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Montag, 3. Juni


Das Büro des Generals und das ihre befanden sich im Außenbereich einer oberen Etage der Kuppel. Die Flure jener Etage hatten daher nicht die sonst übliche selbstleuchtende Decke, sondern öffneten sich vielmehr nach oben zu einer kaum bemerkbar gekrümmten Kuppelpartie. Nicht, dass das irgendeinen Vorteil mit sich gebracht hätte. Im Augenblick war es beinahe Mittag auf Titan, und der Himmel außerhalb der Kuppel zeigte sich in einförmigem, dunklem Orangebraun. Der oberste halbe Meter der Wände war natürlich mit Leuchtfarbe gestrichen, die, um die durch den fehlenden Raum im Deckenbereich reduzierte Beleuchtung auszugleichen, heller eingestellt war als im übrigen Stützpunkt.

Falls irgendein Angehöriger der Architektur- oder Wartungsteams auch nur einen Funken Talent für Innendekoration gehabt hatte, hatte er sich alle Mühe gegeben, das zu verbergen, jedenfalls war das der Eindruck, den die in amtlichem GalPlas-Grün gehaltenen Wände mit ihren schlachtschiffgrauen Türen vermittelten. Neben der Tür, auf die sie gerade zugingen, gab es ein Schild mit dem Hinweis, dass sie zum Hauptquartier der Dritten MP-Brigade führte. Der Leutnant musste sich ebenfalls beim General melden und war kurz vor ihr an der Tür eingetroffen; er zeigte seinen Ausweis vor, den die Tür automatisch mit seinem Profil im Speicher verglich, seine biometrischen Daten als korrekt erkannte und sie beide einließ.

Drinnen gab es einen Empfangstisch und Schilder, die nach rechts zum CID und nach links zum Büro des Kommandierenden Generals wiesen. Hinter dem Schreibtisch saß ein weiblicher Corporal, deren Namensschild sie als Anders identifizierte. Hinter dem Corporal zeigte ein großer Holoschirm an der Rückwand einen Wasserfall — der Vegetation nach zu schließen auf der Erde.

»Captain Makepeace und Lieutenant Pryce, Corporal … Anders, nicht wahr? Wir sind hier, um uns zu melden und dem General unseren Antrittsbesuch abzustatten. Ich nehme an, er erwartet uns.« Cally erwiderte die Ehrenbezeigung des Corporal und wartete.

»Ja, Ma’am. Ich sage ihm Bescheid, dass Sie hier sind.« Sie griff nach ihrem PDA und forderte ihn auf, sie mit dem General zu verbinden.

»General Beed, Sir?«

Callys gesteigertes Hörvermögen hatte keine Mühe, beide Teile des Gesprächs zu erfassen, und sie wartete mit ruhiger, höflicher Miene.

»Sind die beiden da, Corporal? Gott sei Dank. Ohne eine vernünftige Sekretärin ersticke ich hier beinahe im Papierkrieg. Schicken Sie sie her.«

»Yes, Sir. Ende Gespräch.« Sie stellte den PDA weg.

»Sie können nach hinten gehen, Ma’am, Sir.« Mit einer leichten Kopfbewegung wies sie in Richtung auf das Büro des Generals.

Cally ging an dem Corporal vorbei und anschließend an einigen verschlossenen grauen Türen entlang den Korridor hinunter zum Büro des Generals, Pryce hinter ihr her. Das Licht unter dem Namensschild zeigte an, dass die Tür nicht versperrt war, und deshalb schob sie sich auf Callys Handbewegung hin zur Seite. Sie trat ein, ging bis zu dem Schreibtisch, nahm Haltung an und salutierte. Da die Dienstvorschrift verlangte, dass sie den Blick fünfzehn Zentimeter über den Kopf des Generals richtete, musste sie ihn und den Raum, in dem er sich befand, mit ihrer peripheren Sicht studieren. Ein Kinderspiel.

Für einen Offizier seines Alters sah Beed gut aus. Das dunkelblonde Haar und die tiefblauen Augen waren auf eine Stelle ein ganzes Stück unterhalb ihres Gesichts gerichtet. Aber nach dem Flug zum Titan hatte sie sich daran allmählich gewöhnt. Sein Schnauzbart war vielleicht ein wenig affektiert, aber der Mann war muskulös und sichtlich gut in Form. Fleet-Seide war bei aller Dauerhaftigkeit nicht gerade das Material, das viel verbergen konnte. Ohne Verjüngung hätte sie ihn vielleicht für vierunddreißig gehalten. Mit Verjüngung musste er sich bereits in seinem zweiten Jahrhundert befinden. Nach galaktischen Maßstäben immer noch jung. Nicht so heiß wie Pryce, aber jedenfalls keine Beleidigung für die Augen. Falls er auf die Idee kommen sollte, sie um den Schreibtisch herumzujagen, würde sie wenigstens nicht mit Brechreiz oder dergleichen zu kämpfen haben.

