2. Kapitel



Die dicken, fleischigen, gelbgrünen Blätter in der Chlorhülle zuckten, dann öffneten sie sich und zwei stummelartige Beine kamen zum Vorschein, die von etwas bedeckt waren, das wie ölige Pusteln aussah. Damit bewegte sich das Wesen ein Stück vom Fußende zurück.


»Keine Angst, Patient Hewlitt, ich habe überhaupt nicht vor, mich Ihnen zu nähern, und ich will Sie auch ganz bestimmt nicht anfassen, es sei denn, es ist aufgrund eines medizinischen Notfalls unumgänglich«, beruhigte Leethveeschi ihren neuen Patienten. »Vielleicht hilft es Ihnen ja weiter, wenn Sie einmal darüber nachdenken, welche optische Wirkung Ihr weicher Körper mit seiner rosafarbenen, glatten Haut auf mein ästhetisches Empfinden hat. Also hören Sie bitte auf damit, sich mit dem Rücken durch die Wand drücken zu wollen. Falls es Ihnen hilft, können Sie ja die Augen schließen, während Sie mir zuhören. Erstens, haben Sie in letzter Zeit etwas gegessen? Zweitens, verspüren Sie einen starken Drang, Körperabfälle auszuscheiden?«


»A-also… ich…«, stammelte Hewlitt. Wider Erwarten ließ er die Augen offen und versuchte, die eklige Kreatur feindselig zu fixieren. Doch entdeckte er viel zu viele dunkle, nasse Verdickungen, die sich überall zwischen den öligen Farnwedeln und Membranen zeigten, als daß er hätte sagen können, welche davon Augen waren. »Gegessen habe ich, kurz bevor ich vom Schiff gegangen bin, und auf die Toilette muß ich auch nicht.«


»Dann haben Sie auch keinen Grund, das Bett zu verlassen«, stellte die Oberschwester klar. »Bleiben Sie also bitte liegen, bis Sie von Chefarzt Medalont untersucht worden sind und er ganz offiziell die Erlaubnis erteilt hat, daß Sie sich ohne Pflegepersonal auf der Station bewegen dürfen. Die nächste Mahlzeit wird in gut drei Stunden serviert, die Untersuchung wird noch vorher stattfinden. Es gibt aber überhaupt keinen Grund zur Besorgnis, Patient Hewlitt, denn das Verfahren wird sich überwiegend verbal und ohne körperlichen Kontakt abspielen.Falls man Ihnen gestattet, das Bett zu verlassen«, fuhr Leethveeschi fort, »erhalten Sie einen Translator, der für die Sprachen programmiert ist, die von den Patienten und Mitarbeitern dieser Station gesprochen werden. Anscheinend haben Sie bislang nur selten die Möglichkeit gehabt, mit fremden Spezies in Kontakt zu treten. Nun, hier werden Sie genügend Gelegenheit dazu finden. Sobald Sie die Lust dazu verspüren, sich mit den anderen Patienten zu unterhalten, und solange Sie dadurch nicht die Arbeit des Klinikpersonals behindern, sollten Sie das auch tun. Patienten, die Sichtblenden um ihre Betten haben, werden entweder gerade untersucht, ruhen sich aus oder sind aus anderen Gründen abgeschirmt und dürfen nicht gestört werden. Die meisten werden aber mit Ihnen reden wollen, wenn Sie sich nach Gesellschaft sehnen. Ach, und wegen deren äußeren Erscheinung brauchen Sie sich wirklich keine Sorgen zu machen, schließlich sind hier alle Patienten häßlich, unförmig und optisch abstoßend. Ohne Ausnahme!«


Noch während er die Wörter der Oberschwester vernahm, fragte sich Hewlitt, ob er tatsächlich so etwas wie ein ironisches Grinsen in einigen der dunklen, nassen Blasen entdeckte, die ihn ansehen mochten, doch er tat diesen Gedanken gleich wieder als lächerlich ab.


