19 - Anne erfindet ein ganz neues Aroma

»O je, ich glaube, das Leben besteht einzig und allein aus Abschieden«, sagte Anne zu Marilla, als sie Ende Juni mit tiefer Leidensmiene in die Küche trat, ihre Tafel und ihre Schulbücher auf den Küchentisch legte und ihre roten Augen mit einem bereits recht feuchten Taschentuch abwischte. »Nur gut, dass ich heute noch ein zweites Taschentuch mit in die Schule genommen habe. Ich hatte so eine Vorahnung, dass ich es brauchen könnte.«

»Ich wusste gar nicht, dass du Mr Philipps so gerne mochtest, dass du sogar zwei Taschentücher brauchst, wenn er die Schule verlässt«, gab Marilla leicht spöttisch zur Antwort.

»Ich glaube, ich habe gar nicht geweint, weil ich ihn besonders gerne mochte«, meinte Anne nachdenklich. »Ich habe nur geweint, weil alle anderen geweint haben. Ruby Gillis hat damit angefangen. Dabei hat sie bis jetzt immer behauptet, sie könnte Mr Philipps nicht ausstehen, aber sowie er mit seiner Abschiedsrede begann, da brach sie schon in Tränen aus. Dann fingen auch die anderen Mädchen zu heulen an, eins nach dem anderen. Ich habe versucht mich zusammenzureißen, Marilla. Ich habe an den Tag gedacht, an dem Mr Philipps mich zur Strafe neben Gil . . . neben einen Jungen gesetzt hat und dass er meinen Namen ohne e an die Tafel geschrieben hat. - Wie oft hat er gesagt, ich sei die größte Niete in Geometrie, die ihm jemals untergekommen wäre. Und dann hat er sich über meine Rechtschreibfehler lustig gemacht. Ich wollte auch an all die anderen Male denken, wo er gemein und hässlich zu mir war. Aber irgendwie hat es nicht funktioniert, ich musste genauso weinen wie die anderen auch. Oh, Marilla, es war herzzerreißend! Mr Philipps hat eine so wunderschöne Rede gehalten! Sie begann mit den Worten: >Unsere Abschiedsstunde hat geschlagene<. Er selbst hatte auch Tränen in den Augen, Marilla. Als ich das sah, bereute ich auf einmal all die vielen Male, die ich während des Unterrichts geträumt oder geschwätzt oder mich über ihn und Prissy lustig gemacht hatte, In dem Moment wäre ich am liebsten eine Musterschülerin gewesen — genau wie Minnie Andrews. Sie hat wenigstens ein reines Gewissen. Noch auf dem Heimweg haben wir alle geheult. Immer wenn die Gefahr bestand, dass wir wieder fröhlich wurden, wiederholte Carrie Sloane die Worte: >Unsere Abschiedsstunde hat geschlagene< und dann sind wir sooft wieder in Tränen ausgebrochen. Ich bin furchtbar traurig, Marilla. Aber mit zwei Monaten Schulferien vor sich kann man nicht wirklich verzweifeln, oder, Marilla?-Außerdem haben wir den neuen Pfarrer und seine Frau getroffen, als sie gerade vom Bahnhof kamen. Seine Frau sieht hübsch aus. Sie trug ein Kleid aus blauem Musselin mit herrlichen Puffärmeln und ihr Hut war mit Rosen besetzt. Mrs Lynde wird sie bei sich aufnehmen, solange das Pfarrhaus noch nicht fertig ist.«

Falls Marilla, als sie noch am gleichen Abend nach Lynde's Hollow hinüberging, noch einen anderen Grund für ihren Besuch hatte als die Absicht, Mrs Lynde einen Stickrahmen zurückzugeben, den sie im letzten Winter bei ihr ausgeborgt hatte, dann war das eine liebenswerte Neugierde, die sie mit den meisten anderen Einwohnern von Avonlea teilte. So mancher Gegenstand, den Mrs Lynde vor langer Zeit verborgt und vielleicht sogar schon abgeschrieben hatte, kehrte an jenem Abend zu seiner Besitzerin zurück. Ein neuer Pfarrer - und außerdem noch eine Pfarrersfrau -, das musste in einer kleinen Landgemeinde wie Avonlea natürlich Aufsehen erregen.

