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Auf Old Tommy’s Pub konnte man sich immer verlassen, man bekam dort sowohl die flüssigen wie die musikalischen Importe aus Irland frisch vom Schiff. Irische Musik mit ihrer unbezähmbaren Fähigkeit, auch aus einem harten Los das Beste zu machen, erlebte gerade so etwas wie eine Wiedergeburt. Balladen und Märsche, die die Heldentaten von GKA-Rittern im Kampf gegen zentauroide Monster verherrlichten, waren vielleicht nicht im strengen Sinne traditionell, aber die modernen Minnesänger Irlands hatten ihren kulturellen Wert in einer Post-Posleen-Welt erkannt und erfüllten diese Aufgabe auf brillante Weise. Ein Bodhran, die traditionelle irische Ziegenfelltrommel, passte nicht nur auf die kleine Bühne eines Pubs, sondern lieferte auch einen überraschend guten Hintergrund für die grellen Klänge einer schon etwas angejahrten Stratocaster. Nun ja, zumindest in ein paar Stunden würde sie schrill klingen. Im Augenblick befanden sich die Instrumente noch in ihren Koffern, und die paar Typen, die da in der Ecke saßen und einen Happen zu sich nahmen, waren vermutlich die Musiker. Kadetten waren es jedenfalls nicht, ihrem Haarschnitt nach zu schließen.

Cally zog sich einen Barhocker heran und bestellte sich ein Killians und einen Meeresfrüchtesalat und verbrachte dann die nächste Stunde damit, mit dem Barkeeper zu flirten und darauf zu warten, dass die Band zu spielen begann. Kadetten tröpfelten den ganzen Abend über herein. Die meisten von ihnen sahen zu jung aus, um sich zu rasieren und waren für sie auf das Strengste off-limits, so sehr sie sich auch bemühten, einen Blick von ihr aufzufangen, aber einer von ihnen wirkte ein wenig älter als die Übrigen und bewegte sich so, als habe er bereits gedient, obwohl die Abzeichen an seiner weißen Sommeruniform auf einen Junior deuteten — mit einem ausgesprochen knackigen Hintern. Der kam infrage.

Sie suchte seinen Blick, hob ihr Glas und zeigte ihm ein freundliches Lächeln. Er erstarrte eine Sekunde lang und sah sich dann über die Schulter um, als wäre er nicht sicher, ob ihr Blick auch wirklich ihm galt; dann entschuldigte er sich bei seinen Kumpels und brachte seine Flasche Budweiser herüber, während seine Freunde sich alle Mühe gaben, beim Abschließen der Wetten auf seine Chancen nicht zu auffällig zu werden.

»Äh … hi. Ich darf mich doch zu Ihnen setzen?« Er stellte sein Bier vor dem leeren Hocker neben ihr auf die Bartheke.

»Das wäre schön.«

»Ich heiße Mark.« Er musterte ihr praktisch noch volles Bierglas mit einem Ausdruck, der an Verzweiflung grenzte, und meinte dann: »Äh … kommen Sie oft hierher?« Und dann setzte er sich hin und verwünschte sich zweifellos im Stillen, dass er etwas so Banales und wenig Brillantes gesagt hatte.

»Nicht oft genug, sonst wäre ich dir sicher schon begegnet.« Sie lächelte freundlich und hielt ihm die Hand hin. »Ich heiße Pamela. Schon lange in der Zitadelle?«

»Siehst du die Streifen hier? Die sagen, dass ich ein Junior bin.« Er registrierte, dass sie ihn duzte. Sofort ging er darauf ein und grinste locker, und fühlte sich jetzt sichtlich auf festerem Boden. »Im ersten Jahr hat man gar keine, im zweiten einen und Seniors sind diese Typen da, die im Blazer herumlaufen. Aber ich bin bereits im zweiten Jahr. Vorher gedient.« Dabei vergrößerte sich sein Brustumfang ein wenig, vermutlich unbewusst.

»Oh? Wo hast du denn gedient?«

»Afrika. Dort gibt es nicht genug Menschen, um auf Dauer die Posleen zu verdrängen, und die Posties kommen ja schon mit gewissen Fähigkeiten auf die Welt, die Menschen erst lernen müssen. Deshalb hat Fleet Strike dort Einheiten im Einsatz, die nach dem Zufallsprinzip durchs Land ziehen und versuchen, die kleinen Gruppen von Wilden zu verjagen, ehe daraus große Banden werden.«

»War das anstrengend? Selbst Wilde sind so groß«, sie stützte den Ellbogen auf die Bar, lehnte sich ein wenig vor und sah ihn aus geweiteten Augen an. »Ich habe sie natürlich nur im Holotank gesehen. Du musst wirklich sehr tapfer sein, dich für so etwas freiwillig zu melden. Hast du einen von diesen, wie sagt man da, gepanzerten Anzügen getragen?«

»Das hätte ich gerne.« Er schüttelte den Kopf. »Die Typen sind wirklich der harte Kern, und sie nehmen nur die Besten. Wir hatten nicht viele davon in Afrika. Die meisten von ihnen sind draußen auf den neuen Planeten und verjagen die Posties, um Platz für Kolonisten zu schaffen.« Er grinste schwach. »Manchmal nehmen die GKA einen neuen Absolventen der Akademie mit wirklich guter Beurteilung, also habe ich immerhin noch eine Chance.« Sein Blick wanderte gelegentlich zu ihrer Brust, aber insgesamt mühte er sich wacker, sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren. »Und was ist mit dir, was machst du?«

»Nichts, was auch nur annähernd so interessant ist wie Posleen zu töten.« Sie grinste und hob ihre perfekt gestylte Hand. »Ich bin Maniküre. Nägel und Sympathie, das ist mein Job.«

»Und Klatsch?«

»Na ja, ein ganz kleines bisschen vielleicht.« Sie lachte ihn an und rümpfte dabei ganz leicht die Nase.

»Dann … äh … bist du in Charleston aufgewachsen? Früher konnte man das ja wohl nach dem Akzent bestimmen, aber …«

»Nein, ich bin der Kairo Urb aufgewachsen. Aber ich mag die Sonne«, sie deutete auf ihre gebräunten Arme und zuckte die Achseln, »und den Strand liebe ich, deshalb bin ich hier.«

»Ah, ein echtes Strandhäschen. Davon gibt’s heutzutage nicht mehr viele.« Seine Hand fühlte sich weich an, als er nach der ihren griff. »Einfach ein ganz altmodisches Mädchen, wie?«

»Na ja, ein wenig schon«, gab sie zu, drückte dabei seine Hand und leckte sich über die Lippen. »Oh, hey, das Lied hier mag ich.«

Er hörte sich mit ihr stumm »The Holy Ground« bis zum Ende an und winkte dann dem Barkeeper nach einem frischen Bier.

»Dann magst du also irische Musik?«, fragte er.

»Ja, das meiste jedenfalls. Noch mehr mag ich den Tanzmix von vor dem Krieg. Ich habe kein Sitzfleisch, weißt du?« Sie zog ein Päckchen Marlboro aus der Handtasche und war dabei, sich eine anzuzünden, hielt aber inne, als sie ihn zusammenzucken sah. »Oh, tut mir Leid. Stört dich der Rauch?« Eine dicke Wolke Tabakrauch hing in der Bar, und deshalb sah sie ihn mit hochgeschobenen Augenbrauen an.

»Nur, dass du dir so etwas antust. Meine Oma ist letzte Woche gestorben. Lungenkrebs. Während des Kriegs und auch danach hat sie das Rauchen eingeschränkt, weil der Tabak damals knapp war, aber das hat wohl nicht gereicht.« Er runzelte die Stirn. »Tut mir Leid, aber … das ist noch gar nicht so lange her.«

»Na ja, Sucht bildend sind sie ja nicht mehr, aber es tut mir wirklich Leid, wenn ich dich damit an etwas so Trauriges erinnert habe.« Sie schob das Päckchen wieder in die Handtasche zurück und legte eine weiche Hand auf seinen Arm. »Weißt du, was du brauchst? Du musst dich davon ablenken. Ein Stückchen weiter unten an der Straße ist eine Kneipe, die heißt Decos.« Sie wies auf die Bühne. »Wenn du ein Tief hast, verträgst du dieses Zeug nicht. Du musst es aus dir heraustanzen. Das tue ich immer, wenn mich etwas bedrückt. Verschwinden wir hier.«

»Yeah.« Er gab sich einen kleinen Ruck und nickte seinen Freunden zu, als sie das Lokal verließen.

