KAPITEL EINUNDZWANZIG DIE FRAU VON DRÜBEN

Ihr Name lautete Halrloprillalar Hotrufan. Sie war zweihundert Jahre lang mit dem Ramjetschiff… Pioneer, wie Nessus es nach leichtem Zögern nannte, unterwegs gewesen.

Die Pioneer verkehrte auf einer Route, die sie im Verlauf von vierundzwanzig Jahren zu vier Sonnen und ihren Planeten führte: Fünf Welten mit Sauerstoffatmosphäre sowie die Ringwelt. Das »Jahr«, mit dem Halrloprillalar rechnete, war eine traditionelle Maßeinheit, die nichts mit der Umlaufdauer der Ringwelt zu tun hatte. Vielleicht stimmte es mit dem solaren Orbit einer der verlassenen Sauerstoffwelten überein.

Zwei der fünf Welten, die die Pioneer ansteuerte, waren vor der Erschaffung der Ringwelt dicht mit Menschen bevölkert gewesen. Heute waren sie verlassen wie die drei anderen auch, überwuchert mit verwilderter Vegetation und den Überresten verrottender Städte.

Acht Mal war Halrloprillalar die Route mitgefahren. Sie wußte, daß auf den verlassenen Welten Pflanzen und Tiere gediehen, die sich nicht an das Leben auf der Ringwelt hatten anpassen können, weil es dort keine Jahreszeiten gab. Einige der Pflanzen waren Gewürze. Einige der Tiere lieferten Fleisch. Darüber hinaus — Halrloprillalar wußte weder mehr, noch interessierte es sie.

Ihre Aufgabe an Bord hatte nichts mit der Fracht zu tun gehabt.

»Genausowenig wie mit der Schiffsmaschinerie oder dem Lebenserhaltungssystem. Ich war nicht imstande herauszufinden, was sie genau machte«, berichtete Nessus. »Die Pioneer hatte eine Besatzung von sechsunddreißig Mann. Zweifellos waren einige davon überflüssig. Halrloprillalar hatte bestimmt nichts mit komplexen oder lebenswichtigen Aufgaben an Bord zu tun. Sie ist nämlich nicht besonders intelligent, Louis.«

»Haben Sie daran gedacht, sie nach dem Verhältnis von Männern und Frauen an Bord zu fragen? Wie viele der sechsunddreißig Besatzungsmitglieder waren weiblich?«

»Das hat sie mir erzählt. Drei.«

»Vergessen Sie ihren Beruf. Sie würden es nicht verstehen.«

Zweihundert Jahre Liniendienst. Abenteuer. Sicherheit. Am Ende von Halrloprillalars achter Tour hatte die Ringwelt überraschend nicht mehr auf die Rufe der Pioneer geantwortet.

Die Linearbeschleuniger hatten nicht mehr gearbeitet.

Soweit sie mit den Teleskopen feststellen konnten, gab es auf keinem einzigen der Raumhäfen irgendein Zeichen von Aktivitäten.

Die fünf Welten auf der Route der Pioneer waren nicht mit Linearbeschleunigern zum Abbremsen ausgerüstet. Die Pioneer hatte deswegen ihren eigenen Treibstoff mitgeführt, interstellaren Wasserstoff, den sie unterwegs aufsammelte und kondensierte. Das Schiff hätte landen können… aber wo?

Nicht auf der Ringwelt selbst. Die automatische Meteoritenabwehr hätte sie in Stücke geschossen.

Sie hatten keine Landeerlaubnis vom Raumhafensims erhalten. Irgend etwas stimmte nicht.

Zurück zu einer der verlassenen ehemaligen Heimatwelten? Das würde bedeuten, eine neue Kolonie zu gründen… mit dreiunddreißig Männern und drei Frauen.

»Sie waren engstirnige Gefangene ihrer eigenen Routine und nicht darauf vorbereitet, eine derartige Entscheidung zu treffen. Sie gerieten in Panik«, berichtete Nessus. »Sie meuterten. Dem Piloten der Pioneer gelang es, sich lange genug im Kontrollraum einzuschließen, bis er das Schiff auf dem Sims des Raumhafens gelandet hatte. Sie ermordeten ihn, weil er das Schiff und ihr aller Leben riskiert hatte, erzählt Halrloprillalar. Ich frage mich allerdings, ob sie ihn nicht einfach deswegen umbrachten, weil er gegen die Tradition verstieß. Weil er mit eigenen Antrieben und ohne formelle Landeerlaubnis auf der Ringwelt niederging.«

Louis spürte, daß Blicke auf ihm ruhten. Er sah nach oben.

Die Raumfahrerfrau beobachtete die drei noch immer. Nessus erwiderte ihren Blick mit einem seiner Köpfe. Mit dem linken.

Also hatte er den Tasp im linken Kopf verborgen. Das war auch der Grund, aus dem Nessus unablässig nach oben sah. Die Frau namens Halrloprillalar ließ Nessus nicht aus den Augen, und der Puppenspieler wagte nicht, sie aus der lieblichen Umarmung seines Tasps zu entlassen.

»Nachdem sie den Piloten getötet hatten, verließen sie das Schiff«, erzählte Nessus weiter. »Da erst wurde ihnen klar, welch einen großen Fehler der Pilot begangen hatte. Das Cziltang Brone war beschädigt und funktionierte nicht mehr. Sie waren auf der falschen Seite eines tausend Meilen hohen Walls gestrandet.

