Laboratorien der Kom-Polizei, Suba

»Achtung!«

Die Techniker liefen zu den Abschirmungen. Zu den Worten des Aufsehers ertönten Summgeräusche, und besorgte Überwachungsbeamte vergewisserten sich, daß alle aus der Gefahrenzone verschwunden waren.

Sie beobachteten die Experimentierkammer über große Bildschirme. Sie hatten es mit etwas zu tun, das sie nicht im mindesten verstanden, und gedachten, kein Risiko einzugehen. Die Abschirmung im Raum reichte aus, um eine thermonukleare Explosion nicht hinausdringen zu lassen; die Kommandozentrale verfügte sogar über eigene, stark abgeschirmte, unabhängige Lebenssysteme. Selbst wenn der Rest des Planetoiden zerstört wurde, mochten sie überleben.

Im Inneren der Kammer befand sich eine große, gering konkave Metallscheibe, aus deren Mittelpunkt eine kleine Stange ragte. Die Scheibe zielte auf eine zweite, die keinen Vorsprung aufwies, aber in der Mitte etwas abgeflacht war. Genau in der Mitte der unteren Scheibe stand ein Plastikbecher, der genau vier Zehntel Liter destilliertes Wasser enthielt. Das war alles.

Die Männer im Kommandozentrum verfielen in krampfähnliche Starre, als die Techniker sich über ihre Konsolen beugten.

»Energiezufuhr!«befahl der Projektleiter. »Achtung — los!«

Eine Taste wurde gedrückt. Im Inneren der Versuchskammer schimmerte die obere Scheibe ein wenig und warf sonderbar violettes Licht auf die untere Scheibe mit dem Becher. Nun würde man erfahren, ob dieser Versuch im Gegensatz zu den Tausenden vorher gelingen würde. Bisher hatten sie das Wasser nicht einmal zum Kochen bringen können.

Einmal begriffen, ließ das Problem sich einfach darstellen. Um zu leisten, was laut Zinder erreicht werden konnte, erreicht worden war, mußte ein Computer einen Stoff nicht nur analysieren, sondern auch seine grundlegenden mathematischen Beziehungen herausfinden, Zinders Formel anwenden, um sie mit seinem größeren Universum in Einklang zu bringen, und genau jene Folge von Gleichungen isolieren, die den bewußten Stoff vollkommen beschreiben — in diesem Fall Wasser, und zwar nicht Wasser allgemein, sondern eine ganz bestimmte Art von Wasser. Man hatte es nicht nur mit den Grundlagen von Chemie und Physik zu tun, sondern auch mit der Zeit. Sobald man das Signal mit Rückkopplung ausstattete, sollte der Stoff außer in der Erinnerung des Computers einfach aufhören zu existieren. Führte man das Signal dem Zinder-Energiestrom wieder zu, sollte der Stoff wiederhergestellt werden. Oder man konnte die Gleichung umschreiben und etwa H2O2 hervorbringen — mit ein wenig Einfallskraft und einem ausreichend verfeinerten Computer waren die alten Träume der Alchimisten zu verwirklichen.

Und so waren bald alle verfügbaren Computer des Kom-Gebietes zu einem Netz zusammengeschlossen, das einem gemeinsamen Ziel entgegenstrebte. Und als Zinders violetter Strahl herabzuckte, wurde der Becherinhalt registriert, analysiert und gespeichert.

»Rückkopplung!«rief der Leiter. »Achtung — los!«

Eine Taste wurde gedrückt. Das Wasser im Glas verfärbte sich und schien schlagartig zu verschwinden. Instrumente zeigten im Kammerinneren normale Verhältnisse an. Die Wissenschaftler verloren keine Zeit hineinzueilen.

Das Glas war in der Tat leer. Kein Tropfen Wasser blieb übrig, dabei fühlte sich das Glas kühl an.

»Na schön, jetzt haben wir fertiggebracht, was jeder ordentliche Mikrowellen-Generator leistet«, meinte ein Techniker mürrisch. »Dann wollen wir mal sehen, wie ihr es zurückbringt.«

Wieder die Prozeduren, wieder die Signale, wieder der seltsame Blitzlichteffekt, und als sie wieder eintraten, war das Glas voll. Sie maßen es ab. Genau vier Zehntel Liter.

Damit hatten sie die Lösung. Sie spielten damit. Im Verlauf der nächsten Tage wurden sie im Umwandeln immer geschickter; sie entfernten sogar atomare Partikel oder fügten sie hinzu. Blei in Gold, Gold in Eisen, was man wollte. Aber nichts Komplizierteres.

»Wir sind beschränkt durch unsere Computerkapazität«, erklärte der Projektleiter. »Bis wir einen besseren, schnelleren, kleineren Computer ausschließlich für diese Tätigkeit entwickeln, wie Zinder es getan hat, bleibt das so. Laßt uns ein Jahr Zeit oder vielleicht zwei, und wir werden, glaube ich, nach Wunsch alles hervorzaubern können — aber nicht jetzt.«

Die politischen und militärischen Führer seufzten und knirschten mit den Zähnen.

