waren auch nicht weggezogen. Sie waren in den Ruinen geblieben.
Und der Müll, den sie hinterließen, stapelte sich ringsum auf.
Abfall. Leere Schachteln. Vom Wind herangetragener Staub. Unverdauliche Nahrungsbestandteile, Knochen, Reste, die Karottengrün und Maisstrünken ähnelten. Zerbrochene Werkzeuge. Ein Hügel, der immer größer wurde, wenn die Bevölkerung zu träge war oder von harter Arbeit zu erschöpft, um den Abfall zu beseitigen. Er wurde größer, seine Bestandteile zersetzten und vermischten sich; der Haufen sackte unter seinem eigenen Gewicht zusammen und wurde von schweren Füßen weiter verdichtet, Jahr um Jahr, Generation um Generation.
Der ursprüngliche Eingang zum Turm war bereits versunken, so hoch war der Boden angestiegen. Während die Flugräder auf festem Dreck landeten, zehn Fuß über dem, was möglicherweise einst ein Parkplatz für große erdgebundene Fahrzeuge gewesen war, traten fünf eingeborene Humanoide in feierlicher Würde durch ein Fenster im ersten Stock nach draußen.
Es war ein zweiflügeliges Fenster, groß genug, um eine derartige Prozession zu ermöglichen. Das Sims und der Sturz waren mit dreißig oder vierzig humanoid aussehenden Schädeln geschmückt. Louis erkannte kein offensichtliches Muster in ihrer Anordnung.
Die Fünf kamen auf die Flugräder zu, dann zögerten sie, sichtlich im Zweifel, wer der Anführer der Fremden war. Sie sahen entfernt humanoid aus, doch sie gehörten eindeutig keiner bekannten menschlichen Rasse an.
Sie waren alle wenigstens sechs Zoll kleiner als Louis. Ihre Haut wirkte sehr weiß, wo sie zu sehen war; beinahe geisterhaft im Kontrast zu Teelas nordisch-rosigem Teint oder Louis’ dunklerem Gelbbraun. Ihre Rümpfe waren kurz, die Beine lang. Sie gingen mit identisch verschränkten Armen; die Finger waren außergewöhnlich lang und spitz. Jeder der Fünf hätte einen vorzüglichen Chirurgen abgegeben in einer Zeit, als es auf der Erde noch Chirurgie gegeben hatte.
Ihr Haar war noch außergewöhnlicher als die Hände. Alle fünf Würdenträger besaßen den gleichen aschblonden Farbton. Haare und Bärte waren gekämmt, aber ungeschnitten, und die Bärte bedeckten die Gesichter mit Ausnahme der Augen zur Gänze.
Unnötig zu erwähnen, daß die Fünf sich glichen wie ein Ei dem anderen.
»Sie sind so haarig!« flüsterte Teela.
»Bleibt auf den Fahrzeugen!« befahl Sprecher ebenfalls im Flüsterton. »Wartet, bis sie hier sind. Dann steigen wir ab. Ich nehme an, jeder hat seinen Translator bei sich?«
Louis trug die Scheibe auf der Innenseite des linken Handgelenks. Die Scheiben waren mit dem Schiffsrechner an Bord der Lying Bastard verbunden. Sie sollten eigentlich über diese Entfernung funktionieren, und der Rechner sollte imstande sein, jede neue Sprache zu analysieren und in Echtzeit zu übersetzen.
Doch es gab keine Möglichkeit, die tanj Dinger vor dem Ernstfall zu testen. Und dann waren da noch die vielen Schädel…
Weitere Eingeborene strömten auf den einstigen Parkplatz. Die meisten blieben stehen, als sie die bevorstehende Konfrontation erkannten, so daß die Menge in geziemendem Sicherheitsabstand einen weiten, unregelmäßigen Kreis bildete. Eine normale Menschenmenge wäre in erwartungsvolles Raunen ausgebrochen; Wetten wären abgeschlossen worden und Streitereien entbrannt. Diese Menge hier verhielt sich unnatürlich still.