Ich kenne die Bedeutung des Begriffs Cziltang Brone auf Interspeak oder in der Heldensprache nicht. Ich kann Ihnen lediglich schildern, was dieses Gerät bewirkt. Und das ist für uns von elementarer Bedeutung.«

»Reden Sie weiter«, sagte Louis Wu.

»Die Ringweltkonstrukteure hatten alles narrensicher gemacht. In vielerlei Hinsicht schienen sie sogar den Niedergang der Zivilisation vorausgesehen zu haben. Sie hatten Vorkehrungen getroffen und geplant, als seien die Zyklen aus Barbarei und Kultur das unabwendbare Los der Menschheit. Die komplexe Struktur der Ringwelt würde nicht verwahrlosen und am Ende versagen. Die Nachfahren ihrer Erbauer mochten vielleicht vergessen, wie man Luftschleusen und elektromagnetische Kanonen instand hielt, wie man Welten bewegte und Flugwagen konstruierte, und die Zivilisation mochte enden — nicht aber die Ringwelt.

Die Meteoritenabwehr zum Beispiel war so vollkommen ausfallsicher, daß Halrloprillalar…«

»Nennen Sie sie einfach Prill«, schlug Louis vor.

»… daß Prill und ihre Mannschaft nicht einen Augenblick auf den Gedanken kamen, sie könnte nicht mehr arbeiten.

Doch was war mit dem Raumhafen? Wie ausfallsicher würde er sein, wenn irgendein Idiot beide Türen einer Luftschleuse offenstehen ließ?

Es gab gar keine Luftschleusen! Statt dessen gab es das Cziltang Brone. Diese Maschine erzeugte ein Feld, das das Material des Ringweltfundaments und damit auch des Randwalls durchlässig für feste Materie machte! Nicht ganz ohne Widerstand allerdings. Während das Cziltang Brone arbeitete…«

»Eine Art Osmosegenerator«, schlug Louis vor.

»Vielleicht. Ich vermute, die Silbe Brone ist ein Satzpartikel. Wahrscheinlich obszöner Natur.

Luft leckte durch die Materie, während das Cziltang Brone eingeschaltet war, allerdings nur langsam. Man konnte sich gegen den Widerstand bewegen und kämpfte in seinem Druckanzug gegen einen konstanten Luftstrom. Maschinen und schwere Massen konnten mit Hilfe von Seilwinden hindurchgezogen werden…«

»Was war mit komprimierter Atemluft?« fragte Der-zu-denTieren-spricht.

»Die wurde außerhalb des Walls hergestellt, mit Hilfe der Materieumwandler.

Ja, die Ringweltkonstrukteure haben billige Materieumwandlung gekannt. Sie war nur billig, wenn man große Mengen umsetzte, und es gab noch weitere Beschränkungen. Die Maschine selbst war gigantisch. Sie verwandelte immer nur ein Element zur Zeit in ein anderes. Die beiden Umwandler auf dem Raumhafensims verwandelten Blei in Stickstoff und Sauerstoff. Blei war einfach zu lagern und leicht durch den Randwall zu transportieren.

Die Osmosegeneratoren waren narrensicher. Falls eine Luftschleuse ausfiel, konnte wertvolle Atemluft in einem wahren Hurrikan verloren gehen. Falls das Cziltang Brone ausfiel, war das Schlimmste, was geschehen konnte, daß die Luftschleuse ins All nicht mehr passierbar war — auch nicht für zurückkehrende Raumfahrer.«


»Also auch nicht für uns«, sagte Der-zu-den-Tieren-spricht.

»Nicht so schnell«, entgegnete Louis. »Nicht so schnell. Es klingt in meinen Ohren, als sei der Osmosegenerator genau das, was wir brauchen, um wieder nach Hause zu kommen. Wir würden die Lying Bastard überhaupt nicht von der Stelle bewegen müssen. Wir richten lediglich den Cziltang Brone…«, er sprach das Wort aus, als müßte er niesen, »… auf das Ringweltfundament unter dem Schiff. Die Liar sinkt wie Treibsand durch den Boden. Nach unten und auf der anderen Seite hinaus.«

»Wo wir dann im geschäumten Meteoritenpuffer gefangen wären«, gab der Kzin zu bedenken. Dann: »Ich korrigiere mich. Dieses Problem könnten wir mit dem Slaver-Desintegrator lösen.«

»Ganz recht«, sagte Nessus. »Unglücklicherweise sind wir nicht im Besitz eines Cziltang Brone.«

»Sie ist hier! Sie muß irgendwie durchgekommen sein!«

»Ja…«

Die Magnetohydrodynamiker hatten praktisch einen neuen Beruf erlernen müssen, bevor sie sich daran machen konnten, das Cziltang Brone wieder instand zu setzen. Es dauerte mehrere Jahre. Die Maschine war während des Betriebs ausgefallen: Sie war teilweise verbogen, teilweise geschmolzen. Sie mußten neue Teile anfertigen; rekalibrieren; Elemente benutzen, von denen sie wußten, daß sie ausfallen würden… aber vielleicht hielten sie lange genug…

Während dieser Zeit gab es einen Unfall. Ein Osmosestrahl, durch schlechte Kalibrierung verstellt, ging durch die Pioneer. Zwei Besatzungsmitglieder starben, als sie hüfttief in einen Metallboden einsanken. Siebzehn andere erlitten permanente Hirnschäden — zusätzlich zu den Verletzungen, die entstanden, weil durchlässige Körpermembranen mit einem Mal zu durchlässig wurden.

