Putzen
Zwei ihrer drei Teilzeitkräfte, Ruth und Esmeralda, halfen ihr an diesem Tag.
Jodie hatte sich den Arm verbrannt und fiel zwei Wochen aus. Ruth trug einen kirschroten Trainingsanzug und hatte sich die Haare mit einem gelben Gummi streng zurückgebunden. Esmeralda war eine untersetzte, schweigsame Mexikanerin. Mit den dunklen Ringen unter ihren Augen sah sie aus, als hätte sie seit Wochen nicht mehr geschlafen. Wie gewöhnlich trug sie auch an diesem Tag Schwarz, und ihre schwarzen Schnürschuhe quietschten nervtötend auf dem Küchenfußboden.
Zusammen rollten sie den Teppich im Wohnzimmer ein. Dafür mussten sie die Couch anheben, die so schwer war, dass sie danach ganz außer Atem waren.
»Ich bin langsam zu alt für diese Arbeit«, schnaufte Ruth.
»Du musst einfach ein bisschen mehr trainieren. Warum kommst du nicht endlich mal zu meiner Tai-Chi-Chüon-Gruppe?«
»Warum sollte ich da hingehen, du gehst ja auch nicht hin.«
»Ich war letzte Woche. Oder die Woche davor? Egal. Man muss sich eben die Zeit dafür nehmen, aber immer geht’s nicht. Ich hab einfach so viel zu tun.«
Esmeraldas Stimme klang angespannt, als sie sagte: »Der Fleck hier geht durch bis aufs Parkett.«
Bonnie sah sich die Stelle näher an. Aaron Goodmans Blut war durch das Teppichgewebe und die Unterlage gedrungen und hatte einen kunstvollen braunen Fleck auf dem Holz hinterlassen. Wie ein Rorschach-Test, dachte sie.
»Das ist Eiche, also sollten wir das meiste mit Sodiumperborat rauskriegen.«
Esmeralda bekreuzigte sich. »Ich fang dann wohl mal besser mit der Wand an.«
»Bis du sicher? Das ist aber echt ekelhaft.«
»Nein, kein Problem, ich mach die Wand.«
»Irgendwas nicht in Ordnung?«, fragte Bonnie.
»Ich habe Schmerzen im Knie und kann es nicht gut beugen.«
»Das meine ich nicht. Du hast dich bekreuzigt.«
Esmeralda sah sie mit leerem Blick an und machte dann eine wegwerfende Geste. »Aus Respekt vor den Toten. Das ist alles.«
»Okay… Also, Ruth macht den Boden und ich fange mal mit den Betten an.«
Anderthalb Stunden lang zischte Bonnies Dampfreiniger im Schlafzimmer und dröhnte Ruths Staubsauger im Wohnzimmer und dem Rest der Wohnung. Esmeralda schrubbte energisch im Rhythmus an der Wand.
Normalerweise sang Bonnie bei der Arbeit. »Love, ageless and evergreen…«. Aber in Naomis Schlafzimmer verstummte sie. Sie konnte die blutigen Handabdrücke über dem Bett nicht ansehen, aber wegwischen konnte sie sie auch nicht. Es schien ihr fast, als würde sie durch das Tilgen dieser Spuren auch die letzten schmerzhaften und verwirrten Momente in Naomis Leben auslöschen.
Als hätte all das nie stattgefunden.
Bonnie überlegte, welche letzten Gedanken Naomi über ihren Vater hatte, als sie auf allen vieren über den Boden kroch. Die Vorstellung, dass sie ihn vielleicht um Hilfe angefleht haben könnte, war unerträglich.
Mit Lappen und Desinfektionsspray in den Händen kam Esmeralda in den Raum. »Ich bin fertig mit der Wand«, sagte sie. Und dann wischte sie ohne zu zögern Naomis Fingerabdrücke weg.
Bonnie stellte den Dampfreiniger ab und wartete bis das Gurgeln verebbt war. »Dann kannst du schon mal mit der Couch weitermachen.«
»Will sie etwa die Couch behalten?«
»Das Ding kostet locker tausend Dollar.«
»Ich könnte meine Couch jedenfalls nicht behalten, wenn sich mein Mann darauf umgebracht hätte. Selbst wenn sie zehntausend Dollar gekostet hätte. Das wäre ständig so, als würde ein toter Mann neben einem sitzen.«
»Tja, das werde ich Duke wohl erzählen, wenn die Playoffs wieder losgehen.«
Der Raum war warm und stickig und es stank nach feuchtem Teppich. Bonnie schob das Fenster weit auf. Auf dem Sims stand in einem Terrakottatopf ein kleiner Feigenbaum, den Bonnie vorsichtig zur Seite schob, damit er nicht von den Vorhängen heruntergerissen würde. Etwas Schwarzes, Glänzendes fiel von einem Blatt. Es krümmte sich.
»Uäh!«, machte sie und trat einen Schritt zurück.
»Was?«
»Eine Made oder so was. Ist gerade aus der Pflanze gefallen.«
Esmeralda kam zu Bonnie herüber und starrte in die Pflanzenerde. Eine fette schwarze Raupe begann gerade an der Pflanze emporzukrabbeln. Ihr Körper wand sich bei jeder Bewegung.
