Kwangsi

Marquoz zündete sich eine Pfeife an, indem er in den Kopf hineinblies. Er sog ein paarmal am Mundstück und blies beißende Rauchwolken in alle Richtungen. Schließlich sagte er:»Das Problem ist natürlich, den Kom-Bund herauszuhalten. Ich muß schon lügen, daß die Zähne knacken, nur um soviel Zugang für uns zu erreichen.«

Mavra Tschang zog die dünnen, schwarzen Brauen in die Höhe.

»Sie glauben, man wird aufmerksam?«fragte sie.

Er nickte.

»Ich glaube, es ist den Leuten klar, daß mehr dahinterstecken muß, als wir erzählt haben. Sie sind ja nicht dumm. Im Augenblick kommt man, weil Olympus wirtschaftlich großen Einfluß besitzt, einer kleinen Interessengruppe entgegen, aber man macht sich Sorgen, weil alle sich plötzlich so unsektiererhaft verhalten. Sie wissen, daß eine derart mächtige Gruppe eine ernste Bedrohung darstellen kann.«

Mavra ließ sich zurücksinken, steckte eine kleine Zigarre in den Mund, lehnte das Angebot von Marquoz, sie anzuzünden ab, und kam zur Sache.

»Wie nah sind wir denn dran? Obie schluckt riesige Mengen Daten, aber alles stammt aus zweiter Hand. Sie wissen, daß wir es nicht wagen können, ihn so nah nach Suba und zum Rat zu bringen.«

Ein Lautsprecher knackte.

»Hallo, Mavra«, sagte der Computer über seine kleine Direktverbindung. »War nicht zu vermeiden, daß ich mithörte. Wollen Sie einen Sachstandsbericht?«

»Bitte.«

»Er ist gut versteckt, soviel kann ich Ihnen sagen«, erklärte Obie. »Niemand kann in den Computern ganz gelöscht werden, das wissen Sie, aber wenn Ihnen jemand erzählt, keiner könnte etwas tun, ohne daß Computer es wissen und melden, ist er gründlich im Irrtum.«

»Du hast Schwierigkeiten gehabt, Daten über Nathan Brazil zu finden?«

»Nein, nein, das nicht, Mavra. Trotz sehr guter Tarnung war es ziemlich leicht, die Fakten seines Lebens über zweitausend Jahre zurückzuverfolgen — bis zur alten Erde. Er ist an mindestens drei Dutzend Orten geboren und öfter noch gestorben.«

»Wie denn das?«fragte Marquoz.

Obie lachte. Es war unheimlich, eine Maschine so menschlich wirken zu hören, noch dazu eine so mächtige und absolute wie Obie.

»O ja. Schließlich werden ja wirklich Aufzeichnungen geführt. Wenn man keine logische Vergangenheit hat, muß jemand aufmerksam werden. Ich mußte einem sehr klugen Gehirn nachspüren, das eben dies nicht wollte, und wenn nicht drei Faktoren gewesen wären, hätte ich es nicht schaffen können, das sage ich Ihnen.«

»Drei Faktoren?«fragte Mavra interessiert.

»Ja. Erstens scheint er nicht in der Lage gewesen zu sein, sein Aussehen zu ändern, nicht einmal chirurgisch, so daß das angehalten hätte. Versucht hat er es. Da er nicht Teil der markovischen Wirklichkeit ist, sondern vom vor-markovischen Urzustand des Universums herrührt, jenem Zustand, der sie geschaffen hat, ist er offenbar unzugänglich für Veränderungen durch alles, was vom Schacht der Seelen aufrechterhalten wird. Einmal, vor langer Zeit, gelang es ihm auf der Schacht-Welt selbst, die Körper tatsächlich zu wechseln, als der seinige schwer verletzt wurde. Er kann anscheinend alles regenerieren und nicht getötet werden, auch wenn man ihn verletzen kann, sogar sehr qualvoll. Aber selbst als er seinen alten Körper zurückließ, tauchte er später ganz ohne Veränderung im Kom-Bereich auf. Sehr seltsam — er besteht nur aus Widersprüchen. Man könnte sagen, seine jetzige Erscheinung war seine ursprüngliche. Das ist der Grund, weshalb er immer wieder zu ihr zurückkehrt. Alle Daten zeigen aber an, daß er dem Ursprung der Menschheit vorausgeht.«

Mavra dachte nach.

