Ralph schüttet sein Herz aus
Bonnie ging ins Schlafzimmer und ließ die Rollläden herunter, sodass es fast vollkommen dunkel in dem Raum war. Sie schlug die Decken zurück und glättete mit der Hand die Laken. Dann nahm sie das Marmeladenglas, schraubte den Deckel ab und stellte es zwischen die Kopfkissen.
»Ich weiß, dass du kein Licht magst«, sagte sie laut.
Sie schloss die Schlafzimmertür hinter sich und ging zurück in die Küche, um Kaffee zu kochen und einen Teller mit Shortbread und Kokosmakronen zu arrangieren. Duke hatte Kokosmakronen gehasst.
Sie frischte ihr Make-up auf und warf Elvis eine Kusshand zu. In diesem Moment hielt Ralphs glänzender blauer Wagen vor dem Haus.
Dukes nackte Füße schlingerten über den Teppich, als Bonnie ihn in die Küche zerrte. Danach holte sie Ray. Seite an Seite lagen Vater und Sohn auf dem Küchenboden. Bonnie schloss die Terrassentür. Rays angeschwollenes Gesicht sah friedvoll aus, aber Dukes Ausdruck war noch im Tod wütend und beleidigt.
Im Wohnzimmer breitete sie die grüne Plastikfolie auf dem Teppich aus. Als sie auf Knien darüberkroch, um die Ecken unter den Sofabeinen zu fixieren, knisterte die Folie.
Sie hätte Ray und Duke auch in der Küche opfern können, immerhin gab es dort pflegeleichte, weiße Bodenfliesen. Aber sie wusste, dass die Fliesen selbst zwar leicht zu reinigen waren, nicht aber die Fugen dazwischen. Sogar die geringste Menge Blut würde im Verdachtsfall für einen DNA-Test ausreichen.
Nun schleifte sie die Leichen ins Wohnzimmer und schälte sie aus ihrer Kleidung. Sie konnte gut leblose Körper ausziehen, schließlich hatte sie das fast jede Nacht mit Duke machen müssen. Nachdem sie nackt vor ihr auf dem Boden lagen, ging sie zurück in die Küche und wählte ein Ausbeinmesser mit schwarzem Griff und fünfundzwanzig Zentimeter langer Klinge.
»Bonnie!«, rief Ralph. »Geht es dir gut? Ich hab dir schon dreimal Hallo gesagt, aber du antwortest gar nicht.«
Sie stand an der offenen Haustür und blinzelte nur. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wie sie dorthin gekommen war. »Hallo Ralph.«
»Irgendwie ist das eine komische Situation.«
»Komisch? Was ist daran komisch?«
»Weil ich mich vorher so komisch benommen habe. Ich habe überreagiert.«
»Immerhin sind wir beide verheiratet. Das macht es nicht einfacher.«
»Gibt es Neuigkeiten von Duke und Ray?«
»Nein. Nichts. Komm rein. Willst du was trinken? Ich hab Bier, Seven-up. Milch.«
Dem Anschein nach etwas peinlich berührt betrat Ralph das Wohnzimmer. Neugierig sah er sich um und entdeckte das Elvisbild. »Hübsch«, sagte er.
»Ja, das ist gut, oder? Ein Freund von Duke hat es gemalt.«
Er setzte sich auf die Sofakante und schwitzte unter seinem hellgrauen Jackett und rosa Hemd.
»Gib mir doch deine Jacke«, sagte sie.
»Nein danke, es geht schon.«
»Das sieht aber wirklich nicht sehr bequem aus. Jetzt gib mir schon deine Jacke.«
»Das ist nicht nötig, ehrlich, Bonnie. Ich bleibe eh nicht lange, ich wollte nur ein paar Dinge zwischen uns klären.«
Was gibt’s denn da zu klären? Ich weiß, dass du weißt, dass ich Phil Cafagna nicht angemacht habe.«
»Das weißt du?«
»Phil Cafangna hat nichts mit dem Ende unserer Beziehung zu tun. Klar, er hat die Bestellung storniert, aber das war nur eine Kurzschlussreaktion. Er braucht Glamorex so, wie Glamorex ihn braucht. Wo sonst bekommt er Lipgloss für den Einkaufspreis von einem Dollar zwölf Cent bei einem Verkaufspreis von fünfzehn neunundneunzig? Der kommt schon wieder – wenn er es sogar nicht schon getan hat.«
Ralph sagte nichts. Stattdessen zog er ein Taschentuch heraus und tupfte sich über die Stirn.
