Es war nachts, als ein paar Tage später jemand an das Fenster von Dr. Mohr klopfte. Seit einer Woche hatte er seine Wohnung im Hospital bezogen, und Margarita war zu ihm gezogen mit einer Selbstverständlichkeit, die keine Frage mehr von Adolfo Pebas zuließ. In einem breiten Bett lagen sie nebeneinander, aber sie lagen da wie Geschwister, nicht wie ein Liebespaar. Jeder in eine Decke eingerollt, ohne sich zu berühren. Bis auf den Kuß, der den Tag abschloß.
Doch sie hörten sich, sahen sich, liebten sich in der stillen Sehnsucht. Manchmal saß Dr. Mohr im Bett und betrachtete die schlafende Margarita mit klopfendem Herzen und schmerzenden Lenden. Oder Margarita kroch zu ihm hinüber, wenn sie seinen langgezogenen, tiefen Atem hörte und wußte, daß er fest schlief. Dann hauchte sie mit den Lippen über sein Gesicht, streichelte ganz leicht seine Haare und flüsterte ihm ihre Liebe ins Ohr.
Es war ein Glück auf Distanz, aber sie wußten, daß sie diese Stärke nicht mehr lange aufbringen würden.
Als das Klopfen ertönte, schrak Margarita hoch und rüttelte Dr. Mohr wach. Mit einem Satz fuhr er aus dem Bett, riß seine Maschinenpistole, die neben ihm an der Wand lehnte, an sich und stieß das Fenster auf. Dicke Klappläden aus Holzbohlen schützten vor unliebsamen Überfallen.
«Wer ist da?«rief Dr. Mohr.»Das Hospital ist auf der anderen Seite. Dr. Simpson hat Nachtdienst!«
«Lassen Sie mich herein, Doctor?«Eine gedämpfte Stimme klang durch die Läden.»Hier ist Zapiga. Juan Zapiga… ich muß Sie sprechen.«
«Ist etwas mit Pablo?«
«Nicht direkt. Bitte, machen Sie auf, Doctor.«
Wenig später stand Juan Zapiga, der zehnfache Vater, im Zimmer und lehnte sich an die Wand. Er sah schrecklich aus. Von oben bis
unten mit Dreck beschmiert, nach Atem ringend, am ganzen Körper zitternd. Seine hohlen Augen glänzten fiebrig. Er preßte mit beiden Händen ein schmutziges Handtuch vor seine Brust und setzte ein paarmal mit Sprechen an, ehe ihm der erste Satz gelang.
«Ich muß weg!«keuchte er.»Ich muß sofort weg von hier, Doctor. Mit der gesamten Familie. O Himmel, rette uns, wenn man das erfährt.«
Dr. Mohr spürte einen kalten Schauer über seinem Rücken.»Juan, hast du jemanden umgebracht?«fragte er leise.
«O nein, nein. Ich komme gerade aus dem Berg — habe bis jetzt gegraben. Ich habe es geahnt, ich habe es geahnt. Es war, als ob ich es rieche. O Gott im Himmel! O Maria! Ich kann hier nicht mehr bleiben! Ich muß sofort nach Bogota. Doctor. Mein eigener Vater, wenn er noch lebte, würde mich jetzt umbringen! — Da ist er.«
Zapiga schwankte zum Tisch, warf sein Handtuch auf die Platte und entrollte es.
Im Licht der nackten Glühbirnen schimmerte ein fast faustgroßer, grüner, klarer Stein. Wie ein Stück Rohglas sah er aus, durchsichtig, von einem satten Grün, das im Licht spiegelte.
«Du lieber Himmel.«, sagte jetzt auch Dr. Mohr und starrte den Stein an. Der große, einmalige Traum eines Schürfers, das ganz große Glück, das es nur einmal gibt, lag hier auf dem Tisch. Aber auch der gnadenlose Tod, wenn der Fund jemals bekannt wurde, ehe er in Bogota im Safe lag!
«Über 200 Karat.«, flüsterte Zapiga heiser.»Beste Qualität. Das sind Millionen, Doctor. Millionen! O Maria. «Er faltete die Hände und betete stumm. Nur seine Lippen bewegten sich. Dann sagte er wieder stockend:»Vor einer Stunde habe ich ihn gefunden. Allein klebte er da, wie ein grünes Nest. Ich habe ihn herausgeschlagen, bin zurück an die Luft und habe geweint. Jetzt habe ich Angst, Doctor, furchtbare Angst. Ich muß weg von hier. Über 200 Karat! O Gott!«
Er lehnte sich wieder an die Wand, schlug die Hände vor die Augen und schluchzte.
12 Jahre hatte er daran geglaubt. 12 Jahre hatte er sich durch den Berg gewühlt. Jetzt war er reich, unglaublich reich. und zitterte vor Todesangst.
Es war vergeblich, Zapiga zuzureden, seinen wohl einmaligen Fund im Hospital unter der Obhut von Dr. Mohr zu lassen, keinem davon zu erzählen und zu warten, bis Dr. Mohr und Pater Cristobal, unter dem Schutz von Major Gomez' Truppen, nach Penasblancas ritten und von dort mit ihrem Wagen nach Bogota fuhren. Das war der sicherste Weg. Aber Zapiga schüttelte den Kopf.
Er hatte sich von seinem Schock etwas erholt, saß am Tisch, trank eine Tasse Tee mit Whisky und hatte das dreckige Handtuch über seinen Riesenstein gelegt.
«Wann wird das sein?«fragte er.»Morgen?«
«Nein! Vielleicht in zwei Monaten.«, antwortete Dr. Mohr.