»Das ist ja ekelhaft«, sagte Bonnie. »Schau! Da sind noch mehr.« Am Topfrand drängten sich halb verborgen noch fünf Raupen. Sie schienen alle ununterbrochen zu fressen, sodass die Ränder der Feigenblätter fein ausgefranst waren.
Esmeralda bekreuzigte sich zweimal.
»Warum machst du das ständig?«, fragte Bonnie.
»Ich hasse diese Dinger. Sie sind des Teufels.«
»Das sind nur Raupen. Die tun dir doch nichts.«
»Ich hasse sie. Besonders die schwarzen. Die bringen nur Unglück.«
»Du bist so was von abergläubisch, Esmeralda. Noch schlimmer als Ruth. Aber wenn du sie so hasst, dann hol das Permethrin-Spray und kill sie. Mrs Goodman wird jedenfalls kaum begeistert sein, wenn sie sieht, was die Raupen mit ihren Feigen gemacht haben.«
Bonnie warf noch mal einen Kontrollblick durchs Zimmer, um sicher zu gehen, dass sie nichts vergessen hatte. Naomis Bett war abgezogen, am Nachmittag würde sie dann den Rest abholen. Sie würde die Verkleidung abreißen und die Bettgestelle der Kinderwohlfahrt bringen.
Eine warme Brise bewegte die Vorhänge, drückte sie gegen die Feigenstaude. Bonnies Aufmerksamkeit wurde wieder auf die Raupen gelenkt. In ihrem Job hatte sie schon alle möglichen Arten von Maden und Raupen und Insekten gesehen, aber solche noch nie. Vielleicht waren die Eier schon in der Erde gewesen, als Mrs Goodman sie gekauft hatte, und jetzt waren sie gerade erst geschlüpft.
Esmeralda kam mit dem Insektizid herein.
»Moment noch«, sagte Bonnie. »Eine will ich behalten. Vielleicht kann mir Dr. Jacobson sagen, was das für welche sind.«
Sie zupfte einen Einmalhandschuh aus einer Box und blies ihn auf. Dann hielt sie ihn unter ein Blatt, auf dem eine Raupe saß, und schüttelte den Zweig. Die Raupe hielt sich hartnäckig fest, bis Bonnie mit einem anderen Handschuh nachhalf und sie in den Handschuh schnippte. Die Raupe fiel in einen der Finger. Sie stopfte noch ein paar angefressene Feigenblätter dazu und verschloss den Handschuh.
»Soll ja nicht verhungern, oder?«
Esmeralda rümpfte die Nase. »Was willst du überhaupt damit?«
»Ich bin einfach neugierig. Es liegt in meiner Natur, den Dingen auf den Grund zu gehen, das ist alles.«
»Aber es bringt Unglück!«
Esmeralda besprühte die Feige so lange von allen Seiten, bis Bonnie glaubte, in dem Raum ersticken zu müssen.
Eine Raupe nach der anderen wand und krümmte sich, bis alle von den Blättern auf die Fensterbank gefallen waren.
»Ich glaube fast, das macht dir Spaß«, sagte Bonnie.
»Allerdings. Ich kann nicht anders«, sagte Esmeralda und hielt den Spraystrahl voll auf eine noch lebende Raupe. »Da! Stirb, du widerliches Drecksvieh.«
Bonnie ging wieder hinüber ins Wohnzimmer. Sie waren fast fertig. Mithilfe eines kräftigen Mannes, den sie an der Ecke Hollywood und Highland angeheuert hatten, war der große Teppich in handliche Stücke zersägt und auf Bonnies Pick-up verladen worden.
Die Wände waren sauber. Nur das Einschussloch der Schrotflinte zeugte noch von dem Geschehen. Bonnie besserte solche Schäden nicht aus, dafür empfahl sie Kollegen. Die cremefarbene Ledercouch war fleckenfrei, aber die Oberfläche wirkte angegriffen und matt. Der metallische Gestank des Blutes war von einem antiseptischen Geruch verdrängt worden, ein bisschen wie beim Zahnarzt. Ruth hatte überall gesaugt, aber nicht poliert. »Wir putzen, wir reinigen, aber wir sind keine Hausmädchen.«
An der Stelle, an der Aaron Goodman sein Blut vergossen hatte, sah man noch wie einen Schatten den Umriss der Lache. Nur durch ein Austauschen der Bohlen würde man den Rest dieses Fleckens wegbekommen.
Bonnie ging um den Restfleck herum und schien nicht sehr glücklich. »Besser kriegen wir das nicht hin?«
»Ist tief ins Holz eingedrungen. Ich hätte da noch eine stärkere Lauge, aber ich fürchte, die bleicht das Holz aus.«
Bonnie ging immer weiter um den Fleck herum. Sie wusste nicht, warum sie nicht aufhören konnte, ihn anzustarren. Irgendetwas beunruhigte sie. Es war, als würde die Erinnerung an ein Lied, eine Warnung vielleicht, sie nicht zur Ruhe kommen lassen. Die Form. Es war die Form des Flecks. Er sah aus wie eine große Blume – oder wie eine gigantische Motte.