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Basis Titan

Samstag, 15. Juni, 10:00


Fleet Strike unterschied sich in vieler Hinsicht von den Streitkräften der alten Vereinigten Staaten. Die Begeisterung, die die höheren Offiziere freilich dem Golfspiel entgegenbrachten, war unverändert. Während der Konstruktionsphase des Stützpunkts hatte ein intelligenter und ehrgeiziger junger Spezialist für Lebenserhaltungssysteme eine Möglichkeit entdeckt, wie man die im Pflichtenheft enthaltene Forderung nach widerstandsfähigen, nicht der Ernährung dienenden, winterfesten Pflanzen erfüllen und sich zugleich bei den Vorgesetzten lieb Kind machen konnte. Demzufolge hatte die gesamte untere Etage der Quadranten von Fleet Strike ausnehmend hohe Decken und war mit üppigem Rasen einer Spezialzüchtung bedeckt. Die Indowy dazu zu bringen, die absolute Notwendigkeit der Deckenkonfiguration zu genehmigen, hatte es erforderlich gemacht, eine kleine Herde von Miniaturpferden aus Kentucky zu importieren. Aus irgendwelchen Gründen war es erstaunlich leicht gewesen, die Unterschriften für den Transport der Tiere zu bekommen. Etwas schwieriger war das bei den Ventilatoren für die computergenerierten Zufallsmuster für die Windbewegungen gewesen, aber auch das hatte man letztlich geschafft. Welchen Sinn hatte es schließlich, so viel Sauerstoff zu erzeugen, wenn man nicht auch über die Fähigkeit verfügte, ihn mit dem Rest der Stationsluft zu mischen?

Cally ließ sich an diesem Morgen nichts von ihrem Amüsement anmerken, als Beed, während er sich dem dritten Loch näherte, den Gegenwind verwünschte. Für sie war Golf ein Spiel der Herausforderungen, insbesondere in dieser Umgebung. Ihre gesteigerte Muskeldichte, die auch unter der Oberfläche Sindas verblieben war, und ihre hoch entwickelte Körperbeherrschung in Verbindung mit gesteigertem räumlichem Orientierungsvermögen führten dazu, dass sie mit Leichtigkeit eine der drei besten Golfspieler des Stützpunkts war.

Die Unterlagen von Sinda Makepeace enthielten keinerlei Hinweise darauf, dass sie jemals auch nur besuchsweise einen Golfplatz betreten hatte, geschweige denn das Spiel gespielt hatte.

Beed brauchte Schmeicheleinheiten, es galt ihn davon zu überzeugen, dass er ihr das Golf spiel beibrachte.

Die Folge davon war, dass ihre schauspielerischen Fähigkeiten auf dem Golfplatz mehr denn je gefordert waren, da sie ja ständig exakt beweisen musste, wie lausig ihr Spiel sein musste.

Das Seltsame war, dass sie an diesem Vormittag einige Male das verrückte Gefühl gehabt hatte, dass Pryce sich ebenfalls zurückhielt, um den General gewinnen zu lassen. Sie lächelte. Da hat mir dieser Kerl jetzt ein- oder zweimal im Bett gezeigt, dass er wirklich eine große Nummer ist, und plötzlich bilde ich mir für ihn alle möglichen neuen Fähigkeiten ein.

Aus dem Augenwinkel sah sie, wie er über den Trageriemen des Golfsacks stolperte und es kaum schaffte, sich am Golfwagen festzuhalten, um nicht zu stürzen. Als Nächstes würde sie ihn sich wahrscheinlich auch noch als den größten Redner aller Zeiten vorstellen. Mann!

»Also gut, Sinda, meine Liebe, jetzt sind Sie dran.« Beeds lüsterner Blick zog ihr die Kleider vom Leibe, und sie lächelte strahlend zurück und fragte sich, wie sie es selbst in ihrer Tarnung je geschafft hatte, in ihm auch nur auf kurze Zeit etwas anderes zu sehen als das schmierige Ekel, das er offensichtlich war. »Haben Sie bemerkt, wie ich mich nach meinem Schlag einen Augenblick lang völlig ruhig verhalten habe? Das nennt man ›dem Ball folgen‹, und das ist bei diesem Spiel sehr wichtig.«

Sie nickte, die Hände vor sich verschränkt, hörte aufmerksam zu, die Augen strahlend vergnügt, ernst und leer. Sie sah, wie Beed nachsichtig lächelte und ließ sich nichts anmerken, als er ihr den Putter wegnahm und ihr einen anderen Schläger in die Hand drückte.

»Gut aufpassen, meine Liebe. Die Auswahl des richtigen Schlägers ist sehr wichtig«, sagte er.

Mit ihrem gesteigerten Hörvermögen konnte sie hören, wie Pryce mit den Zähnen knirschte, als Beed von hinten die Arme um sie schlang, um sie beim Schlag zu führen. Sie hoffte, dass Beed das nicht hören konnte, obwohl es ihr vor dem Hintergrund des an diesem Morgen ungewöhnlich leeren Golfplatzes, auf dem mit Ausnahme des fernen Ventilatorensummens kein Laut zu vernehmen war, laut vorkam.

Der würzige Duft des frisch geschnittenen Grases stieg ihr in die Nase, und als Beed ihr die Hand am Schläger zurechtschob, konnte sie an ihrem Oberschenkel seine Erektion spüren. Zum Teufel, damit ist mein Nachmittag im Eimer. Nicht, dass ich es nicht erwartet hätte. Unglücklicherweise hat der General die typische Libido des Runderneuerten. Ständig spitz wie Nachbars Lumpi. Wirklich schade, dass die Bane Sidhe mächtig sauer wäre, wenn ich den Dreckskerl umbringen würde. Okay, er ist immerhin ein Mensch, und ich würde ihn nicht ohne weiteres und ohne Grund umbringen, aber ich schwör’s, wenn der mir weiter so auf den Geist geht, könnte ich wirklich der Versuchung nachgeben, ihm … ehe ich hier abgehe, ein paar Schrammen zu versetzen. Dieser widerwärtige Dreckskerl von einem Papierkrieger. Es gibt einfach ein paar persönliche Eigenschaften, die auch noch so gutes Aussehen nicht ausgleichen können. Ach was, zum Teufel, schließlich habe ich ja gewusst, dass das mit zu meinem Job gehört, als ich ihn übernommen habe. Aber ich muss zugeben, dass ich schon Schlimmeres mitgemacht habe. Das arme Schwein kann ja nichts dafür, dass er im Vergleich damit schlecht wegkommt.