»Captain, was für ein erfreulicher Anblick für meine müden Augen.« Seine Hand wies mit einer weit ausholenden Bewegung auf seinen Schreibtisch, der mindestens fünfzehn Zentimeter hoch mit Papieren aller Art bedeckt war, und das galt nur für die Täler zwischen den höheren Stapeln. Cally hatte alle Mühe zu verhindern, dass ihr die Augen aus dem Kopf traten. »Willkommen auf Basis Titan. Ihr Büro ist gleich draußen links. Im Grunde sollten Sie mit allem vertraut sein, was wir hier tun, und ich habe mir schon erlaubt, den Corporal Aktenschränke und Aktendeckel und dergleichen bringen zu lassen. Ich habe einiges mit dem Lieutenant zu besprechen, aber das machen wir am besten, während Sie eine Art Ablagesystem organisieren. Wie Sie das anstellen, ist mir egal, solange Sie es mir mit einfachen Worten erklären und wir beide bei Bedarf alles finden können. Der Lieutenant und ich werden jetzt mindestens zwei Stunden weg sein, und das sollte für Sie ausreichen, das Zeug hier wegzuschaffen, damit ich meine Schreibtischplatte wieder sehen kann.« Er sah sie erwartungsvoll an.

»Yes, Sir«, antwortete sie forsch.

»Großartig, Honey. Wenn Sie das hinkriegen, werden wir beide großartig miteinander auskommen.« Er blinzelte ihr tatsächlich zu und wandte sich an den Lieutenant. »Lieutenant, nach meiner Kenntnis sind Adjutanten von Generälen befugt, zwei goldene Fangschnüre auf der Schulter zu tragen. Ein guter Offizier achtet immer exakt darauf, sich in korrekter Uniform zu präsentieren, verstanden?«

»Yes, Sir. Ich habe dafür keine Entschuldigung, Sir.« Falls überhaupt noch möglich, wurde Pryce’ Haltung dabei noch eine Spur straffer.

»Rühren. Lassen Sie uns von hier verschwinden und das Weitere Makepeace regeln.« Er hielt inne, musterte sie beim Hinausgehen von Kopf bis Fuß. »Sie achten korrekt auf Einzelheiten, Captain Makepeace. Sehr ordentlich.« Dann waren sie draußen.


Cally starrte auf die Tür, als diese hinter den beiden Offizieren wieder in die Wand glitt, und kämpfte dagegen an, laut aufzulachen. Und da zerbreche ich mir den Kopf, wie ich den Mann aus seinem Büro kriege, damit ich in aller Ruhe suchen kann. Sie schaltete die KI ihres PDA auf Stufe acht.

»Da ist etwas darauf aus, uns umzubringen, nicht wahr, Captain?«, sagte das Gerät.

»Achte auf die Umgebung, Buckley. Wenn sich jemand anderer als ich der Tür auf sechs Meter nähert, piepst du einmal mit mittlerer Lautstärke.«

»Okay. Nicht, dass das viel nützen würde.«

Sie stellte den PDA auf den Schreibtisch und schnaubte verärgert, als ein kleiner Stapel Papiere herunterfiel und sich über den Boden verteilte. Dann durchsuchte sie eilig die Schreibtischschubladen. Das ging besonders schnell, weil da nichts zu finden war. Ein paar leere Blocks und Kugelschreiber, die sie ohne etwas Brauchbares zu finden sezierte, anschließend wieder zusammensetzte und an den alten Platz legte. Dann schaltete sie den PDA wieder ein und machte sich an die Arbeit, die Papierberge zu sortieren und zu ordnen, die sie ohnehin hätte durchsuchen müssen.

Am Ende war sie nach den zwei Stunden, die Beed brauchte, um in sein Büro zurückzukehren, noch nicht fertig. Pryce war nicht bei ihm.

»Also, Sie sind ja gut vorangekommen, Captain.« Er trat hinter sie und stand ein Stück zu nahe bei ihr, als sie sich über den Schreibtisch beugte, um nach einem weiteren Papierstapel zu greifen. Zufälligerweise zog das den grauen Stoff über ihren Pobacken straff, sodass er die Konturen ihrer Hinterpartie deutlich erkennen konnte.

»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Sie bitte, ein wenig länger zu bleiben? Wir machen gewöhnlich gegen fünf Schluss, aber … wenn Sie mögen, lade ich Sie zum Abendessen ein. Wo ich Sie doch bitte, Überstunden zu machen.« Sie konnte jetzt fast am Hals seinen Atem spüren.

Sie richtete sich auf und drehte sich um, hielt die Papiere in der Hand und blickte zu ihm auf. Er befand sich ganz eindeutig innerhalb ihrer Intimsphäre.

»Aber, Sir, das ist doch nicht nötig.« Ihre blauen Augen wurden groß und rund.

»Natürlich nicht, Captain. Aber Sie könnten mir dann erklären, wo Sie alles hintun. Sie würden mir wirklich einen persönlichen Gefallen tun, wenn Sie meine Einladung annehmen, Sinda. Es ist Ihnen doch recht, wenn ich Sie Sinda nenne, oder?« Er lächelte bezaubernd. Das machte er recht gut, die Charmesache. Sie wusste das zu schätzen.

»Aber überhaupt nicht, Sir.« Sie lächelte. »Und Abendessen wäre mir recht.«


Er brachte sie in ein recht elegantes kantonesisches Lokal ein Stück weiter unten am Korridor. Cally gab sich alle Mühe, sich nicht wie ein Tourist zu benehmen. Jedenfalls nicht zu sehr. Von dem Korridor zu sprechen, wurde den Gegebenheiten nicht ganz gerecht. Tatsächlich bestand die »Innenstadt« von Basis Titan aus einem von der Bodenplatte bis zur Kuppeldecke reichenden Stapel von Korridoren, wobei man zwischen den Etagen Räume frei gelassen hatte, sodass man am Geländer einer Etage stehen und bis ganz nach oben oder unten sehen konnte. Dies war einer der wenigen Orte, wo man die gewaltigen Ausmaße des Stützpunkts wirklich wahrnehmen und einigermaßen verarbeiten konnte. Okay, nicht so gigantisch wie die Hologramme von Indowy Wolkenkratzern, die sie gesehen hatte, aber immerhin war sie selbst hier, und Titan fühlte sich echt an. Vermutlich lag das daran, dass so viel TerraTech eingesetzt war. Na schön, auch eine ganze Menge angepasste GalTech, aber wenn dahinter menschliche Arbeit in Firmen auf der Erde steckte, dann zählte das eigentlich nicht.

