18. Kapitel


Mit einer Mischung aus Verwunderung und beruflichem Interesse beobachtete Hewlitt, wie sich der füllige, grauhaarige Mann, der ihr Führer sein sollte, aus dem kleinen Bodenfahrzeug zwängte und auf sie zukam. Stillman trug keine Uniform, sondern die einheimische Tracht, bestehend aus einem kurzen Mantel, einem Kilt und knielangen Stiefeln aus weichem Leder. Die Kleidung wirkte bequem und hatte sogar einen gewissen Stil, obwohl in diesem Fall die fließenden Linien des Mantels durch die Unsitte des Trägers verdorben wurden, zu viele Utensilien in den Innentaschen mit sich herumzuschleppen. Dennoch konnte Hewlitt auf den ersten Blick sagen, daß es sich im Gegensatz zu den Overalls, die Murchison, Fletcher und er selbst trugen, um keine synthetische Ware handelte. Während er bereits die Möglichkeit erwog, den etlanischen Kilt einigen seiner weniger konservativen Kunden anzubieten, schwebte Prilicla ein Stück voran, um Stillman auf halbem Weg zu begrüßen.


»Guten Tag, Freund Stillman«, sagte der Empath. »Erst einmal muß ich mich dafür entschuldigen, Sie hier unten auf dem Landeplatz zu begrüßen, anstatt Sie an Bord einzuladen, wo Sie Ihre große Neugier bezüglich der Ausstattung unseres Raumschiffs befriedigen könnten. Aber ich habe den Eindruck gewonnen, daß es Colonel Shech-Rar lieber wäre, wenn wir Ihre kostbar bemessene Zeit nicht allzusehr in Anspruch nehmen.«


Es dauerte eine ganze Weile, ehe sich Stillman von seinem ersten Zusammentreffen mit einem cinrusskischen Empathen erholt und die Stimme wiedergefunden hatte – mit Ausnahme eines kurzen, anerkennenden Blicks auf die positiv auffallende Erscheinung der Pathologin Murchison hatte er die anderen Besatzungsmitglieder kaum wahrgenommen.


»Ich… ich bin längst pensioniert, Doktor Prilicla«, begrüßte er den Empathen mit einem verkniffenen Lächeln. »Und über meine Zeit bestimme allein ich und nicht der Colonel. Nehmen Sie sich also so viel davon, wie Sie wollen. Ansonsten haben Sie übrigens völlig recht: Was die Rhabwar angeht, so habe ich schon eine ganze Menge darüber gehört und würde mirdas Schiff gerne mal genauer ansehen. Wenn es Ihnen allen recht ist, sollten wir allerdings so vorgehen, wie es sich der Colonel wünscht. Später habe ich noch genug Zeit, meine Neugier zu befriedigen.«


»Ganz wie Sie möchten«, willigte Prilicla ein. »Wie lauten denn die Anweisungen des Colonels?«


»Als erstes sollen wir das Haus aufsuchen«, antwortete Stillman. »Die jetzigen Bewohner sind beim Stützpunkt beschäftigt, haben aber für den Rest des Tages freibekommen und müßten zum Zeitpunkt unseres Eintreffens bereits zu Hause sein. Falls Sie den Zahnarzt persönlich treffen wollen, könnte es ein Problem geben. Doktor Hamilton besucht nämlich gerade unseren anderen Stützpunkt auf dem Kontinent Yunnet und wird frühestens in drei Tagen zurückerwartet. Wenn Sie mit ihm reden wollen, hat er die Anweisung erhalten, mit Ihnen so schnell wie möglich im Haus oder auf dem Schiff Kontakt aufzunehmen. Danach können Sie soviel Zeit, wie Sie brauchen, in der Schlucht verbringen.«


Also sichert man uns die volle Zusammenarbeit zu, und das mit einer solchen Begeisterung, daß kaum Zeit zum Nachdenken bleibt, dachte Hewlitt spöttisch.