Sie spähte aufmerksam das Grün hinunter und nahm dann eine ganz kleine Änderung an ihrer Haltung vor, die dafür sorgen würde, dass der Ball in einem Sandbunker landete.

»Da, sehen Sie, wie weit ich geschlagen habe! Wow!« Sie hüpfte erregt auf und ab und bot damit den beiden Männern einen wirklich aufregenden Anblick. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Pryce kräftig schluckte und unterdrückte ihr Grinsen.

»War das gut?« Sie legte den Kopf etwas zur Seite und strahlte den unseligen General an.


Basis Titan

Samstag, 15. Juni, Nachmittag


»Ein abgefangenes Signal ist hereingekommen, das den Kriterien entspricht, die Ihre Kenntnisnahme erfordern, Euer Tir.« Die Stimme des AID war so melodisch, wie das alle Darhel-Stimmen waren, aber sie hatte auch eine gewisse undefinierbare Intensität an sich. Die Nackenhaare des Tir sträubten sich leicht, als seine Ohren sich in einer unbewussten Reaktion ein wenig nach außen entspannten.

»Abspielen«, sagte er und lehnte sich dem Indowy-Leibdiener ein wenig entgegen, der ihn gerade an einer Stelle hinter dem rechten Ohr kratzte, wo er einen lästigen Juckreiz verspürte, aber nicht weit genug, um sich von dem anderen Diener zu lösen, der im Augenblick an einer Verspannung seiner Schultermuskeln arbeitete. Natürlich gab es in diesen Räumlichkeiten keine echten Fenster, obwohl sie recht geräumig waren und über simulierte Fenster verfügten, die Bilder von ein paar Dutzend Welten wiedergaben. Schwerkraft und Beleuchtung waren ohnehin künstlich und auf angenehme Weise auf die Werte der Heimatwelt eingestellt. Er drückte die Ballen seiner nackten Füße wohlig in den dicken Teppich. Als provisorische Unterkunft war die Suite, die ihm im menschenfreien Sektor der Titan-Basis zur Verfügung stand, durchaus angemessen.

»Memo an Lieutenant General Peter Vanderberg, OFSI, Chicago, von First Lieutenant Joshua Pryce, als Adjutant zugeteilt Brigadier General Bernard Beed, 3rd MP Brigade, kommandierend. Betreff: Hartford. Nachricht: Habe Gelegenheit, Beschaffung wesentlicher Projektbestandteile zu beschleunigen. Lieferquelle wird von Lieferdepot als Codename Hector angegeben. Kontaktinformation folgt. Da die betreffenden Gegenstände sich in Ihrem Operationsbereich befinden, schlage ich vor, dass Ihre Leute sich um die lokale Beschaffung bemühen. Habe mir erlaubt, Mr. Jones eine Anzahlung zu leisten, Restzahlung erfolgt nach Übergabe. Ausgehandelter Preis liegt im Rahmen des freigegebenen Projektbudgets. Memo endet. Eine Datei ist beigefügt, bei der es sich anscheinend um eine Liste von vier Namen, diversen Decknamen, DNA-Codeproben und diversen Orts- und Zeitangaben pro Namen handelt.«

Der Tir saß jetzt kerzengerade da, und seine Schnurrbarthaare zitterten. Er nahm sich einen Augenblick Zeit, bis sein Atem wieder normal ging, ehe er etwas sagte.

»Leite die Information an Mr. Stewart weiter. Sage ihm, wir würden es vorziehen, möglichst viele Informationen hinsichtlich dieser … Gegenstände … zu erhalten, aber Fleet Strike soll sie auf keinen Fall bekommen. Wenn die Gegenstände in unkontrollierter Umgebung Informationen preisgeben würden, wäre das … gegen unsere Interessen«, sagte er.

»Ja, Euer Tir. Ist erledigt«, antwortete das AID.

Die Indowy setzten ihre Bemühungen ohne Unterbrechung fort. Einer verschwand kurz in der Küche und kehrte gleich darauf mit einem pompös wirkenden Tablett mit frischem Gemüse von drei verschiedenen Welten zurück. Der persönliche Dienst ließ, wie das stets der Fall war, die Lebensmittel eine Spur weniger widerwärtig erscheinen.


Indiana

Samstag, 15. Juni, Nachmittag


Nathan O’Reilly blickte auf, als seine Bürotür sich aufschob, ohne dass man ihm jemanden gemeldet hatte, und stellte überrascht fest, dass der Indowy Aelool in der Tür stand. Die Muskeln um seine Augen waren verkniffen und seine Ohren leicht nach innen gerichtet, ein Ausdruck, der entweder Besorgnis oder großen Ernst, möglicherweise auch beides bedeutete.

»Meine Güte, was ist denn passiert?« Er holte eine Flasche Wasser aus einem kleinen Kühler, füllte ein frisches Glas, stellte es auf den Couchtisch und trat einen Schritt zurück. Sein Freund gab sich gewöhnlich in Gegenwart von Menschen aus Höflichkeit unbesorgt, aber der Priester hatte das Gefühl, dass das in seinem augenblicklich sichtlich beunruhigten Zustand zu viel erwartet wäre.

»Team Hector ist kompromittiert. Unser Leck, wie Sie es nennen, hat sich erneut geöffnet.« Der Indowy saß wie entrückt auf dem für Menschen gebauten Stuhl, wippte nervös mit den Beinen und zupfte abwesend an den grünen Fäden seines linken Beins.

»Wann und was können wir unternehmen?« O’Reilly rief mit einem kurzen Befehl an sein AID den Zeitplan des Teams auf.

»Identitäten und Zeitpläne für die nächsten paar Tage befinden sich in den Händen von Fleet Strike und der Darhel. Namen, Decknamen, DNA-Muster. Das gesamte Team«, brummte er dann. »Unglücklicherweise, und so groß der Verlust eines ganzen Teams auch sein wird, verblasst das im Vergleich mit dem Wert unserer Informationsquellen in der unmittelbaren Umgebung des Tir. Wir können wenig unternehmen. Gar nichts, sofern wir keine plausible Erklärung für unser Wissen haben.«

»Wir können ein Extraktionsteam bereitstellen. Es aktivieren, falls uns eine brauchbare Tarnung einfällt, und sie andernfalls einfach dort lassen. Wer weiß, vielleicht unterläuft der Gegenseite ein Flüchtigkeitsfehler.« Sehr zuversichtlich klang der Priester nicht.

»Gibt es etwas Neues von Team Isaac?«, fragte der Indowy.

