Kapitel 4

In dem gepolsterten Raum ertastete Ken mit empfindsamen Fingern die große Halsvene der Stute, während Scott sie am Halfter hielt, und stieß etwas hinein, was aussah wie eine lange plastikumhüllte Spritze mit einem Anschlußstück, das außerhalb der Haut blieb.

»Katheter«, sagte er, indem er die Nadel herauszog und die Plastikhülse in der Vene ließ.

»Tropfinfusion«, erläuterte er und verband den Katheter über einen Schlauch mit einem der Infusionsbeutel, den Scott eilends an der Decke aufhängte. »Man muß den Kreislauf aufrechterhalten.«

Er ging kurz in den OP und kam mit einer kleinen Spritze voll Flüssigkeit wieder, die er durch den Katheter in den Hals der Stute injizierte.

»Halber Kubikzentimeter Domosedan« - er buchstabierte es mir, während ich auf ein Klemmbrett schrieb. »Das ist ein Beruhigungsmittel, um sie schläfrig und fügsam zu machen. Kommen Sie wohlgemerkt ihren Füßen nicht zu nah. Pferde keilen wie der Blitz aus, selbst in diesem Zustand. Gehen Sie hinter der Zwischenwand da außer Reichweite.«

Ich trat gehorsam hinter eine halbhohe gepolsterte Trennwand, von der aus man das Geschehen unbesorgt verfolgen konnte, ähnlich wie auch die Bande in der Stierkampfarena Schutz vor den Hörnern bietet.

»Was machen Sie jetzt mit der Spritze?« fragte ich.

»Wegwerfen. Es ist eine Einmalspritze.«

»Heben Sie sie auf«, sagte ich.

Ken starrte mich mit seinen hellblauen Augen an, besann

sich und nickte dann. »Okay.«

Er brachte die Spritze in den OP und legte sie in eine Schale auf einem der Tische entlang den Wänden. Er hatte das gleiche an wie ich: wegwerfbare Überschuhe über den eigenen, grüne Baumwollhose, kurzärmeliges grünes Hemd, einen Laborkittel darüber, Gesichtsmaske lose um den Hals, weiche weiße Kappe wie eine Duschhaube über den Haaren.

Scott, ebenso gekleidet, strich der Stute über die Nase, kraulte ihr die Ohren und gab besänftigende Laute von sich. Langsam ließen die Qualen in ihrem gepeinigten Gehirn etwas nach, und sichtlich kehrte Frieden ein, bis sie ruhig und halb bewußtlos dastand.

Ken, der sie scharf beobachtete, war mit einer größeren Spritze in einer anderen Schale wiedergekommen. »Antibiotikum«, sagte er und injizierte es. Er ging eine dritte Nadel holen.

»Das ist Ketamin-Hydrochlorid«, sagte er, als er zurückkam, und buchstabierte es mir wieder. »Davon schläft sie ein.«

Ich nickte. Scott schloß die Schiebetür zum OP: Ken nahm vorübergehend den Tropf ab und spritzte die Stute mit geübter Hand erneut durch den Katheter in den Hals. Fast sofort schwenkte der mächtige Körper in einem unkoordinierten Bogen herum, taumelte, wankte und brach langsam seitlich weg. Ein Hinterbein schlug in einem Muskelkrampf, der harmlos auf der Polsterung verpuffte, noch aus, und der Kopf fiel dumpf auf den weichen Boden.

Dramatisch, dachte ich; aber offensichtlich Routine für Scott und Ken.

»Intubieren«, sagte Ken zu Scott.

Scott nickte und führte durch ihr Maul ein

beeindruckend großes Rohr in den Schlund der Stute ein.

»Für Sauerstoff und Halothan«, erklärte Ken mir kurz.

Scott stieß die Schiebetür weit auf, brachte die Schale mit der Spritze in den OP und kam mit den gepolsterten Manschetten für die Beine der Stute und mit Säcken für ihre Füße wieder.

Zu zweit schnallten sie ihr die um, zogen dann die Ketten von der Decke herab und schlossen sie an die Manschetten an. Scott holte eine Art Segeltuchschlinge mit Handgriffen, um den Kopf der Stute zu tragen, und im nächsten Moment setzte Ken, indem er an einem Wandbrett im OP Knöpfe drückte, den Hebekran in Betrieb.

Die Ketten zogen an und hievten die Zehnzentnerstute mühelos in die Luft. Scott hielt ihren Kopf in der Schlinge, während Ken den Tropf wieder anschloß. Dann drückte Ken einen weiteren Knopf, und das Fahrwerk glitt langsam an den Deckenschienen entlang und brachte den hängenden Körper, samt Tropfinfusion und allem, in den OP.

Durch die Schienen wurde die Patientin direkt über den Tisch geleitet. Ken drückte Knöpfe. Die Ketten wurden länger und ließen ihre Last zentimeterweise nieder, bis die Stute, alle viere in der Luft, auf dem Rücken lag, ihr aufgeblähter Bauch ein runder brauner Hügel. Scott ließ sanft ihren Kopf ab und half dann Ken, die Beinfesseln so an die vier Eckpfosten des Tisches zu schnallen, daß ihre Beine in einer bequemen Lage gebogen waren, nicht steif und gerade. Die beiden Männer arbeiteten wortlos, führten geschickt ein oft wiederholtes Manöver durch.

»Atmungsgerät an«, sagte Ken. »Gas an.«

Scott schloß das Rohr im Maul des Pferdes an einen Schlauch des Respirators an, drückte dann auf einen Schalter und drehte einen Hahn auf, und das Sauerstoff-Halothan-Gemisch begann in einem langsamen, beharrlichen Rhythmus in die Lunge der Stute zu strömen.

Ken fragte mich knapp: »Verstehen Sie das alles?«

»Ja«, sagte ich.

»Gut. Jetzt lege ich noch einen Katheter in ihre Gesichtsarterie, da, wo sie um den Unterkiefer herumgeht. Damit läßt sich ihr Blutdruck direkt überwachen. Normalerweise würde Belinda das tun, aber heute mache ich es selbst.«

Ich nickte und sah zu, wie seine flinken Finger ein Röhrchen in den Kiefer der Stute stießen und es mit einem Meßgerät verbanden, das Scott heranrollte. Er selbst wie auch Scott beobachteten mit offensichtlicher Sorge die beiden Linien, die sich auf dem Kontrollschirm zeigten, schienen dann aber, zumindest für den Augenblick, beruhigt zu sein.

»Desinfektion«, sagte Ken schließlich. Er blickte zu mir: »Am besten kommen Sie mit und schauen zu.«

Ich folgte ihm in den Waschraum, wo er sich ausgiebig die Hände schrubbte und sie mit einem sterilen Handtuch trocknete. Dann half ich ihm auf seine Bitte, einen frischen sterilen Kittel anzulegen, und band ihm die Schleife. Schließlich streifte er sterile Latexhandschuhe über. Alles war einzeln vakuumverpackt, nur zum einmaligen Gebrauch bestimmt.

»Wenn die Stute stirbt«, sagte Ken, »bin ich erledigt.«

»Hören Sie auf, daran zu denken.«

Einen Moment lang stand die ganze Anspannung in seinen Augen, dann gab er sich einen Ruck, blinzelte ein paarmal und holte tief Luft.

»Also kommen Sie.« Er wandte sich ab, ging auf den OP zu und bat mich, ihm die Schwingtür zu öffnen, damit er steril blieb.

Als erstes ging er zu Scott, der vor dem

Blutdruckmonitor stand und das Bild beobachtete.