Der alte Mr Bentley - der Pfarrer, dem Anne schon bei ihrem ersten Gottesdienstbesuch einen großen Mangel an Phantasie bescheinigt hatte - hatte achtzehn Jahre in Avonlea verbracht. Er kam als Witwer, und das blieb er auch - trotz der zahlreichen Gerüchte, die ihm jedes Jahr eine neue Braut andichteten. Im vorigen Februar hatte er - sehr zum Bedauern seiner treuen Gemeindemitglieder, die aus Gewohnheit an ihrem alten Pfarrer hingen und ihm seine mangelnde Redekunst und einige andere Fehler gern verziehen - sein Amt niedergelegt.

Nach einer gewissen Übergangszeit war nun die Wahl auf Mr Allan als Nachfolger von Mr Bentley gefallen. Er und seine Frau hatten gerade erst geheiratet und sahen voller Schwung und Tatendrang ihrer neuen Aufgabe entgegen. Die Gemeinde von Avonlea nahm die beiden herzlich auf. Den alten wie den jungen Leuten gefiel die offene, fröhliche Art des jungen Mannes und seiner hübschen Frau. Auch Anne hatte Mrs Allan sofort ins Herz geschlossen. Sie hatte eine neue verwandte Seele entdeckt.

»Mrs Allan ist wunderbar«, verkündete sie eines Morgens. »Sie hat unsere Klasse in der Sonntagsschule übernommen. Bei ihr machen die Stunden richtig Spaß. Gleich als Erstes hat sie gesagt, dass sie es ungerecht findet, wenn nur der Lehrer Fragen stellen kann - genau das, was ich schon die ganze Zeit gedacht habe, Marilla! Sie meinte, wir könnten ihr so viele Fragen stellen, wie wir wollten. Ich habe gleich damit angefangen. Im Fragenstellen bin ich gut, Marilla.«

»Das glaube ich gerne«, sagte Marilla im Brustton der Überzeugung. »Außer mir hat nur noch Ruby Gillis eine Frage gestellt, und zwar wollte sie wissen, ob wir im Sommer wieder ein Picknick machen. Das hatte zwar nichts mit dem Stoff der Stunde zu tun - es ging um Daniel in der Löwengrube -, aber Mrs Allan lächelte und sagte, bestimmt würde es eins geben. Mrs Allan hat ein wunderschönes Lächeln ... sie bekommt dann himmlische Grübchen in den Wangen. Ich wünschte, ich hätte auch Grübchen, Marilla. Vielleicht könnte ich dann ebenfalls andere Menschen zum Guten lenken. Mrs Allan sagt, wir sollten immer versuchen, andere Menschen zum Guten zu lenken. Ach, sie kann so wunderbar über alles reden! Ich habe noch gar nicht gewusst, dass Religion so etwas Fröhliches sein kann, bisher war es immer ein schrecklich trauriges und trockenes Zeug.«

»Ich denke, wir sollten Mr und Mrs Allan bald einmal zum Tee einladen«, sagte Marilla nachdenklich. »Außer auf Green Gables sind sie schon fast überall gewesen. Mal überlegen . . . Nächsten Mittwoch ginge es zum Beispiel. Aber sag Matthew bloß nichts davon. Wenn er es vorher erfährt, erfindet er bestimmt irgendeine Ausrede, um sich rechtzeitig zu verdrücken. An Mr Bentley hatte er sich schon gewöhnt, aber es wird ihm schwer fallen, sich mit einem neuen Pfarrer anzufreunden- von einer neuen jungen Pfarrersfrau gar nicht erst zu reden.«

»Ich werde schweigen wie ein Grab«, versicherte Anne. »Marilla, darf ich bitte einen Kuchen für Mittwoch backen? Ich würde so gerne etwas für Mrs Allan tun und du weißt doch, dass ich inzwischen schon ganz gut backen kann.«

»Gut, du kannst eine Schichttorte machen«, versprach Marilla.