Doch sie schafften es — die übriggebliebenen sechzehn. Sie nahmen die Idioten mit. Sie nahmen auch das Cziltang Brone mit, für den Fall, daß die Ringwelt unbewohnbar geworden war.

Sie fanden Barbarei. Überall nichts als Barbarei.

Jahre später unternahmen einige von ihnen den Versuch zurückzukehren.

Das Cziltang Brone versagte erneut mitten im Betrieb, und vier von ihnen blieben im Randwall gefangen. Und das war es dann. Zu diesem Zeitpunkt wußten sie längst, daß nirgendwo auf der Ringwelt Ersatzteile erhältlich sein würden.


»Ich verstehe nicht, wie sie so rasch in die Barbarei zurückfallen konnten«, sagte Louis. »Sie sagen, die Fahrt der Pioneer dauerte vierundzwanzig Jahre?«

»Vierundzwanzig Jahre Schiffszeit, Louis.«

»Oh. Das ist natürlich etwas anderes.«

»Ja. Für ein Schiff, das mit normaler Ringweltbeschleunigung als Schub reist, liegen die Sterne scheinbar nur drei bis sechs Jahre auseinander. Die tatsächlichen Entfernungen waren gewaltig. Prill sprach von einer verlassenen Region zweihundert Lichtjahre in Richtung des galaktischen Zentrums, wo sich drei Sonnen in weniger als zehn Lichtjahren Entfernung voneinander ballten.«

»Zweihundert Lichtjahre… verdammt nah an menschlichem Siedlungsraum, meinen Sie nicht auch?«

»Vielleicht sogar mitten drin, Louis. Sauerstoffplaneten sind im allgemeinen nicht so verbreitet wie in der näheren Umgebung des Solsystems. Halrloprillalar sprach von langfristigen Terraformtechniken, die auf diesen Welten zum Einsatz kamen, viele Jahrhunderte vor der Errichtung der Ringwelt. Diese Techniken benötigten zu viel Zeit. Die ungeduldigen Menschen stellten sie auf halbem Weg wieder ein.«

»Das würde Einiges erklären. Außer… nein, vergessen Sie’s.«

»Primaten, Louis? Es gibt genügend Beweise, daß Ihre Spezies sich auf der Erde entwickelte. Allerdings war die Erde möglicherweise eine bequeme Basis für ein Terraformprojekt, das auf nahegelegene Welten zielte. Die Ringweltkonstrukteure haben vielleicht ihre Haustiere und Diener mitgebracht.«

»Wie Affen und Menschenaffen und Neandertaler…?« Louis machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es ist reine Spekulation. Nichts, das wir unbedingt wissen müßten.«

»Sicher.« Der Puppenspieler kaute auf einem vegetarischen Nahrungsriegel, während er weitersprach. »Die Route, auf der die Pioneer fuhr, war mehr als dreihundert Lichtjahre lang. Es gab genügend Zeit für ausgedehnte Veränderungen während einer solchen Reise, obwohl derartige Veränderungen kaum je stattfanden. Die Gesellschaft, in der Prill lebte, war extrem stabil.«

»Wie konnte sie so sicher sein, daß die gesamte Ringwelt in Barbarei zurückgefallen war? Wie lange haben sie nach Zivilisation gesucht?«

»Nicht sehr lange. Prill hatte recht. Das Cziltang Brone wird nicht wieder repariert werden. Inzwischen ist wahrscheinlich nirgendwo mehr etwas anderes als Barbarei anzutreffen.«

»Wieso?«

»Prill versuchte mir zu erklären, was sich zugetragen haben muß. Irgend jemand aus ihrer Besatzung hat es ihr verraten. Natürlich hat er alles sehr vereinfacht. Möglicherweise setzte der Prozeß bereits vor dem letzten Start der Pioneer ein…«

Es hatte zehn bewohnte Welten gegeben. Als die Ringwelt fertig gewesen war, hatten sie alle diese Welten aufgegeben und ihrem Schicksal überlassen.

Und wie hatte eine solche Welt ausgesehen!

Das Land war überzogen von Städten in allen Entwicklungsstadien. Vielleicht waren Slums obsolet geworden, doch irgendwie gab es sie immer, und wenn nur aus historischen Gründen, als Museen. Überall waren Spuren menschlicher Existenz zu finden: Benutzte Behälter, ausgebrannte Maschinen, beschädigte Bücher oder Filmrollen oder Bänder… alles, was nicht mit Gewinn wieder aufbereitet oder erneut benutzt werden konnte, und noch Vieles darüber hinaus. Die Ozeane hatten bereits hunderttausend Jahre als Abfalldeponien gedient. Irgendwann im Verlauf dieser Zeit hatte man abgebranntes radioaktives Material aus der Energieerzeugung hineingekippt.