«Ich soll zwei Monate hier herumsitzen und habe Millionen gefunden? Über 200 Karat von der besten Farbe und Reinheit, Doctor. An einem Stück! Das hat noch keiner gesehen! Das hält man nicht für möglich. Das hat es noch nicht gegeben! Zwei Monate soll ich in dieser Angst leben?«
«Der Stein ist bei mir. Keiner weiß etwas davon. Und du kannst dich endlich ausruhen.«
«Das fällt auf, wenn ich nicht jeden Tag im Berg bin! Die Nachbarn werden fragen: Was hat der Juan? Er gräbt nicht mehr! Geht's dem so gut? Kann zehn Kinder und eine Frau ernähren, ohne eine Hand zu rühren? Ha, hat er vielleicht etwas gefunden? Und schon werden sie mißtrauisch! Doctor, wissen Sie, was hier Mißtrauen bedeutet?«
«Natürlich. Das habe ich inzwischen gelernt. Aber man wird noch mißtrauischer, wenn du plötzlich weg bist!«
«Dann bin ich schon über Penasblancas hinaus!«
«Die Straße nach Bogota ist die schlimmste, Juan! Bleib hier. Erhole dich. Ich werde Pablo operieren, und das ist auch ein Grund, daß du nicht mehr gräbst. Du mußt bei deinem Sohn sein. Soll ich den Pater rufen? Er wird dir das gleiche raten.«»Ich brauche keinen Rat, Doctor, ich brauche Hilfe. «Zapiga deckte seinen Riesenstein wieder auf. Mit fast irrem Blick betrachtete er ihn, streichelte über seinen grünschimmernden Leib, liebkoste ihn wie eine Geliebte.»Ich brauche von Ihnen eine Maschinenpistole, um durchzubrechen. Ich habe mir das alles genau überlegt. Mit Frau und zehn Kindern komme ich nie bis Bogota. Ich gehe mit den drei größeren Jungen allein. Nuria und die sieben Kleinen bleiben hier zurück. Ich hole sie nach, wenn ich den Stein in Bogota verkauft habe. Dann ist er weg, dann kann ihn mir keiner mehr nehmen. Das Bankkonto interessiert keinen. Alle wollen nur die grünen Steine!«Er legte beide Hände über seinen Jahrhundertfund.»Wollen Sie auf Nuria und die Kleinen aufpassen, Doctor?«
«Ja. Ich nehme sie zu mir. Sie können im Hospital wohnen. Oder bei Pater Cristobal. Aber dein Plan ist nicht gut, Juan.«
«Geben Sie mir eine Maschinenpistole?«
«Nein.«
«Warum nicht?«
«Ich weiß, daß es dann doch ein Unglück geben wird. Der Stein macht dich verrückt, Juan! Ich sehe es an deinen Augen! Du würdest jeden umschießen, der dir im Weg steht, auch wenn er harmlos ist.«
«Ich schaffe es auch so!«sagte Zapiga dunkel.»Pablo kann mit seiner einen Hand gut zielen. Du hast es ja gesehen, Doctor. Wie er dir das Leben gerettet hat… du solltest dankbar sein.«
«Pablo bleibt hier! Ich operiere ihn in 10 Tagen!«
«Wir werden sehen!«Zapiga erhob sich, wickelte den Riesensmaragd in das Handtuch und klemmte das Bündel unter den Arm.»Wo kann man als Millionär leben?«
«Überall.«
«Wo ist die Erde am schönsten?«
«Jeder Fleck dieser Erde hat seine eigene Schönheit. Willst du nicht in Kolumbien bleiben?«
«Nein. Wie ist Amerika? Florida.«
«Warum so weit? Ein Paradies für sich sind die Inseln in der Ka-ribik. Santa Lucia, Grenada, St. Thome, Barbados, Trinidad. Paradiese, aufgereiht wie auf einer Kette, zum Aussuchen. «Dr. Mohr winkte ab.»Aber das ist doch alles Blödsinn, Juan! Du erreichst nicht einmal Bogota, wenn du jetzt nicht die Ruhe bewahrst. Du hast zwölf Jahre gewartet. was machen da zwei Monate mehr aus?«
«Ich überlege es mir«, sagte Zapiga, legte die andere Hand auch noch über den Riesenstein in dem Tuch und verließ Dr. Mohrs Wohnung. Wie ein Schatten verschwand er in der dunklen Nacht.
Zwanzig Minuten später — Dr. Mohr saß mit Margarita auf dem Bett und besprach den ungeheuren Fund — klopfte es erneut an der Tür. Draußen stand Pater Cristobal mit offenem Hemd und kurzer Hose. Er stürzte ins Zimmer und streifte Margarita, die nur ein dünnes Hemdchen trug, mit einem kurzen Blick.
«War er auch bei dir?«rief er.»Juan Zapiga.«
«Ja. Er ist also zu dir gegangen.«
«Gerade ist er wieder weg. «Cristobal setzte sich an den Tisch, sah die Whiskyflasche stehen und setzte sie an die Lippen. Nach zwei großen Schlucken stellte er sie wieder zurück.»Das war nötig, Pete! Gott steh uns bei, welch ein Stein! Das hat es noch nie gegeben.«
«Ich verstehe zwar nicht viel davon, aber ich glaube auch, daß das der sensationellste Fund ist, der je gemacht wurde. Ein Riesensmaragd!«
«Juan hat recht, das sind über 200 Karat! Beste Farbe und Reinheit! Ich habe ausgerechnet, was er bringt, wenn man ihn zerschneidet und nur Einkaräter aus ihm macht. 235.000 Dollar mindestens! Pete! Runde 2,5 Millionen Dollar! Läßt man ihn, so wie er ist, am Stück, ist er nicht einmal schätzbar! Ein absolutes Liebhaberstück! Das ist ein Stein, für den Völker ausgerottet werden könnten, weißt du das?«
«Was wollte Juan von dir?«
«Eine Maschinenpistole.«
«Du hast ihm eine gegeben?«
«Ja.«
«Cris, du bist ein Priester?«rief Dr. Mohr entsetzt.
«Das habe ich nie vergessen! Da ist ein Mann, der eine Frau und zehn Kinder hat. Und man wird ohne Skrupel die Frau, die zehn Kinder und den Mann jagen und töten, um an diesen grünen Stein zu kommen. Da schützen ihn weder Militär, noch ein edelmütiger Arzt, noch ein predigender Priester. Da schützt ihn nur eine schnelle Waffe! Pete, in diesem Land wird Nächstenliebe anders buchstabiert… und interpretiert.«
«So kann man es auch sehen. Ich habe abgelehnt.«
«Das dachte ich mir. Ich ahnte, daß Zapiga erst bei dir war und dann zu mir kam. Zu einem Arzt hatte er Vertrauen, mehr als zu Gott.«
«Jetzt ist es umgekehrt«, sagte Dr. Mohr bitter.»Verdammt, Cris, ich werde nie lernen, mit euren Hirnen zu denken!«
«Vielleicht ist es gut so, Pete. «Pater Cristobal zog die Whiskyflasche wieder an sich.»Bleib ein reiner Arzt. Ein Priester kann sich schon eher leisten, ein Halunke zu sein. Gottes Wege waren auch nie gerade, wie uns das Alte Testament lehrt.«
Er lachte etwas gequält und trank wieder. Dr. Mohr sah, daß Pater Cristobal sich nicht wohl in seiner jetzigen Haut fühlte.
Am Morgen, als Cristobal die Kirche öffnete, saß Nuria mit sieben Kindern vor der Tür. Dem Jüngsten gab sie gerade die Brust. Zwei Mädchen spielten mit selbstgebastelten Puppen, die anderen lagen auf handgewebten bunten Tüchern auf der Erde und schliefen.
«Kommt rein!«sagte Pater Cristobal.»Wann sind Juan und die Söhne los?«
«Vor vier Stunden. «Nuria lächelte ihn glücklich an.»Bald sind wir reich. Wir werden dir eine richtige Kirche stiften, Pater. Mit einem Turm und einer großen Glocke. Das hat Juan zum Abschied gesagt. Und auf einer Insel will er wohnen. In der Karibik. Kennst du die Karibik, Pater?«
«Ja. Komm rein. Ich zeige sie dir auf der Landkarte. Aber vorher wollen wir alle gemeinsam beten; beten, daß Juan überhaupt bis Bogota kommt.«
Zwei Stunden später kroch auch in Dr. Mohr die Angst hoch. Er begriff plötzlich, warum Zapiga so schnell das Gebiet verlassen hatte.
Dr. Simpson, der in der Ambulanz arbeitete, nachdem die Nacht sehr ruhig gewesen war und er gut geschlafen hatte, kam hinüber in den OP. Dr. Mohr reinigte gerade eine große Eiterwunde.
«Chef, ein tolles Ding!«rief Dr. Simpson.»Da kommt einer und behauptet, Juan Zapiga sei abgerückt. Ganz heimlich, Hütte leer, alle Werkzeuge zurückgelassen, die Mine verlassen, die ganze Einrichtung. er ist abgehauen mit dem, was er aufdem Leib trug. Das kann nur eins bedeuten: Er hat einen sensationellen Fund gemacht und ist auf dem Marsch nach Bogota.«
«Unsinn!«Dr. Mohr zeigte auf die Eiterwunde.»Machen Sie weiter, Simpson. Wo ist der Mann?«
«Ich habe ihn gerade dran. Er sitzt auf dem Stuhl. Habe nur unterbrochen, um Ihnen die Neuigkeit mitzuteilen. Der Mann hat eine Cholangitis.«
Dr. Mohr nickte und ging hinüber zur Ambulanz. Dort saß im Untersuchungszimmer ein typischer Guaquero: ausgezehrt, gelbhäutig, geschrumpft. Mit kaltem Blick, der nie mehr ein Erbarmen kannte, musterte er den Arzt.