Am Montag und Dienstag wurden auf Green Gables große Vorbereitungen getroffen. Den Pfarrer und seine Frau einzuladen war ein wichtiges und ernstes Unterfangen und Marilla hatte nicht die Absicht, hinter irgendeiner anderen Hausfrau in Avonlea zurückzustehen. Anne war vor Freude ganz aufgeregt. Sie besprach die ganze Angelegenheit ausführlich mit Diana, als sie am Dienstagabend in der Abenddämmerung beim >Nymphenteich< saßen und mit Zweigen, die sie in Tannenharz getaucht hatten, kleine Regenbögen in das Wasser zauberten.

»Alles ist vorbereitet, Diana - außer meinem Kuchen und den Keksen, die Marilla erst kurz vorm Eintreffen der Gäste in den Ofen schieben wird. Ich kann dir sagen, Diana: Marilla und ich hatten ganz schön viel zu tun die letzten Tage. Wenn man den Pfarrer und seine Frau zum Tee einlädt, trägt man eine große Verantwortung. So etwas habe ich noch nie erlebt. Du solltest mal unsere Speisekammer sehen! Es gibt Zunge und Hähnchen in Aspik, Schlagsahne und Zitronencreme, Kirschtorte, drei Sorten Plätzchen und Marillas berühmtes Pflaumenkompott, das nur bei besonderen Anlässen auf den Tisch kommt; Früchtebrot und Schichttorte und außerdem sowohl frisches als auch altes Brot, falls der Pfarrer Probleme mit dem Magen hat und frisches Brot nicht verträgt. Mir wird ganz heiß und kalt, wenn ich an meine Schichttorte denke. Was, wenn sie mir nun nicht gelingt? Oh, Diana, heute Nacht im Traum hat mich ein schrecklicher Kobold verfolgt - und sein Kopf bestand aus einer riesigen Schichttorte!«

»Sie wird schon gelingen«, tröstete Diana, die immer bereit war, ihre Freundin wieder aufzurichten. »Das Stück von deiner Schichttorte, das wir vor einigen Wochen zusammen in >Idlewild< gegessen haben, war jedenfalls wunderbar.«

»Ja, aber Torten haben die Eigenart, ausgerechnet dann nicht zu gelingen, wenn man sie am nötigsten braucht«, seufzte Anne. »Naja, ich muss eben auf die Vorsehung vertrauen und aufpassen, dass ich das Mehl nicht vergesse.«

Am Mittwochmorgen stand Anne schon gleich nach Sonnenaufgang auf, vor lauter Aufregung konnte sie nicht mehr schlafen. Sie hatte sich am Abend vorher am kühlen >Nymphenteich< ziemlich erkältet, doch selbst eine Lungenentzündung hätte sie an jenem Morgen nicht davon abhalten können, in die Küche zu gehen und sich sogleich ans Werk zu machen. Als sie die Ofentür vor der Torte zuklappte, stieß sie einen langen Seufzer aus.

»Ich bin sicher, dass ich diesmal nichts vergessen habe, Marilla. Aber meinst du, sie wird aufgehen? Was, wenn das Backpulver nicht gut ist? Ich habe eine neue Schachtel anbrechen müssen und Mrs Lynde sagt, man könnte bei der ganzen Panscherei heutzutage nicht sicher sein, ob man gutes Backpulver bekäme oder nicht. Mrs Lynde meint, die Regierung müsse da einschreiten - aber was könne man von einer konservativen Regierung schon erwarten.«

Das Backpulver schien in Ordnung zu sein. Die Torte ging wunderbar auf und kam herrlich leicht und locker aus dem Backofen. Mit freudig geröteten Wangen bestrich Anne die verschiedenen Schichten mit dunkelrotem Gelee und malte sich dabei aus, wie Mrs Allan von ihrer Torte kostete und vielleicht sogar um ein zweites Stück bat.

