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Ein paar Minuten nach sieben bestieg sie den Expresszug zum Rekrutierungsbüro von Fleet Strike. Sie war mit einem karierten blauen Faltenmini, knöchellangen Socken, flachen schwarzen Lederpumps und einem weißen Oxfordhemd bekleidet. Die paar Minuten der Zugfahrt benutzte sie dazu, rosafarbenen Lippenstift aufzulegen, sich die Nägel im gleichen Rosa zu lackieren und ihre großen, braunen Augen mit geschicktem Make-up noch größer erscheinen zu lassen. Danke, Wendy, richtige Waschbärenaugen, kann man sagen.

Die Daten im Netz waren richtig gewesen. Gegenüber der Bahnstation stand ein bescheidenes holzverkleidetes Gebäude, das offensichtlich wie eine Strandhütte aus der Vorkriegszeit aussehen sollte, mit einer Tafel, die in Englisch und in japanischen Kanji-Schriftzeichen potenzielle Gäste darüber informierte, dass sie vor dem Famous New Kobe Sushi Bar and Pool Saloon standen. Eine kleine Wolke aus dichtem Tabakrauch schlug ihr durch die Tür entgegen, als sie sie öffnete, und mit ihr eine nicht unangenehme Mischung aus Sojasauce, Ingwer, Wasabi und Bier. Den zahlreichen Fleet-Uniformen nach zu schließen, hatte sie den richtigen Ort gefunden. Sie lächelte verschmitzt über ein paar bewundernde Pfiffe, die offenbar ihr galten, sah sich im Raum um und schloss aus den diversen Flaschen und Dosen auf den Tischen, dass man hier Bier aus Milwaukee schätzte. Sollte ihr recht sein. Sie nahm an der Bar Platz, bestellte sich ein Bier und äußerte keine Einwände, als einer der Raumsoldaten an der Bar anbot, sie dazu einzuladen.

»Na ja, ich kann eigentlich nicht gut fragen, ob du oft hierher kommst, weil ich mich dann sicher an dich erinnern würde, also … nun ja, hi, ich bin Eric Takeuchi.« Er streckte ihr die Hand entgegen, aber als er dann danach griff, schüttelte er sie nicht etwa, sondern führte sie an die Lippen, beobachtete sie dabei aber aufmerksam, um sicherzugehen, dass er ihr nicht zu nahe trat.

Verführer. Ob ich spielen will? Keine Ahnung. Sie musterte ihn, bildete sich mit einem Blick eine Meinung über ihn. Das glatte schwarze Haar, das vorne eine Spur zu lang war und ihm in die Stirn fiel, das vergnügte männliche Interesse in den dunkelbraunen Augen, die makellose Uniform. Sieht ja ganz nett aus, denke ich, aber wahrscheinlich mehr Charmeur als wirklich aufrichtig. Kann’s noch nicht sagen. Einen Happen mit ihm essen und ein paar Runden Billard. Vielleicht, wenn er mit Stil verlieren kann.

Sie versuchte ihr Sashimi-Mix selbst zu bezahlen, nahm aber höflich an, als er dagegen protestierte.

»Ein paar Runden Billard?« Sie deutete mit ihrem Bier zu einem Billardtisch hinüber, der gerade frei geworden war.

»Gern. Du magst also Billard?«

Freundlich, liebenswürdig, aber nicht übermäßig intelligent. Sie nahm mit der anderen Hand ihren Teller, ging zu dem Tisch hinüber, stellte ihren Teller auf den Tisch und suchte sich unter den Queues im Regal eins aus, das einigermaßen gerade war.

»Willst du anfangen?« Er stellte sein Bier neben das ihre, nahm sich selbst ein Queue und lehnte es an den Tisch, während er die Kugeln aufbaute.

»Ja, gern.« Immerhin konnte er die Kugeln regelgemäß ordnen. Sie rieb sich die Finger mit Kreide ein, ehe sie die weiße Kugel von ihm entgegennahm — legte sie hin, bereitete sich auf ihren Stoß vor und stieß dann zu, unterdrückte ein selbstgefälliges Grinsen, als zwei Halbe eine Tasche fanden.

»Schätze, da muss ich mich anstrengen.« Er prostete ihr mit seinem Bier zu. »Sauberer Stoß für ein Mädchen.«

»Ja, kann man sagen.« Sie nickte und blickte ihm nach, wie er aufstand und um den Tisch herumging, um seinen Stoß auszuführen.

»Das hast du wohl schon mal gehört.«

»Vielleicht sogar ein paarmal.« Sie grinste verkniffen. Na ja, wie viele blöde Redensarten gibt es schon, die ich bei meinem Alter nicht schon mal gehört habe. Mitgehen oder nicht, das ist die Frage. Ach was, benimm dich, Cally … aber das hat er sich verdient. Nee, muss mich benehmen.

Sie zeigte auf Kugel vierzehn, sagte die Tasche in der linken Ecke an und stieß dann eine Spur zu heftig zu. Die Kugel verfehlte die Tasche, prallte auf das Tuch zurück, sodass die Weiße für einen einfachen Stoß auf die Kugel in der rechten Tasche dalag. Sie zuckte überzeugend zusammen und zog einen Schmollmund. »Na ja, wenigstens habe ich keine von deinen Kugeln versenkt. Du bist dran.«

»Äh, ja.« Er sah sie einen Augenblick lang an und schüttelte den Kopf, als würde er gern etwas sagen, habe es sich dann aber anders überlegt.

»Was?« Sie grinste, tauchte eine Nori-Rolle in die Wasabi-Sauce, biss davon ab und beobachtete ihn, wobei sie für den Fall, dass Sauce heruntertropfen sollte, die andere Hand unter das Kinn hielt.

»Nein, das kann ich nicht sagen«, sagte er mit einem breiten Grinsen und schüttelte den Kopf.

»Na schön, meinetwegen.« Sie legte den Kopf nachdenklich etwas zur Seite, als er auf die beiden Ecktaschen deutete und die Eins und die Sieben ordentlich darin versenkte. Bei seinem nächsten Stoß hatte die Weiße eine Spur zu viel Effet im Uhrzeigersinn, worauf die Vier hängen blieb und vor der linken Seitentasche zum Stillstand kam.

Sie reckte sich ein wenig behielt die Hände dabei aber dicht am Körper, griff sich ihr Queue und ging auf die andere Tischseite. Okay, verliere ich jetzt geschickt, nehm ihn mit nach draußen und leg ihn flach. Oder riskiere ich, dass er ein Miesmacher ist, und spiele ein wenig? Sie sah sich in der Bar um, die sich mittlerweile weiter mit Uniformen gefüllt hatte; ihr fiel auf, wie zwei Typen riesige Lautsprecher auf die schmale Bühne rollten. Scheiß drauf. Ich mag nicht verlieren. Wenn er sich blöd anstellt, na ja, hier gibt’s noch andere Typen.

Er wippte leicht auf den Fußballen, offenbar juckte es ihn, auf und ab zu gehen. Stattdessen zog er sich einen Stuhl heran, setzte sich rittlings darauf und nahm einen Schluck von seinem Bier, ehe er die Arme über die Stuhllehne legte. Das trug ihm ein strahlendes Lächeln von ihr ein.

