Zwanzigstes Kapitel



In zwei Häusern wartete das Essen.

Eine Stimme schrie Jim an, zwei Stimmen schrien Will an.

Beide wurden hungrig nach oben geschickt.

Um sieben Uhr fing es an, um drei Minuten nach sieben war es vorbei.

Türen schlugen. Schlösser klickten.

Uhren tickten.

Will lehnte an der Tür. Das Telefon stand unerreichbar draußen. Und selbst wenn er anrief, würde Miss Foley sich nicht melden. Inzwischen hatte sie die Stadt schon verlassen... Mein Gott! Außerdem – was sollte er sagen? Miss Foley, dieser Neffe ist nicht Ihr Neffe? Dieser Junge ist kein Junge? Würde sie nicht lachen? Natürlich würde sie lachen. Denn der Neffe war ihr Neffe, und der Junge war ein Junge, jedenfalls schien es so.

Er wandte sich zum Fenster. Drüben, auf der anderen Straßenseite, stand Jim mitten in seinem Zimmer und kämpfte mit denselben Sorgen. Jeder trug den Kampf mit sich allein aus. Es war noch zu früh, das Fenster zu öffnen und einander zuzuflüstern. Unten paßten die Eltern auf, spitzten die Ohren, als hätten sie winzige Antennen drin.

In beiden Zimmern warfen sich die Jungen auf ihre Betten, suchten in den Tiefen der Matratzen nach Schokoladenstücken, die sie da in fetten Zeiten versteckt hatten, und aßen bedrückt.

Uhren tickten.

Neun. Halb zehn. Zehn.

Ein leises Rütteln an der Tür. Dad machte auf.

Dad, dachte Will. Komm herein. Wir müssen miteinander reden!

Aber Dad schwieg draußen auf dem Flur. Nur seine Verwirrung, sein stets erstauntes, immer ein wenig bestürztes Gesicht war durch die Tür zu spüren.

Er kommt nicht herein, dachte Will. Herumlaufen, drumherumreden, den Dingen davonlaufen – ja. Aber herkommen, hinsetzen, zuhören? Wann hatte er das je getan? Wann würde er es einmal tun?

"Will..."

Will zuckte zusammen.

"Will", sagte Dad. "Will, sei vorsichtig."

"Vorsichtig?" schrie Mutter im Flur. "Mehr willst du ihm nicht sagen?"

"Was denn sonst noch?" Dad ging die Treppe hinunter. "Er springt, ich krieche. Wie kann man zwei solche Menschen zusammenbringen? Er ist zu jung, ich bin zu alt. Gott, manchmal wünsche ich mir, wir hätten nie..."

Die Tür schlug zu. Dad ging auf dem Bürgersteig davon.

Will hätte am liebsten das Fenster aufgestoßen und ihm nachgerufen. Dad war plötzlich so einsam und verloren in der Nacht. Es geht nicht um mich, Dad, mach dir meinetwegen keine Sorgen, Dad, dachte er, aber du sollst zu Hause bleiben! Draußen ist's nicht sicher. Geh nicht weg!

Aber er schwieg. Und als er schließlich ganz leise das Fenster öffnete, war die Straße leer. Er wußte, es war nur eine Frage der Zeit, bis auf der anderen Seite der Stadt das Licht im Fenster der Bibliothek anging. Wenn die Flüsse über die Ufer traten, wenn Feuer vom Himmel fiel, welch ein schöner, sicherer Platz war dann doch die Bibliothek mit ihren vielen Sälen, ihren vielen Büchern. Mit ein bißchen Glück findet einen keiner. Wie sollten sie auch, wenn man weit fort war, in Tanganjika im Jahre 1898, in Kairo im Jahre 1812, in Florenz im Jahre 1491?

"Vorsichtig..."

Was meinte Dad damit? Roch er das Schreckliche, hatte er die Musik gehört, war er um die Zelte geschlichen? Nein. Nein, das täte Dad niemals.

Will warf ein Steinchen hinüber an Jims Fenster.

Klapp. Stille.

Er stellte sich Jim vor, wie er im Dunkeln saß, sein Atem leuchtend wie Phosphor in der Luft.

Klapp. Stille.

Das sah Jim nicht ähnlich. Früher war dann immer das Fenster aufgegangen, Jims Kopf war herausgekommen, Rufe, geheimnisvolles Flüstern auf den Lippen, Kichern, Streiche, Dummheiten.




"Jim, ich weiß doch, daß du da bist!"


Klapp.

Stille.

Dad ist in der Stadt. Bei Miss Foley ist Duweißtschonwer, dachte er. Mein Gott, Jim, so tu doch etwas! Heute noch!

Er warf ein letztes kleines Steinchen hinüber.

Klapp.

Es fiel lautlos ins Gras unter dem Fenster.

Heute abend, dachte Will. Er biß sich in den Handrücken. Dann legte er sich kalt und gerade und steif aufs Bett.

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