Die Außenfassade des Hauses hatte sich kaum verändert; lediglich der Vordereingang war vergrößert und die Treppe durch eine Rampe ersetzt worden, um den tralthanischen Bewohnern den Zutritt zu erleichtern.


Die neuen Inhaber erwarteten sie bereits zur Begrüßung an der Haustür. Stillman, der das Paar offenbar gut kannte, stellte ihnen die beiden Tralthaner als Crajarron und Surriltor vor. Danach war die Abordnung der Rhabwar an der Reihe, wobei natürlich auf die einzigartige terrestrische Sitte des Händeschüttelns verzichtet wurde.


Die Inneneinrichtung seines ehemaligen Elternhauses war überhaupt nicht mehr wiederzuerkennen. Soweit er sich erinnern konnte, waren die meisten Raumteiler verschwunden und bis auf wenige Ausnahmen auch fast alle Stühle und Liegen, die für etwaige Besuche anderer Spezies benötigt wurden. Da sich die Tralthaner nicht hinsetzen konnten, bevorzugten sie leere Räume, in denen sie ungehindert umherlaufen konnten. Während sichHewlitt das Schlafgestell von Patientin Horrantor auf Station sieben ins Gedächtnis rief, erkannte er in einer Ecke des Raums die ausgepolsterte Schlafstelle. Im Gegensatz zum fast völlig leeren Raum waren die Wände vor lauter Bücher- und Videobänderregalen kaum zu sehen, und an den wenigen freien Stellen hingen Bilder- und Wandteppiche, deren Motive ihm unklar blieben, oder standen schmale, kegelförmige Töpfe mit Duftpflanzen.


Während sich Hewlitt noch immer ein Kompliment für die Einrichtung einfallen zu lassen versuchte, entschuldigte sich Prilicla bei Crajarron und Surriltor für die Unannehmlichkeit, daß das Ambulanzschiff ohne jede Vorwarnung direkt neben ihrem reizenden Domizil gelandet sei.


»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, Doktor Prilicla«, sagte Crajarron und machte mit einem Tentakel eine wegwerfende Geste. »Sie sind der erste Cinrussker, den wir leibhaftig kennenlernen, und wir sind für jede angenehme Unterbrechung des Alltags dankbar. Dürfen wir Ihnen etwas anbieten? Feste oder flüssige Nahrung vielleicht? Unser Nahrungssynthesizer verfügt über Programme für alle möglichen Spezies.«


»Danke, aber leider haben wir schon gegessen«, antwortete Prilicla.


Murchison, Stillman und Hewlitt blickten den Empathen vielsagend an, denn sie wußten, daß er ihren Hunger spüren konnte. Zwar hatte er nicht gelogen, doch hatte er auch nicht erzählt, wie lange sie schon nichts mehr gegessen hatten.


»Wir sind mit dem Schiff auf Etla gelandet, weil wir eine Untersuchung über einen Unfall durchführen, der zu einer Zeit passierte, als Freund Hewlitt noch ein kleines Kind gewesen ist und mit seinen Eltern hier in diesem Haus gewohnt hat. Während unseres hiesigen Aufenthalts äußerte Freund Hewlitt den Wunsch, noch einmal sein ehemaliges Elternhaus sehen zu können. Da er damals nach dem Flugzeugunglück Etla mehr oder weniger überstürzt verlassen mußte, wollte er Sie fragen, ob Sie möglicherweise wissen, was mit einem gewissen Wesen, zu dem er eine starke emotionale Bindung gehabt hatte, geschehen ist.«


Hewlitt sah die anderen der Reihe nach erstaunt an. Stillman blickte genauso verdutzt drein wie er selbst, nur Murchison wirkte überhaupt nichtüberrascht. Seine Katze Snarfe mußte schon vor einer Ewigkeit an Altersschwäche eingegangen sein, Ms sie überhaupt eines natürlichen Todes gestorben war. Doch warum erkundigte sich Prilicla nach ihr?