»Im Bett gegenüber befindet sich Patient Henredth, ein Kelgianer«, unterrichtete ihn Leethveeschi. »Links daneben liegt Patientin Kletilt vom Planeten Melf und direkt neben Ihnen ist ein Ianer namens Makolli, der noch heute auf Ebene siebenundvierzig verlegt wird, so daß Sie wahrscheinlich keine Gelegenheit mehr haben werden, sich mit ihm zu unterhalten. Ich weiß allerdings nicht, wen man uns an seiner Stelle bringen wird. So, dabei wollen wir es erst einmal bewenden lassen, Patient Hewlitt. Bis der Doktor eintrifft, sollten Sie versuchen, sich etwas auszuruhen oder zu schlafen, wenn Sie können.«


Als sich verschiedene Körperteile Leethveeschis kräuselten und krümmten oder sich auf abstoßende Art einrollten, wurde Hewlitt klar, daß die Oberschwester im Begriff war zu gehen. Eigentlich war er erleichtert, daß sich dieses widerliche Ding endlich zurückzog, und um so mehr wunderte er sich, daß er Leethveeschi noch einmal aufhielt, zumal dieFrage, die er stellen wollte, hätte warten können.


»Schwester, ich verspüre nicht den geringsten Wunsch, mich hier mit irgend jemandem zu unterhalten, es sei denn, daß es wegen meiner Behandlung unerläßlich ist. Allerdings gibt es eine Person, mit der ich reden könnte, ohne gleich größeres Unbehagen zu verspüren, und zwar handelt es sich dabei um die Lernschwester, die mich hierhergebracht hat. Ich hätte auch nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie an meiner Behandlung teilnehmen könnte, und ich würde es sogar vorziehen, sie zu rufen, Ms ich mal etwas brauche. Könnten Sie mir bitte ihren Namen verraten?«


»Nein«, antwortete Leethveeschi knapp. »Da sie aber die einzige hudlarische Schwester auf meiner Station ist, werden Sie keine Probleme haben, sie auch so zu identifizieren. Zeigen Sie einfach mit einem Ihrer Greiforgane auf sie und rufen Sie laut › Schwester! ‹«


»Wo ich herkomme, wäre das allerdings der Gipfel schlechter Manieren«, reagierte Hewlitt erstaunlich gefaßt. »Sind Sie eigentlich absichtlich so ungefällig? Sie haben mir doch auch die Namen der in meiner Nähe liegenden Patienten gesagt, warum verraten Sie mir also nicht den Namen der Hudlarerin?«


»Weil ich ihn selbst nicht kenne«, antwortete Leethveeschi.


»Das ist doch lächerlich!« platzte es aus Hewlitt heraus, als er gegenüber diesem ekelerregenden und offenbar engstirnigen Wesen seine Geduld nicht mehr länger zügeln konnte. »Schließlich sind Sie für die Schwestern auf dieser Station verantwortlich, und jetzt soll ich Ihnen allen Ernstes glauben, daß Sie nicht einmal deren Namen kennen? Wollen Sie mich für dumm verkaufen? Ach, vergessen Sie's einfach! Sobald ich die Hudlarerin das nächste Mal sehe, werde ich sie einfach selbst nach ihrem Namen fragen.«


»Das hoffe ich nicht, Patient Hewlitt!« widersprach die Oberschwester heftig. Dann unternahm sie etwas mit ihrem Körper, wodurch sich dieser drehte und bedrohlich nah neben sein Bett geriet.


»Was den Grad Ihrer Dummheit betrifft, Patient Hewlitt, so gebietet es mir meine Höflichkeit, diesbezüglich lieber zu schweigen«, fuhrLeethveeschi fort. »Allerdings besteht die Möglichkeit, daß Sie eher uninformiert als dumm sind, und es ist mir durchaus gestattet, das Niveau Ihrer Unwissenheit zu senken.


Unsere hudlarische Lernschwester trägt an einer Gliedmaße eine Armbinde, auf der man anhand der Farbmarkierungen ihren Dienstgrad und die Personalnummer ablesen kann«, fuhr Leethveeschi fort. »Die Nummer wird normalerweise für Verwaltungszwecke verwendet, ist bei Hudlarern aber auch gleichzeitig das einzige uns bekannte Identitätsmerkmal. Weil andere Spezies die Hudlarer unmöglich auseinanderhalten können, wenn mehrere von ihnen zusammen sind, spricht man sie einfach mit den letzten Ziffern der Personalnummer an. Da die Hudlarer ihren Namen für den intimsten Privatbesitz halten, sollte man ihn auch nicht verwenden. Innerhalb der eigenen Spezies nennt man sich nur im engeren Familienkreis oder mit dem zukünftigen Lebensgefährten beim Namen.