Zwei Stunden später saß sie hinter ihm auf seinem Motorrad, und eine dünne Schweißschicht trocknete in der salzigen Luft auf ihrer Haut, während sie zu einem der hauptsächlich von Touristen vom Festland benutzten Hotels fuhren. Als er auf den Parkplatz einbog und anhielt, ließ sie seine Hüften los und kletterte langsam aus dem Sattel, als wolle sie sich nicht von der Wärme trennen, die er ausstrahlte.

»Für deine Uniformen muss das ja schlimm sein«, sagte sie und deutete dabei auf das Motorrad.

»Na ja, schon. Außer an den Wochenenden habe ich es ja meistens in der Garage. Aber stimmt schon, ich brauche ständig neue Umformen.« Er seufzte. »Ich sag das wirklich ungern, aber würde es dir etwas ausmachen hier zu warten, bis ich uns ein Zimmer besorgt habe? Ich weiß nicht, ob die vielleicht Zicken machen, wenn du dabei bist.«

Das ist denen schnurzegal, aber ich will nicht zugeben, dass ich das weiß. »Oh, überhaupt nicht. Es ist warm, und wir haben Mondschein. Ich werde einfach den Abend und die frische Luft genießen, bis du zurückkommst.«

»Äh … dauert nur eine Minute.« Er drückte die Schultern zurück und ging mit einer leicht übertriebenen Pose der Selbstsicherheit auf die Tür zur Lobby zu.

Sie waren nur ein paar Straßen vom Wall entfernt, und sie konnte ihn vom Parkplatz hinter ein paar freien Grundstücken und flachen Bauten sehen, wahrscheinlich würde ihr der Salzgeruch nicht so auffallen, wenn sie öfter zu Hause wäre, dachte sie, aber heute roch es wirklich kräftig. Sie betrachtete die paar Sterne, die im Dunst über den Palmettos zu sehen waren.


Als er mit dem Schlüssel wieder herauskam, lehnte sie mit geschlossenen Augen und das Gesicht zum Himmel gewandt an seinem Motorrad.

»Du wirst mir doch hoffentlich nicht einschlafen«, neckte er.

Sie schüttelte den Kopf und schluckte etwas hinunter, wahrscheinlich Kaugummi, denn ihr Mund schmeckte frisch und süß, als er sie an sich zog und sie küsste, zuerst sanft, aber als sie dann reagierte, mit mehr Leidenschaft.

»Äh … gehen wir hinein«, sagte er, als sie schließlich Luft holen musste, und sah sich ein wenig verlegen auf dem Parkplatz um, ehe er nach ihrer Hand griff und sie die Treppe hinauf in den ersten Stock führte.

Im Zimmer schob sie sich in seine Arme und ließ ihre Hände an seiner Brust emporwandern. Er griff ihr mit einer Hand an den Po und vergrub die andere in ihrem herrlichen, seidigen blonden Haar. Sie war so schlank, dass er das Gefühl hatte, er könne sie zerbrechen, wenn er zu kräftig zudrückte.

Sie griff mit beiden Händen sein Kinn, küsste ihn hungrig und bewegte sich dabei rückwärts auf das Bett zu, ließ ihn dann verspielt los und sich mit einem breiten Grinsen aufs Bett plumpsen, als ihre Beine hinten den Bettrand berührten.

»Immer hereinspaziert …« Sie knöpfte den Bund ihrer Radfahrerhose auf und hauchte ihm einen Kuss entgegen.

Er lachte, legte sich neben sie, schob den Finger in den V-Ausschnitt ihrer Bluse.

»Hast du dich da verletzt?«, fragte er, beugte sich über sie und küsste sie auf die Schläfe. »Schon gut.« Er ließ die Lippen zu ihrem Mund wandern und wurde erneut von ihr verschlungen.

Sie zog sich ein Stück zurück und sah ihm in die Augen, als sie sich die Bluse abstreifte und sie über die Bettkante fallen ließ, gleich darauf ihren BH; dann strich sie mit dem Finger über die Vorderseite seiner weißen Uniformjacke.

»Kann man das ausziehen?« Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, legte den Kopf etwas zur Seite und sah ihm zu, wie er sie musterte.

»Pamela, du bist schön.« Er knöpfte sein Jackett auf, grinste verlegen, als sein spießiges grau-weißes Unterhemd und die Hosenträger zum Vorschein kamen, und streifte sie so schnell es ging ab.

»Mhm. Hübsch …« Sie drückte sich an ihn, vergrub das Gesicht an seiner Schulter.

Er stöhnte, presste beide Hände gegen ihren Rücken, vergrub das Gesicht in ihrem Haar und atmete dessen saubere Frische ein. »Pamela«, hauchte er und ließ dann eine Hand zu ihrer Brust wandern. Plötzlich verspürte er das dringende Bedürfnis, ihre und auch seine eigene Hose herunterzuziehen, und ein leichtes Zittern durchlief ihn. Wie leicht konnte es sein, dass jetzt alles zu schnell ging. Wie konnte er es anstellen, dass das nicht geschah? Sie war seidig und warm und frisch und rieb sich an ihm, und plötzlich brauchte er sie.

»Schsch. Ganz sanft.« Sie löste die Lippen von den seinen und drückte ihm sanft auf den Rücken. »Lass mich machen.« Sie fuhr fort, sie beide auszuziehen und hielt sich ein kleines Stück von ihm entfernt, auch als er sie wieder an sich ziehen wollte, sodass er, als sie schließlich über ihn stieg und ihn in sich eindringen ließ, keine Angst mehr hatte, sich zu blamieren.

Herrgott, die Frau musste Muskeln haben, von deren Existenz er gar nicht wusste, und es fühlte sich himmlisch an, aber als er dann fast zum Höhepunkt kam, dachte er, er würde sterben, als sie einen Augenblick innehielt und lächelnd seine beiden Hände hielt.

»Mhm. Noch nicht. Es wird noch besser.« Als sein Atem wieder langsamer ging, begann sie sich wieder zu bewegen, gerade genug. Immer gerade genug.

Sie spielte mit ihm, immer wieder, spielte mit diesen diabolischen Muskeln und zog sich immer wieder sanft und zärtlich zurück, damit er ruhiger werden konnte, immer gerade genug, sodass sie dann beide keuchten, als sie ihn schließlich über sich zog und ihm die Führung überließ, nach der er sich geradezu verzehrte. Sie strich ihm sanft über das Gesicht, als sie ihren Höhepunkt erreichte und seine Welt in einem gewaltigen Orgasmus explodierte, nach dem er stumm und reglos dalag. Ihre Beine klammerten sich immer noch um seine Schenkel, und die Art und Weise, wie sie sich eingerollt an seine Brust schmiegte, rührte beinahe an Verzweiflung. Er küsste sanft ihr Haar, rollte sich auf den Rücken und versuchte zu begreifen, warum er plötzlich so bedrückt war.


Sonntag, 12. Mai


Mark lag neben ihr im Bett, wer auch immer sie war, und starrte an die Decke des Hotelzimmers. Als er Pamela gestern Abend im Old Tommy’s kennen gelernt hatte, war sie ihm so nett, so komisch und … so frisch erschienen. Aber dieses Mädchen existierte gar nicht, oder? Er blickte finster auf die zerzauste Mähne, die da an seinem Arm schnarchte. Herrgott, es ist ja beinahe, als ob sie sie umgebracht hätte. Falls sie jemals Pamela, zweiundzwanzig, von Tidewater Tan and Nails war, ist sie das jetzt ganz sicherlich nicht mehr. Ist es schon mindestens seit Jahrzehnten nicht mehr gewesen. Diese verdammte Verjüngung. Herrgott, was werde ich denn sagen … ich will sie einfach draußen haben. Soll ich sie also aufwecken und sie mit einem Tritt nach draußen befördern oder bis zum Morgen warten und ihr ganz genau sagen, was ich von ihr und ihresgleichen halte …

Als sie sich am Morgen regte, sich dann an seine Seite schmiegte und ihn mit ihren viel zu erfahrenen Händen liebkoste, musste er ein Schaudern unterdrücken, als er lächelte und ihr das Haar aus dem Gesicht schob. Wirklich erstaunlich, dass man es ihnen nicht ansieht. Keine Spuren, nichts.

»Ich wette, du könntest etwas furchtbar Nettes mit deinem Mund machen, du weißt schon, dort unten«, sagte er.

»Mhm. Sicher könnte ich das.« Sie lächelte verschlafen und rutschte an seiner Brust hinunter.

Er vergrub die Hände in ihrem Haar und versuchte, wenn auch nur auf ein paar Augenblicke, so zu tun, als ob es wirklich eine »Pamela« gäbe. Nachher atmete er tief durch und schob sie von sich weg, stand auf und griff sich seine Hosen vom Stuhl neben dem Bett. Er mochte vielleicht jung sein, aber er war alt genug, um zu keiner Frau das zu sagen, was er ihr sagen musste, ohne sich wenigstens ein wenig zu schützen.

