Awbri

Sie zuckte aus dem Schlaf hoch. Das letzte, woran sie sich erinnerte, war, in die Schwärze getreten zu sein, und jetzt war sie, wie aus einem langen Schlaf erwachend — wo?

Auf einem verdammten Ast eines Baumes, begriff sie plötzlich, und das noch sehr schwankend. Ringsum ein riesiger Wald, eigentlich Urwald, auf allen Seiten, oben und unten. Kein Sonnenschein schien durch das dichte Gestrüpp zu dringen, obwohl es Sonne geben mußte, wenn Grünes so üppig gedieh.

Sie wußte sofort, daß ihr Körper sich verändert hatte. Die Tatsache, daß sie den dicken Ast mit Klauenhänden und Füßen umklammerte, die sich ganz wie Hände anfühlten, verriet ihr genug.

Sie hatte große Höhen nie gemocht, aber das hier war etwas anderes. Sie spürte kein Schwindelgefühl und war ganz zuversichtlich; der Ast machte den Eindruck, als sei er ein völlig natürlicher Aufenthaltsort.

Fast ohne nachzudenken, ließ sie den Ast los und betrachtete eine Hand. Sehr lange, dünne Finger mit ledriger Haut, darauf dünnes, rötlichbraunes Fell. Das Heben der Hand löste andere Bewegungen aus, und sie spürte auf der rechten Seite ein Ziehen. Sie drehte den Kopf und sah, daß enorme Hautfalten an ihrem Handgelenk begannen und am ganzen Körper entlangliefen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wozu die Haut diente, aber Bewegungen zeigten, daß sie widerstandsfähig war, ebenfalls mit dem rötlichbraunen Fell bedeckt, aber dehnbar, fast wie Gummi.

Sie wagte es, sich auf dem Ast zu bewegen, und entdeckte beinahe auf der Stelle, daß sie einen Schwanz besaß. Sie versuchte, sich festzuhalten und drehte sich herum, damit sie ihn sehen konnte. Breit, platt und am Ende kantig, war es nicht ein gleichmäßiger Schwanz, sondern eine Reihe von Knochen, die sie fächerartig öffnen oder schließen konnte, um den Schwanz breiter oder schmaler zu machen. Zwischen den Knochen befand sich auch hier die gummiartige Membranhaut.

Sie starrte immer noch auf den Schwanz, als sie enormen Lärm hörte und der Baum schwankte. Sie hielt sich mit allen vier Händen erschrocken fest.

»Du da! Was hast du in meinem Baum zu suchen?«fauchte eine seltsame, hohe und näselnde Stimme über ihr.

Sie schaute hinauf. Es fiel leicht, ihn zu sehen, aber ein Schock war das auch, weil sie augenblicklich wußte, daß sie dem Wesen, das sie zornig anglotzte, sehr ähnlich sah.

Er hatte einen kleinen, flachen Kopf, wie der eines Hundes, abgesehen vom Maul, das einem Entenschnabel glich. Ein langer Hals führte zu einem Nagetierkörper, weich und biegsam, als könnte er sich zugleich nach mehreren Richtungen hin verbiegen. Er besaß ebenfalls den flachen Fächerschwanz und die langen, dünnen, kräftig aussehenden Arme und Beine. Das Ding war überdies fast ein Viertel größer als sie und hatte ein geflecktes, graues Fell.

»Tut mir leid, aber ich bin neu hier. Ich bin durch Zone hereingekommen, wurde durch das Tor geschickt und bin hier aufgewacht. Ich fürchte, ich weiß nicht, wo oder was ich bin. Ich weiß nicht einmal, wie ich hier herunterkomme.«

Die Katzenaugen des Wesens weiteten sich.

»Sie sind also ein Neuzugang, wie? Das muß stimmen, sonst würden Sie nie solchen Unsinn reden. Weshalb, um alles in der Welt, sollten Sie hinunter wollen?«

»Na, irgendwohin muß ich doch«, erwiderte sie ein wenig gereizt.

»Hier können Sie nicht bleiben, das steht fest«, schnaubte das Wesen. »Ich muß jetzt schon zu viele Münder satt kriegen.«

»Aber ich weiß nicht, wohin ich soll«, sagte sie. »Ich bin auf diesem Ast eben erst aufgewacht. Wenn Sie mir nur irgend etwas erklären würden.«

Er schien zu überlegen.