»Wir haben kein ganzes Jahr Zeit«, sagte einer für sie alle. »Wir haben bestenfalls Monate.«

»Dann geht es nicht«, antwortete der Wissenschaftler. »Es kostet Zeit, solche Anlagen zu entwickeln — obwohl es theoretisch im Bereich unserer Möglichkeiten liegt — und noch mehr Zeit, sie zu bauen.«

»Als Götter können wir uns später aufspielen«, zischte ein Politiker zurück. »Zuerst brauchen wir einen Laser. Können Sie jetzt nichts tun, um dieses Gerät als Waffe zu nutzen?«

»Wir könnten einfach eine riesengroße Scheibe oder eine Reihe von Scheiben bauen und sie beispielsweise dazu benützen, Rückkopplung auf dem ganzen atomaren Spektrum auszulösen. Innerhalb der Grenzen des Geräts, die durch Energiequelle und Scheibengröße bestimmt werden, sollten wir in der Lage sein, die einzelnen Atome aufzuheben, auch wenn wir unfähig wären, sie zu speichern oder wieder zusammenzusetzen. Alles, was von einem solchen Feld erfaßt wird, würde aufhören zu existieren.«

»Ich dachte, Materie und Energie können niemals erschaffen oder zerstört, sondern nur verwandelt werden«, wandte jemand ein, der etwas auf dem Kasten hatte.

»Das trifft innerhalb unserer physischen Gesetze zu«, räumte der Projektleiter ein. »Zinders mathematische Wirklichkeit steht aber außerhalb davon. In gewissem Sinn erschaffen oder zerstören wir nicht, wir ermöglichen es dem Universum lediglich, Atome und Energie in einen Ruhestand zurückzubefördern — in seinen Äther oder die Urenergie zurückzuverwandeln. Praktisch werden die sogenannten Gesetze des Universums für alles, was sich innerhalb des Feldes befindet, außer Kraft gesetzt.«»Baut das!«befahlen sie.

Man nannte sie Zinder-Vernichter. Sie wurden in knapp unter vier Monaten gebaut, Monate kostspieliger Gewinne durch die Dreel, die an Zahl, Einfallsreichtum und Kühnheit unaufhörlich zunahmen. Man konnte kaum erproben; die Vernichter würden funktionieren oder nicht. Wenn sie es nicht taten, stand der Kom-Bund vor dem Untergang, wenn doch, die Dreel-Flotte vor der Ausmerzung.

Man baute drei Geräte und setzte zwei fast augenblicklich ein. Sie glichen riesigen Radarantennen, mit einem Durchmesser von mehr als fünfzehn Kilometern, und waren aus dünnem, metallischem Gewebe gebaut. Für die Reise zusammengeklappt, vermochten die Geräte mit den schnellsten Kom-Raumschiffen Schritt zu halten.

Die Dreel ließen die Kom-Flotte wie üblich unbelästigt angreifen; Kom-Streitkräfte durchstießen den Abwehrriegel ohne Gegenwehr. Erst als der Korridor hinter ihnen geschlossen werden konnte, begann der eigentliche Angriff.

Die schirmartigen Scheiben waren längst in Stellung gebracht. Die Kom-Streitkräfte wurden plötzlich langsamer und luden zur Attacke ein. Die Örtlichkeit der Dreel-Hauptstreitmacht und ihrer zentralen Befehlswelt waren bekannt, weil die Dreel viel davon hielten, von vorderster Front aus zu befehligen, gesehen zu werden, aber nicht erreicht werden zu können.

Die unfaßbar schnellen Nadeln der Dreel-Schiffe rückten blitzschnell von allen Seiten gegen die Flotte an. Die beiden Zinder-Vernichter kamen Rücken an Rücken in Stellung; jeder vermochte hundertachtzig Grad zu bestreichen. Zwischen den beiden Projektoren schwebte der Rest der Kom-Flotte.

Die Kom-Flotte wartete. Hoffnungsvoll. Die Reaktionszeit war so kurz, daß die Entscheidung für den Feuerbefehl allein den Computern überlassen werden mußte.

Und auf einmal waren die Dreel nicht mehr da. Nicht nur sie verschwanden urplötzlich, sondern auch alle andere Materie innerhalb der Scheiben-Brennpunkte. Das Licht, sogar die Schwerkraft, alles verschwand, zunichte gemacht; um die Einsatzgruppe öffnete sich ein riesiges Loch, in dem es gar nichts gab, nicht einmal vollständiges Vakuum. Ein Wissenschaftler überprüfte seine Instrumente und runzelte die Stirn.