»Also, wie alt bist du wirklich?«, fragte er kühl.

Sie zog sich das Laken hoch und wischte sich die Lippen und musterte ihn dann prüfend. »Wie alt möchtest du denn, dass ich bin?«

»Erinnerst du dich, wie ich dir gestern Abend von meiner Großmutter erzählt habe, die gerade an Krebs gestorben ist?« Er hatte sich umgedreht und sah jetzt zum Fenster hinaus, und seine Stimme klang beiläufig. »Die Galakter hätten sie retten können, aber das haben sie nicht getan.«

»Ich weiß.« Das Mitgefühl machte ihr Gesicht weich. »Das muss schrecklich sein.«

»Yeah, na ja, wenigstens ist sie mit ihrer Seele gestorben. Bist du je einem begegnet, den sie runderneuert haben?« Jetzt kommt es, gib’s ihr ruhig. »Die Galakter können deinen Körper den ganzen Tag lang retten, aber dafür muss man ihnen seine Seele verschreiben, damit sie einen verjüngen, oder?«

»Letzte Nacht hast du mir nicht den Eindruck gemacht, als ob du dich beklagen würdest.« Ihre Augen waren eisig, ihre Stimme ausdruckslos.

»Erinnerst du dich an mein Motorrad, auf dem wir gestern vom Pub hierher gefahren sind?« Er lächelte verkniffen. »Eine nagelneue Honda-Davidson, Baujahr 2047. Ich hätte eine 2046-er kriegen können, komplett neu aufgearbeitet, die hätte nur die Hälfte gekostet. Ich mag bloß nichts Aufgearbeitetes. Ihr Runderneuerten verkauft eure Seele off-planet, und dann kommt ihr hie und da auf die Erde zurück, wenn ihr bemerkt, dass euch etwas fehlt, treibt euch in den Kneipen herum und saugt einem armen Teufel, der sich eine Zeit lang als Spielzeug für euch hergibt, die Seele aus dem Leib. Du machst deine Sache ja wirklich gut, Pamela, aber ich mag keine Runderneuerten. Sieh zu, dass du verschwunden bist, wenn ich aus der Dusche komme, aber du brauchst dich nicht zu beeilen, ich werde ’ne ganze Weile brauchen, bis ich sauber bin.«

»Übrigens«, sie schwang die Beine über den Bettrand, stand auf und ließ ihre kalten, toten Augen langsam, ganz langsam an ihm nach oben wandern. »Deine ›Seele‹ braucht noch einige Übung.«

»Die deine hatte schon zu viel.« Und dann fügte er hinzu, über die Schulter hinweg, als er die Tür zum Badezimmer schloss: »Das, was noch von ihr übrig ist.«


In ihrem Apartment vertauschte Cally ihre Pamela Kleider gegen die schäbig-schicken Kleider Justines und wechselte Pamelas Sonnenbräune und die angedunkelten Haarwurzeln gegen Justines Blässe und die hellen Strähnchen und den rosa Nagellack gegen gar keinen, nahm den 9.30-Uhr-Bus zur Market Street und betrat ein kleines und um diese Stunde noch völlig leeres Café. Sie setzte sich an die Theke und bestellte Toast und Kaffee. Die Bedienung, ein Junge unter zwanzig, stellte ihr eine Tasse Kaffee mit drei Würfeln Zucker und den Toast hin. Zwei der Zuckerwürfel waren etwas weißer als der dritte. Während der Kellner an der Registrierkasse beschäftigt war, steckte sie jene zwei ein und ließ den dritten in ihren Kaffee fallen. Sie strich sich die von Justine vorgezogene Orangenmarmelade dünn auf ihren Toast. Als sie dann ihren Kaffee trank, kam der Kellner zurück und fragte sie, ob sie noch etwas wünsche.

Sie schüttelte leicht den Kopf.

»Bist aber heute Morgen früh dran«, meinte er.

»Er war kein Morgentyp.« Sie zuckte die Achseln. Bloß ein jämmerliches, kleines Hündchen voll Angst, ich könnte ihm in die Eier treten. Aber er hat Recht gehabt. Ich bin zu alt für ihn. Der Kellner unterdrückte ein Grinsen und ging zu der kleinen Spüle zurück und fuhr fort, das Geschirr vom Sonntagsfrühstück zu waschen.


Wieder zuhause, spülte Cally die dünne Außenschicht Zucker von den beiden Würfeln, trocknete sie ab und schob den ersten in den Leseschlitz ihres PDA. Ein Hologramm baute sich darüber auf, mit einem Bild überraschenderweise von Father O’Reilly.

»Miss O’Neal, Sie sehen mich anstelle Ihres üblichen Einsatzprofilers, weil es sich um eine Art Sondereinsatz handelt. Wir haben Grund zu der Annahme, dass die Bane Sidhe auf einem sehr hohen Level penetriert worden ist. Demzufolge beschränkt sich die Kenntnis über diesen Einsatz im Hauptquartier, meine Person eingeschlossen, auf drei Leute. Ihr Auftrag besteht darin, die undichte Stelle ausfindig zu machen und mit allen Mitteln zu stopfen, die Sie nach persönlichem Ermessen für notwendig halten. Sie werden bei diesem Einsatz Ihr übliches Supportteam benutzen. Infolge der hoch sensiblen Natur dieses Einsatzes wird sich das Briefing Ihrer Teammitglieder auf jene Einzelheiten beschränken, die notwendig sind, um Sie in Ihre Tarnposition zu bringen. Sie sind nicht autorisiert, vor dem Briefing im Stützpunkt über dieses autorisierte Material hinauszugehen, und dieses Briefing wird frühestens am Donnerstag vor der Einbringung erfolgen; es wird auch erfordern, dass sämtliche gebrieften Teammitglieder bis zum Einsatz in sicherer Umgebung bleiben. Die Einbringung Ihrer Teammitglieder wird wesentlich weniger kompliziert als Ihre eigene sein. Sie werden sämtliche Maßnahmen überprüfen und in den zwei Wochen zwischen heute und dem Einführungsdatum nach Ihrem Ermessen etwa notwendige Änderungen vornehmen. Zeit, die Sie nicht für Ihre Vorbereitungen benötigen, dürfen und werden Sie auf Ihren rückständigen Urlaub verrechnen. Cally, wenn Sie nicht mindestens eine Woche davon als Urlaub nehmen, garantiere ich Ihnen persönlich, dass Sie für mindestens einen Monat auf die Reservebank kommen. Sie sind eine ausgezeichnete Agentin, eine der Besten, die wir haben, aber selbst die Besten müssen einmal etwas ausspannen. Wir würden es natürlich vorziehen, wenn Sie diese Auszeit freiwillig nehmen würden.«

Das Hologramm flackerte, und an seine Stelle trat ein sich drehendes Steh-Hologramm eines Offiziers, dessen Kragensterne sein sichtbares Alter von etwa dreißig Lügen straften. »Der Offizier, den Sie jetzt sehen, ist General Bernhard Beed vom Sicherheitsdirektorat von Fleet Strike. Offiziell leitet Beeds Büro die Dritte MP-Brigade und die Kriminalermittlungsfunktionen der Basis Titan. Da zwei seiner Bataillone im Einsatz sind, werden Sie feststellen, dass er grundsätzlich Zeit für zusätzliche Aufgaben hat. Uns liegen Informationen vor, wonach unser Leck möglicherweise ein nicht der Bane Sidhe angehörendes Mitglied eines der Tongs auf Basis Titan benutzt. Wir nehmen an, dass man in Wirklichkeit Beed darauf angesetzt hat, Gegenspionage-Operationen gegen unsere Organisation aufzubauen und zu leiten. Wir glauben deshalb, dass Beeds Büro der beste Ort ist, um mit der Suche nach der Identität unseres Lecks zu beginnen.« Das Display flackerte, und jetzt war das Bild einer jungen Frau zu sehen, die ähnlich groß und ähnlich gebaut wie Cally war und die graue Seide von Fleet Strike trug. Na ja, stimmt einigermaßen, wenn man darüber hinwegsieht, dass sie zu viel Oberweite hat. Da wird die Platte sich an meinen Titten Mühe geben müssen. Und die Hüften … aber in der Kleidung kann man nicht recht erkennen, ob das Muskeln oder Fett sind. Vielleicht Muskeln. Taille und Bauch scheinen Gott sei Dank in Ordnung. Meine Augen passen auch, aber das Haar — das wird das erste Mal seit langer Zeit sein, dass ich heller als meine natürliche Farbe färben muss.