Vielleicht fühlten sich die Würdenträger durch die Gegenwart der Zuschauer zu einer Entscheidung gedrängt. Jedenfalls beschlossen sie, sich Louis Wu zu nähern.
Die Fünf… sie sahen sich doch nicht so ähnlich. Sie besaßen unterschiedliche Körpergrößen. Sie waren allesamt dünn, doch einer war beinahe so mager wie ein Skelett, und einer war beinahe muskulös. Vier trugen schlaffe, beinahe farblose braune Umhänge, der fünfte trug einen Umhang von beinahe gleichem Schnitt — aus der gleichen Decke geschneidert? —, doch die Farbe war ein verblaßtes Rosa.
Der Dünnste von allen war der, der als erster sprach. Ein eintätowierter blauer Vogel schmückte seinen Handrücken.
Louis antwortete.
Der Tätowierte hielt eine kurze Ansprache. Es war ein glücklicher Umstand. Der Schiffsrechner würde genügend Datenmaterial benötigen, bevor er mit einer Übersetzung beginnen konnte.
Louis antwortete erneut.
Der Tätowierte sprach erneut. Seine vier Begleiter hielten ihr würdevolles Schweigen aufrecht. Genau wie unglaublicherweise die Zuschauer.
Die Scheiben nahmen Worte und Sätze auf…
Später dachte Louis, daß das Schweigen ihn hätte warnen müssen. Es war ihre Haltung, die ihn zum Narren machte. Der weite Kreis aus Humanoiden, die vier haarigen Männer, die in einer Reihe standen und davor der fünfte mit der tätowierten Hand, der seine Rede hielt.
»Wir nennen ihn die Faust Gottes.« Der mit der tätowierten Hand deutete direkt nach Steuerbord. »Warum? Warum nicht! Gefällt dir der Name nicht, Baumeister?« Er schien den gewaltigen Berg zu meinen, den sie zusammen mit dem Schiff hinter sich gelassen hatten. Inzwischen war er völlig im Dunst der schieren Entfernung verschwunden.
Louis lauschte und lernte. Der Schiffsrechner gab einen hervorragenden Dolmetscher ab. Nach und nach entstand ein Bild, ein Bild von einem Bauerndorf, dessen Bewohner in den Ruinen einer einst großartigen Stadt lebten…
»Zugegeben, Zignamucklickklick ist nicht mehr so groß, wie es einst war. Trotzdem sind unsere Behausungen noch immer besser als alles, was wir selbst zu bauen imstande sind. Wenn irgendwo ein Dach fehlt, so bleiben die unteren Stockwerke dennoch trocken, wenn es nicht zu lange regnet. Die Bauwerke der Stadt sind leicht zu heizen und im Krieg gut zu verteidigen. Sie brennen kaum jemals nieder.
So sieht es aus, Baumeister. Morgens gehen wir auf die Felder zur Arbeit, und abends kehren wir in unsere Behausungen am Rand von Zignamucklickklick zurück. Warum sollten wir uns anstrengen, neue Häuser zu bauen, wenn die alten ihren Zweck viel besser erfüllen?«
Zwei furchteinflößende Aliens und zwei Beinahe-Menschen, ohne Bart und unnatürlich groß gewachsen; alle vier auf Metallvögeln ohne Flügel, aus deren Mündern Kauderwelsch kam, das die Metallscheiben an ihren Handgelenken mit Sinn füllten… kein Wunder, daß die Eingeborenen Louis und seine Begleiter für die Erbauer der Ringwelt hielten. Louis unternahm nichts, um den Eindruck zu korrigieren. Eine Erklärung, woher sie kamen, hätte Tage in Anspruch genommen. Sie waren hier, um zu lernen — und nicht, um zu lehren.