»Ich denke, ich kann die Elf und die Vierzehn dort versenken.« Sie deutete mit dem Zeigefinger auf die entsprechende Ecke und sah ihn dann schmollend an. »Wenn ich das versuche, wirst du doch nicht etwa sauer sein, falls ich unterwegs ein paar andere kleine Kugeln treffe, oder?«

Er schob die Augenbrauen hoch, wehrte aber dann mit einer bewusst galanten Geste ab. »Aber selbstverständlich nicht, Lady.«

Der bildet sich ein, dass er mich jagt. Richtig lieb. Ihr Lächeln zuckte leicht, als sie sich über ihr Queue beugte und hart die Drei anstieß, worauf die Elf sauber in die Tasche plumpste, während die Weiße an der gegenüberliegenden Seite von der Bande abprallte, zurückkam und der Vierzehn einen kleinen Schubs verpasste, worauf diese in der Tasche versank, während die Weiße dicht vor dem Loch liegen blieb.

»Wow, geschafft.« Sie klatschte in die Hände und sah ihn aus großen Augen an.

Er wäre beinahe an seinem Bier erstickt, aber sie musste zugeben, dass er sich gut im Griff hatte. »Ein ausgezeichneter Stoß. Du spielst offenbar so gut wie du schön bist.«

Armes Kerlchen. Er trägt ein wenig zu dick auf. Na ja, wenigstens wird er sich gebührend begeistert geben. Sie wies auf die Bühne, wo inzwischen ein Schlagzeug und eine Kabeltrommel aufgetaucht waren, die jetzt mit einer Schalttafel hinter der Bar verbunden wurde. Einer der Typen in Jeans und T-Shirt ging hinter dem Kabel her und befestigte es mit Isolierband am Boden. »Taugen die was?«

»Kann man wohl sagen! Die sind wirklich gut. Der Leadsänger war in der Grundausbildung in meiner Einheit. Sie haben Sondererlaubnis, bei ihren Shows Zivil zu tragen. Das ist so eine Art Revival von klassischem Heavy Metal, allerdings mit ihrer eigenen Musik. Aber sie bringen in jeder Show bloß eine Nummer davon. Dann magst du also Musik?« ja, und deshalb fürchte ich, dass das ziemlich schmerzlich sein wird. Ganz zu schweigen davon, dass es mir vor einem Einsatz das Gehör versaut und ich dann nicht richtig auf die Platte achten kann. Was also tun? Einsehen, dass es keinen Sinn hat, oder versuchen, mich von ihm flachlegen zu lassen? Verdammte Hormone. Das ist genauso schlimm, als ob man ein siebzehnjähriger Junge wäre. Aber die meisten Frauen wären nicht einverstanden, wenn bei der Verjüngung die Uhr für ihre Hormone zu weit zurückgedreht würde. Verdammte Idioten. »Ich mag Live-Musik! Heavy Metal, was? Klassische Kriegsmusik ist so cool.«

Sie versenkte beiläufig die Neun in die Seitentasche, wo die Vier ihr nicht den Weg versperrte.

»Ich bin froh, dass ich nicht gegen dich gewettet habe, Lady.« Er betrachtete die Dreizehn, die hinter der Zwei und der Sechs lag, und anschließend die Zehn an der Bande.

»Yeah, heute Abend habe ich wirklich Glück. Ich hätte wetten können, dass ich den letzten Stoß verpasse, und jetzt bin ich schon wieder dran.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, ging um den Tisch herum und setzte sich schräg auf die Kante, um das Queue hinter ihrem Rücken in die richtige Position zu bringen.

»Brauchst du die Brücke?«

»Eigentlich schon, aber ich kann das nicht besonders gut«, log sie und stieß die Weiße von dieser Seite weg, sodass sie über die Bande zurück zu den anderen Kugeln rollte und sie um mindestens zwei Zentimeter verfehlte — und ihm daher einen sauberen, geraden Stoß auf die Sechs ermöglichte. Ich bezweifle stark, dass er mit einem Stoß fünf Kugeln versenken kann, aber verdammt, ’ne Chance hat er. In diesem Spiel jedenfalls. »Ups, Foul. Du bist dran.«

Sie schmiegte sich an ihr Queue und zog mitfühlend einen Flunsch, als er auf dem Weg zum Tisch stolperte. Ja, jetzt bist du über deine Zunge gestolpert. Braver Junge. Sie ging um den Tisch herum, um neben ihm zu stehen, aber ohne ihn zu behindern.

Er leckte sich über die Lippen, stieß eine Idee zu heftig zu und sah der Weißen nach, wie sie hinter der Sechs in der Tasche versank. Er verzog das Gesicht, legte die Kugel wieder auf den Tisch und drückte ihr die Weiße in die Hand.

»Schon wieder über Bande«, schmollte sie. »Ich denke, ich werde ihn von der Zwei in die Ecktasche befördern müssen.« Sie legte die Kugel auf den Tisch und machte ihren Stoß, erwischte die Dreizehn von hinten und streifte die Zwei gerade genug, um deren Bahn zu korrigieren und sie locker ins Eckloch zu befördern. Sie deutete auf die Acht. »Ecktasche.« Letzte Phase.

»Noch ein Spiel?« Ein etwas gequälter Blick von der Seite, wie er einem guten Verlierer zukam.

»Na klar.« Sie schob sich ein Stück Sashimi in den Mund und fing an, die Kugeln aufzureihen. Hinter der Bühne rollten weitere junge Männer in Jeans und T-Shirts, einer davon mit kahl geschorenem Schädel, ein Transparent aus, auf dem man lesen konnte, dass die Gruppe sich »The Awesome God« nannte. Cally verzog das Gesicht. Tut richtig weh, wenn das etwas über ihre Originalität sagen soll …

Er versenkte die Eins und die Dreizehn. »Was für Musik magst du denn, Marilyn?«

»Das kommt auf meine jeweilige Stimmung an. Meistens eine Mischung aus Organic und Antimaterie-Fusion. Ich bin aber ziemlich wählerisch. Weißt du, manchmal leg ich auch einen alten Urb Jam auf oder etwas Klassisches.«

»Was verstehst du unter Klassisch?«

»Hauptsächlich kriegerisches Zeug. Du weißt schon, Nirvana, Van Halen. Alles, bloß nicht von dieser Alanys-Tante, oder wie sie heißt. Das ist jämmerliches Geheule!«

»Oh, ich denke, die habe ich schon mal gehört. Meine Ex-Freundin hatte da ein paar ziemlich wilde Würfel.« Er legte einen sauberen Stoß hin.

Es könnte schlimmer sein. Schließlich könnte sie auch im Hotel sitzen und die Wände anstarren. Sie versenkte drei Kugeln, ehe sie einen Stoß verpatzte, um sich wieder ihrem Bier widmen zu können. Gerade war sie bei ihrem Stuhl angekommen, als die erste laute Tonexplosion, die man sehr großzügig als Akkord hätte bezeichnen können, an ihre Ohren drang. Autsch.

Offensichtlich war die Glatze zugleich Leadsänger und Leadgitarre. Bassist und Schlagzeuger hatten sich beide nicht sonderlich überzeugende »Metall«-Perücken aufgesetzt. Oh, was für ein Gag! Sie lächelte verzerrt. Man sollte die Heulboje an den Daumen aufhängen …, nein, das wäre abgedroschen …, den großen Zehen. Über einem kochenden Kessel mit geschmolzenem Stinkkäse. Und dabei müsste er Kopfhörer tragen, die ständig auf dieses Gesäusel von Fahrstuhlmusik eingestellt sind. Und dann müsste man ihm die Gedärme aus dem Leib ziehen und Feuerameisen darauf ansetzen. Richtig hungrige Feuerameisen. Und der Bassist … dem müsste man diese kanadische Tussi anhängen. Und ihn aufs Rad flechten. Ich habe das nie einem angetan. Yeah. Das sollte funktionieren. Und der Drummer. Nackt in einem Kessel voll Sand und Giftefeu. Und Moskitos. Texasmoskitos. Und dazu sollte ihm dieser Typ etwas in die Ohren jammern, der ständig die Sache von dieser Taube gewimmert hat. Das sollte ziemlich lange vorhalten …

»Ist das nicht großartig?!«

Cally zuckte zusammen, fuhr in die Höhe und sah sich um, sah ihn hinter sich stehen und grinste ihm vergnügt zu.