»Ihre Tarnidentität, Captain Sinda Makepeace, soll vom Personalbüro von Fleet Strike in Chicago zur Basis Titan versetzt werden und dort die Position der Verwaltungsassistentin von General Beed übernehmen. Wir konnten uns vergewissern, dass niemand in Beeds Büro je persönlich mit Miss Makepeace Kontakt hatte.« Das Hologramm flackerte erneut, und jetzt war ein dunkelhaariger, junger Offizier zu sehen, der sich vermutlich jetzt jeden Tag rasieren musste. »Dies ist der Adjutant des Generals, Lieutenant Joshua Pryce. Miss Makepeace soll am Sonntag, den 26. Mai den 08:15 Shuttle von Chicago zur Basis Titan nehmen. Zwischen dem Zeitpunkt, wo Miss Makepeace die Sicherheitseinrichtungen des Raumhafens passiert und der Öffnung des Gates für den Shuttle, werden Sie eine knappe Stunde Zeit haben, um die Auswechslung vorzunehmen. Sie werden sich spätestens achtundvierzig Stunden vorher für entsprechende körperliche Anpassungen melden, um damit Ihrem System genügend Zeit zur Stabilisierung zu geben. Cally, Basis Titan ist ein äußerst gefährlicher Einsatzort. Für den Fall, dass Sie oder ein Mitglied Ihres Teams festgenommen werden, muss ich Sie warnen, dass die Chance einer erfolgreichen Befreiung durch uns sehr gering ist. Wir brauchen diese Information, Cally. Beschaffen Sie sie und sehen Sie zu, dass Sie wieder rauskommen. Sämtliche Daten dieses Würfels werden automatisch in fünf Sekunden gelöscht.«

Sie wartete, bis das gefrorene Hologramm verschwand, zog dann den Würfel heraus und ließ ihn in ein Glas Essig fallen, wo er sich fröhlich zischend schnell auflöste. Sie schob den zweiten Würfel in das Lesegerät und war überrascht, als vor ihr ein Hologramm von Shari O’Neal entstand. »Hi, Süße. Ich weiß, dass ich eigentlich für persönliche Dinge nicht an den Lagerbestand gehen darf, aber das ist heutzutage, wie mir scheint, die einzige Möglichkeit, dich zu erreichen. Ich weiß, dass du im Augenblick frei hast, und deshalb haben Wendy und ich ein kleines Picknick am Strand geplant. Eine andere Antwort als ja lassen wir nicht gelten. Nicht der ummauerte Teil von Folly, sondern der hübsche, kleine Streifen unmittelbar nördlich davon. Ich habe nachgesehen, dort hat sich seit zwei Monaten kein Wilder mehr sehen lassen, also können wir uns mit der Sensorwache abwechseln. Du brauchst außer deinem Badeanzug und dir nichts mitzubringen. Morgen. Halb zwölf. Du kannst es ja Weiberurlaub nennen. Fünf Sekunden und all der Quatsch, Wiedersehen.«

Ein Gesicht erschien auf dem Bildschirm ihres PDA, und eine verkniffen klingende, etwas mürrische Stimme war zu hören. »Das war ein Sicherheitsbruch. Ich schätze, wir werden jetzt die Apartments verlegen müssen, damit die Büttel der Darhel uns nicht finden und im Schlaf umbringen. Soll ich mich nach einer geeigneten Mietimmobilie umsehen? Ich kann ja die Resultate in ansteigender Risikoreihenfolge auflisten, wenn du das wünschst«, erbot die Stimme sich hilfsbereit.

»Nein, danke, Buckley. Ich denke, ich werde das Risiko auf mich nehmen, hier zu bleiben.« Sie wusste nie recht, ob die KI-Emulation des Buckley gut genug war, um zu wissen, wann sie sich darüber lustig machte. Personality Solutions Inc. hatte sich nie sehr klar dazu geäußert, wie sie ursprünglich die Basispersönlichkeit entwickelt hatten, die für KI Emulationen in modernen PDAs benutzt wurde. Die meisten Leute fanden die standardmäßige Persönlichkeitsemulation für ihren Geschmack etwas zu pessimistisch und rüsteten mit einem eher ihren Vorstellungen entsprechenden Buckley nach. Cally hatte das nicht getan. Sie benutzte ihren PDA routinemäßig für Hochleistungsapplikationen, und bedauerlicherweise hatten mit anderen Persönlichkeiten überlagerte Buckleys die beunruhigende Tendenz, katastrophal abzustürzen, was dann eine Re-Formatierung erforderte. Je stärker sich die Persönlichkeit von dem ursprünglichen Buckley unterschied und je höher die KI-Emulation eingestellt war, umso schneller stürzte sie ab. Einer der wesentlichen Punkte, in denen sich Buckleys von echter KI unterschieden, war, dass man bei zu hoher Einstellung der Emulation schon dann einen Absturz auslösen konnte, wenn man die Basispersönlichkeit fuhr. Ein hoch eingestellter Buckley konnte sich einfach zu viele potenzielle Katastrophen ausmalen.

Nach dreißig Jahren verstand sie sich recht gut darauf, die Basis-Buckley-Persönlichkeit mit allen möglichen Kunstgriffen zu einer akzeptablen Leistung zu überreden. Fix tippte sie ein paar Buttons auf dem Bildschirm an und überprüfte ihre Einstellungen. Sie hatte tatsächlich die KI zu hoch eingestellt, deshalb drehte sie sie ein paar Striche herunter und ignorierte die Verwünschungen und Hinweise auf Lobotomie. Im Alltagsgebrauch kam man wirklich besser mit den Dingern klar, wenn man die Emulation nicht über Level fünf einstellte.

Sie ließ den zweiten Würfel ins Glas fallen und achtete nicht darauf, wie er sich zischend auflöste. Als Justine hatte sie ein Abonnement in einem Fitness-Club in einem alten High-School-Gebäude, das noch aus der Vorkriegszeit stammte, und dieses Abonnement auf einige Monate im Voraus bezahlt. Das Fitness-Studio hatte den Krieg mit intaktem Dach überstanden und war ursprünglich von den lokalen Verteidigungskräften beschlagnahmt worden, die es dann aber wieder an Deerfield Spa and Fitness zurückgegeben hatten, als man die Zitadelle als Akademie von Fleet Strike neu eröffnet hatte und das Kadettencorps als Besatzung des Walls eingeteilt worden war.

Justine ging gerne hin, allein schon wegen der mit Vorhängen abgeteilten Sektion für Jazzercise und weil Mitglieder sieben Tage die Woche sechzehn Stunden lang ohne Voranmeldung kommen durften. Sie stopfte sich schwarze Workout-Klamotten und ein Paar Jazz-Schuhe in eine Sporttasche und schaltete beim Hinausgehen das Licht aus.

Drei Stunden und schätzungsweise vier Liter Schweiß später hatte sie das Gefühl, wieder fit für menschliche Gesellschaft zu sein. Na ja, nach einer gründlichen Dusche jedenfalls. Als sie in den Umkleideraum zurückging, wurde sie von einem Typen angerempelt, der ein Handtuch über der Schulter trug und offenbar zum Raum mit den Gewichten unterwegs war. Der Mann entschuldigte sich knapp und ging weiter. Sie riss die Augen auf, ging aber ebenfalls weiter, ohne einen Blick auf den Würfel zu werfen, den er ihr in die Hand gedrückt hatte.

Im Ankleideraum sah sie sich den kleinen Streifen Papier an, der um den Würfel gewickelt war, und seufzte. Okay, das Codewort stimmte. Sie konnte nur hoffen, dass es für diese Extranachricht einen guten Grund gab, weil das nämlich lausige Arbeit war. Für was halten die mich eigentlich, einen wandelnden Chat Room? Wenn das kein echter Notfall ist, reiß ich einem den Arsch auf.

Sie duschte viel kürzer, als sie eigentlich vorgehabt hatte, und strich ihre Pläne für einen Lunch im Freien, den sie unten an der Battery geplant hatte. Dort gab es einen Stand, an dem, darauf hätte sie schwören können, die besten Crab Cakes der ganzen Stadt verkauft wurden. Und Justine hatte großen Spaß daran, die Möwen zu füttern. Sie warf einen finsteren Blick auf die Tüte mit Käsestangen auf dem Beifahrersitz und fuhr nach Hause.

Wenigstens konnte sie sich ein heißes Bad leisten, während sie sich das Ding ansah, und das tat sie auch. Zu ihrer Überraschung war das Hologramm, das sich aufbaute, Robertson, ein Computerfreak, der ihr Team schon mehrere Male bei technisch anspruchsvolleren Einsätzen unterstützt hatte.