»Hab’ keine Zeit, mich mit Ihren Problemen zu befassen«, sagte er. »Sie verschwinden sofort von meinem Baum, und dann ist mein Problem gelöst.«

»Ich finde Sie aber gar nicht freundlich«, sagte sie beleidigt. »Außerdem würde ich diesen abscheulichen Baum liebend gern verlassen, wenn ich nur wüßte, wie!«

»Abscheulich! Ich möchte Ihnen nur sagen, daß dieser Baum einer der besten in ganz Awbri ist! Na, allein in diesem Jahr ernährt er zweiundzwanzig Leute! Was sagen Sie nun?«

»Um ganz ehrlich zu sein, mir ist das völlig egal!«sagte sie wahrheitsgemäß. »Es tut mir leid, daß ich Ihren Baum abscheulich genannt habe, aber ich möchte sehr gerne wissen, wie man herunterkommt und wie es weitergehen soll. Haben Sie hier denn nicht irgendeine Regierung, irgendeine Behörde?«

Er legte den Kopf ein wenig auf die Seite, als denke er nach.

»Nun ja, Sie könnten zum Ortsrat gehen. In Awbri brauchen wir nicht viel, keine große Regierung und dergleichen. Der Rat ist hier praktisch das Größte, also sollten Sie hingehen. Der Kuhbrau-Busch mitten in der Lichtung dort drüben, ungefähr einen halben Kilometer von hier.«Er zeigte hinüber.

Sie sah nichts als Bäume und Unterholz.

»Wie komme ich da hin?«fragte sie. »Laufe ich auf den Ästen von Baum zu Baum?«

Er gab ein Geräusch von sich, als spucke er.

»Wenn Sie wollen, gewiß. Aber das Fliegen ist viel einfacher. Der Weg ist freigelegt, wie Sie sehen.«

Sie riß die Augen auf. So war es. Man hatte Öffnungen in das üppige Laub geschnitten, wie Straßen in der Luft. Aber — fliegen?

»Ich — ich weiß nicht, wie man fliegt«, sagte sie.

Er wiederholte den Laut.

»Verdammt! Ich habe aber nicht die Zeit, es Ihnen beizubringen. Dann müssen Sie eben kriechen, früher oder später kommen Sie schon hin.«

Und plötzlich war er wieder fort, bevor sie noch etwas sagen konnte. Der Baum erbebte wieder, als er in die Luft sprang, Hände und Füße und den Fächerschwanz spreizte und durch einen der Tunnelwege segelte.

Sie seufzte und stieg die Äste entlang in die angegebene Richtung. Das Fliegen würde sie wohl auch noch lernen, um eines Tages zuversichtlich dahinzusegeln. Sie konnte es kaum erwarten.


* * *

Die Reise war nicht problemlos. Die Äste standen oft Meter auseinander, und sie brauchte lange Zeit, um das Selbstvertrauen zu finden, damit sie solche Lücken durch einen Sprung überwinden konnte. Sie schaffte es aber immer mit absoluter Genauigkeit.

Sie begegnete auch anderen Leuten. Die meisten beachteten sie nicht oder sahen sie seltsam an, aber niemand machte sich die Mühe, stehenzubleiben und ein paar Worte zu wechseln. Sie sprangen von allen Ästen aller Bäume und flogen überall herum, andere huschten an dicken Stämmen entlang, besprühten und stutzten ihre Bäume. Offenkundig lebten sie mit den Bäumen zusammen, aßen Laub und Früchte, existierten symbiotisch mit ihnen.

Hier und dort fand sie Stellen, wo man oben die Sonne oder auch unten den Waldboden sehen konnte. Sie begriff sofort, weshalb der Mann so erstaunt gewesen war, als sie hatte hinuntersteigen wollen; da unten war ein übler Sumpf, bedeckt mit klebrigem Schlamm, stehendem Wasser und vereinzelten Gewächsen. Ab und zu sah sie riesengroße, gefährlich aussehende Reptilien, ganz Gebiß, in Schlammlöchern liegend oder durch den Schlick gleitend. Nicht die Art von Wesen, denen sie auf ihrem eigenen Grund und Boden begegnen wollte. Zum Glück schien keines fähig zu sein, Bäume zu erklimmen.