»Das hätte nicht passieren dürfen«, sagte er. »Die Geräte sollten die Materie vernichten, nicht alle Energie.«

Man versuchte, den Fehler zu finden. Die Militärs bekümmerte das nicht; ihre Streitkräfte waren im Einsatz, und das Gerät funktionierte. Die Einsatzgruppe beschleunigte und flog zum Befehlszentrum der Dreel. Inzwischen gingen Dreel-Gegenangriffe nicht nur weiter, sondern nahmen an Stärke sogar noch zu. Die Dreel ahnten noch nicht, welche Gefahr ihnen drohte, und konnten nicht begreifen, was vorging.

Die unerwünschte totale Auslöschung wurde noch oft beobachtet, bevor die Wissenschaftler das Problem zu lösen vermochten: Ihre vergleichsweise winzigen Computer waren nicht in der Lage, zwischen Materie und Energie richtig zu unterscheiden, und der violette Strahl konnte nicht ganz exakt gesteuert werden. Das Gerät war von Zinder zur Umwandlung und Wiedererschaffung, nicht als Zerstrahlungswaffe konstruiert worden. Ohne Zinders Großcomputer war die Trägerwelle nicht ausreichend zu kontrollieren; sie vernichtete alles, was sie traf. Alles.

»Wir reißen ein Loch in das Gefüge der Raum-Zeit selbst!«entfuhr es einem der Wissenschaftler. »Dank dem gepulsten Feld sind wir in der Lage gewesen, eine Selbstreparatur der Dinge zuzulassen — aber anhaltende Totalaufhebung in großem Maßstab könnte die Kräfte der Natur, damit fertigzuwerden, übersteigen!«

»Das markovische Gehirn ist möglicherweise nicht in der Lage, eine derart riesige Lücke zu bewältigen«, bestätigte ein anderer. »Es könnte unmöglich werden, den Riß zu beheben!«

Sie stürzten zu Funkanlagen, um die militärische Führung zu warnen, erhielten jedoch eine unerwartete Antwort.

»Wir haben bereits ein Drittel des Kom-Gebietes verloren; wir stehen vor dem sicheren Untergang. Hier handelt es sich um die einzige wirksame und einsatzfähige Waffe, die ihr habt entwickeln können. Es trifft zwar zu, daß wir möglicherweise unseren Untergang herbeiführen, wenn wir sie gebrauchen, aber wenn wir es nicht tun, ist er Gewißheit. Wir machen weiter!«

Als die Streitkräfte einfach erloschen, tat die Dreel-Sippe, was jedes intelligente Wesen getan hätte. Sie leitete einen Rückzug ein und nahm ihre Streitkräfte zurück, so rasch das ging. Bei den meisten Raumfahrzeugen war das einfach, weil sie schneller waren als alles, was der Kom-Bund einzusetzen vermochte. Für das Mutterschiff, einen künstlichen Planetoiden von mehr als zehntausend Kilometern Durchmesser, kam ein derartiges Flugvermögen aber nicht in Frage. Es konnte die erforderlichen Geschwindigkeiten zwar erzielen, aber die Zufuhr der Energiemengen und die notwendigen Vorbereitungen, um zu verhindern, daß alle, die sich an Bord befanden, getötet wurden, würden mindestens drei Tage in Anspruch nehmen.

Wegen der Beschränkung ihrer Energiequellen besaßen die Zinder-Vernichter eine wirksame Reichweite von knapp unter einem Lichtjahr; sie waren bis auf ein Parsec an ihr Ziel herangekommen, als es sich in Bewegung setzte.

Die Dreel wußten, daß sie den Vernichtern nicht entkommen konnten, aber in der Einsatzgruppe wußte man es nicht.

»Vordere Scheibe einschalten und in Betrieb halten, auf das Dreel-Mutterschiff gezielt, falls es nicht zur Abwehr gebraucht wird«, befahlen die Militärs.

Vor der Einsatzgruppe des Kom-Bundes öffnete sich ein Loch, ein Riß in der Raum-Zeit. Da die Flottenoffiziere nicht genug Erfahrung besaßen, um die Wirkung der Vernichtungsgeräte richtig zu beurteilen, entdeckten sie plötzlich, daß sie ihr Ziel auf der anderen Seite des Loches nicht mehr sehen konnten. Selbst das Licht wurde ausgelöscht — und sie flogen in eben das Loch hinein, das sie erzeugt hatten!

Alle Wissenschaftler innerhalb der Einsatzgruppe hielten den Atem an.

Ein Blinken, das ganz kurz den Eindruck eines Fotonegativs erweckte, dann gab es nichts mehr, nicht einmal mehr Vernichtungsgeräte.

Das Loch dagegen hörte nicht auf, sich in alle Richtungen auszudehnen und alles zu verschlingen, was ihm in den Weg kam. Das Dreel-Mutterschiff wurde erfaßt, als das Loch knapp ein Lichtjahr maß; innerhalb von fünf Tagen verschlang das Loch zwei Sterne und die dazugehörigen Planetensysteme. Und es wuchs weiter. In seinem Mittelpunkt war — nichts.

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