»Seit unserem letzten Gespräch? Nein, bedauerlicherweise nicht. Harris in der Verkehrsanalyse ist ein kluger Kopf. Ich habe sie darauf angesetzt, nach irgendetwas zu suchen, das wir als plausible Erklärung für unser Wissen an die Gegenseite durchsickern lassen könnten. Ich glaube, recht viel mehr bleibt uns nicht übrig.« Er ging zu seinem virtuellen Fenster.

»Solange Sie absolut sicher sind, dass das Extraktionsteam, solange es keine direkte Anweisung erhält inaktiv bleibt. Ich brauche Sie nicht daran zu erinnern, dass wir hier um sehr hohe Einsätze spielen.« Aelools Stimme klang beinahe schrill.

»Also — riskieren wir eine Nachricht an Papa O’Neal, dass jetzt ein guter Zeitpunkt für Ergebnisse wäre?« Er tippte mit den Fingerspitzen aufs Glas.

»Davon würde ich abraten. Die kennen die Risiken und wissen um die Wichtigkeit ihrer Mission. Ich gehe doch wohl nicht fehl in der Annahme, dass sie bereits höchst motiviert sind, oder? Dann hätten wir nichts zu gewinnen, bloß viel zu riskieren. Nein, ich bin dagegen.« Er trat neben seinen Freund und blickte zu dem falschen Fenster auf. Wie alle Indowy konnte er vermutlich nur mit großer Mühe begreifen, weshalb Menschen immer das Bedürfnis hatten so zu tun, als wären sie der Außenseite nahe, der Außenseite und den freien Räumen, selbst wenn sie so behaglich auf engem Raum mit ihren eigenen Clans und ihren besten Freunden zusammengepfercht waren.

»Richtig«, nickte der Priester.

»Sie beten immer noch, nicht wahr? Vielleicht wäre das ein guter Zeitpunkt.« Ein wenig verdutzt blickend, vermutlich hauptsächlich wegen des virtuellen Fensters, ging Aelool hinaus.


Chicago

Samstag, 15. Juni, Nachmittag


»Peter, für dich kommt gerade ein dringendes Memo von General Stewart, getarnt als Lieutenant Pryce auf Basis Titan, herein«, tönte sein AID.

»Hat er einen erwischt?« Vanderberg saß plötzlich kerzengerade auf seinem Sessel.

»Das nicht gerade, Peter. Aber er hat vier Namen und identifizierende Informationen, einschließlich DNA, Bewegungsdaten, Decknamen und zeitnahe Beschreibungen von Agenten im Bereich Chicago«, erklärte das AID.

»Heiliger Bimbam! DNA auch?« Jemand dort oben muss mich mögen.

»Das sagt er, und die beigefügte Datei enthält das auch alles.« Das AID klang erfreut.

»Wow. Zeig mir die Datei.« Er schüttelte den Kopf, als er sich die Einzelheiten angesehen hatte. »Klasse, Stewart hat einen Volltreffer gelandet. Ich will Morrison sprechen.« Er stand auf, ging ans Fenster und tippte sich dabei mit den Fingern auf die Lippen.

»Tut mir Leid, Peter. Morrison ist nicht erreichbar. Er hat einen Zahnarzttermin«, meldete das AID.

»Einen Zahnarzttermin?« Vanderberg drehte sich um und starrte das AID auf seinem Schreibtisch an, als könne er nicht glauben, was er da hörte.

»Ihm ist ein Zahn abgebrochen. Er bekommt einen Ersatz.«

»Hey, ist da etwas passiert? Was war da los?«, fragte er.

»Kein Unfall. Ich glaube, über kurz oder lang war das statistisch zu erwarten. Er kaut Eis.« Die Stimme des AID klang schulmeisterhaft, wie es bei seinesgleichen häufig der Fall war, wenn sie etwas missbilligten. Manchmal hatten die AID-Persönlichkeiten seltsame Vorstellungen davon, was sich geziemte und was nicht. In diesem Fall rührte die Missbilligung vermutlich daher, dass das AID es einfach nicht für richtig hielt, dass jemand etwas so Unvernünftiges tat, was am Ende dazu führen konnte, dass er wertvolle Arbeitszeit damit vergeuden musste. Gelegentlich konnten AIDs wirklich seltsam sein.

»Okay, dann sorge dafür, dass er gleich morgen früh zu mir kommt. Aber das kann nicht so lange warten. Schick mir Lewis rein, denke ich. Nein, besser nicht. Ich verliere lieber einen Tag, als eine weitere Person in eine solche Sache einzuschalten. Scheiße. Sag Morrison, dass ich ihn morgen früh um halb acht hier haben will. Zumindest können wir dann gleich anfangen.« Er verschränkte die Hände hinter dem Kopf und begann auf und ab zu schreiten, fing bereits an, mögliche Szenarien zu durchdenken.

»Dir ist bewusst, dass morgen Sonntag ist, ja?«, fragte es.

»Yeah. Passt mir überhaupt nicht, aber diese Sache duldet keinen Aufschub.« Er machte eine ungeduldige Handbewegung und fuhr fort, auf und ab zu gehen.

»Geht schon in Ordnung, Peter. Ich habe nur ausdrückliche Anweisung von dir, dich daran zu erinnern.«

»Ja, geht schon klar. Danke, Jenny.« Wow. Endlich!


Basis Titan

Samstag, 15. Juni, nachmittags


Heutzutage gab es nur mehr ganz wenige öffentliche Terminals. Schließlich hatte jeder einen PDA, na schön, ausgenommen die paar Glückspilze mit AIDs. Nun ja, die mit sauberen AIDs jedenfalls. Aber PDAs stürzten manchmal ab oder gingen zu Bruch oder man verlor sie — wie auch immer, dem Himmel sei Dank für öffentliche Terminals.

Dieser hier befand sich mitten im verkehrsreichsten Teil des Korridors, den er finden konnte. Hier herrschte derartiger Betrieb, und es waren so viele Leute unterwegs, dass kein Fußgänger sich jemals an ihn erinnern würde. Nicht, dass außer der Bane Sidhe jemand interessiert gewesen wäre, und bis die anfingen, ihn zu suchen, würde er längst woanders sein.

Er hatte wirklich vorgehabt, seinen Ruhestand auf der Erde zu verbringen — die Möglichkeiten, die man dort hatte, waren einfach viel besser, selbst wenn man darauf achten musste, nicht aufzufallen. Na schön, die Dinge waren eben so, wie sie waren.