Sie erreichte endlich die Lichtung, eine kleine Anhöhe, auf welcher der größte Baum wuchs, den sie je gesehen hatte, eine gigantische, grüne Kugel, die anderen Bäume überragend und den Himmel verbergend. Vom Ende ihres Baumes zum Beginn des großen waren es gute hundert Meter.

Der Sumpf lag immer noch unter ihr, dann stieg die Anhöhe an, bedeckt mit spitzen Grasstengeln, zu dem Baum hinaufführend. Eine große Zahl von Awbrianern sprang mühelos über dem Sumpf hin und her, aber sie zögerte. Hundert Meter waren eine lange Strecke, und diese Art von Sprung war ihr einfach nicht möglich.

Sie rief vorbeifliegende Wesen an, aber sie achteten nicht auf ihre Bitten, und nur ein beiläufiger Blick verriet manchmal, daß sie ignoriert wurde, nicht übersehen.

Sie seufzte. Es begann zu dunkeln; ohne Zuflucht wollte sie hier nicht gern im Dunkeln sitzen. Sie verfluchte Obie, falls er sie zu einem solchen Wesen gemacht hatte, und sie verfluchte die Awbrianer. Sie war eine Hohepriesterin, zum Teufel noch mal!

Noch nie war sie sich so hilflos vorgekommen, noch nie so allein.

Sie hörte ein Rascheln, und eines der Wesen landete in ihrer Nähe: der Baum erzitterte. Sie war schon daran gewöhnt.

»Sie scheinen in Schwierigkeiten zu sein«, erklärte das Wesen. »Sind Sie verletzt?«

Sie drehte sich hastig um.

»Nein, ich bin nicht verletzt, danke«, erwiderte sie. »Ich bin nur neu hier. Ich — nun, ich war ein anderes Wesen, bis ich vor ein paar Stunden hier aufwachte. Ich bin verwirrt und allein und habe Angst.«

Das Wesen, es war ein weibliches, klappte mitfühlend mit dem Schnabel.

»Ein Neuzugang, wie? Und irgend jemand hat Sie zu den Senioren geschickt.«

Sie nickte.

»Das vermute ich. Diese — Senioren. Sind sie der Rat?«

Die andere machte eine Kopfbewegung, die ein Nicken sein mochte.

»Ja, gewissermaßen. Sie sind wohl diejenigen, die sich um Sie kümmern sollten.«Sie wandte sich dem Baum zu. »Es gibt nur einen Weg, um hinzukommen. Es ist einfach.«

»Fliegen — meinen Sie?«

»Sicher. Ach, hier ist es nicht ganz wie Fliegen. Sie müssen einfach den Wind wittern, ihn mitnehmen, abspringen, als wollten Sie auf einen nahen Ast zielen, Arme, Beine und Schwanz ausbreiten und nur auf den Kuhbrau-Busch dort blicken. Sie kommen hin. Sie fallen nicht hinunter. Vertrauen Sie mir und haben Sie keine Angst. Wenn ich abspringe, kommen Sie sofort nach.«Sie duckte sich zum Sprung.

»Warten Sie!«rief Yua. »Ich muß erst meinen Mut zusammennehmen. Sagen Sie — heißt dieses Land Awbri?«

»Richtig. Kommen Sie. Es wird dunkel, und ich bin nachts nicht gern fort von meinem Baum.«Damit sprang sie ab.

Yua nahm sich zusammen und sprang hinterher, wobei sie den Schwanz und die Hautfalten ausbreitete. Sie war erstaunt, wie die Luft sich gegen sie zu pressen schien und sie oben hielt, wie bei einem weiten Sprung, obwohl sie ganz langsam hinunterfiel, und das Ganze fühlte sich an wie die Abwärtsfahrt mit einem Aufzug.

Es waren nur an die dreißig Sekunden, bis sie den Baum erreichte, aber sie empfand sie als Ewigkeit und fürchtete, es nicht zu schaffen. Sie wagte aber nicht hinunterzublicken.

Und dann war sie dort, auf den Ästen. Sie klammerte sich mit aller Kraft fest. Daß sie es geschafft hatte, wirkte nicht beruhigend, und sie ließ nicht los, bis das Zittern nachgelassen hatte.

Ihre Freundin war schon ins Bauminnere gehuscht, aber Yua hatte nicht die Kraft, ihr zu folgen.