Mein Gott, der hat sich tatsächlich von hinten an mich angeschlichen? Ich muss echt sauer sein. Awesome God! Wirklich schrecklich. Sie unterdrückte einen Seufzer. Okay, langweilige, sich ständig wiederholende, einem die Trommelfelle zerreißende Musik ist kein hinreichender Grund für Totschlag. Aber, verdammt noch mal, eigentlich sollte sie das sein. Die sollten die Regeln ändern. Verdammter Mist. Das verdammte Hotel ist mir da letztlich doch tausendmal lieber.

»Ist fabelhaft, aber ich muss gehen.« Sie versuchte verzweifelt, ihm eine plausible Ausrede aufzutischen. »Mir ist gerade eingefallen, dass meine Großmutter Geburtstag hat, und ich habe versprochen, dass ich sie anrufe.« Sie lächelte Nachsicht heischend und stand auf, nahm ihr Bier mit, als sie sich den Weg durch die Menge zur Tür bahnte, bloß weg von diesem schrecklichen Lärm.

Natürlich folgte er ihr nach draußen.

»Wirklich schade, dass du gehen musst. Wir hatten doch solchen Spaß zusammen. Was ist, darf ich dich zu deinem Wagen bringen, oder so?«

»Ich bin mit dem Zug da.«

Seine Gesichtszüge entgleisten ihm leicht, hellten sich aber schnell wieder auf. »Das ist auf der anderen Straßenseite. Ich komme mit. Ein hübsches Mädchen wie du sollte nach Einbruch der Dunkelheit nicht allein an einem Stützpunktort sein. Besonders am Wochenende. Ich meine, ich hoffe, dass dich niemand belästigen würde, aber du weißt ja, Matrosen …« Er verstummte, ging neben ihr bis zur Kreuzung und sah sich nach beiden Seiten um, ob die Straße frei war.

Auf dem Parkplatz des Bahnhofs gab es ein paar dunkle Stellen, wo eine Lampe ausgebrannt und nicht ersetzt worden war, darunter auch eine bei einem kleinen Gebüsch. Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu, als sie daran vorbeikamen, nahm seine Hand und zog ihn in den Schatten.

Eine Weile später kamen sie wieder heraus und setzten den kurzen Weg zum Zug fort. Sein Arm lag jetzt über ihrer Schulter, und er küsste sanft ihr Haar, bemühte sich, die kurze Strecke Weges möglichst in die Länge zu ziehen.

Cally konzentrierte sich ganz darauf, normal zu gehen. Na ja, das war totale Zeitvergeudung. Trotzdem lehnte sie sich an ihn und lächelte süß. Es hatte ja keinen Sinn, sich etwas anmerken zu lassen. Sagen wir viereinhalb auf einer Skala von eins bis zehn. Dieser seltsam metallische Schweißgeruch ist … ganz und gar nicht erotisch. Und sein Mund, der ihm die halbe Zeit offen stand wie bei einem Fisch, war das auch nicht. Na ja, das sollte heute Abend eben nichts werden. Dabei sah er ganz nett aus …

»Wenn ich, äh … deine Telefonnummer hätte, könnte ich, äh … du weißt schon, in Verbindung bleiben«, erbot er sich mit einem hoffnungsvollen, albernen Lächeln.

»Gern, hast du einen Stift?« Sie rasselte eine Nummer herunter, die der Vorwahl nach aus Chicago stammen konnte, und küsste ihn leidenschaftlich, ehe sie ihre Marke in den Schlitz schob und durch das Drehkreuz ging. Als sie eine passende Stelle auf dem nur schwach besetzten Bahnsteig suchte, konnte sie das Kreischen der Bremsen eines ankommenden Zugs hören. Der Zug hielt rasselnd an, und als die Türen aufgingen, stieg sie ein und fand einen Sitzplatz. Sie sah sich nicht um.

Erst halb elf, stellte sie nach einem Blick auf die Uhr fest. Na ja, egal, Schlaf ist gesund.


Sonntag, 19. Mai


Um drei Uhr morgens hinauszufahren, um sich einen Download von ihren Kameras zu holen, machte nicht gerade Spaß. Zu wissen, dass sie gerade nahe genug heranfahren musste, um den Download auf Sichtweite vorzunehmen, dann zum Hotel zurückzukehren und dort zu Bett zu gehen, machte es nicht leichter. Das lohnte nicht einmal eine Tasse Kaffee aus einem Schnellimbiss. Etwa eineinhalb Stunden, nachdem sie ihr Zimmer verlassen hatte, kroch sie ins Bett zurück und wälzte sich dann gute zwei Stunden auf dem zu weichen Kopfkissen und der durchgelegenen Matratze herum, ehe sie schließlich wieder einschlief.

Als sie am frühen Nachmittag aus dem Bett taumelte, hatte sie einen Geschmack im Mund, der sie an Klebstoff und den Inhalt eines Aschenbechers erinnerte. Nach einer Dusche und Kaffee aus der Kaffeemaschine in ihrem Zimmer holte sie einen Beutel Studentenfutter aus dem Koffer und mampfte das Zeug, während sie die Kameraausbeute mit ein paar Suchfiltern auf Szenen einkürzte, auf denen Menschen oder fahrende Fahrzeuge zu sehen waren. Das Ergebnis sah sie sich auf dem Fernseher in ihrem Zimmer an und gab unterdessen eine Mustergrafik auf ihrem PDA ein. Unglücklicherweise war das System zu lange eingeschaltet gewesen und stürzte deshalb ab. Sie fand irgendwo eine Büroklammer und bog sie auf, um an den Resetknopf zu kommen, schnitt dem schreienden Gesicht auf dem Bildschirm eine Grimasse, als das System bootete, und wartete dann ungeduldig, während das Gesicht erstarrte und nach einer Weile verschlafen die Augen aufschlug. »Guten Morgen … okay, dann eben schönen Nachmittag … ich bin dein Buckley, und ich weiß jetzt schon, dass das ein schlimmes Ende nehmen wird.«

»Okay, Buckley, Stimmzugang abschalten.«

»Was? Dann bin ich doch stumm! Du würdest mir doch das nicht antun, oder?«

»Buckley, Stimmzugang abschalten.«

»Ich sehe schon, du verstehst keinen Spaß. Pfft!« Das Gesicht verabschiedete sich mit einem unflätigen Geräusch von ihr, ehe es verstummte und in die Leiste unten am Bildschirm einschrumpfte. »Okay, ganz wie du willst, lässt dir ja doch nichts einreden. Was nun?«

Sie kritzelte in das Eingabefeld und sah, wie ihre Befehle unter der Bildschirmausgabe des PDA auftauchten. »Gesichtssimulation abstellen.«

»Yeah, na ja, bist ja selbst auch nicht so hübsch«, huschte es über den Bildschirm, sichtlich verärgert, zuckte dann aber ganz oben auf den leeren Bildschirm.