»Sie hat sich stabilisiert«, sagte Scott mit offenkundiger Erleichterung, »und ich habe sie geschoren.« Tatsächlich zog sich jetzt eine glattrasierte Fläche über den ganzen gewaltigen Bauch.

Ken sagte zu mir: »Scott muß mir assistieren. Würden Sie hier am Bildschirm bleiben? Behalten Sie ihn ständig im Auge. Pferde haben etwa den gleichen Blutdruck wie Menschen; im Idealfall 120 zu 80; aber wie beim Menschen sinkt er in der Narkose ab. Fällt er unter 70mm, sind wir in Schwierigkeiten, und ein Alarm wird ausgelöst. Zwischen 80 und 90, so wie jetzt, dürften wir außer Gefahr sein. Beobachten Sie die Kurve da. Und diesen Zähler, das ist die Herzfrequenz. Sagen Sie mir sofort Bescheid, wenn sich eins von beiden ändert.«

»Gut.«

»Notieren Sie die Zeit, die Herzrate und den Blutdruck.«

Ich nickte und schrieb.

Er ging auf die andere Seite des Tisches, wo Scott Instrumente auf Wagen bereitstellte und, wie Ken es nannte, einen sterilen Bereich im Raum schuf. Er und Scott nahmen grüne Einwegtücher aus ihrer sterilen Verpackung und deckten den Bauch des Pferdes damit ab, bis nur noch ein schmaler rasierter Ausschnitt frei blieb.

»Alles klar?« fragte Ken Scott, und Scott nickte.

Es war der letzte Moment, in dem Ken hätte abspringen können, doch im Grunde hatte er sich längst festgelegt.

»Einschnitt«, diktierte er mir, während er ein Skalpell nahm und das Wort präzise in die Tat umsetzte. »Fünfundzwanzig Zentimeter lang, neben dem Nabel.«

Ich schrieb rasch auf, was er gesagt hatte, und richtete den Blick wieder auf seine Tätigkeit. Scott ging sich

unterdessen waschen.

»Schauen Sie auf den Blutdruck«, sagte Ken grimmig, ohne auch nur den Blick zu heben. »Schauen Sie nicht auf mich, beobachten Sie den Monitor, wenn Sie nicht schreiben.«

Ich beobachtete den Monitor, der unverändert blieb. Und doch mußte ich mir sekundenlang immer wieder fasziniert den Vorgang selbst ansehen, von dem ich erwartet hatte, er würde schrecklich sein, und der das nicht im mindesten war. Zum einen roch es kaum, obwohl ich irgendwie mit Gestank gerechnet hatte, und durch die Wundhaken, Klammern, Pinzetten und Tupfer gab es auch nicht allzuviel Blut.

»Schnitt entlang der weißen Linie«, setzte Ken seinen laufenden Kommentar fort. »Das ist der zentrale Gewebekamm zwischen den Muskelgruppen. Wenn man dort in die Bauchhöhle schneidet, blutet es wenig.« Er blickte Scott an, der zurückgekommen war und ungefragt einen armlangen Gummihandschuh nahm, den er Ken bis zur Achselhöhle über die rechte Hand heraufzog. »Wasserdicht«, erklärte Ken mir knapp, »und natürlich steril, um in den Bauch zu greifen.«

Was ich nicht entfernt für möglich gehalten hätte, war das unwahrscheinliche Fassungsvermögen eines Pferdebauches. Aus dem recht kleinen Einschnitt quoll ein dickes, wulstiges Stück Eingeweide, und gleich darauf begann Ken langsam eine große Darmschlinge von gut und gern fünfundzwanzig Zentimetern Durchmesser hervorzuziehen, scheinbar endlos, rosig, prall und glänzend. Meine Augen waren vor Staunen vermutlich ebenso groß.

»Sehen Sie auf den Monitor«, sagte Ken. »Das ist der Grimmdarm - jetzt von Gas aufgebläht. Der Grimmdarm des Pferdes wird nicht von Bindegewebe gestützt wie beim Menschen, er windet sich einfach kreuz und quer. Die Hälfte aller Darmverschlingungen betreffen den Grimmdarm.« Er zog mindestens noch einen Meter von dem Riesenschlauch hervor und ließ ihn von Scott in einem grünen Tuch halten, während er innen im Bauchraum herumtastete.

»Die Stute steht weniger als einen Monat vor dem Abfohlen«, sagte er. »Das Fohlen ist ziemlich groß.« Er schwieg einen Augenblick, dann sagte er nüchtern: »Wenn sie zusammenklappt und ich sie nicht retten kann, hole ich das Fohlen hier und jetzt durch Kaiserschnitt. Es hätte vielleicht eine Chance. Sein Herz schlägt kräftig.«

Scott warf ihm rasch einen Blick zu und sah wieder weg; er wußte wohl sehr viel mehr als ich über die Risiken eines solchen Eingriffs.

Von Zeit zu Zeit, wenn der Infusionsbeutel sich leerte, tauschte Scott ihn aus, indem er mich bat, einen neuen aus dem Schleusenschrank zu holen und den leeren wegzuwerfen.

»Bildschirm?« fragte Ken nach jedem Wechsel.

»Unverändert«, sagte ich.

Er nickte konzentriert und tastete sich langsam zwischen den inneren Organen vor, die Augen in den Fingerspitzen.

»Ah«, sagte er schließlich. »Da haben wir’s. Gott, ist das verdreht.« Er brachte ein Teil, das ich nicht sehen konnte, noch innerhalb der Stute näher an sein Gesicht heran und entschloß sich auf der Stelle, das verschlungene, verstopfte Darmstück ganz herauszuschneiden.

»Die Augen immer auf dem Bildschirm«, wies er mich scharf an.

Ich gehorchte ihm und sah sein Vorgehen nur noch aus dem Augenwinkel.

Von Scott mit Instrumenten versorgt, arbeitete er ruhig und stetig, klemmte, schnitt, entfernte Gewebe, tupfte, nähte und gab hin und wieder einen Brummton von sich, redete sonst aber nicht. Zeit verging. Schließlich nahm er zwei Klemmen ab und beobachtete unerschrocken das Ergebnis.

»Monitor?«

»Gleichmäßig.«

Er murmelte vor sich hin und blickte schließlich auf. »In Ordnung. Die Obstruktion ist herausgeschnitten und die Darmpassage wiederhergestellt. Es ist nichts undicht.« Er schien gegen den unwillkürlich in ihm aufsteigenden Optimismus anzukämpfen. »Wir können zumachen.«

Ich warf einen Blick auf das lange, mächtige Stück Eingeweide, das über Scotts Arm lag, und konnte mir nicht vorstellen, wie sie das alles wieder in die Bauchhöhle hineinkriegen wollten.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte Ken: »Wir entleeren den Grimmdarm.« Scott nickte. Ken bat mich, einen offenen Abfallbehälter, der vor einer Wand stand, an den Tisch zu stellen. Dann ließ er mich ein Tablett, ähnlich den kleinen Serviertabletts in Flugzeugen, an den Tisch anhängen. Ein Kolontablett, sagte er.

Er nickte zum Dank. »Sie sind ein nichtsteriler Bereich«, sagte er fast vergnügt. »Gehen Sie wieder zum Bildschirm zurück, ja?«

Er zog den Darm auseinander, bis ein Teil davon auf dem Tablett lag und über dem Mülleimer, machte dann rasch einen Schnitt, und er und Scott begannen systematisch den ganzen Inhalt herauszupressen.

Diesmal roch es, aber auch nur nach Stallgasse, ganz frisch und normal. Aus irgendeinem Grund verspürte ich plötzlich Lust zu lachen: Der Vorgang war so unglaublich banal und der Mülleimer so unglaublich voll.

