Asche zu Asche


Wie in allen Häusern, in denen Menschen eines gewaltsamen Todes gestorben waren, herrschte auch bei den Marrins eine fast unnatürliche Stille. Es war, als hielten die Wände im Angesicht des Grauens, dessen Zeuge sie wurden, den Atem an.

Noch mehr als die Stille fiel Bonnie allerdings der Gestank nach verbranntem Teppich auf. Kaum hatten sie und Dudley Freeberg das Haus betreten, rochen sie diese Mischung aus Benzin und verkokelter Wolle. Und noch ein Geruch lag in der Luft. Er erinnerte an alte, verkohlte Fleischreste, die an einem Grill klebten.

Beim Eintreten hatte Dudley Freeberg erst vorsichtig hinter die Tür gespäht, war dann zögerlich eingetreten und hatte sie wieder sorgfältig geschlossen. Die ehemals weiß gestrichenen Wände waren geschwärzt und warfen Blasen. Schwarz-bräunliche Schlieren wanden sich bis zur Decke. Am Türrahmen hingen Fetzen irgendeines Stoffes. Die Innenseite der Tür wies lange, tiefe, gleichmäßige Riefen auf, als habe jemand versucht, mit bloßen Händen die Farbe abzukratzen.

Bonnie zeigte auf die Fetzen. »Haut«, sagte sie.

Dudley Freeberg nahm seine Brille ab und starrte darauf.

»Haut?«, fragte er. Sein Adamsapfel tanzte auf und ab.

»Genau. Und diese Kratzer hier sind entstanden, als die Feuerwehr seine Überreste von der Tür entfernt hat. Um die organischen Überreste und die Brandspuren kümmere ich mich, aber für solche Schäden wie hier an der Tür müssen Sie einen Maler kommen lassen.«

»Einen Maler«, sagte Dudley Freeberg mit ausdrucksloser Stimme. »Verstehe.«

Sie sahen sich schweigend in der Diele um. In dem hohen, großen Raum dominierten die Farben Gold und Flieder. Tote Gladiolen standen in einer hohen Vase auf einem nachgemachten Rokokotischchen. Ein goldgerahmter Druck zeigte zwei schlafende Mexikaner bei der Siesta mit großen Sombreros auf dem Kopf. Durch einen Türspalt erkannte Bonnie eine großzügige, in Eichenholz gehaltene Küche. Das Haus würde ihr auch gefallen, dachte Bonnie. Ein bisschen schäbig vielleicht, aber geschmackvoll und gemütlich eingerichtet und mit einer schönen geschwungenen Treppe.

Diese Treppe gab einen lebhaften Eindruck der letzten Momente im Leben des fünfzehnjährigen Liebhabers von Mrs Marrin: Er hatte schon lichterloh gebrannt, als er die Treppe heruntergerannt war und die verschmorten Spuren seiner Füße führten über den lila Teppich vom ersten Stock bis zur Tür. Mit seinem brennenden Händen musste er sich am hölzernen Treppengeländer festgehalten haben, denn auch hier hatte die Farbe Blasen geworfen und sich bräunlich verfärbt.

»Mein Gott«, sagte Dudley Freeberg. »Er muss wirklich durch die Hölle gegangen sein.«

»Wir gehen mal nach oben«, sagte Bonnie. Sie hatte keine Lust über die Hölle – ob auf Erden oder sonst wo – nachzudenken. Nicht an diesem Tag.

Sie gingen nach oben, fanden das Schlafzimmer und blieben stehen vor dem geschwärzten großen Bett, auf dem noch eine verkohlte Samtdecke lag. Am Kopfende des Bettes hing ein gerahmter verrußter Spiegel, durch den sich diagonal ein Riss zog. Bonnie sah sich neben Dudley Freeberg stehen. Sie sahen aus wie Figuren auf einer alten Sepia-Fotografie.

»Also«, sagte Bonnie und öffnete ihr Notizbuch, »das Bett kommt natürlich weg, genauso wie der Teppich. Die Rauch- und Rußspuren beseitige ich, Sie müssten aber streichen lassen. Wenn ich hier fertig bin, wird es so aussehen, als hätte es hier niemals ein Feuer gegeben.«

»Klingt gut. Einverstanden.« Dudley Freeberg nickte. Er schwitzte stark und seine Haut hatte eine teigige Farbe. Bonnie sah ihm an, dass er kurz vor einer Panikattacke stand.