»Cally, zunächst einmal bitte ich um Entschuldigung, dass ich das Risiko eingegangen bin, so mit Ihnen Verbindung aufzunehmen. Zum Zweiten ist dies genau genommen keine von der Bane Sidhe autorisierte Kommunikation.« Er fuhr sich mit der Hand durch sein krauses, braunes Haar und Runzelte die Stirn. »Wenn ich könnte, würde ich mich selbst darum kümmern, aber das liegt nicht auf meiner Linie. Ich weiß, dass Sie ein paar von den Typen erledigt haben, die den Schlag gegen Team Conyers angeordnet und durchgeführt haben.« Cally setzte sich in der Wanne auf, und ihre Gesichtszüge wurden eisig, als das Hologramm fortfuhr. »Ich habe nur an einem der Einsätze teilgenommen, aber ich erinnere mich noch gut, dass Sie … das sehr ernst genommen haben. Ich weiß, dass man das Team eingesetzt hatte, um Ihr Leben zu retten, als Sie noch ein Kind waren. Es fällt mir schwer, das zu sagen, Cally. Die Mistkerle haben gelogen.« Das Hologramm flackerte und zeigte einen Colonel der US Army mit rötlich braunem schütterem Haar, einem ordentlich gestutzten Schnurrbart und einem fliehenden Kinn. Ihr Magen verkrampfte sich hasserfüllt bei der Erinnerung an den Mann. Der Würfel hatte jetzt ihre volle Aufmerksamkeit.

»Ich bin sicher, Sie erinnern sich an Colonel Petane, der das Safehouse des Teams an die Darhel verraten hat. Man hat uns informiert, dass man Ihnen erklärt hat, Team Hector hätte Petane erledigt. Cally, er ist noch am Leben. Irgendeiner in diesem Haufen Pragmatiker«, er sprach das Wort wie ein Schimpfwort aus, »ganz oben hat entschieden, dass der gute Colonel eine nützliche Informationsquelle sein könnte, und so hat man ihm sein Leben dafür angeboten, wenn er sich umdrehen ließe. Womit ich noch widerstrebend einverstanden sein könnte, wenn er die einzige Quelle von etwas besonders Wichtigem wäre, aber dieser kleine Saukerl hatte nur Zugang zu sekundären oder tertiären Bestätigungen von Dingen, die wir bereits wissen. Er ist ein lebendes Beispiel für das Peter-Prinzip und ist zweimal bei einer Beförderung übergangen worden. Die Pragmatiker geben, wie es scheint, ihre Fehler nicht gern zu.

Sie haben das recht gut getarnt. Sie ließen ihn in das Verbindungsbüro von Army Fleet Strike in Chicago versetzen und haben mit großer Sorgfalt alle Einsätze, die mit diesem Büro zu tun haben, Team Hector zugewiesen. Wenn Sie sich je gefragt haben, weshalb Sie so selten mit Ihrem Team nach Chicago müssen, haben Sie jetzt den Grund dafür. Mir ging das ebenso, bis man mich dann im Lauf des Winters zweimal Hector zugeteilt hat. Ich schätze, man war weiter oben der Ansicht, dass ich persönlich nicht interessiert sei und deshalb keine Gefahr darstelle. Sie brauchten jemand, der mit Petane zusammenkam, und ich sollte die Gegenmaßnahmen überwachen und sicherstellen, dass wir nicht verbrannt werden. Ich weiß, dass ich manchmal Dinge tun musste, die mich später im Schlaf heimgesucht haben, aber nie so etwas. Loyalität ist keine Einbahnstraße, sie muss in beiden Richtungen gelten. Ich … also, wir haben zusammengearbeitet und ich wusste, dass Sie das gern wissen würden. Was Sie unternehmen ist Ihre Sache. Diese Nachricht wird in fünf Sekunden gelöscht.«

Natürlich konnte jemand wie Robertson die Löschung nicht auf die normale Tour machen. Das Hologramm des Verräters explodierte in einem Regen von Blut und Gehirnmasse und verblasste dann in einem spektakulären Sonnenuntergang. Sie zog den Würfel heraus und ging in die Küche, um ihn zu vernichten, ohne dabei auf das Wasser zu achten, das auf ihren Teppich tropfte. »Also, die wollten, dass ich Urlaub mache. Okay. Also werde ich Urlaub machen.« Ihr Mund war zu einem schmalen Strich zusammengepresst, als sie einen Salat auftaute und das Frischhaltegel in den Ausguss spülte, anschließend ein Päckchen Shrimps darüberkippte und alles mit Meerrettichsoße übergoss. Ein schwacher Ausgleich für Herman’s Crab Cakes, aber sie schmeckte ohnehin kaum etwas.

Nachdem sie sich das Haar gerichtet und ein schwarzes, schulterfreies Baumwollhemd und ausgebleichte Jeansshorts geschnappt hatte, rief sie ein paar Stücke im Web auf und drehte dabei geistesabwesend an den Armreifen, die sie am linken Handgelenk trug. Justine mochte am liebsten ultramoderne Cleveland-Crash-Musik. Eine Gruppe, die sich Anger Management nannte, spielte im Riverside Dive. Das klingt nach etwas, was ich jetzt brauchen kann. Hoffentlich ist der Fraß, den’s dort gibt, nicht zu widerlich.


Charleston

Montag, 13. Mai


Cally kehrte in den frühen Morgenstunden nach Hause zurück, allein. Musik heute Nacht, ja. Gesellschaft, nein. Wenn ich mir noch einmal so einen bigotten Verjüngungsgegner aufgable wie letzte Nacht, könnte ich vergessen, dass ich nicht den Auftrag habe, sie umzubringen. Die Reinigungscrew wäre dann vielleicht sauer, und außerdem gibt das immer einen schrecklichen Papierkrieg. Sie grinste, trat aus ihren Sandalen und schwang sie an den Riemchen, während sie vor sich hin summend zu ihrem Zimmer ging.

Make-up runter, erledigt. Frischen Waschlappen, erledigt. Ausweise verstaut, erledigt. Sie streifte Justines Kleider ab, warf sie in den Korb für die Wäsche und brummte dabei mit finsterer Miene: »Morgen früh Wäsche.«

Sie wählte am Audio ihres Monitors für die Nacht Dreed, schaltete die Gegenmaßnahmen ein, stellte den Wecker auf acht und kuschelte sich in ihr Kopfkissen.

Bhutan. Ein Banker, der mit nicht menschlichen Bankern zu gut zurechtkam. Er hatte etwas für Straßenhuren übrig, hat sie aber nicht gut behandelt. Eine davon war sehr zufrieden gewesen, nach seinem Herzanfall auf einer Insel im Südpazifik ihren Ruhestand anzutreten. Das Nannitengift war selbst mit galaktischem Gerät nicht nachzuweisen gewesen. Im begehbaren Kleiderschrank beobachtet. Die Leiche überprüft, der jetzt hysterisch gewordenen Hure ein Beruhigungsmittel gespritzt und sie dann zum Shuttle gebracht. Aus der Nähe war der Tod doch völlig anders.

Rabun Gap. Sie hat den Attentäter im Visier und drückt ab, ganz sachte, dann spritzt es rot auf, und der Tod stinkt. Effiziente Männer in Weiß machen sauber, und dann kommen die Posties, und die Männer in Schwarz sind so völlig lautlos und so effizient, wenn es ums Töten geht. Schwielen vom Rosenkranz an seiner Hand. Und die Nonnen in der Schule wollen ihr nichts sagen, und dann ist da Father O’Reilly. Team Conyers gibt es nicht mehr. Es gibt sie nicht mehr, keinen mehr, Father? Vater unser, der du bist …

Segne mich, Father, denn ich habe gesündigt. Wie lange? Neunzehn Jahre, zwei Monate, drei Tage. Father, es ist eine lange Liste. Da war eine Prostituierte, die sich auf Nanoforscher spezialisiert hatte. Zwei von ihnen sind gestorben, nachdem sie ihren Bericht geliefert hatte. Ich musste … Father? Father? In einem Wutanfall zerschlägt sie den Bildschirm und starrt den leeren Stuhl dahinter an, und da ist keine Tür und auch keine Tür, durch die sie hereingekommen ist. Da muss doch eine Tür gewesen sein, oder nicht? Und keine Decke, bloß die Wände bis ganz nach oben.

