Kapitel 9

Vicky hatte mir eine Notiz aufs Kopfkissen gelegt.

»Ken bittet Sie, um 9 in die Klinik zu kommen.«

Mit einem Stöhnen, da die Nacht schon halb vorbei war, stellte ich meinen Wecker, kroch unter die geblümte Steppdecke und fiel jäh von schwarzen Klippen in den Schlaf.

Ich träumte von sterbenden Pferden, deren Tod irgendwie meine Schuld war. Beim Aufwachen schüttelte ich das Schuldbewußtsein erleichtert ab, doch ein gewisses Unbehagen blieb, und ich fuhr in gedrückter Stimmung zur Klinik.

Auf den ersten Blick erschien alles relativ normal, wenn auch düster unter einem dahinjagenden Wolkenhimmel. Katzen und Hunde trafen fortwährend beim Container ein. Lucy, weiß bekittelt, winkte mir zu, als sie von der Klinik dort hinüber ging. Ich trat durch die Hintertür ein und fand Ken im Büro, blaß und geladen.

»Was ist los?« fragte ich.

»Drei Überweisungen für Ende der Woche wurden abgesagt. Alles Atmungsverbesserungen. Wir sind auf Honorare von außerhalb angewiesen, um die Klinik hier zu unterhalten. Die Leute haben alle von der Stute gehört und sind total in Panik geraten. Außerdem saß ich bis heute früh um drei hier und habe die Patienten von gestern überwacht, dann kam Scott mich ablösen. Er hat hoch und heilig versprochen, daß er nicht einschläft. Vor zehn Minuten komme ich also wieder, und was meinen Sie? Kein Scott. Er hat sich davongeschlichen, um irgendwo zu frühstücken. Ich kann doch nichts dafür, daß der

Kaffeeautomat noch nicht repariert ist.«

»Wie geht’s den Patienten?«

»Ganz gut«, sagte er widerwillig, »aber das tut nichts zur Sache.«

»Nein«, stimmte ich zu. »Wann wird die Stute seziert?«

Er sah auf seine Uhr. »Um zehn, sagte Carey. Es ist wohl besser, wenn ich dabei bin. Carey hat das einem Kerl aus Gloucester übertragen, und das ist mehr ein Metzger als ein Chirurg. Der letzte, den ich ausgesucht hätte. Ich muß also dort sein, falls er sich irgendeine Teufelei erlaubt.« Ärger und Streß waren ihm deutlich anzuhören. »Würden Sie vielleicht die Briefe an die Pharmaproduzenten fertigmachen, so daß sie heute noch rausgehen können? Ich habe gestern abend damit angefangen.« Er ergriff eine Mappe und zog einen Stoß Blätter daraus hervor.

»Da der Computer ausgefallen ist, mußte ich die Namen und Adressen einiger Firmen, die der Grossist, der gestern da war, nicht führt, von ihren Flaschen und Verpackungen abschreiben. Der Brief an den Großhändler ist schon unterwegs. Na, jedenfalls habe ich ein Rundschreiben aufgesetzt, und da wenigstens unser Kopierer noch funktioniert, habe ich genug Kopien gemacht für alle Firmen, die mir eingefallen sind.« Er schob sie mir über den Schreibtisch zu, nebst einem Blatt mit den Namen und Anschriften.

»Könnten Sie jeweils einen Firmennamen auf den Briefkopf tippen und auch die Umschläge adressieren, während ich weg bin? Ich weiß, es ist eine fürchterliche Arbeit, aber ich hab’s ja nicht vorgeschlagen.«

»Mhm«, stimmte ich zu. »In Ordnung.«

»Vielen Dank.«

»Ich hätte noch einen Vorschlag«, sagte ich.

Er stöhnte.

»Nehmen Sie eine Gewebeprobe von dem toten Fohlen, damit Sie einen Vaterschaftstest machen können.«

Er starrte mich an. Ich setzte ihm Broses Theorie auseinander.

»Damit der Versicherungsfall eintrat«, sagte ich, »mußte die Stute sterben. Sie haben ihr beim erstenmal unwillkommenerweise das Leben gerettet, deshalb nahm jemand einen zweiten Anlauf. Wenn Brose recht hat, konnte er oder sie nicht zulassen, daß das Fohlen auf die Welt kam. Der Tod mußte vorher eintreten, und da sie wahrscheinlich nicht genau wußten, wann das Fohlen kommen würde, mußten sie sich beeilen.«

»Das wird ja immer schlimmer«, sagte Ken.

»Sie müßten auch eine Gewebeprobe von Rainbow Quest besorgen«, sagte ich.

»Kein Problem. Allerdings ist Gewebevergleich teuer. Nach Gift suchen übrigens auch. Speziallabors kosten ein Heidengeld.«

»Sie glauben also doch, daß es Gift war?«

»Nun, ein Stromschlag war es nicht. Sie ist auch nicht durch eine Plastiktüte erstickt. Sie hat nichts in den Hals bekommen. Ich konnte keine Stichwunden bei ihr entdecken. Sie hätte nicht sterben dürfen ... irgend etwas hat ihr Herz zum Stehen gebracht.«

Yvonne Floyd, die das Büro betrat, bekam Kens letzte Worte mit.

»Nervengas?« tippte sie ironisch an.

»Viel zu leicht dranzukommen«, meinte Ken.

»Rauchvergiftung durch ein schwelendes Sofa?«

»Bestimmt nicht«, sagte Ken, sogar mit einem Lächeln.

»Wollte ja nur helfen.«

Ihre Gegenwart machte immer alles leichter. Sie sagte, sie erwarte einen Unfallhund und sei herübergekommen, um den Kleintier-OP vorzubereiten.

»Ideal wäre es, wenn Scott und Belinda dabeisein könnten.«

»Ja«, sagte Ken. »Die sind beide da.«

»Großartig.«

Sie sah selbst großartig aus in ihrem weißen Laborkittel: schimmernde weiße Zähne, glänzende Augen, eine Wolke von schwarzen Haaren.

Sie sagte: »Belinda hat mich gebeten, die Brautführerin zu sein.«

»Was?« sagte Ken verwirrt.

»Bei Ihrer Hochzeit, Sie Esel. Eine Art verheiratete Brautjungfer.«

»Oh.« Er sah aus, als hätte er die Hochzeit völlig vergessen.

»Einen Brautführer haben Sie doch wohl?« zog sie ihn auf.

»Ehm ...«, sagte Ken. »Ich habe das alles Belinda überlassen. Es ist ihr Tag.«

»Wirklich, Ken«, sagte sie etwas gereizt, »den Brautführer müssen Sie schon selber aussuchen.«

Sein Blick fiel auf mich. »Wie wäre es mit Ihnen?«

»Sie haben doch sicher noch andere Freunde«, sagte ich. »Alte Freunde.«

»Sie wären mir sehr recht«, beharrte er. »Wenn Sie’s machen wollen.«

»Aber Belinda .«

»Sie ist dabei, ihre Einstellung zu Ihnen zu ändern«, sagte Ken. »Sie wird schon einverstanden sein. Sagen Sie, daß Sie’s machen.«

»Okay.«

Yvonne freute sich. »So ist das schon besser. Denken Sie an Ihre Kleider, Ken. Und Ihr Knopflochsträußchen.«

»O Gott«, sagte er. »Wie kann einer in solchen Zeiten an Knopflochsträußchen denken?«

Yvonne lächelte liebevoll. »Das Leben geht weiter«, sagte sie. »Wir kommen schon heil aus der ganzen Geschichte raus, Sie werden sehen.«

Sie ging aus dem Büro und wandte sich in Richtung Operationssaal.

