Dolgritu

»Sekten machen mich nervös«, sagte Zigeuner unbehaglich.

Marquoz starrte stumm auf den Hauptplatz der riesigen Zentralstadt, vollgestopft mit, wie es schien, Millionen Menschen. Nur sein merkwürdiges Äußeres und sein Feueratem verhinderten, daß er vom Pöbel umhergestoßen wurde.

»Und sich vorzustellen, daß das noch vor wenigen Monaten ein kleiner Verein von schrulligen Figuren mit wenig Anhängern war«, fuhr Zigeuner fort. »Kaum zu glauben.«

»Verzweifelte, von Umständen, auf die sie keinen Einfluß haben, bedrängte Wesen wenden sich fast immer dem Übernatürlichen zu«, knurrte der kleine Drache.

Die Gemeinde des Schachtes war in der Tat groß geworden; sie stellte jetzt die größte religiöse Gruppierung im Kom-Bereich dar. Die Sekte selbst hatte die größte Mühe, mit dem plötzlichen Erfolg fertigzuwerden; sie konnte ihre Anhänger nicht mehr schulen, stellte aber fest, daß sie mit Übereifer beitraten und dabeiblieben.

Die Zinder-Vernichter waren zu überstürzt entwickelt worden. Weder sie noch ihre Herkunft konnte lange verborgen bleiben. Als man die Daten mit ihren Zusammenhängen veröffentlichen mußte, schien alles bestätigt zu werden, was die Sekte immer schon behauptet hatte. Sogar die nicht-menschlichen Rassen schienen interessiert zu sein, auch wenn sie die Vorstellung eines Gottes in Menschenform zurückwiesen.

So hielten also ungeheuer viele Menschen Ausschau nach Nathan Brazil. Wenn er tatsächlich so echt war, wie Zigeuner behauptete, konnte Marquoz nur hoffen, daß er sich gut versteckt hatte.

Marquoz und Zigeuner waren nicht anwesend, um die Zeremonie zu beobachten oder die Reden zu verfolgen, sondern, um sich mit der Hohepriesterin zu treffen, die zur Menge sprechen sollte. Die Olympierinnen hatten den Rat um Zugang zu den neuerdings freigegebenen Computerarchiven gebeten. Marquoz war hier, um diesen Punkt zu besprechen.

Auch der Rat hatte Angst.

Zigeuner starrte die Menschenmassen bewundernd an.

»Was für eine Masche!«stieß er hervor. »Was für eine großartige Masche!«

»Warum wundert dich das?«fragte der Chugach belustigt. »In der Geschichte deiner Rasse hat niemand mehr Geld eingesackt oder mehr Menschen umgebracht als die Religion, und trotz des ganzen Mummenschanzes spricht für diese hier mehr als für die meisten. Wenn zwei Dutzend nüchterne Astrophysiker ernsthaft um die wahre Natur Gottes streiten, dann haben wir wahrlich alle den falschen Beruf ergriffen.«

Zigeuner lachte.

»Und wie kommen wir durch das Gedränge? Wir brauchen ein Jahr, um überhaupt bis zum Staatshaus zu kommen.«

»Eine Religion deines Volkes kennt die Geschichte eines fliehenden Volkes mit dem Rücken zum Meer, bedrängt von einem feindlichen Heer. Im letzten Augenblick teilte sich das Meer. Das macht man so.«Der Drache zog eine Flasche aus seinem Gürtel, leerte sie und steckte sie wieder in die Halterung. Dann öffnete er den großen Mund, atmete ein und blies den Atem langsam hinaus. Es roch nach Schwefel, und Feuer schoß wie eine lange Zunge heraus. Marquoz hatte keinerlei Schwierigkeiten, sich eine Gasse durch die Menschenmassen zu bahnen und Zigeuner mitzunehmen.

Ein größeres Hindernis war der Schwarm von Sicherheits-Akoluthen um die Eingänge zu dem Gebäude, von dessen Treppenstufen aus die Hohepriesterin Yua zur Menge sprechen sollte. Ihre Elektrostäbe und strengen Mienen verrieten, daß sie mit ein wenig Höllenfeuer nicht einzuschüchtern waren.