«Du bist ein Nachbar von Zapiga?«fragte Dr. Mohr.
«Ja. Er ist weg! Mit der ganzen Familie. Hat alles zurückgelassen! Der Kerl hat einen Fund gemacht.«
«Das nimmst du an!«
«Wer verläßt sonst in der Nacht seine Mine? Aber er kommt nicht weit.«
«Was heißt das?«Dr. Mohrs Stimme klang drohend. Der Mann lächelte böse.
«Wir sind schon hinter ihm her. Neun Mann.«
«Ihr Saukerle! Ihr jagt einen Mann wie ein Raubtier und wißt nicht einmal, was los ist? Seine Frau Nuria und die Kinder wohnen bei dem Pater in der Kirche.«
«Ach nee!«Der Guaquero grinste gemein.»Und wo ist Juan? Elf Fresser am Bein, das ist ein Klotz, der hindert. Er ist wohl allein unterwegs? Um so besser!«
Dr. Mohr beugte sich über seinen Spritzenkasten. Zum erstenmal in seinem Leben durchbrach er seinen ärztlichen Schwur, in einem Kranken nur einen Hilfesuchenden zu sehen und ihm zu helfen. Zum erstenmal begriff er auch, was Pater Cristobal längst eingesehen hatte. Hier handelt es sich nicht um Menschen, die nach normalen Maßstäben zu messen sind. Man muß sie deshalb anders behandeln. Besonders vor sich selbst muß man sie schützen, denn sie wissen nicht mehr, was sie tun. Sie haben kein Rechtsgefühl mehr!
Mit ruhiger Hand schnitt Dr. Mohr eine Ampulle auf, zog die wasserhelle Flüssigkeit in den Glaskolben und beugte sich über den Guaquero.»Hat Ihnen Dr. Simpson gesagt, was Sie haben?«
«Ja. Irgend etwas an der Galle. Eine Entzündung.«
«Dagegen gebe ich Ihnen jetzt eine Spritze. Die löst die Entzündung auf. Wann folgt ihr Zapiga?«
«Gleich. Wenn ich von hier zurückgekehrt bin. Ich führe den Trupp an! Ich kenne Juans Schliche genau.«
Dann ist gut, was ich jetzt tue, dachte Dr. Mohr. Dann rette ich als Arzt ein Leben, wenn auch auf Umwegen. Er drückte die Injektion in den Oberschenkel des Mannes und wartete. Nach fünf Minuten wurde er müde, konnte sich auf dem Stuhl nicht mehr halten und kippte um. Miguel, der neben ihm stand, fing ihn auf.
«Zu mir«, sagte Dr. Mohr und tauchte die Hände in eine Sterillösung.»Und gut fesseln.«
«Fesseln.«, stotterte Miguel.»Wieso denn?«
«Frag nicht! Trage ihn weg, verschnüre ihn gut und leg ihn bei mir ins Zimmer.«
Miguel wuchtete den Mann auf seine Schulter, wollte noch etwas fragen, verzichtete aber darauf, als er Dr. Mohrs Blick sah, und trabte mit dem Schlafenden hinaus.
Am Nachmittag alarmierte Pater Cristobal nicht nur alle Anwesenden auf dem Plateau, sondern schickte auch um Hilfe nach der >Burg<. Dr. Mohr saß vor dem gefesselten Guaquero in seinem Zimmer, schrie ihn an und ohrfeigte ihn. Aber der Mann schwieg ver-bissen.
Die beiden ältesten Töchter von Nuria waren verschwunden. Vor einer Stunde hatte man sie noch spielend am Rande des Abhanges gesehen.
«Jetzt geht es los«, sagte Pater Cristobal heiser.»Das ist der Anfang. Sie beginnen, die Familie Zapiga auszurotten, wenn sie nicht preisgibt, was Juan gefunden hat.«
Sechs Tage war Zapiga mit seinen drei Söhnen unterwegs.
Sechs Tage, in denen sie nur des Nachts wanderten. Am Tage schliefen sie in Höhlen oder in breiten Büschen, fingen Fische in den Bächen oder jagten mit Hilfe von Schlingen Wild. Alles mußte lautlos vor sich gehen, kein Ton durfte Aufmerksamkeit erregen. Niemand durfte sie sehen. Ihr Ziel war, Penasblancas zu umgehen und ein großes Stück der Straße nach Bogota ebenfalls in der Wildnis, also seitlich der Todesstraße, zu bezwingen. Das bedeutete, sich durch unwegsame Schluchten zu quälen, Meter um Meter sich vorwärtszukämpfen, bis man den Teil der Straße erreicht hatte, der halbwegs sicher war, weil hier noch Militär und Polizei Patrouillen fuhren und den Verkehr nach Muzo und Penasblancas überwachten. Ein paar Kilometer weiter war dann Niemandsland von Recht und Menschlichkeit. Hier begann die Herrschaft der Gewissenlosigkeit.
Juan Zapiga ging voraus. Er hatte den Stein in einem Ledersack um den Hals hängen, unter dem Hemd, direkt auf der Brust. Dann folgten zwei Söhne, zwölf und zehn Jahre alt. Als letzter, den Rücken sichernd, folgte Pablo, der älteste Sohn. Er trug den dick geschwollenen Arm in einer Schlinge und knirschte am ersten Tag mit den Zähnen, wenn er gegen seine Schulter stieß oder springen mußte. Aber dann schien er sich an den Schmerz gewöhnt zu haben. In einem Abstand von einigen Metern folgte er dem Vater und den Brüdern. Am sechsten Tag hellten sich die Mienen der drei Pebas auf und wurden fröhlich vor Erwartung. Penasblancas lag weit hinter ihnen, die Strecke nach Bogota verlor mit jedem Meter an Gefahr. Noch einen Tag und sie hatten es geschafft! Dann konnten sie aus der Wildnis ausbrechen und auf der Straße weiterziehen, im Schutz des Militärs. Der große Augenblick würde kommen, wenn sie an der Endstation des Omnibusses in den Wagen kletterten und nach Bogota hineinfuhren. Es war die Fahrt in ein neues Leben. Die ersten Häuser würde der neue Millionär Zapiga mit einem Gebet begrüßen.
Gott, ich danke dir! Meine Frau Nuria und meine zehn Kinder danken dir. Wir haben deine Liebe erfahren.
An diesem sechsten Tag der teuflischen Wanderung beobachteten einige Männer, wie ein Junge an einem Bach saß und mit einem Stecken, einer Schnur, einem Haken aus Draht und Würmern Fische fing. Ein zweiter Junge, in zerfetzter Kleidung wie der andere, kam mit einem Hasen aus dem Wald und zeigte ihn triumphierend dem fischenden Kumpanen.
«Die sehen aus, als lebten sie auf den Bäumen!«sagte einer der Männer.»Merkwürdig. Komm, die sehen wir uns mal näher an.«
Eine Stunde später nahm Juan Zapiga von seinem Sohn Pablo Abschied.
«Versuch es allein!«sagte Pablo.»Ich halte sie so lange auf, wie ich kann. Kümmert euch nicht um mich. Ihr müßt weiter.«
«Pablo!«Zapiga umarmte seinen Sohn und weinte.»Das ist unmöglich! Ich kann dich doch nicht. Nie! Nie!«Er griff nach der Maschinenpistole, die Pablo vor der Brust hängen hatte.