Crajarron richtete zwei seiner Augen auf Hewlitt und sagte: »Meinen Sie dieses kleine terrestrische Lebewesen mit einem dichten Pelz und einem etwas niedrigerem Intelligenzgrad? Nun, diese Katze wurde damals zunächst von anderen Terrestriern adoptiert, weigerte sich aber strikt, dort zu bleiben, und lief andauernd in ihr altes Revier zurück. Als wir hierhergezogen sind, streunte die Katze im Garten und im Haus herum. Später haben wir erfahren, daß diese terrestrischen Haustiere eine Zuneigung zu anderen Wesen entwickeln können oder auch eine gewisse Zugehörigkeit zu bestimmten Revieren. Diese Katze besaß jedenfalls ein sehr freundliches Wesen. Na ja, und nachdem wir erst einmal gelernt hatten, welche Nahrungserfordernisse sie hat und wie man verhindern kann, nicht auf sie zu treten, wenn sie sich einem an die Beine schmiegt, um auf sich aufmerksam zu machen, da ist sie bei uns geblieben.«


Mit wehmütigem Blick erinnerte sich Hewlitt an sein vielgeliebtes Kätzchen, und noch während er sich über die unverhofft auftretenden Gefühlen der Trauer und des Verlusts wunderte, gab Crajarron einen merkwürdigen, unregelmäßigen Zischlaut von sich, der nicht übersetzt wurde. Als es Hewlitt allmählich dämmerte, daß der Tralthaner damit die Schnalzlaute nachzuahmen versuchte, die Menschen machen, wenn sie die Aufmerksamkeit einer Katze erlangen wollen, tauchte Snarfe bereits in der Haustür auf und stolzierte gemächlich auf ihn zu.


Während die Katze vor ihm stehenblieb, zu ihm aufschaute und ihn dann umkreiste, wobei sie sich an seine Knöchel schmiegte und sanft mit dem Schwanz gegen seine Waden schlug, sagte niemand einen Ton; diese Form der nonverbalen Kommunikation bedurfte keiner Übersetzung. Hewlitt bückte sich, hob die Katze mit beiden Händen hoch und hielt sie gegen Brust und Schulter. Als er ihr mit den Fingern sanft vom Kopf aus über den Rücken fuhr, versteifte sich ihr Schwanz, und sie begann sanft zu schnurren.


»Snarfe …! Also, dich hier wiederzusehen, damit habe ich wirklich nichtgerechnet!« rief Hewlitt verblüfft. »Wie geht's dir?«


Prilicla flog näher heran und sagte: »Die emotionale Ausstrahlung ist charakteristisch für ein sehr altes und zufriedenes Wesen, das weder unter physischen noch psychischen Schmerzen leidet und es gegenwärtig über alle Maßen genießt, liebkost zu werden. Wenn es sprechen könnte, würde es Ihnen sagen, daß es wohlauf ist, und Sie darum bitten, mit dem Streicheln fortzufahren. Freundin Murchison, Sie wissen, was zu tun ist.«


»Selbstverständlich«, antwortete die Pathologin und holte den Scanner hervor. »Crajarron, Surriltor, dürfte ich bitte kurz die Katze untersuchen?« An Hewlitt gewandt, fügte sie hinzu: »Wie Sie wissen, merkt sie nichts davon. Halten Sie Snarfe bitte einen Moment lang fest, während ich sie scanne. Ich will die Daten nur für eventuelle spätere Untersuchungen aufnehmen.«


Snarfe mußte gedacht haben, daß es sich dabei um ein neues Spiel handelte, denn sie schlug zweimal mit eingezogenen Krallen nach dem Scanner. Doch besann sie sich schnell eines Besseren und ließ sich lieber wieder genüßlich kraulen, so daß die Pathologin die Untersuchung in Ruhe zu Ende führen konnte.


»Möchten Sie Ihr Eigentum gern zurückbekommen, Terrestrier Hewlitt?« erkundigte sich Crajarron, wobei sich sämtliche Augen der beiden Tralthaner auf ihn richteten. Hewlitt mußte weder über empathische Fähigkeiten verfügen, noch mußte er Priliclas Zittern sehen, um zu wissen, daß die zunächst freundlich gesinnte Stimmung zusehends abkühlte.