»KI-Emulation auf Level zwei einstellen.«

»Was? Hör zu, du Schlampe, als ob ich nicht schon genug Ärger hätte! Zuerst hängst du mir einen Maulkorb um, dann knallst du mir die Tür vor der Nase zu und dann noch eine Lobotomie … bereit zur Befehlseingabe.«

Sie tippte den Okay-Button und rief dann wieder das Video auf, um es über die improvisierte Labelverbindung auf den Fernseher zu übertragen, schob es dann in den Hintergrund, rief ihr Musterprogramm auf und seufzte. »Ich hasse Booten.«

»Du hasst Booten!«, scrollte es unten über den Bildschirm.

»Klappe halten, Buckley.« Sie griff sich wieder eine Hand voll Studentenfutter und fuhr fort, die Leerstellen auszufüllen. Die simulierte Persönlichkeit würde Tage brauchen, bis sie wieder schlafen konnte.

In gewisser Weise waren die Samstagsdaten der Kamera nicht sonderlich nützlich, da die Leute am Wochenende gewöhnlich ihre Verhaltensmuster gründlich ändern. Trotzdem musste es sein. Ihre Zimmerkollegin auf der Schule hatte eine Übung geschmissen, bloß weil sie bei ihrer Überwachungsaufgabe nicht aufgepasst und deshalb nicht bemerkt hatte, dass die Zielperson einen Hausgast hatte. Die achtzigjährige, blauhaarige Mutter der Zielperson war plötzlich ins Zimmer geplatzt, als sie gerade damit beschäftigt war, einen Haufen schmutziger Unterwäsche und Socken zu durchwühlen, und hatte sie anschließend die Treppe hinunter und nach draußen geprügelt und ihr dabei lautstark eine Predigt über verkommene Schlampen gehalten. Bei der Abschlussbesprechung hatte sie dann erfahren, dass die Mutter eine verjüngte Agentin mit einem kosmetischen Alterungspaket gewesen war, was die ungewöhnliche Lebhaftigkeit der alten Dame erklärte. Cally sah immer noch Cheryls entsetzten Gesichtsausdruck auf dem Bildschirm der Überwachungskamera, als sie aus dem Haus geflohen war und mit beiden Händen versucht hatte, die Stockschläge der alten Dame abzuwehren.

Die Lektion hatte sie sich gemerkt.

Diese Videos hier zeigten einen äußerst beruhigenden Mangel an Überraschungen, und als sie zum Mittagessen ging, fühlte sie sich einigermaßen sicher, dass diese Solooperation recht glatt ablief.

Den Rest des Sonntags gab sie sich alle Mühe, nicht zu sehr unter den Nachteilen jeglicher Art von Überwachungstätigkeit zu leiden — nämlich der Langeweile. Glücklicherweise hatten ihr die Kameras so viel Arbeit abgenommen, dass sie wesentlich mehr Freiheiten hatte, als das in der Zeit vor dem Krieg der Fall gewesen wäre. Sie sah sich einen Film an und verbrachte einige Stunden in einem Fitnessstudio mit Hip-Hop.

Nach dem Abendessen legte sie sich schlafen. Es gab eine Unzahl chemischer Ersatzmöglichkeiten für Schlaf, und für einige davon war sie nicht einmal immun, aber keine davon war so wirksam wie das einzig Wahre. Morgen würde es ein langer Tag werden.


Montag, 20. Mai


Um vier Uhr morgens kämpfte sie immer noch mit der Müdigkeit, als die erste Krise des Tages einsetzte und sie fluchend vor der überlaufenden Hoteltoilette stand. Das dafür erforderliche Werkzeug war natürlich nicht vorhanden. Sie warf die Handtücher auf den Boden, arbeitete sich angewidert auf Zehenspitzen an die Hinterseite des Dings und kauerte sich nieder, um hinten das Wasser abzustellen. Dann trottete sie zum Waschbecken hinaus und benutzte den letzten sauberen Waschlappen, um sich das Gesicht zu waschen und sich einigermaßen sauber zu machen. Okay, dann muss heute eben der Hausmeister hier rein. Lässt sich nicht vermeiden. Muss ich eben alles einpacken.

Um fünf stand sie an der Hoteltheke, gab sich alle Mühe, nicht mit den Fingern auf die Theke zu trommeln oder — was noch besser wäre — den Angestellten dahinter zu erwürgen, während sie ihn anbrüllte, gefälligst seinen Hintern in Bewegung zu setzen. Offensichtlich setzte das Hotel nicht gerade seine besten Leute für die Nachtschicht ein. Es war beinahe halb sechs, bis der Trottel es schließlich geschafft hatte, jemanden für ihr altes Zimmer zu bestellen, sie auszubuchen und sie für den nächsten Tag in ein anderes Zimmer neu einzubuchen. Sie stopfte sich die Schlüsselkarte in die Tasche und ging. Es hatte keinen Sinn, ihre Sachen — das Wenige, was sie mit hatte — wieder aus dem Kofferraum zu holen, und eine Menge gute Gründe, es bleiben zu lassen.

Sie stieg in ihren Wagen und saß einen Augenblick lang da, ohne den Zündschlüssel umzudrehen. Eigentlich muss ich diesen Dreckskerl ja nicht umbringen. Sie knirschte mit den Zähnen, ließ den Motor an und rollte von dem Parkplatz in den noch schwachen, aber zusehends dichter werdenden Verkehr. Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf, als sich vor ihrem inneren Auge das Bild eines hoch gewachsenen Mannes — hoch gewachsen für eine Achtjährige — aufbaute, der stumm dastand und die Saurierziele aufstellte, als sie in Schussweite kamen. Die Hand auf ihrer Schulter, die sie stützte, damit sie den Gravkarabiner wieder aufs Ziel richten konnte. Sicher muss ich das nicht. Keinen würde es kümmern, wenn ich es nicht täte … keinen, außer die Toten. Und mich muss ich jeden Tag im Spiegel sehen. Und Robertson in die Augen, wenn ich je wieder mit ihm arbeite. Und was Grandpa denken würde. Und ein Scheißverräter ist er auch und gehört umgebracht. Verdammt. Und er ist der Letzte. Der Letzte, dem ich es schuldig bin. Der Einzige, dessen Leiche ich nicht gesehen habe und dem ich nicht selbst die DNA-Werte entnommen habe. Und das sollte mir verdammt noch mal eigentlich eine Lehre sein, aber hinterher ist es bloß mehr Arbeit. Der Letzte.

Der Verkehr zur Wohnung seiner Freundin, wo sie die Kameras versorgen musste, war gar nicht schlimm. Ihr Name war Lucy Michaels, aber Cally zog es vor, ihre Beziehung zu einer Frau, die sie unter Drogen setzen und dann mit einem Toten im Bett liegen lassen würde, so unpersönlich wie möglich zu halten. Sie machte sich eigentlich ziemliche Mühe, vergleichsweise gesprochen, die Nicht-Zielperson am Leben zu lassen. Worth hätte das nicht getan. Selbst einige von den Bane Sidhe hätten es nicht getan. Aber sie würde sich besser dabei fühlen.

Die Zeit, die sie brauchte, um zu der ersten Kamera zu kommen und den Download vorzunehmen, ließ unglücklicherweise dem Montagmorgen-Verkehr genügend Zeit, dichter zu werden, und die Route quer durch die Stadt zum Haus der Zielperson war nicht gerade verstopft, aber viel fehlte daran nicht. An einer Verkehrsampel schob sie den Würfel mit ihrer Musiksammlung in die Audiokonsole und ließ sich den Katalog anzeigen. Mhm. Evanescence. Gutes Album. Ich frage mich immer noch, welchen Einfluss wohl die ersten Landungen und die Anpassung an das Leben in einer Urb auf sie gehabt haben. Aber das werden wir wohl nie erfahren.

