9. Kapitel


Ein Alptraum ist ein irreales Ereignis während des Schlafens, aus dem man normalerweise irgendwann wieder aufwacht, sagte sich Hewlitt, während er verzweifelt gegen den Drang anzukämpfen versuchte, den Kopf unter der Bettdecke zu verstecken. Sein Problem war nur, daß er gar nicht schlief.


Fünfzehn Wesen gingen, tippelten und rutschten durch die Station, und mit schrecklicher Gewißheit wußte er, daß sie direkt auf sein Bett zusteuerten. Drei Wesen aus der Gruppe waren ihm vertraut, und als der Tross in einem Halbkreis vor ihm stehenblieb, erkannte er die hudlarische Krankenschwester, Lieutenant Braithwaite und Chefarzt Medalont. Die Sprechmembran der Schwester bewegte sich nicht, der Psychologe lächelte beruhigend, sagte aber keinen Ton, und alle anderen schwiegen ebenfalls beharrlich, bis endlich Medalont das Wort ergriff.


»Wie Sie vielleicht bereits wissen, Patient Hewlitt, ist das Orbit Hospital auch eine Art Universitätskrankenhaus. Das bedeutet, daß sich ein Teil des Klinikpersonals stets aus Auszubildenden zusammensetzt, die allesamt hoffen, sich eines Tages als Ärzte, Schwestern oder Pfleger zu qualifizieren, um sich dann möglicherweise dafür zu entscheiden, hier zu praktizieren oder als medizinische Offiziere an einem der Weltraumprojekte der Föderation teilzunehmen. Doch lange bevor dieses Stadium erreicht ist, müssen die Auszubildenden grundlegende Erfahrungen über die Physiologie fremder Spezies sammeln, und Sie könnten uns dabei eine große Hilfe sein. Sie sind zwar nicht verpflichtet, sich einer ärztlichen Untersuchung durch Auszubildende zu unterziehen, aber die meisten unserer Patienten tun das sehr gerne, weil sie wissen, daß wir es wirklich gut mit ihnen meinen.«


Hewlitt zwang sich, die Aliens der Reihe nach anzusehen. Er identifizierte zwei Kelgianer, einen weiteren Melfaner, der sich nur durch die Zeichnung seines Panzers von Medalont unterschied, drei Nidianer und einen sechsbeinigen, elefantenartigen Tralthaner, der einem Patienten auf der Station ähnlich sah. Die restlichen Aliens waren ihm allesamt fremd undjagten ihm entsprechend Angst ein. Er wollte den Kopf schütteln, doch der war wie gelähmt, und sein Mund war viel zu trocken, um ›nein‹ sagen zu können.


»Um für die Ausbildung am Orbit Hospital zugelassen zu werden«, setzte der Chefarzt seine Ausführungen fort, »müssen die betreffenden Wesen zunächst einmal eine besondere Begabung auf dem medizinischen Sektor nachweisen sowie eine umfassende Praxis an Krankenhäusern ihrer Heimatplaneten, in denen sie früher gearbeitet haben. Ich erwähne das nur, damit Sie wissen, daß es sich bei diesen Leuten um alles andere als um medizinische Vollidioten handelt, wenngleich einige der Dozenten etwas anderes über sie behaupten würden.«


Sofort ertönte eine allgemeine Kakophonie außerirdischer Geräusche, die jedoch nicht übersetzt wurde. Wie Hewlitt annahm, dürfte es sich dabei höchstwahrscheinlich um eine ehrerbietige Reaktion der Aliens auf die scherzhafte Bemerkung ihres Vorgesetzten gehandelt haben.