»Monitor«, sagte Ken streng.

»Gleichmäßig.«

Scott wusch den jetzt leeren, wabbeligen und leichter gewordenen Schlauch mit einer Flüssigkeit ab, und Ken vernähte in frischem Kittel, frischen Handschuhen den Schnitt, den er hineingemacht hatte; dann verstaute er den Darm, ordentlich in Schlangenlinien gelegt, wieder an seinem angestammten Platz im Inneren. Halblaut ging er eine Checkliste zum Bauch durch, fast wie ein Pilot beim Landeanflug, und verschloß unverändert geschickt und sorgfältig den Einschnitt in drei Etappen: zuerst die weiße Linie mit starken, einzeln verknoteten Nähten, dann die Unterhaut mit einem langen durchgehenden Faden, und endlich heftete er die Haut mit einer Reihe kleiner Stahlklammern, je vier auf drei Zentimeter, zusammen. Auch der Hefter war gesondert verpackt, steril und wegwerfbar, vorwiegend aus weißem Kunststoff, handlich und leicht.

Nach einem winzigen Zögern zog Ken, als er fertig war, seinen Mundschutz herunter und sah mich mit kippeliger Siegesfreude an.

»Soweit hat sie’s geschafft«, sagte er. »Gas aus, Scott.«

Scott, der einen Deckel auf den Mülleimer gestülpt und ihn weggerollt hatte, ging jetzt zum Respirator, um das Halothan abzudrehen.

»Blutdruck?« fragte Ken.

»Unverändert.«

»Respirator aus«, sagte Scott. »Katheter abnehmen?«

Ken nickte. »Sie hat ein kräftiges Herz. Notieren Sie die Zeit«, sagte er zu mir, und ich sah auf meine Uhr und setzte die Zeit in mein Protokoll ein.

»Einundneunzig Minuten vom Einschnitt bis zum

Schluß«, sagte ich.

Ken lächelte mit der Genugtuung des Profis über die gelungene Spitzenleistung, das Zittern und die Zweifel waren zurückgestellt. Lässig schälte er die sterilen grünen Tücher vom runden Leib der Stute und warf sie in einen Abfallbehälter.

Er und Scott schnallten die Beine des Pferdes von den Bettpfosten los. Dann hob der Kran es vom Tisch hoch, wobei Scott ihm wieder den Kopf hielt. In umgekehrter Richtung rollte es die Schienen entlang und durch die Schiebetür in den gepolsterten Raum, wo Ken noch eine Matte zusätzlich auf den Boden legte. Der Kran ließ die Stute dort herunter, bis sie bequem auf der Seite lag, die Beine in der normalen Lage entspannt.

Scott nahm ihr die gepolsterten Manschetten ab, legte ihr ein Seilhalfter an und führte das Seil durch einen Ring oben auf der halbhohen Trennwand, so daß man, hinter der Wand stehend, ihre Bewegungen halbwegs lenken und verhindern konnte, daß sie allzuviel herumtaumelte.

»Es wird rund zwanzig Minuten dauern, bis sie allmählich aufwacht«, sagte Ken. »So in einer halben Stunde kommt sie vielleicht auf die Beine, aber sie wird noch eine ganze Weile beduselt sein. Wenn sie steht, lassen wir sie noch eine Stunde hier, dann kommt sie in den Stall.«

»Und das war’s dann?« fragte ich leicht überrascht.

»Nicht so ganz. Wir lassen die Schlundsonde noch drin, um sicherzugehen, daß nichts aus dem Magen hochkommt, wie vorher - Rückfluß nennt man das; und da wir sie noch mindestens zwölf Stunden nicht füttern und nicht tränken können, setzen wir die Tropfinfusion fort. Sie bekommt auch weiter Antibiotika und ein beruhigendes Schmerzmittel, und wir überwachen ihre Herzfrequenz, und wenn alles gutgeht, nehmen wir die Sonde heute abend raus und geben ihr mal eine Handvoll Heu.«

Heu hörte sich nach all dem geradezu lächerlich an.

»Wie lange werden Sie sie hierbehalten?« fragte ich.

»Wahrscheinlich eine Woche. Es wirft sie schon ein bißchen um, wissen Sie, so eine große OP.«

Er sprach mit ernster Hingabe - ein Tierarzt, der mit dem Herzen dabei war. Ich folgte ihm durch den Operationssaal in den Vorraum, wo er die Einwegsachen auszog und in den nächsten Abfallbehälter warf. Scott und ich folgten seinem Beispiel, und schon ging Ken wieder zurück, um ein Auge auf seine Patientin zu haben.

»Er läßt sie jetzt nicht allein«, sagte Scott. »Er will immer sehen, wie sie aufwachen. Haben wir nicht noch Kaffee?«

Er lief mit langen Schritten zum Büro, kam mit den Thermosflaschen wieder, und zu dritt labten wir uns an deren Inhalt, während wir die Stute beobachteten und zusahen, wie allmählich wieder Bewegung in sie kam, zuerst in ihren Kopf und ihren Hals, dann in die Vorderbeine, bis sie sich mit einem jähen Ruck seitlich aufrichtete, wobei die Vorderbeine das Gewicht von Kopf und Hals trugen, die Hinterbeine aber noch auf der Matte lagen.

»Gut«, sagte Ken. »Großartig. Gehen wir jetzt hinter die Wand.« Er setzte das Wort in die Tat um und ergriff das Führseil.

Die Stute verharrte zehn Minuten in der gleichen Haltung, rappelte sich dann, wie vom Instinkt getrieben, schwankend auf alle viere hoch, torkelte ein paar Schritte, schwenkte ein wenig den Kopf am Ende des Seils und schien nahe daran zu stürzen, blieb aber stehen. Ich nahm zwar an, daß sie sich krank, benommen und auf ihre Weise aus dem Tritt gebracht fühlte, doch die furchtbaren

Schmerzen der Kolik war sie offensichtlich los.

Ken sagte: »Danke« zu mir und rieb sich die Augen. »Sie haben mir mein Selbstvertrauen zurückgegeben, ich weiß nicht, wieso.«

Er reichte Scott das Seil, wies ihn an, die Stute weiter zu beobachten, und gab mir mit dem Kopf ein Zeichen, noch einmal mit in den OP zu kommen.

»Ich möchte, daß Sie sich etwas ansehen«, sagte er. »Darf ich es Ihnen zeigen?«

»Natürlich.«

Er ging zu dem Tisch hinüber, wo noch die Schalen mit den verbrauchten Spritzen standen - nicht mehr drei Schalen jetzt, sondern vier. Die vierte enthielt ein großes, unidentifizierbares Knäuel blutigen Gewebes, aus dem breite, flache Schlauchstücke hervorschauten, insgesamt ein ziemlich ekelhafter Anblick.

»Das habe ich aus der Stute herausgeholt«, sagte Ken.

»Das? Das ist ja riesig.«

»Mhm.«

Ich starrte darauf. »Was ist das denn?«

»Ein verschlungenes Stück Darm, aber irgendwas ist komisch dran. Warten Sie, ich hole Handschuhe und sehe mal nach.«

Er ging und kam mit sauberen Handschuhen wieder, und dann lockerte er mit kräftig zupackenden Fingern und einem Spatel ein wenig das abscheuliche Knäuel, in dem sich eine Darmschlinge fest um eine andere geschnürt und jeden Nahrungsdurchgang abgewürgt hatte. Unglaublicherweise schien ein Faden mit dem Gewebe verheddert zu sein: ein heller, starker Faden wie Nylon.