»Ich habe mir oft Gedanken gemacht. Ich begreife nicht, wie ein Gott verletzt oder dazu gebracht werden kann, das Gedächtnis zu verlieren; oder auch, sich an eine bestimmte Erscheinungsform zu klammern. Unter anderem. Er wirkt arg gewöhnlich, Obie, wenn er soviel Macht besitzt, wie du es darstellst.«

»Da stimme ich zu. Er besteht nur aus Fragen ohne Antworten. Und die Antworten würde ich zu gern finden, Mavra.«

»Wir versuchen es ja.«

»Du hast von drei Faktoren gesprochen«, meinte Marquoz. »Formbeständigkeit ist nur einer.«

»Gewiß. Der zweite besteht darin, daß er Raumfahrer ist, früher Seemann war. Auf der alten Erde hat er mindestens ein Schiff befehligt, das einen Wasserozean besegelte, und er hat derartige Schiffe, angetrieben wie auch immer, auf einer Reihe von Welten geführt. Die Kombination von Formbeständigkeit und Beruf macht es leichter, ihn aufzuspüren.«

»Und der dritte Faktor?«fragte Mavra.

»Seine Religion. Es ist mehr als sonderbar, daß er überhaupt eine hat, geschweige denn ihr anhängt, wissen Sie. Es handelt sich um eine uralte Religion der früheren Erde, die sich vor einigen tausend Jahren aus einer Ansammlung von Stammesgruppen heraus entwickelt hat. Sie scheinen als die üblichen Polytheisten begonnen zu haben und wurden ganz plötzlich zur ersten monotheistischen Religion der Menschheitsgeschichte. Die Religion wurde mit einer Reihe von Gesetzen und Gebräuchen in ein System gebracht. Daraus ergaben sich dann andere große Religionen, aber die Anhänger des Originals blieben klein an Zahl und überlebten die Jahrtausende mit ihrem Glauben. Sie wird ›Judaismus‹ genannt, die Anhänger heißen gewöhnlich ›Juden‹, und es gibt sogar heute noch welche davon, immer noch eine Handvoll, Sehr sonderbar.«

»Und er praktiziert seinen Glauben?«warf Marquoz ein.

»Ja, den Anschein hat es. Er lebt zwar nicht in einer der Gemeinschaften und scheint das auch nie getan zu haben, hält aber oft Kontakt mit ihnen, vor allen an ihren höchsten Religionsfeiertagen, und man kann hören, daß er für sie gesorgt hat.«

»Du sagst, er praktiziert seine Religion und hat ein besonderes Interesse am Wohlergehen ihrer Anhänger«, meinte der kleine Drache nachdenklich. »Es gibt aber keinen Hinweis darauf, daß er mehr tut, als an ihren Riten teilzunehmen? Er wird nicht als besonders heilig oder gottähnlich angesehen?«

»Ganz und gar nicht«, antwortete Obie. »Ihr Gott ist allumfassend, aber nicht greifbar, ganz gewiß kein gewöhnlicher Mensch. Als jemand, der ein gewöhnlicher Mensch zu sein schien, in ihrer Heimat auftauchte und behauptete, der Menschensohn ihres Gottes zu sein, wurde er sogar hingerichtet. Daraus entwickelte sich allerdings eine viel größere Religion.«

»Die Widersprüche häufen sich«, sagte Marquoz versonnen. »Weshalb sollte Nathan Brazil an einer solchen Gruppe interessiert sein? Wenn er Gott ist, weshalb schließt er sich ihr als Gläubiger an? Wenn nicht, dann ist er zumindest ein Überbleibsel der Markovier, der verdammt genau weiß, wo die Menschheit herkommt — eingeschlossen seine kleine Gruppe. Das ergibt doch alles gar keinen Sinn!«

»Es kommt noch mehr«, sagte Obie. »Die Religion, die der Hinrichtung des Mannes entsprang, der sich Gottes Sohn nannte, wurde ›Christentum‹ genannt. Es gibt sie nach wie vor in starkem Maß, und sie ist, wenn auch in Teilsekten zerfallen, ganz gut organisiert. Diese Leute kennen eine Legende, wonach es einen unsterblichen Menschen gibt, einen Juden, der Gottes Sohn auf dem Weg zur Hinrichtungsstätte verfluchte. Er wurde seinerseits mit dem Fluch belegt, ewig leben zu müssen, bis der Hingerichtete zurückkehren würde, um die Herrschaft des Himmels zu errichten. Es ist klar, daß Nathan Brazil ohne Rücksicht auf den wahren Ursprung der Geschichte der Ewige Jude, die Quelle der Geschichte, ist