»Sie sind ja bereits von mir und Ihrer extraterrestrischen Schwester untersucht worden und hatten körperlichen Kontakt mit uns, ohne dabei irgendwelche physischen Begleiterscheinungen erlitten zu haben«, nahm Medalont den Faden wieder auf. »Darüber hinaus kann ich Ihnen versichern, daß ich jeden Auszubildenden, der etwas tut oder sagt, was Ihnen Kummer bereiten könnte, danach mit scharfen Worten zurechtweisen werde. Nun, was meinen Sie? Können wir jetzt anfangen, Patient Hewlitt?«


Alle starrten ihn mit viel zu vielen Augen an. Braithwaite und die Krankenschwester kamen etwas näher heran. Der Lieutenant runzelte die Stirn und lächelte dabei mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck, der nach Hewlitts Auffassung Besorgnis und Beruhigung gleichermaßen vermittelte, alle anderen Blicke waren jedoch unergründlich. Zwar öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, doch das klägliche Geräusch, das er dabei hervorbrachte, konnte er noch nicht einmal selbst übersetzen.


»Ich danke Ihnen«, meinte Medalont vielleicht etwas vorschnell und sagte dann zu den anderen: »Nun, wer von Ihnen möchte es als erster versuchen?«Unweigerlich war es der größte Anwesende, nämlich der Tralthaner, der nach vorn trampelte und direkt neben dem Bett stehenblieb. Eins der vier Augen, die aus dem kuppelförmigen und völlig unbeweglichen Kopf herausragten, bog sich nach unten, um Hewlitts Gesicht zu betrachten, ein anderes war auf Medalont gerichtet und die anderen beiden blickten irgendwo nach hinten. Zwei der vier Tentakel, die aus den gewaltigen Schultern herauswuchsen, näherten sich bis auf einige Zentimeter bedrohlich seiner Brust. In einem hielt der Tralthaner einen Scanner, und als er zu sprechen begann, hatte Hewlitt keinen blassen Schimmer, woher die überraschend leise Stimme kam.


»Bitte machen Sie sich keine Sorgen«, sagte er, während Hewlitt vergeblich versuchte, sich mit dem Rücken voran im Bett zu vergraben. »Es handelt sich um eine rein mündliche Untersuchung, oder anders ausgedrückt: Es kommt zu keinem körperlichen Eingriff. Sollten Sie allerdings eine meiner Fragen als einen Eingriff in Ihre Privatsphäre betrachten, erwarte ich von Ihnen natürlich keine Antwort. Ich will mich später einmal auf dem Fachgebiet der Gehirnchirurgie spezialisieren und werde mich deshalb bei der Untersuchung mit dem Scanner auf diesen Bereich konzentrieren. Ich würde gerne mit dem hinteren Teil des Gehirns beginnen, wo die Nervenbahnen im oberen Halswirbel enden.


Könnten Sie sich dazu bitte aufrecht hinsetzen und die Stirn auf die mittleren Gelenke ihrer angezogenen Gehgliedmaßen legen. Ich glaube, der nichtmedizinische Ausdruck dafür lautet Knie. Stimmt das?«


»Ja«, antworteten Hewlitt und Medalont gleichzeitig.


»Danke«, sagte der Tralthaner, und während er mit einem Auge immer noch den Chefarzt ansah, fuhr er fort: »Die terrestrische Klassifikation DBDG hat Glück, daß die Länge der Nervenverbindungen zwischen den visuellen, auralen, olfaktorischen und taktilen Sinnesorganen und dem Gehirn um einiges kürzer sind als bei den meisten anderen intelligenten Lebensformen, zu der auch meine Spezies zählt. Der Vorteil der schnelleren Reaktionszeit während der Entwicklungsstufe des Präsapiensmenschen führte zweifellos zu seiner Dominanz auf der Erde. Aber das Gehirn ist sodicht gepackt, daß die kartographische Erfassung der Nervenbahnen schwierig ist, was im Falle eines chirurgischen Eingriffs eine äußerst präzise Arbeit erforderlich macht. Wenn Sie den Ober- und Unterkiefer öffnen und schließen, Patient Hewlitt, tritt dann durch die Kompressionswirkung eine Belastungserscheinung am Hirnstamm auf?«


»Nein«, antworteten Hewlitt und der Chefarzt erneut im Chor.


