Party Party


An der Ecke Alta Avenue stellte sie den Wagen ab und ging das letzte Stück zu Fuß.

Der Straßenabschnitt vor Kyle Lennox’ Anwesen war ein einziger Parkplatz für Luxuskarossen: ein gelber Ferrari Testarossa, ein silberner Lamborghini und mehr Daimlers, als sie je zuvor auf einem Haufen gesehen hatte.

Dass die Band drinnen eine gelangweilte Version von »Samba em Preludio« spielte, hörte man bis auf die Straße. Zwei picklige Teenager in weißen Jacketts mit goldenen Epauletten waren für den Parkdienst angestellt und lungerten im Vorgarten herum. Während Bonnie sich dem Haus näherte und die Auffahrt hochlief, starrten die Jungs sie unverwandt an.

»Kann ich helfen?«, fragte der eine und zeigte seine chromglänzende Zahnspange.

»Ich bin eingeladen«, sagte Bonnie.

Verwirrt spähte der andere Junge die Straße rauf und runter. »Und wo ist Ihr Wagen, Ma’am?«

»Ich hab keinen.«

»Sind Sie etwa gelaufen?«

»Nein. Ein Ufo hat mich an der Ecke rausgelassen. Geht’s da rein?«

»Klar. Darf ich die Einladung sehen?«

»Mir wurde keine gegeben.«

»Sie sind eingeladen, aber Sie haben keine Einladung?«

Glücklicherweise kam in diesem Augenblick Kyle Lennox die Stufen der Veranda herunter. Er trug ein grünes Seidenhemd, weiße, weite Hosen und hielt einen Highball in der Hand. Den Drink zum Gruß erhoben rief er: »Hallo Bonnie! Kommen Sie rein. Schön, dass Sie’s einrichten konnten.«

Mit einem Blick, der »Na also« sagte, ließ Bonnie die Jungs vom Parkdienst stehen und folgte Kyle ins Haus.

Diele und Treppe waren so voll gestopft mit kreischenden Menschen, dass Bonnie für einen Moment glaubte, im Salon eines ziemlich schnell sinkenden Schiffs zu sein. Panik stieg in ihr hoch und ganz kurz hatte sie die rettende Idee, sich einfach zu entschuldigen und wieder abzuhauen, aber dann legte Kyle Lennox seinen sonnengebräunten Arm um sie und lotste sie sicher durch die wogenden Massen in das Wohnzimmer. Und was für ein Wohnzimmer. So was hatte Bonnie noch nie gesehen. Die gegenüberliegende Wand war vom Boden bis zur Decke verspiegelt, nackte Nymphen aus Bronze standen davor Spalier. Ein riesiger Kronleuchter hing in der Mitte des Raumes, die großzügige Sitzgruppe darunter hatte beige-gelbe Seidenbezüge. Hinter der Terrassentür sah man den in italienischem Marmor eingebetteten Pool liegen, ebenfalls umringt von kreischenden Menschen. Ein tanzender Pan mit stacheligem Haar bewachte den üppig erblühten Garten hinter dem Pool.

»Bestimmt kennen Sie schon einige von den Gästen«, schrie Kyle ihr ins Ohr. Die Band war zu einer Latin-Interpretation von »Positively Fourth Street« übergegangen, zu der ein Mann mit rotem Sombrero und roter Schlaghose ins Mikrofon hauchte. »Da drüben ist Vanessa McFarlane aus Große Leuchten und das da ist Gus Hanson aus Unser schönes Leben.

»Gus Hanson? Wo? Ich fasse es nicht. Tatsächlich. Das ist Gus Hanson!«

»Soll ich Sie bekannt machen? Ist ein alter Surf-Kumpel von mir.«

»Ich weiß nicht, ich weiß nicht. Ich muss mich erst mal beruhigen. Ehrlich gesagt ist das alles ein bisschen viel für mich.«

»Los, ich stelle Sie vor. Er ist wirklich total nett. Oder wollen Sie vielleicht erst was trinken? Champagner mit weißen Walderdbeeren? Müssen Sie probieren.«

Er winkte einen Kellner heran, der ein Tablett mit klirrenden Champagnerflöten balancierte. In jedem Glas schwammen ein halbes Dutzend Walderdbeeren, die Ränder waren mit Zucker verziert.