»Immer weniger sinnvoll«, schnaubte Marquoz. »Die Antworten werden wir wohl nie erfahren, bis wir ihn finden. Ich fange an, mich langsam selbst dafür zu interessieren.«

»Obie?«sagte Mavra. »Kannst du uns, kurz zusammengefaßt, sagen, was du weißt? Wie weit hast du ihn zurückverfolgen können?«

Obie schwieg einen Augenblick, dann sagte er:»Nun, die Daten werden Ihnen nichts bedeuten. Sagen wir einfach, daß die erste echte Aufzeichnung, die ich habe, auf die Zeit der alten Erde zurückgeht, als die Raumfahrt noch in den Anfängen stand. Er war natürlich Frachterkapitän und fuhr von Mittelmeerhäfen nach Nord- und Südamerika. Diese Ausdrücke sagen Ihnen nichts, ich weiß — Verzeihung. Ich finde aber ein paar Dinge aus der damaligen Zeit interessant. Er nannte sich damals Mark Kreisel und war Bürger eines winzigen Insellandes mit dem Namen Malta. Die Firma, für die er arbeitete, war aber keine maltesische, sondern aus einem viel größeren, fernen Land, das Brazil, in einer anderen Sprache von früher Brasilien, genannt wurde.«

»Aha!«sagte Marquoz.

»Interessant ist auch, daß Malta nicht weit entfernt ist von dem früheren Land Israel, dem einzigen jüdischen Staat im industriellen Zeitalter, gleichzeitig der Ursprungsort der erwähnten Religion.«

»Wie weit geht das zurück, Obie?«

»Ungefähr achtzehnhundert Jahre, Mavra. Die Datierungsmethoden haben sich seitdem ein paarmal geändert, und viele der alten Aufzeichnungen sind entweder ungenau, oder es ist unsicher, welche sie verwendet haben. Das vermittelt aber immerhin eine Vorstellung.«

»So weit zurück«, sagte Marquoz fasziniert. »Und selbst damals war er in der Nähe dieses ungewöhnlichen Volkes mit der kleinen Religion. Man hätte aber doch annehmen mögen, daß er ein Bürger des Landes dieser Gruppe gewesen wäre.«

»Nein, das hätte ihn eingeschränkt«, erwiderte Obie. »Das jüdische Volk war fast von Anfang an schlecht behandelt worden, die ganze Menschheitsgeschichte hindurch. Ein großer Teil der Welt anerkannte das Land nicht und hätte es zerstört, wenn es nicht starke Streitkräfte und ein paar mächtige Verbündete besessen hätte. Die Juden wurden stets dafür verfolgt, daß sie sich von der herrschenden Kultur ihrer Umwelt unterschieden, weil sie sich nicht voll und ganz dem Lebensstil der Mehrheit anschließen wollten.«

»Ich glaube, ich habe eine Vorstellung von Mißtrauen gegenüber jemandem, der ein wenig anders ist«, bemerkte Marquoz spöttisch.

»Malta dagegen war ein winziges Inselland, das kaum einer kannte, mit einem Gemisch von Kulturen und Rassen, für niemanden eine politische Bedrohung«, fuhr Obie fort. »Ein idealer Ausgangspunkt und Stützpunkt, eine Nationalität, um die kein Mensch sich scherte.«

»Und dann?«sagte Mavra. »Was ist dann geschehen? meine ich.«

»Es hat den Anschein, daß Kapitän Mark Kreisel in einen schweren Sturm geriet und sein Schiff verlassen wurde. Er blieb nach der alten Tradition an Bord, um die Bergung als Wrackgut zu verhindern — die Gesetze haben sich in diesem Punkt kaum geändert —, und als die Retter kamen, war das Schiff zwar nicht untergegangen, aber der Kapitän fehlte. Alle Boote und Flöße waren vorhanden, und da man sich auf der Hochsee befand, Hunderte von Kilometern von jedem Land entfernt, gingen die Behörden davon aus, er sei von der schweren Sturzsee über Bord gespült worden und ertrunken. Das war der erste nachgewiesene Tod des Mannes, den wir jetzt unter dem Namen Nathan Brazil suchen.«