«Wir bleiben zusammen!«
«Wir schaffen es nie, Papa! Denk an Mama und die anderen neun Kinder!«
«Deswegen kannst du doch nicht.«
«Geh, Papa. bitte, geh.«
«Pablo.«, weinte Zapiga.
«Geh endlich!«schrie Pablo.»Du mußt mit dem Stein durchkommen. Für Mama und die anderen. Verdammt, habe ich einen feigen Vater.«
Zapiga heulte auf, wandte sich ab und hetzte mit seinen beiden jüngeren Söhnen weiter durch die Wildnis. Pablo Zapiga legte sich hinter einen Stein, drückte die MP gegen seine gesunde Schulter und wartete. Ich bin glücklich, Mama, wenn ihr später ein schönes Leben haben werdet, dachte er. Denkt an mich, aber seid nicht traurig. Ich hätte sowieso nicht mehr lange gelebt, der Medico hätte mich nicht retten können, ich fühle das. So ist es besser, Mama, so kann ich noch etwas für euch tun. Werdet alle, alle glücklich.
Sechs Stunden hielt Pablo Zapiga mit seiner Maschinenpistole den Rücken seines Vaters und seiner zwei kleinen Brüder frei, dann machte der Schmerz in seiner Schulter, die bei dem Schuß zu explodieren schien, ihn ohnmächtig. So spürte er nicht mehr, daß er von 14 Kugeln getroffen wurde. Einer seiner Verfolger schoß sein ganzes Magazin auf ihn leer und brüllte dabei:»Du Aas! Du verfluchter Hund! Du stehst nicht mehr auf..«
Doch die sechs Stunden Vorsprung genügten. Juan Zapiga und seine beiden Söhne erreichten den sicheren Teil der Straße nach Bogota. Ein Militärlastwagen las sie auf und brachte sie zur Omnibusstation.
Ganz langsam, bestaunt von den anderen Wartenden, sank Zapiga dort aufdie Knie, und auch seine beiden kleinen Söhne knieten nieder.
«Freunde«, sagte Zapiga mit rostiger Stimme,»wer ein Herz in der Brust trägt, betet mit: Vater im Himmel, verzeih mir, ich habe einen Sohn geopfert, damit elf andere Menschen leben können. Vater im Himmel, wie soll ich das ertragen?«Er blickte hoch und sah in betroffene Gesichter.»Freunde, bitte, faltet die Hände. Betet für die Seele meines Sohnes Pablo. Er war ein Held! Er war noch kein Mann, erst 14 Jahre alt… aber er war schon ein Held. Uns allen hat er das Leben geschenkt.«
Zu dieser Stunde wußte Juan Zapiga noch nicht, daß er auch noch zwei Töchter verloren hatte.
Man fand die Mädchen im Tal, nebeneinander vor einem Baum liegend. Die Kehlen waren ihnen durchgeschnitten worden, aber vorher hatten die Mörder sie noch blutig geschlagen und aus ihnen das Geheimnis der Zapigas herausgeprügelt.
Nuria weinte nicht. Mit weiten, leeren Augen saß sie vor den Kisten, in die man in Ermangelung von Särgen ihre kleinen Töchter gelegt hatte. Selbst als Pater Cristobal zornbebend rief:»Mein ist die Rache, spricht der Herr! Und Rache wird genommen an diesem Mord! Das Blut dieser unschuldigen Kinder komme über jeden von uns, wenn wir weiter dulden, daß solche Menschen unter uns bleiben!«, zuckte kein Muskel in ihrem Gesicht.
Dr. Novarra besuchte nach der Beerdigung Dr. Mohr im Hospital. Der Arzt saß allein, in der Dunkelheit, in seinem Untersuchungszimmer und rührte sich nicht, als Novarra eintrat. Dr. Simpson, Miguel und Margarita machten die Abendvisite im Bettenhaus. Es war voll belegt.
«Doctor?«fragte Novarra in die Dunkelheit hinein.
«Kommen Sie näher, Ramon. Ein Stuhl steht direkt vor Ihnen.«
«Danke, Doctor. «Novarra setzte sich.»Kein Licht?«
«Nein! Bitte nicht.«
«Sie verzweifeln an der Menschheit, was? Sie verkriechen sich vor ihren Auswüchsen wie ein krankes Tier! Das ist falsch, Dr. Morero. Damit erreichen Sie gar nichts, damit ändern sie noch weniger: Nur Sie gehen dabei vor die Hunde!«
«Die Kehle durchgeschnitten, zwei Kindern. wegen dieser verfluchten grünen Steine. Ich muß das erst verdauen, Novarra. Sie sind jetzt hier, um mir mit vielen Worten klarzumachen, daß das völlig normal ist, wenn man zwei kleinen Mädchen von sechs und sieben Jahren die Kehle durchschneidet und sie vorher noch foltert! Sie wollen mir erklären, das gehört hier zum Leben. Sprechen Sie das bloß nicht aus! Ich zünde sonst heute nacht noch mein Hospital an!«
«Ich bin gekommen, Ihnen auch Gutes zu sagen.«
«Den Glauben an das Gute habe ich gründlich verloren.«
«Wirklich? Lieben Sie nicht Margarita? Das ist doch etwas Wunderbares! Pilgern die Kranken nicht tagelang zu Ihnen? Das ist doch etwas Großes!«
«Und diese Kranken morden dann«, sagte Dr. Mohr dumpf.»Das ist es, worüber ich nicht hinwegkomme! Sie betteln um ihre Gesundheit und töten ihre Nächsten!«
«Welch ein Berg von Menschlichkeit!«sagte Novarra spöttisch.»Hier haben Sie doch den Menschen in Reinkultur, ohne Schminke und Maske. Selbst leben, die anderen vernichten — das ist der Urtrieb! Alles andere ist nur anerzogen. Interessiert Sie nicht, Doctor, was ich auf der Pfanne habe?«
«Nein!«
«Gut, dann behalte ich für mich, daß Major Gomez wie ein Gewitter über Penasblancas gekommen ist. Sein Bataillon hat aufgeräumt, zum Teil in regelrechten Straßenkämpfen. Haus für Haus. Christus Revailas Privatarmee hat sich sofort in alle Richtungen verflüchtigt, als Gomez anrückte. Revaila war natürlich wie immer nichts zu beweisen. Ebenfalls nicht >Mama< Mercedes. Ihre Mädchen, die Gomez befreien wollte, haben den Offizieren einen rauschenden Empfang bereitet. Der ganze Puff war bis unters Dach mit Blumen und Fahnen geschmückt. Die Mädchen standen im Lokal, nur goldene Feigenblätter an den exponierten Stellen, und sangen Jubellieder. Jeder hatte freies Trinken und freies. Hopplahopp! Die Offiziere waren begeistert, und Major Gomez war einem Wahnsinnsanfall nahe. Aber Penasblancas ist zur Zeit ziemlich sauber. Gomez hat eine Kompanie zurückgelassen. >Mama< Mercedes wettet bereits, daß die Soldaten in spätestens vier Wochen aufgesaugt worden seien. Polizeichef Salto hat aus Bogota noch vier Mann Verstärkung bekommen. Jetzt will er die Straße in die Berge kontrollieren. Mut hat der Junge! — Doch das alles behalte ich für mich. Erzähle ich Ihnen erst gar nicht. Interessiert Sie ja doch nicht.«
«Was ist mit Perdita Pebas?«