Stirnrunzelnd zog er die aufgeschnittenen Ränder auseinander, um den Inhalt zu betrachten, und sein Gesicht

wurde starr vor Erstaunen.

»Sieh sich das einer an«, sagte er ungläubig, und ich schaute zwischen seinen Händen hindurch in den Spalt, den er offenhielt, und erblickte mit noch größerer Verwunderung eine halbrunde Nadel von 8 cm Durchmesser, die kräftige Sorte, die man zum Teppichnähen verwendet.

Er zog noch ein paar Zentimeter des Schnitts auseinander, und wir konnten beide sehen, daß der Nylonfaden in der Nadel steckte. Die vom Darm in Bewegung gehaltene Nadel hatte ihn effektiv zu dem Knäuel zusammengenäht.

»So was kommt schon mal bei Hunden und Katzen vor«, sagte Ken. »Sie verschlucken Nadeln, die auf den Boden gefallen sind, und nähen sich buchstäblich zusammen. Von einem Pferd hab ich das noch nie gehört. Wahrscheinlich werden in so einem Stall nicht oft Nähnadeln verloren.« Er betrachtete sie fasziniert. »Ich glaube, die nehme ich mal nicht raus, in situ ist sie interessanter.«

Er schwieg nachdenklich. »Das ist eine echte Kuriosität, und ich werde es für unser Archiv, vielleicht auch für die Veterinärmagazine ablichten lassen, aber dafür muß das Ding in gutem Zustand bleiben, und verflucht, der Kühlschrank war im anderen Bau, im pathologischen Labor dort. Das Labor war auf der Rückseite. Wir wollten nicht noch Geld für ein zweites Labor in der Klinik ausgeben. Ich meine, es war ja nicht nötig.«

Ich nickte. »Und wenn Sie’s mit nach Hause nehmen?«

»Ich fahre nicht heim. Wenn ich die Stute am Tropf habe, schlafe ich ein paar Runden auf dem Bett im Röntgenraum. Das tu ich manchmal. Und ich beobachte den Monitor, bis Belinda kommt.«

»Was für einen Monitor?« fragte ich.

»Gebe Gott, daß das noch klappt«, sagte er. »Sie ist auch an einen Monitor im Hauptgebäude angeschlossen.« Er sah, daß ich meine Frage wiederholen wollte, und beantwortete sie. »Wir haben eine Überwachungskamera in der Intensivbox; das ist der erste Stand von hier aus, mit einem Monitor hier im Büro und einem zweiten in der Hauptrezeption. Jedenfalls war das so. Auf diese Weise können wir unsere Patienten beobachten, ohne dauernd rausrennen zu müssen.«

Ich schaute auf die Ursache des Leids der Stute.

»Ich könnte das in Thetford Cottage in den Kühlschrank tun«, schlug ich vor, »wenn wir ganz klar draufschreiben, daß es nicht angefaßt werden soll.«

»Himmel.« Sein blasses Gesicht wurde knittrig von Lachfältchen. »Na gut, warum nicht.«

Er wickelte das Stück Darm im Büro sorgfältig ein und band einen Gepäckanhänger mit einer deutlichen Botschaft daran, um der Neugierde künftiger Schwiegereltern zuvorzukommen.

Als er ohne viel Hoffnung die Schalter betätigte, zeigte sich, daß das Drahtfernsehnetz noch funktionierte, auch wenn momentan nichts im Bild war außer Nacht und der Ecke eines Gitterfensters in dem leeren Stall.

»Wäre es nur morgen auch so einfach«, sagte er.

Ich schlief vier Stunden wie betäubt in Thetford Cottage und wurde durch ein beharrliches leises Klopfen an der Schlafzimmertür geweckt. Widerstrebend raffte ich mich auf, linste nach meiner Uhr und brachte ein heiseres Krächzen hervor: »Ja?«

Vicky öffnete zaghaft die Tür und sagte, Ken habe angerufen und gefragt, ob ich zur Klinik kommen würde.

Ich richtete mich auf und fuhr mir mit den Fingern durch die Haare. »Herrgott, bloß nicht noch ein Notfall!« sagte ich und dachte mit Grauen an die vergangene Nacht zurück.

»Es ist irgendeine Besprechung«, sagte sie. »Ich wollte Sie nicht wecken, aber er meinte, Sie hätten nichts dagegen.«

Sie hatte ihren Ohrenschutz abgenommen und sich die Haare gewaschen, die wieder weiß und flaumig waren, und sah überhaupt wieder mehr nach Vicky Larch, der Sängerin, aus.

»Geht es Ihnen besser?« fragte ich, obwohl es offensichtlich war.

»Viel besser«, sagte sie, »aber noch nicht gut, und Greg genauso. Wir werden noch Tage dafür brauchen. Und wenn es auch undankbar ist - das Haus hier gefällt mir nicht.«

»Es ist unfreundlich«, stimmte ich zu. »Ihnen zu sehr entgegengesetzt.«

»Und langweilig. Haben Sie das Päckchen, das wir >auf keinen Fall öffnen< sollen, in den Kühlschrank gelegt?«

»Ja«, sagte ich. »Das sind Innereien von einem Pferd.« Ich erklärte die Sache mit dem abgebrannten Labor und daß Ken einen Platz zu ihrer Aufbewahrung brauchte.

»Pfui«, sagte sie.

Sie ging, und ich zog mich steif unbeholfen an, denn in Wahrheit saß auch mir die Zeitverschiebung in den Knochen. Das Gesicht im Badezimmerspiegel wies noch im frisch rasierten Zustand dunkle Ringe unter den müden grünbraunen Augen auf. Die frisch geputzten Zähne fühlten sich groß an hinter der steifen Gesichtsmuskulatur. Ich schnitt meinem guten alten Ich eine Grimasse und übte einen diplomatischen Gesichtsausdruck für die Besprechung ein.

Diplomatischer Gesichtsausdruck? Wohlwollend interessiert, mit Augen, die nichts verraten. Wird nach einer Weile zur Gewohnheit.

Vicky hatte mir in der Küche Kaffee und heißen Toast gemacht. Ich trank den Kaffee, küßte sie auf die Wange. Den Toast nahm ich mit und aß ihn auf der Fahrt zur Klinik.

Auf dem hinteren Parkplatz ging alles drunter und drüber. Ein Schlepper versuchte einen Bürocontainer an eine Stelle zu bugsieren, von der andere, nach allen Seiten zurücksetzende Autos wegzukommen bemüht waren. Tiere liefen hin und her, zumeist an Leinen, geführt von Menschen mit besorgten Gesichtern und gaffenden Mündern.

Ich zog mich aus dem Getümmel zurück, ließ den Wagen draußen an der Straße stehen und wurde, als ich wieder auf den Platz kam, von einer erregten Dame mit einem großen zugehängten Vogelkäfig bedrängt, die mir sagte, ihr Papagei sei krank.

Ich verbiß mir ein Lachen und sagte, das tue mir leid.

»Sind Sie keiner von den Tierärzten?« wollte sie wissen.

»Leider nicht.«

»Wo soll ich denn nun hin mit meinem Papagei?«

Ich brachte den diplomatischen Gesichtsausdruck gerade noch zustande.

»Probieren wir’s mal mit der Tür da drüben«, sagte ich und zeigte auf den Besuchereingang der Klinik. »Ich nehme an, da hilft man Ihnen weiter.«

»Dieser Brand kommt mir sehr ungelegen«, sagte sie streng, »und ich finde wirklich, man hätte mich anrufen können, um mir die Fahrt zu ersparen.«

»Der Terminkalender ist verbrannt«, sagte ich.