Nach Beeds Erklärung teilte der Korridor die Basis von Osten nach Westen — Himmelsrichtungen, die man nach der Rotationsachse des Mondes festgelegt hatte, da es keine nennenswerte geo-magnetische Aktivität gab. Im Norden überwachte die Militärpolizei von Fleet Strike ihren eigenen Quadranten, der für Ersatzteile, Produktionsanlagen und die galaktischen Rassen reserviert war, sowie den Korridor selbst. Im Süden war die Sicherheitspolizei von Fleet für ihren eigenen Quadranten zuständig, der Kolonisten, Durchgangsreisenden und Zivilpersonen zugeteilt war und auch den Shuttle-Hafen enthielt. Jemandem, der die ultramachiavellischen Tendenzen der Darhel nicht richtig kannte, mochte es seltsam erscheinen, dass Fleet Strike für die Bewachung von Ersatzteilen und Vorräten zuständig war, die in erster Linie von der Flotte benutzt wurden. Für Cally war das bloß ein weiteres Beispiel dafür, dass man die Dinge komplizierter machen konnte, um sie leichter manipulieren zu können.

Die Besitzer des Restaurants hatten es sich offenbar einiges kosten lassen, mit der Dekoration ein Gefühl kantonesischer Authentizität aufkommen zu lassen und deshalb die GalPlas Wände mit rot-goldener Tapete mit einem Drachenmotiv tapezieren lassen. Die Leuchtfarbe der Tafel vor dem Lokal war so verändert worden, dass man das Gefühl hatte, ein Neonschild vor sich zu sehen, das in englischer Sprache den Namen des Etablissements »The Golden Dragon« verkündete. Anscheinend handelte es sich um ein Restaurant der oberen Klasse, in dem Offiziere, wohlhabende Geschäftsleute und gelegentlich Kolonisten verkehrten, die vor der letzten Etappe nach draußen etwas harte Währung für eine letzte ordentliche Mahlzeit springen ließen.

Trotzdem war es an diesem Montagabend nicht einmal annähernd voll, und man führte sie schnell an einen Tisch in einer Ecke, der von einer kleinen Kugel beleuchtet wurde, die — fast, aber nicht ganz — wie Kerzenlicht flackerte. Neben den Tellern lagen eine zusammengefaltete Serviette aus echtem Stoff, eine Gabel und zwei Essstäbchen aus Plastik. Sie bestellte Hühnchen süß-sauer und eine Frühlingsrolle. Das Lokal gab sich sehr kultiviert, wirkte aber für ihren geübten Blick trotzdem touristenhaft. Da bestellte man am besten etwas, das nicht so leicht zu verpatzen war.

»Konservativer Geschmack?«, fragte er, nachdem er den Phoenix and Dragon bestellt hatte.

»Warum? Habe ich etwas gewählt, was ich nicht hätte nehmen sollen, Sir?« Sie blickte verlegen zur Seite. »Ich dachte nur, es sieht interessant aus. Würden Sie mich für eine … Landpomeranze … halten, wenn ich Ihnen gestehe, dass ich meine Besuche in Restaurants wie diesem an den Fingern einer Hand aufzählen kann?«

»Nein, Captain — Sinda — Hühnchen süß-sauer ist schon in Ordnung.« Er lächelte, es wirkte beinahe sanft. »Ich vergesse manchmal, wie jung einige unserer Offiziere sind.« Ihre Hand lag auf dem Tisch, und er griff hinüber und strich ihr über den Handrücken. Sie fuhr sich mit der Zunge nervös über die Lippen und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Jung, aber durchaus eine sehr erwachsene Frau. Nach allem, was ich bis jetzt gesehen habe, sind Sie ein tüchtiger junger Offizier, Sinda«, sagte er.

»Danke, Sir.« Sie drehte sich halb zu ihm herum, und strahlte ihn mit ihren kornblumenblauen Augen an. Beim Durchsuchen seines Büros habe ich das nicht gefunden, was ich brauchte. Vielleicht gelingt es mir, wenn ich den General durchsuche. Außerdem wäre das ein guter Vorwand, etwas für meine überschüssigen Hormone zu tun. Ob ich die Unschuldige spiele? Wird vielleicht am besten sein.


Dienstag, 4. Juni


Am nächsten Morgen begegnete sie Pryce beim Kaffeeautomaten, sah ihn aber, nachdem er dann in Richtung CID weggegangen war, den ganzen Vormittag nicht mehr. General Beed hingegen blieb unübersehbar. Ihre erste Aufgabe am Morgen, so erklärte er ihr, bestand darin, mithilfe ihres PDA sein E-Mail-Konto aufzurufen und seine Korrespondenz auszudrucken und sie für ihn nach Kategorien zu sortieren. Sie musste sich auf die Lippen beißen, um ihn nicht darauf hinzuweisen, dass er die Mails von einem AID oder PDA sortieren, nach Wichtigkeit anordnen und auch in Routinefällen beantworten lassen konnte — er brauchte es nur zu verlangen. Nachdem er sich dann die Korrespondenz angesehen und darauf vermerkt hatte, was damit geschehen sollte, holte sie den Stapel aus seinem Ausgangskorb, um alles durch eine nur leicht verbesserte Version eines Vorkriegskopierers zu jagen, wobei eine Kopie in seine Akte ›Korrespondenzeingang‹ abgelegt werden musste, ehe irgendetwas beantwortet oder in anderer Weise bearbeitet werden durfte.