Zigeuner blickte nervös auf die Bewacher, die man eigens nach Größe und Schulterbreite ausgesucht hatte, aber Marquoz nahm sich den größten, härtesten, am gefährlichsten aussehenden Burschen und ging auf ihn zu. Der Elektrostab hob sich ein wenig.

»Keiner darf hindurch!«verkündete der Akoluth mit der tiefsten Stimme, die Zigeuner je gehört hatte. Zigeuner glaubte ihm.

»Geh beiseite, Mann!«erwiderte Marquoz, dessen Brummbaßstimme keineswegs eingeschüchtert klang. »Wir vertreten den Kom-Rat.«

»Keiner darf hindurch!«wiederholte der Aufpasser und hob, um das zu unterstreichen, den Elektrostab ein wenig höher.

»Habe ich nicht gesagt, daß wir vom Kom-Rat sind?«wiederholte Marquoz geduldig. »Ich bin von der Kom-Polizei, und jeder Versuch, mich an der Ausübung meiner Pflicht zu hindern, wird mit dem Tode bestraft.«

Der große Mann war nicht beeindruckt.

»Keiner darf hindurch.«Diesmal fügte er hinzu:»Nicht einmal der Kom-Bund steht über dem Willen Gottes.«

»Deine Herrin hat mich rufen lassen«, erklärte Marquoz. »Deine Gruppe wünscht im Hinblick auf eure Suche unsere Mitarbeit. Wir waren so gütig, darüber diskutieren zu wollen, und deine Herrin hat diesen Ort als geeigneten Treffpunkt bestimmt. Nun ist es so, daß ihr etwas von uns wollt und nicht umgekehrt. Du kannst uns durchlassen und deiner Herrin sagen, daß wir hier sind, oder uns fortschicken. Wir werden ihr indirekt klarmachen, wer das Zusammentreffen verhindert hat. Ganz wie du willst. In zehn Sekunden gehe ich.«

Der kleine Drache hatte einen taktischen Fehler begangen. Er hatte dem Aufpasser eine Wahlmöglichkeit zuviel zugestanden. Er kannte sich nicht mehr aus und zog sich auf seine Befehle zurück.

»Ich weiß von nichts und darf keinen hereinlassen«, erwiderte er.

»Nicht einmal Nathan Brazil?«fuhr ihn Marquoz an.

Der Aufpasser blinzelte ein paarmal.

»Aber — natürlich, wenn es der Herr ist —«

»Aha. Deine Befehle sagen aber, keiner darf hindurch«, unterbrach ihn Marquoz, »und Nathan Brazil würdest du hineinlassen. Entweder machst du Ausnahmen oder du machst keine. Wenn nicht, mußt du sogar Brazil den Zutritt verwehren, wenn doch, laß uns bitte unserer Arbeit nachgehen.«

Das war für den Bewacher zuviel. Er wandte sich an einen jüngeren Akoluthen.

»Bruder, sag der Herrin, hier sei eine Riesenechse, die sich für einen Polizisten ausgibt und mit ihr sprechen möchte.«

Der Bruder nickte, drehte sich um und ging. Marquoz griff in sein Wams und zog ein silbernes Zigarrenetui mit einem sehr sonderbaren Wappen heraus. Er nahm eine Zigarre heraus und zündete sie auf die gewohnte Weise an. Der Aufpasser blinzelte fasziniert. Marquoz zeigte ein Grinsen mit sehr vielen, scharfen Zähnen und hielt ihm das Etui hin.

»Zigarre?«fragte er freundlich.

Der Aufpasser riß nur die Augen auf. Der Chugach zog die Schultern hoch und steckte das Etui ein. Zigeuner verdrehte die Augen und beobachtete die Menschenmassen.

Schließlich kam der andere Akoluth zurück und flüsterte mit dem großen Aufpasser und einigen anderen Kollegen. Schließlich kam er herangeschlendert.