»O nein, aber vielen Dank auch«, entgegnete er deshalb sofort, während er Snarfe wieder auf dem Fußboden absetzte. »Ganz offensichtlich fühlt sich die Katze hier rundum wohl und wäre woanders nur unglücklich. Trotzdem bin ich Ihnen wirklich sehr dankbar, daß Sie es mir ermöglicht haben, eine alte Freundschaft Wiederaufleben zu lassen.«


Die Atmosphäre entspannte sich zusehends; Prilicla gewann seine Flugstabilität zurück, und Snarfe verlagerte ihre Zuneigung auf Surriltor, indem sie auf einen seiner wuchtigen tralthanischen Füße sprang. Einige Minuten später wurden die höflich ausgetauschten Abschiedsfloskeln durchdas zweimalige Läuten des Hauskommunikators unterbrochen, der einen eingehenden Anruf meldete.


Es war Doktor Hamilton.


»Es tut mir leid, daß ich Ihre Fragen nicht persönlich beantworten kann, Doktor Prilicla«, meldete er sich. »Ich halte mich derzeit in Yunnet im Stützpunkt Vespara auf; das ist nur eine der vielen ungeahnten Freuden, die man als Zahnarzt mit einem Reisegewerbeschein auf diesem Planeten hat. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?«


Während Prilicla erklärte, was er wollte, zogen sich die beiden Tralthaner in eine Ecke des Zimmers zurück und errichteten ein schalldichtes Feld, da sie dem möglicherweise vertraulich geführten Gespräch nicht beiwohnen wollten. Hewlitt starrte angestrengt auf den Bildschirm und versuchte, sich an Doktor Hamiltons Gesicht und Stimme zu erinnern, doch konnte er sich nur der glänzenden Instrumente entsinnen und auch der Hände, die damals aus weißen Manschetten hervorragten. Vielleicht hatte er als Kind das Gesicht des Zahnarztes nicht lange genug angesehen, um es heute noch richtig einordnen zu können.


»Ich erinnere mich recht gut an den Vorfall«, meinte Doktor Hamilton. »Allerdings weniger, weil er besonders wichtig gewesen wäre, sondern vor allem, weil es das erste und einzige Mal war, daß ich darum gebeten wurde, Zähne herauszuziehen, die eigentlich auf natürlichem Wege herausgefallen wären. Damals kam ich zu der Überzeugung, daß der Junge eine blühende Phantasie hatte, weil er glaubte, sich furchtbare Schmerzen zuzufügen, wenn er sich die Zähne mit den Fingern selbst herausziehen würde, wie es ja die meisten Kinder tun. Um dieses Problem zu beheben, hatte ihn seine Mutter zu mir gebracht. Bei einem solch kleinen Eingriff war natürlich kein Betäubungsmittel erforderlich. Soweit ich mich entsinnen kann, befand sich in seiner Krankenakte sogar ein Vermerk, der vor der Verwendung schmerzstillender Medikamente warnte, weil der Junge unter einer nicht genauer bestimmten Allergie litt.«


»Wir haben immer noch Probleme, diese Allergie genauer zu bestimmen«, mischte sich Murchison ein. »Was ist mit den Zähnen passiert?Haben Sie sie nach der Extraktion aufgehoben oder untersucht?«


Hamilton lachte laut und antwortete schließlich. »Dafür gab es wirklich keinen Grund. Du meine Güte, das waren doch nur ganz gewöhnliche Milchzähne. Vielleicht sind Sie ja mit dem unter terrestrischen Kindern stark verbreiteten Brauch der Zahnfee nicht ganz vertraut, aber natürlich bestand der Junge schon rein aus finanziellen Gründen darauf, sie zurückzuerhalten.«