Der Mann war ganz offenkundig ein Dinosaurier, und wenn er mit ihr sprach, hatte sie manchmal alle Mühe, beim Lächeln nicht mit den Zähnen zu knirschen.

Aber in einem Punkt legte sie sich mit ihm an. Wer auch immer hier den Kaffee machte, sollte von Rechts wegen erschossen werden.

»Sir, ist Ihnen etwas, äh … Seltsames an unserem Kaffee aufgefallen?«, begann sie.

»Er wird hier vor Ort angebaut, in der Hydroponik, Makepeace. Es hat mit der Luft zu tun — Sie werden sich daran gewöhnen.« Er zuckte die Achseln und summte leise vor sich hin, während er sich durch ein paar Berichte des Fleet-Strike-Militärgefängnisses arbeitete.

Der Gefängniskomplex befand sich auf dem Stützpunkt, allerdings in einer völlig separaten Kuppel. Flucht war natürlich möglich. Es hatte auch schon solche Fälle gegeben. Einige Male. Für Fleet Strike war das größte Ärgernis daran, dass man anschließend eine Crew in Anzügen hinausschicken musste, um die Leichen zu bergen. Cally war sich nicht sicher, ob sie es den Gefangenen übel nehmen sollte. In nicht atembarem Smog zu ersticken war vermutlich ein wesentlich angenehmerer Tod als ein Unfall bei Null-g-Arbeit im Orbit, und das war gewöhnlich das Schicksal aller Gefangenen, die nicht eine ausgesprochen kurze Strafe zu verbüßen hatten. Und Gefangene mit kleineren Problemen wurden normalerweise gar nicht erst zur Titan-Basis geschickt.

Nachdem sie seine Korrespondenz erledigt hatte, was darauf hinauslief, nach hingekritzelten Notizen zu diktieren, was ihrer Meinung nach als Antwort angebracht war, diese Antwort ausdruckte, sie Beed für etwaige Änderungen vorlegte, ihm dann einen weiteren Ausdruck zur Genehmigung brachte, ehe sie sie wegschickte — und zu dem Zeitpunkt lag bereits ein weiterer Stapel Papier in seinem Ausgangskorb. Sie stellte fest, dass er mehrere Vorwände gebrauchte, um in ihr Büro zu kommen, scheinbar um irgendwelche Arbeiten zu überprüfen. Danach zu schließen, freilich, wie er dabei jeweils viel zu dicht hinter ihr stand und ihr die Hand auf die Schulter legte, wenn er Bemerkungen machte, die stets plausibel, aber nie unbedingt notwendig waren, konnte man deutlich erkennen, dass der General dabei nicht nur die Arbeit im Sinn hatte. Seinem Profil hatte sie entnommen, dass er verheiratet war, eine Tatsache, die er ihr gegenüber bisher noch nicht erwähnt hatte und die auch, da er keinen Ring trug, nicht offenkundig war. Sie hatte den Unterlagen ebenfalls entnehmen können, dass seine Frau siebenundvierzig und nicht verjüngt war. Sie hatte ihn zur Basis Titan begleitet, aber Cally konnte sich sehr gut vorstellen, dass die arme Frau nicht mit ihm Schritt halten konnte.

Kurz nach halb zwölf kam er herein und zog demonstrativ ein paar Schubladen in Aktenschränken auf und blätterte in den Unterlagen.

»Sie haben die Sachen gut organisiert, Sinda. Seit Sie jetzt hier ein System eingerichtet haben, sollte es viel leichter sein, etwas zu finden, wenn ich es brauche.« Er sah auf seine Armbanduhr und dann wieder sie an. »Zeit fürs Mittagessen. Wie wär’s, wenn wir uns ein Sandwich schnappen und Sie mir beim Mittagessen das neue Ablagesystem erklären?«

»Selbstverständlich, Sir. Wann möchten Sie gehen?«

»Ich dachte jetzt gleich, Captain.« Er sah sie mit einem entwaffnenden Lächeln an. »Ich weiß nicht, wie das bei Ihnen ist, aber mein Magen fängt zu knurren an.«

»Du liebe Güte, Sir, das geht natürlich nicht. Lassen Sie mir nur einen Augenblick Zeit, um eine Liste der Dateien auszudrucken, dann bin ich so weit.« Sie lächelte ihn freundlich an, wandte sich dann ab und sagte mit leiser Stimme etwas zu ihrem PDA. »So. Jetzt können wir die Liste beim Hinausgehen an dem Drucker von CID abholen.«

Er trat einen Schritt von der Tür zurück, wollte ihr offenbar den Vortritt nach draußen lassen und schob sie dann sanft — und völlig unnötig — mit der Hand am Rücken hinaus. Eine Hand, die er gleich wieder wegnahm, als sie um die Ecke bogen und den allgemeinen Empfangsbereich betraten.

Der General wartete, während sie hinten am Flur den Ausdruck holte. Als sie dann den Raum verließen, machte Anders den Eindruck, als wäre sie völlig in die holografische Darstellung irgendeines Formulars vertieft.