Anscheinend haben Sie an unserer hudlarischen Lernschwester Gefallen gefunden, und das freut mich. Dennoch halte ich es unter den gegebenen Umständen für angebracht, es nicht zu einem Namensaustausch kommen zu lassen.«


Während Leethveeschi zum Personalraum zurückkehrte, gab sie widerliche, unübersetzbare Laute oder Geräusche von sich, die sich zwar anhörten, als stünde sie kurz vor einem Lungenversagen, aber wahrscheinlich handelte es sich dabei nur um illensanisches Gelächter.


Hewlitt war felsenfest davon überzeugt, mittlerweile vor Verlegenheit und Zorn innerlich derart zu glühen, daß die ganze Station dadurch aufgewärmt wurde. Als er sich peinlich berührt ins Bett zurückwarf und in die Linse der Überwachungskamera an der Decke starrte, fragte er sich, ob durch die plötzliche Schamröte in seinem Gesicht jemand auf ihn aufmerksam werden würde oder ob bereits irgendeine andere Horrorgestalt zu ihm unterwegs war, um nach dem Rechten zu sehen.


Anscheinend war das nicht der Fall, denn die nächsten Minuten verstrichen ohne weitere Visiten. Nichtsdestoweniger empfand er lediglich eine Mischung aus Erleichterung und Zorn, und er fragte sich, ob er erst ausdem Bett fallen, sich den Arm brechen oder zu einer sonstigen melodramatischen Geste greifen müßte, um auf sich aufmerksam zu machen. Zwar spürte er keine Verlegenheit mehr, doch war sie lediglich durch die ihm nur allzu gut vertrauten Gefühle hilfloser Wut und Verzweiflung ersetzt worden.


Ich hätte niemals hierherkommen sollen!


Nur zögernd blickte er an den großen und kompliziert aussehenden Bettgestellen entlang, deren Insassen leider nicht alle durch Sichtblenden abgeschirmt wurden. Erst in der Höhe des Personalraums wirkten die Umrisse der Aliens aufgrund der Entfernung etwas weniger furchteinflößend. Natürlich entging ihm auch nicht das leise Bellen, Jaulen und Krächzen der anderen Patienten, die sich anscheinend miteinander unterhielten. Gegenüber Fremden und selbst gegenüber Verwandten, die er lange nicht mehr gesehen hatte, war er schon immer mißtrauisch gewesen, weil sie für ihn normalerweise nichts anderes als eine Veränderung und Unterbrechung seines recht betulichen, gut organisierten, einsamen und einigermaßen glücklichen Lebens darstellten, das er für sich so sorgsam eingerichtet hatte. Und jetzt befand er sich unter Fremden, die fremder waren, als er es sich jemals hätte vorstellen können, und das alles hatte er seiner eigenen Dummheit zu verdanken.


Dabei war ihm von einer ganzen Reihe terrestrischer Ärzte, die mit seiner Krankenakte vertraut waren, abgeraten worden, sich ins Orbit Hospital zu begeben, da er sich dort nicht wohl fühlen würde. Bislang war jedoch keiner von ihnen in der Lage gewesen, etwas gegen seine Krankheit zu unternehmen, außer obligatorisch festzustellen, daß seine Symptome ungewöhnlich vielschichtig und untypisch und die angezeigten Behandlungsmethoden praktisch wirkungslos seien. Einige gingen sogar davon aus, daß seine Probleme an einem hyperaktiven Verstand liegen könnten, der einen unverhältnismäßig großen Einfluß auf den zu ihm gehörigen Körper ausübe.


Als Einzelgänger, zu dem er eher notgedrungen als freiwillig geworden war, trug er die alleinige Verantwortung für sein körperliches Wohlergehen,und dazu gehörte auch, sich vor Unfall-, Krankheits- oder Infektionsgefahren zu schützen. Dennoch war er kein Hypochonder, jedenfalls nicht durch und durch. Er wußte, daß mit ihm ganz ernsthaft etwas nicht stimmte, und beim heutigen Stand der medizinischen Forschung hatte er als Bürger der galaktischen Föderation verlangt, daß ihm von irgendwem irgendwo geholfen wurde.


Auch wenn er sich nicht gern unter Fremden aufhielt, so gefiel ihm genausowenig die Aussicht, für den Rest seines Lebens periodisch unerklärlich krank zu sein, und deshalb hatte er auch auf seinem Recht bestanden. Jetzt fragte er sich allerdings, ob es für ihn nicht besser gewesen wäre, bis zum Rest seines Lebens bequem auf der Erde zu bleiben. Hier bereiteten ihm die Behandlungsmethoden und erst recht die Ärzte, die sie verordneten, bestimmt mehr geistige Qualen als die eigentliche Krankheit selbst.