»Tolle Chirurgin«, sagte Ken.

»Tolle Beine.«

»Ja, kann sein.« Es berührte ihn nicht. Nach einer Pause setzte er an: »Was machen wir aber -?«

Man hörte das Krachen einer gegen die Wand schlagenden Tür, Geklapper auf dem Gang und ein Stöhnen.

»Was ist denn das?« sagte Ken erschrocken und sprang auf.

Da ich am nächsten zur Tür saß, war ich als erster draußen, Ken auf meinen Fersen. Yvonne kam uns schwankend und stolpernd entgegen, die Augen weit aufgerissen, eine Hand auf den Mund gepreßt. Wir traten auf sie zu, um ihr zu helfen, und sie schüttelte heftig den Kopf, während Tränen ihr in die Augen stiegen und ihre Knie nachgaben.

»Yvonne«, rief Ken aus, »um Gottes willen, was ist los?«

Sie nahm die Hand weg, wie um es uns zu sagen, und übergab sich statt dessen heftig auf den Fußboden des

Gangs.

Sie lehnte sich schwach gegen die Wand, weinte stoßweise, sah aus, als würde sie jeden Moment in Ohnmacht fallen. Ken und ich handelten sofort und eilten um das Erbrochene herum an ihre Seite, einer links, einer rechts, um sie zu stützen.

Sie schüttelte uns ab und wies, unfähig zu sprechen, mit einer wilden Armbewegung zum OP hin. Ken sah mich erschrocken, mit großen Augen an, und angsterfüllt gingen wir weiter, um nachzuschauen, was eine so extreme Reaktion hervorgerufen hatte. Die Tür zum Vorraum war es, die gegen die Wand geschlagen war: Sie stand noch offen. Wir gingen zum Lagerraum durch und probierten die Tür zum Kleintierbereich, doch sie war verschlossen. Wir stießen die Schwingtür auf, die in den großen Hauptoperationssaal führte.

Was wir dort sahen, brachte auch mich in Gefahr, ohnmächtig zu werden.

Scott lag mit dem Rücken auf dem langen PferdeOperationstisch, die Arme und Beine in der Luft. Um jedes Fuß- und jedes Handgelenk war eine gepolsterte Manschette geschnallt. Jede Manschette war an einer der Ketten befestigt, die von dem Kran herabhingen. Er war wie ein Pferd auf den Tisch gehievt worden.

Er trug wie immer Jeans und einen Pullover, und er hatte noch Schuhe und Strümpfe an und seine Armbanduhr.

Man hätte es für einen Scherz halten können, doch es ging eine ungewohnte, absolute Ruhe von diesem kraftvollen, muskelbepackten Körper aus, eine Stille, so einsam wie der Kosmos.

Ken und ich traten jeder auf eine Seite und blickten auf sein Gesicht nieder. Sein Kopf war nach hinten gekippt, sein Kinn hochgereckt. Seine Augen standen entnervenderweise halb offen, als schaue er und warte auf unsere Hilfe. Sein Mund war geschlossen. Er war kreideweiß.

»Allmächtiger«, sagte Ken leise, sehr blaß.

Ich wankte. Sagte mir, daß ohnmächtig werden nicht in Frage kam.

Scotts Mund war mit einer sauberen Reihe von Klammern verschlossen. Kleine silberne Klammern. Neun an der Zahl.

Die Schwäche klang ab. Ich hatte in meinem Leben schon Dutzende von Leichen gesehen: Nicht der Tod als solcher, sondern die Barbarei hier war es, die mich so verstörte. Ich schluckte und biß die Zähne aufeinander und atmete flach durch die Nase.

Ken sagte noch einmal: »Allmächtiger« und wandte sich der Steuerung für den Kran zu.

»Nicht anrühren«, sagte ich.

Er hielt inne und drehte sich wieder um. »Klar, Sie haben recht. Aber es ist doch falsch, ihn so liegenzulassen.«

Ich schüttelte den Kopf. Wir mußten ihn so liegenlassen, und wenn das einem Menschen gleichgültig war, dann Scott selbst.

»Wir müssen die Polizei rufen«, sagte Ken dumpf.

»Ja. Und Yvonne helfen, und dafür sorgen, daß niemand mehr hier hereinkommt.«

»Gott.«

Ein Nahthefter lag zu meinen Füßen auf dem Boden. Ich ließ ihn liegen. Es brannte kein Licht: Nur das Tageslicht fiel durch mattverglaste Oberlichter. Alles sah sauber und ordentlich aus, einsatzbereit. Es spielte keine Rolle mehr, dachte ich, daß wir ohne Überschuhe in diesen sterilen Bereich gelaufen waren.

Wir gingen wieder auf den Gang hinaus und zu Yvonne, die am Boden kniete, den Kopf an die Wand gedrückt. Ken hockte sich neben sie. Sie drehte sich um und klammerte sich schluchzend an ihn.

»Er war ... so gut ... zu meinen Jungs.«

Es gab schlimmere Grabsprüche. Ich ging an den beiden vorbei ins Büro und holte Kens Schlüsselbund, das auf dem Schreibtisch lag. Die Etiketten waren vom häufigen Gebrauch alle verwischt, aber ich fand »OP-Vorraum« und ging damit den Flur hinunter, um zu sehen, worauf er paßte.

Yvonne und Ken waren aufgestanden. Er gab ihr gerade sein nicht besonders sauberes Taschentuch, damit sie ihr verweintes Gesicht abwischen konnte. Mit stumpfen Augen beobachtete er, wie ich vorbeiging; wahrscheinlich gelang es ihm ebensowenig wie mir, den Anblick im OP zu verdrängen.

Die Tür zum Vorraum war sicher mit allen möglichen Fingerabdrücken übersät, aber ich führte trotzdem den Schlüssel ein, ohne noch welche hinzuzufügen, und stellte fest, daß er sich mühelos drehen ließ. Indem ich nur den Schlüssel anfaßte, schloß ich die Tür, sperrte sie ab und ging dann um die Ecke, den Flur entlang, nichts wie hinaus an die frische Luft.

Die Außentür, die zur Großtier-Aufnahme führte, war geschlossen. Ich suchte den Schlüssel aus dem Bund und steckte ihn ins Schlüsselloch. Ich drehte ihn wie zum Aufschließen, aber nichts geschah. Ich versuchte es andersherum: Das Schloß klickte hörbar zu. Damit war die ganze Chirurgie vor zufälligen Blicken geschützt, doch alle hatten Schlüssel ... es war eine einzige Katastrophe.

Ich kehrte zum Büro zurück, wieder vorbei an der dünnen Lache von Erbrochenem. Ken hatte den Arm um

Yvonne gelegt und führte sie zum Waschraum hinter der Eingangshalle. Ich fand ein großes Stück Papier, schrieb BITTE NICHT EINTRETEN darauf, schnappte mir eine Rolle Klebeband und ging zur Außentür. Selbst Oliver, dachte ich, als ich die Notiz anklebte, würde sich vielleicht daran halten, zumindest bis er sich im Büro erkundigt hatte, warum sie dort war.

Ich ging ins Büro und schrieb einen zweiten Zettel, den ich an die Tür des OP-Vorraums klebte, wieder ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen. Dann kam Ken aus der Eingangshalle ins Büro, und einen Moment lang standen wir nur schweigend da und schauten auf das Telefon.