Der Sturm auf das Mittagessen hatte noch kaum begonnen, und deshalb brauchten sie nur kurz auf einen Wagen zum Korridor zu warten.

»Gibt es im Quadranten von Fleet Strike eine Cafeteria oder etwas Ähnliches?« Cally legte den Kopf etwas zur Seite und sah ihn fragend an.

»Da wäre die Messe, der Offiziersclub und eine Snack-Bar in der Mannschaftskantine. Das Essen im Offiziersclub ist recht anständig, aber dort ist es immer ein wenig … voll. Kein guter Ort für ein Arbeitsessen«, sagte er.

Der Grill, in den er sie brachte, befand sich in einer der oberen Etagen. Die Nischen bestanden aus hohen Gal-Plas-Wänden, die man so eingestellt hatte, dass sie das Licht in einem rosigen Braun reflektierten, das an Kirschholz erinnerte. Der niedrige Geräuschpegel und der etwas hohle Klang der Stimme des Kellners, als der sich vorstellte und ihnen ihre Speisekarten gab, verrieten ihr, dass das Lokal über elektronische Schalldämpfung verfügte. Niedriges Niveau. Aus dem Augenwinkel sah sie eine kleine, runde Scheibe, die hinter dem Serviettenhalter hing.

Er bestellte ein Roastbeef-Sandwich, sie einen Hühnchensalat auf Pitabrot.

»So, Sie wollten mir das Ablagesystem erklären«, lud er sie mit einer aufmunternden Handbewegung ein.

»Yes, Sir. Ich habe die Akten aufgeteilt in Hauptquartier, CID, und dann die verschiedenen Einheiten. Und darunter ist es dann alphabetisch.«

»Darf ich die Liste sehen?« Er wartete nicht ab, bis sie sie ihm gab, sondern griff nach dem Papier und streifte dabei keineswegs zufällig ihre Hand. Seine Augen musterten dabei die ihren und warteten auf eine Reaktion. Sie gestattete sich ein verschwörerisches Aufblitzen.

Wäre schließlich nicht das erste Mal, dass sie bei einem Auftrag Sex einsetzen musste, wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal. Und im Bett war er wahrscheinlich eher mittelmäßig als regelrecht schlecht. Die meisten Männer waren das.


Die wöchentliche Lagebesprechung fand am späten Nachmittag statt. Sie wurde immer dicht beim Wechsel zwischen der ersten und zweiten Schicht angesetzt, damit die oberen Dienstgrade beider Waffengattungen, gleichgültig zu welcher Schicht sie gehörten, daran teilnehmen konnten.

Das sorgte dafür, dass der General das Büro verließ, und Cally schaffte es, sich genügend Arbeit zurechtzulegen, um Überstunden zu rechtfertigen. Es war auch eine gute Gelegenheit, sich unbeobachtet Zugang zu einigen der CID-Räumlichkeiten zu verschaffen, um ein wenig herumzustöbern. CID arbeitete normal. Die bizarre Versessenheit des Generals auf Papier galt offenbar nicht für Dinge, die nicht durch seine Hände gehen mussten, und deshalb hatte sie gleich am ersten Abend einen großen Teil ihrer Suche per Computer erledigen können. Als Sekretärin des Generals hatte sie kein Problem, durch die Tür zu kommen, und anschließend galt es nur noch ihre Spuren zu verbergen. Sie hatte nichts von Interesse gefunden und hoffte, dass sie vielleicht auf Datenwürfel mit nicht direkt in den Systemen abgelegtem Material stoßen würde.

Nach der ersten Schicht setzte das Hauptquartier zwei Militärpolizisten an der Endstation des Stützpunktzuges ein, um das Kommen und Gehen zu überwachen und dafür zu sorgen, dass Unbefugte draußen blieben, aber Anders und die CID-Agenten gingen gewöhnlich um siebzehn Uhr oder kurz danach weg. Sie wartete, bis fünf fünfundvierzig, ehe sie absichtlich eine Akte falsch ablegte, die der General beim Mittagessen erwähnt hatte, und ging dann zum Wasserspender, der bequemerweise drüben im CID stand.

CID war ein Flur von sechs Büros, die alle an ein Besprechungszimmer grenzten. Die Wände zwischen den Türen waren mit Ausnahme der Namensschilder und der Schließplatten leer. In dem Büro neben dem Besprechungsraum stand der Wasserspender, und dort lagerte auch Beeds Papiervorrat. Als sie an den geschlossenen Türen vorbeiging, konnte sie die Türschilder eines jeden Büros betrachten und etwaige Stimmen hören. Aus den geschlossenen Türen und der herrschenden Stille war mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zu schließen, dass die Agenten bereits alle nach Hause gegangen waren.

Sie nahm am Spender einen Schluck Wasser und lauschte dann noch einmal einen Augenblick, ehe sie das Büro verließ und vorsichtig die Bürotür von Agent Carlucci öffnete. Die Türen der Agenten waren natürlich versperrt. aber da der General jederzeit eine Akte verlangen konnte, stand sie auf der Liste der Leute mit Generalzugang.