Dulain war ein guter Planet. Einer der ersten, der von Menschen kolonisiert worden war und natürlich nicht ganz ohne Gefahren, aber es gab dort einen breiten Gürtel sehr angenehmer Inseln. Vielleicht nicht so erstrebenswert, wenn man als Kolonist ohne einen Penny in der Tasche dort arbeiten musste. Aber für jemanden mit entsprechenden Ersparnissen wirklich attraktiv. Und am Dienstag um 19.30 Uhr startete ein Schiff. Perfekt. Er brauchte bloß ein paar Augenblicke, um seine flüssigen Mittel von seinem Nummernkonto auf mehrere Nummernkonten auf Dulain zu überweisen. Mit einem Teil des Bargelds, das er bekommen hatte, hatte er auf Titan ein Konto eröffnet. Den Rest hatte er bedauerlicherweise in einem öffentlichen Schließfach deponieren müssen, was nicht ohne Risiken war. Aber das brachte den Vorteil mit sich, dass er sein Ticket nach Dulain mit einer Identität erwerben konnte, die nicht kompromittiert war.

Und er würde nie wieder Sojabohnen-Burger essen müssen. Nie wieder.


Basis Titan

Samstag, 15. Juni, später Nachmittag


An dem Zeitungsstand an der Ecke achte Etage/Flur Romeo am Korridor gab es eine reichliche Auswahl an Drogerieartikeln, darunter auch ein paar gerade populäre Schlankheitsdiäten, bei denen es sich hauptsächlich um Diuretika handelte. Cally wählte die auffällig orange und gelb gehaltene Packung, weil dieses Entwässerungspräparat nicht nur sehr schnell wirkte, sondern auch so gut wie keinen Eigengeschmack hatte und die effektive Dosis sehr gering war. Ein Bier würde ausreichen, um den recht milden Geschmack zu überdecken, selbst für jemand wie sie.

Mir ist es wirklich unangenehm, ihm das Präparat zu verpassen. Das Wenigste, was ich tun kann, ist ein möglichst harmloses Mittel zu verwenden. Nun ja, harmlos hin oder her, peinlich könnte es ja werden, wenn er nicht schnell genug rennt. Trotzdem, harmloser geht es nicht. Und ich habe ja auch noch ein paar Tage Zeit.

Sie trug ihren am wenigsten auffälligen BH unter der Fleet-Strike-Seide, als sie den Kauf tätigte. Weniger weil sie ihn wirklich gebraucht hätte, sondern einfach, weil die Professionalität Unauffälligkeit erforderte. Aber offenbar reichte das nicht. Sie war ziemlich sicher, dass der asiatische Kassier ihr während der ganzen Transaktion nie in die Augen gesehen hatte. Sein Blick war nie über ihr Schlüsselbein hinausgekommen.


Basis. Titan

Samstag, 15. Juni, abends


James Stewart stand vor dem Glas seines Standbilds und versuchte darin zu erkennen, ob sein Haar richtig saß. Es war schon lange her, dass er sich so darauf gefreut hatte, am Samstagabend zur Arbeit gehen zu müssen. Aber er war ja schließlich auch nicht zum Arbeiten hier.

In dem leeren Büro war es still, und er konnte das Zischen der Eingangstür hören. Einen Augenblick lang wunderte er sich über die Tüte, die sie in der Hand hielt, aber dann erinnerte er sich, dass sie verabredet hatten, sie würde das Abendessen mitbringen. Eigentlich hätte er hungrig sein sollen, aber im Augenblick war ihm nach anderen Genüssen zumute und er grinste breit, als sie hereinkam und die Tasche auf den Schreibtisch stellte.

Er breitete die Arme aus und zog sie an sich, presste ihr eine Hand ins Kreuz und vergrub die andere in ihrem Haar. Ihr Bauch war fest gegen den seinen gepresst, ihre Brüste drückten weich gegen seine Brust. Er wollte sie jetzt nehmen. Jetzt sofort. Deshalb versuchte er, sie nach hinten zu ziehen, in sein Büro oder das ihre, aber sie sträubte sich, lachte.

»Warum nicht gleich hier?« Sie tippte auf die Schreibtischplatte, grinste verschwörerisch. »Oder hier …« Sie rutschte vom Schreibtisch und ließ sich auf den Sessel fallen, drehte sich damit im Kreis und lachte.

Er schob skeptisch die Augenbrauen hoch, malte sich aus, wie weit er die Knie würde durchbiegen müssen, damit das klappte. Aber sie war ihm bereits weit voraus. Entweder das oder sie hatte seine Gedanken gelesen, denn sie drückte den Knopf für die Sesselhydraulik, worauf sich die Sitzfläche weit nach oben schob.

Als sie den vorderen Saum ihrer Seidenkombination öffnete und sie sich von den Schultern schob, überlegte er. Vielleicht würde es doch gehen. Ganz besonders, wenn sie die Knie anhob …

Nachdem sie Anders’ Philodendron wieder neu eingetopft hatten, der in der Hitze des Gefechts irgendwie aus seinem Terrakottakübel geraten war, aßen sie in Sindas Büro zu Abend. Er wusste nicht, wie sie es fertig gebracht hatte, ein altmodisches Picknick aus kaltem gebratenem Hühnchen, Kartoffelsalat, harten Eiern und Schokoladeplätzchen zustande zu bringen, aber es schmeckte jedenfalls herrlich. Ganz besonders das eiskalte echte Milwaukee-Bier, für das sie wahrscheinlich ein kleines Vermögen ausgegeben hatte.

Anschließend verführte sie ihn — nicht, dass er sich gewehrt hätte — auf dem Schreibtisch des widerlichen Ekels. Er musste zugeben, dass ihm die Ironie des Ganzen Spaß machte.


Sonntag, 16. Juni, Nachmittag


Der üppige Duft ihres Haars betäubte ihn fast, als ihre Küsse — und dazwischen ein paar Bisse, um auch ja sicherzustellen, dass er aufpasste — an seiner Brust hinunterwanderten. Mehr Kuss als Biss, je weiter sie wanderte. Schließlich hatte sie sich um sein rechtes Bein geschlungen, ihre Brüste rieben an seinen Schenkeln und ließen ihn spüren, dass sie das alles ebenso genoss wie er.

Die ersten Klänge des nächsten Lieds auf ihrem Würfel erfüllten ihn mit eigenartig süßer Melancholie, die ein paar Augenblicke lang anhielt, ehe ein heißer, peitschender Rhythmus einsetzte und das, was sie mit ihm machte, noch intensiver erscheinen ließ. Er versuchte gar nicht erst, sich daran zu erinnern, wie die Gruppe oder das Lied hießen, aber dann wusste er es trotzdem plötzlich. Es war eine Gruppe aus der Kriegszeit, die sich Evanescence nannte, und das Lied hieß »Bring Me to Life«. Nichts hätte besser zu dem passen können, was hier geschah, und doch war ihm irgendwie klar, dass die Musik für sie eine ganz besondere Bedeutung haben musste.