Die Florida Keys. Sie ist wieder mit Dad auf dem Boot, und er ist stolz auf sie, weil sie gerade einen richtig großen Fisch gefangen hat, und sie hat sich das Salz, das der Wind mit sich gebracht hat, aus dem Haar gewaschen, sitzt am Stegrand und betrachtet den Sonnenuntergang, während Mom die Fitzer herauskämmt. Michelle ist im Wasser und schwimmt mit Dad, und ein Delfin schnattert ihr etwas zu, während sie ihn unter dem Kinn krault. Und Mom hat ihr eine leckere kalte Limonade gebracht und einen Teller …

Der Wecker schrillte, und sie brachte ihn mit einem Schlag ihrer Hand zum Verstummen, schaltete zugleich das System aus und schnappte reflexartig nach dem Waschlappen, um sich das Gesicht abzutrocknen. Mhm, den Strand habe ich immer gemocht. Vielleicht werde ich das nächste Mal, wenn ich einen richtigen Urlaub kriege, wieder hinfahren und die Gegend besuchen. Schließlich habe ich mir das schon lange versprochen. Ich schätze, nach vierzig Jahren wird sie sich wahrscheinlich ein wenig verändert haben. Heute muss ich Cally sein. Mal sehen, Cally ist sehr leger, hat ein lockeres Mundwerk, trägt häufig uni-Oliv, aber mag auch Rot.

Sie warf den gebrauchten Waschlappen in den Korb und trug ihn in die Küche, streckte der leeren Kaffeemaschine, die sie am Vorabend einzuschalten vergessen hatte, die Zunge heraus und drückte im Vorbeihasten mit dem Ellbogen den Einschalteknopf. Dann, vor der Küchentür, klappte sie den Deckel der Waschmaschine auf, warf die Kleider hinein und dazu ein Päckchen duftfreien Stoffpfleger, ehe sie den Deckel wieder zuklappte. Die Maschine registrierte das zusätzliche Gewicht, analysierte den Inhalt, und dann konnte sie hören, wie sie sich füllte, während sie die Tür wieder hinter sich schloss.

Sie wühlte im Kühlschrank herum, bis sie einen Riegel Schoko-Käsekuchen als Frühstück fand, schaltete die Nachrichten ein und warf wieder einen finsteren Blick auf die Kaffeemaschine, die immer noch nicht fertig war.

Repräsentantenhaus und Senat debattieren immer noch weiter, was »posleenfrei« im Hinblick auf Wiederaufbau und Staatscharakter bedeutet. Yeah, die Urbies sind wirklich verärgert, dass sie mit dem Senat immer noch wegen Lebensmittelsubventionen Ärger haben. Und die internen Medien der Urbs sorgen dafür, dass sie ausführlich weiter Nachrichten über jeden Angriff von wilden Posleen in CONUS (Continental USA) bekommen, also ist wohl nicht damit zu rechnen, dass sie die Nase rausstrecken und selbst nachsehen. Manchmal hat man mehr davon, im Sinne der Gesetze nicht zu existieren, als wenn man volle Bürgerrechte besitzt.

»Ah, endlich.« Sie schnappte sich ihre Tasse und füllte sie mit Kaffee, tat einen Würfel Zucker dazu und sah sich das Wetter und die Berichte über Wilde an, ehe sie sich anziehen ging. Für mich sieht es ganz gut aus.

Im Schlafzimmer schlüpfte sie in einen roten Bikini und ein T-Shirt und Jeans darüber, schlüpfte in ein altes Paar Sneakers, stopfte saubere Unterwäsche und ein Handtuch in einen ziemlich ramponierten khakifarbenen Rucksack und band sich das Haar zu einem Pferdeschwanz. Sie wühlte in den vielen Geldbörsen in der untersten Schublade, bis sie eine khakifarbene mit Klettverschluss fand, in der ein sehr aufrichtiger Ausweis und Kreditkarten auf den Namen von Cally Neilsen steckten. Die Geldbörse war ein wenig altmodisch. Es war eine von denen, die sie nur ganz selten benutzte und die daher kaum strapaziert wurde — und daher auch nur ganz selten ersetzt werden musste. Sämtliche Brieftaschen zeigten kunstvolle Gebrauchsspuren. Diese hier hatte sich die ihren auf die altmodische Tour erworben, obwohl der Inhalt ebenso häufig auf den neuesten Stand gebracht werden musste wie die anderen, um auf dem Laufenden zu bleiben, nur der Familienname hatte sich, wie das auch bei den anderen der Fall war, im Laufe der Zeit mehrmals geändert. Zum Glück waren die Darhel ebenso wenig wie die Bane Sidhe daran interessiert, dass die Computeridentifikationsprozeduren in den USA wirklich sicher waren.

Während sie dabei war, den Colt.45 und drei Zusatzmagazine im Wagen zu verstauen, wünschte sie sich, sie hätte für ihr Picknick mehr als bloß eine kleine Kühlbox mit Bier besorgt. Klar, sie hatte ihren Notvorrat — sie verließ den Wall nie, ohne ihn mitzunehmen -, aber dabei handelte es sich nicht gerade um die Art von Erfrischungen, die einem Appetit machten. Ihre Augen hellten sich auf, als sie Justines Beutel mit Käsekringeln entdeckte. Genau das Richtige. Wendys Kinder würden ihre Freude daran haben.

Sie fuhr zur Ausfahrt James River, einmal, weil sie nahe lag, zum andern aber auch, weil man weniger Mühe hatte, durch das schlichte Schiebetor aus massivem Stahl und dann über die sich daran anschließende Zugbrücke zu kommen. An einigen der anderen Tore waren die Wachen manchmal richtig eklig. Sie brauchte bloß ein paar Minuten, um den Checkpoint zu passieren. Die.45 und drei Ersatzmagazine sowie ihre Bestätigung vom Schießplatz reichten aus, um sie von der städtischen Konvoivorschrift und der entsprechenden Gebühr zu befreien. Selbst in der Nachkriegswelt konnten Haftungsfragen recht lästig sein. Die Stadtbehörden von Charleston, gewählt von einer überwiegend aus Südstaatlern bestehenden Bevölkerung, die aus den Urbs zurückgekehrt war, sowie der örtlichen Miliz und den Kadetten von Fleet Strike, hatten sich für eine echte Südstaatenlösung entschieden. Da Touristen aus den Urbs im Allgemeinen von vorne herein mutiger und vernünftig genug waren, um mit den Konvois zu reisen, funktionierte das recht gut. Die wenigen, denen das nicht passte, mochten sich über die Gebühr aufregen, aber die Leute von Charleston glaubten fest daran, dass man die örtliche Population an wilden Posties am besten dadurch knapp hielt, dass man es unterließ, sie zu füttern.

Die Straße nördlich des vom Wall umgebenen Teils von Folly war nicht so gepflegt wie die Straße zu dem vom Wall geschützten städtischen Strand, aber sie war wenigstens nicht so schlimm, wie man nach Jahrzehnten öffentlicher Vernachlässigung und zwei ausgewachsenen Hurrikanen hätte glauben können. Besonders unternehmungslustige Bürger Charlestons, die den nicht vom Wall geschützten Teil des Strandes benutzten, hatten sich angewöhnt, im Kofferraum eimerweise gereinigte Muscheln als eine Art inoffiziellen Wegzoll für den Gebrauch am Strand mitzubringen. Die Kadetten der Zitadelle machten ein paarmal im Jahr Strandpicknicks, und dabei herrschte die inoffizielle Tradition, dass man dicke Bleche sowie Vorschlaghämmer mitbrachte und improvisierte Wettbewerbe abhielt, um festzustellen, wer die meisten Muschelschalen pulverisieren konnte (den augenblicklichen Rekord hielt die Golf-Kompanie mit dreiundzwanzig Eimern). Mit den so produzierten Überresten füllten die Kadetten sorgfältig alle größeren Sprünge und Schlaglöcher, sodass die Straße im Lauf der Zeit für den lokalen Verkehr einigermaßen brauchbar geworden war, auch wenn sie nicht so glatt und dauerhaft wie Asphalt war.

Sie bog in den Parkplatz ein, überprüfte ihr Halfter, ging an den Kofferraum, schleppte zwei große Eimer gesäuberte Muscheln zu den Stahlbehältern und kippte sie hinein. Zum Glück betrachteten selbst wilde Posleen leere Muschel- und Austernschalen nicht als essbar. Sie war ein paar Minuten zu früh dran, und der Strand war noch leer, wie das an Wochentagen häufig der Fall war, und deshalb fing sie an, die normalen Vorkehrungen zu treffen und an den am Rand des Parkplatzes aufgestellten Fahnenstangen ein paar tragbare Postie-Alarme hochzujagen. Im Notfall konnte man sie auch auf das Wagendach oder einen Felsbrocken legen, aber um genügend Warnzeit zu bekommen, war es besser, sie etwas höher anzuordnen. Ihren PDA schaltete sie so, dass er die individuell programmierbaren Alarmfrequenzen abhörte, und gab die Sensorpositionen auf dem Bildschirm ein. Wenn jetzt ein Wilder auftauchte, würde sie nicht nur alarmiert werden, sondern auch gleich seine Position haben.