Die Ampel schaltete um, und sie fuhr zu den ersten Klängen von »Going Under« an.

Als sie das Viertel ihrer Zielperson erreichte, war es kurz nach halb acht, und sie parkte gleich um die Ecke, aber noch in Reichweite für einen Download. Ein männlicher Agent wäre bestimmt nicht damit durchgekommen, so offensichtlich in einer Wohnstraße zu parken. Aber Cally schob sich einen Streifen Bubble Gum in den Mund, drehte die Anlage ihres Wagens auf eine zu einem Teenager passende Radiostation, drehte die Lautstärke ein wenig höher und fing dann an, sich die Nägel in einer äußerst trendigen Farbe zu lackieren. Jeder, der sie so sitzen sah, würde annehmen, dass das einfach bloß ein Teenager war, der auf seine Freundin wartete. Das grell rosa Frottee-Schweißband unter ihrem Haar und über der Stirn und das äußerst voluminöse T-Shirt und die grauen Sweat Pants waren eine Kluft, in der sich ein Teenager nicht einmal tot in der Mall würde sehen lassen, aber um am Morgen mit einer Freundin zu joggen, war das gerade richtig.

Während sie den Überlack aufpinselte, lief auf ihrem PDA ein Suchmuster ab, das die Videosegmente mit menschlichen Gestalten oder bewegten Fahrzeugen ausfilterte. Die Zielperson und seine Frau hatten offensichtlich einen ruhigen Sonntag zu Hause verbracht. Und, was das Wichtigste war, es gab keinerlei Anzeichen für unerwartete Hausgäste, nichts, was darauf hindeutete, dass außer der Zielperson und seiner Frau jemand dort wohnte. Wie erwartet, war die Zielperson bereits weg. Die Frau war noch da.

Sie schaltete die Kameras auf Echtzeit plus zwei Sekunden und schlug eine Modezeitschrift auf, die sie mit großem Interesse studierte. Jedes Mal, wenn eine menschliche Gestalt oder ein bewegtes Fahrzeug in das Sichtfeld der Kameras kam, piepte der PDA leise. Ein kurzer Blick auf den Bildschirm reichte aus, um ihr zu sagen, ob es sich dabei um die Frau der Zielperson handelte. Für eine Immobilienmaklerin fing sie recht spät an. Als die Frau schließlich kurz vor neun Uhr fünfzehn das Haus verließ, war Cally sorgsam darauf bedacht, ihren Wagen keines Blickes zu würdigen, als er an ihr vorbeirollte. Es würde keinen Augenkontakt geben, den die Frau bemerken und an den sie sich später erinnern würde.

Cally wartete eine gute Viertelstunde, ehe sie aus dem Wagen stieg und um die Ecke und dann die Straße hinunter zum Haus der Zielperson joggte. Das war die kniffligste Phase dieses Einsatzes. Sie musste von der Straße ins Haus der Zielperson und später wieder aus ihm heraus kommen, ohne gesehen zu werden oder zumindest dabei so alltäglich wirken, dass niemand sich an sie erinnerte. Sie bog ab, ging die Einfahrt hinauf und nach hinten zur Küchentür, als ob sie ihr Laufpensum erledigt hätte und nachhause zurückkehrte; währenddessen hoffte sie heiß und innig, überhaupt nicht gesehen zu werden.

Das elektronische Schloss an der hinteren Tür zu knacken, kostete sie unter Einsatz eines hochgradig illegalen Zusatzgerätes ihres PDA nur wenige Sekunden. Normalerweise registrierte es das Schloss, wenn die Passepartout-Schaltung eines Schlüsseldienstes benutzt wurde, vergewisserte sich, dass dessen Einheit bei den städtischen Behörden registriert war, und zeichnete zusätzlich die Seriennummer der Einheut auf. Ihr Gerät fing dieses Signal nicht nur auf, sondern hackte sich auch in die Einstellung des Schlosses, versicherte ihm glaubwürdig, dass es ausgebaut und zur Reparatur in die Fabrik geschickt worden war, öffnete das Schloss, lud dann die Einstellungen neu und vermittelte ihm zu guter Letzt bezüglich des ganzen Vorfalls eine gründliche Amnesie.

Sobald sie sich im Inneren der Wohnung befand, würde sie die Sperrknöpfe für weitere Manipulationen an der Tür verwenden können, die ja schließlich gemäß ihrer Programmierung dafür sorgen sollten, dass unbefugte Leute draußen blieben, nicht etwa drinnen. Sie streifte sich Gummihandschuhe über, sperrte die Tür hinter sich ab und ging die Treppe suchen.

Das Haus war makellos gepflegt und roch nach Möbelpolitur und Ölseife. Jemand, vermutlich Mrs. Petane, schätzte offenbar Orientteppiche und Möbelreproduktionen im Queen-Anne-Stil. Das Mobiliar war gut, aber spärlich; wer auch immer die Wohnung eingerichtet hatte, hatte darauf geachtet, dass jedes einzelne Stück gut zur Geltung kam und die Räume nicht überladen wirkten. Das verlegte Parkett freilich veranlasste sie dazu, leicht die Nase zu rümpfen. Eigentlich eine sehr gute Wahl, aber einfach zu gepflegt. Da war kein Laut zu hören. Was sollte das?

Im Obergeschoss gab es ein kleines Arbeitszimmer mit Schreibtisch, Sessel, Couch sowie einem Bildschirm mit Würfelständer und darunter ein Sammelsurium von Musik- und Videowürfeln. Eine Hand voll Memorywürfel und ein paar Aktendeckel, aus denen Prospekte von Immobilienmaklern ragten, waren über den Schreibtisch verteilt.

Es gab auch zwei Gästeschlafzimmer, eines davon für ein Kind eingerichtet und beide von einer dicken Staubschicht bedeckt, so als ob sie schon lange Zeit nicht mehr benutzt worden wären. Im hinteren Bereich des Hauses fand sie das Schlafzimmer des Ehepaars und das dazugehörige Bad. Sie würde ihr kleines Geschenk im Bad unterbringen. Der Trick bestand darin, es so zu platzieren, dass die Frau der Zielperson es mit Sicherheit nicht finden würde, und zugleich sicherzustellen, dass die Ermittler darauf stoßen würden.

Sie hob ihr T-Shirt an und zog das flache, mit Isolierband verklebte Päckchen heraus. Für eine Immobilienmaklerin würde der kleine Handspiegel harmlos und normal wirken. Sie schob ihn in eine Schublade unter ein paar Flaschen Enthaarungscreme und Männerkölnisch. Okay, wo ist die beste Stelle für das Zeug? Unter dem Waschbecken?

Cally zuckte zusammen, als sie in der Einfahrt ein Motorengeräusch hörte. »Scheiße!«

Hastig schlug sie die Tür des Wandschränkchens zu und drückte das Päckchen an sich. Das Büro kam nicht infrage. Keine Ahnung, wo die zuerst nachsehen würden. Sie biss sich auf die Lippen, als sie zur Tür des ersten Gästezimmers rannte und wäre fast hineingehuscht, blieb aber dann wie angewurzelt auf der Schwelle stehen und starrte entsetzt auf den Staub, der das Parkett bedeckte und der jeden ihrer Schritte verraten würde. Sie konnte das schwache Piepsen des Schlosses an der Hintertür im Erdgeschoss hören und eilte ins Schlafzimmer zurück. Nicht den begehbaren Kleiderschrank — das war eine tödliche Falle. Und niemals ein Badezimmer. Schritte auf der Treppe. Sie verwünschte den elitären Geschmack der Frau, der dazu geführt hatte, dass es keine Möbel gab, hinter denen man sich verstecken konnte, und zwängte sich unter das Bett, griff unter ihr Hemd und presste sich das Päckchen mit dem Isolierband wieder an den Bauch.