Der Drive, der von der Musik ausging, schien alles zu erfüllen, lebendiger zu machen — ihren Duft, ihre Hände, das Gefühl ihrer Lippen auf ihm. Ihre wunderschöne blasse Haut und die ganz dünne Schweißschicht darauf schienen von innen heraus zu leuchten. Selbst das düstere Grau der Bürowände schien eine neue intensivere Realität zu gewinnen. Die Musik tönte in ihren Knochen nach, und er fragte sich, was in drei Teufels Namen hier eigentlich mit ihm vorging. Sex war noch nie so gewesen.

Der Gedanke kam in ihm auf, dass es eigentlich etwas Perverses an sich hatte, es hier im Büro eines Kollegen zu tun, aber der Gedanke war nicht wichtig und ließ sich leicht wieder verdrängen. Außerdem hatte Li sich eine Couch für sein Büro besorgt. Nicht Leder, aber ein recht guter Ersatz …

Nachher, als sie zu Mittag aßen, er ein Schinkensandwich, sie Roastbeef, redeten sie. Er war bemüht, nicht in Erinnerungen zu schwelgen, wenn er mit ihr redete. Nun ja, eigentlich überhaupt, wenn er mit jemandem redete. Ganz gleich, wie gut man Bescheid wusste und wie sehr sie einem die Tarnung glaubten, es bestand immer das Risiko, dass man irgendwo stolperte. Dass Sinda nie versuchte, über die Vergangenheit zu reden, gehörte mit zu den Dingen, die es so erfreulich machten, sich mit ihr zu unterhalten. Sie unterhielt sich gern über Musik oder alte Filme. Okay, sie mochte vielleicht nicht die Hellste sein, aber trotzdem hatte sie eine erstaunliche Tiefe — und sie hatte sich keineswegs nur auf Teenie-Filme konzentriert. Das wirklich Unglaubliche war, dass sie wirklich Geschmack hatte. Bis jetzt war er noch nie einer Frau begegnet, die sich tatsächlich Charlie Chaplin angesehen und über ihn gelacht hatte — wirklich gelacht. Und dann mochten beide die Szene am Ende eines der alten Spaghetti-Western, wo der Held »ein Problem mit Kopfrechnen« gehabt hatte. Himmel, sie war seit zwanzig Jahren für ihn das erste Mädchen, das je einen solchen Film gesehen hatte.

Das Schwierigste an der ganzen Situation war, er durfte einfach nicht zulassen, dass sie ihm zu nahe kam, ganz gleich, wie sehr er sich das vielleicht auch wünschte. Er lebte hier eine Lüge, und niemand wusste schließlich, wie sich ihre Reaktion auf ihn ändern würde, wenn sie die Wahrheit herausfand. Würde sie in ihm dann bloß einen weiteren Opportunisten sehen? Jemanden, der sich durch nichts von General Arschloch unterschied? Jemand, der nichts anderes im Sinne hatte, als ihr an die Wäsche zu gehen? Oder konnte es sein, dass sie vielleicht begreifen würde, warum er das tun musste?


Springfield

Sonntag, 16. Juni, 17:00


Bobby Mitchell verstand sich hervorragend auf Überwachung, und seit er den Polizeidienst quittiert hatte, war er eher noch geschickter geworden. Ob das daran lag, dass er väterlicherseits einen Schuss Siouxblut in den Adern hatte und mütterlicherseits ein wenig Mex — jedenfalls war er ein kleiner, etwas nervös wirkender Mann mit dunklem Haar, dunklen Augen, einer Haut, die leicht bräunte, und dem Talent, Teil seiner Umgebung zu werden, in ihr aufzugehen, ob das nun Menschen waren oder sonstige Umwelt.

Bobby achtete darauf, stets gebräunt zu sein; er hatte früh erkannt, dass die Menschen nicht dazu neigten, dunkelhäutigen, kleinwüchsigen Menschen, die körperlich arbeiteten, besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Heute war er damit beschäftigt, einen Bürgersteig vor einem Park zu fegen. Von Natur aus waren Bobbys Augen nicht sonderlich gut gewesen, aber die verdammten Aliens hatten da Ärzte, die gar nicht schlecht waren. Während er sich so auf dem Bürgersteig voranarbeitete, war er mal zwanzig, mal achtzig Meter von der Parkbank entfernt, die dem Feind angeblich als Briefkasten diente, konnte aber die Gesichtszüge eines jeden genau erkennen, der sich der Bank näherte.

Er hätte natürlich elektronische Hilfsmittel benutzen können. Er hatte sie auch, für alle Fälle. Aber nachdem er ein paar von den Dingen miterlebt hatte, die seine Chefs, diese verdammten Aliens, mit aufgezeichneten Daten machen konnten, glaubte Bobby fest an seine persönliche Note. Er hatte nie zu denen gehört, die den Gegner für unfähig oder dumm zu halten pflegten.

Außerdem bestand sein Auftrag hier lediglich darin, vor einem Zugriff zu bestätigen, dass ein Tipp zutraf.

Inzwischen hatte er zum zweiten Mal beim Kehren die Hälfte der Wegstrecke zurückgelegt, als der durchschnittlich aussehende Schwarze mit den konservativen Kopfmustern in den Jeans und einer schmutzigen blauen Windjacke auf der Bank Platz nahm. Das Gesicht entsprach genau einem der vier in der Akte, und er bewunderte, mit welcher Nonchalance der Mann so tat, als würde er den Tauben Brotkrumen hinwerfen und in Wirklichkeit mit der Hand über die Unterkante der Bank strich. Man musste sein Geschick wirklich bewundern. Bobby sah nicht einmal, wie er las, und konnte nur dem etwas helleren Aufleuchten, als der Mann sich eine Zigarette anzündete, entnehmen, dass es sich wahrscheinlich um eine Notiz auf Blitzpapier gehandelt hatte. Aber da war der Mann bereits wieder aufgestanden und schlenderte ganz unauffällig dorthin zurück, wo er hergekommen war.

Tipp bestätigt, Auftrag erfüllt. Bobby fuhr fort, den Fußweg um den ganzen Platz herum zu fegen und sammelte dabei seine Kameras wieder ein.