Welch ein merkwürdiges Leben muß sich im Meer entwickeln, das mit den neuen Umweltbedingungen zurechtkommt?

Welch ein merkwürdiges Leben, das auf den Abfallhalden gedeiht?

»Das ist auch auf der Erde geschehen«, sagte Louis Wu. »Eine Hefe, die von Polyethylen leben konnte. Sie fraß die Plastiktüten aus den Supermarktregalen. Inzwischen ist sie ausgestorben. Aber erst, nachdem wir den Gebrauch und die Produktion von Polyethylen völlig einstellten.«

Wie hatten zehn solche Welten ausgesehen!

Bakterien, die Zinkverbindungen angriffen. Plastik. Farbe. Elektrische Isolierungen. Frische Abfälle und Abfälle, die bereits seit Jahrtausenden irgendwo lagerten. Es hätte keine Rolle gespielt, wären nicht die Ramjetschiffe gewesen.

Sie kamen routinemäßig zu den aufgegebenen Welten, auf der Suche nach Lebensformen, die man vergessen hatte oder die sich nicht an die Umweltbedingungen auf der Ringwelt angepaßt hatten. Sie brachten alles mit zurück, auch andere Dinge: Souvenirs, Kunstgegenstände, Dinge, deren Abtransport man immer wieder verschoben hatte. Noch immer wurden zahlreiche Museen umgesiedelt; ein unendlich wertvolles Stück nach dem anderen.

Eines der Ramjetschiffe brachte einen Schimmelpilz mit zurück, der imstande war, die Struktur eines Raumtemperatursupraleiters zu zerstören, der universell in den hochentwickelten Maschinen der Ringweltkonstrukteure eingesetzt wurde.

Der Pilz arbeitete langsam. Er ruinierte das Ramjetschiff erst, nachdem es wieder auf der Ringwelt gelandet war. Es zerstörte das Cziltang Brone des Raumhafens erst, nachdem die Besatzung und die Arbeiter des Raumhafens ihn ins Innere der Ringwelt geschleppt hatten. Er kontaminierte die Energieempfänger erst, nachdem die Fähren, die durch die elektromagnetischen Beschleuniger auf dem Randwall verkehrten, ihn über die gesamte Ringwelt verbreitet hatten.

»Energieempfänger?«

»Sie gewannen ihre Energie durch Thermoelektrizität auf den Schattenblenden, dann strahlten sie sie zur Ringwelt ab. Wahrscheinlich ebenfalls eine narrensichere Konstruktion. Wir haben die Strahlen nicht entdeckt, als wir ankamen. Die Generatoren haben sich wahrscheinlich abgeschaltet, nachdem die Empfänger ausgefallen waren.«

»Bestimmt hätten sie einen anderen Supraleiter entwickeln können«, warf der Kzin ein. »Wir kennen zwei grundlegende Molekularstrukturen, aus denen sich zahlreiche Variationen mit verschiedenen Temperatur- und Einsatzbereichen herstellen lassen.«

»Es gibt wenigstens vier grundlegende Strukturen«, verbesserte ihn Nessus. »Trotzdem, Sie haben ganz recht. Die Ringwelt hätte den Fall der Städte überleben müssen. Eine jüngere, vitalere Gesellschaft hätte es zweifelsohne geschafft. Aber bedenken Sie auch die Probleme, vor denen sich die Baumeister sahen.

Ein Großteil ihrer Führer war tot, gestorben in herabstürzenden Schwebebauten, als die Energiezufuhr versagte.

Ohne Energie konnten sie keine großartigen Experimente durchführen, um andere Supraleiter zu entwickeln. Gespeicherte Energie wurde für den persönlichen Gebrauch einflußreicher Persönlichkeiten konfisziert oder dazu eingesetzt, zivilisierte Enklaven zu versorgen; alles in der Hoffnung, daß irgend jemand anderes sich schon um die Katastrophe kümmern würde. Die Fusionsantriebe der Ramjetschiffe waren unzugänglich, da das Cziltang Brone ebenfalls mit Supraleitern arbeitet. Leute, die vielleicht etwas hätten ändern können, waren zu weit voneinander entfernt, um sich zu treffen. Der Computer, der den Linearbeschleuniger auf dem Randwall steuerte, war tot. Der Beschleuniger selbst war ohne Energie.«

»Weil ein Nagel fehlte, brach ein Königreich zusammen«, sagte Louis.

»Ich kenne die Geschichte«, sagte Nessus. »Sie ist nicht ganz zutreffend. Irgend etwas hätten sie unternehmen können. Es gab Energie, um Helium zu verflüssigen. Die Reparatur der Energieempfänger wäre sinnlos gewesen, da die Sender sich abgeschaltet hatten. Sie hätten ein Cziltang Brone mit Supraleitern ausstatten können, die durch flüssiges Helium gekühlt werden. Mit einem funktionierenden Cziltang Brone hätten sie wieder Zugang zu den Raumhäfen gehabt. Schiffe hätten zu den Schattenblenden aufbrechen und die Energiesender wieder einschalten können. Sie hätten weitere heliumgekühlte Supraleiter in die Energieempfänger einbauen können.