»Die Hohepriesterin empfängt euch«, erklärte er, »aber erst nach dem Gottesdienst, der in wenigen Minuten beginnen wird. Bitte, wartet bis dahin.«

Marquoz seufzte.

»Und wie lange wird der Gottesdienst dauern?«

»In der Regel zwei Stunden«, erwiderte der Akoluth. »Er ist sehr erhebend und sollte sich bei diesen Menschenmassen als ein Erlebnis erweisen, das Berge versetzt.«Seine Augen leuchteten. »Ich bin von Anfang an dabei, wissen Sie«, vertraute er ihm stolz an.

Der Drache schnaubte und wandte sich an Zigeuner.

»Ob es hier noch ein Lokal gibt, wo man etwas trinken kann?«

»Vermutlich nicht, aber versuchen können wir es«, meinte Zigeuner achselzuckend.

»Wir kommen wieder«, versprach Marquoz, »in zwei Stunden oder so.«

Sie hatten Glück und fanden doch eine geöffnete Bar; der Besitzer war ein standhafter Materialist, der sich vor seinen einzigen beiden Gästen erbost darüber ausließ, daß der Sekte eine Verschwörung der herrschenden Klassen zugrunde liege, die Massen noch mehr zu unterdrücken.

Der Drachen-Polizist und sein sonderbarer menschlicher Freund blieben in der Bar noch länger als eine halbe Stunde, nachdem sie die ersten Zuschauer den Platz hatten verlassen sehen, sitzen. Endlich stand Marquoz auf und ging zur Tür.

»Na, dann wollen wir mal«, sagte er heiter.

Der Mann hinter der Theke unterbrach seinen Vortrag.

»He, wartet mal! Ihr habt nicht bezahlt!«

Zigeuner drehte sich um und lächelte.

»Aber, Sir! Das wundert mich. Die Massen unterdrücken, indem man etwas so Gemeines und Abscheuliches wie Geld verlangt? Die Wurzel allen Übels, wissen Sie.«

»Was seid ihr denn, Anarchisten?«fuhr ihn der Wirt an und griff unter die Theke. »Her mit dem Geld, oder die Tür bleibt zu, und wir warten auf die Polizei.«

Der Chugach griff in sein Wams und zog ein Ausweisetui heraus.

»Aber die Polizei bin ich selbst, lieber Herr«, erklärte er.

Sie waren im Freien, bevor der Wirt entscheiden konnte, ob er es riskieren sollte oder nicht.


* * *

Die Hohepriesterin war höchst aufgebracht, so daß ihre innere Wut unverkennbar blieb, obwohl sie sich um eine ausdruckslose Miene bemühte.

»Ihr hättet längst hier sein sollen«, sagte sie empört und schenkte Zigeuner ihre Anfangsrügen.

Marquoz ließ sie eine Weile reden, und Zigeuner nahm die Vorwürfe hin, während der kleine Drache sie genau betrachtete. Es war nahezu unmöglich festzustellen, ob sie dieselbe Person war, die er auf dem Frachtschiff kennengelernt hatte — sie hatte dieselbe Hautfärbung und war auch sonst ein genaues Abbild. Er kam endlich zu dem Schluß, daß sie eine andere sein mußte. Das Original hätte Zigeuner niemals mit ihm verwechselt.

Als sie endlich Atem holen mußte, trat er vor.

»Bürgerin Yua, wenn Sie damit fertig sind, meinen lieben Freund zu beschimpfen, der sonst weiter keine Verbindung zur Regierung hat, bin ich gerne bereit, die Fragen mit Ihnen zu besprechen.«

Die Olympierin zuckte zusammen.

»Wie können Sie es wagen, mich so zu behandeln?«brauste sie auf, und es hatte ganz den Anschein, als sollten Zigeuner und Marquoz eine Neuauflage der ersten Attacke erleben.

»Halten Sie den Mund und setzten Sie sich«, sagte Marquoz knapp.