Großartig gemacht, Cally. Wirklich zum Kotzen. »Spezialistin für Auftragsmord unter dem Bett der Zielperson gefunden!« Schwester Thomasina würde Schreikrämpfe kriegen. Nein, an die Decke würde sie gehen. Sie sah die Staubflusen an, die dicht vor ihrem Gesicht auf dem Boden lagen, und hielt sich ganz still, als das Klacken hoher Absätze und halblaute Verwünschungen einer Frauenstimme die Treppe herauf und ins Zimmer kamen. Na schön, sie ist nicht gerade die perfekte Hausfrau, oder? Idiot. Ich hätte auf der Straße auf beiden Seiten Kameras auf das Haus richten müssen, Buckley auf die Fahrzeuge der Familie aufpassen lassen und im Voraus ein Versteck aussuchen sollen. Schlampige Arbeit. Dabei bin ich nie schlampig. Wo zum Teufel kommt das heute her? Und jetzt liege ich unter dem verdammten Bett. Gott sei Dank mache ich das heute solo, denn sonst würde ich das einfach nicht überleben. Wenn ich es schaffe, hier heil rauszukommen, werde ich das vor keinem zugeben.

Sie fuhr fort, sich lautlos zu verwünschen, und gab sich dabei alle Mühe, nicht niesen zu müssen. Unglücklicherweise musste die Frau der Zielperson im Wagen etwas Parfüm aufgelegt haben. Eine Wolke von dem Zeug schwebte mit ihr ins Zimmer, und Cally spürte, wie ihre Augen zu tränen begannen. Jetzt bewegten sich die hohen Absätze zu dem begehbaren Schrank. Die Türen wurden geöffnet. Ein Kleiderbügel klapperte, dann fiel etwas Weiches auf das Bett. Die Frau klick-klackte ins Bad, dann wurde Wasser eingelassen. Anscheinend füllte sie das Waschbecken. Cally riskierte es, sich ganz leise zu räuspern. Das Wassergeräusch verstummte. Jetzt wieder die klickenden Absätze, bis sie neben dem Bett stehen blieben. Cally konzentrierte sich darauf, ganz langsam und gleichmäßig und möglichst lautlos zu atmen. Die Versuchung, in solchen Fällen den Atem anzuhalten, war immer groß, aber das war keine gute Idee. Am Ende musste man dann doch Luft holen, und das war dann lauter als gleichmäßig langsamer Atem.

Gerade setzte die Frau sich wieder in Bewegung; und Cally lauschte, wie die Schlafzimmertür geschlossen wurde, und unterdrückte ein erleichtertes Aufseufzen, als das Absatzklappern sich über den Flur entfernte, leiser wurde und schließlich die Treppe hinunter verklang. Jetzt atmete sie ein wenig leichter, als die hintere Tür sich schloss, bewegte sich aber erst wieder, als sie hörte, wie der Wagen draußen auf der Einfahrt anfuhr. Sie rutschte unter dem Bett heraus, aber noch ehe sie sich aufrichtete, zog sie ihren PDA aus der Tasche und drückte die Knöpfe, um den KI-Simulator und den Stimmzugang zu aktivieren.

»Alles im Eimer, oder?«, fragte der Buckley mürrisch.

»Buckley, beobachte die Kameras auf den Straßen der Umgebung nach den beiden Autos, die zu diesem Haus gehören.« Jetzt richtete sie sich auf und ging zur Tür, um ein richtiges Versteck zu finden für den unwahrscheinlichen Fall, dass dieses Miststück noch einmal zurückkam, ehe sie fertig war.

»Ich sehe eines.«

Sie knallte die Tür zu und war halb unter dem Bett, ehe sie sich ganz beruhigt hatte. »Buckley, kam es auf uns zu oder hat es sich von uns entfernt?«

»Hat wer was?«

»Das Auto, das du gerade gesehen hast.«

»Welches Auto?«

Die Knöchel der Hand, die den PDA hielten, wurden weiß. »Das Auto, das zu diesem Haus gehört, von dem du gesagt hast, dass du es gesehen hast.«

»Oh, das. Das ist jetzt weg.« Die Stimme klang fast vergnügt.

Sie richtete sich langsam und bedächtig auf, so als fürchte sie sich davor, was sie tun könnte, falls sie auch nur einen Augenblick lang die Kontrolle über sich verlor, und ging zur Tür, über den Flur die Treppe hinunter; unten sah sie ins Esszimmer. Da. Der Sessel mit der hohen Lehne am Piano würde ihr Deckung bieten. Wahrscheinlich staubig, aber wenn sie ihn benutzen musste, konnte sie die ganze Fläche hinter dem Sessel sauber wischen, dann würde niemand etwas bemerken. Ausgezeichnet. Sie überlegte gründlich, ehe sie redete.

»Buckley, wenn irgendjemand außer dir und mir dieses Haus betritt, solange wir hier drinnen sind, wirst du keinen Laut von dir geben, angefangen bei dem Augenblick, wo er, sie, es das Haus betritt, bis mindestens eine volle Minute, nachdem er, sie, es wieder gegangen ist. Ist das klar?«

»Schließt das den Würfelleser im Arbeitszimmer mit ein?«

Sie verdrehte die Augen. »Nein.«

»Und was ist mit dem Schloss und der Mikrowelle?«

»Nein!«

»Und mit dem AID auf dem Beistelltisch dort drüben?«

Sie fuhr herum, ihre Augen weiteten sich erschreckt, und dann stieß sie eine Verwünschung aus.

»War bloß ein Witz.«

»Buckley! Halt die Klappe. Sofern du nicht wieder einen Wagen siehst, der zu diesem Haus gehört, hältst du einfach die Klappe.« Sie biss sich auf die Lippen und gab sich alle Mühe, die Treppe nach oben nicht hinaufzurasen, sondern ging langsam und mit gemessenen Schritten. Im Bad schwamm eine Seidenbluse mit einem Kaffeeflecken im Waschbecken, der allmählich in der Seifenlösung verblasste.

Sie warf einen Blick in den Spiegel, pickte sich angewidert ein paar Flusen aus dem Haar und spülte sie die Toilette hinunter.

Es dauerte nur ein paar Augenblicke, das Päckchen mit dem kleinen Beutel voll weißem Pulver, dazu einen Löffel, ein kleines Fläschchen Äther und eine Nadel herauszuholen, eine winzige Menge Koks auf den Boden fallen zu lassen und dann das Päckchen mit frischem Isolierband hinten an der Unterseite des Waschbeckens zu befestigen. Sanft blies sie auf die winzige Menge von dem weißen Zeug, um es zu verteilen. Jetzt konnte man nichts mehr sehen, aber der Hund würde es mit Sicherheit riechen. Und sobald die toxikologischen Tests der Leiche da waren, würden sie einen Hund einsetzen.

Als sie gerade im Begriff war, die hintere Tür zu öffnen und hinauszugehen, hielt sie inne. »Buckley, Stimmzugang abschalten.«

»Aber dann kann ich ja nicht einmal um Hilfe schreien, wenn alles hochgeht!«

»Buckley, Stimmzugang abschalten.«

»Hab mir’s gleich gedacht.« Der PDA gab ein übertrieben langes, leidvolles Seufzen von sich und verstummte.