Allerdings hätten sie für all das gespeicherte Energie benötigt. Statt dessen benutzten sie die Energie für Straßenlaternen, oder um die verbleibenden Schwebebauten zu stützen oder um Mahlzeiten zuzubereiten und Nahrung einzufrieren! Das war der Untergang der Ringwelt, und nichts sonst.«

»Und auch der unsere«, sagte Louis Wu.

»Ja. Wir haben Glück, daß wir Halrloprillalar begegnet sind. Sie hat uns eine sinnlose Reise erspart. Es besteht keine Notwendigkeit mehr, zum Randwall weiterzuziehen.«

Louis Kopf dröhnte. Er würde Kopfschmerzen bekommen.

»Glück!« sagte Der-zu-den-Tieren-spricht. »In der Tat. Wenn das Glück sein soll, warum freue ich mich dann nicht? Wir haben kein Ziel mehr, die letzte magere Hoffnung auf Flucht ist zerschlagen. Unsere Flugmaschinen sind ruiniert. Ein Mitglied unserer Mannschaft ist im Labyrinth der Stadt verlorengegangen.«

»Tot«, widersprach Louis. Sie blickten ihn verständnislos an, und er deutete in den Staub. Teelas Flugrad war deutlich genug zu erkennen. Einer der vier Scheinwerfer strahlte es an.

»Von jetzt an müssen wir uns selbst um unser Glück kümmern«, sagte er.

»Ja. Wie Sie sich bestimmt erinnern, Louis, war Teelas Glück sowieso eine sporadische Angelegenheit. Es konnte nicht anders sein. Ansonsten wäre sie nicht an Bord der Lying Bastard gekommen. Und wir wären nicht abgeschossen worden.« Der Puppenspieler hielt einen Augenblick inne. Dann fügte er hinzu: »Mein Beileid, Louis.«

»Wir werden sie vermissen«, brummte der Kzin.

Louis nickte. Ihm schien, als sollte er mehr empfinden. Doch der Zwischenfall im Sturmauge hatte seine Gefühle für Teela irgendwie geändert. Seit diesem Zeitpunkt war sie ihm weniger menschlich vorgekommen als Nessus oder Der-zu-den-Tieren-spricht. Sie war ein Rätsel. Die Aliens waren real.

»Wir müssen einen neuen Plan schmieden«, sagte Der-zu-denTieren-spricht. »Wir müssen einen Weg finden, wie wir die Liar wieder in den Weltraum bringen. Ich gestehe, daß ich überhaupt keine Idee habe.«

»Ich schon«, entgegnete Louis.

Der-zu-den-Tieren-spricht wirkte verblüfft. »Jetzt schon?«

»Ich will noch ein wenig länger darüber nachdenken. Ich bin nicht sicher, ob sie durchführbar ist. Vielleicht ist es verrückt. Wir werden auf jeden Fall ein Fahrzeug benötigen. Lassen Sie uns zuerst überlegen, wie wir das bewerkstelligen.«

»Vielleicht ein Schlitten. Wir könnten das verbliebene Flugrad benutzen, um ihn zu schleppen. Ein großer Schlitten. Die Wand eines Gebäudes.«

»Das geht noch besser«, sagte Nessus. »Ich bin überzeugt, daß ich Halrloprillalar dazu bewegen kann, mir die Maschinen zu erklären, die dieses Bauwerk hier in der Schwebe halten. Vielleicht stellen wir ja fest, daß das Gebäude selbst zu unserem Transportmittel wird.«

»Versuchen Sie’s.«

»Und Sie?«

»Lassen Sie mir noch etwas Zeit.«


Das Zentrum des Schwebebaus war mit Maschinen ausgefüllt. Einige davon hielten das Gefängnis in der Luft, andere dienten der Klimatisierung und der Wasserversorgung, und ein abgetrennter Teil gehörte zu den elektromagnetischen Flugzeugfallen. Nessus arbeitete. Louis und Prill standen dabei und ignorierten sich gegenseitig nach Kräften.

Der-zu-den-Tieren-spricht war noch immer in seiner Zelle. Nessus hatte sich geweigert, ihn nach oben mitzunehmen.

»Sie hat Angst vor Ihnen«, hatte er seine Entscheidung begründet. »Wir könnten ohne Zweifel Druck ausüben. Wir könnten Sie auf eines der Flugräder setzen. Wenn ich mich weigere, an Bord zu gehen, bevor Sie auf der Plattform bei uns sind, dann würde Sie sie nach oben heben müssen.«

»Sie könnte mich aber auch bis auf halbe Höhe anheben und dann abstürzen lassen. Nein danke.«

Gegen Louis hatte die Raumfahrerin keine Einwände gehabt.

Er musterte sie verstohlen, während er äußerlich tat, als sei sie Luft für ihn.

Ihr Mund war schmal, die Lippen waren kaum zu erkennen. Ihre Nase war klein und gerade. Sie besaß keine Augenbrauen.

Kein Wunder, daß ihr Gesicht so ausdruckslos wirkte. Es unterschied sich nur wenig von den Markierungen auf dem Dummykopf eines Perückenmachers.