Carluccis Schreibtisch bestand aus massivem Plastikmaterial. Die meisten Einrichtungsgegenstände waren das, da vor Ort reichlich organisches Material vorhanden war und deshalb nicht von der Erde oder anderen Orten im Sol-System hertransportiert werden musste. Seine Pinwand war erfrischend schwach bestückt, sie enthielt lediglich sein Abschlusszertifikat aus dem Ermittlerkurs und eine Tafel mit einer Belobigung für zehn Jahre Dienst im CID. Auf dem Schreibtisch: ein altmodisches Foto seiner Frau und nicht viel mehr. Auf dem Boden stand ein Ficus in einem Plastikkübel und ein Boston-Farn in einem Topf, der auf einem Plastikständer stand, dessen Lackierung Schmiedeeisen vortäuschen sollte. Abgesehen von einem Trainingsgerät für die Handmuskeln, drei verpackten Proteinriegeln und zwei Drei-Kilo-Hanteln enthielt sein Schreibtisch nichts außer Staub, und sie achtete sorgfältig darauf, darin keine Spuren zu hinterlassen.

Weiter in Bakers Büro. Es war dem von Carlucci ganz ähnlich, andere Pflanzen, kein Foto. An seiner Wand hing ein gerahmter Monet-Druck. In seinem Schreibtisch lag ein Würfel ohne Etikett. Sie las ihn in den Aktivspeicher ein. Sah aus wie Musikdateien, aber sie würde sich den Inhalt heute Abend jedenfalls gründlich ansehen, um ihn nach versteckten Daten zu durchsuchen. Wäre nicht das erste Mal, dass wichtige Daten unter irgendetwas völlig Harmlosem versteckt gewesen wären.

Li war ziemlich neu und hatte mit Ausnahme eines tropisch aussehenden Baums mit großen, glänzenden Blättern noch nichts in sein Büro gebracht. Nicht einmal staubig war es. Vermutlich hatte jemand es sauber gemacht, ehe er eintraf, und er war noch nicht lange genug da gewesen, dass sich eine neue Staubschicht hätte bilden können. Sie war über die unterste Schublade gebeugt und gerade dabei, sie wieder zu schließen, als sie draußen im Flur ein Geräusch hörte. Damit war sie rechtzeitig gewarnt, um nicht zusammenzuzucken, als die Tür sich aufschob. Sie blickte nur auf und schloss in aller Ruhe die leere Schublade. Es war Pryce, und obwohl sie eine knappe Sekunde Vorwarnung gehabt hatte, spürte sie, wie ihr Atem schneller ging und ihre Handflächen feucht wurden.

»K-k-kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Ma’am?«, fragte er.

»Vielleicht. Haben Sie die Urlaubsakte gesehen?« Sie wischte sich die Hände an ihrer Seidenkombination ab und richtete sich ganz auf. »Sie enthält den markierten Entwurf der Überarbeitung für die Urlaubsdaten der Brigade und sämtliche Vorschriften für Krankmeldungen.«

»Oh, die.« Seine Stirn runzelte sich kurz. »Sanchez hat sie heute Nachmittag gehabt, Ma’am.«

»Er hat sie zurückgebracht. Daran erinnere ich mich, und ich dachte, ich hätte sie abgelegt. Doch jetzt finde ich sie nicht, und es wäre mir wirklich peinlich, wenn der General sie morgen verlangen würde und ich sie dann suchen müsste.« Ihr Gesicht verfinsterte sich nachdenklich.

»Vielleicht ist Sanchez noch eine Bemerkung eingefallen, die er nachträglich anbringen wollte, und er hat sie sich noch einmal ausgeborgt, Ma’am?«

»Könnte sein. Wir können ja schnell nachsehen.« Und so kam es, dass Pryce bei ihr war, als sie Sanchez’ Büro durchsuchte, und deshalb wagte sie es nicht, die drei Würfel zu kopieren, die sie in seiner obersten Schreibtischschublade fand.

»Nichts gefunden, hm?«, fragte er.

»Leider nicht.« Sie richtete sich auf und ging an ihm vorbei zur Tür hinaus. Anscheinend war er aus dem Gleichgewicht geraten, als er sich hinter ihr umdrehte, denn er stolperte wieder gegen sie und hielt sich mit einer Hand an ihrem Arm, dicht unter der Schulter, mit der anderen an ihrer Hüfte fest. Sie wusste genau, wo seine Hände gewesen waren, weil die Haut dort immer noch prickelte, als er wieder fest auf den Beinen stand und die Hände wegnahm. »M-Ma’am, tut mir sehr Leid.« Er senkte den Blick. Ihm war das offenbar schrecklich peinlich. »Ich schätze, ich bin manchmal ein wenig ungeschickt.«

»Denken Sie sich nichts dabei, Pryce, niemand ist vollkommen.« Sie lächelte mitfühlend. »Sie waren doch schon mal auf Titan. Sie wissen nicht zufällig, ob es irgendwo auf diesem riesigen Schneeball ein Lokal gibt, wo man eine ordentliche Pizza bekommt, oder?« War das gerade eine Einladung? Jo. Warum in drei Teufels Namen fühle ich mich eigentlich zu diesem Tollpatsch hingezogen? Wahrscheinlich sollte ich mit dem General ein wenig schneller machen, ehe ich völlig durchdrehe. Du hast hier Arbeit zu erledigen, Cally. Wach auf, verdammt, anstatt dich an nette Lieutenants ranzumachen.

»Ja, da weiß ich genau das richtige Lokal, Ma’am. Ich könnte Ihnen den Weg erklären, aber es hat keine besonders große Tafel. Die kostet bloß Geld, und ich schätze, Lin ist der Ansicht, dass er das nicht braucht. Er macht ohnehin das größte Geschäft mit Lieferung ins Haus. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Gesellschaft zu haben, ich habe auch noch nicht gegessen …«

»Äh, das wäre nett, Pryce.« Schließlich muss ich ohnehin essen. Das hat überhaupt nichts mit diesen abgrundtiefen schwarzen Augen zu tun. Überhaupt nichts.