»Das wird furchtbar«, sagte er.

»Mhm.«

Er setzte sich in den Sessel hinter dem Schreibtisch und griff zum Hörer. »Yvonne sagt, Carey ist noch nicht da. Er wollte vor der Obduktion vorbeikommen. Meinen Sie nicht, wir sollten auf ihn warten?«

»Nein.«

»Aber was sage ich denn?« fragte er dumpf. »Wie kann ich das sagen?«

»Sagen Sie einfach, wer Sie sind, wo Sie sind und daß hier ein Toter ist. Sprechen Sie langsam, das spart Zeit.«

»Machen Sie das.« Er gab mir den Hörer. »Mir ist schlecht.«

Ich machte es in Diktiergeschwindigkeit. Es werde jemand kommen, sagten sie.

Noch vor der Ankunft der Polizei tauchte Carey selber auf und wollte wissen, warum das Eintrittsverbotsschild an der Tür war.

»Ich wußte nicht, daß eins da ist«, sagte Ken müde.

»Das habe ich aufgehängt«, sagte ich.

»Aha.«

»Warum?« fragte Carey.

Ihm das zu sagen fiel mir schwer. Als ich es tat, wurde er noch grauer. Ken überließ ihm den Schreibtischsessel und fragte, ob er einen Schluck Wasser haben wolle. Carey stützte die Ellbogen auf den Schreibtisch, legte den Kopf in die Hände und antwortete nicht.

Das Telefon klingelte, und da es meiner Hand am nächsten war, nahm ich ab.

»Hier Lucy. Wer ist am Apparat?« fragte eine Stimme.

»Peter.«

»Oh. Ist Yvonne da?«

»Ehm . wo sind Sie?«

»Im Container natürlich.«

Mir fiel ein, daß man die Nummer des alten Gebäudes auf einen provisorischen Anschluß in der Behelfsunterkunft übertragen hatte. Das dünne Band der Ärztegemeinschaft zur gut organisierten Praxis von einst wurde jetzt bis zum äußersten strapaziert.

»Yvonne ist hier«, sagte ich, »aber sie fühlt sich nicht wohl.«

»Vor einer Viertelstunde ging es ihr noch prima.«

»Lucy, wenn Sie können, kommen Sie hier rüber.«

»Unmöglich. Belinda und ich stecken bis über die Ohren in Staupe-Impfungen. Na, würden Sie Yvonne jedenfalls ausrichten, daß ihr überfahrener Hund hier eingetroffen ist, aber der Ärmste ist schon tot. Sie soll doch bitte herkommen und mit den Besitzern sprechen, die sind ganz außer sich.«

»Sie kann nicht kommen«, sagte ich.

Endlich hörte sie den Unglückston in meiner Stimme.

»Was ist los?« fragte sie, nun auch selbst beunruhigt.

»Schicken Sie die Hunde weg. Ich kann es nicht am Telefon sagen, aber es ist eine Katastrophe.«

Nach einer kurzen Stille legte sie einfach auf, und einen Augenblick später sah ich sie durchs Fenster die Stufen des Containers herunterkommen und auf die Eingangshalle zueilen.

Sie erschien an der Bürotür, bereit, mich dafür auszuschimpfen, daß ich sie erschreckt hatte.

Ein Blick auf Careys geneigten Kopf, auf Ken, noch blasser als sonst, auf meine eigenen Anzeichen von Streß überzeugte sie davon, daß Furcht am Platz war.

»Was ist?« fragte sie.

Da die anderen beiden stumm blieben, sagte ich: »Scott ist tot.«

»O nein!« Sie war entsetzt. »Mit seinem Motorrad? Ich habe ihm immer gesagt, daß er mit der Maschine eines Tages in den Tod rast. Oh, der Ärmste.«

»Es war kein Motorradunfall«, sagte ich. »Er ist hier, im OP, und es sieht aus ... nun, es sieht aus, als hätte ihn jemand umgebracht.«

Sie setzte sich abrupt auf einen der Stühle, den Mund in ungläubigem Schock geöffnet.

»Yvonne hat ihn gefunden«, sagte ich. »Sie ist im Waschraum. Sie könnte Ihre Hilfe gebrauchen.«

Die starke, vernünftige Lucy stand wieder auf und machte sich auf den Weg.

Durchs Fenster sah ich Oliver Quincy in seinem dreckbespritzten weißen Wagen ankommen, den er neben meinem parkte.

»Wieso kommt die Polizei nicht?« fragte Ken gereizt.

Die Polizei, dachte ich, würde alles übernehmen. Mein Blick fiel auf die Mappe mit den Briefen, die Ken mir in einer anderen, fernen Zeitzone aufgedrängt hatte, und aus einer spontanen Regung nahm ich sie und schaffte sie hinaus zu meinem Wagen, so daß ich Oliver begegnete, der seinen gerade abschloß.

»Ich sollte Sie wohl warnen ...«, sagte ich langsam.

Barsch unterbrach er: »Mich warnen? Wovor?«

»Ken und Carey können es Ihnen sagen«, erwiderte ich. »Sie sind im Büro.«

»Doch nicht noch ein totes Pferd?«

Ich schüttelte den Kopf. Er zuckte die Achseln, wandte sich ab und ging durch die hintere Tür ins Büro, wobei er unterwegs einen fragenden Blick auf das Eintrittsverbotsschild warf. Ich verstaute die Briefmappe im Kofferraum, schloß ab und wollte gerade hinter Oliver her gehen, als ein Polizeiwagen auf den Parkplatz rollte.

Er hielt vor der Eingangshalle an, und derselbe Kriminalbeamte wie zuvor stieg aus, gefolgt von demselben Konstabler. Sie schauten sich kurz um und betraten die Klinik durch den Vordereingang, und ich beschloß, ebenfalls dort entlangzugehen.

Lucy und Yvonne kamen gerade zusammen aus dem Waschraum, beide krank und zittrig anzusehen, als wäre Lucys Einbildungskraft ebenso stark und Brechreiz erregend gewesen wie Yvonnes persönlicher Augenschein. Sie setzten sich unglücklich auf zwei Stühle, jede mit einem Papiertaschentuch, um sich das Gesicht zu trocknen, und beide seufzten, starrten ins Leere.

»Die Polizei ist gekommen«, sagte ich.

»Ich habe Belinda den ganzen Container allein überlassen«, sagte Lucy schnüffelnd, schluckend. »Ich muß

wieder zurück.«

Sie erhob sich langsam, wie plötzlich gealtert. »Wir sehen zu, daß wir möglichst schnell fertig werden.« Nicht annähernd so tapfer entschlossen wie vor vier Tagen ging sie hinaus auf den Parkplatz.

»Ich sollte ihr helfen«, sagte Yvonne mit Mühe, »aber ich kann nicht.«

»Viel besser, Sie bleiben noch ein wenig hier sitzen.«

»Sie haben ihn gesehen, ja?«

Ich nickte.

»Wie konnte jemand das tun?«

Die Frage war nicht zu beantworten.

»Wie soll ich bloß schlafen?« sagte sie. »Er geht mir nicht aus dem Kopf. Ich denke an ihn, wie er Wasserski gefahren ist, so stark und geschickt, so quicklebendig. Und jetzt auf einmal so .«

Jay Jardine kam auf seine anmaßende Art mit langen Schritten vom Hauptkorridor in die Halle und blieb stehen, als er uns erblickte.