»Können Sie sich im Zusammenhang mit diesem Vorfall noch an etwas anderes erinnern, Freund Hamilton?« erkundigte sich Prilicla. »Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, wie abwegig oder unwichtig es Ihnen damals erschienen sein mag.«


»Nein, tut mir leid«, antwortete der Zahnarzt. »Und da ich den Jungen danach nie wieder gesehen habe, gehe ich mal davon aus, daß er seine restlichen Milchzähne auf natürlichem Wege verloren hat.«


Das Ende der Unterhaltung nahm Hewlitt kaum wahr, denn er erinnerte sich noch an etwas anderes; an etwas, das er fast vergessen hätte, bis es ihm durch die Worte des Zahnarztes ins Gedächtnis zurückgerufen wurde. Weder damals noch heute hatte er jemandem davon erzählt, weil ihm ohnehin jeder gesagt hätte, er bilde sich das alles nur ein. Schon als Kind hatte er die Leute gehaßt, die ihm vorwarfen, daß er über eine allzu blühende Phantasie verfüge.


Prilicla flog schwankend näher heran und sagte:


»Ihre emotionale Ausstrahlung setzt sich in unterschiedlichen Graden aus Verwirrung, Vorsicht und zu erwartender Verlegenheit zusammen, Freund Hewlitt. Dies deutet darauf hin, daß Sie etwas vor uns verbergen. Bitte verraten Sie es uns. Wir werden bestimmt nicht lachen, so daß es Ihnen auch nicht peinlich sein muß. Jeder neue Hinweis könnte sich in diesem Fall als wichtig erweisen.«


»Das bezweifle ich zwar«, antwortete Hewlitt, »doch wenn Sie's unbedingt wissen wollen… «


Mit Ausnahme eines lauten, unübersetzbaren Geräuschs von Naydradbeobachteten ihn alle völlig stumm, bis er zu Ende erzählt hatte. Prilicla durchbrach als erster das ungläubige Schweigen.


»Doktor Hamilton hat nichts davon erwähnt«, stellte der Empath fest. »Haben Sie die Zähne jemandem gezeigt oder mit jemandem darüber gesprochen?«


»Wie Sie ja schon wissen, hat Doktor Hamilton sie nicht genauer in Augenschein genommen, bevor er sie mir damals zurückgab«, antwortete Hewlitt. »Jedenfalls sahen diese fünf, sechs weißgrauen Dinger ganz hübsch aus, auch wenn man sie kaum erkennen konnte, da alle nicht einmal einen Zentimeter lang waren. Auf dem Nachhauseweg habe ich sie die ganze Zeit über in den Händen gehalten, sie aber nicht meiner Mutter gezeigt, weil sie etwas mißgelaunt war, daß wir wegen solch einer Lappalie extra zum Zahnarzt mußten. Als wir schließlich zu Hause ankamen, waren die Zähne weg. Sie müssen mir aus den Händen gefallen oder von der Klimaanlage des Bodenfahrzeugs aufgesaugt worden sein. Ich weiß, daß mir das niemand glaubt.«


Murchison lachte und sagte kopfschüttelnd: »Tut mir leid, Hewlitt. Allmählich fällt es mir wirklich schwer, Ihnen Glauben zu schenken, wenn Sie uns andauernd solch merkwürdige, unbewiesene, zusammenhanglose und völlig unglaubliche Geschichten erzählen. Können Sie uns das verdenken?«


Priliclas spinnenartige Gliedmaßen zitterten erneut, als er sagte: »Ich habe Freund Hewlitt versprochen, ihn nicht in Verlegenheit zu bringen. Außerdem ist er sich absolut sicher, nichts als die Wahrheit zu erzählen.«


»Verdammt noch mal, ich weiß, daß er das glaubt!« reagierte Murchison ungewohnt heftig. »Keine Sorge, ich zweifle weder an Hewlitts Integrität, noch habe ich Haare auf den Zähnen!«


Dieses Mal ergriff Stillman als erfahrener Kulturkontaktspezialist die Initiative und wechselte vorsichtshalber das Thema. »Möchten Sie jetzt vielleicht die Schlucht besichtigen, Doktor Prilicla?«