Mavra war von der Geschichte fasziniert und wollte mehr hören. Obie berichtete von den vielen Leben und Persönlichkeiten Nathan Brazils im Laufe der Jahrhunderte. Als Astronaut namens David Katz war er einer der Bauleiter bei der Errichtung der ersten Raumstationen in Umlaufbahnen um die Erde gewesen; er hatte in einer Reihe von Kriegen mitgekämpft und war in vielen Ländern aufgetaucht. In vielfacher Verkleidung war er in der fernen Vergangenheit der Menschen eine Art Legende. Als Warren Kerman war er im ersten menschlichen Sternenschiff Chefastrogator gewesen, als russischer Kosmonaut namens Iwan Krawiski hatte er als dritter Mensch die fremde Welt betreten, die den Namen Gagarin erhalten sollte, die erste Welt vom Typ Erde, die man im Weltraum entdeckte. Wie der Mensch war auch Nathan Brazil hinausgedrungen, nicht an der Spitze des Rudels, aber trotzdem bei den ersten.

Mavra war verzaubert, aber Marquoz sagte:»Komisch. Ich hätte vermutet, daß er sich unauffällig verhält — aber statt dessen taucht er immer wieder in den Schlagzeilen auf.«

»Durchaus nicht so komisch«, gab Obie zurück. »Jeder Mensch, der er gewesen ist, war eine wirkliche Person, wurde irgendwo geboren, wuchs irgendwo auf, arbeitete sich hoch und starb schließlich — nie an Altersschwäche, möchte ich hinzufügen. Er hat eine Neigung zu plötzlichem Verschwinden.«

»Du sagst, das waren alles wirkliche Personen«, warf Mavra ein. »Aber das kann doch nicht sein, oder? Ich meine, es ist doch immer derselbe Mann…«

»Ich bin überzeugt davon«, sagte der Computer. »Und trotzdem waren sie wirklich. Ich kann nicht erkennen, wie er das gemacht hat — aber so ist es gewesen. Interessant erscheint mir, daß sie alle aus verwaisten Familien oder Kleinfamilien mit wenigen lebenden Verwandten stammten. Außerdem wurden sie nach starker äußerlicher Ähnlichkeit ausgesucht. Irgendwann schaltete Brazil sich ein und ersetzte jede dieser Personen, gewöhnlich zu einem Zeitpunkt, wenn der Betreffende noch sehr jung und weit von zu Hause fort war. Eines steht jedenfalls fest — er kannte sie so gut, daß er nie einen Fehler machte, kein einziges Mal. Alle, sogar die Menschen aus der wahren Vergangenheit des Mannes, schienen ihn für echt zu halten.«

»Ob er sie ermordet hat?«fragte Marquoz besorgt. »Und welche Macht hat er, wenn es so war, eingesetzt, um buchstäblich sie selbst zu werden, wenn er doch seine äußere Erscheinungsform nie geändert hat? Mich bedrückt das.«

»Er würde nie kaltblütig jemanden ermorden!«brauste Mavra auf. »Alles, was wir über ihn wissen, bestätigt das. Ich habe Erinnerungen als kleines Kind — während des Überfalls schmuggelte er mich an der Harwich-Geheimpolizei vorbei hinaus — die einzigen deutlichen Erinnerungen aus der Zeit, die ich habe. Es war Güte in ihm, Güte und Sanftheit.«

Marquoz zog die Schultern hoch.

»Nun gut, was ist dann aus ihnen geworden, wenn er sie nicht abgemurkst hat?«

»Das ist der Schlüssel«, sagte Obie aus dem Lautsprecher. »Das ist das Entscheidende. Wenn wir das herausbekommen, könnten wir ihn finden. Vor über dreizehnhundert Jahren hat er das Schema nämlich verlassen. Er wurde Nathan Brazil, er kaufte ein Fracht-Raumschiff, er übernahm Aufträge. Und bis vor knapp über zwölf Jahren ist er Nathan Brazil geblieben.«

»Und warum?«fragte Marquoz.

»Ganz einfach«, gab Obie zurück. »Erstens der Zufall mit der Entwicklung des Verjüngungsverfahrens, das schon damals hundert Jahre mehr einbrachte. Mit der Zeit verbesserte man die Methode, und die mögliche Lebensspanne wurde länger. Wie Sie wissen, sterben die Hirnzellen schließlich sogar bei Verjüngten ab, aber bis das mit Brazil geschehen wäre, mußte jeder, der ihn kannte und auf ihn stoßen mochte, tot sein, und er hatte eine neue Gruppe von Freunden. Er brauchte seine Pilotenlizenz nur alle vier Jahre zu erneuern, und aus. Er wurde bei den Raumfahrern zu einer Legende — der älteste Mann, der immer noch flog. Er trank mit ihnen, beteiligte sich an ihren Glückspielen, kämpfte mit und neben ihnen, half ihnen, wenn sie es brauchten, und sie waren ihm verpflichtet. Die Raumfahrer hielten ihn für die eine Person, die zufällig das Glück hatte, sich unendlich oft verjüngen lassen zu können. Da der Kom-Bund sich ausdehnte, dauerte es oft sehr lange, bis selbst alte Freunde sich wieder trafen. Der Relativitätsfaktor komplizierte die Dinge noch, und an der Gleichartigkeit der bienenstockähnlichen Kommunen, aus denen der Kom-Bund zumeist bestand, konnte ihm nur wenig gefallen.«