«Sie ist weg aus >Mamas< Haus.«
«Das sagen Sie so einfach?«Dr. Mohr sprang auf und knipste das Licht an. Novarra blinzelte in die plötzliche Helle.»Wo ist sie jetzt?«
«Sie lebt als Köchin bei einer alten Dirne, die heute in Penasblancas einen Kramladen betreibt.«
«Und warum kommt sie nicht nach Hause?«
«Sie hat Angst, daß der Vater sie krumm und lahm schlägt.«
«Das würde er nie tun! Und wenn er sie abholt?«
«Das tut der alte Adolfo Pebas wieder nicht! Ich kenne ihn lange genug. Wer von allein gegangen ist, soll auch von allein wiederkommen!«
«Dann bringe ich sie zurück.«
«Genau das habe ich mir gedacht. «Novarra grinste.»Aber es geht ja nicht. Sie wollen mich ja nicht anhören.«
«Ramon, was haben Sie noch zu erzählen?«
«Nur einen Vorschlag: Sie holen Perdita Pebas ab und nehmen gleichzeitig die Familie Zapiga nach Penasblancas mit. Ich fürchte, man wird mit dem Mord der beiden Mädchen nicht aufhören. So etwas spricht sich in Windeseile herum. Ich kann Ihnen Begleitschutz bis kurz vor die Stadt geben. Dort kann Sie Leutnant Salto erwarten. Die Fahrt nach Bogota müßte dann das Militär übernehmen. Dort sind Nuria und die Kinder relativ sicher.«
«Und wenn Zapiga nicht durchgekommen ist?«
«Auch dann ist es besser für Nuria. Um in den Besitz von Zapi-gas Wundergrube zu kommen, würde man rücksichtslos alle vernichten. Zur Zeit halten meine Leute sie besetzt. Aber auch meinen Leuten kann ich bei solchen Aussichten nicht mehr trauen. «Novarra sah Dr. Mohr ernst an und nickte schwer.»Ja, so ist das, Doctor. Die grünen Steine paralysieren! Nuria muß hier weg. Wollen Sie das übernehmen?«Er grinste schief.»Der reinste Frauentransport, eine weg, eine ran. Und Sie sind der einzige Mann, auf den beide Frauen hören. Außerdem: Statt im Dunkeln zu sitzen und den Glauben an die Menschen zu verlieren, können Sie damit aktiv etwas leisten: Sie retten Nuria und deren Kinder. Kann sein, daß wir in eine Schießerei geraten, bevor wir Penasblancas erreichen. Und Christus Revaila ist auch noch da! Doctor, wer hier lebt, auch als Arzt, darf nicht nur heilen, er muß auch um sich schlagen und sich den Weg freihalten. Wenn's sein muß, mit der Waffe!«
«Wann?«fragte Dr. Mohr knapp.
«So schnell wie möglich. Noch wirkt sich Major Gomez' Sittenfeldzug in Penasblancas aus. Das sollten wir ausnutzen.«
«Also morgen? Aber wenn Nuria nicht will?«
«Sie will. Bei uns haben die Toten noch nie das Leben behindert. Auch Nuria hofft, daß Zapiga durchgekommen ist und sie Millionärin wird.«
«Ich verfluche diese grünen Steine!«schrie Dr. Mohr. Seine ganze innere Qual lag in diesem Aufschrei. Novarra nickte zufrieden.
«Das ist nun heraus, Doctor. Das befreit! Wir alle hassen sie, aber wir kleben an ihnen. Es gibt für uns kein Zurück mehr. Für Sie schon!«Er erhob sich.»Morgen früh beim Morgengrauen?«
«Ich bin bereit. «Dr. Mohr legte die Hände übereinander.»Ich habe versagt, Novarra. Ich hatte für Nuria und die Kinder die Verantwortung übernommen.«
Nuria und die Kinder standen bereit, als Dr. Mohr und Margarita aus dem Haus kamen. Die Nacht lag noch über den Felsen, nur vereinzelte fahle Streifen am Himmel zeigten den nahen Tag an. Es war kühl geworden, die Regenzeit begann. In ein paar Tagen würde sich das ganze Land verwandeln. Dann wurden aus den Bächen breite Flüsse und aus den Flüssen reißende Ströme, die die Wege verschlammten. Manche Täler wurden von der Außenwelt völlig abgeschnitten und unpassierbar, Steinlawinen, von den Wassern herausgewaschen, versperrten die Zugänge, und selbst eine große Anzahl Minen liefen voll. Von allen Seiten stürzten dann die Wassermassen in die großen Höhlen, manchmal so plötzlich, daß es jedes Jahr eine nicht geringe Anzahl Tote gab. Guaqueros, die nicht rechtzeitig ihre Gruben räumten und elend ertranken.
Aber noch etwas geschah in der Regenzeit, tausende von Schürfern wurden zu Wäschern. Sie standen an den Ufern der überquellenden Flüsse oder selbst in dem reißenden Wasser und fingen mit großen Sieben das Geröll auf, das die Flüsse zu Tal schwemmten. Man wußte: Das Wasser spülte aus der Tiefe lockere Felsen ab, und in diesem Gestein waren auch Einschlüsse von Smaragden, kleine grüne Körper, vor Jahrmillionen in unvorstellbarer Hitze gebacken und heute ein Vermögen wert. Jedes Jahr geschah es immer wieder, daß die Flüsse das grüne Gold in die Siebe schwemmten… und jedes Jahr nach der Regenzeit stiegen die Morde an, wenn die glücklichen Finder sich auf den Weg machten, um ihren Reichtum nach Bogota zu bringen.
Am Wege lauerten die >Aufkäufer< von Christus Revaila und Mercedes Ordaz.
In der Nacht hatte es zwischen Dr. Mohr und Margarita noch eine heiße Diskussion gegeben, die Dr. Mohr verlor. Margarita hatte für das große Abenteuer auch einen Ledersack mit ihren Kleidern gepackt und reinigte dann einen 9-mm-Revolver. Dr. Mohr, der von Dr. Simpson zurückkam, nachdem er ihm alles erklärt und das Krankenhaus übergeben hatte, blieb betroffen in der Tür stehen.
«Erkläre mir bloß nicht, du wolltest mitgehen!«sagte er heiser.»Das lasse ich nicht zu.«
«Es ist alles gepackt, Pete.«
«Dann packst du wieder aus!«
«Du kannst mir nicht verbieten, meine Schwester abzuholen.«
«Ich kann dir verbieten, dich in Lebensgefahr zu begeben!«
«Ich will bei dir sein«, sagte sie schlicht und putzte weiter den Revolver.
«Einsperren lasse ich dich!«
«Das wäre noch schlimmer, Pete. Ich werde schreien und toben, und einmal läßt man mich heraus. Dann folge ich dir allein, und das ist viel gefährlicher. «Sie lud das Trommelmagazin, ließ es rotieren und dann einschnappen. Sie war schon für den gefährlichen Marsch umgezogen, trug Stiefel und eine Lederhose, ein Buschhemd und einen breiten Gürtel, in den sie die Waffen steckte. Das schwarze Haar hatte sie hochgebunden und mit einem breiten Stirnband festgehalten. Jetzt stand sie auf, ging in den Schlafraum, setzte sich auf das Bett und lehnte sich an die Wand.