Medalont machte den Eindruck, als würde er die Frage für ziemlich dumm halten, denn er sagte: »Das reicht. Wer ist als nächstes dran?«


Die Kreatur, die vortrat, hatte einen schmalen, röhrenförmigen Körper mit braun-schwarzen Streifen, der von sechs langen, sehr dünnen Gliedmaßen getragen wurde. Zwei Flügelpaare sprossen aus beiden Seiten des Körpers, aber sie waren so eng angelegt, daß Hewlitt nicht sicher war, welche vorherrschende Farbe sie hatten, und zwei lange, pelzige Fühler ragten oben aus dem insektenartigen Kopf heraus. Das Wesen richtete sich beinahe senkrecht auf, während es seine mittleren Gliedmaßen auf der Bettkante plazierte und mit riesigen, lidlosen Augen auf ihn herabsah.


Einer plötzlichen Regung folgend, wollte er nach dem Wesen schlagen, wie er es mit allen großen Insekten tat, die ihm zu nahe kamen, aber er besann sich eines Besseren. Bei einer solch zerbrechlichen Kreatur würde bestimmt schon ein kleiner Klaps ernste Verletzungen verursachen, so daß er keine Angst vor ihr zu haben brauchte. Abgesehen davon hatte er noch nie .nach einem Schmetterling geschlagen, wenngleich er einem solch großen Exemplar wie diesem hier auch noch nie zuvor begegnet war.


»Ich bin Forgianerin, Patient Hewlitt«, sagte das Wesen und nahm einen Scanner aus der Ausrüstungstasche, die an seinem Körper festgeschnallt war. »Da ich zur Zeit die einzige Vertreterin meiner Spezies in diesem Krankenhaus bin, und wir kein Volk sind, das viel herumreist, hoffe ich, daß Sie durch die erste Begegnung mit einer Forgianerin seelisch nicht zu sehr belastet werden. Mein Interesse gilt der Allgemeinchirurgie fremder Spezies, und deshalb werde ich Sie, natürlich nur mit ihrer Erlaubnis, vom Kopf bis zu den nicht als Greiforgane dienenden Zehen Ihrer Füße untersuchen…«Ein großer Schmetterling mit einer tadellosen Art im Umgang mit Patienten, staunte Hewlitt in Gedanken.


»… Sie sind nicht der erste DBDG-Terrestrier, den ich untersuche und über den ich für meine späteren Studien Aufzeichnungen mache«, fuhr die Forgianerin fort. »Aber die anderen waren, wie es bei Patienten in einem Krankenhaus nun mal üblich ist, krank oder verletzt. Sie hingegen sind offenbar ein perfektes Untersuchungsexemplar und als solches für mich insbesondere für Vergleichszwecke interessant. Ich beginne jetzt damit, den Puls an der Schläfe, an der Halsschlagader sowie am Handgelenk zu messen. Wenn man bei einem Notfall keinen Scanner zur Verfügung hat, muß man diese Methode nämlich auch so beherrschen können.«


Der Kopf des Schmetterlings kippte nach vorn und neigte sich dann so zur Seite, daß einer der Fühler sowohl Hewlitts Schläfe als auch Hals berührte, und zwar so zart, daß er es mit geschlossenen Augen nicht einmal gemerkt hätte.


»Bei dem Gerät, das ich benutze, wird es nicht nötig sein, daß Sie sich ganz frei machen, insbesondere nicht im Genitalbereich«, erklärte ihm die Forgianerin. »Aufgrund meiner Studien der Verhaltensweisen Ihrer Spezies weiß ich, daß es bei Terrestriern ein Nacktheitstabu gibt, und sie sehr empfindlich reagieren können, wenn sie ihren Intimbereich offen zeigen sollen. Glauben Sie mir, ich habe nicht die Absicht, Sie in Verlegenheit zu bringen, Patient Hewlitt, ob Sie nun männlich oder weiblich sind… «


»Du meine Güte, man sieht doch auf den ersten Blick, daß das ein männlicher Terrestrier ist!« fuhr eine Kelgianerin dazwischen. »Man braucht sich doch nur diese flachen und verkümmerten Brustdrüsen anzusehen. Selbst durch das Nachtgewand hindurch kann man die Konturen seiner Brust erkennen, oder besser gesagt: Man kann sie eben nicht erkennen. Bei Frauen sind sie vollständig entwickelt und verleihen der DBDG-Frau das für sie typische oberlastige Erscheinungsbild …«