»Heute nehmen wir natürlich das Rosenknospenservice, nicht wahr, Marilla?«, fragte sie. »Darf ich den Tisch mit Farn und wilden Rosen schmücken?«

»Ich halte nichts von solchem Schnickschnack«, schnaubte Marilla. »Es geht um eine Einladung zum Essen, nicht um das Drumherum.«

»Aber Mrs Barry hatte ihren Tisch auch geschmückt«, sagte Anne, nicht ohne Hinterlist. »Der Pfarrer hat ihr daraufhin ein besonders nettes Kompliment gemacht. Er sagt, das Essen sei ein Gaumenschmaus und eine Augenweide gewesen.«

»Also gut«, sagte Marilla, die fest entschlossen war, sich weder von Mrs Barry noch sonst jemandem in der Gunst des Pfarrers ausstechen zu lassen. »Aber lass noch Platz für das Geschirr und das Essen.« Anne machte sich nun daran, den Tisch so zu schmücken, dass er die Tischdekoration von Mrs Barry völlig in den Schatten stellte. Der Pfarrer und seine Frau konnten gar nicht genug Worte der Verwunderung und des Lobes finden, als sie sich auf ihren Stühlen niederließen.

»Das ist Annes Werk«, leitete Marilla die Komplimente an die richtige Adresse weiter. Anne war überglücklich, als Mrs Allan sie daraufhin freundlich anlächelte.

Matthew war ebenfalls da - der Himmel und Anne allein wussten, warum. Noch vor wenigen Minuten war er so schüchtern und nervös gewesen, dass Marilla alle Hoffnung auf ihn bereits aufgegeben hatte. Doch Anne hatte ihn liebevoll bei der Hand genommen und einfach hinter sich hergezogen. Nun saß er in seinem besten Anzug mit weißem Kragen am Tisch neben Mr Allan und unterhielt sich höflich mit dem neuen Pfarrer. An Mrs Allan richtete er die ganze Zeit über kein Wort, was allerdings auch niemand von ihm erwartet hatte. Alles klappte wie am Schnürchen - bis Annes Schichttorte aufgetragen wurde. Mrs Allan, die von den vielen verschiedenen Speisen schon ganz satt war, lehnte zunächst ab. Doch Marilla, die die Enttäuschung auf Annes Gesicht erkannte, sagte lächelnd: »Oh, Sie müssen ein Stück davon probieren, Mrs Allan. Anne hat sie eigens für Sie gebacken.«

»Na, wenn das so ist, dann nehme ich natürlich ein Stück«, lachte Mrs Allan. Auch Mr Allan und Marilla wollten von der Torte kosten.

Mrs Allan nahm einen ersten herzhaften Biss. Ihr Gesicht verzog sich, doch sie sagte kein Wort, sondern aß stumm weiter. Marilla, die ihren seltsamen Gesichtsausdruck bemerkt hatte, beeilte sich, nun ebenfalls den Kuchen zu probieren.

»Anne Shirley!«, rief sie aus. »Was um alles in der Welt hast du in diesen Kuchen getan?«

»Nur das, was im Rezept steht, Marilla«, beteuerte Anne. »Stimmt denn irgendetwas nicht damit?«

»Das kann man wohl sagen! Er schmeckt abscheulich! Essen Sie nicht weiter, Mrs Allan. Hier, Anne, probier doch selbst einmal. Was für ein Aroma hast du denn benutzt?«

»Vanille«, sagte Anne kleinlaut. Ihr Gesicht war purpurrot geworden. »Oh, Manila, es war bestimmt das Backpulver. Es kam mir schon gleich so verdächtig vor . ..«

»Unsinn! Lauf und hol mir die Flasche mit dem Vanillearoma, das du benutzt hast.«

ln Windeseile lief Anne in die Speisekammer und kam kurze Zeit später mit einer kleinen Flasche zurück, die noch zur Hälfte mit einer braunen Flüssigkeit gefüllt war. >Vanille< war auf dem gelben Etikett zu lesen.

Marilla entkorkte die Flasche und roch daran. »Ach, du liebe Güte, Anne! Du hast mein Rheumamittel in den Kuchen getan. Mir ist die Arzneiflasche letzte Woche kaputtgegangen und ich habe den Rest in eine leere alte Vanilleflasche gefüllt. Ich fürchte, ich trage die Hauptschuld an deinem misslungenen Kuchen, ich hätte dich warnen müssen. Aber warum hast du nicht an der Flasche gerochen?«

Anne war in Tränen aufgelöst. »Ich konnte doch nichts riechen, weil ich so erkältet war«, schluchzte sie und flüchtete hinauf in ihr Zimmer. Dort warf sie sich auf ihr Bett und weinte so heftig, als könnte nichts auf der Welt sie jemals trösten.