Mit einem Mal wollte Hewlitt unbedingt wieder zu Hause sein.


Doch unversehens wurde seine Aufmerksamkeit auf den Eingang zum Personalraum gelenkt, aus dem zwei Kreaturen aufgetaucht waren, die nun den Mittelgang entlang direkt auf ihn zusteuerten. Der erste Alien war ein raupenähnliches Wesen mit einem silbergrauen Pelz, das sich auf mehr Beinen wellenförmig über den Boden fortbewegte, als er zählen konnte, und das derselben Spezies wie Patient Henredth im Bett gegenüber angehörte. Dieses kelgianische Wesen wurde von der hudlarischen Lernschwester begleitet, deren lederner Hautpanzer anscheinend neu angestrichen worden war, seit Hewlitt sie das letzte Mal gesehen hatte – und die er aus einem unerfindlichen Grund heraus als seine Schwester zu betrachten begann, möglicherweise weil sie so höflich und ihm einigermaßen vertraut war.


Für einen Moment fragte er sich, ob seine Schwester von anderen Hudlarern für hübsch gehalten wurde, dann richtete er sich im Bett auf und wappnete sich für seine erste ärztliche Untersuchung, die von einer riesigen extraterrestrischen Raupe vorgenommen werden würde. Aber die beiden blieben am Nachbarbett von Patientin Kletilt stehen, verschwanden hinterden Sichtblenden und ignorierten ihn völlig.


Insgesamt konnte er drei verschiedene Stimmen leise miteinander reden hören. Da war einmal das modulierte Jammern, das vom kelgianischen Arzt stammen mußte, dann unregelmäßig schabende und klickende Geräusche, die er noch nie zuvor gehört hatte, die aber eindeutig von der melfanischen Patientin herrührten, und schließlich noch – allerdings seltener häufig, was auf kurze Antworten auf Fragen oder Instruktionen schließen ließ – die vertrauten Laute aus der vibrierenden Sprechmembran der Lernschwester. Keiner der Translatoren war auf die terrestrische Sprache eingestellt, so daß Hewlitt keine Ahnung hatte, worüber sich die drei unterhielten.


Das ärgerte ihn, weil alle paar Minuten der Stoff der Sichtblenden nach außen anschwoll, als ob sich dahinter etwas Großes und Rundes wie die Flanken der Hudlarerin sowie etwas undefinierbares Kleines und Spitzes hin und her bewegte. Trotz der Tatsache, daß es ihn wahrscheinlich entsetzt hätte, wollte Hewlitt unbedingt wissen, was dort vor sich ging.


Auf jeden Fall dauerte es etwa zwanzig Minuten, bis der kelgianische Arzt hinter der Sichtblende hervor wieder auftauchte und sich wellenförmig in Richtung des Personalraums schlängelte, ohne Hewlitt auch nur eines Blickes zu würdigen. Dann hörte er, wie sich die hudlarische Schwester um Kletilts Bett herumbewegte und anscheinend etwas mit oder für die Patientin tat, bis auch sie wieder auftauchte und dem Arzt folgte. Weder winkte Hewlitt nach ihr, noch rief er › Schwester! ‹ wie Leethveeschi es ihm geraten hatte, sondern fuchtelte wild mit den Armen in der Luft, um auf sich aufmerksam zu machen.


Die Schwester blieb stehen, verstellte etwas am Translator und sagte dann: »Ist irgend etwas nicht in Ordnung, Patient Hewlitt?«


Das ist doch wohl offensichtlich, daß hier was nicht in Ordnung ist! empörte er sich in Gedanken, versuchte aber, höflich zu klingen, als er antwortete: »Ehrlich gesagt, hatte ich erwartet, endlich untersucht zu werden, Schwester. Was wird hier eigentlich gespielt? Dieser kelgianische Arzt hat mich nicht einmal angesehen!«


»Dieser kelgianische Arzt hat die Verlegung der Patientin Kletilt auf eineandere Station vorbereitet«, stellte die Schwester klar. »Und ich habe die Patientin während der Untersuchung einige Male in eine andere Position bringen müssen. Das war übrigens Chefarzt Karthad, der zur Zeit am Orbit Hospital der größte Spezialist für Geburtshilfe und Gynäkologie ist und an Ihrem Fall keinerlei Interesse hat. Sie müssen sich nur noch ein wenig gedulden, dann wird auch der für Sie zuständige Arzt eintreffen, um Sie zu untersuchen, Patient Hewlitt.«


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