Die Kelgianerin hielt abrupt inne, weil Medalont eine Zange hob und zweimal laut damit klickte. »Das reicht!« fuhr er entschieden dazwischen. »Jetzt ist wirklich nicht der Zeitpunkt für interne Auseinandersetzungen,zumal der Patient alles mithören kann und vielleicht seine eigenen Schlüsse bezüglich Ihrer medizinischen Kenntnisse zieht.«


Als nächstes trat die Kelgianerin vor, die für die Unterbrechung verantwortlich war. Sie stand auf den drei hinteren, raupenartigen Beinpaaren und schlängelte sich wie ein pelziges Fragezeichen über das Bett; bekanntermaßen verhielten sich kelgianische Wesen auch Patienten gegenüber alles andere als rücksichtsvoll.


»Die Untersuchung, die ich durchführen werde, wird ähnlich wie die meiner forgianischen Kollegin verlaufen«, sagte sie. »Darüber hinaus möchte ich Ihnen allerdings einige Fragen stellen. Meine erste Frage lautet: Was hat ein anscheinend gesunder Patient wie Sie in einem Krankenhaus zu suchen? Dem Krankenbericht des Chefarztes zufolge sind Sie in klinischer Hinsicht gesund, wenn man davon absieht, daß bei Ihnen ohne erkennbaren Grund lebensbedrohliche Herzbeschwerden aufgetreten sind. Was fehlt Ihnen, Patient Hewlitt? Besser gesagt: Was glauben Sie selbst, was Ihnen fehlen könnte?«


»Zum hundertsten Mal: Ich weiß es nicht!« fauchte Hewlitt wütend.


Wie bei dieser Spezies üblich, benahm sich auch diese Kelgianerin ausgesprochen unhöflich, ehrlich und sehr direkt, denn sie wußte einfach nicht, wie man sich anders verhalten konnte. Hätte sich Hewlitt seinerseits genauso wie die Kelgianerin aufgeführt, wäre sie kein Stück beleidigt gewesen, da Höflichkeit und Diplomatie für sie Fremdwörter waren. Das war eins der Dinge, die er seit seiner Ankunft in dieser Irrenanstalt, die man offiziell als Krankenhaus bezeichnete, gelernt hatte, und wenn er die Gelegenheit beim Schöpf faßte und die richtigen Fragen stellte, bot sich ihm nun erstmalig die Möglichkeit, sich dieses Wissen nutzbar zu machen.


Außerdem wußten Kelgianer nicht, wie man lügt.


»Der Zustand tritt ohne ersichtliche Ursache und, ohne Vorwarnung in Abständen auf«, fuhr Hewlitt deshalb fort. »Aber das müßten Sie ja auch aus meiner Krankenakte wissen. Was geht eigentlich sonst noch daraus hervor?«»In der Akte wird des weiteren die Möglichkeit in Betracht gezogen, daß Sie selbst die Hauptursache sind«, antwortete die Kelgianerin geflissentlich, »und daß der Krankheitszustand durch eine heftige hysterische Reaktion hervorgerufen wird, deren Auslöser wiederum eine tiefsitzende Psychose ist, die sich auch auf physischer Ebene äußern kann. Um diese Theorie nachzuweisen oder auch zu widerlegen, wurde eine genaue psychologische Untersuchung angeordnet. Und jetzt drehen Sie sich auf die linke Seite.«


Hewlitt blickte sofort zu Braithwaite hinüber, der schmunzelnd an die Decke sah, und sagte dann: »Bislang gibt es keinen einzigen Beweis einer existierenden Psychose, sei sie nun tiefverwurzelt oder sonst was, und zwar deshalb, weil es einfach keine zu finden gibt. Hätte es in meiner Kindheit ein Erlebnis oder gar ein Verbrechen gegeben, das seither in meinem Unterbewußtsein vergraben liegt und so gräßlich und schmerzlich gewesen ist, daß ich mich gezwungen sah, es zu vergessen, dann hätte ich bestimmt Erinnerungslücken oder würde ständig von Alpträumen geplagt. Auf alle Fälle müßte es unter diesen Umständen irgendwelche anderen Symptome als den plötzlichen Eintritt eines Herzstillstands geben, oder was meinen Sie?«