»Dieser Turm, Baumeister, ist unser Regierungssitz. Wir herrschen über mehr als tausend Leute. Könnten wir einen besseren Palast finden als diesen Turm? Wir haben die oberen Stockwerke abgedichtet, so daß die Räume, die wir nutzen, die Wärme halten. Einst mußten wir den Turm verteidigen, indem wir Trümmer aus den oberen Stockwerken herabwarfen. Ich erinnere mich noch, daß unsere schlimmste Sorge die Furcht vor der Höhe war…
Trotzdem sehnen wir uns nach der Wiederkehr der Tage voller Wunder, als unsere Stadt tausendmal Tausend Bewohner hatte und Bauwerke in der Luft schwebten. Wir hoffen, daß ihr euch entschließt, uns diese Tage zurückzubringen. Man sagt, daß in den Tagen voller Wunder diese alte Welt selbst ihre jetzige Gestalt erhielt. Vielleicht hättest du die Güte zu verraten, ob das zutrifft?«
»Annähernd«, sagte Louis.
»Und werden diese Tage wiederkehren?«
Louis gab eine Antwort, von der er hoffte, daß sie unverbindlich war. Er spürte die Enttäuschung seines Gegenübers mehr, als daß er sie erriet.
Es war nicht leicht, den Gesichtsausdruck der haarigen Männer zu lesen. Gesten waren eine Art Kode, und die Gesten des Sprechers entstammten keiner terranischen Kultur. Dicht gelocktes platinblondes Haar verbarg sein Gesicht bis auf die Augen, die braun und weich in die Welt blickten. Doch Augen allein sind überhaupt nicht ausdrucksvoll, im Gegensatz zu dem, was man allgemein glaubt.
Die Worte klangen fast wie ein Sprechgesang. Als würde der Tätowierte Poesie rezitieren. Der Schiffsrechner übersetzte Louis’ Worte in ähnlich klingende Laute, obwohl Louis in normalem Konversationston redete. Er konnte die übrigen Translatorscheiben hören: Sie flöteten leise in der Sprache der Puppenspieler oder schnarrten in der Heldensprache der Kzinti.
Louis stellte Fragen…
»Nein, Baumeister. Wir sind kein blutrünstiges Volk. Wir führen nur selten Kriege. Die Schädel? Sie liegen überall im Boden, wo man in Zignamucklickklick geht und steht. Sie liegen seit dem Fall der Stadt dort, heißt es. Wir benutzen sie als Dekoration und wegen ihres Symbolgehalts.« Der Sprecher hob feierlich die Hand und zeigte Louis seine Vogeltätowierung.
Und sämtliche Umstehenden riefen: »…!«
Das Wort wurde nicht übersetzt.
Es war das erste Mal, daß jemand anderes als der Tätowierte überhaupt ein Wort gesagt hatte.
Louis hatte etwas verpaßt, und er wußte es. Unglücklicherweise war nicht genug Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen.
»Zeigt uns ein Wunder«, verlangte der Sprecher. »Wir bezweifeln eure Macht nicht, aber vielleicht kommt ihr nie wieder hier vorbei. Wir möchten eine Erinnerung, die wir unseren Kindern weitergeben können.«
Louis überlegte. Sie waren bereits wie Vögel geflogen — dieser Trick würde kein zweites Mal Eindruck erwecken. Vielleicht Manna aus den Ausgabeschlitzen des Küchenautomaten? Aber selbst Erdgeborene besaßen verschiedene Geschmäcker. Der Unterschied zwischen Nahrung und Abfall wurde größtenteils durch Kultur bestimmt. Manche aßen Heuschrecken mit Honig, andere brieten Schnecken. Der Käse des einen war die faule Milch des anderen. Besser, es nicht auszuprobieren. Vielleicht die Flashlaser?
Louis öffnete das Gepäckabteil seines Rads, als der Rand der Sonne von einer ersten Ecke einer Schattenblende berührt wurde. Dunkelheit würde seine Vorführung noch beeindruckender erscheinen lassen.