»Ich denke, den Rest können wir draußen klären«, sagte sie schnell.

Er rannte fast die Treppe herunter und sprang dabei hin und her, um den verbrannten Fußabdrücken aus dem Weg zu gehen.

Während Bonnie im Wagen saß und einen Kostenvoranschlag schrieb, stand Dudley Freeberg daneben, hatte sich den Mantel über den Arm gelegt und tupfte sich immer wieder die Stirn mit einem verknüllten Kleenex ab.

Sie reichte ihm den Voranschlag, und er riss ihn ihr fast aus der Hand. »Toll. Geht in Ordnung. Ich spreche noch mit den Hinterbliebenen und dann ruf ich Sie an.«

»Jederzeit.«

»Und danke, dass Sie…«, er nickte in Richtung Haus.

»Daran kann man sich nicht gewöhnen. Niemand kann das. Man kann lernen, damit umzugehen, aber gewöhnen kann man sich nicht daran. Und das sollte man wohl auch nicht.«

»Na ja, jedenfalls danke.«

Er stakste zu seinem Wagen und verschwand mit quietschenden Reifen. Bonnie sah ihm noch hinterher und wollte in ihren Wagen steigen, als Kyle Lennox wieder auftauchte. Er trug jetzt Khakis und ein schwarzes Poloshirt und rief ihr zu: »Bonnie, warten Sie noch!«

Sie sah ihm entgegen und legte die Hand über die Augen, weil sie gegen die Sonne sehen musste. Er hüpfte aufgeregt auf sie zu. »Und? Wie war’s?«

»Gut. Warum?«

»Ganz schön gruselig, oder?«

»Wenn man nicht muss, geht man nicht rein.«

»Ich hab gehört, dass der Junge… also, dass der praktisch…« – er senkte seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern – »… an der Tür geklebt hat.«

Bonnie zuckte die Achseln. »Über solche Details darf ich wirklich nicht reden. Ich mach hier nur sauber.«

»Aber er klebte doch an der Tür, stimmt’s?«

»Also gut: ja. Er brannte und versuchte die Tür zu öffnen. Er blieb daran hängen.«

Langsam und mit bewundernd aufgerissenen Augen schüttelte Kyle Lennox den Kopf. »Das ist so ekelhaft. Ich find’s unglaublich, wie cool Sie bleiben. Wie schaffen Sie das nur?«

»Sie sind im Fernsehen, und wie man so was machen kann, verstehe ich auch nicht. Ich hätte jedenfalls wahnsinnige Angst vor der Kamera. Ich habe sogar Angst vor Videokameras.«

»Sagen Sie mal, hätten Sie nicht Lust, morgen zu meiner kleinen Pool-Party zu kommen? Nichts Großes, nur ein paar Freunde vom Studio, Autoren und Produzenten und so. Würde mich freuen.«

»Wie bitte?«

»Eine Party, Bonnie. Und Sie sind eingeladen. Ich freue mich schon darauf, wenn Sie Gene Ballard kennen lernen. Das ist unser Regisseur. Er wird begeistert von Ihnen sein.«

»Ich verstehe nicht ganz. Wie kennen uns doch gar nicht, warum laden Sie mich zu Ihrer Party ein?«

»Hey, Sie sind mir einfach sympathisch, da muss man sich doch nicht gut kennen. Und ich bewundere Ihre Arbeit. Tun Sie mir den Gefallen und kommen Sie, ich würde mich wirklich freuen. Wird alles ganz locker, und Sie treffen Ihre Lieblingsserienstars. Vielleicht kriegen Sie sogar ein kleine Rolle, wenn Gene Sie mag. Wer weiß?«

»Wann ist diese Party?«

»Morgen Abend um sechs bei mir. Nun sagen Sie schon Ja.«

Bonnie hatte das Gefühl, in einem Traum zu sein. Der Mann ihr gegenüber war wirklich Kyle Lennox, und er lud sie wirklich zu einer Pool-Party mit den Größen der Fernsehbranche ein.

»Okay«, sagte sie schließlich und nickte. »Ich komme, warum eigentlich nicht.«


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