Das Fell der Kelgianerin bewegte sich von der Nase bis zu dem Körperabschnitt, der von der Bettkante verdeckt wurde, in schnellen unregelmäßigen Wellen, als sie antwortete: »Ich bin zwar keine Psychologin für Terrestrier und noch nicht einmal für Kelgianer, dennoch stimme ich mit Ihnen nicht überein. Es ist allgemein anerkannt, daß verdrängte Erlebnisse starke Auswirkungen auf den allgemeinen Gesundheitszustand eines Wesens haben, und je höher der Verdrängungsgrad ist, desto schwerer ist es, diese Probleme zu entdecken. Es verbirgt sich etwas in Ihrem Unterbewußtsein, das nicht zum Vorschein kommen will. Falls dieses verdrängte Erlebnis solch eine Bedrohung für Sie bedeutet, daß es einen Herzstillstand oder andere Symptome verursachen kann, wie sie ja bereits in der Vergangenheit während ähnlicher Anlässe aufgetaucht sind, dann muß das Problem sehr sorgfältig lokalisiert, identifiziert und aufgedeckt werden, damit Sie diesen Prozeß unversehrt überstehen.«Diesmal blickte die Kelgianerin zu Braithwaite hinüber, der zustimmend nickte. Also glaubten wieder einmal alle, daß sich bei ihm alles nur im Kopf abspielte. Hewlitt versuchte, seine aufsteigende Wut zu unterdrücken, was aber eigentlich unnötig war, wenn man sich mit einer Kelgianerin unterhielt, und sagte: »Und wie sollte man dieses verdrängte Problem Ihres Erachtens nach am besten aufdecken und identifizieren?«


Einen Moment lang herrschte Stille, die Medalont schließlich mit dem Einwurf durchbrach: »Der Patient scheint jetzt seine Ärztin prüfen zu wollen. Obwohl ich zugeben muß, daß mich die Antwort auch interessiert.«


Das Fell der Kelgianerin richtete sich stachelig auf und legte sich wieder, bevor sie antwortete: »Bisher ist Chefarzt Medalont außerstande gewesen, eine medizinische Ursache für Ihren Zustand festzustellen, Patient Hewlitt. Andererseits hat Lieutenant Braithwaite auch keine Anzeichen für eine schwere psychische Störung entdecken können. Wenn es aber etwas gibt, dann müssen Sie etwas merken, Sie müssen fühlen, daß etwas mit Ihnen nicht stimmt, wie schwach diese Empfindung auch immer sein mag. Deshalb schlage ich vor, daß eine noch genauere Untersuchung Ihres Gefühlsleben vorgenommen werden sollte, und zwar eine gründlichere als die mündliche Befragung seitens des Lieutenants.


Konkret denke ich dabei an eine Untersuchung, die von einem cinrusskischen Empathen wie Doktor Prilicla durchgeführt werden sollte«, beendete die Kelgianerin ihre Ausführungen. »Er wäre vielleicht in der Lage, Empfindungen wahrzunehmen, die, obwohl sie Ihnen selbst gar nicht bewußt sind, wahrscheinlich die Ursache für Ihre Krankheit sein könnten.«


»Aber normalerweise geht es mir doch gut! Und wäre ich nicht der erste, der wüßte, wenn es nicht so wäre?« protestierte Hewlitt. »Unabhängig davon habe ich seit meinem Aufenthalt im Orbit Hospital zwar einige ziemlich schauerlich aussehende Aliens kennengelernt, jedoch kann ich mich nicht daran erinnern, daß einer davon ein Cinrussker gewesen ist.«