»Aber schließlich hat er es aufgegeben, wie?«sagte Mavra.

»Ja, natürlich. Wenn eine Sekte, die behauptet, du wärst Gott, einen Feldzug eröffnet, um dich zu finden — würden Sie es dann nicht auch für angebracht halten, die Identität zu wechseln? Das würde wohl jeder tun.«

»Das hast du alles aus den Computerarchiven erfahren?«fragte Mavra verblüfft.

»Ja und nein. Es war da, aber nur in winzigen Bruchstücken. Es bedurfte nicht nur der Computerarchive, sondern auch der Ermittlungen von Tausenden Gemeindemitgliedern auf vielen Welten, um das alles zusammenzustellen. Ohne sie wäre das alles nicht möglich gewesen — aber jetzt stehen wir vor einer Wand, bis wir einen Hinweis darauf finden, wo er wiedergeboren wurde.«

»Ist er einfach wieder verschwunden?«

»So ungefähr, Marquoz. Er behielt Schiffe schrecklich lange Zeit — zwei—, dreihundert Jahre oder länger, bis sie verschlissen waren. Sie hießen alle ›Stehekin‹, ein Wort, dessen Bedeutung sich mir entzieht. Das letzte davon wurde mit einem Riesenloch mitten im Rumpf gefunden. Es war ausgeplündert worden. Auf der Brücke fand man Blut, das dem von Brazil entsprach — sehr viel sogar —, aber keine Spur von ihm oder seiner wertvollen Fracht. Man ging davon aus, daß er durch ein betrügerisches Notsignal aus dem Nullraum gelockt worden, von Piraten überfallen und ermordet worden war. In der Raumfahrer-Ruhmeshalle gibt es sogar eine Gedenktafel für ihn.«

»An die du aber nicht glaubst«, sagte Mavra.

»Natürlich nicht. Dergleichen ist ein Lieblings-Ausweg von ihm. Nein, ich glaube, er hat irgendeine wirkliche Person gefunden, bei ihr den Punkt erreicht, den er brauchte, um ihre Identität zu übernehmen, und das getan. Er ist jetzt als jemand anderer anderswo und läßt eine gewisse Zeit verstreichen, bis er wieder ein normales Leben führen kann.«

»Na, ich glaube doch, daß er ziemlich leicht zu finden sein müßte«, sagte eine neue Stimme. Sie fuhren herum und sahen Zigeuner vor sich.

Marquoz nickte, aber Mavra sah ihn seltsam an. Es war natürlich lächerlich, aber… Nein, er war ein bißchen zu groß, zu muskulös, zu dunkelhäutig. Schließlich hielt sie es aber doch nicht mehr aus.

»Zigeuner, haben Sie schon einmal von Malta gehört?«

Er wirkte ein wenig überrascht, zuckte aber nicht mit der Wimper.

»Sicher. Das ist die Hauptstadt von Sorgos, glaube ich.«

Marquoz lachte leise.

»Ich weiß, was Sie denken. Mir ging es manchmal nicht anders. Aber nein, er hat den falschen Körperbau. Brazil hat ab und zu Daumenabdrücke verändern können, aber nie die Netzhaut- und Blutstrukturen. Das können Sie vergessen. Er ist eben ein Rätsel mehr.«

Zigeuner sah die beiden verwirrt an.

»Was soll das alles?«

»Die Dame hat sich nur gefragt, ob du etwa selber Nathan Brazil bist.«

Er lachte in sich hinein.

»Mensch, nein. Wer hat schon mal was von einem jüdischen Zigeuner gehört?«

Sie mußten alle lachen. Mavra dachte plötzlich an andere Dinge. Sie wandte sich dem Lautsprecher und Obie zu, ohne sich auch nur zu fragen, weshalb das Problem Zigeuner auf einmal eines geworden war, das sie nicht mehr beschäftigte.

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