Zwei Stunden harter Arbeit für den Puppenspieler vergingen, dann streckte er einen seiner beiden Köpfe aus einem Zugangspaneel. »Ich kann uns nicht mit Antriebsenergie versorgen. Die Schwebefelder tun nicht mehr, als das Gebäude in der Luft zu halten. Allerdings habe ich einen Korrekturmechanismus abgeschaltet, der uns immer auf der gleichen Stelle festhielt. Das Bauwerk ist jetzt den Winden ausgeliefert.«

Louis grinste. »Oder einem Tau. Binden Sie eine Leine an Ihr Flugrad und schleppen Sie es hinter sich her.«

»Das wird nicht nötig sein. Das Flugrad wird von einem reaktionslosen Thruster angetrieben. Wir können es im Innern des Gebäudes lassen.«

»Sie haben also bereits daran gedacht, was? Aber dieser Thruster ist schrecklich stark. Wenn das Flugrad sich hier drin losreißt…«

»Ja…« Der Puppenspieler drehte sich zu Prill um und sprach langsam und lange in der Sprache der Ringweltgötter mit ihr. Schließlich wandte er sich wieder an Louis. »Es gibt einen Vorrat an Isolierschaumstoff. Wir können das Flugrad darin einpacken und nur die Kontrollen frei lassen.«

»Finden Sie das nicht ein wenig übertrieben?«

»Louis, wenn das Flugrad sich losreißt, könnte ich verletzt werden!«

»Also… vielleicht. Können Sie das Gebäude landen, wenn es sein muß?«

»Ja. Ich kann die Höhe kontrollieren.«

»Dann benötigen wir auch kein Erkundungsfahrzeug. In Ordnung, wir machen es so.«


Louis ruhte sich aus, ohne zu schlafen. Er lag auf dem Rücken in einem großen ovalen Bett. Seine Augen standen offen. Er starrte durch das Bullaugenfenster in der Decke.

Ein Schimmer von Sonnenkorona zeigte sich am Rand der weichenden Schattenblende. Die Morgendämmerung war nicht mehr weit, doch der Bogen leuchtete noch immer strahlend blau in einem schwarzen Himmel.

»Ich muß den Verstand verloren haben«, sagte Louis zu sich selbst.

Und: »Was sonst können wir tun?«

Das Schlafzimmer hatte wahrscheinlich zur Suite des Gouverneurs gehört. Jetzt bildete es den Kontrollraum. Zusammen mit Nessus hatte Louis das Flugrad in das Stehklo gezwängt und die Zwischenräume mit Schaumstoff ausgegossen. Anschließend hatte er — mit Halrloprillalars Hilfe — Strom durch das Plastik geschickt und es so gehärtet. Das Stehklo hatte genau die richtige Größe für das Flugrad.

Das Bett roch nach Alter. Es knarrte, wenn Louis sich bewegte.

»Die Faust Gottes«, sagte Louis Wu in die Dunkelheit. »Ich habe sie gesehen. Tausend Meilen hoch. Es ergibt einfach keinen Sinn. Warum hätten sie einen so hohen Berg bauen sollen? Nicht, wenn…« Er verstummte.

Und richtete sich plötzlich kerzengerade in seinem Bett auf. Und rief: »Schattenblendendraht!«

Ein Schatten fiel in das Schlafzimmer.

Louis erstarrte. Der Eingang lag im Dunkel. Nach den geschmeidigen Bewegungen und der Form der Schatten war es eine nackte Frau, die auf ihn zukam.

Litt er jetzt an Halluzinationen? War das der Geist von Teela Brown? Die Gestalt war bei ihm, bevor er sich zu einem Entschluß durchringen konnte. Voller unglaublichem Selbstvertrauen setzte sie sich neben ihm auf das Bett. Sie streckte die Hand aus, berührte sein Gesicht und strich mit den Fingerspitzen über seine Wangen.

Sie war fast kahl. Ihr Haar war dunkel und voll und lang, und es federte, wenn sie sich bewegte, doch es entsprang einem lediglich zollbreiten Kranz rings um ihre Schädelbasis. In der Dunkelheit verschwanden ihre Gesichtszüge fast völlig. Ihr Körper allerdings war wundervoll. Zum ersten Mal sah Louis ihre Figur. Sie war schlank und muskulös wie eine professionelle Tänzerin. Ihre Brüste waren hoch angesetzt und schwer.

Wenn nur ihr Gesicht zum Körper gepaßt hätte.

»Verschwinde«, sagte Louis, ohne grob zu werden. Er packte sie am Handgelenk und unterbrach sie bei ihrem Tun. Es hatte sich angefühlt wie die Gesichtsmassage eines Barbiers, unendlich entspannend. Louis stand auf, zog sie freundlich auf die Beine und nahm sie bei den Schultern. Wenn er sie jetzt einfach umdrehte und ihr einen Klaps auf den Hintern gab…? Sie strich mit den Fingerspitzen über die Seiten seines Halses. Jetzt benutzte sie beide Hände. Sie berührte seine Brust, hier und dort, und plötzlich war Louis Wu blind vor Verlangen. Seine Hände umschlossen ihre Schultern wie Schraubzwingen.

Sie ließ ihn los und wartete — ohne einen Versuch zu machen, ihm beim Ausziehen seines Overalls zu helfen. Als er mehr Haut zeigte, streichelte sie ihn da und dort, und dort, nicht immer an den Stellen, wo Nervenenden sich ballten. Und jedesmal war es Louis, als hätte sie direkt das Lustzentrum seines Gehirns stimuliert.