»Was zum Teufel geht hier vor?« wollte er wissen. »Der ganze Flur ist voller Hundekotze, und der unverschämte Kripomensch im Büro sagte, ich soll hier warten. Wieso ist der schon wieder da? Haben sie doch noch einen Namen für den Leichnam aus der Asche gefunden?«

Yvonne stöhnte leise und schloß die Augen.

»Verdammt noch mal«, er war gereizt, »was ist denn los?«

Ich sagte es ihm.

Er machte große Augen. Dann setzte er sich, mit einem Stuhl Abstand zwischen sich und Yvonne: »Ganz schön hart.«

Die Untertreibung des Tages, dachte ich.

Jay sagte: »Der Kaffeeautomat ist wohl immer noch kaputt?«

Wir alle schauten über den Flur zu ihm hin. Mit die ersten Worte, die ich Scott sagen hörte, entsann ich mich, waren: »Der Kaffeeautomat ist im Eimer.« Armer Scott. Es gab noch immer keinen Kaffee, und wahrscheinlich nie mehr.

Während wir dort auf Abruf saßen, wurde es ruhig, als hätte die Stille des Operationssaals sich über die ganze Klinik gelegt. Wir hörten keine Stimmen aus dem Büro. Uns selbst wußten wir nicht viel zu sagen. Zeit verging.

Schließlich hielten noch zwei gewöhnliche Polizeiwagen vor dem Eingang, doch nur der erste spie seine Insassen aus, die Türen des anderen blieben geschlossen. Ein untersetzter Mann mit der adrigen Gesichtshaut eines Bauern schlenderte ohne sonderliche Eile in die Eingangshalle, gefolgt von einem älteren Mann in einem zu großen Anzug, mit einer dicken, schwarzgerahmten Brille, die ihm halb von der Nase rutschte, und einer altmodischen schwarzen Arzttasche.

Der bäuerliche Typ fragte kurz: »Das Büro?«

»Den Gang runter, erste Tür rechts«, sagte ihm Jay.

Er nickte und ging dort entlang, und die Sache kam in Bewegung, wenn auch nichts daran erfreulich war. Ein Fotograf und mehrere andere Spezialisten, die dem zweiten Polizeifahrzeug entstiegen, wurden bald darauf von Jay hinter ihrem Vorgesetzten her dirigiert.

Ken kam schlackernd mit ruckartigen Schritten aus der Gegenrichtung. »Sie sind in den Operationssaal gegangen«, sagte er.

»Kommen Sie mit nach draußen, Peter. Ich brauche Luft.«

Ich ging mit ihm und sah auf meine Uhr. 10 vor 10. Der Morgen schien schon eine Woche gedauert zu haben. Die Luft war frisch und kalt.

»Haben Sie an die Obduktion gedacht?« fragte ich.

»Carey. Er hat ihnen telefoniert, sie sollen ohne uns anfangen.« Er holte tief Atem, als sauge er Leben aus der Luft, inwendig völlig leer.

Ich sagte: »Haben Sie, ehm, ihn gebeten, etwas Gewebe von dem Fohlen zu besorgen?«

Er zog die Brauen hoch. »Hab ich vergessen. Ist das noch wichtig?«

»Vielleicht wichtiger denn je. Man kann nie wissen.«

»O Gott.« Er nahm sein Funktelefon vom Gürtel, sah die Nummer in einem kleinen Adreßbuch nach und rief die Abdeckerei an. Er erklärte jemandem, mit dem es offenbar keine Verständigungsschwierigkeiten gab, er brauche ordnungsgemäß etikettierte Gewebeproben, und fügte, als wäre es ihm plötzlich eingefallen, hinzu, er hätte außerdem gern ein Ohr des Fohlens und den Schwanz und etwas von der Mähne der Stute.

»Warum in aller Welt Ohr und Schwanz?« fragte ich, als er das Telefon wegsteckte.

»Haare«, sagte er knapp. »Anhand von Haaren ist eine einwandfreie DNS-Bestimmung möglich, und natürlich verwest Haar auch nicht. Für den Vaterschaftsnachweis bei dem Fohlen braucht man Haar von ihm selbst, das Haar seiner Mutter und das seines Vaters. Oder eben irgendein anderes Gewebe. Sie bestimmen das DNS-Muster der Stute, dann ziehen Sie das Muster des Fohlens davon ab. Was im Fohlen-DNS dann übrigbleibt, entspricht dem Vater. Das Verfahren ist langwierig und teuer, aber eine genetische Übereinstimmung ist der absolut sichere Beweis.«

Ich sah in den grauen Himmel hoch. »Und wenn nun der Mörder von Scott ein Haar auf ihm zurückgelassen hat?«

»Am besten wär’s, Scott hätte sich zur Wehr gesetzt und ihn gekratzt. Mörder und Vergewaltiger können anhand der abgekratzten Hautpartikel unter den Fingernägeln ihrer Opfer überführt werden. Das ist heute eine exakte Wissenschaft.«

»Mhm.« Ich lächelte halb. »Es funktioniert, wenn man einen Verdächtigen hat.«

Wir beobachteten, wie die Katzen- und Hundebrigade ein und aus ging.

»Ob die Polizei uns den Laden schließt?« fragte Ken.

»Gott weiß.«

»Der Polizist, der mit dem zweiten Schub kam«, sagte Ken, »ist ein Kommissar. Die Vorhut wollte nichts unternehmen, bis er hier war, jedenfalls nicht, nachdem ich Scotts Zustand beschrieben hatte. Reine Drückebergerei, so kam mir das vor.«

»Eher klug und korrekt.«

»Sie sind an eine Hierarchie gewöhnt«, sagte er. »Ich nicht.«

Hewett und Partner waren für meine Begriffe selbst hierarchisch organisiert, aber ich bestand nicht auf dem Punkt. Statt dessen fragte ich Ken, ob er so etwas wie eine Schreibmaschine besitze.

»Wofür denn?«

»Für die Briefe. Die Kuverts. Das Büro kann ich nicht benutzen, es ist voller Polizei.«

»Ach ja. Schicken wir die Briefe denn noch ab?«

»Und ob wir das tun.«

Er überlegte kurz. »Ich habe eine alte verbeulte

Reiseschreibmaschine daheim. Würde die gehen?«

»Je eher, je lieber«, sagte ich nickend. »Wo wohnen Sie?«

»Wir können doch jetzt nicht weg«, wandte er ein. »Die Polizei hat mir gesagt, ich soll warten.«

»Mir hat sie nicht gesagt, daß ich warten soll«, erwiderte ich.

»Wenn Sie mir den Weg erklären und Ihre Schlüssel geben, hole ich die Schreibmaschine und komme wieder her. Dann kann ich sobald wie möglich mit den Briefen anfangen.«

»Aber was sage ich ...?«:

»Falls jemand meckert, sagen Sie, ich hätte Hunger gehabt. Ich bringe ein paar Croissants oder so was mit.«

»Zwei Häuser von meiner Wohnung ist auch eine ganz gute Bäckerei.«

»Prima.«

Er gab mir seine Hausschlüssel und sagte mir, wo die Schreibmaschine stand, und da die Hunde- und Katzenautos noch unterwegs waren, konnte ich ohne Schwierigkeiten mit ihnen vom Parkplatz herunterfahren. Mehr Probleme hätte es mir schon bereitet, ohne ein krankes Tier als Beifahrer wieder hereinzukommen, wäre nicht Ken, der nach mir Ausschau hielt, herbeigeeilt und hätte dem am Tor postierten Polizisten gesagt, daß ich dazugehörte.