»Na, das sieht ja toll aus«, sagte Bonnie. »Champagner und Erdbeeren – auf die Idee bin ich ja noch nie gekommen. Nicht dass Duke und ich allzu oft Champagner trinken würden. Eher nie. Duke hat mal eine Essiggurke in sein Bier geworfen, aber das war mehr ein Unfall.«

Kyle führte Bonnie nach draußen. Auf einem weißen, schmiedeeisernen Stuhl saß Gus Hanson umringt von sechs oder sieben kichernden langbeinigen Blondinen. Er hatte dunkle Locken, eine römische Nase und das Hemd bis zum Nabel geöffnet. An den nackten Füßen trug er Flipflops.

»Gus… ich wollte dir die Lady vorstellen, von der ich dir erzählt habe. Sie macht das Marrin-Haus sauber.«

Gus Hanson nahm seine goldgetönte Sonnenbrille ab und lächelte Bonnie an. »Hallo, schön dass Sie da sind. Kyle spricht die ganze Zeit von Ihnen. Er kann einfach nicht fassen, was Sie da machen.«

Bonnie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. »Na ja«, sagte sie, »irgendjemand muss es ja machen. Ist eigentlich eine Dienstleistung wie jede andere.«

»Aber an so was denkt man ja nie. Man fragt sich nie, was passiert, nachdem irgendjemand ausgeflippt ist und seine Familie abgeschlachtet hat. Man denkt ja nie daran, wer das nachher wegwischt, stimmt’s?«

»Und das machen Sie?«, fragte eine der langbeinigen Blondinen und zog dabei ihre kleine Nase kraus.

»Genau. Ich mache Ordnung am Tatort. Wie ich schon sagte, es ist eine Art Dienstleistung.«

»Waren Sie schon drüben bei den Marrins?«, fragte Gus Hanson.«

»Klar. Ich musste ja einen Kostenvoranschlag machen.«

»Und wie ist das so? Ich meine… da sind ja Menschen gestorben.«

»Eigentlich ist alles verbrannt. Da gibt’s nicht viel zu sehen.«

Kyle Lennox mischte sich ein. »Die Leiche von dem Jungen hing an der Tür, kannst du dir das vorstellen? Er brannte schon wie eine Fackel, aber wollte aus dem Haus und ist dann sozusagen mit der Farbe an der Tür verschmolzen.«

»Heilige Scheiße«, sagte Gus Hanson. »Und das kann man noch sehen? Also wo er drangeklebt hat und so?«

Bonnie war heiß. Sie hatte das Gefühl, viel zu warm angezogen zu sein. Sie spürte Schweißtropfen ihr Rückgrat herunterrinnen und unter dem Bund ihres Höschens verschwinden. Als sie einen Schluck Champagner nahm, blieb Zucker an ihrer Oberlippe hängen. »Moment«, sagte Kyle Lennox und wischte mit einem Leinentaschentuch die Kristalle von ihrer Lippe. Eine intime und höchst peinliche Geste, wie Bonnie fand. Sie kam sich vor wie ein Kind.

In diesem Moment kam ein kleiner wohlbeleibter Mann um den Pool auf die Gruppe zu. Seine Glatze glänzte wie ein verbeulter, bronzener Türklopfer, die Augen waren unsichtbar hinter der dicken schwarzen Sonnenbrille. Er trug ein knallbuntes Hemd mit roten, grünen und gelben Streifen und eine weite grüne Leinenhose.