Einige Minuten später kam die Frau zurück und betrachtete die immer noch zitternde Yua ein wenig belustigt.

»Ach, kommen Sie. Das Schlimmste haben Sie überstanden. Kommen Sie mit. Ich habe dem Sekretär erklärt, daß Sie ein Neuzugang sind, und man will Sie sofort sprechen. Beeilen Sie sich! Ich muß nach Hause. Es ist fast schon zu spät.«Und damit war sie fort.

Yua folgte ihr mit den Augen, bis sie verschwunden war. Ich weiß nicht einmal ihren Namen, dachte sie. Sie atmete ein paarmal tief ein und stieg in das Innere des Kuhbrau-Buschs.

Der Zugang war leicht zu finden, denn im Baumstamm gab es eine große Tür, verziert mit ihr unbekannten Symbolen. Yua öffnete zögernd und trat ein.

Das Innere war mit Öllampen beleuchtet; es war hell, behaglich und vollkommen ausgehöhlt. Für ein Gewächs, das äußerlich so gesund aussah, war es tief im Innern ein Nichts.

Hinter einem geschnitzten Holzschreibtisch saß ein großer Mann und schrieb, offenbar mit einem Gänsekiel. Er sah aus wie ein großes Eichhörnchen mit Entenschnabel und trug eine große Horn-Bifokal-Brille.

Er sah sie an.

»Sie sind der Neuzugang?«fragte er.

Sie nickte.

»Ich bin Yua, vormals von Olympus«, erwiderte sie.

Er lehnte sich zurück.

»Wir bekommen nicht viele Neuzugänge. Sie sind der erste, der mir begegnet. Es war sehr mühsam, die Handbücher durchzublättern, um zu sehen, was mit Ihnen geschehen soll.«Er wies auf ein großes Bücherregal, gefüllt mit eindrucksvollen, rot eingebundenen Büchern.

»Als erstes habe ich Sie indessen in Awbri willkommen zu heißen«, fuhr er fort. »Willkommen. Dann muß ich Ihnen diese kleine Rede halten.«

Sie seufzte und ließ die Schultern hängen. Es fiel schwer, diese Leute zu mögen.

»Erstens wissen wir nicht, wer oder was Sie gewesen sind, bevor Sie hierherkamen«, sagte er, »und das ist uns auch gleichgültig. Es ist nicht von Belang. Sie sind für immer auf der Schacht-Welt, und je eher Sie Ihr früheres Leben vergessen und sich an das neue gewöhnen, desto besser für Sie. Sie sind jetzt Awbrianerin. Auch das wird sich nicht ändern. Sie kommen von einer fremden Erscheinungsform, aber, wichtiger noch, von einer fremden Kultur. Sich an Ihren neuen Körper zu gewöhnen, wird relativ einfach sein; die kulturelle Anpassung ist jedoch sehr schwierig. Sie müssen die Kultur akzeptieren, die es hier schon seit Zehntausenden von Jahren vor Ihrer Geburt gibt. Sie werden anfangs keinen Gefallen daran finden, sie wird Ihnen unbequem und schwer zu akzeptieren sein. Sie dürfen aber nicht vergessen, daß die hiesige Kultur nun einmal so ist, das Ergebnis von jahrtausendelanger Entwicklung, und daß sie uns entspricht. Wir werden tun, was wir können, um Ihnen bei dieser Anpassung zu helfen. Irgendwelche Fragen?«

»Hunderte«, gab sie zurück. »Aber — erzählen Sie mir von dieser Kultur. Ich habe einiges gesehen und anderes erraten, aber ich möchte alles wissen.«

»Sie werden das in den kommenden Tagen lernen«, sagte der Sekretär. »Nur ein paar Grundzüge. Wir sind aufgeteilt in Familiengruppen, und jede Gruppe besitzt einen Baum. Es ist ihr Baum, er gehört niemand anderem. Sie können einen anderen Baum auf dem Durchweg benutzen, aber zu keinem anderen Zweck. Fast alle Bäume sind hohl, wie dieser hier. Sie werden als Wohnungen verwendet. Wenn ein Baum sorgfältig gepflegt wird, kann er eine größere Bevölkerung ernähren, da das Regenwald-Klima hier das Wachstum enorm fördert. Für je fünftausend Personen gibt es einen Ortsrat, in dem die weisesten Senioren sitzen, das sind Männer. Das Alter wird hier verehrt. In Gaudoi, in der Nähe des Schacht-Tores, gibt es eine Wartungsverwaltung, die dafür sorgt, daß die Wege und Flugbahnen saubergehalten werden, die sich um den geringen Handel zwischen den einzelnen Orten kümmert und Streitigkeiten zwischen den Orten schlichtet.«

»Männer, sagten Sie. Dann haben hier also die Männer das Sagen?«

Der Sekretär öffnete überrascht den Schnabel. Er mußte kurz nachdenken.