Kens Schreibmaschine war unterdessen im Kofferraum verstaut, zusammen mit einem Packen großer Briefumschläge und einem Bogen Briefmarken. Ich brachte mehrere prall gefüllte Konditoreitüten in die Klinik und verteilte Gebäck, das alle hungrig verspeisten, während sie beteuerten, sie könnten keinen Bissen runterbringen. Kohlehydrate waren schon immer das einfachste

Beruhigungsmittel. Ich aß selbst zwei Blätterteigteilchen, und sogar Yvonne griff dankbar zu und sagte, es gehe ihr schon besser. Ken setzte sich neben sie und fiel gierig über meine Gaben her.

»Sie hätten das Grundstück nicht verlassen dürfen, Sir«, sagte der Konstabler tadelnd, als ich ins Büro kam.

»Entschuldigung. Möchten Sie einen Krapfen?«

Er betrachtete die zuckerüberzogene Versuchung mit offensichtlichem Verlangen, sagte aber, er sei im Dienst. Außer ihm äußerte sich niemand zu meinem Ausflug. Was nichts daran änderte, daß ich auch wichtiges Beweismaterial hätte verschwinden lassen können, dachte ich.

Carey aß zerstreut einen Florentiner, als wisse sein Verstand nicht so recht, was sein Mund machte. Er saß noch immer in demselben Sessel, schien immer noch dem Zusammenbruch nah. Oliver beäugte ihn wie ein räuberischer Löwe, begnügte sich einstweilen aber damit, Gebäck zu verschlingen. Jay Jardine verdrückte in rascher Folge zwei Krapfen und leckte sich den Zucker von den Fingern.

Die Tür zum OP-Vorraum, hatte ich bemerkt, war geschlossen und noch mit meinem Eintrittsverbotsschild versehen. Ich mochte nicht daran denken, was jetzt dahinter geschah. Ich war nur froh, daß ich nichts damit zu tun hatte.

Carey, Oliver und Jay waren schweigsam, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Ich kehrte zu der freundlicheren Gesellschaft von Yvonne und Ken zurück, und die Zeit kroch dahin, während wir durch die gläserne Eingangstür beobachteten, wie der Strom der Hunde dünner wurde und schließlich versiegte. Lucy und Belinda verließen den Container, schlossen hinter sich ab und kamen über den Asphalt auf uns zu.

Auf halber Strecke hielten sie an, die Köpfe zum Tor gewandt. Bewegungslos standen sie dort, schauten, dann setzten sie ihren Weg fort.

Lucy hatte Tränen in den Augen, als sie in die Eingangshalle kam.

»Sie haben ihn weggebracht«, sagte sie. »Sie sind mit einem Krankenwagen ganz an die Großtieraufnahme herangefahren. Gott sei Dank konnten wir nichts sehen.«

Oliver und Jay kamen den Flur entlang und hatten verschiedenes auszurichten. Carey sei auf Ansuchen der Polizei in den Operationssaal gegangen, um ihnen zu sagen, ob irgend etwas nicht an seinem gewohnten Platz war. Yvonne solle bitte im Büro warten, da die Polizei Fragen an sie habe. Sie selbst (Oliver und Jay) und auch Lucy könnten ihre Hausbesuche machen. Belinda, meinte Oliver achselzuckend, könne vermutlich tun, was sie wolle, für sie gebe es keinerlei Anweisungen. Ken und Kens Freund sollten in der Eingangshalle bleiben. Bis auf weiteres dürfe niemand den OP betreten oder benutzen. Irgend jemand, sagte Oliver abschließend, solle die Ferkelei am Boden aufwischen.

Wie vorauszusehen, war es Lucy, die den Flur säuberte, indem sie Yvonnes Einwendungen und die halbherzigen Angebote von Ken und mir mit einer Handbewegung abtat.

Die Versammlung in der Halle löste sich auf, und jeder ging seinen Geschäften nach, so daß ich allein zurückblieb. Ken und Belinda schauten draußen bei den Ställen nach ihren Pferdepatienten. Yvonne war im Büro, bei geschlossener Tür, und durchlebte noch einmal, was sie sehnlich zu vergessen wünschte. Sie kam weinend heraus, begleitet von dem verlegenen Konstabler.

»Als nächstes sind Sie dran«, sagte sie nach Luft schnappend und wischte sich die Augen. »Sie sagen, ich kann nach Hause, aber ich bin auf so ein verdammtes

Festessen für Hundefreunde eingeladen und soll einen Vortrag über Welpenpflege halten. Wie könnte ich?«

»Vielleicht ist es am besten, Sie tun es. Dann wird der Morgen hier unwirklich.«

»Sir ...«:, sagte der Konstabler und winkte zum Büro hin.

»Ja.« Ich umarmte Yvonne. »Gehen Sie zu dem Essen.«

Ich ließ eine völlig aufgelöste Yvonne zurück, die mir durch ihre Tränen zulächelte, und kam der Anweisung des krapfenverschmähenden Polizisten nach, der pflichtbewußt hinter mir her kam.

Der Mann, der wie ein Bauer aussah, stand am Fenster, den Kopf in den Nacken gelegt, und inspizierte die Wolkendecke. Bei meinem Eintritt drehte er sich um und stellte sich als Kriminalkommissar Ramsey von der Polizei Gloucestershire vor. Seine Stimme paßte zu seinem Äußeren; eine durchgelüftete ländliche Sprechweise, ein schlauer Wilderer auf der Seite der Jagdhüter.

Er blickte auf eine Liste. »Sie sind Peter Darwin, hier angestellt als allgemeine Hilfskraft?«

»Nicht angestellt«, sagte ich. »Unbezahlter Helfer.«

Er zog die Brauen hoch, knipste seinen Kugelschreiber ein und machte sich eine Notiz.

»Sind Sie anderswo beschäftigt, Sir?« Der Kuli schwebte in der Luft.

»Beim Auswärtigen Amt, aber jetzt habe ich Urlaub.«

Er schätzte mich mit einem freudlosen kurzen Blick neu ein, notierte dann die Auskunft und fragte mich, welche Art von unbezahlter Hilfe ich geleistet hätte.

Ich sagte ihm, daß in der Klinik mehrere Pferde gestorben seien, daß mein Freund Ken McClure davon betroffen sei und daß ich ihm zu helfen versuchte herauszufinden, warum sie gestorben waren.

»Und ist Ihnen das gelungen, Sir?«

Ich sagte bedauernd: »Nein.«

»Seit wann versuchen Sie es?«

»Seit vorigen Donnerstag.«

Er schürzte die Lippen und schüttelte leicht den Kopf, als verzeihe er mir, daß ich in fünf Tagen noch keinen Erfolg erzielt hatte. Er notierte sich noch etwas, blickte dann auf und setzte neu an.