Sie sah verblüfft drein. »Daran habe ich nicht gedacht.«

Von der Rückseite gesehen waren die auffallendsten Spuren des Feuers die großen schwarzen Rußzungen über den Rahmen der einstigen Fenster und das Tageslicht, das sich in den Öffnungen zeigte, da der Innenraum gegen den Himmel offen war. Immer noch hing der Geruch von erstickter Glut in der Luft und legte sich einem säuerlich und beißend auf die Zunge.

Ich lenkte die Dame mit dem kranken Papagei in die Eingangshalle, wo es ebenfalls chaotisch zuging. Entlang den Wänden saßen Leute mit Katzen und bellenden Hunden auf dem Schoß, mitten drin stritt sich Carey Hewett im weißen Arztkittel mit einem Feuerwehrmann, eine der Ärztinnen bemühte sich, die Reihenfolge der Patienten zu klären, die Empfangsdame von gestern schrieb gleichmütig Namen und Adressen auf, und ein dicker Mann in einem Tweedanzug versuchte, Carey Hewetts Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Ich ließ den Papagei und alles andere stehen und schlängelte mich zum Büro durch, das beinah ebenso voll, wenn auch nicht so laut war.

Der Fernsehmonitor, sah ich sofort, zeigte die Stute, wie sie teilnahmslos in ihrer Box stand, ihr Kopf ein einziges Gewirr von Schläuchen, Heftpflaster und festgezurrten Ledergurten. Die Ärmste, dachte ich, aber wenigstens war sie am Leben.

Die Leute im Büro waren nicht dieselben wie am Abend vorher. Eine mütterliche Dame saß hinter dem Schreibtisch und beantwortete in einer Tour Anfragen am Telefon. »Hewett und Partner ... Ja, die Nachricht von dem Brand trifft leider zu ... Wenn es dringend ist, schicken wir Lucy heute vorbei, sonst läuft ab Montag wieder der Klinikbetrieb ... Nicht dringend ... Wann hätten Sie denn gern einen Termin?«

Sie war bedächtig und beruhigend, hielt die desorganisierte Praxis zusammen. Um sie herum drängten sich diverse

Verwaltungsangestellte - einer stellte hörbar eine Liste der Sachen zusammen, die am schnellsten wiederbeschafft werden mußten, ein anderer verlangte mit leidgeprüfter Miene alle möglichen und unmöglichen Einzelheiten über den entstandenen Sachschaden für die Versicherung.

Belinda war dort, aber nicht Ken. Sie bemerkte meine Anwesenheit nach einer Weile, und eine Aufwallung von Ärger huschte über ihr schmales hübsches Gesicht. Ihr Haar war wieder straff zurückgekämmt. Kein Lippenstift.

»Was machen Sie hier?« wollte sie wissen. »Sehen Sie nicht, daß wir zu tun haben?«

»Wo ist Ken?« fragte ich.

»Er schläft. Lassen Sie ihn.«

Ich wanderte aus dem Büro und den Gang hinunter in Richtung OP. Die Tür des Röntgenraums war angelehnt: Ich schaute hinein, aber da lag kein schlafender Ken auf dem Bett.

Die Eingangstür zu den Operationsräumen war verschlossen. Statt dessen bog ich zum Hintereingang mit den Anoraks und Gummistiefeln ab und trat hinaus in den Stallbereich, und dort fand ich Ken, wie er, an die Tür der ersten Box gelehnt, zu seiner Patientin hineinschaute.

Er ließ den Kopf hängen vor Müdigkeit; die Linie des Halses und der Schultern zeigte, daß er am Ende seiner Kräfte war, und ich fragte mich, ab welchem Moment ein Körper einfach streikte.

»Wie geht’s ihr?« fragte ich, als ich bei ihm anlangte.

Er erkannte mich an der Stimme, ohne den Kopf zu drehen.

»Ach, hallo. Danke, daß Sie gekommen sind. Gott sei Dank geht’s ihr gut.«

Danach sah sie für mich nun überhaupt nicht aus. Die Tropfinfusion lief von einem Beutel an der Decke in ihren

Hals, ein weiterer Schlauch kam aus der einen Nüster, und sie trug einen Maulkorb über der Nase (damit sie nicht alles andere abriß).

»Ihr Besitzer kommt«, sagte Ken. »Carey sagt, er ist sauer.«

»Verständlich.«

Ken schüttelte müde den Kopf. »Nicht wegen ihrer Kolik. Die Gerüchte sind ihm zu Ohren gekommen. Anscheinend hat er Carey gesagt, er hätte einen anderen Chirurgen damit betrauen sollen.«

»Er wird seine Einstellung ändern müssen.«

»Er will sie sich ansehen, und er wird sie in diesem Zustand sehen. Er will, daß ich dabei bin, weil er mit mir reden muß, deshalb habe ich Sie zur Unterstützung hergebeten. Es macht Ihnen hoffentlich nichts aus?«

»Sie wollten einen Zeugen, und Sie haben einen Zeugen.«

Endlich drehte er sich doch um und musterte unverhohlen mein Gesicht.

»Sie sind zu nichts verpflichtet«, sagte er.

»Es interessiert mich«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Wie alt sind Sie?«

»Gerade vierunddreißig«, antwortete er erstaunt. »Wieso?«

Ich hatte ihn erheblich älter geschätzt, aber es schien taktlos, das zu sagen. Der längliche Knochenbau und das sich lichtende Haar ließen ihn älter erscheinen; bei mir war es genau umgekehrt - mein fortgeschrittenes Dienstalter wurde regelmäßig angezweifelt.

»Ich bin knapp dreiunddreißig«, sagte ich im Gegenzug, und nach einem Moment, in dem er die unausgesprochene wie die faktische Information zur Kenntnis nahm, hielt er mir plötzlich die Hand hin. Die Gleichaltrigkeit war ein seltsames Band, aber ein eindeutig vorhandenes. Von da an waren Ken und ich zwar noch nicht enge Freunde, aber immerhin ein Team.

Hinter uns, auf der anderen Seite des Parkplatzes, hielt das geschäftige Treiben an. Der Bürocontainer war endlich zu jedermanns Zufriedenheit aufgestellt, und der Schlepper hatte sich entfernt. Leute brachten zusammengeklappte Klappstühle von einem Transporter zu dem Container, danach lange Klapptische und einen tragbaren Gasofen.

»Sofortbüro«, meinte Ken, doch es war eher eine Sofortklinik, denn was jetzt vom Spital dort hinüberzuckelte, waren die Tiere mit ihren Besitzern, nicht die Sekretärinnen und Verwaltungsangestellten.

»Oliver Quincy und Jay Jardine sind auf Hausbesuch«, sagte Ken. »Scott ist daheim und ruht sich aus. Lucy ist bei irgendwelchen Schafen. Ich bin stehend k.o. Bleiben vom ganzen Verein nur Carey und Yvonne Floyd, und eigentlich müßte ihnen eine Pflegerin zur Hand gehen, aber die ist vor einer Woche wutschnaubend abgedampft.« Er seufzte. »Ich sollte ja nicht klagen, aber wir haben einfach zuviel Arbeit.«

»Was ist mit Belinda?« fragte ich. »Die ist hier, ich habe sie gesehen.«

Er nickte. »Sie hat die drei anderen Pferde heute morgen wieder hergebracht.« Er deutete an der Boxenreihe entlang.