Der Typ von Fleet Strike, der eine halbe Stunde später deren Kameras im Park einsammelte, war ungeschickt, er trug zu schlampige Zivilkleidung und übertrieb in seinem ganzen Auftreten, obwohl seine Fingerfertigkeit nicht schlecht war. Trotzdem, es war deutlich zu erkennen, dass Fleet Strike schon lange nicht mehr mit einer ernsthaften Bedrohung eines gegnerischen Nachrichtendienstes konfrontiert gewesen war.

Jammerschade, dass er nicht darauf bauen konnte, dass all ihre Leute so unerfahren sein würden. Vermutlich würde das ein Overkill sein, aber er würde den Zugriff trotzdem so planen, als ob sie mit fähigen Gegenspielern zu tun hätten.

Nachdem er die letzte Kamera eingesteckt hatte, verschwand er durch eine Seitengasse zu seinem zehn Jahre alten Wagen und warf den Besen auf den Rücksitz. Sein AID sah aus wie ein billiger PDA aus einem Discountladen. Er rief kurz seinen Vetter an. »Hey, Johnny. Yeah, ich bin’s. Geht klar, Bier und Pizza am Dienstag, bei mir.«

Tipp bestätigt, Zugriff planmäßig, Maschinerie in Bewegung setzen. Hoffentlich kriegen wir alle einen ordentlichen Bonus.


Als Levon Martin den Bus verließ, nahm er die Tüte mit den Überresten seines letzten Sandwichs mit. Er zerzupfte das Brot in kleine Krumen, als er von der Haltestelle zum Park ging.

Es war ein wunderschöner Tag, aber ein bisschen windig. Seine Kleidung wirkte ein wenig abgetragen, eben so wie bequeme Kleidung, die man an seinem freien Tag zum Spazierengehen trug. Die Luft roch heute frisch und grün, und in den Ritzen des Straßenpflasters blühte gelber Löwenzahn und heiterte ihn ein wenig auf, bis er sich dann massiven gepflegten Blumenkisten aus Beton gegenüber sah, als er in den Platz einbog.

In dem kleinen Park, mitten auf dem freien Platz, fand er eine Stelle links außen an der Bank, die die Tauben einigermaßen ungeschoren gelassen hatten, setzte sich, warf den wohlgenährten Vögeln seine Brotkrumen hin und sah zu, wie sie darauf herumpickten.

Irgendwann zwischendurch griff er sich das Blitzpapier, das unten an der Bank klebte. Er riss, immer noch den Tauben Brotkrumen zuwerfend, den Fetzen Papier an der Ecke ab, wo ein paar winzige Filmpunkte zu erkennen waren, denen man später unter starker Vergrößerung Daten entnehmen konnte. Sonst stand auf dem Zettel nur noch »plus eine Stunde für Joe«.

Er behielt das Papier in der Hand, während er fortfuhr, die Vögel zu füttern, und beseitigte es, ehe er wegging, indem er es beim Anzünden einer Zigarette verbrannte. Die Tüte mit den Datenpunkten wanderte in seine Tasche. Ich hätte gerne gewusst, was Barry da in Gang gesetzt hat, das es nötig macht, die Besprechung in der Mitte des Zyklus zu verschieben? Nicht, dass es sehr wichtig gewesen wäre.

Auf den Fußwegen des Parks waren an diesem Sonntagnachmittag verschiedene Leute unterwegs, aber keiner davon fiel ihm besonders auf. Auch der dunkelhäutige Mann, der den Fußweg kehrte, schien ihm keiner besonderen Aufmerksamkeit wert, schließlich unterschied er sich durch nichts von Dutzenden anderer Leute, die ebenfalls einer ganz normalen Beschäftigung nachgingen.

Martin ging zur Bushaltestelle zurück und traf fünf Minuten vor der nächsten planmäßigen Abfahrt dort ein. Nach kurzem Warten konnte er einsteigen und war dann wieder verschwunden.


Chicago

Sonntag, 15. Juni, abends


Peter Vanderberg musterte den jungen Major, der vor ihm stand, sein Haar, das etwas länger war, als die Vorschrift es zuließ, den präzisen Sitz seiner Seidenkombination, und war mit dem Bild zufrieden, das sich ihm bot. Was ihm besonders an David Morrison zusagte, war äußerlich nicht wahrzunehmen. Wachsam, kompetent, intelligent. Auf Details achtend, ohne sich davon ablenken zu lassen und sich auf Trivialitäten zu konzentrieren. Gutes Delegationsvermögen. All das Gründe, weshalb der Mann bereits ungewöhnlich früh, nämlich mit sechsunddreißig Jahren, den Rang eines Majors bekleidete.

Seine Personalakte war praktisch perfekt, wie das für die neue, junge Generation von Fleet-Strike-Offizieren beinahe die Regel war.

»So. Nachdem jetzt unsere nachrichtendienstlichen Erkenntnisse bestätigt sind, erwarte ich bis morgen elfhundert einen abgestimmten Operationsplan für die Festnahme der Zielpersonen zur Einweisung der Teilnehmer. Sie können mein Besprechungszimmer benutzen, da ich persönlich teilnehmen möchte. Sehen Sie mich an, David.« Er sah dem Major in die Augen. »Ich kann gar nicht deutlich genug sagen, wie wichtig dieser Einsatz ist. Bedienen Sie sich aller nötigen Mittel und sorgen Sie dafür, dass es klappt.«

»Yes, Sir.« Er nickte. »Mein provisorischer Plan sieht ein solides Team in Zivilkleidung vor, unterstützt durch reichlich uniformierte Militärpolizei, die man versteckt und unter Funkstille halten kann, bis man sie benötigt.«

»Sehr vernünftig. Kümmern Sie sich drum. Wir sehen uns morgen. Wegtreten.«

»Yes, Sir.« Die Kehrtwendung war korrekt, aber entspannt und selbstsicher. Ein guter Mann. Sobald Stewart draußen war, würde er ihm ganz entschieden eine Kiste gemischter Havannas und einen guten Scotch schicken. Zum Teufel mit den Kosten dafür.


Basis Titan

Montag, 17. Juni, abends


»Er hat also tatsächlich nicht bemerkt, dass du all diese Berichte, die er wollte, von deinem Buckley hast machen lassen?« Stewart war ins Büro zurückgekehrt, da Sinda erst nach neunzehn Uhr in die Wohnung von General Arschloch musste, nämlich nachdem seine Frau weggegangen war.