»Glauben Sie, daß der Tod der Pferde und der Tod des Anästhesisten miteinander in Zusammenhang stehen?«

Ich runzelte die Stirn. »Das weiß ich nicht.«

»Glauben Sie, daß der Tod der Pferde und der Brand des Hauptgebäudes miteinander in Zusammenhang stehen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Haben Sie irgendwelche Theorien mit jemandem erörtert, Sir?«

»Ich glaube, es wäre gefährlich, hier Theorien zu erörtern.«

Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. »Sie haben Sylvesters Leiche gesehen, soviel ich weiß.«

»Ja.« Ich schluckte. »Wie ist er gestorben?«

»Alles zu seiner Zeit«, sagte er freundlich. »Haben Sie, als Sie im OP waren, irgend etwas angefaßt?«

»Nein.«

»Sind Sie sicher, Sir?«

»Ganz sicher.«

»Haben Sie irgend etwas Besonderes gesehen? Außer Sylvester natürlich.«

»Auf dem Boden, nicht weit vom Operationstisch, lag ein Nahthefter.«

»Ah ... Sie kennen Nahthefter vom Sehen?« »Ich habe gesehen, wie Ken einen benutzt hat.«

Er machte sich noch eine Notiz.

»Außerdem«, sagte ich, »waren, glaube ich, alle Türen unverschlossen, und das ist auch nicht normal. Ich bin ums Haus gegangen, um die Außentür zu kontrollieren, durch die die kranken Tiere hereingebracht werden, und sie war nicht zu. Ich habe den Schlüssel ins Loch gesteckt und sie abgeschlossen, um zu verhindern, daß jemand einfach da hineinmarschiert und Scott sieht ...« Ich hielt inne. »Und als Ken und ich in den OP gegangen sind, stand die Tür zu dem gepolsterten Raum offen und ebenso die Tür von dort zum Korridor und zum Empfang.«

Er machte sich eine Notiz. »Und waren Sie es, der die Schilder angebracht und die Tür zwischen dem Gang hier und dem OP abgesperrt hat?«

Ich nickte.

»Nachdem Sie die Türen verschlossen haben, ist also niemand mehr dort hineingegangen?«

»Das weiß ich nicht genau«, sagte ich langsam. »Alle haben Schlüssel.«

»Sie haben auch welche?«

»Nein. Ich habe die von Ken McClure benutzt.«

»Wo waren Sie, Sir, zwischen neun Uhr gestern abend und neun Uhr heute früh?«

Ich lächelte fast, war die Frage doch klassisch. Ruhig sagte ich: »Ich bin nach London gefahren, zu einem privaten Dinner. Von elf bis zwei war ich in Gesellschaft des stellvertretenden Direktors vom Sicherheitsdienst des Jockey-Clubs, dann bin ich wieder hierher nach Cheltenham gefahren und zu Bett gegangen. Ich wohne bei den Eltern von Ken McClures Verlobter, etwa eine Meile von hier.«

Er notierte sich Stichwörter. »Danke, Sir.«

»Wann ist er gestorben?« fragte ich.

»Sie erwarten doch nicht, daß ich das beantworte.«

Ich seufzte. Es mußte nach drei gewesen sein, als Ken Scott die Aufsicht überlassen hatte. Alle würden das gleiche nebelhafte Alibi haben wie ich: zu Hause im Bett.

Kommissar Ramsey fragte, wie lange ich bei den Eltern der Verlobten von Ken McClure noch wohnen bliebe.

»Das ist offen«, sagte ich. »Ein paar Tage, würde ich meinen.«

»Wir müssen Sie vielleicht noch einmal sprechen, Sir.«

»Ken wird wissen, wo ich bin, falls ich abreise.«

Er nickte, machte sich eine letzte Notiz, dankte mir und bat den Konstabler, Ken in das Büro zu holen. Als ich auf den Flur hinaustrat, kamen Carey und der Polizist vom Sonntag, dessen Namen ich noch immer nicht kannte, gerade aus dem OP-Vorraum. Carey ging schleppend, das graue Haupt gebeugt, verzweifelt.

Mit leerem Blick kam er auf mich zu und betrat das Büro. »Es ist alles an seinem Platz«, sagte er mit bleierner Stimme.

Der Sonntagspolizist folgte Carey ins Büro und schloß die Tür, während der Konstabler und ich die Klinik durch den Hinterausgang verließen. Wir fanden Ken und Belinda draußen bei den Boxen, wo sie, die Arme auf die geschlossenen unteren Türhälften gestützt, müßig ihren Patienten zuschauten.

»Sie sind dran mit den hohen Tieren«, sagte ich zu Ken.

Er sah deprimiert drein.

»Ich fahre wieder nach Thetford Cottage«, sagte ich. »Da bin ich, wenn Sie mich brauchen.«

Belinda sagte: »Ich bleibe hier bei Ken.«

Ich lächelte sie an, und nach einer Sekunde lächelte sie zurück, nicht gerade breit, aber doch immerhin ein Fortschritt.

Vicky und Greg waren nicht da, als ich zum Haus kam. Sie hatten als ersten Schritt zur Bekämpfung der Langeweile ein Taxiunternehmen eingespannt, das sie auf Verlangen herumfuhr, da sie sich beide nicht recht zutrauten, einen Mietwagen zu nehmen und selbst zu fahren. »Die Taxifahrer kennen sich aus«, hatte Vicky gesagt. »Sie sagen uns, was wir tun und was wir uns ansehen sollen.«

Ich schloß die Haustür auf, brachte Kens Schreibmaschine und die Mappe mit den Briefen hinauf in mein Zimmer und machte mich an die Arbeit.

Kens Briefe, alle auf dem Schreibpapier der Praxis und mit seiner ausladenden Unterschrift versehen, erklärten, daß die Polizei eine Aufstellung der verbrannten Arzneimittel verlangte, und baten um die Mitarbeit der Firma. An sich fand ich den Brief ganz in Ordnung, aber er war auch wie geschaffen zur »gelegentlichen Erledigung«. Ich spannte die erste Kopie in die Maschine, tippte den ersten Namen von der Adressenliste oben ein und ging dann bis ganz runter, um unter Kens Unterschrift noch einen Absatz hinzuzufügen.

»Die Sache ist von größter Dringlichkeit«, schrieb ich, »da die Polizei befürchtet, es könnten vor der Brandlegung bestimmte gefährliche, nicht handelsübliche oder verbotene Stoffe entwendet und später in Umlauf gebracht worden sein. Wir bitten Sie, unser Ersuchen vorrangig zu behandeln und uns in dem beigefügten adressierten Freiumschlag postwendend Kopien von sämtlichen relevanten Rechnungen zuzusenden. Hewett und Partner

dankt Ihnen im voraus für Ihre Bemühungen.«

In Japan hätte ich noch ein paar »hochachtungsvoll« dazwischengestreut, aber Hochachtung kam in der britischen Wirtschaft offenbar nicht gut an, wie mehrere verblüffte japanische Geschäftsleute mir erzählt hatten. Ebenso führten beispielsweise Verbeugungen nicht zu einer schnellen Einigung, sondern zu unwillkürlichem Zusammenzucken. In Japan war es der Gastgeber, der seinem Gast ein Geschenk machte, nicht umgekehrt. Der Möglichkeiten, einander in Verlegenheit zu bringen, war kein Ende.

Verschwenderisch frankierte ich einen DIN-A4-Umschlag für die Rückantwort und adressierte ihn an Hewett und Partner in Thetford Cottage (vorübergehendes Büro). Das Ergebnis sah so amtlich und überzeugend aus, daß ich mir einigen Erfolg davon versprach.