»Sag mir bitte, dass du mehr als diese läppische.45 mitgebracht hast und nicht etwa vorhast, alleine damit gegen ein Rudel Posleen zu kämpfen. Etwa ein Boot? Wenn wir in einem Boot sitzen und weit genug draußen sind, kommen sie nicht an uns ran. Dann können wir so lange überleben, bis das Boot kentert und wir von Haien aufgefressen werden.« Der Buckley wurde immer etwas nervös, wenn sie die Sensorwache einrichtete.

»Buckley, registrierst du die Anwesenheit eines einzigen wilden Posleen?«

»Nein, die haben sich diesmal recht gut versteckt. Wenn du willst, kann ich Verstärkung anfordern. Wird uns zwar nichts nützen, aber wenn du willst …« Der Buckley redete nicht weiter.

»Rufe niemanden, Buckley«, befahl sie.

»Gute Idee. Gibt ja schließlich keinen Grund, dass die auch alle sterben sollten«, sagte der Buckley.

»Halt die Klappe.«

»Geht in Ordnung.«

Nachdem das erledigt war, konnte sie sich darum kümmern, die Kühlbox und ihre Tasche zum Strand hinunter zu tragen, Jeans und Hemd auszuziehen, eine Dose Bier zu knacken und sich damit zu amüsieren, den Möwen ein paar Käsekringel hinzuwerfen. Dann tauchten Shari, Wendy und die Kinder auf. Alle kamen sie angerannt, Wendys vier Kinder dicht hinter Sharis Golden Retriever. Na ja, hauptsächlich Golden Retriever, aber ganz Hund und wie wild darauf, unter lautem Gebell Möwen zu jagen.

Die beiden Frauen hievten eine Ladung Essen und alles mögliche Gerät die Treppe herunter.

»Okay, ihr Rasselbande, kommt her und helft uns tragen!«, rief Wendy und grinste. »Mike, du auch!«

»Gleich, Mom! Ich muss noch meine Schuhe neu booten.« Ihr Sechsjähriger starrte auf seine Füße, wo ein Hologramm eines GKA-Soldaten auf ein Hologramm eines Posleen-Normalen mit einem Boma-Säbel schoss. Letzterer war mitten im Sprung erstarrt, dazwischen flackerten Störungen. Dinge vor sich hin murmelnd, die ein Sechsjähriger wahrscheinlich nicht kennen sollte, zog er den ungehorsamen Schuh aus, griff hinein und suchte nach dem Reset-Schalter. Das Hologramm verschwand und baute sich gleich wieder auf. Jetzt kaute der Posleen an roten Fleischfetzen, von denen es heruntertropfte und die besser unidentifiziert blieben. Da der Kleine den anderen Schuh noch am Fuß hatte, schwang er ständig seinen Boma-Säbel gegen die GKA-Soldaten, wenn ein Fuß an dem anderen vorbeikam, und wurde schließlich im Zeitlupentempo nach hinten gerissen, eingehüllt in einen gelben Nebel aus Posleen-Blut und Eingeweiden, als eine Schussgarbe seinen Körper auseinander schnitt. Als die Teile auf den »Boden« trafen, blieben sie dort eine Weile liegen, während der GKA-Soldat triumphierend einen Luftsprung machte, worauf die beiden Hologramme wieder zu ihrem Ursprung zurückkehrten und das Gefecht von neuem begann.

»Hi, Tante Cally.« Als seine Mutter ihre Decke neben Callys Handtuch ausbreitete, kam er zu den anderen zurück. »Daddy hat mir neue Schuhe gekauft. Gefallen sie dir?«

»Oh, die sind klasse! Die Bilder sind ja ganz prima.« Sie sah zu, wie das Posleen-Normale erneut explodierte, diesmal zerplatzte sein Schädel, von einem gezielten Schuss getroffen. Der siegreiche GKA-Soldat schlug einen Salto rückwärts und setzte dann zu einem klassischen Vorkriegstanz an. »Gewinnt der Postie jemals?«

»Gelegentlich«, nickte er ernst, »aber das ist schon okay, denn dafür weiß ich nicht, wie man das schalten muss.« Es klang, als würde ein Erwachsener zu einem kleinen Kind sprechen.

»Kennst du mich noch, Annie?« Sie schob sich eine Haarsträhne hinter das linke Ohr und reckte den Hals ein wenig, um Augenkontakt mit dem kleinen Mädchen herzustellen, das sich hinter Wendys Bein versteckte.

»Tut mir Leid, sie durchläuft gerade eine scheue Phase.« Ihre Mutter strich geistesabwesend über die blonden Locken des Mädchens, das sein Gesicht am Knie ihrer Mama verbarg. »Ach, komm schon, Annie, du erinnerst dich doch an Tante Cally, oder nicht? Sandy kann sich auch an sie erinnern.«

»Das ist mein Hund.« Die grauen Augen der Vierjährigen begegneten den ihren. »Du bist ja ganz voll Sand.«

»Ich weiß. Der ist von Sandy.« Einen Augenblick lang wirkten ihre Augen ebenso jung wie alles andere an ihr, als sie lachend aufstand, sich den Sand vom Bauch und den Beinen wischte und Sandy hingebungsvoll am Hinterkopf kraulte. »Wirklich lieb von dir, das mit dem Sand, du bist ein braver Hund, wie?«

Während Sandy noch begeistert mit dem Schweif wedelte, wie um ihr damit Recht zu geben, trafen James und Duncan mit ein paar Klappstühlen und einem riesigen Sonnenschirm ein.

»Hi, Tante Cally. Spielst du nach dem Lunch mit uns Ball?«

»Fußballfans, oder?« Shari holte einen Ball aus einer der Taschen und reichte ihn Duncan, während der jüngere Bub seine Last einfach in den Sand plumpsen ließ, zum Wasser rannte und dabei begeistert den Ball vor sich her kickte.

»Hey!« James, der dabei war, einen Stuhl aufzubauen, blickte auf, als er merkte, dass sein Bruder ihm die ganze Arbeit überließ. »Mom!«

»Oh, lass nur, ich mach das.« Cally griff sich einen Klappstuhl und gab dem Jungen mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er ruhig ins Wasser gehen solle.

Wendy fing Sharis Blick kurz auf, als der Sechsjährige hinter seinen Brüdern und dem Hund zum Meer rannte.

»Die Kinder mögen dich wirklich, weißt du.« Sie fing jetzt an, Plastikbehälter mit Essen auf die Decke zu stellen. »Mir scheint, das beruht auf Gegenseitigkeit.«

»Ja, wirklich, die sind auch großartig.« Sie klappte den nächsten Stuhl auf. »Ich bin wirklich froh, dass du und Tommy beschlossen habt, euch noch mal Nachwuchs zu bestellen, jetzt wo der erste Wurf aus dem Nest ist. Oh, gratuliere übrigens, ich dachte, ihr würdet warten, bis dieses Rudel hier draußen ist.«

»Na ja, selbst mit GalTech Kram gibt es gelegentlich angenehme Überraschungen.« Sie wurde rot. »Und wann werden wir dir mal gratulieren können?«

»Wie war das?«, stieß Cally hervor und ließ den Stuhl fallen, den sie gerade aufgehoben hatte. Sie hob ihn wieder auf und war plötzlich voll damit beschäftigt, jedes Sandkorn von ihrem Stuhl zu wischen.

Shari griff sich an die Stirn und schüttelte leicht den Kopf.

»Okay, das hätte ich mir vielleicht sparen sollen«, seufzte Wendy.

»Tatsächlich?« Shari war plötzlich ganz auf den Sonnenschirm konzentriert, den sie aufstellte.

»Cally, du kannst nicht immer zwanzig bleiben«, probierte Wendy es noch einmal.

»Ich bin schon seit bald dreißig Jahren nicht mehr zwanzig.« Sie ließ sich in den Stuhl plumpsen und streckte die Beine aus, verschränkte die Arme, lehnte sich zurück und musterte die beiden argwöhnisch. »Okay, raus mit der Sprache. Was habt ihr beiden vor?«

Shari setzte sich, ließ Annie zu sich auf den Schoß steigen und blickte über das Meer hinaus. Der Wind blies ihr das Haar aus dem Gesicht, und sie kniff die Augen zusammen, damit sie keinen Sand hineinbekam.

»Cally, dieses Leben taugt nicht mehr für dich. Falls es je für dich getaugt hat. Du bist nicht glücklich. Wann wirst du dir endlich ein eigenes Leben genehmigen und sesshaft werden?«, fragte sie.