Cally klinkte sich in die Kommandoleitung ein und nahm einen Reset der KI-Emulation vor. Buckleys brachten nicht die beste Leistung, wenn man die Emulation zu hoch schaltete; sie ließen sich dann zu viele Gründe einfallen, um in Panik zu geraten. Gleich darauf streifte sie die Handschuhe ab und stopfte sie unter ihren schwarzen Sport-BH, den das zu weite T-Shirt verdeckte, und atmete tief durch. Ich gehöre hierher, ich gehe jetzt joggen. Sie trat durch die Tür ins Freie.

Als sie um das Haus herumging, unterdrückte sie eine Verwünschung. Sie war gesehen worden! Von einem kleinen, blonden Jungen von etwa vier Jahren, der ganz ruhig bemüht war, einen sehr geduldig aussehenden Golden Retriever an einen kleinen, grünen Wagen zu binden. Der Junge betrachtete sie ernst und legte den Zeigefinger auf die Lippen. »Schsch …« Ein etwas gequältes Kichern unterdrückend, legte Cally ebenfalls einen Finger auf die Lippen, ging die Einfahrt zur Straße hinunter und joggte dann um den Block herum zu ihrem Wagen. Sie sah sich nicht um. So wie sich das anließ, war dies nicht gerade ihr Tag.

Nachdem sie drei verschiedene Geschäfte aufgesucht hatte, verfügte sie über mehrere Paar Strumpfhosen, Kabelbinder und ein Päckchen billige Stofftaschentücher. Dann suchte sie eine Mall in der Nähe des Apartments der Freundin auf und machte dort bis zum Mittagessen einen Schaufensterbummel. Das war einer der Aspekte ihres Jobs, an den man sich nie gewöhnte. Sie hatte das zumindest bis jetzt nicht geschafft. Stunden um Stunden hektischer Hast, dann wieder Warten und dazwischen kurze Perioden hektischer Adrenalinstöße. Ihr Körper reagierte natürlich atypisch auf Adrenalin, ganz so, wie das bei den anderen Kolleginnen und Kollegen in der Sonderklasse ihrer Schule auch der Fall gewesen war. Wenn nicht zu Anfang, dann ganz sicherlich nach der Ausbildung und weiß Gott was für Manipulationen. Adrenalin löste eine Art Zeitdehnung aus, steigerte die Konzentration und stumpfte einen emotional ab. Aber Cally hatte Grund zu der Annahme, dass ihre eigene atypische Adrenalinreaktion etwas ganz Natürliches war, einfach weil sie sie schon Jahre vor der Schule gehabt hatte. Das war möglicherweise ein Familienerbstück.

Aber gegen Langweile half das überhaupt nicht. Jeder Agent hatte eigene Methoden, um damit klarzukommen. Einige von ihnen lasen. Andere spielten Spiele auf ihren PDAs. Einige sammelten die kompliziertesten Kreuzworträtsel, die sie in die Finger bekommen konnten. Und Cally ging zum Shoppen. Oh, natürlich nicht, wenn es strategisch von Vorteil war, unterzutauchen. Sie hatte für alle Fälle eine riesige Sammlung von bunten Katalogen. Aber hauptsächlich beobachtete sie die Leute, probierte Kleider oder Schuhe an und ließ sich die neuesten technischen Spielsachen erklären. Jemand hatte ihr einmal erklärt, dass dies eine Reaktion auf die Entbehrungen ihrer Kindheit war. Sie selbst war freilich der Ansicht, dass die Gehirnklempner totalen Blödsinn verzapften. Für eine junge, attraktive Frau gab es einfach keinen anonymeren und unauffälligeren Ort als eine Mall. Im Lauf einer Stunde wurde sie bestimmt von mindestens hundert Leuten gesehen, aber niemand würde sich an sie erinnern. Sie achtete darauf, nie so viel zu kaufen, dass die Verkäuferin eine nennenswerte Provision bekam, reagierte nie auf Augenkontakt mit irgendwelchen männlichen Wesen, reagierte praktisch überhaupt nicht, abgesehen von einem völlig unpersönlichen, beiläufigen Lächeln. Ebenso gut hätte sie unsichtbar sein können, und indem sie von Geschäft zu Geschäft ging, wurde sie ein wenig von ihrer Nervosität los und konnte ihre Energie umsetzen. Und außerdem fand sie manchmal wirklich gute Schnäppchen. Heute war das eine wirklich hübsche Bluse mit viereckigem Ausschnitt im Sonderangebot. Sie war blau und würde klasse zu den sandfarbenen Slacks und dem Blazer passen, die sie heute Abend tragen wollte. Die Bluse war deshalb reduziert, weil sie am Rücken ein kleines Loch hatte, das man gleich sehen würde, wenn sie den Blazer auszog. Aber das war ideal, weil sie sie ohnehin nur einmal tragen würde.

Mitten am Nachmittag war die kleine Toilette leer genug, dass sie sich dort umziehen und Make-up auflegen konnte, ohne sonderlich Aufmerksamkeit zu erregen. Dank der Dauerwelle brauchte sie ihre Locken nur kurz auszubürsten.


Kurz vor vier hielt sie auf einem Parkplatz vor einem Laden in der Nähe der Wohnanlage an. Sie tippte auf die Knöpfe, um den KI-Simulator zu wecken. »Hey, Buckley.«

»Jetzt geht alles in die Brüche, oder?«

»Nein, Buckley. Ich möchte bloß, dass du die drei wahrscheinlichsten Routen vom Fleet Strike Tower zu dem Apartmentgebäude an der Lucky Avenue Nr. 2256, die auf den Verhaltensmustern der Zielperson basieren, ausarbeitest.«

»Das ist alles, was du kannst? Geht nicht.«

»Was soll das heißen, geht nicht? Buckley, du arbeitest jetzt die Routen aus, okay?«

»Sorry, geht nicht.«

»Buckley, ich bin jetzt wirklich nicht für so etwas in der Stimmung.«

»Um meine Stimmung kümmert sich nie einer. Da stehen wir jetzt, unser Einsatz fliegt uns gleich um die Ohren, und ohne Zweifel werden wir gleich von den Posleen überrannt oder jemand wirft ein Nuke auf uns oder ein K-Dek fällt uns auf den Kopf oder ein Gebäude bricht …«

»Jetzt reicht’s, Buckley.« Sie ballte verärgert die Fäuste. »Warum kannst du keine wahrscheinliche Route für das Subjekt vom Tower zum Apartmentgebäude ausarbeiten?«

»Wer hat denn gesagt, dass ich das nicht kann? Ich habe nie gesagt, dass ich das nicht kann.« Das klang unerträglich selbstgefällig.

Sie zählte ganz langsam bis zehn. »Buckley, bestimme die wahrscheinlichste Route vom Tower zum Apartmentgebäude, basierend auf den Bewegungsmustern der Zielperson. Auf dem Bildschirm anzeigen.«

»Okay.« Ein Teil des Stadtplans von Chicago mit einer rot markierten Route erschien auf dem Bildschirm. Sie sah wie die aus, an die sie sich vom Freitag erinnerte, aber sie wollte sichergehen.

»So, und jetzt füge dieser Route, ohne sie zu löschen, die zweitwahrscheinlichste Route für die Zielperson vom Tower zu dem Apartmentgebäude hinzu.«

»Warum hängt man mir immer die Idioten an? Das geht nicht.« Dem Tonfall nach zu schließen war der PDA darüber ziemlich erfreut.