Dann faltete ich Brief und Rückumschlag ineinander und steckte sie in ein Geschäftskuvert mit der Adresse des Pharmaproduzenten. Ohne Kopierer und ohne Kohlepapier (an das ich nicht gedacht hatte) dauerte es ziemlich lange, bis ich den Zusatz auf alle Briefe getippt hatte, aber als es geschafft war, fuhr ich zum Postamt in der langen Einkaufsstraße und schickte den ganzen Stoß Anfragen los.

Wieder zurück in Thetford Cottage, holte ich eine Stunde Schlaf nach und wählte dann auf gut Glück die Nummer von Kens Funktelefon.

Er meldete sich sofort: »Ken McClure.«

»Wo sind Sie?« fragte ich. »Hier ist Peter.«

»Auf dem Weg zu einer schwachen Sehne. Was liegt an?«

»Ich dachte, wir könnten mal die Mackintoshs besuchen ... oder die Nagrebbs.«

Er zog hörbar die Luft ein. »Sie haben wirklich tolle Ideen, wie man sich einen Nachmittag verdirbt. Nein, danke.«

»Wo finde ich sie?« fragte ich.

»Das ist doch nicht Ihr Ernst?«

»Möchten Sie Ihren guten Namen wiederhaben oder nicht?«

Nach einer Pause erklärte er mir den Weg. »Zoe Mackintosh ist eine Tigerin, und ihr Papa ist im Traumland. Ich treffe Sie da vor dem Haus, in etwa einer Viertelstunde.«

»Prima.«

Ich fuhr durch Riddlescombe und hielt an einem Hang, der das Dorf der Mackintoshs überblickte. Schieferdächer, gelbgraue Cotswold-Steinmauern, Winterbäume, die noch keine Knospen trugen. Anthrazit- und cremefarbener Himmel, tief hängend und gehetzt. Schlafende Wiesen, die auf den Frühling warteten.

Das Gefühl des Deja-vu war überwältigend. Ich war früher schon über diese Anhöhe gekommen und hatte diese Dächer gesehen, war die Straße entlanggelaufen, auf der ich jetzt mit dem Wagen stand. Jimmy und ich hatten uns über einen kindischen Witz schiefgelacht, hatten uns die Kleider heruntergerissen und waren nackt in den Bach gesprungen, der nieder ins Tal floß. Von da, wo ich stand, konnte ich den Bach nicht sehen, aber ich wußte, daß er dort war.

Kurz vor der mit Ken verabredeten Zeit ließ ich den Motor an, löste die Bremse und fuhr die Anhöhe hinunter. Den Bach konnte ich noch immer nicht sehen. Mußte etwas durcheinandergebracht haben, dachte ich, dabei war ich mir so sicher gewesen. Ich tat es mit einem Schulterzucken ab. Auf Erinnerungen war schon nach einer Woche kein Verlaß mehr: Nach zwanzig Jahren war das aussichtslos.

Ken traf sich mit mir vor der Einfahrt zu einem langen grauen Haus mit efeubewachsenen Giebeln. Ich war hier schon gewesen. Ich kannte die Muster auf den geöffneten

Flügeln des schmiedeeisernen Tors.

»Hallo«, sagte ich nüchtern, als ich ausstieg.

»Sie wissen hoffentlich, was Sie tun«, tönte es dumpf vom Fahrerfenster seines Wagens her.

»Meistens«, sagte ich.

»O Gott.« Er hielt inne. »Zoe kennt mein Auto. Sie wird auf mich losgehen.«

»Dann steigen Sie bei mir ein, Sie Feigling.«

Er kletterte aus seinem Wagen, zwängte sich zu mir rein und legte Einhalt gebietend seine Hand auf meine, als ich losfahren wollte.

»Carey sagt, er will ausscheiden«, sagte er. »Ich finde, das sollten Sie wissen.«

»Das ist doch undenkbar.«

»Ich weiß. Ich glaube aber, er meint es wirklich ernst. Und er ist das einzige, was uns zusammenhält.«

»Wann hat er denn gesagt, er wolle aufhören?«

»Im Büro. Nachdem Sie gegangen waren, bin ich ja da rein, nicht? Da war Carey bei dem Kommissar.«

Ich nickte.

»Carey war mehr oder minder zusammengebrochen. Als ich reinkam, gab der Beamte ihm gerade ein Glas Wasser. Wasser! Einen Brandy hätte er gebraucht. Sowie er mich sah, sagte er, er könne nicht mehr weitermachen, es sei alles zuviel für ihn. Ich sagte ihm, wir seien auf ihn angewiesen, aber darauf hat er nicht direkt geantwortet. Er sagte nur, Scott habe zehn Jahre oder noch länger in der Praxis gearbeitet, und einen Anästhesisten wie ihn würden wir nie mehr finden.«

»Und werden Sie?«

Er machte eine Gebärde des Nichtwissens, die nicht nur seine Schultern, sondern auch Kopf und Hals mit einbezog.

»Wenn Carey die Partnerschaft auflöst«, sagte er, »denn darauf läuft es hinaus, wenn er aufgibt, dann müssen wir von vorn anfangen.«

»Und um von vorn anzufangen«, hob ich hervor, »müssen Sie reinen Tisch machen. Deshalb gehen wir jetzt mal die Zufahrt hoch und ziehen an der Klingel.«

Sein langer Schädel wandte sich langsam zu mir.

»Woher wissen Sie, daß hier ein Klingelzug ist?«

Darauf konnte ich nicht antworten. Mir war beim Sprechen nicht klar gewesen, daß ich aus der Erinnerung schöpfte.

»Redewendung«, sagte ich lahm.

Er schüttelte den Kopf. »Sie wissen Dinge, die Sie nicht wissen können. Das ist mir schon mal aufgefallen. Am allerersten Abend sagten Sie, daß mein Vater Kenny hieß. Woher haben Sie das gewußt?«

Nach einer Weile sagte ich: »Wenn ich Sie irgendwie weiterbringe, erzähle ich es Ihnen.«

»Das ist alles?«

»Das ist alles.«

Ich ließ den Wagen an, fuhr durch das Tor und hielt auf einem kiesbestreuten runden Platz kurz vor dem Haus. Dann stieg ich allein aus und ging das letzte Stück zu Fuß. Ich zog an dem Klingelzug, einem schmiedeeisernen Stab mit einem vergoldeten Knauf am Ende. Ich wußte, schon bevor es ertönte, wie das leise Glockenspiel im Haus sich anhören würde.

Wer an die Tür hätte kommen sollen, wußte ich nicht mehr, aber die Frau, die sie jetzt öffnete, war es sicher nicht. Sie war von unbestimmtem Alter, rotblond, mit trockenem gelocktem Haar, hellen Wimpern und deutlichem Flaum auf Oberlippe und Kinn. Dünn und kräftig, in Jeans, kariertem Hemd und ausgeblichenem Pullover, bemühte sie sich nicht, ihre Vorzüge herauszustreichen, war aber auf unkonventionelle Art nicht unattraktiv. Sie musterte mich von oben bis unten und wartete.

»Miss Zoe Mackintosh?« fragte ich.

»Ich kaufe nichts. Guten Tag.«

Die Tür begann sich zu schließen.

»Ich bin kein Vertreter«, sagte ich hastig.

»Sondern?« Die Tür hielt inne.

»Ich komme von Hewett und Partnern.«

»Warum sagen Sie das nicht gleich?« Sie machte die Tür weiter auf. »Aber ich hab niemand bestellt.«

»Wir gehen, ehm ... der Frage nach, warum zwei von Ihren Pferden bei uns in der Klinik gestorben sind.«

»Das kommt aber ein bißchen spät«, bemerkte sie.