»Du hast ganz einfach die Nerven verloren, Ralph. Ich verstehe das. Seine Ehe sausen zu lassen und etwas ganz Neues anzufangen ist ein großer Schritt, besonders, wenn man auf die vierzig zugeht und bei der Scheidung wahrscheinlich das Haus, das schöne neue Auto und die Hälfte des Geschäfts verliert. Wirklich, ich verstehe das. Ich dachte erst, mein Leben würde sich völlig verändern, aber letztlich habe auch ich Verantwortung, Ralph. Na ja, hatte ich Verantwortung… wenn Ray und Duke nicht zurückkommen.«
»Wo, glaubst du, könnten sie sein, Bonnie?«
»Wirklich, Ralph, ich habe keine Ahnung.«
»Aber es ist doch irgendwie merkwürdig, dass du nicht mehr weißt, wann sie das Haus verlassen haben.«
»Woher weißt du das?«
»Was?«
»Woher weißt du, dass ich mich nicht daran erinnern kann, wann sie das Haus verlassen haben?«
»Von dir. Das hast du mir gesagt.«
»Das glaube ich nicht.«
»Ist doch ganz egal. Wichtig ist nur: Was ist ihnen zugestoßen?«
»Wenn ich es doch nicht weiß. Was soll ich denn noch sagen? Ich dachte, wir würden über uns sprechen.«
»Ich liebe dich, Bonnie«, sagte Ralph. »Das weißt du doch. Aber ich habe einfach zu viel zu verlieren und ich kann nicht mehr ganz von vorn anfangen, Bonnie. Dafür bin ich einfach ein zu großer Feigling.«
»Aha. Ein Feigling. Das hätte ich eigentlich nicht von dir gedacht.«
»Ich kann mein Leben nicht wie du völlig umkrempeln. So stark bin ich nicht.«
»Was willst du denn damit sagen? Ich habe mein Leben nicht völlig umgekrempelt.«
»Du weißt schon… Das mit Duke… das hast du ja jetzt geklärt… sozusagen.«
»Das mit Duke habe ich geklärt? Ich habe nichts geklärt. Das mit Duke hat sich geklärt, weil das mit Duke Zigaretten holen gegangen ist, oder was weiß ich.«
»Aber genau das hast du gar nicht mitgekriegt. Dass er gegangen ist?«
Bonnie drehte sich ihm zu und blickte ihm gerade ins Gesicht. »Worüber reden wir hier, Ralph?«
»Ich bin nur stolz auf dich, wie du das alles im Griff hast.«
»Noch mal: Ich habe gar nichts im Griff. Ich bin abends ins Bett gegangen und morgens waren sie weg.«
»Bonnie…«
Sie legte einen orange lackierten Finger auf seine Lippen. »Sag jetzt bitte nichts mehr, Ralph. Sag jetzt gar nichts mehr außer >Ich liebe dich<, hörst du? Es stimmt. Mein Leben hat sich verändert. Ich bin plötzlich Single. Ich bin allein. Ich habe niemanden. Ich habe lange darüber nachgedacht, was ich sagen soll, wenn du anrufst. Ich wusste, dass du es tun würdest. Aber könnte ich wirklich deine Ehe zerstören? Das wolltest du doch sagen, oder? Sag’s ruhig, Ralph. Es macht mir nämlich gar nichts aus, dass du verheiratet bist, Hauptsache, wir sehen uns hin und wieder. Du bleibst schön mit deinem Kühlschrank verheiratet und behältst dein Haus und dein Auto und deine Firma. Ich bleibe gern alleine hier. Aber wir müssen uns sehen und Sex haben, wann immer du Zeit hast, und solange ich das Gefühl habe, dass du das auch willst, ist alles in bester Ordnung, Ralph.«
Ralph starrte sie an. »Das ist nicht dein Ernst.«
»Hast du das Gefühl, ich mache Witze?«
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Bonnie.«
Sie küsste ihn auf die Lippen. »Dann sag einfach gar nichts. Komm einfach mit ins Bett und zeig mir, dass wir uns verstehen.«
Ralph schwitzte so sehr, dass er sich mit dem Ärmel seines Jacketts über die nasse Stirn wischen musste. »Bonnie… dein Mann ist verschwunden, vielleicht ist er sogar tot.«
»Na und? Was kümmert’s dich? Was kümmert’s mich? Er war ein fauler, gewalttätiger, bigotter Alkoholiker, und mein Sohn war auf dem besten Wege, so zu werden wie er.«
»Kein Grund, ihn umzubringen.«
Bonnie setze sich abrupt auf. »Was ist los mit dir?«
»Ich hab nur gesagt, das ist kein Grund, ihn umzubringen.«
»Bonnie stand auf und reichte Ralph die Hand. »Komm mit ins Schlafzimmer. Wir denken einfach gar nicht an Duke, wir denken nur noch an uns.«
»Ich… ähh… ich habe wirklich keine Zeit mehr.«
»Du hast keine Zeit?! Natürlich hast du Zeit.«
Mit beiden Händen ergriff sie seinen Arm und zog ihn vom Sofa und hinter sich her durchs Wohnzimmer bis zum Schlafzimmer.«
»Bonnie…«
»Ich will dir etwas zeigen, Ralph, etwas wirklich Unglaubliches. Bist du bereit, Ralph?«
»Also Bonnie, hör mal. Ich hab da dieses wirklich wichtige Geschäftsessen und ich bin eigentlich nur auf einen Sprung…«
Bonnie verstärkte ihren Griff um seine Hand, stellte sich auf die Zehenspitzen, küsste ihn und sagte: »Komm rein, das musst du einfach sehen.«
Sie drehte den Knauf und schob die Tür auf.