»Zwei von ihnen sollen heute sowieso nach Hause. Belinda kümmert sich hauptsächlich um die Stute hier, aber Carey wird sie bei sich haben wollen.«

Genau in diesem Moment erschien Belinda, um nach ihrem Schützling zu sehen, und warf mir einen gereizten Blick zu, der Ken die Stirn runzeln ließ.

»Peter hat hier nichts zu suchen«, sagte Belinda, »und wir brauchen ihn nicht.«

»Da bin ich mir nicht so sicher. Jedenfalls habe ich ihn hergebeten.«

Belinda verkniff sich eine bissige Antwort, öffnete mit zusammengepreßten Lippen die Tür zu der Stute und ging hinein. Über ihre Schulter sagte sie, als wäre es ihr gerade erst eingefallen: »Carey möchte, daß du quasi seit fünf Minuten vorne am Empfang bist.«

Ken schenkte ihr ein Lächeln, das ich so zärtlich nie hinbekommen hätte, und machte sich auf den Weg um das Gebäude herum, wobei er es für selbstverständlich hielt, daß ich ihn begleitete.

Statt Katzen, Hunden, dem Papagei und den diversen Besitzern waren in der Eingangshalle jetzt nur noch Carey Hewett selbst, der streitbare Feuerwehrmann, die Ärztin, die Empfangsdame und der massige Mann im Tweedanzug. Carey Hewett in seinem weißen Kittel schien mehrere Gespräche gleichzeitig zu führen, indem er nacheinander an jeden einen Satz richtete, ein grauhaariger ruhender Pol, umgeben von Hysterie.

»Yvonne, tun Sie Ihr Bestes. Nehmen Sie die Medikamente aus meinem Wagen. Ergänzen Sie sie aus der Klinikapotheke. Heute nachmittag kommt Nachschub. Nein, natürlich wissen wir nicht, wieso es abgebrannt ist. Ihre Stute hat die Operation sehr gut überstanden. Yvonne, legen Sie am besten mal los, sonst werkeln wir hier noch bis Mitternacht ... Ah, Ken, da sind Sie ja.«

Sein Blick glitt an Ken vorbei und ruhte einen Moment lang auf mir, während er sich besann. Dann nickte er mir zu und ließ meine Anwesenheit unkommentiert, wahrscheinlich wegen der anderen Stimmen, die auf ihn einredeten.

Der Feuerwehrmann gab es auf und ging. Die beiden Frauen schritten mit der tapfer ergebenen Miene derer, die den Löwen vorgeworfen werden sollen, hinaus zu dem

Container, und schließlich behauptete der aufdringliche dicke Mann das Feld allein, wandte sich rasch um und blickte Ken scharf an.

»Sind Sie Ken McClure?«

Ken bejahte.

Carey Hewett kam dem dicken Mann zuvor, als dieser gerade Luft holte und zu einer Tirade ansetzen wollte, und stellte ihn Ken vor: »Das ist der Besitzer der Stute, Wynn Lees.«

Wynn Lees.

Wieder wurden ferne Erinnerungen in mir wach. Ich wußte eine Menge über Wynn Lees, wenn es sich um den gleichen handelte. Den Wynn Lees von vor fünfundzwanzig Jahren hatte meine Mutter oft und gern als abschreckendes Beispiel herangezogen, um zu erreichen, daß ich mich besser benahm.

»Wenn du dich weiter mit dieser Gribble-Bande herumtreibst, wirst du mir noch so wie Wynn Lees.«

»Wenn du so jung schon rauchst . wenn du Insekten quälst ... wenn du klaust ... wenn du die Schule schwänzt ... wenn du Züge mit Steinen bewirfst [denn all das hatte ich getan] ... wirst du mal so werden wie Wynn Lees.«

Der Wynn Lees von heute hatte einen starrsinnigen verstockten Ausdruck in dem fleischigen Gesicht, die Backen geädert von Wind und Wetter, den Kopf auf dem dicken Hals leicht nach vorn geschoben. Ein Bulle von einem Mann, mit nicht allzu scharfem Verstand. Gerade sagte er angriffslustig zu Ken: »Sie hatten kein Recht, die Stute ohne mein Einverständnis zu operieren, und ich habe keineswegs mein Okay dazu gegeben.«

Carey Hewett sagte geduldig: »Ohne Ken wäre sie jetzt tot.« »Er hatte die Erlaubnis nicht«, beharrte Lees hartnäckig.

»Doch«, sagte Ken.

»Von wem denn?« wollte Lees wissen.

»Von Ihrer Frau.«

Lees fiel die Kinnlade herunter. »Das würde meine Frau nicht machen.«

»Der Futtermeister hatte Ihre Telefonnummer«, erklärte Ken.

»Er stand neben mir, während ich anrief. Ihre Frau hat sich gemeldet.«

»Wann war das?« unterbrach Lees.

»Heute früh gegen Viertel nach drei.«

»Sie kann nicht drangegangen sein. Sie nimmt Schlaftabletten.«

»Nun, sie war am Apparat. Der Futtermeister wird es Ihnen bestätigen. Sie sagte, Sie seien nicht zu Hause und sie wüßte nicht, wo Sie wären. Ich erklärte ihr, daß die Stute eine Kolik hätte und daß eine Notoperation erforderlich sei. Sie fragte, wie teuer das wäre, und ich sagte es ihr, und der Futtermeister sagte ihr, das sei die einzige Möglichkeit, das Leben der Stute und auch das des Fohlens zu retten. Sie sagte, dann sollten wir operieren.«

Wynn Lees sah aus, als hätte ihn das Wachsein seiner Frau über Gebühr erschüttert, und rang sich verspätet dazu durch, seine Dankesschuld gegenüber Ken einzugestehen.

»Na, wenn es meine Frau gesagt hat . und wenn die Stute, wie es scheint, in Ordnung ist, na ja, dann ... nichts für ungut.«

Ich hielt die halbherzige Entschuldigung nicht entfernt für ausreichend und spürte, daß Ken genauso empfand, aber aus beruflichen Rücksichten ließ er es hingehen. Carey Hewett entspannte sich innerlich ganz eindeutig und sagte, die Operation sei offenbar außerordentlich gut verlaufen.

»Woher wissen Sie denn das?« fragte Lees scharf, und seine Angriffslust kam wieder hoch wie ein Reflex, als gäbe ihm selbst die einfachste Feststellung noch Grund zu Mißtrauen und Widerspruch.

»Ich habe das Protokoll gelesen«, sagte Carey.

»Welches Protokoll?«

»Ken hat vorsichtshalber seinen Bekannten hier gebeten, dabeizubleiben und die ganze Prozedur im einzelnen schriftlich festzuhalten. Die Operation war ohne Zweifel von Anfang bis Ende tadellos.«

»Oh.« Er hatte Lees sichtlich den Wind aus den Segeln genommen. »Also, ich möchte mein Eigentum mal sehen.«

»Natürlich«, sagte Carey begütigend. »Bitte hier entlang.«

Er ging mit dem Besitzer zur Vordertür hinaus auf den Parkplatz und wandte sich nach links, den Ställen zu. Ken und ich folgten, doch auf halbem Weg legte ich ihm kurz die Hand auf den Arm, damit er etwas langsamer ging und wir weit genug zurückfielen, um uns ungestört unterhalten zu können.

»Was ist?« fragte Ken.

»Trauen Sie Wynn Lees nicht!«

»Wieso nicht? Ich meine, er ist unangenehm, aber das ist auch schon alles.«

»Nein. Trauen Sie ihm nicht. Und sagen Sie ihm nicht, was Sie im Darm des Pferdes gefunden haben.«

»Warum denn nicht?«

»Für den Fall, daß er es schon weiß.«

Ken starrte mich verblüfft an, doch da näherten wir uns bereits der Box der Stute und kamen in Hörweite von Lees

selbst.