»Bonnie«, sagte Kyle, »das ist mein Produzent Gene Ballard. Gene, das ist Bonnie.«

Der Produzent streckte Bonnie etwas entgegen, das mehr wie ein Schweinefuß mit Goldringen als wie eine Hand aussah. Er hatte eindeutig zu viel Fahrenheit Aftershave benutzt. »Eine Riesenfreude, Sie kennen zu lernen, meine Liebe. Kyle hat die Gabe, immer die interessantesten Leute auf seinen Partys zu versammeln. Raten Sie mal, wer bei seinem letzten kleinen Treffen auftauchte. Tasha Malova. Dieser Transvestit, der was mit dem Polizeichef hatte. Sie hätten ihn sehen sollen. Sie sehen sollen. Es. Wie auch immer. Sah einfach phantastisch aus. Wirklich überwältigend. Ist über eins neunzig und hat eine Stimme wie ein verdammtes Nebelhorn. Und dazu dieser blaue Minirock, der nicht mal den Arsch bedeckte.« Er lachte bauchig glucksend in die Runde, wie um sicherzugehen, dass alle mitlachten.

»Hey Bonnie«, rief Gus Hanson, »haben Sie mal irgendetwas abgelehnt, weil es sogar Ihnen einfach zu eklig war?«

»Und Sie?«, schoss Bonnie zurück. »Haben Sie mal etwas abgelehnt, das Ihnen zu eklig war?«

»Klar. Ich habe abgelehnt, mich für Playgirl fotografieren zu lassen.«

»Sie haben abgelehnt, sich für Playgirl fotografieren zu lassen?«

»Genau«, tönte Gus. »Ich will für meine Rollen respektiert werden und nicht für mein Sexappeal. Eine Sexszene im Film ist natürlich was anderes, da werde ich kaum Hemd und Krawatte anlassen, aber mir geht es um das Sein und nicht um den Schein.«

»Also«, sagte Gene Ballard, »wie kommt eine hübsche Lady wie Sie denn dazu, Leichen wegzuräumen?«

»Ich kümmere mich nicht um menschliche Überreste. So nennen wir das: Überreste. Um die kümmert sich die Gerichtsmedizin. Ich reinige nur den Tatort nach der polizeilichen und gerichtsmedizinischen Untersuchung. Vorhänge, Teppiche und so. Im Grunde wie eine ganz normale Reinigungsfirma, allerdings spezialisiert.«

Gene Ballard nickte. Wenn seine Brille nur nicht so schwarz wäre, dachte sie. Fast schien es, als hätte der Produzent gar keine Augen.

»Wie lange filmen Sie an einer Folge von Die Wilden und die Widerspenstigen!«, fragte sie. »Ich meine, müssen da viele Szenen wiederholt werden, oder geht das in einem Rutsch?«

»Aber Sie haben schon Leichen gesehen, oder?«

»Na ja, natürlich hab ich schon Leichen gesehen. Aber nicht sehr viele.«

»Die grässlichste Leiche, die Sie je gesehen haben?«

Bonnie spürte, dass alle Augen auf ihr ruhten, dass alle lauschten. Sogar die Samba-Band beendete mit einem letzten klirrenden Gitarrenakkord in diesem Augenblick ihre Version von »Positively Fourth Street«. Nur das Lachen der anderen Gäste am Pool und die Stimmen aus dem Haus waren noch zu hören.

»Das ist… das ist schwer zu sagen. Jeder Fall ist auf seine Art tragisch.«

Gene Ballard legte seinen Ann um Bonnies Hüfte und drückte ihren Rettungsreifen über dem Hosenbund.

»Haben Sie zum Beispiel – schon mal jemanden ohne Kopf gesehen? So was Ähnliches?«

»Vor gut einem Jahr habe ich in Culver City eine Frau ohne Kopf gesehen, ja.«

»Wie ist das passiert? Ich meine, wie hat sie ihren Kopf verloren?«

»Ihr Mann hat sie mit einer Machete angegriffen. Er hat so lange auf sie eingehackt, bis der Kopf sauber abgetrennt war.«

Eines der Mädchen japste schockiert. Gene Ballard fragte: »Und wo war diese Frau, als Sie sie gesehen haben?«

»Im Schlafzimmer. Solche Taten geschehen meistens im Schlafzimmer. Die Leute kommen nachts nach Hause, sind betrunken oder stoned…«

»Viel Blut, möchte ich wetten.«

»Oh ja.« Bonnie versuchte sich aus Genes Griff zu befreien, aber es gelang ihr nicht.