Mit weiter Streuung und geringer Intensität richtete er das Licht zuerst auf den Sprecher, dann auf seine vier Mitregierenden, und zuletzt auf die Gesichter der Menge. Wenn sie beeindruckt waren, verbargen sie es jedenfalls gut. Louis ließ sich seine Enttäuschung nicht anmerken und zielte mit dem Laser nach oben.
Er zielte auf eine Figur, die vom Dach des Turms vorsprang wie ein surrealistischer Wasserspeier. Louis bewegte den Daumen, und der Wasserspeier leuchtete gelb-weiß auf. Louis bewegte den Zeigefinger, und der Strahl verengte sich zu einem grünen Bleistift. Der Wasserspeier hatte plötzlich einen weißglühenden Bauchnabel.
Louis wartete auf den Applaus.
»Ihr kämpft mit Licht, Baumeister!« sagte der Sprecher mit der tätowierten Hand. »Wißt ihr nicht, daß das verboten ist?«
»…!« rief die Menge und verstummte genauso plötzlich wieder.
»Das wußten wir nicht«, erwiderte Louis. »Wir entschuldigen uns.«
»Das wußtet ihr nicht? Wie konntet ihr das nicht wissen? Habt ihr nicht selbst den Bogen errichtet, als Zeichen eures Bundes mit den Menschen?«
»Welchen Bogen meinst du?«
Das Gesicht des Mannes war unter Haaren verborgen, doch sein Erstaunen war unübersehbar. »Den Bogen über der Welt, o Baumeister!«
Louis verstand mit einem Mal. Er brach in Lachen aus.
Der haarige Mann boxte ihn ungeschickt auf die Nase.
Es war ein leichter Schlag, denn der haarige Mann war schwach, und seine Hände waren zart. Aber es tat trotzdem weh.
Louis war nicht an Schmerz gewöhnt. Die meisten Leute seiner Generation hatten niemals stärkeren Schmerz empfunden als einen angestoßenen Zeh. Anästhetika waren zu weit verbreitet, und medizinische Hilfe war stets in der Nähe. Der Schmerz eines beim Skifahren gebrochenen Beins dauerte in der Regel nur Sekunden, keine Minuten, und die Erinnerung daran wurde häufig auch noch als nicht tolerierbares Trauma unterdrückt. Kampfkünste wie Karate, Judo, Jiu-Jitsu oder Boxen waren schon lange vor Louis’ Geburt illegal gewesen. Louis Wu war ein lausiger Kämpfer. Er konnte dem Tod ins Gesicht sehen, doch Schmerzen ertragen konnte er nicht.
Der Schlag schmerzte. Louis schrie auf und ließ seinen Flashlaser fallen.
Die Menge schoß vor. Zweihundert aufgebrachte haarige Gestalten wurden zu tausend Dämonen, und die Dinge waren nicht mehr annähernd so lustig wie noch eine Minute zuvor.
Der gertenschlanke Sprecher hatte beide Arme um Louis geschlungen und umklammerte ihn mit hysterischer Kraft. Louis, der nicht weniger hysterisch war, befreite sich mit einem heftigen Ruck. Er war auf seinem Flugrad, die Hand am Lenker, als die Vernunft zurückkehrte.
Die anderen Flugräder waren mit seinem gekoppelt. Wenn er jetzt startete, würden sie ebenfalls starten, mit oder ohne Passagiere.
Louis blickte sich um.
Teela Brown war bereits in der Luft. Aus sicherer Distanz beobachtete sie mit besorgt erhobenen Augenbrauen den Kampf. Sie hatte nicht eine Sekunde daran gedacht, den anderen zu helfen.
Der-zu-den-Tieren-spricht wütete unter den Angreifern. Er hatte bereits ein halbes Dutzend Feinde niedergestreckt. Während Louis hinsah, schwang der Kzin seinen Flashlaser und zerschmetterte einem Mann den Schädel.
Die haarigen Angreifer umkreisten ihn unentschlossen.