Die Little Venice Pizzeria war ein winziges Lokal auf der unteren Etage. Stewart schätzte, dass die Küche die Hälfte der gesamten Fläche einnahm. In der kleinen Gaststube herrschte etwas mehr Betrieb als üblich, aber sie brauchten nicht lange zu warten, bis sie einen Tisch bekamen. Während der Helfer ihren Tisch sauber machte, nutzte er das Sammelsurium von Drucken und neu interpretierten Holos des alten Venedig als Anregung für Small Talk. Rings um die Gaststube hingen Blumenkästen mit üppigem Grün, sodass das ganze Lokal viel stärker an die Erde erinnerte als jeder andere Ort, den sie bisher auf Titan kannte. Im Hintergrund lief eine Tony-Bennett-Schnulze. Stewart sah, dass sie die Plastikrosen auf dem Tisch bemerkt hatte und lächelte.

»Nicht gerade der richtige Ort für ein Geschäftsessen, Lieutenant.«

»Wollten wir über das Geschäft reden, Ma’am? Die machen hier eine sehr ordentliche Pizza. Ich weiß nicht, ob Sie sehr hungrig sind, aber ich bin es jedenfalls. Teilen wir uns eine Große?«

»Klingt gut. Bilde ich mir das ein oder riecht es hier drinnen nicht so … nach Smog … wie draußen?«, fragte sie.

»Das bilden Sie sich nicht ein. Lin hat zusätzliche Filter einbauen lassen, und die Pflanzen helfen auch. Er sagt, die Luftverschmutzung sei schlecht für die Hefe, was immer das bedeutet. Also, Ma’am, was mögen Sie gerne auf Ihrer Pizza?«

»Alles und zusätzlichen Käse.« Makepeace grinste wie ein kleines Kind.

»Äh … Ma’am, wie wär’s mit con tutto, aber ohne Anchovis?« Er ging zur Theke und sah sich nach ihr um, schob eine Augenbraue hoch.

»Einverstanden.«

»Eine große Müllpizza, extra Käse und ohne Katzenfutter.« Er musterte die schmächtige Brünette hinter der Theke neugierig. »Hi, Suzannu, nett, Sie wieder mal zu sehen. Wo ist Lin?«

»Seine Frau ist krank, also helfe ich hier ein paar Tage aus, bis es ihr wieder besser geht. Hab’s kapiert, einmal Müll ohne Katze, zusätzlich Käse. Kommt in einer Viertelstunde. Wollen Sie was dazu trinken?« Sie stellte zwei leere Becher auf die Theke. »Tut mir Leid, hab nicht viel Zeit, um mich zu unterhalten. Weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht und wie ich das alles hier schaffen soll, bloß ich und Jon, und wir haben wirklich Hochbetrieb.«

Ganz wie er das erwartet hatte, als er seinen Ausweis rauszog und ihn durch den Leser zog, versuchte Makepeace zu bezahlen, aber das ließ er nicht zu, und sie ging nicht so weit, einen Befehl daraus zu machen. Wahrscheinlich würde er sie beim nächsten Mal bezahlen lassen. Was? Augenblick mal — nächstes Mal? Sie ist nicht einmal ein Drittel so alt wie du, du Idiot, und außerdem strohdumm. Komplikationen brauchst du bei diesem Job ganz sicherlich nicht. Also, nach dem Job — sie ist immer noch nur ein Drittel so alt wie du und strohdumm, aber … sie ist offensichtlich volljährig und, hey, Hirn ist schließlich nicht alles. Und Wahnsinnstitten hat sie.

Sie bekamen ihre Drinks und nahmen Platz, was einen Augenblick lang Verwirrung auslöste, weil beide einen Platz mit Blick zur Tür suchten. Er ließ ihr den Vortritt. Sie war Captain, und er lief hier als Lieutenant. Der Tür den Rücken zuzuwenden, nervte ihn, aber da konnte man nichts machen.

»Weshalb sind Sie eigentlich zu Fleet Strike gegangen, Pryce?«

»Um aus der SubUrb rauszukommen, für die Runderneuerung, um off-planet gehen zu können, das Universum sehen, Posties wegpusten. Reicht das, Ma’am?«

»Also, wenn Sie nicht mit Ma’am aufhören, wird das ein langer Abend, Pryce. Außer Dienst können Sie das Ma’am getrost weglassen und einfach Makepeace sagen, okay?«

»Okay Und warum sind Sie ausgerechnet zu Fleet Strike gegangen?« Er vertilgte das erste Drittel seines Drinks.

»Um von der Farm zu kommen. Für die Verjüngung. Um wenigstens von einer Welt ein bisschen mehr zu sehen zu bekommen, ohne gleich Kolonistin werden zu müssen. Ich wollte nicht Farmersfrau auf der Erde werden und auch nicht auf irgendeinem anderen gottverlassenen Planeten. Zuhause hatte ich nicht die leiseste Chance. Mein Bruder wird die Farm übernehmen, und ich hätte inzwischen entweder drei kleine Kinder haben und mir dort, wo ich aufgewachsen bin, als Farmersfrau den Hintern aufreißen können. Oder hier sein. Ich habe mich für hier entschieden. Und wenn die mich rausgeschickt hätten, um Posties kaltzumachen, na ja, die sind immerhin der Grund, dass ich nie meine Großmutter mütterlicherseits kennen gelernt habe, also haben die, schätze ich, noch was von meiner Familie gut.«

»Die Verjüngung war mir auch wichtig, aber am Ende wäre ich genau deswegen beinahe doch nicht dazu gegangen. Wo ich herkomme, mag man keine Runderneuerten«, sagte er.