»Na ja, er hat gemeint, sie wären ein wenig pessimistisch.« Sie strich ihm mit einem verschwörerischen Grinsen mit dem Finger über die Brust. »Ich hab ihm gesagt, es läge daran, dass ich bald meine Tage bekomme.«

»Und damit«, sie tippte ihm mit dem Finger auf die Brust, »haben wir alle Möglichkeiten der normalen Büros wohl ziemlich erschöpft, aber du«, sie tippte ihm erneut auf die Brust, »hast Zugang zu dem verschlossenen Raum neben Beeds Büro. Gibt es dort … interessantes Mobiliar oder dergleichen?«

Ihre Brüste strichen fast über seine Brust, und er konnte spüren, wie ihre Brustwarzen unter dem dünnen Stoff hart wurden. Ihr Atem war warm und roch nach Zimt.

»Nun ja, es gibt dort einen Fernsehsessel. Und einen großen Bildschirm. Ich glaube nicht, dass es ihm recht wäre, wenn man in den anderen Büros wüsste, dass er sie benutzt.« Er fuhr ihr mit der Hand durch ihr seidiges Haar. Sie hatte großartiges Haar.

»Ein Fernsehsessel? Klingt interessant«, sagte sie.

Wenn sie sich einbildete, dass sie im Sattel sitzen würde wie letzte Nacht, stand ihr eine Überraschung bevor. Nicht, dass es nicht fantastisch gewesen wäre, bloß, nun ja, sie hatten nicht viel Zeit gehabt, aber das war nicht ihre Schuld gewesen. Und deshalb war er diesmal in der Stimmung, sie richtig fertig zu machen. Der General, dieses Arschloch, sollte seinetwegen ihre Schauspielkünste genießen, aber er bekam von ihr echte Leidenschaft, das stand für ihn fest. Sie sollte es einfach nicht schaffen, ihn zu vergessen, nicht während dieser traurigen Pantomime mit diesem unfähigen, korrupten Schwein. Wie er sich danach sehnte, den Kerl endlich seines Kommandos zu entheben und seiner Karriere ein Ende zu machen!

Der versprochene Fernsehsessel hatte einen unglaublich scheußlichen grün-schwarz karierten Bezug. Ein verblasstes Kissen im Leopardenmuster, wer weiß, woher es stammen mochte, lag darauf. Und neben dem Sessel lagen ein paar andere Kissen und eine rot-weiße Decke mit dem Emblem einer Limonadenmarke. Auf dem kleinen Couchtisch stand eine Schachtel mit Holowürfeln. Die Wände waren in demselben amtlichen Grün und Schlachtschiffgrau wie der Rest des Büros gehalten.

Als die Tür sich hinter ihr zuschob, packte er sie beinahe brutal, zog sie an sich und küsste sie hart. Er wusste nicht, was diese Frau an sich hatte, aber ein einziger Kuss, eine einzige Berührung, und er war außer sich.

Jetzt schlangen sich ihre Beine um seine Hüften, und in ihm begann es zu kochen. Die Kissen und die Decke reichten gerade aus, um sie zu stützen, als er sie über die Armlehne des Sessels bog. Er hatte beide Hände frei und konnte sie ungehindert benutzen. Und das tat er dann auch, als er spürte, dass die ersten Zuckungen sie durchliefen. Gestern war schon ziemlich grandios gewesen, aber Stewart hatte es nun einmal lieber, wenn er selbst das Tempo bestimmen konnte.

Er hatte sich gerade vom zweiten Mal erholt und wollte wieder von neuem beginnen — diese Verjüngungsbehandlung hatte ihre Vorteile -, als er glaubte, im Vorzimmer ein Geräusch zu hören. Eilig legte er Sinda die Hand über den Mund. »Schsch!«, machte er, und beide griffen nach ihren PDAs. Sie hatte ihren zuerst.

»Buckley, wer ist dort draußen?«, zischte sie.

»Sergeant Franks! Er wird’s dem General sagen, und dann sterben wir alle!«, flüsterte es zurück.

Nur Franks. Was der wohl will? Stewart atmete erleichtert auf und legte ihr einen Finger auf die Lippen.

Sinda nickte.

Er murmelte seinem getarnten AID leise zu, es solle Franks belauschen, bis er den Hauptquartierskomplex verlassen hatte. Dann saßen er und Sinda stumm da und starrten einander an, bis das AID leise verkündete, dass Franks wieder gegangen sei und der ganze Bereich, abgesehen von ihnen und der MP-Wache draußen im Korridor, leer sei.

»Du hast ja deinen Buckley verdammt gut abgerichtet«, sagte er.

»Yeah, und du auch«, stellte sie etwas abwesend fest. »Mann, das nimmt einem richtig die Stimmung, oder?«

»Yeah, aber ich denke, da kommen wir gleich wieder rein.« Er blickte zu Boden, zuckte die Achseln und strich ihr mit dem Finger über den Schenkel.

»Heute hat man uns schon einmal beinahe erwischt. Wir sollten es nicht übertreiben, okay?« Sie schob seine Hand weg und griff mit einem bedauernden Lächeln nach ihrer Uniform.

»Yeah«, pflichtete er ihr widerstrebend bei und griff selbst nach seinen Kleidern. Es war wirklich nicht ihre Schuld. Wenn überhaupt jemand Schuld hatte, dann er, weil er schließlich über die Macht verfügte, den Dreckskerl seines Kommandos zu entheben und das bis jetzt noch nicht getan hatte. Okay, seine eigenen Befehle ließen das bis jetzt noch nicht zu, aber wenn er dafür sorgen wollte, dass sie nicht mehr zu diesem Arschloch ins Bett kriechen musste, brauchte er sich ja bloß zu beeilen und Franks — oder wen auch immer sonst die Gegenseite hier eingeschleust hatte — zu schnappen. Und sobald das erledigt war, konnte er Beed seines Kommandos entheben und diesen Kotzbrocken zur Erde schicken und damit von Sinda weg.

Er küsste sie und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass er hier Ordnung machen würde und sie sich um ihr Haar und ihre Kleidung kümmern könne.

Nicht dass es völlig unmöglich gewesen wäre. Schließlich war es ja nicht ihr Lebenszweck, bei CID oder einer MP-Brigade zu arbeiten. Er konnte veranlassen, dass sie irgendwohin auf der Basis versetzt wurde. Und sobald sie nicht mehr beide in derselben Befehlskette dienten und sie einen nicht ganz so verrückten Job wie diesen hatte, gab es ja eigentlich nichts, was sie voneinander abhalten würde, oder?