Lees war über den Anblick der Stute so bestürzt, wie Ken es vorausgesagt hatte, aber Carey versuchte ihn zu beruhigen, und Belinda, die noch da war, schlug der Stute kräftig aufs Hinterteil und sagte ihm, das alte Mädchen erhole sich bestens. Lees zuckte ein paarmal die Achseln und ließ nichts von der Freude erkennen, die er über die Lebensrettung hätte empfinden müssen. Kein guter Heuchler, dachte ich. Ungeeignet für das Auswärtige Amt.

»Kommt das Fohlen normal zur Welt?« fragte er.

Carey sagte: »Ken?«, und Ken äußerte die Ansicht, daß nichts dagegen spreche.

»Nur ein sehr geschickter Chirurg«, sagte Carey, »konnte so spät in der Trächtigkeit mit Erfolg eine solche Operation durchführen.«

Ken war nicht verlegen über das Lob. Er kannte seinen Wert. Falsche Bescheidenheit wäre ihm nicht in den Sinn gekommen. Zuvor hatte ihn die Furcht geplagt, er könnte irgendwie seine Fähigkeit verloren haben, und ich nahm an, er hatte Carey und auch sich selbst zufriedenstellend demonstriert, daß das nicht der Fall war. Mir hatte seine eindrucksvolle Leistung zwar etwas ganz anderes gezeigt, aber ich war auf Grund meiner Ausbildung auch ein äußerst mißtrauischer Kopf.

»Ich nehme an, die Stute ist versichert?« fragte ich harmlos.

Alle drei Männer warfen mir rasche Blicke zu, doch Lees war es, der sich auf meine Anwesenheit konzentrierte.

»Was sagten Sie, wer Sie sind?« fragte er scharf. »Es geht Sie doch nichts an, ob die versichert ist.«

»Nein, natürlich nicht«, gab ich zu. »War nur so ein Gedanke.«

Carey sagte mit leichtem Tadel zu mir: »Ein Fohlen von Rainbow Quest läßt sich nicht mit Geld aufwiegen«, und Lees machte den Mund auf, besann sich eines Besseren und schloß ihn wieder.

Statt dessen sagte er zu Ken: »Haben Sie einen Grund für die Kolik entdeckt?«

Ich sah Ken nicht an. Nach einem winzigen Zögern sagte er: »Koliken werden meistens durch eine Darmdrehung hervorgerufen. Hält die an, muß man operieren, um den Darm zu richten. Manchmal ist, wie bei Ihrer Stute, der Darm so bös verschlungen, daß das verdrehte Stück regelrecht abstirbt, und man muß es herausschneiden.«

»Im Protokoll steht«, nickte Carey, »»Verdrehter Darmabschnitt entfernte.«:

Die Niederschrift hatte mit dem Aufwachen der Stute geendet. Ich hatte die Entdeckung der Nadel und des Fadens nicht gleich festgehalten, sondern sie später nachtragen wollen, und als die Stute dann über dem Berg war, hatte ich gedacht, das Protokoll sei ohnehin nicht mehr so wichtig.

»Was haben Sie mit dem herausgeschnittenen Stück gemacht?« fragte Carey.

»Es ist in der Kühlung«, sagte Ken, »für den Fall, daß es jemand sehen möchte.«

»Ekelhaft!« rief Wynn Lees aus. »Werfen Sie’s weg.«

Carey nickte zustimmend, und Ken brummelte etwas, was weder ein Ja noch ein Nein war.

Wynn Lees wandte sich von der Box ab und bat Carey auf eine Weise, als hätte er sich mit den Tatsachen abgefunden, die Genesung der Stute zu überwachen.

Ken sagte nichts. Carey warf ihm einen bangen Blick zu und schien dankbar für seine Zurückhaltung. Er sagte

Lees, daß selbstverständlich Ken für die Stute verantwortlich sei, aber daß er, Carey, jederzeit als Berater zur Verfügung stehe. Lees bedachte Ken trotzdem mit einem ausgesprochen grimmigen Funkeln, das er zum Schluß noch auf mich übertrug. Ich zeigte ihm dafür mein verbindliches Gutwettergesicht ersten Grades und sah mit Genugtuung, wie er die Achseln zuckte und mich als bedeutungslos abtat.

Er verabschiedete sich mit einem Minimum an Überschwenglichkeit von Carey, überging Ken vollständig, tat so, als hätte er Belinda überhaupt nicht wahrgenommen, dann machte er kehrt, ging zu einem blitzenden RollsRoyce und fuhr davon.

Carey beobachtete den Abgang mit undurchdringlicher Miene, dankte Ken für seine Nachsicht und entführte Belinda in Richtung des Containers. Sie ging zwar mit, blickte aber ein paarmal mißbilligend über die Schulter zurück, denn es gefiel ihr nicht, daß Ken auch nur eine flüchtige Beziehung zu jemandem außer ihr selbst unterhielt. Sie würde ein unglückliches Leben führen, dachte ich, wenn sie zu viele Zäune und Mauern errichtete.

Ken, der nichts davon mitbekam, sagte: »Warum trauen Sie Mr. Lees nicht?«

»Er benimmt sich, als wünschte er, die Stute wäre tot.«

Ken sagte langsam: »So könnte man’s wohl auch sehen. Meinen Sie ... wegen der Versicherung?«

»Kann ich nicht sagen. Es klang, als hätte er die Stute versichert, aber es käme darauf an, was er dringender braucht - die Versicherungssumme oder die Tiere.«

»Die Stute und das Fohlen«, sagte Ken ohne Zögern, da sie für ihn selbst unbedingt den Vorrang gehabt hätten. »Und auf das Geld ist er nicht angewiesen, er fährt schließlich einen Rolls. Im übrigen kann ich nicht glauben, daß jemand versucht, ein Pferd umzubringen, indem er ihm absichtlich etwas gibt, das seinen Darm verschließt -denn darauf wollen Sie doch hinaus, oder?«

»So naiv sind Sie doch nicht«, sagte ich.

»Dann will ich es eben nicht glauben.«

»Das ist nicht dasselbe.«

»Es stimmt schon«, sagte er nachdenklich, »daß mir ein Pferd, das eine Nadel verschluckt hat, noch nicht untergekommen ist.«

»Könnte man ein Pferd dazu bringen, gegen seinen Willen etwas zu schlucken?«

»O ja. Man verpackt das Teil in etwas Rundem und leicht Gleitendem, das sich im Verdauungstrakt auflöst, und wirft es praktisch dem Pferd in den Schlund, dann gibt man ihm sofort ein bißchen Körnerfutter oder was es sonst gern frißt. So wurden früher Medikamente verabreicht. Pferde können nicht erbrechen. Was sie einmal geschluckt haben, bleibt unten.«

»Unser Mr. Lees«, sagte ich, »hätte sich nicht träumen lassen, daß seine Frau wachliegt und der Operation zustimmt.«

»Nein.« Ken lächelte. »Das war ein Schock, was? Sie hörte sich keineswegs so an, als hätte sie ein Schlafmittel genommen. Ich bin ziemlich sicher, die hatte einen Mann bei sich. Ich habe seine Stimme gehört.«

Die Vorstellung von Lees als Hahnrei gefiel uns. Geschah ihm ganz recht.