Bald darauf waren Schritte auf der Treppe zu hören, jemand betrat das Zimmer.

»Oh, Marilla«, schluchzte das Mädchen, ohne aufzuschauen, »ich habe mich unsterblich blamiert! Diese Schmach werde ich mein ganzes Leben lang nicht vergessen. Morgen wird es ganz Avonlea wissen, solche Sachen machen hier doch sofort die Runde. Diana wird mich außerdem fragen, wie meine Torte geworden ist, und dann muss ich ihr die Wahrheit sagen. Alle werden sie mich auslachen, ich werde überall nur noch das Mädchen sein, das Torte mit Rheumamittel bäckt. Gil... ich meine, die Jungen in der Schule werden sich totlachen. Oh, Marilla, wenn du noch einen Funken christlicher Nächstenliebe in dir hast, dann sag mir jetzt nicht, ich müsste nach alldem auch noch das Geschirr spülen. Ich spüle es, wenn Mr und Mrs Allan fort sind, aber ich kann Mrs Allan nie wieder in die Augen sehen. Vielleicht denkt sie auch noch, ich will sie vergiften. Mrs Lynde sagt, sie habe einmal von einem Waisenmädchen gehört, das versucht hat, seine Wohltäter zu vergiften. Aber Rheumamittel ist doch bestimmt nicht giftig, oder? Kannst du das Mrs Allan bitte erzählen, Marilla?«

»Wie wär’s, wenn du aufstehst und es ihr selbst sagst?«, fragte eine sanfte Stimme neben ihr.

Mit einem Satz sprang Anne auf. Vor ihr stand Mrs Allan und lächelte sie freundlich an. »Nicht weinen, mein Liebes«, sagte sie. »Es war doch nur ein Versehen. Das hätte jedem passieren können.«

»Oh, nein, Mrs Allan, so etwas passiert immer nur mir«, erwiderte Anne verzweifelt. »Dabei sollte die Torte für Sie ganz besonders lecker werden.«

»Das weiß ich doch, Kind. Und ich versichere dir, ich weiß deine Fürsorglichkeit und Gastfreundschaft genauso zu schätzen, als ob der Kuchen bestens gelungen wäre. Und jetzt hör auf zu weinen. Komm mit mir herunter und zeig mir deinen Blumengarten. Miss Cuthbert hat mir erzählt, dass du ein eigenes Beet hast. Das möchte ich gern sehen, ich interessiere mich nämlich sehr für Blumen.«

Dieser Vorschlag war genau das Richtige, um Anne von ihrem Kummer abzulenken und zu trösten. Über die »Rheumatorte« fiel kein weiteres Wort mehr, und als die Gäste fort waren, stellte Anne fest, dass sie - trotz des schrecklichen Zwischenfalls - den Nachmittag sehr genossen hatte. Sie seufzte tief.

»Marilla, ist es nicht tröstlich, dass morgen wieder ein neuer Tag anfängt - ganz frisch und frei von Fehlern?«

»Naja«, antwortete Marilla, »bis jetzt hast du noch keinen möglichen Fehler ausgelassen, Anne.«

»Ja, ich weiß«, gab Anne traurig zu. »Aber ist dir noch nicht aufgefallen, dass ich nie den gleichen Fehler zweimal mache?«

»Na, ich weiß nicht, ob das so ein großer Trost ist - solange du immer wieder neue machst.«

»Aber verstehst du denn nicht, Marilla? Es muss eine bestimmte Anzahl von Fehlern geben, die ein Mensch im Laufe seines Lebens einfach macht. Und wenn ich meine früh und gehäuft erledige, dann habe ich sie bestimmt auch bald alle hinter mir. Ist das nicht ein tröstlicher Gedanke?«

Загрузка...