Im Schlafzimmer war es fast vollkommen dunkel. Bonnie lächelte. Ralph versuchte, seine Hand aus ihrem Griff zu befreien.
»Was ist das für ein Geräusch?«, fragte er.
Bonnie lauschte. Jetzt konnte auch sie es hören. Ein leises, aber deutliches Wispern, als würden Blätter aneinander reiben, und dann ein hohes, feines Klirren und Kratzen, als würde jemand ein Messer wetzen.
»Komm und sieh«, sagte Bonnie eindringlich.
»Besser nicht. Was ist das? Da ist doch irgendwas drin, Bonnie? Was ist das?«
»Komm und sieh selbst.«
Für einen Moment wurde das Klirren und Wetzen lauter, dann war ein heftiges Flattern zu hören, als würde ein großes Insekt blind gegen das Innere eines Lampenschirms schlagen. Es war der Moment, in dem Ralph von Panik ergriffen wurde.
»Holt mich hier raus!«, schrie er. »Um Himmels willen, Leute, holt mich hier raus!«
Mit einen Ruck zog Bonnie die Schlafzimmertür zu. »Mit wem redest du, Ralph?«, sagte sie. »Welche Leute?«
Ralph versuchte immer noch verzweifelt, sich von ihr zu befreien, aber Bonnie hielt ihn fest und riss schließlich mit einer Hand das Jackett von seinen Schultern. Und da sah sie es: das Kabel und das Mikrofon.
»Du bist verkabelt«, sagte sie mit tiefer Verachtung in der Stimme. »Du hast gesagt, dass du mich liebst und bist verkabelt.«
Sekunden später wurde die Haustür eingetreten und Dan Munoz stürmte herein, gefolgt von Detective Mesie und vier uniformierten Polizisten. Endlich gelang es Ralph, sich loszureißen. Er zog sich auf die gegenüberliegende Seite des Raumes zurück und sah verletzt und sehr unglücklich aus.
Als Dan ins Zimmer trat, sah er sich kurz um und kam mit einem bedauernden Lächeln auf Bonnie zu.
»Würdest du das bitte erklären«, sagte Bonnie. Sie bebte vor Zorn. »Dieser Mann dort ist schließlich so etwas wie mein Liebhaber.«
»Ich weiß«, sagte Dan sanft, »darum war er auch am besten für diese Aufgabe geeignet.«
»Welche Aufgabe? Mich eines Verbrechens zu überführen, das nicht einmal stattgefunden hat?«
»Oh, es hat aber stattgefunden, Bonnie. Darum sind wir ja hier. Zugegeben, ich hatte gehofft, dein Geständnis auf Band zu bekommen, aber für einige Indizien hat’s immerhin gereicht.«
»Ach ja? Na, was denn? Dass ein Messer sauberer ist als die Polizei erlaubt? Oder willst du mich verhaften, weil mein Klo geputzt ist?«
»Wir haben die Leichen gefunden.«
Bonnie wurde auf einen Schlag eiskalt. »Ihr habt sie gefunden? Duke und Ray? Beide?«
Dan nahm ihren Ellbogen. »Du kannst sie dir ansehen, wenn du einen starken Magen hast. Mesic! Das Schlafzimmer.«
»Wo sind sie? Wie sind sie gestorben?«
»Wir bringen dich zu ihnen, dann kannst du selbst sehen.«
Detective Mesic öffnete die Schlafzimmertür. »Hier ist es ziemlich dunkel«, sagte er. »Moment mal, ich mach schnell die Jalousien hoch.«
Er zog an der Schnur und sofort drangen helle Sonnenstrahlen durch die Scheibe. Mesic machte den Schrank auf und wieder zu, zog geräuschvoll die Wäscheschubladen auf und zu. »Hier ist nichts, Sir.« Ralph sah Bonnie stumm und entgeistert an. Dan schob sie zur Haustür.