»Wenn Sie Prilicla gesehen hätten, dann würden Sie sich bestimmt an ihn erinnern«, versicherte ihm die Kelgianerin.Bevor er antworten konnte, klickte Medalont mit einer Zange, um für Ruhe zu sorgen, und sagte: »Vor allem sollten Sie bedenken, daß Cinrussker keine Telepathen, sondern Empathen sind, die zwar selbst die unterschwelligsten Gefühle wahrnehmen und auseinanderhalten können, aber nicht deren Ursachen erkennen. Patient Hewlitts emotionale Ausstrahlung durch einen Empathen prüfen zu lassen, ist ein guter Vorschlag, so gut, daß er bereits von der psychologischen Abteilung und mir gemacht wurde. Bedauerlicherweise kann er noch nicht umgesetzt werden, da Chefarzt Prilicla erst in zwei Wochen von Wemar zurückkehren wird. Inzwischen hat sich Patient Hewlitt freundlicherweise bereit erklärt, Sie bei Ihrer Ausbildung zu unterstützen, indem er sich einer Art Multispezies-Untersuchung unterzieht, die jeder von Ihnen der Reihe nach durchführen wird. So, Sie alle müssen heute noch Vorlesungen besuchen, und Ihre Zeit hier ist begrenzt. Lassen Sie uns also fortfahren.«


Einige der Untersuchungen verliefen nicht ganz so sanft wie andere, jedoch war keine so unangenehm, als daß Hewlitt es für nötig gehalten hätte, sich zu beschweren. Darüber hinaus gab er sich alle Mühe, die Fragen zu beantworten, anstatt zu versuchen, selbst welche zu stellen.


Schließlich war alles vorbei. Medalont und die Auszubildenden bedankten sich bei ihm einer nach dem anderen, bevor sie sich entfernten und ihn mit Braithwaite allein zurückließen.


»Na, das haben Sie ja wirklich prima durchgestanden, Patient Hewlitt«, lobte ihn der Lieutenant. »Ich bin tief beeindruckt.«


»Ja ja, ist ja gut«, murmelte Hewlitt etwas verlegen. »Und was ist nun mit Ihrem ach so speziellen und angeblich so unangenehmen Stress-Test, bei dem Sie es unter keinen Umständen zulassen wollten, daß er außer Kontrolle gerät? Werde ich den genauso gut überstehen?«


Braithwaite lachte. »Den haben Sie doch gerade überstanden.«


»Ich verstehe.« Hewlitt schnaufte abfällig. »Sie wollten sehen, welche Auswirkungen ein solcher Massenangriff von Aliens auf meine nicht existierende Psychose haben würde, stimmt's? Nun, ich fühle mich in derenGesellschaft immer noch nicht besonders wohl, scheine aber aus irgendeinem Grund neugieriger geworden zu sein. Ich meine damit, daß ich jetzt aufrichtige Neugierde anstatt Angst empfinde. Können Sie mir verraten, warum das so ist?«


»Neugierde ist immer gut«, meinte der Psychologe, und ohne die Frage zu beantworten, fuhr er fort: »Sie haben noch ein weiteres Problem. Die Zeit, die ein Arzt am Orbit Hospital jedem einzelnen Patienten widmen kann, ist sehr knapp bemessen, besonders bei nicht so; dringenden Fällen wie dem Ihren. Haben Sie eine Idee, wie Sie sich in den nächsten Wochen beschäftigen können?«


»Wollen Sie mir damit sagen, daß mit mir nichts unternommen wird, bis dieses cinrusskische Wesen namens Prilicla hier auftaucht, um meine Emotionen zu deuten?« empörte sich Hewlitt. »Mit Ausnahme dessen, daß mein Körper als eine Art lebendiges Forschungslabor für Auszubildende benutzt wird? Außerdem nehme ich an, daß mir Prilicla später sowieso nur erklären wird, daß mir nichts fehle und ich mir alles nur einbilde und mich zusammenreißen und nach Hause gehen solle, um anderen nicht ihre kostbare Zeit zu stehlen. Und ansonsten wollen Sie bis dahin überhaupt nichts unternehmen?«


Braithwaite lachte erneut und schüttelte den Kopf.