»Was?«

»Mund halten und hinsetzen, habe ich gesagt. Sie sind es, die bei mir einen guten Eindruck machen müssen, nicht umgekehrt. Priesterin oder nicht, ich bin kein kleiner Polizist oder Kom-Bürger oder Chugach — ich bin in diesem Augenblick der Rat und der gesamte Kom-Bund! Meine Zeit ist wertvoll. Sie können sich noch zehn Sekunden lang aufregen oder an die Decke gehen, was immer Sie wollen, danach verlasse ich den Raum, wenn wir nicht vernünftig miteinander reden können.«Er zog eine Zigarre heraus und zündete sie an.

Yua schluckte mühsam und sagte tonlos:»Nun gut, Sir. Wir sprechen als Gleichberechtigte miteinander.«Für sie war das ein gewaltiger Kompromiß, aber Marquoz paßte er nicht.

»O nein, Madame, wir sind keine Gleichberechtigten. Ich vertrete vierzehn Rassen auf mehr als tausend Welten. Ich vertrete die bestehende Macht, und zwar eine, die Sie zurückgewiesen haben. Ihr Ratssitz ist nie eingenommen worden, sonst müßten wir dieses Gespräch nicht führen. Ich bin der Kom-Bund, Madame — überzeugen Sie mich. Sagen Sie mir zuerst, was Sie wollen, und dann, warum ich es Ihnen geben soll.«

»Nun gut, Sir«, sagte sie gepreßt. »Die Computerarchive sind während des Krieges geöffnet worden. Wir suchen das Ziel unseres Glaubens und unseres Lebenswerks zu erreichen.«

Marquoz nickte nachdenklich, sog an seiner Zigarre und blies einen dicken Rauchring in ihre Richtung.

»Gut, Sie glauben, Sie können Nathan Brazil darin finden. Gehen wir davon aus, daß das der Fall wäre — weshalb sollten wir es zulassen? Er ist Kom-Bürger, und wenn er sich vergraben will, geht Sie das nichts an. Wir suchen ihn nicht, und ich möchte gewiß nicht von Menschenscharen gesucht werden, wenn ich meine Ruhe haben will.«

»Oh, aber ER will gefunden werden!«protestierte sie. »Denn ER ist Gott, verstehen Sie denn nicht? Es ist das Ziel aller, den wahren Namen Gottes zu finden, den wir bereits wissen, und dann Gott selbst. Wenn uns das gelingt, ist das Paradies unser!«

Marquoz ließ sich auf seinem Schwanz nieder.

»Aber Sie müssen doch auch unsere Lage verstehen. Sie sind nur eine Religion unter Zehntausenden. Mehr noch, Sie sind eine menschliche, rassisch voreingenommene Religion. Es gibt unzählige Milliarden von Sonnensystemen, Zehntausende von Galaxien, und alle enthalten eine beinahe unendliche Zahl von Planeten, bewohnt von nahezu jeder Art von Rasse, die man sich vorstellen kann, und von vielen, bei denen das nicht geht. Der Kom-Bund ist nicht gegen Religionen, aber er ist religionslos. Wir können das Richtige vom Falschen nicht unterscheiden, so wenig wie das Wirkliche vom Unwirklichen, die höhere Geistigkeit von Aberglauben und Betrug. Wir versuchen es auch gar nicht. Bedenken Sie die Präzedenzwirkung, Madame! Wenn wir auch nur einer religiösen Gruppe Zugang zu Geheimarchiven gestatten, warum dann überhaupt etwas für geheim erklären?«

»Aber wir wollen doch nur eines!«sagte sie laut.

Der kleine Drache zog die Schultern hoch.

»Dieser Brazil besitzt dieselben Rechte wie Sie. Vom Kom-Standpunkt aus hat er gezeigt, daß er nicht gefunden werden möchte. Können Sie abgesehen von Ihren religiösen Ansichten irgendeinen Grund nennen, weshalb das zugelassen werden sollte?«

»Abgesehen von —«fuhr Yua auf und verstummte.

»Hier ist noch jemand«, sagte Zigeuner plötzlich.

Sie winkte ab.