Langfingrige Hände streckten sich Louis entgegen und versuchten, ihn von seinem Flugrad zu zerren. Sie drohten die Oberhand zu gewinnen, obwohl sich Louis mit aller Macht am Sattel festklammerte. Fast zu spät dachte er daran, die Schallfalte zu aktivieren.
Die Eingeborenen kreischten, als sie weggeschleudert wurden.
Irgend jemand war noch immer hinter Louis. Louis stieß ihn weg, ließ ihn fallen und schaltete das Schallfeld aus und wieder ein, um sich seiner zu entledigen. Er suchte den einstigen Parkplatz nach Nessus ab.
Der Puppenspieler bemühte sich, sein eigenes Flugrad zu erreichen. Die Eingeborenen schienen sich ob seiner fremdartigen Gestalt vor ihm zu fürchten. Nur ein einziger stellte sich dem Puppenspieler in den Weg, doch dieser eine war mit einer Eisenstange von irgendeiner alten Maschine bewaffnet.
In dem Augenblick, als Louis die beiden erblickte, schwang der Haarige seinen Stab gegen Nessus Kopf.
Nessus riß den Kopf zurück. Er wirbelte auf den Vorderbeinen herum und wandte der Gefahr den Rücken zu. Allerdings nicht die beiden Köpfe.
Der eigene Fluchtreflex des Puppenspielers würde ihn umbringen, wenn Louis oder Der-zu-den-Tieren-spricht ihm nicht rechtzeitig helfen konnten. Louis öffnete den Mund, um eine Warnung zu rufen, und der Puppenspieler vervollständigte seine Bewegung.
Louis schloß den Mund wieder.
Der Puppenspieler wandte sich seinem Flugrad zu.
Niemand versuchte mehr, ihn aufzuhalten. Der Hinterhuf hinterließ blutige Abdrücke auf dem festgetrampelten Schmutz.
Der Kzin war von Eingeborenen umzingelt, doch sie hielten sich sorgfältig aus seiner Reichweite. Er spuckte ihnen vor die Füße — keine Kzinti-Geste, sondern eine menschliche —, wandte sich ab und stieg auf sein Flugrad. Sein Flashlaser und seine linke Hand waren bis zum Ellbogen hinauf blutbesudelt.
Der Eingeborene, der Nessus aufzuhalten versucht hatte, lag noch immer dort, wo er gefallen war. Eine Blutlache hatte sich rings um ihn gebildet.
Die anderen waren bereits in der Luft. Louis startete ebenfalls. Als er sah, was Der-zu-den-Tieren-spricht vorhatte, rief er: »Lassen Sie das! Es ist nicht nötig!«
Der Kzin hatte das modifizierte Slaver-Grabwerkzeug gezogen. »Muß es immer nötig sein?«
»Lassen Sie das!« bat Louis inständig. »Es wäre Mord. Wie können sie uns jetzt noch schaden? Vielleicht Felsbrocken hinter uns herschleudern?«
»Sie könnten Ihren Flashlaser gegen uns richten.«
»Sie wissen überhaupt nicht, wie er funktioniert. Außerdem ist Licht tabu.«
»Das hat ihr Sprecher behauptet. Glauben Sie ihm?«
»Ja.«
Der Kzin steckte die Waffe zurück. (Louis seufzte erleichtert auf. Er hatte befürchtet, daß der Kzin die ganze Stadt einebnen würde.) »Wie mag sich so ein Tabu entwickelt haben? Ein Krieg mit Energiewaffen?«
»Vielleicht ein Bandit mit der letzten funktionierenden Laserkanone der Ringwelt. Zu schade, daß wir jetzt niemanden mehr danach fragen können.«
»Ihre Nase blutet.«
Nachdem er darauf aufmerksam gemacht worden war, brannte Louis’ Nase schmerzhaft. Er übergab die Kontrolle seines Gefährts dem Kzin und machte sich daran, seine Wunden zu verarzten. Unter ihnen schwärmte ein verwirrter, wutschäumender Mob über die Ränder von Zignamucklickklick aus.