Er loderte vor Lust. Hätte sie ihn jetzt weggestoßen, er würde sie mit Gewalt genommen haben. Er mußte sie haben…

… irgendein berechnender Teil seines Verstandes wußte, daß sie ihn genauso schnell wieder abkühlen konnte, wie sie ihn angeheizt hatte. Er fühlte sich wie ein junger Satyr, doch er spürte verschwommen, daß er zugleich auch nur eine wächserne Puppe war.

Für den Augenblick gab es nichts, was ihm mehr egal gewesen wäre.

Halrloprillalars Gesicht war noch immer vollkommen ausdruckslos.


Sie brachte ihn an den Rand eines Orgasmus und hielt ihn dort, hielt ihn, hielt ihn… Als schließlich der Augenblick kam, war es, als würde Louis vom Blitz getroffen. Der Blitz hörte und hörte nicht auf, eine einzige, flammende Entladung der Ekstase.

Irgendwann war es vorbei. Louis merkte kaum, daß sie im Begriff stand zu gehen. Sie schien genau zu wissen, wie gründlich sie ihn geschafft hatte. Er schlief, bevor sie an der Tür war.

Und wachte auf mit dem Gedanken: Warum hat sie das getan?

Zu tanj analytisch, beantwortete er sich selbst die Frage. Sie ist einsam. Sie muß schon sehr lange hier sein. Sie ist eine Meisterin ihrer Kunst, und sie hat lange keine Gelegenheit gehabt, diese Kunst auszuüben…

Kunst. Sie mußte mehr über Anatomie wissen als viele Medizinprofessoren. Ein Doktortitel in Prostitution? Es war mehr am ältesten Gewerbe der Menschheit, als im ersten Augenschein ersichtlich wurde. Louis Wu erkannte einen Experten auf seinem Gebiet, wenn er ihn sah. Diese Frau war eine Expertin.

Berühre diese Nerven in der richtigen Reihenfolge, und das Subjekt reagiert so und so. Das richtige Wissen kann einen Mann in eine Marionette verwandeln…

eine Marionette von Teela Browns Glück…

Er hatte es fast. Er war so dicht dran, daß die Antwort, als sie schließlich da war, keine Überraschung mehr bedeutete.


Nessus und Halrloprillalar kamen rückwärts aus dem Kühlraum. Hinter sich zogen sie den verhüllten Kadaver eines flügellosen Vogels her, der größer war als ein Mensch. Nessus hatte ein Stück Tuch benutzt, damit er das tote Fleisch nicht mit dem Mund berühren mußte.

Louis übernahm die Last des Puppenspielers. Zusammen mit Prill zog er, mit beiden Händen, genau wie sie. Er erwiderte ihr grüßendes Nicken und fragte Nessus: »Wie alt ist sie?«

Nessus zeigte keine Überraschung. »Ich weiß es nicht, Louis.«

»Sie kam letzte Nacht zu mir ins Zimmer.« Das würde nicht reichen. Ein Alien konnte nichts mit dieser Aussage anfangen. »Sie wissen, daß wir uns nicht nur zur Reproduktion paaren, sondern auch zur Entspannung?«

»Das weiß ich.«

»Wir haben es zur Entspannung getan. Sie ist sehr gut darin. Sie ist so gut darin, daß sie mindestens tausend Jahre lang geübt haben muß.«

»Es ist nicht unmöglich«, erwiderte der Puppenspieler. »Ihre Zivilisation kannte eine Substanz, die Ihrem Boosterspice in seiner lebensverlängernden Wirkung weit überlegen ist. Heutzutage ist diese Substanz jeden Preis wert, den ihr Besitzer verlangt. Eine Dosis verlängert das Leben um wenigstens fünfzig Jahre.«

»Wissen Sie zufällig, wie oft sie es schon genommen hat?«

»Nein, Louis. Aber ich weiß, daß sie zu Fuß hergekommen ist.«

Sie waren bei der Treppe angekommen, die in den konischen Zellentrakt hinunter führte. Der Vogel hüpfte hinter ihnen über die Treppenstufen.

»Zu Fuß? Von wo?«

»Vom Randwall.«

»Zweihunderttausend Meilen?«

»Fast. Ja.«

»Erzählen Sie mir alles, was Sie wissen! Was ist weiter geschehen, nachdem sie durch den Wall waren?«

»Ich werde sie danach fragen. Ich weiß nicht alles.« Der Puppenspieler fing an, Prill Fragen zu stellen. Stückchenweise kam die Geschichte ans Licht:


Die erste Gruppe von Wilden, denen sie begegneten hielt sie für Götter. Genauso wie alle späteren auch, mit einer generellen Ausnahme.

Das Gottsein löste eines ihrer Probleme glatt. Die Besatzungsmitglieder, deren Gehirne durch den Strahl des halb reparierten Cziltang Brone Schaden erlitten hatten, wurden der Pflege der verschiedenen Dörfer unterwegs anvertraut. Als ortsansässige Götter würde man sie gut behandeln; und als Idioten waren sie relativ harmlose Götter.