»Die Akoluthen laufen überall herum und montieren die Lautsprecheranlage ab.«

Der schwarzhaarige Mann schüttelte den Kopf.

»Nein, die meine ich nicht. Irgend jemand belauscht uns. Es ist jemand hier mit uns im Raum.«

Yua und Marquoz schauten sich um. Das Zimmer war klein und besaß keine Versteckmöglichkeiten.

»Sie irren sich«, sagte Yua.

»Er irrt sich selten«, erklärte Marquoz ganz leise.

Sie blieben eine Weile schweigend sitzen, bis der Drache endlich die Schultern hochzog.

»Was macht das? Wir besprechen hier keine Staatsgeheimnisse.«Er sah die Priesterin an. »Ich frage noch einmal: Gibt es irgendeinen Grund — mit Ausnahme Ihres Glaubens —, der Ihnen Zugang zu den Archiven sichern sollte?«

Yua wollte gerade antworten, als Zigeuner sagte:»Mehr als einer. Hier sind mehrere Wesen, die uns belauschen.«

Marquoz und Yua betrachteten ihn mit Besorgnis, dann wandte der Drache sich wieder an die Olympierin.

»Also?«

»Ihre eigenen Forschungen haben unseren Glauben bestätigt«, erklärte sie. »Das muß Ihnen klar sein. Ihre eigenen Wissenschaftler geben an, daß es irgendwo einen Hauptcomputer gibt, daß Zinder recht hatte — und daß wir Olympier Zinders Kinder sind. Sie haben sich mit den Kräften befaßt, die zu unserer Erschaffung geführt haben, also wissen Sie, daß dem so ist. Warum wollen Sie uns dann bei dieser einen Kleinigkeit nicht noch entgegenkommen? Wenn wir uns irren, ist wenig verloren. Niemand braucht je davon zu erfahren — Sie können den Präzedenzfall so leicht vergraben wie jede andere Tatsache, bei der Ihnen das sinnvoll erscheint. Wenn wir recht haben, dann ist das etwas, das der Kom-Bund wissen muß.«

Marquoz überlegte, schüttelte schließlich aber den großen Kopf.

»Nein, bedaure. Wie gesagt, wir können das zudecken, aber wir haben von der ganzen Sache nichts. Brazil könnte uns jederzeit wegen Störung der Privatsphäre verklagen.«

»Ah! Sie geben also zu, daß er existiert!«

Der Drache nickte.

»Gewiß, es gibt — oder gab — eine Person namens Nathan Brazil, wenngleich alles darauf hindeutet, daß er, wenn er Gott ist, nicht der sein kann, den Sie suchen.«

»Was meinen Sie damit?«

»Ich bin der Sache nachgegangen«, erwiderte der Chugach. »Er ist unter Frachterkapitänen eine Art Legende. Bei weitem der Älteste, ein Einzelgänger, starker Trinker und Raufbold aus Lust an der Sache. Nicht gerade das, was man sich unter einem Gott vorstellt, oder?«

Sie hob die Schultern.

»Wer kann behaupten, Gott oder das, was ER tut, zu kennen oder zu verstehen?«

Marquoz seufzte.

»Ich gebe zu, daß das schlecht zu widerlegen ist, aber nein, ich fürchte, Sie haben mir nicht genug Material geliefert, das ich dem Präsidium vorlegen könnte. Bedaure.«Er sah seinen zerstreuten Freund an. »Zigeuner? Kommst du?«

»Vielleicht kann ich einen ausreichenden Grund nennen«, sagte eine neue Stimme, die einer Frau, tief und volltönend, ohne Akzent. Yua und Marquoz erschraken, und Zigeuner fuhr in die Höhe.

»Seht ihr? Hab’ ich doch gesagt!«stieß er hervor.

Marquoz schaute sich im leeren Zimmer um.

»Wer spricht da?«sagte er scharf. »Wo sind Sie?«

»Hier«, erwiderte die Stimme unmittelbar hinter ihm. Er drehte sich herum und sah eine junge Frau, ganz in Schwarz gekleidet, zierlich und nicht viel größer als er, mit Lederstiefeln und breitem Gürtel, in dessen Schnalle sich zwei Drachenköpfe ineinander verbissen.