Basis Titan

Dienstag, 18. Juni, 16:30


Auf dem Shuttle zum Frachter trugen Jay und die anderen im Allgemeinen unter ihren schweren Baumwollkombinationen Unterzeug aus demselben Material wie Militärseide. Das mussten sie. Die Landekontrolle hätte das Austreten von Wärme nicht erlaubt, das die Folge gewesen wäre, wenn sie die Shuttle-Kabine erträglich temperiert hätten.

Außerdem sollten sie ohnehin nicht im Shuttle schlafen. Als Tarnung dafür hatten sie ein Passantenzimmer mieten und jemanden lange genug dort unterbringen müssen, dass es auch benutzt aussah. Jay war dieses Arrangement ganz sympathisch, weil es ihm eine ausgezeichnete Tarnung für seine unabhängigen Ausflüge lieferte, wenn er dran war, das Zimmer zu benutzen.

Und das war für heute vorgesehen, aber Papa O’Neal hatte ihn gebeten, mit ihm zu tauschen, und er hatte keinen vertretbaren Vorwand gehabt, um das abzulehnen.

Und deshalb steckte er jetzt im Shuttle und fror sich mit Sunday den Hintern wund. Schön, das Seidenunterzeug half da ein wenig. Trotzdem wäre er lieber allein und im Warmen gewesen. Nicht, dass Sunday ein übler Kerl gewesen wäre, aber der Bursche hatte so viel Geld, dass er gar keine Vorstellung davon hatte, wie es war, in der lausigen Bane Sidhe aufzuwachsen. Oh, die meisten von den Kids hatten das einfach akzeptiert. Sie hatten nie etwas Besseres gekannt. Aber er stammte aus einer Arztfamilie und hatte den Unterschied zwischen sich und den anderen Ärztekindern miterlebt. Er wusste recht gut, wie sein Leben ohne die beschissene Bane Sidhe gewesen wäre. Sunday hätte das nie begriffen, aber er bekam jetzt bloß das Leben zurück, das ihm eigentlich von Anfang an zugestanden hätte. Und wenn die BS darunter litt, na schön, dann war das eben ein Ausgleich, nicht wahr?

Er warf einen verstohlenen Blick auf die Flugpläne des Shuttle nach draußen. Scheiße! Zwei Stunden Startverspätung wegen mechanischer Probleme. Zum Kotzen. Okay, aber kein echtes Problem. Das lag immer noch innerhalb des Zeitplans für sein Ablenkungsmanöver, bloß dass die andere Startzeit eben ideal gewesen wäre.

Seine Kleider zum Wechseln und sein Ausweis lagen mit dem Geld und einem Minimum an Gepäck bereit. Er musste einfach noch zwei Stunden totschlagen, das war alles.

»Hey, Sunday, spielen wir eine Runde Warlord?« Er fuchtelte mit seinem PDA.


Dienstag, 18. Juni, 19:00


Cally saß auf dem heruntergeklappten Deckel in der einzigen Kabine der Damentoilette. Das einzige Problem mit diesem Diuretikum war, dass es die Potenz beeinträchtigte und einen Nachgeschmack annahm, wenn man es zu lange vorher auflöste. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie heute Abend Gelegenheit finden würde, sich Zugang zu dem letzten bewachten Raum zu verschaffen. Und das bedeutete, dass sie das Mittel in zwei Stunden brauchen würde. Ein paar Tropfen in seinem Bier würden die Garantie dafür liefern, dass er hinausrannte.

Sie steckte die Flasche in ihre Handtasche und zog einen Datenwürfel für ihren PDA heraus. Keine Ahnung, welches Programm sie brauchen würde, um die Anwendung zu knacken. Am besten war, sie hatte alle bei sich. Trotzdem überprüfte sie für alle Fälle den Verschluss der kleinen Essigflasche.

Wieder zurück im Büro, arbeitete sie ein paar Akten auf und wartete dann darauf, dass Pryce mit dem Abendessen zurückkam. Sie hatte ihn gebeten, Bier und Chicken Wings zu kaufen. Alle tranken zu Chicken Wings Bier.

Heute hatten sie keine vorgegebene Zeitgrenze. Beeds Frau hatte offenbar endlich darauf bestanden, dass er einmal einen Abend zu Hause mit ihr verbrachte. Verdammt schade, diesen Abend damit vergeuden zu müssen, dass sie Pryce etwas ins Bier schüttete, aber ihr Job war wichtiger als ihre Hormone. Außerdem, wenn sie herausfand, wer die undichte Stelle war, und das würde sie über kurz oder lang, würde alles ohnehin ohne ein Lebewohl zu Ende sein.

Aber vielleicht würde sie das heute Abend noch nicht herausbekommen. Vielleicht war es dort, wo Beed bei seinen langen Inspektionsgängen hinging. Vielleicht sogar drüben im Gefängniskomplex. Sicher genug war der jedenfalls.

Beed dazu zu überreden, sie mitzunehmen, würde ein Leichtes sein. Sie brauchte ihm bloß einen schwachen Vorwand zu liefern. Dieser geile Mistkerl würde sich die Gelegenheit bestimmt nicht entgehen lassen …

Sie lächelte betrübt, als sie die Tür des Vorzimmers hörte. Wirklich jammerschade, dass sie das tun musste, aber sie wusste keine bessere Methode, sich die Zeit zu verschaffen, die sie brauchte um unbeobachtet suchen zu können, ohne ihm dabei einen Schaden zuzufügen. Nun ja, allenfalls einen Schaden an seiner Manneswürde. Sie brachte ihre Gesichtszüge unter Kontrolle und grinste, als er zur offenen Tür hereinkam.

»Mhmm. Da riecht etwas gut.« Sie sog genießerisch die Luft ein. »Und das Abendessen riecht auch recht gut.«

»Nett.« Er sah sie von der Seite an und holte die Bierflaschen und die Kartons mit den Chicken Wings aus der Tüte. »Wolltest du überhaupt etwas zu essen? Ich meine, wenn du nicht hungrig sein solltest …« Er grinste viel sagend.

»Mhmm, ich hab tatsächlich Hunger. Ich meine, ich will essen. Zuerst.« Sie ließ die Augenlider ein wenig heruntersinken, damit es ihr anzumerken war, wie sehr sie sich nach ihm sehnte. Sie spürte einen Kloß in der Kehle. Manchmal hasste sie ihren Job.

»Okay.« Er öffnete die Bierflaschen und ging seinen Bürosessel holen. Also brauchte sie die List gar nicht anzuwenden, die sie sich vorgenommen hatte.

Es dauerte nur eine Sekunde, in die Schreibtischschublade zu greifen und zwei Tropfen in sein Bier fallen zu lassen.

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