Lässig legte Gus die Füße auf den Tisch vor Gene. Er grinste. Kyle Lennox schaute in die Runde, als wollte er sagen: »Hab ich euch zu viel versprochen? Das ist eine Type, oder?«

»Und diese Frau«, bohrte Gene Ballard weiter, »hatte die irgendwas an, als sie sie gesehen haben? Oder war sie nackt?«

»Sie war… sie war unbekleidet.«

»Sie lag also nackt und ohne Kopf auf dem Bett? Auf dem Rücken oder auf dem Bauch?«

»Eigentlich möchte ich nicht über diese Details sprechen, verstehen Sie?«

»Waren ihre Beine gespreizt?«

Bonnie griff hinter sich und schob energisch seinen Arm weg. »Wie ich schon sagte, Mr Ballard, sind all diese Fälle Tragödien. Sehr persönliche Tragödien. Ich mache diese Arbeit nicht, um meinen Voyeurismus zu befriedigen.«

»Hey, ich wollte Sie nicht beleidigen. Nichts für ungut. Ich bin nur an Ihrer Arbeit interessiert. Wir anderen hier sind doch alle nur mit Fiktion beschäftigt, mit Geschichten. Das einzige Blut, das wir zu sehen kriegen, kommt aus der Tube. Das, was Sie dagegen tagtäglich sehen, ist das richtige Leben.«

»Hab ich schon mal gehört.«

»Also was war das Grässlichste? Die Frau mit Körper, aber ohne Kopf? Oder vielleicht eine Frau mit Kopf, aber ohne Körper?«

Gus Hanson brach in Gelächter aus. Kyle Lennox applaudierte. Bonnie sagte: »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden«, und stellte ihr Champagnerglas auf den Tisch. Gus wollte die Füße vom Tisch nehmen und stieß an das Glas, sodass es auf dem Marmorboden in tausend Stücke zerbrach und die Walderdbeeren herumkullerten.

»Tut mir Leid«, sagte Bonnie. »Das war nicht meine Absicht. Sagen Sie mir einfach, was das Glas kostet und ich kaufe Ihnen ein neues.«

Lächelnd schüttelte Kyle den Kopf. »Das war Waterford Crystal, kostet so um die hundertfünfzig Dollar, aber vergessen Sie’s einfach.«

»Tut mir wirklich Leid«, murmelte Bonnie noch einmal und schob sich dann durch die Menschen im Wohnzimmer in Richtung Ausgang. Sie zog ein paar neugierige Blicke hysterisch kreischender Mädchen auf sich, dann war sie durch die Tür und stand wieder den zwei Teenagern vom Parkdienst gegenüber.

»Hey, Sie gehen schon wieder.«

»War ein Irrtum«, sagte Bonnie und versuchte dabei, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen. »Hab mich in der Party geirrt.« Die Absätze ihrer Sandalen klackerten laut auf dem Asphalt, während sie auf dem Lincoln Boulevard davoneilte.

»Bonnie«, rief hinter ihr Kyle Lennox, »Bonnie, warten Sie doch.«

Sie drehte sich nicht um. Sie wollte nur weiter, weiter bis zu ihrem Pick-up, und nie in ihrem Leben wieder an Kyle Lennox oder Die Wilden und die Widerspenstigen denken. Sie verfluchte ihre Eitelkeit. Was hatte sie sich denn vorgestellt? Dass Kyle Lennox sie zu seiner Party eingeladen hatte, weil sie so schön und reich und berühmt war? Mit ihrer Rüschenbluse und ihren Hosen, aus denen das Fett quoll, hatte sie doch zwischen all diesen Filmstars wie die Kellnerin in einem billigen Diner ausgesehen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Und dann noch der Lycra-Badeanzug in der Plastiktasche?

Kyle Lennox lief ihr noch ein paar Schritte hinterher, winkte dann ab und ging zurück zu seinen richtigen Gästen.

Bonnie kam gerade rechtzeitig zu ihrem Wagen, um zu sehen, wie ein Polizist einen Strafzettel unter ihren Scheibenwischer klemmte.


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