»Wer, zum Teufel, sind Sie?«fragte er. »Und wo hatten Sie sich versteckt?«

Die Frau lächelte und neigte den Kopf in Richtung Yua.

»Fragen Sie die da. Sie kann das so gut wie ich. Ich bin jemand, der die Wahrheit hinter dieser albernen Religion kennt, und ich verfüge über den Grund, wonach Sie Nathan Brazil finden oder uns erlauben werden, ihn ausfindig zu machen.«

»Sie denken an Gewalt?«Marquoz mußte beinahe lachen.

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, nicht an Gewalt. Der Grund, warum Sie Nathan Brazil finden müssen, ist der, daß er der einzige ist, der den Schacht-Computer in Ordnung bringen kann — und wenn er nicht in Ordnung gebracht wird, dann verschluckt das klaffende Loch im Raum-Zeit-Kontinuum, das Ihre ahnungslosen Militärs hervorgerufen haben, in weniger als hundertfünfzig Jahren den ganzen Kom-Bund.«

Yua war auf den Beinen.

»Wer sind Sie?«fragte sie scharf. »Wer kann einen derart bewachten Raum betreten und Dinge tun, zu denen nur Olympierinnen imstande sind?«

»Antworten kommen später«, erwiderte die rätselhafte Frau. »Okay, Leute, ihr könnt jetzt rauskommen.«

Plötzlich tauchten im Zimmer verteilt sechs weitere Gestalten auf, drei männliche, drei weibliche. Alle waren groß und beeindruckend, jeder mit einer Pistole unbekannter Art ausgerüstet.

Yua schien zur Überraschung von Marquoz und Zigeuner vor ihren Augen plötzlich zur Unsichtbarkeit zu verblassen. Die Neuankömmlinge ließen sich jedoch nicht täuschen. Die fremde Frau blickte auf die Stelle, wo Yua verschwunden war, und sagte ruhig, aber befehlend:»Damit erreichen Sie gar nichts. Wir können Sie trotzdem sehen und verfolgen. Wir wissen genau Bescheid.«

Eine der Frauen trat an die Stelle, wo Yua zuletzt gestanden hatte, und zeichnete mit der Pistole grob ihren Umriß nach.

Yua räumte ihre Niederlage ein, obwohl sie nach wie vor nichts begriff, und tauchte wieder auf. Sie funkelte nicht die Fremden böse an, sondern Marquoz.

»Das ist doch ein schmutziger Trick! Was wollen Sie damit eigentlich erreichen?«

Marquoz seufzte.

»Ich versichere Ihnen, Madame, daß ich von dem, was vorgeht, noch weniger begreife als sie. Ich vermute nur, daß wir gerade von einer neuen, fremden Bedrohung gefangengenommen worden sind, etwas, das langsam eintönig wird.«

»Nur keine Bewegung«, warnte die Frau in Schwarz. »Wir unternehmen alle eine kleine Reise.«

Marquoz schaute sich um und warf einen Blick auf Yua.

»Wie viele Wachen und Akoluthen haben Sie hier eigentlich?«fragte er.

Die kleine Frau lachte leise in sich hinein.

»Wir werden keinem begegnen.«Sie lächelte Yua zuckersüß an. »Was ist denn, Schätzchen? Kein Respekt für Nathan Brazils Urenkelin?«

Schlagartig verschluckte sie Schwärze, und für kurze Zeit hatten sie das Gefühl hinabzustürzen. Dann strahlte wieder Licht, künstliches Licht. Sie waren in einer Art Laboratorium aufgetaucht, genau in der Haltung, die sie in Yuas Zimmer eingenommen hatten.

Marquoz riß die Augen auf; Zigeuner begann wieder zu atmen; Yua starrte die kleine Frau in Schwarz an.

»Willkommen auf Nautilus, Bürger«, sagte die Frau. »Ich bin Mavra Tschang.«

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