»Kulturell wird die Verantwortung geteilt«, erwiderte er. »Außenerhaltung des Baumes, Kultivierung von Laub und Früchten und die sorgfältige Ernte sind die Verantwortung der Männer, die auch die Rolle des Schützers von Baum und Familie gegen alle Gefahren übernehmen. Sie vertreten die Familiengruppe ferner nach außen. Frauen tragen die Verantwortung für innere Wartung, einschließlich Säubern, Einrichten und Schmücken, sowie für Nahrungszubereitung und—«Verteilung und das Zurweltbringen und Aufziehen der Jungen.«

Yua empfand das nicht als sonderlich logisch, ging aber nicht weiter darauf ein.

»Und Berufe?«fragte sie. »Es ist doch gewiß nicht jeder Baum-Landwirt.«

»Es gibt einige«, erklärte der Sekretär. »Ich habe einen solchen Beruf. Es gibt schließlich viel überzählige Männer, die sich mit dem Familienleben nicht durchbringen können. Ärzte, Anwälte, Händler und Wartungspersonal, das wird alles gebraucht. Diese Bücher mußten von jemandem geschrieben und gedruckt und gebunden und verteilt werden.«

»Überzählige Männer?«sagte sie stirnrunzelnd. »Keine Frauen?«

Er räusperte sich ein wenig.

»Ich weiß, daß es Kulturen gibt, wo die Frauen eine andere Rolle einnehmen, aber nicht hier. Ich meine, schließlich kann ein Mann eine Reihe von Frauen, äh, bedienen, aber nicht andersherum. Das ist nur logisch, verstehen Sie.«

Sie sah das nicht ein. Es war mehr als ein kleiner Schlag.

»Welchen Platz nehme ich dann in einer solchen Kultur ein?«fragte sie argwöhnisch.

»Heute nacht werden Sie als Gast der Senioren hier schlafen«, erwiderte er lässig. »Morgen führen Sie ein Gespräch mit Ihnen, dann kommen sie zu einer Familie, die bereit ist, Sie aufzunehmen.«

Das gefiel ihr nicht.

»Und wenn ich zu dieser Familie oder irgendeiner anderen nicht will?«

Er lachte leise.

»Es bleibt keine andere Wahl. Was wollten Sie denn essen? Und wo? Wo wollten Sie nachts schlafen? Sehen Sie? Hier müssen Sie eine Familie und einen Baum haben, oder Sie verhungern und sterben. Aber keine Sorge. Es gibt Säfte und dergleichen, die Ihnen helfen, sich anzupassen, ihre frühere Kultur zu vergessen und sich einzufügen.«

Sie machte sich große Sorgen. Sie wollte nicht mit Drogen betäubt und einem Unterdrücker-Mann übergeben werden, für den sie nur Kinder zur Welt bringen durfte. Sie konnte es sich nicht leisten. Sie war nicht als Flüchtling auf die Schacht-Welt gekommen, sondern als Soldat. Sie hatte Aufgaben zu erfüllen, und diese Art von Leben gehörte nicht dazu, würde nie ein Teil ihrer Existenz werden.

Aber sie hatte durchaus keine klare Vorstellung davon, was sie hier tun sollte. Obie hatte erklärt, das werde sich ergeben, und sie werde wissen, wann die Zeit reif sei, aber wann sollte das sein? Wenn er sich nun geirrt hatte? Wenn Awbri nicht das war, was und wo sie sein sollte?

Sie wußte nicht, was sie tun sollte, und schlimmer noch — sie hatte nur eine Nacht Zeit, sich etwas auszudenken.

Sie wußte nur, daß dies nicht war, was sie erwartet hatte, ganz und gar nicht…

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