Hewlitt wartete, bis sie draußen waren, und sagte dann: »Mir war ebensofort klar, daß es sich bei der Katze um Snarfe handelte, und ich wußte auch, daß sie mich im selben Augenblick erkannt hat. Ich kann das Gefühl gar nicht richtig beschreiben… jedenfalls war es sehr merkwürdig.«


»Das Gefühl, das Sie beim Wiedererkennen Ihrer kleinen Freundin hatten, war geradezu umwerfend«, meinte der Empath. »Selten zuvor habe ich eine derart emotionale Reaktion erfahren, und ich hätte mich nicht gewundert, wenn Sie die Tralthaner darum gebeten hätten, Ihnen das Tier zurückzugeben. Wie Sie die Lage gemeistert haben, hat mich sehr gefreut … Ach, Freundin Murchison, offenbar sind Sie ein wenig verwirrt und mit irgend etwas nicht ganz zufrieden. Worum geht's?«


»Na, um diese Katze«, antwortete die Pathologin und warf einen Blick zum Haus zurück. »Meine Eltern mochten Katzen sehr gern. Wir hatten nie weniger als zwei von diesen Tieren im Haus, so daß ich mit dieser Spezies durchaus vertraut bin. Zum Beispiel beträgt die Lebenserwartung einer gesunden Katze etwa zwölf bis vierzehn Erdjahre. Snarfe ist aber doppelt so alt und dürfte längst nicht mehr leben. Doktor Stillman, sind Sie sich wirklich sicher, daß es sich um eine terrestrische Spezies handelt und nicht um eine langlebigere etlanische oder sonstige Rasse, die nur wie eine terrestrische Katze aussieht?«


»Ja, ich bin mir sogar völlig sicher«, bekräftigte der ehemalige Stabsarzt. »Als die Kontaktspezialisten damals auf diesen Planeten kamen und von vornherein feststand, daß sie hier sehr lange bleiben würden, gab sich das Monitorkorps alle Mühe, auch sämtliche persönliche Habe dieser Mitarbeiter hierher zu transportieren, wozu in einem Fall auch eine Katze gehörte. Einige Wochen später warf sie sechs Junge, die allesamt von Mitarbeitern in Pflege genommen wurden. Snarfe war eins dieser Kätzchen.«


»Und aus welchem Grund sollte eine gewöhnliche Erdkatze hier eine doppelte Lebenserwartung haben?« wollte Murchison wissen.


Stillman ging ein paar Schritte weiter, bevor er antwortete: »Das habe ich mich auch schon oft gefragt. Meine Theorie lautet, daß das Tier hier auf Etla im Gegensatz zur Erde keinen katzentypischen Krankheiten ausgesetztwar und ist, und wie wir wissen, haben etlanische Krankheitserreger auf außerplanetarische Spezies keine Auswirkungen. Also ist die Katze hier die ganze Zeit von allen lebensbedrohlichen oder körperlich schädigenden Krankheiten isoliert gewesen und kann eigentlich nur an einem Unfall oder an Altersschwäche sterben… das heißt, sobald sie ihre sämtlichen langen und offensichtlich höchst gesunden neun Leben aufgebraucht hat.«


Murchison lächelte. »Wie wir wissen hatte Snarfe einen sehr schweren Unfall gehabt und ihn überlebt. Nun, in der Theorie klingt das ja ganz hübsch, Doktor, aber gibt es dafür auch irgendwelche Beweise? Was ist denn mit den anderen Katzen aus demselben Wurf?«


»Ich habe schon befürchtet, daß Sie mich das fragen«, entgegnete Stillman. »Was nützen einem die besten Argumente, wenn man von einem Schwertransporter überrollt wird, nicht wahr? Nun, die anderen fünf sind auf natürlichem Wege gestorben. Soweit ich weiß etwa vor zehn Jahren an Altersschwäche.«


»Ach – wirklich?«


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