«Wer will mich aufhalten?«rief sie.»Ich schieße auf jeden, der mich anfassen will! Auch auf dich!«
«Du mußt im Hospital bleiben! Simpson braucht dich!«schrie Dr. Mohr.»Begreifst du denn nicht, daß du alles nur noch schwieriger machst, wenn du mitkommst?«
«Nein! Ich kann schießen. Und ich bin mutig!«
«Ich habe Angst um dich, verstehst du das denn nicht?!«
«Und ich habe Angst um dich und will deshalb bei dir sein. Ist das nicht selbstverständlich?«Sie zog die Schultern zusammen und sah jetzt aus wie eine Katze, die sich zum Sprung vorbereitet.»Schreie nur, Pete. Ruf Papa und Mama! Hol Pater Cristobal! — Ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt. Einmal wird es mir gelingen, freizukommen. Und dann laufe ich hinter dir her!«
Es war sinnlos, weiter mit ihr darüber zu reden. Seufzend ging Dr. Mohr hinüber zu Pater Cristobal, der gerade Dr. Novarra verabschiedet hatte. Der Bärtige ritt auf seinem starken Muli zur >Burg< zurück.
«Margarita hat ihren Revolver geputzt und will mit!«sagte Dr. Mohr hilflos.»Was soll ich tun, Cris?«
«Nichts.«
«Sie kann unmöglich mit! Das kommt einem Selbstmord gleich.«
«Erkläre ihr das.«
«Das habe ich versucht. Umsonst. Ihr Argument: Ich gehöre zu dir.«
«Hier gibt es noch Frauen, die bereit sind, mit ihren Männern zu sterben.«
«Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«
«Weißt du mehr?«Pater Cristobal hob die Schultern.»Nur der Tod könnte Margarita aufhalten, mit dir zu reiten. Ich habe gar nichts anderes erwartet und es schon Novarra gesagt. Er hat damit gerechnet, für ihn war das selbstverständlich.«
«Ich werde Pebas alarmieren!«sagte Dr. Mohr gepreßt.
«Sinnlos! Er wäre höchstens stolz auf seine mutige Tochter. Hat er verhindern können, daß sie bei dir schläft? Noch weniger kann er verhindern, daß sie mit dir lebt, und Leben bedeutet hier in den
Bergen: Bedingungslosigkeit bis zum Letzten!«
Dr. Novarra und 15 wild aussehende, schweigsame Männer aus der >Burg< trafen kurz nach Dr. Mohrs Erscheinen vor dem Haus auf dem Plateau ein. Sie brachten Mulis mit, die an jeder Seite einen geflochtenen Korb trugen. In diese Körbe setzte man die kleinen Kinder hinein. Hier waren sie sicher, konnten nicht herausfallen und würden durch das gleichmäßige Schaukeln müde werden und wieder einschlafen. Auf ein Muli hatte man ein breites Brett geschnallt und darauf ein schweres Maschinengewehr montiert. Es war geladen, der Patronengurt war durchgezogen. Ein zweites, starkes Muli schleppte vier stählerne Kästen mit weiteren MG-Gurten.
Dr. Novarra begrüßte Dr. Mohr wie einen Bruder, umarmte ihn und zog auch Margarita an seine breite Brust.»Ich freue mich!«dröhnte er mit seinem Baß.»Auch wenn ich nicht bis nach Penasblancas hineinkomme, hoffe ich, einige von Revailas Kreaturen aufzuscheuchen. Doctor, mein Plan ist folgender: Wir bringen Sie und Nuria mit den Kindern sicher bis in die Nähe der Polizeipatrouille. Dann kehren wir ihnen wieder den Rücken, denn mit den staatlichen Ordnungsorganen bekommen wir nie einen freundlichen Kontakt. Da nutzt auch Ihre Freundschaft zu dem Polizeichef nichts! Wenn Sie dann in Sicherheit sind, kochen wir unser eigenes Süppchen. Das geht Sie nichts an, das verstehen Sie auch nie, das sind unsere eigenen Gesetze. «Er blickte sich um. Die Kinder saßen in den Flechtkörben. Nuria hockte auf einem Muli und trug Männerkleidung, am Eingang des Hospitals erschien Dr. Simpson und winkte allen zu.
«Aufsitzen!«sagte Dr. Novarra laut.»Pater, wo ist Ihr Handwerkszeug? Kein Weihwasserwedel?«
«Ihr Maschinengewehr nutzt mehr!«Pater Cristobal drückte Dr. Mohr und Margarita die Hände.»Gott mit euch. Liebt euer Leben.«
«Cris! Was ist los?«Dr. Mohr hielt Cristobals Hand fest.»Das klingt wie Abschied.«
«Es ist ja einer«, sagte Cristobal leichthin.
«Ein Abschied für immer? Hast du irgend etwas gehört, das wir nicht wissen? Sollen wir hier weg, weil sich irgend etwas zusammenbraut?«
«Dummheit!«Pater Cristobal lachte, aber es klang seltsam gepreßt.»Und wenn sie sich hier alle mit dem Messer nachlaufen, du weißt doch: Dem Hospital und der Kirche passiert nichts. Es sind alles gute Gotteskinder!«
Mit einem seltsamen Gefühl im Herzen ritt Dr. Mohr weg. Dr. Novarra, er und Margarita bildeten den Vortrupp, zusammen mit den vier Männern und dem Maschinengewehr. Dann kamen Nuria und die Kinder, umgeben von sechs Reitern. Am Schluß der kleinen Kolonne ritten die anderen fünf. Sie waren am schwersten bewaffnet. Würde man sie angreifen, dann erfolgte der Überfall immer von hinten, während man vorne eine Sperre aufgebaut hatte. Der uralte Trick einer engen Falle, aus der man nicht mehr lebend herauskam.
Aber es geschah nichts. Den ganzen Tag über kamen sie gut vorwärts. Sie trafen auf ein paar Schürfer, die vor ihren Waldhütten saßen, ermattet von der Minenarbeit. Sie zerklopften größere Steine in der Hoffnung, Smaragdeinschlüsse zu finden. Dreimal wurden sie von herumstrolchenden Banden beobachtet, aber diese hüteten sich, die Kolonne anzugreifen. Dr. Novarra hatte durch den perfekt funktionierenden Nachrichtendienst der Guaqueros verbreiten lassen, daß ein paar Männer aus der >Burg< einen kleinen Ausflug machten. Das genügte, um überall Vorsicht aufkommen zu lassen. Alles, was am Wege nach Penasblancas lag, ging zunächst in Deckung und wartete ab. Das auf das Brett montierte schwere Maschinengewehr machte sichtlich Eindruck. Es sprach sich schnell herum, daß die Männer aus der >Burg< nach Penasblancas zogen, als wollten sie dort Krieg führen. Das genügte, um den Weg leerzufegen.
In der Nacht begann es zu regnen, früher, als Novarra es erwartet hatte. Wie aus Kübeln goß es. Das war kein Regen mehr, das war auch kein Auseinanderbrechen der Wolken. Ein Meer schien am Himmel zu schwimmen und stürzte jetzt hinunter auf die Erde.