»Das ist nicht witzig, verdammt noch mal!« empörte sich Hewlitt. »Zumindest nicht für mich.«


»Wenn Sie erst einmal einen Cinrussker kennengelernt haben, dann werden Sie auch darüber lachen müssen«, besänftigte ihn Braithwaite. »Es ist nämlich nicht Priliclas Art, so mit Leuten zu reden. So, das erst einmal dazu. Darüber hinaus versuchen wir, etwas anderes zu tun, als Sie unter dauernde medizinische Beobachtung zu stellen. Zugegebenermaßen ist das nicht viel, aber wir halten es durchaus für möglich, daß an der Geschichte über das giftige Obst, das Sie gegessen haben, etwas Wahres sein könnte, wenngleich es sich dabei um eine ziemlich vage Theorie handelt. Der Saft, der in geringen Mengen tödlich ist, hat, wenn er in großen Mengen getrunken wird, offenbar heilende Eigenschaften. Ich kann Ihnen zwar keinemedizinischen Gründe nennen, warum das so sein soll, aber es gibt dafür einen bekannten Präzedenzfall. In diesem speziellen Fall traten langfristige Nachwirkungen auf, was vielleicht Ihre in Abständen auftretenden Symptome erklären könnte - wenngleich ich auch hier nicht weiß, weshalb und warum das so ist. Deshalb werden wir auf Etla Proben der Frucht nehmen lassen, so daß in bezug auf deren Giftigkeit in der Pathologie eine unabhängige Untersuchung durchgeführt werden kann.


Wenn man die Zeit rechnet, die für den Hin- und Rücksprung durch den Hyperraum zwischen hier und Etla benötigt wird, sowie für das Finden, Pflücken und Verstauen der Frucht, plus der Dauer der Analyse, dann bedeutet das eine Wartezeit von mindestens zwei Wochen. Während dieser Zeit wird nicht viel mit Ihnen passieren, es sei denn, Prilicla kehrt vorzeitig zurück, oder Medalont läßt sich eine neue Behandlungsmethode einfallen. Deshalb wollte ich von Ihnen wissen, wie Sie sich bis dahin die Zeit zu vertreiben gedenken.«


»Das weiß ich nicht«, antwortete Hewlitt. »Mit Lesen und Fernsehen, nehme ich mal an, wenn Sie mir die Codes für die Bibliothek geben. War das eigentlich Ihre Idee, die Penissithfrucht analysieren zu lassen?«


Braithwaite schüttelte erneut den Kopf. »Ich möchte nicht mit einer solch verrückten Idee in Verbindung gebracht werden. Das war Padre Liorens Vorschlag. Er ist ein DRLH-Tarlaner und arbeitet mit der psychologischen Abteilung zusammen. Er wird Sie in den nächsten Tage wahrscheinlich besuchen. Optisch ist er ein ziemlich furchterregend aussehendes Wesen, aber vielleicht kann er Ihnen helfen. Nach dem Verhalten zu urteilen, das Sie bei der Untersuchung durch die Auszubildenden an den Tag gelegt haben, sollte Ihnen seine äußere Erscheinung keine Probleme mehr bereiten.«


»Das fürchte ich allerdings auch«, stimmte ihm Hewlitt nur widerwillig zu, denn über dieses Kompliment mochte er sich nicht recht freuen. »Aber… aber bedeutet das, was Sie eben gesagt haben, daß Sie mir allmählich glauben?«


»Nein, tut mir leid«, widersprach Braithwaite. »Wie ich bereits erwähnthabe, gehen wir davon aus, daß Sie sich selbst glauben. Das ist etwas ganz anderes, als wenn wir denken würden, daß das, was Sie uns erzählen, absolut der Wahrheit entspricht. Der Vorfall mit der Pennisithfrucht ist praktisch der einzige Anhaltspunkt, den Sie uns gegeben haben, und somit ist diese Frucht auch das einzige Beweisstück, das überprüft werden kann. Wir müssen versuchen, Ihre Aussage entweder zu beweisen oder zu widerlegen, und uns dann weiter vortasten.«


»Und wie wollen Sie dabei genau vorgehen?« wollte Hewlitt wissen. »Indem Sie mich mit der Pennisithfrucht füttern und dann abwarten, ob ich sterbe?«


»Tut mir leid, als Nichtmediziner kann ich Ihnen diese Frage nicht beantworten«, entgegnete Braithwaite lächelnd. »Selbstverständlich wird man entsprechende Sicherheitsvorkehrungen treffen, aber ansonsten haben Sie wahrscheinlich recht.«


Загрузка...