»Warum kannst du diesen letzten Befehl nicht befolgen, Buckley?«, fragte sie mit zusammengebissenen Zähnen.

»Es gibt keine Daten über die Bewegungen der Zielperson, die mit der ersten Route nicht kongruent wären.«

»Er nimmt diese Route jedes Mal?« Sehnt sich dieser Kerl nach dem Tod oder was?

»Brillant. Wenn du so weitermachst, wirst du möglicherweise sogar einige von den vielen Dingen begreifen, die in dieser Situation schief gehen, könnten. Nicht, dass es viel nützen würde«, erklärte das Gerät mürrisch.

»Na großartig. Dann hackst du dich jetzt ein und beobachtest die Kameras entlang seiner Route. Pass aber auf, dass der Server dich nicht erwischt. Wenn er sich jetzt auf dieser Route bewegt oder wann auch immer er damit anfängt, sagst du mir Bescheid und platzierst einen Punkt auf dem Bildschirm, um seine mutmaßliche Position anzuzeigen, und aktualisierst diese Information immer dann, wenn du von den Kameras neue Daten bekommst.«

»Und du bist sicher, dass du das wissen willst?«

»Warum, ist er schon unterwegs?«, fragte sie bissig.

»Nein. Ich dachte nur, falls du zu den Leuten gehören solltest, die besser mit Katastrophen klarkommen, wenn sie nicht wissen, dass sie kommen …«

»Buckley, du wirst mir jetzt nur sagen, wenn die Zielperson den Tower nach hierher verlässt oder wenn er ein anderes Ziel ansteuert. Ansonsten hältst du die Klappe.«

»Heute sind wir aber empfindlich, wie?« Der Buckley verstummte.

Cally warf einen Blick in den billigen Aktenkoffer, den sie in einem Bürobedarfsgeschäft in der Mall erstanden hatte. Kleider zum Wechseln, in Plastik eingeschweißt, gut. Okay, Drogen, Weinkühler, Kabelbinder, mehrere Paar Strumpfhosen, Handschuhe, Knebel, Klappmesser, Soundbox … Sie nahm die kleine graue Box mit dem Schalter oben und knipste sie an. »Test, Test, Test.« Die Verkehrsgeräusche wurden gedämpft, und ihre Stimme klang hohl. Sie schaltete das Gerät ab und hängte es sich an den Gürtel, ehe sie das Klappmesser herausnahm und es in die Tasche schob. Wenn man vermeiden wollte, jemanden zu töten, war das eine nützliche Waffe, weil das Messer sie meist sofort davon überzeugte, dass man sie wirklich töten würde und auf die Weise dafür sorgte, dass sie mit einem kooperierten. Na ja, bei bestimmten Typen wirkte es jedenfalls. Im Augenblick war die gesunde Angst der Nicht-Zielperson die beste Überlebenschance der Frau.

Sie öffnete den Weinkarton und trank ein paar Schlucke, damit oben etwas Platz wurde. Dann nahm sie die Flasche mit der roten Markierung und goss die Drogen vorsichtig in den Wein. Anschließend wanderte die Drogenflasche wieder in eine Tasche des Aktenkoffers, dann schraubte sie die Plastikkappe auf den Weinkarton und schüttelte ihn leicht. Zum Mischen braucht es nicht viel, aber wir wollen nicht, dass etwas herausspritzt.

Mit einem der Marker machte sie ein rotes Zeichen auf das Etikett und verstaute den Weinkarton wieder in dem Koffer neben einem ungeöffneten und holte dann ein kleines rosafarbenes Namensschild heraus und steckte es sich an das Revers ihrer Jacke. Auf dem Namensschild stand, dass sie Lisa Johnson war, und darunter war das vertraute Logo einer bekannten Kosmetikfirma zu erkennen. Sie sah auf die Uhr. Zwölf Minuten nach vier.

»Buckley.«

»Wir werden jetzt gleich sterben, oder?«

»Nein, Buckley. Halte weiter Ausschau nach dem Wagen der Zielperson, aber außerdem musst du die Kameras anzapfen, die ich in Apartment 302C untergebracht habe und mir sagen, ob jemand zu Hause ist und wo sie sich befinden.«

»Ah, das Vertrauen der Jugend. Zwei in dem Apartment.«

»Zwei?!«

»Eine in der Küche, eine unter der Couch.«

»Unter der …« Den bringe ich noch um. »Buckley, kümmere dich nicht um die verdammte Katze. Wie viele menschliche Wesen in 302C?«

»Du unterschätzt offensichtlich den Schaden, den eine hinreichend wütende Hauskatze anrichten kann. Ein Mensch, erwachsene Frau, in der Küche.«

»Richtig. Sag mir Bescheid, wenn sie das Apartment verlässt oder wenn es jemand betritt.«

»Bitte.«

»Danke, Buckley«, fügte sie hinzu.

»Weißt du, es ist noch nicht zu spät, um nach Hause zu fliegen und die ganze Geschichte zu vergessen«, schlug er voll Hoffnung vor.

»Halt die Klappe, Buckley.« Ein paar Augenblicke lang herrschte Stille im Wagen. »Oh, ich meine davon abgesehen, dass du mir sagst, wenn die Zielperson weggeht, und mich darüber informierst, wie er auf der Route hierher vorankommt.«

»Richtig.«

Sie gab sich Mühe, nicht mit den Fingern zu trommeln, während sie wartete. In all den Jahren hatte es ihr immer die meiste Mühe bereitet, ihre Ungeduld zu unterdrücken. Das erforderte immer noch bewusste Willensanstrengung. Sie rief irgendwelche Musik im Audiosystem des Wagens auf, einfach was auf dem Würfel als Nächstes kam, und zwang sich erneut, nicht etwa den Takt mitzuklopfen, als die Pianoklänge von »Hello« aus den Lautsprechern tönten. Sie rümpfte die Nase. »Nein, vielen Dank«, sagte sie und suchte weiter, bis sie »Don’t Fear the Reaper« fand. Nicht, dass der moderne Re-Mix besser als das Original gewesen wäre, aber das Ganze wirkte nicht so … altmodisch. Einige Mitglieder der ursprünglichen Band hatten ziemlich früh eine Verjüngung gekauft, indem sie sich für eine Kolonientour auf Diess verpflichtet hatten, hatten dort eine Unzahl Abendkonzerte gegeben und von ihren Mit-Kolonisten und dem Personal von Fleet und Fleet Strike genügend Geld verdient, um ihre Verträge zurückzukaufen und für die Passage nach Hause zu bezahlen.

Eine ganze Band mit Runderneuerten war hier auf der Erde natürlich nicht jedermanns Sache, aber sie waren eben eine Rockband. Sie waren das gewöhnt. Sie befahl dem System, das ganze Album zu spielen.

Die schrillen Gitarren bei der Eröffnung von »Godzilla« klangen so machtvoll wie eh und je, und es tat ihr wirklich Leid, unterbrechen zu müssen, als der Buckley ihr mitteilte, dass die Zielperson unterwegs sei.

»Ist die Frau in 302C immer noch in der Küche, Buckley?«

»Bedauerlicherweise ja. Hättest du gern eine Liste der zehn schlimmsten Dinge, die bei diesem Einsatz schief gehen könnten?«

»Nein!«

»Ehrlich, es würde mir gar keine Mühe machen«, erbot der Apparat sich.

»Halt die Klappe, Buckley.«

»Geht in Ordnung.«

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