«Sie haben Glück, Doctor«, sagte Dr. Novarra. Er saß mit Dr. Mohr,
Nuria und Margarita unter einer Kunststoffplane. Das vom Himmel fallende Meer klatschte auf sie herunter, als schlüge man mit riesigen Latten auf sie ein. Die Kinder lagen in einer Höhle, in Decken gerollt. Mit hängenden Köpfen standen die Mulis an den Felsen und rührten sich nicht. Im Schwall des Wassers waren sie nur wie Schatten zu erkennen. So muß die Sintflut gewesen sein, dachte Dr. Mohr. Zum erstenmal erlebte er einen solchen Regen, der unbegreiflich für jeden ist, der diese Wassermassen nicht gesehen hat.»Bei diesem Sauwetter hat keiner mehr Interesse daran, eine Frau und kleine Kinder zu jagen. Es ist ziemlich sicher, daß Sie Penasblancas ohne einen Zwischenfall erreichen. Und dann kommen Sie auch nach Bogota. Dafür wird Major Gomez sorgen. «Er zog die Beine etwas an; vom Rand der Plane spritzte das Wasser über seine Stiefel.»Treffen Sie Don Camargo?«
«Ich weiß nicht. Wenn er sich sprechen läßt.«
«Sie müssen versuchen, wieder an ihn heranzukommen. Wegen Christus Revaila. Ich wette, daß der große Boß nicht weiß, wie sehr er von dem kleinen Ganoven betrogen wird. Revaila ist Ihre einzige große Gefahr, Doctor. Und was immer er auch mit Ihnen anstellt — es wird Don Camargo gegenüber stets wie ein Unfall aussehen. Deshalb seien Sie besonders vorsichtig, solange Sie in Pen-asblancas sind. Auch wenn Sie bei Leutnant Salto oder Major Gomez in der Hosentasche schlafen. Revaila wird versuchen, an Sie heranzukommen! Er ist kein Idiot und weiß genau, was es für ihn bedeutet, wenn Sie gesund nach Bogota kommen und mit Don Ca-margo reden. Dann bleibt ihm nur noch der Weg in die Berge, denn zurück nach Bogota darf er nie. In den Bergen aber warten wir auf ihn! Verstehen Sie, Doctor? Ihr Tod ist Revailas Lebensversicherung! Gehen Sie in Penasblancas nie allein aus. Und auch Polizeischutz ist Blödsinn. Wenn man einen Kennedy inmitten von Revolvermännern erschießen konnte, ist ein Dr. Morero für Revaila nicht mehr als eine Zielscheibe.«
«Wäre es nicht einfacher, Revaila zu verhaften?«
«Ohne Grund? Das ist es ja: Man kann ihm nie etwas nachwei-sen!«
«Auf einmal gelten in Penasblancas Gesetze?«
«Verrückt, nicht wahr? Aber das sind Gomez und Salto. Sie wollen aus Penasblancas ein Musterstädtchen machen! Vielleicht gelingt es Ihnen, daß man Revaila unter Polizeiaufsicht stellt, solange Sie da sind. Was nicht heißen soll, daß Revaila nicht auch das einkalkuliert hat und zufrieden in seiner Zelle sitzt, während seine Helfer Ihnen das Fell durchlöchern. «Dr. Novarra winkte ab. Der Regen trommelte auf die Plane, die Straße war zu einem Fluß geworden, der rauschend ins Tal stürzte. Von den Felswänden fiel das Wasser in breiten Bahnen. Von weitem rollte es wie Donnern.
«Da fängt es an!«sagte Novarra.»Bergstürze. Das Wasser unterspült ganze Hänge, die dann abrutschen. Das gibt wieder eine Menge Tote und Verletzte. Simpson, das Saufloch, wird mit Leibern bis unters Dach zugeworfen werden. «Das Grollen verstärkte sich. Es war, als zittere unter ihnen der Boden.»Mein Gott, ist das ein Regen. So war es zum letztenmal vor sieben Jahren. Da hat keiner mehr gehofft, noch einen Guaquero wiederzusehen. Die sind alle ersoffen oder vom Berg erschlagen, hieß es in Muzo. Damals zerstörte eine Geröllflut auch die Hälfte von Penasblancas.«
Es regnete bis zum Morgen. Eine Sonne gab es nicht mehr. Nur einen grauen Himmel, der das Licht aufsaugte, mit Wasser auffüllte und dann auf die Erde schleuderte. Auch als der Regen nachließ und sich normalisierte, was bedeutete, daß es für europäische Begriffe immer noch ein Wolkenbruch war, blieb der Tag wie in einem grauen Sack hängen, ein diffuses Licht, als verlösche langsam die Sonne und die Welt zerfließe ohne die Wärme aus der Unendlichkeit.
Unter Planen und Decken, die schnell durchweichten und dann bleischwer wurden, mit in wenigen Augenblicken durchnäßten Kleidern zogen sie weiter ins Tal von Penasblancas. Wie Geister tauchten sie aus der Regenwand auf, als sie die Straße erreichten, die am Fuße der Berge endete, beziehungsweise begann. Dort wartete Leutnant Salto mit einem Jeep und vier Polizisten in einem Zelt. Ein
Ölofen verbreitete herrliche Wärme, in einem Kessel brodelte starker Tee.
Felipe Salto rannte Dr. Mohr mit ausgebreiteten Armen durch den Regen entgegen. Vor fünf Minuten hatte Dr. Novarra mit seinen fünfzehn Männern sich von Dr. Mohr verabschiedet. Ein vorausgeschickter Späher hatte gemeldet, daß die Polizei am Beginn der Straße ihr Lager aufgeschlagen hatte.
«Sie sind ein Glücksmensch, Doctor«, sagte Novarra und küßte Dr. Mohr auf beide Wangen.»Jetzt kann ich es Ihnen gestehen: Gestern nacht gab ich für unser Leben keinen Peso mehr. Als ich das Donnern der Bergrutsche hörte, hatte ich abgeschlossen. Da kommen wir nie wieder raus, habe ich gedacht. Wir sitzen in der Falle. Hinter uns der Weg verschüttet, vor uns die Schlucht versperrt, und wir stecken herrlich in der Senke und ersaufen wie die jungen Karnickel. Aber ich hatte vergessen: Sie waren ja bei uns! Das Sonntagskind!«Er hüstelte, küßte auch Margarita auf die Wangen und sagte dann grob:»Und jetzt weg mit Ihnen, ehe die Schlucht vol-läuft.«
«Und wo gehen Sie hin?«fragte Dr. Mohr.
«Wir verkriechen uns irgendwo. Denken Sie ab und zu an uns.«
«Was reden Sie da für einen Blödsinn! Ich komme in ein paar Tagen zurück!«
«Bis Sie wieder zu Ihrem Hospital durchkommen, kann es Wochen dauern.«
«Dann in zwei oder drei Wochen! Ich habe es mir überlegt: Ich fahre nicht mit Nuria nach Bogota. Ich gehöre jetzt in die Berge, zu den Verletzten! Mit Don Camargo kann Major Gomez sprechen.«
«Don Alfonso wird Gomez nicht einmal anfurzen, geschweige denn anhören.«
«Es genügt, wenn Camargo die Wahrheit erfährt. Antworten braucht er nicht. Ich kenne das ja. Er wird in einen leeren Raum hineinsprechen, in einem großen Bürohaus, aber wenn er auch niemanden sieht, er wird gehört werden. Ich aber komme sofort mit Per-dita zurück.«
Dr. Novarra nickte. Er stieg wieder auf sein Muli, zog die Plane über sich und hob noch einmal grüßend die Hand. Seine Männer waren schon zurückgeritten und verschwanden im strömenden Grau. Der Regen saugte sie auf.