»Du weißt, mit welchen Gefahren wir es zu tun haben. Ich tue Dinge, zu denen nur ganz, ganz wenige Leute fähig sind. Dinge, die getan werden müssen, damit andere Leute sesshaft werden können.« Sie setzte sich auf, beugte sich in ihrem Stuhl nach vorn und stützte die Hände auf die Knie. »Schau mal, falls ich jemals dem richtigen Mann begegnen sollte, werde ich diese Sache mit Kindern und so auch machen. Ich … bin ihm einfach noch nicht begegnet. Und das Vorurteil gegen uns Runderneuerte hilft auch nicht gerade. Ich will mich ja nicht beklagen, aber es ist schwierig, sich näher mit einem Typen einzulassen, wenn man alt genug ist, um zu wissen, dass er ein unreifer Idiot ist.«

»In irgendwelchen Bars wirst du nie dem Richtigen begegnen«, schaltete Wendy sich ein und reichte ihr ein Päckchen mit Saft. »Schau mal, ich kann’s ja verstehen, dass du nicht besonders scharf auf das Vermittlungsprogramm von unserem Verein bist. Hey, mir würde das auch auf den Geist gehen. Aber wenn ich Tommy und Papa ansehe, dann kennen die garantiert wenigstens ein halbes Dutzend anständige Kerle, die mit dem größten Vergnügen eine Frau hätten, vor der man nicht alles verheimlichen muss, ich meine, Himmel noch mal, was würde es denn schaden, wenn die beiden dir mal die eine oder andere Verabredung verschaffen würden?«

»Was es schaden würde?«, fragte Cally mit ausdrucksloser Stimme, und ihre Augen waren plötzlich leer. »Das ist ganz einfach: emotionale Bindungen zu jemandem zu haben, der dann plötzlich im gleichen Einsatzteam wie ich steckt, könnte dazu führen, dass er oder ich gefangen genommen oder gar getötet wird. Von seiner Seite mal ganz zu schweigen. Wer möchte schon eine Frau, die sich auf Dinge einlässt, wie ich das tue? Ich bin gut, aber dass ich bis jetzt erst einmal gestorben bin, ist reines Glück, und das hält nicht ewig vor. Das Einzige, was für einen weiblichen Auftragskiller noch schlimmer ist als das Todesrisiko, ist das Risiko einer erfolgreichen Ehe.«

Shari zuckte zusammen und hielt Annie die Ohren zu. »Über so etwas redet man nicht!«, flüsterte sie.

»Hast du’s kapiert?« Sie zog einen Becher und eine Flasche heraus, drückte den Inhalt des Saftpäckchens in den Becher und goss einen kräftigen Schuss klarer Flüssigkeit hinein. »Möchtest du?« Sie hielt Shari den Becher hin.

Shari griff sich an den Leib. »Nein, ich … das geht nicht.«

Cally grinste. »Da haben wir’s! Kein Wunder, dass du mich verkuppeln willst. Du möchtest, dass ich schwanger werde, dann wärst du nicht allein!«, witzelte sie und lächelte dann wieder. »Gratuliere!«

»Echt?« Wendy legte ihrer besten Freundin die Hand aufs Knie. »Unter Freundinnen macht man über so etwas doch keine Witze? Gratuliere! Oh, das ist wirklich großartig. Wir werden Eiscreme essen und uns gemeinsam aus der Kurve tragen lassen! Komm, nimm einen Saft.«

»Da, siehst du, was du verpasst?« Sie wandte sich wieder Cally zu. »Versprichst du mir, dass du wenigstens in Erwägung ziehst, dir von Tommy ein Date verschaffen zu lassen? Wenn du willst, brauchst du nicht einmal allein mit ihm zu gehen — wir könnten mitkommen.«

»Ups. Jetzt musst du einfach, Cally Ich mach den Babysitter. Sie und Tommy waren schon seit einer Ewigkeit nicht mehr aus, das ist einfach deine Pflicht für deine besten Freundinnen auf der ganzen Welt.«

»Meine einzigen Freundinnen auf der Welt«, korrigierte Cally und verzog das Gesicht. »Nicht, dass ich euch beide nicht zu schätzen wüsste — ich meine, zumindest dann, wenn ihr nicht versucht, mich mit Tommys oder Grandpas Angelkumpels zu verkuppeln.«

Aber als die beiden sie dann finster anblickten, gab sie nach. »Okay, okay, ich werde darüber nachdenken. Sobald ich von diesem nächsten Einsatz zurück bin.«

»Einem kurzen Einsatz, will ich doch hoffen?«, fragte Shari.

»Ihr wisst, dass ich darüber nicht reden darf. Aber ihr solltet keine zu große Hoffnung darauf setzen.« Sie benutzte den leeren Saftbehälter, um ihren Drink umzurühren, und nahm einen Schluck, ehe sie auf ihren PDA sah. »Alles in Ordnung. Immer noch scharf, immer noch am Scannen, keine Spuren.«

Der Rest des Nachmittags war ein richtiges Idyll. Sie spülten die Krabbensalat-Sandwiches mit Saft und Limonade hinunter — nun ja, Cally trank ein Bier. Dass sie Postie-Wache hatte, hatte nichts zu besagen, da sie, seit sie erwachsen war, Alkohol gegenüber stets immun gewesen war. Die Kinder sprachen dem Käsegebäck nicht sehr zu — es machte viel mehr Spaß, es an die Möwen und den Hund zu verfüttern. Da Sandy von Käsegebäck begeistert war, genauso begeistert wie vom Möwenjagen, gewann sie normalerweise jedes Rennen, wenn man ihr wieder ein Stück zuwarf.

Duncan und James spielten gern mit Cally Ball, da sie ihn meistens auch dann fing, wenn der Wurf nicht so besonders war. Und die beiden Kids fingen ihn im Allgemeinen, weil sie ihn selbst aus fünfundzwanzig Meter Entfernung sehr genau in ihre Hände platzieren konnte. Cally überlegte, dass den Jungs, die kaum Kontakt mit nicht voll aufgewerteten erwachsenen Frauen gehabt hatten, eines Tages ein schlimmes Erwachen bevorstand. Sie hätte den Ball auch aus doppelter Entfernung genau auf den Punkt werfen können, aber das wäre handwerklich schlecht gewesen. Wenn Fremde am Strand gewesen wären, hätte sie nicht einmal so gut geworfen.

Am Nachmittag trug sie die schlafende Annie für Wendy die Treppe hinauf und schnallte sie in den Kindersitz in ihrem Van, während die älteren Jungs die Klappstühle und die sonstigen Sachen hinten verstauten. Ein paar Sekunden später kletterte Mike auf den Sitz neben seiner kleinen Schwester, worauf seine Schuhe, die offenbar registriert hatten, dass ihr Besitzer nicht mehr stand oder ging, die Hologramme abschalteten.

»Das sind wirklich nette Schuhe«, sagte Cally, als sie zum hinteren Teil des Wagens ging, wo ihre Freundinnen darauf warteten, sich von ihr zu verabschieden, »aber ich war etwas überrascht, dass diese Gefechte stumm sind. Als wir noch Kinder waren, hatten sie nette Geräuscheffekte.«

»Schsch.« Wendy hielt sich den Finger an die Lippen und musste ein Lachen unterdrücken. »Tommy hat das am ersten Abend abgeschaltet.«

Cally hatte verstanden. Jetzt spürte sie, wie ihr ein kleines Stückchen Papier in die Hand gedrückt wurde, und blickte fragend zu Shari auf.

»Das ist ein Zeitpunkt und eine Nummer für deinen Großvater. Ruf ihn an«, sagte sie.

»Was? Am Telefon?« Sie strich sich über ihr Bikinihöschen. Immer noch feucht. Sie würde auf einem Handtuch nach Hause fahren. Dann arbeitete ihr Verstand wieder, und sie sah Shari verblüfft an. »Telefon? Warum Telefon?«

»Es geht um etwas, das wir, die wir nicht in der Welt der Dienste leben, ein persönliches Gespräch nennen, Cally.« Shari klopfte ihr übertrieben bedauernd auf den Rücken und fuhr dann etwas ernster fort: »Er will bloß mit dir reden. Keine Fachsimpelei, nichts über Einsätze, einfach bloß ein Besuch. Okay, du wirst irgendwo ein Zahltelefon benutzen, aber … ruf einfach deinen Großvater an, ja?«

»Ja, freilich.« Sie drückte die beiden ein wenig verlegen an sich. »Okay, nun, dann heißt das wohl Wiedersehen bis zum nächsten Mal.«

»Wir warten, bis du deine Sensoren zurückgeholt hast«, sagte Wendy, stieg auf den Fahrersitz und sah Cally dabei zu, wie sie die kleinen Kästchen von den Fahnenstangen holte und sie in ihren Wagen zurücklegte.

Eine dicke Wolkenbank schob sich heran, und Cally konnte den Regen in der Luft riechen, als sie hinter dem blauen Mini-Van wieder auf die Straße rollte und die Heimfahrt in die Stadt antrat.

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