»Könnten wir Ihnen vielleicht ein paar Fragen stellen?«

Sie legte den Kopf schräg. »Meinetwegen. Wer ist wir?«

Ich blickte zum Wagen zurück. »Ken McClure ist bei mir.«

»O nein. Er hat sie doch umgebracht.«

»Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Könnten Sie uns nicht bitte anhören?«

Sie zögerte. »Er hat irgendwelchen Quatsch von Atropin erzählt.«

»Und wenn das nun kein Quatsch gewesen ist?«

Sie unterzog mich einer weiteren Musterung, kompromißlos und direkt, und entschloß sich dann, die Verteidigung zumindest ihre Argumente vorbringen zu lassen.

»Dann kommen Sie mal rein«, sagte sie. Sie trat beiseite, blickte zum Wagen hinüber und fügte widerwillig hinzu: »Ich habe Ken gesagt, er soll nie wieder einen Fuß hier auf den Hof setzen, aber er kann auch kommen.«

»Danke.«

Ich winkte Ken herbei, doch er näherte sich argwöhnisch und blieb einen ganzen Schritt hinter mir stehen.

»Zoe .« sagte er zögernd.

»Schon gut, Sie haben sich einen Teufelsadvokaten mitgebracht, wie ich sehe. Also rein mit Ihnen, und lassen Sie hören.«

Wir betraten eine schwarzweiß geflieste Diele, und sie schloß die Tür hinter uns. Dann ging sie durch die Diele voran, einen kurzen Gang hinunter, und führte uns in ein quadratisches Zimmer, vollgestopft mit Bürozubehör, Rennfarben, Fotos, durchgesessenen Sesseln und sechs verschiedenen Hunden. Zoe schob etliche Hunde von den Sitzgelegenheiten herunter und bat uns, Platz zu nehmen.

Ich hatte den vagen Eindruck, daß das Innere des Hauses irgendwie verkehrt war: Es roch nicht, wie es sollte, und Geräusche fehlten. Zoes Zimmer roch nach Hunden. Das versperrte mir den Weg zurück, so wie man sich an eine bestimmte Melodie nicht erinnert, wenn gerade eine andere auf die Trommelfelle eindröhnt.

»Wohnen Sie hier schon lange?« fragte ich.

Sie zog belustigt die Brauen hoch und schaute in dem kramigen Zimmer umher.

»Sieht man das nicht?« sagte sie.

»Na ja, doch.«

»So rund zwanzig Jahre«, sagte sie. »Dreiundzwanzig, vierundzwanzig.«

»Eine lange Zeit«, stimmte ich zu.

»Ja. Also, was ist mit den Pferden?« »Ich glaube, daß sie und mehrere andere als Folge von Versicherungsbetrügereien gestorben sind.«

Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Unsere beiden waren nicht versichert. Ihre Besitzer lassen uns das nicht vergessen.«

Ich sagte: »Pferde können versichert werden, ohne daß der Besitzer oder der Trainer es weiß.«

Ihre Augen weiteten sich langsam, als ihr die Erinnerung kam.

»Russet Eaglewood hat das mal gemacht. Es war ein Glück für sie.«

»Ja, hat sie mir erzählt.«

Ken schaute mich forschend an.

Zoe dachte nach. »Sie haben also auch mit ihr gesprochen, wegen der toten Pferde der Eaglewoods?«

»Deren Pferde und Ihre Pferde sind auf die gleiche Art gestorben.«

Zoe blickte zu Ken. Ich schüttelte den Kopf. »Er kann nichts dafür.«

»Sondern?«

»Das versuchen wir herauszufinden.« Ich hielt inne. »Die Pferde sind alle in der Klinik gestorben, mit einer Ausnahme vielleicht ...«

»Wie viele sind gestorben?« unterbrach sie.

»Acht oder neun«, sagte ich.

»Sie machen Witze!«

Ken wandte ein: »Das hätten Sie ihr nicht sagen sollen.«

»Einen Tod könnte man vielleicht auf Fahrlässigkeit Ihrerseits zurückführen«, sagte ich. »Vielleicht auch zwei. Aber acht unerklärte Todesfälle? Wo Sie doch ein erfahrener Chirurg sind? Sie halten da für jemand anders den Kopf hin, Ken, und vernünftige Menschen wie Miss Mackintosh werden das einsehen.«

Die vernünftige Miss Mackintosh warf mir einen ironischen Blick zu, betrachtete Ken fortan aber dennoch als Opfer und nicht mehr als Schurken.

»Um die Pferde ins Spital zu bekommen, nachdem sie versichert waren«, sagte ich, »mußten sie natürlich krank gemacht werden. Deshalb möchten wir, daß Sie sich einmal scharf darauf konzentrieren, wer Gelegenheit hatte, Ihren Pferden durch Verabreichung von Atropin so schwere Kolikanfälle zu bereiten, daß sie sofort operiert werden mußten.«

Anstatt direkt zu antworten, sagte sie: »Haben die Eaglewood-Pferde auch Atropin bekommen?«

»Nein«, sagte ich. »Die waren bestellt.«

Sie schnappte nach Luft und rettete sich dann in ein Lachen.

»Wer sind Sie?« fragte sie.

»Peter. Ein Freund von Ken.«

»Da hat er Glück, würde ich meinen.«

Ich gab ihr den ironischen Blick zurück.

»Na schön«, sagte sie. »Nachdem Ken das also aufgebracht hatte, war ich zwar wütend, aber ich habe trotzdem darüber nachgedacht. Offen gestanden, für einen Zehner hätte jeder von unseren Stallburschen seine Mutter an die Pferde verfüttert. Ein präparierter Apfel? Kurze Absprache in der Kneipe? Zu einfach. Tut mir leid.«

»Den Versuch war es wert«, sagte Ken.

Ein Summer schnarrte laut in die Stille hinein. »Mein Vater«, sagte Zoe kurz im Aufstehen. »Ich muß gehen.«

»Ich würde Ihren Vater sehr gern kennenlernen«, sagte ich.

Sie zog die buschigen blonden Brauen hoch. »Dafür ist es fünf Jahre zu spät. Aber kommen Sie ruhig mit.«

Sie trat auf den Gang hinaus, und wir folgten ihr zurück in die Diele und durch eine Flügeltür in ein großes, prächtiges Wohnzimmer, dessen hintere Wand vom Boden bis zur Decke verglast war. Draußen vor der Glaswand befand sich ein Mühlrad, ein riesiges hölzernes Schaufelrad, mehr als zur Hälfte sichtbar, der untere Teil unter Fußbodenhöhe. Es war nur Dekoration; man sah keine Bewegung.

»Wo ist der Bach?« fragte ich, und mir fiel ein, was an dem Haus nicht stimmte. Kein dumpfiger Geruch von immerwährendem Wasser. Kein Laut vom sich drehenden Mühlrad.

»Der ist weg. Vor Jahren ausgetrocknet«, sagte Zoe und durchquerte das Zimmer. »Die haben am Grundwasserspiegel herumgepfuscht, zu viel für das verdammte Kraftwerk abgezweigt. Paps«, schloß sie und blieb bei einem Sessel mit hoher Rückenlehne stehen, »du hast Besuch.«

Der Sessel antwortete nicht. Ken und ich gingen um ihn herum und sahen uns dem Mann gegenüber, der einmal Mac Mackintosh gewesen war.

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