Sechzehntes Kapitel



Bei Sonnenuntergang geschah etwas Schlimmes. Jim verschwand.

Am Vormittag und Nachmittag hatten sie lärmend alle Karussells ausprobiert, schmutzige Milchflaschen umgeworfen, nach Ringen geangelt und sich mit offenen Ohren, Augen und Nasen ihren Weg durch die quirlende Menge gebahnt, die auf Laub und Sägespänen herumtrampelte.

Dann war Jim auf einmal fort.

Will brauchte keinen zu fragen außer sich selbst. Zielsicher steuerte er durch die dünner werdende Menschenmenge unter dem Himmel, der sich pfirsichfarben rötete, bis er das Spiegelkabinett erreichte. Er bezahlte seinen Eintritt, tastete sich zwischen die Spiegel hinein und rief halblaut, aber nur einmal.

"Jim?"

Da war Jim. Halb versank er im kalten Glas, halb ragte er daraus hervor wie jemand, den man am Meeresufer allein gelassen hat, während sein guter Freund weit hinausgeschwommen ist. Da stand er nun und wartete, ob er jemals zurückkommen würde. Jim sah aus, als hätte er seit mindestens fünf Minuten keinen Finger gerührt, mit keiner Wimper gezuckt. Mit offenem Mund lauschte er der nächsten Woge entgegen, ob sie ihm mehr über den verlorenen Freund erzählen konnte.

"Jim! Komm hier heraus!"

"Will, laß mich in Ruhe!" Er seufzte leise.

"Den Teufel werd ich!" Will stand mit einem Satz neben Jim, packte ihn beim Gürtel und zog. Jim schien nicht einmal zu bemerken, daß er rücklings herausgezerrt wurde, so versunken war er in den Anblick eines unsichtbaren Wunders.

Leise protestierte er: "Will, ach, Will! O Will..."

"Jim, du bist übergeschnappt! Ich bring dich nach Hause."

"Was? Wie? Was?"

Sie standen im kalten Abendwind. Der Himmel war inzwischen dunkler als eine Pflaume. Hoch droben brannten ein paar Wolken im letzten Feuer der Sonne. Das Licht spiegelte sich auf Jims fiebrigen Wangen, seinen geöffneten Lippen, seinen großen tiefgrünen Augen.

"Jim, was hast du da drin gesehen? Dasselbe wie Miss Foley?"

"Was? Was?"

"Ich hau dir die Nase ein! Komm jetzt!" Will zerrte, schob und stieß. Er mußte seinen fiebernden, selbstvergessenen Freund halb tragen.

"Kann's dir nicht sagen. Glaubst es doch nicht. Kann's dir nicht sagen, was ich da drin... Oh, da drin, da drin..."




"Halt den Schnabel!" Will packte ihn beim Arm. "Machst mir genauso angst wie sie! Blödsinn! Bald Zeit zum Essen. Zu Hause glauben sie schon, wir sind tot und begraben."


Sie schritten nun rasch aus. Ihre Sohlen drückten das nach Heu duftende Herbstgras nieder, die laubbestreuten Wiesen außerhalb der Zelte. Will blickte zur Stadt, Jim zurück zu den Zelten, zu den dunkler werdenden Fahnen, wo die Sonne sich unter der Erde versteckte.

"Will, wir müssen noch einmal hin. Heute nacht..."

"Schön, dann gehst du allein hin."

Jim blieb stehen.

"Du läßt mich ja doch nicht allein gehen. Du bist immer um mich herum, Will. Warum? Um mich zu beschützen?"

"Als ob du Schutz brauchst!" Will lachte, aber dann brach sein Lachen ab; denn Jim sah ihn an, und das letzte Licht erstarb auf seinen Lippen, in seinen Nasenlöchern, um die plötzlich tiefliegenden Augen.

"Du bist einfach immer bei mir, wie, Will?"

Jims warmer Atem traf ihn. In seinem Blut regte sich die alte, vertraute Antwort: Ja, ja, du weißt es doch – ja!

Gemeinsam stolperten sie über eine riesige dunkle Ledertasche.

Загрузка...