Ken gähnte und sagte, da er theoretisch dienstfrei habe, werde er nach Hause fahren, um zu essen und zu schlafen. »Heute nacht Bereitschaft, morgen nachmittag frei. Ich habe Belinda versprochen, morgen mit ihr zum Pferderennen zu fahren. Haben Sie Lust mitzukommen?«

»Belinda würde sich bedanken.« »Was? Blödsinn. Schauen Sie mal, ob auch Vicky und Greg mitkommen wollen. Stratford-upon-Avon. Shakespeare und so, ist doch genau ihr Fall. Wir könnten alle mit meinem Wagen fahren. Warum nicht? Abgemacht also.« Er lächelte und gähnte erneut. »Ich mag Vicky. Tolles Mädchen. Im Cup der Schwiegermütter habe ich einen Treffer gelandet, meinen Sie nicht?«

»Doch«, stimmte ich zu.

»Schwein gehabt. Dafür ist Greg um so unwirklicher. Kaum mehr als ein Kleiderständer.«

Das traf es ganz gut, fand ich. »Er kann singen«, sagte ich.

»Können Amseln auch.« Kens Augen glitzerten. »Wir werden uns nie in die Wolle kriegen, Greg und ich, aber ich kann auch nicht mit ihm auf ein Bier in die Kneipe gehen.«

»Wo wir von Bier reden ...«

Ken sah auf seine Uhr und gähnte. »Die haben noch auf. Wie wär's? Stück Pastete und ein Halbes?«

»Einverstanden.«

Die Ausführung dieses kultivierten Vorhabens wurde jedoch verzögert durch einen Feuerwehrmann in voller Montur, der um die Ecke geschlendert kam und fragte, ob der Chef greifbar sei, da sie ihm »vorn« etwas zeigen wollten.

Ken holte Carey aus dem Container, und zu dritt tappten wir hinter dem Feuerwehrmann die Zufahrt hinauf, die ich am Abend vorher entlanggekommen war. Ich hielt im Vorbeigehen meine Hand an die Ziegelmauer: Sie war immer noch warm, aber nicht mehr wie ein Backofen.

Der Schauplatz »vorn« war einigermaßen geordnet, die meisten Fahrzeuge parkten am Straßenrand, und ein

Streifenwagen und ein großes glänzendes Löschfahrzeug hatten den Parkplatz für sich. Außerdem waren noch sechs Feuerwehrleute in feuerfester Kluft da und drei oder vier Polizisten in Marineblau, mit karierten Bändern an den Schirmmützen.

Als sie Carey Hewett erblickten, kam einer der Feuerwehrleute uns entgegen und gleich darauf auch ein Polizist. Es gab einiges Händeschütteln, gefolgt von ebensoviel Kopfschütteln, bevor sie damit herausrückten, daß nach Meinung der Feuerwehr das Feuer gelegt worden war.

Carey sah perplex drein.

»Brandstiftung«, sagte der Feuerwehrmann unverblümt.

»Ich verstehe schon«, sagte Carey, »ich kann es nur nicht glauben. Wie kommen Sie darauf?«

Der Feuerwehrmann erklärte mit kräftiger Stimme, in der Mundart von Gloucestershire, es sei zwar immer noch zu heiß da drin - er wies auf die ausgebrannten Mauern -, um sich alles genau anzusehen, aber sie hätten einige große Flaschen Reinigungsmittel gefunden. Fleckenentferner oder so etwas.

Diesmal sah nicht nur Carey perplex drein.

»Leicht entzündlich«, erklärte der Feuerwehrmann. »Das steht immer auf den Flaschen drauf.«

»Wir werden wohl Fleckenentferner gehabt haben«, sagte Carey verwirrt, »aber ich bin nicht darüber informiert, was alles im Putzmittelschrank steht.«

»Ja, nur handelt es sich hier um drei Flaschen - drei leere. Und wissen Sie, was? Wenn unser Freund einfach die Flaschen zerschlagen hätte, um an den Inhalt heranzukommen, wäre uns vielleicht nichts aufgefallen, aber diese Flaschen waren offen. Und sie standen auch nicht irgendwo im Schrank, wir haben sie gefunden, weil sie in dem großen vorderen Raum waren, in dem nach Auskunft einer Ihrer jungen Damen die beiden Sekretärinnen gearbeitet haben und in dem hauptsächlich Papier verbrannt ist, das die Hitze nicht so lange hält. Ein Stück vom Dach ist da schräg nach innen gegen die Wand gestürzt, so daß wir glücklicherweise Zugang erhalten haben.«

»Ich kann Ihnen nicht folgen«, sagte Carey.

Der Feuerwehrmann setzte den wissenden Blick von jemandem auf, der es häufig mit Gaunereien zu tun hat.

»Wir sind doch Fachleute, Sir, was Brände betrifft. Daß unser Freund die Flaschen nicht wieder zugeschraubt hat, ist ein geradezu klassischer Fehler. Sie würden staunen, wie oft wir unverschlossene Benzinkanister finden. Feuerteufel haben es immer so eilig, daß sie das Zudrehen vergessen. Dann ist da noch die Farbe. Die Räume wurden gerade frisch gestrichen, ja? Und ein Teil des Balkenwerks lackiert?«

Carey nickte.

»Nun, Sir, wir haben hier Farbeimer ohne Deckel, Lackdosen ohne Deckel, und gute Handwerker lassen nichts Leeres herumstehen, und ganz bestimmt lassen sie Töpfe, in denen noch Farbe ist, nicht ohne Deckel herumstehen.«

Carey sagte überlegend: »Jemand meinte, es seien Farbdosen explodiert.«

»Sieht ganz danach aus«, nickte der Feuerwehrmann. »Aber soweit wir bisher feststellen können, waren diese Dosen alle noch da, wo die Maler sie abgestellt hatten -sie lagen nicht in Ihrem Büro herum.«

»In meinem Büro?« wiederholte Carey. »Wie, in meinem eigenen Büro? Ich verstehe nicht.«

»Ihre junge Angestellte hat uns einen Grundriß gezeichnet.«

Der Feuerwehrmann langte in seine Uniform und zog ein zerfleddertes Stück Papier hervor, das er Carey aufgefaltet hinhielt.

»Ist dort nicht Ihr Büro gewesen? Vorne links in der Ecke?«

Carey studierte es ein paar Sekunden durch seine Brillengläser.

»Ja, das kommt ungefähr hin. Da ist wohl ... besteht Aussicht, da noch irgendwas zu bergen?«

Der Feuerwehrmann schüttelte den Kopf. »Kaum.«

Carey sagte hilflos: »Ich hatte mir Notizen für ein Buch gemacht.«

Der Feuerwehrmann schwieg einen Augenblick taktvoll angesichts eines solchen Unglücks und sagte dann, sie würden am nächsten Tag, wenn sie die Trümmer gesichtet hätten, Genaueres wissen, doch zunächst müßten sie Careys Versicherung mitteilen, daß Verdacht auf Brandstiftung bestehe.

»Gegen Brandstiftung sind wir versichert«, sagte Carey dumpf. »Wir können neu aufbauen und neue Vorräte anlegen, aber keine noch so hohe Versicherung bringt mir meine Aufzeichnungen zurück. Die ganze Arbeit .«

Müde und deprimiert brach er ab. Nicht sein eigentliches Lebenswerk war in Flammen aufgegangen, aber die Spuren, die Zeugnisse waren es. Ich versuchte mir vorzustellen, welch ein Gefühl von Leere das hinterlassen mußte, doch letztlich konnte das niemand, der es nicht am eigenen Leib erfahren hatte.

Carey, der große alte Mann der Praxis, sah grau, erschöpft und traurig aus, wie er mutlos in der aufgekommenen kleinen kalten Brise stand, die uns die Haare zauste und in die Nase stach.

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