Der Rest der Besatzung des Raumschiffs Pioneer teilte sich. Neun, einschließlich Halrloprillalar, brachen auf in Richtung Antispin. Prills Heimatstadt lag in dieser Richtung. Die beiden Gruppen planten, am Randwall entlang zu reisen und nach Zivilisation Ausschau zu halten. Beide Gruppen schworen sich, Hilfe zu schicken, sobald sie welche fanden.

Überall begrüßte man sie als Götter, mit Ausnahme der anderen Götter. Einige Baumeister hatten den Fall der Städte überlebt. Einige von ihnen waren verrückt geworden. Alle nahmen die lebensverlängernde Substanz, wenn sie ihrer habhaft werden konnten. Und alle suchten nach Enklaven der Zivilisation. Keiner war auf den Gedanken gekommen, sie selbst wieder zu errichten.

Je weiter die Besatzung der Pioneer nach Antispin kam, desto mehr Überlebende schlossen sich an. Bald war die ursprünglich kleine Gruppe zu einem respektablen Pantheon angewachsen.

In jeder Stadt fanden sie abgestürzte Schwebebauten. Die Bauwerke waren nach der Fertigstellung der Ringwelt in der Luft schwebend verankert worden, Tausende von Jahren vor der Perfektionierung der lebensverlängernden Droge. Die Droge hatte die späteren Generationen vorsichtiger werden lassen. Die es sich leisten konnten, hielten sich von den Schwebebauten fern, es sei denn, sie waren gewählte Offizielle. In diesem Fall installierten sie Sicherheitseinrichtungen wie autarke Energieerzeuger.

Ein paar Schwebebauten befanden sich noch immer in der Luft. Die meisten waren abgestürzt, mitten hinein in die Zentren der Städte, alle im gleichen Augenblick, als der letzte Energieempfänger durchgebrannt war.

Einmal stieß der wandernde Pantheon auf eine teilweise wiedererstandene Stadt, die nur in den Außenbezirken bewohnt war. Das Götterspiel half ihnen hier nicht weiter. Also tauschten sie ein Vermögen in Form der Lebensdroge gegen einen funktionierenden Bus mit eigenem Antrieb.

Es wiederholte sich nicht, bis lange Zeit später. Doch da waren sie schon zu weit gekommen. Die Zuversicht hatte sie verlassen, und der Bus hatte aufgehört zu funktionieren. In einer halb zerstörten Stadt, wo sich auch andere Überlebende des Falls der Städte gesammelt hatten, brachen sie ihre sinnlos gewordene Reise ab. Der Pantheon zog nicht mehr weiter.

Doch Prill war im Besitz einer Karte. Ihre Heimatstadt lag direkt in Richtung Steuerbord. Sie überredete einen Mann, mit ihr zu kommen, und wanderte los.


Sie schlugen Kapital aus ihrem Gottsein. Irgendwann wurden sie einander überdrüssig, und Halrloprillalar zog alleine weiter. Wo das Gottsein nicht ausreichte, tauschte sie kleine Mengen ihrer Lebensdroge, aber nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Ansonsten…

»Sie kannte noch einen anderen Weg, Macht über Menschen zu erlangen«, sagte Nessus. »Sie hat versucht, es mir zu erklären, aber ich habe sie nicht verstanden.«

»Ich denke, ich weiß, was sie gemeint hat«, erwiderte Louis. »Sie konnte damit durchkommen. Sie hat sozusagen ihren eigenen Tasp.«

Sie mußte dem Wahnsinn nah gewesen sein, als sie schließlich ihre Heimatstadt erreichte. Sie zog in die gestrandete Polizeistation, wo sie Hunderte von Stunden damit verbrachte, die Maschinen zu studieren. Eines der ersten Dinge, die sie zustande brachte, war, die Station wieder in die Luft zu bringen. Der Bau besaß eine autarke Energieversorgung und war sicherheitshalber gelandet, nachdem alle anderen Bauten abgestürzt waren. Sie war mehr als einmal haarscharf an einer Katastrophe und ihrem eigenen Tod vorbeigeschlittert, indem sie den Turm fast zum Umkippen gebracht hätte.

»Es gab ein System, mit dem Fahrer eingefangen werden konnten, die sich nicht an die Verkehrsregeln hielten«, beendete Nessus ihre Geschichte. »Sie aktivierte es wieder. Sie hoffte, jemanden ihrer eigenen Spezies zu fangen, einen Überlebenden des Falls der Städte. Sie argumentierte, wenn so jemand einen Flugwagen steuern konnte, dann mußte er auch zivilisiert sein.«

»Und warum hat sie ihre Opfer dann hilflos in diesem Meer aus Trümmern und Wracks gefangengehalten?«

»Nur für den Fall, Louis. Als Zeichen ihrer zurückkehrenden Gesundheit.«

Louis runzelte die Stirn und starrte in den darunterliegenden Zellenblock. Sie hatten den Vogelkadaver auf einen abgewrackten Wagen gelegt, und Der-zu-den-Tieren-spricht hatte Besitz ergriffen. »Wir können dieses Gebäude erleichtern«, schlug Louis vor. »Wir könnten sein Gewicht nahezu halbieren.«

»Wie das?«

»Wir schneiden die Basis heraus. Allerdings müssen wir zuerst Der-zu-den-Tieren-spricht hier herausschaffen. Können Sie Prill dazu überreden?«

»Ich kann es zumindest versuchen.«

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