»Vielleicht wird das Vorurteil nicht mehr so groß sein, wenn wir in fünfzig Jahren rauskommen. Oder die Präparate sind dann allgemein verfügbar, und es gibt keinen Grund mehr, darauf neidisch zu sein.« Sie zupfte am Tischtuch.

»Optimist.« Er grinste, und sie grinste zurück, und in diesem Augenblick war sie für ihn so schön, dass er einen Augenblick den Atem anhielt und sie bloß anstarrte.

Als er schließlich wieder einatmete, ging das ganz plötzlich, und dann hingen ihre Augen aneinander, und beide hatten aufgehört zu lächeln. Suzannu zerstörte den Zauber, indem sie seinen Namen rief und eine Pizzaplatte auf die Theke schob. Er nutzte die Chance, den Blick von ihr loszureißen und das Essen zu holen.

Sinda dabei zuzusehen, wie sie ein Stück Pizza aß, war faszinierend. Sie nahm es mit einer Hand und stützte die Pizzaschnitte mit zwei Fingern der anderen ganz vorn unter der Spitze. Er war fest überzeugt, dass sie sich alles, was auf dem Teig lag, in den Schoß kippen würde, aber das tat sie nicht. Sie biss vorsichtig ab und schloss die Augen, um den ersten Bissen voll zu genießen.

»Mmmm. Das schmeckt herrlich.« Sie schlug die Augen wieder auf und biss ein zweites Mal ab, und Stewart bemerkte, dass er sie nicht nur anstarrte, sondern dass er sich selbst nichts genommen hatte und die Pizza kalt werden ließ. Er legte sich ein Stück auf seinen Teller und rückte ihm mit Messer und Gabel zu Leibe. Ja, zu ihm würde es passen, das ganze Stück zu nehmen und sich etwas davon auf die Hosenbeine fallen zu lassen, aber das würde einen peinlichen Flecken auf seiner Seide hinterlassen, und er hatte keine Lust, sich vor Sinda zum Narren zu machen.

Du bist zu alt für sie, du Idiot, schalt er sich, aber trotzdem verzichtete er auf irgendwelche peinlichen Tollpatschigkeiten.

»So, Pryce, und was machen Sie für den General, ich meine, abgesehen davon, dass Sie Neuankömmlinge über die Vorgeschichte seines Kommandos informieren?«

»Und Schnittchen herumreichen?« Er grinste.

Sie musste lachen, und dabei bewegte sie leicht den Kopf, und das Licht fiel auf ihr Haar. Er sah ihr in die Augen. Sich nicht ganz auf Makepeaces wirklich spektakulären Oberkörper zu konzentrieren, das erforderte ziemlich große Willenskraft.

»Ich koordiniere die Wochenberichte der Agenten und die Dienstag- und Donnerstagsonderberichte über wichtige Ermittlungen«, sagte er.

»Heißt das organisiertes Verbrechen?«

»Jo, die Tongs.« Er nickte.

»Ich habe die Unterlagen gelesen, aber daraus konnte ich nicht entnehmen, weshalb ihr nicht einfach mit denen Schluss macht.« Sie hatte den Kopf etwas zur Seite gelegt und war jetzt ganz Wissbegierde.

»Das hat man versucht. Vor etwa zwanzig Jahren.« Während er sprach, beugte sie sich vor, die Hände auf dem Tisch verschränkt, und lauschte gebannt. »Plötzlich kamen die Reisearrangements von Fleet Strike völlig durcheinander, es kam zu unmöglichen Verspätungen, zu Problemen mit der Schiffsverpflegung, und die Umweltbedingungen in den Quartieren fielen ständig aus. Also hat der General von Fleet Strike mit dem General von Fleet gesprochen, und das Ende vom Lied war, dass wir die Tongs als legitime, bürgerliche Organisationen behandeln und nur individuelle Mitglieder verhaften, die wir bei regelrechten Straftaten erwischen.«

»Okay.« Sie nickte, aber ihr leicht glasiger Blick ließ ihn argwöhnen, dass sie noch nicht ganz verstanden hatte.

»Was haben sie dann hinsichtlich all der Probleme in der Flotte unternommen?«, fragte sie.

»Fleet hat sie gelöst«, antwortete er langsam.

Sie nickte wieder, und er hatte alle Mühe, nicht laut aufzulachen.

Wenn dies eine normale Verabredung gewesen wäre oder überhaupt eine Verabredung, hätte er jetzt über den Tisch gegriffen und ihre Hand gehalten, und dann hätten sie vielleicht eine zweite Runde Getränke bestellt und wären sitzen geblieben und hätten sich nach dem Essen noch eine Weile unterhalten. So sagte sie, sie habe noch Einkäufe zu machen, und er meinte, er habe in seinem Quartier noch einiges zu erledigen, und sie gingen getrennte Wege. Auf dem Transitwagen zu seinem Quartier sah er immer wieder ihr platinblondes Haar und die Lichtreflexe darauf und wie Sinda über eine seiner scherzhaften Bemerkungen lachte, wie sie Schmolllippen bekam, wenn sie an ihrem Glas nippte. Und dann war die Fahrt schon vorüber, als hätte sie überhaupt keine Zeit in Anspruch genommen.

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