«Wenn wir uns nicht mehr wiedersehen sollten, Doctor: Lösen Sie sich nicht in Traurigkeit auf!Die Monate, die Sie bei uns waren, haben Geschichte gemacht. Guaquero-Geschichte. Auch die gibt es, aber die hat noch keiner geschrieben. Wer will schon lesen, daß 30.000 Männer, Frauen und Kinder nur wegen ein paar grüner Steine ein unbegreifliches Leben führen? Wen interessiert es? Am wenigsten die Damen, die ihren Smaragdschmuck in der Oper und bei Galaabenden vorführen und sich sonnen im bewundernden Blick der anderen. Wer ahnt denn, wieviel Blut an diesen Steinen kleben kann, welche Schicksale mit ihnen verbunden sind, aus welchem Meer von Elend diese Steine gefischt wurden, die dort am Hals, am Ohr oder am Handgelenk einer schönen Frau ein Vermögen kosten. Vielleicht schreiben Sie mal darüber, Doctor.«
Er winkte, trat seinem Muli in die Seiten und trabte den anderen nach. Dr. Mohr blieb im strömenden Regen stehen, bis auch Dr. Novarra in die graue Wand eingetaucht war. Das merkwürdige, beklemmende Gefühl erfaßte ihn wieder, das er schon bei den Abschiedsworten von Pater Cristobal empfunden hatte. Er drehte sich um, rannte zu seinem Muli, sprang in den flachen Ledersattel und sah zu Margarita und Nuria hinüber. Sie saßen auf ihren Tieren, und das Wasser klatschte an ihren Planen herunter. Die Kinder in den Flechtkörben, ebenfalls durch Planen geschützt, waren so still, als seien sie schon ertrunken.
«Weiter!«rief Dr. Mohr.»Noch ein paar hundert Meter, dann haben wir es warm und trocken.«
In Penasblancas wohnten sie im Polizeigebäude. Dort hatte sich nichts verändert bis auf einen Gast, der in Zelle III auf einer Pritsche hockte und Dr. Mohr aus kalten Raubtieraugen anstarrte, als dieser an die Gitter trat. Er sprach kein Wort, auch nicht, als Leutnant Salto erklärte:
«Ich hielt es für das beste, Doctor, Christus Revaila zu seiner eigenen Sicherheit festzunehmen. Ein Anwalt in Muzo hat zwar sofort Beschwerde eingelegt, aber bis die bearbeitet wird, sind Sie längst in Bogota. «Salto klopfte gegen die Eisengitter.»He, Christus! Du wolltest doch dem Medico so viel sagen, wenn du ihn wiedersiehst.«
Revaila blickte Dr. Mohr voll Haß an, drehte ihm dann den Rücken zu und trommelte mit den Fingern auf die Matratze.
«Er platzt vor Wut!«sagte Leutnant Salto gemütlich.»Lassen wir ihn allein. Vielleicht frißt er sich selbst auf.«
In Penasblancas hatte sich manches nach dem Einmarsch von Major Gomez' Truppe verändert. Die Bar von Mercedes Ordaz war geschlossen. In dem großen Haus wohnten jetzt Offiziere und Unteroffiziere der II. Kompanie. Aus dem Restaurant war ein Büro geworden. Die Mädchen lebten jetzt verstreut in der Stadt und arbeiteten auf eigene Rechnung. >Mama< durfte in ihren Räumen wohnen bleiben, aber sie stand unter ständiger Beobachtung, verließ kaum noch ihre Zimmer, saß meistens am Fenster, blickte auf die Straße und schien auf ein Wunder zu warten. Auch sie beschäftigte einen Anwalt, der extra aus Bogota gekommen war, um bei Major Gomez zu protestieren. Gomez hatte ihn ausreden lassen und dann geantwortet:
«Sie haben in allem unrecht, Senor! Das ist keine militärische Willkür, das ist kein Rechtsbruch, das ist keine Niederschlagung der persönlichen Freiheit, das ist eine Maßnahme des Innenministeriums zur Bekämpfung der internationalen Kriminalität! Ich habe alle Vollmachten. Beschweren Sie sich beim Minister persönlich!«
Ein paarmal versuchte >Mama<, über Besucher, die sie empfangen durfte, Verbindungen mit ihren Mädchen aufzunehmen, um wenigstens diesen Betrieb weiter zu kontrollieren, wenn schon das Smaragdgeschäft vorübergehend eingeschlafen war. Aber auch das mißlang. Die Macht der Mercedes Ordaz war lahm geworden. Ihre Lockrufe verhallten unbeantwortet, ihre heimlichen Drohungen, die sich auf die Zukunft bezogen, denn sowohl sie wie auch Christus Revaila betrachteten den gegenwärtigen Zustand als eine vorübergehende anormale Episode eines beförderungswütigen Majors, wurden nicht ernst genommen, ihre Versprechungen hörte niemand mehr an.
Begann in Penasblancas tatsächlich eine neue Zeit?
«Sie haben uns allen Mut gemacht, Doctor«, sagte Leutnant Salto.»Sie und Pater Cristobal waren uns immer ein Vorbild, wenn wir uns sagten: Es hat doch alles keinen Sinn! Wir packen nur in Brei! Diesen Sumpf können wir nie leerpumpen! — Und dann hörten wir, was Sie da hinten in den Bergen alles geschaffen haben. Das trat uns moralisch in den Hintern, verstehen Sie das? Vor allem Major Gomez war ein völlig anderer Mensch, nachdem er von Ihnen zurückkam. Er hat Penasblancas genommen, als stürme er eine Festung. Und so langsam ändert sich alles. «Salto lächelte schief.»Statt eines Großbordells haben wir jetzt 14 Einzelfirmen! Nicht mehr Mercedes allein beschützt die Mädchen, jetzt übernehmen das 14 Zuhälter. Wir normalisieren uns.«
«Wo lebt Perdita Pebas jetzt? Wir wollen gleich morgen zu ihr.«
«Sie ist nicht mehr hier.«
«Was?«Dr. Mohr atmete tief auf.»Weiß das Margarita schon?«
«Ja. «Salto zögerte, dann sprach er weiter.»Sie fragte gleich im Zelt nach ihr. Als Sie Ihre nassen Kleider zum Trocknen aufhäng-ten, fragte sie leise. Ich mußte ihr die Wahrheit sagen. Perdita Pe-bas ist mit einem Mann weggezogen.«
«Wohin, wissen Sie auch?«
«Es heißt, sie wollten nach Chivor. Der Mann ist ein Händler. Er verkauft Hemden, Anzüge, Stiefel und Mützen, natürlich nur gegen Smaragde. Ich vermute, er verkauft auch Waffen! Aber das war nicht nachzuweisen. «Leutnant Salto zuckte mit den Schultern.»Schade um das Mädchen. Es war ein hübsches Ding. Ich hatte nach dem Auflösen der Bar auch gehofft, daß sie zu ihrem Vater zurückkehrt, aber das Leben bei >Mama< hatte sie schon zu sehr angefressen. Sie konnte nicht mehr umdrehen. «Er reichte Dr. Mohr seine Zigaret-ten hinüber.»Wo ist Margarita jetzt?«
«Sie kauft mit Nuria neue Kinderkleider.«
«Allein?«rief Salto entsetzt.
«Einer Ihrer Polizisten, der dienstfrei hat, begleitet sie.«
«Ist es wahr, daß Zapiga einen Millionenfand gemacht hat?«
«Ja.«
«Einen reinen Smaragd von über 200 Karat?«
«Ich habe ihn selbst in der Hand gehabt.«
«Maria! Welch ein Gefühl ist das, Doctor?«Saltos Augen glänzten.»Kann man da nicht verrückt werden?«
«Nein!«Dr. Mohr schüttelte den Kopf.»Hätte ich vorher gewußt, wieviel Unglück dieser verfluchte Stein bringt, ich hätte ihn mit dem Hammer zertrümmert.«
«Es wären immer noch Millionen geblieben!«
«Ich hätte ihn in die Schlucht geworfen!«
«Dann lebten Sie jetzt nicht mehr, Doctor. Zapiga hätte Sie im gleichen Augenblick umgebracht! Und jeder von uns hätte ihn verstanden.«
«Sie hätten nicht anders gehandelt, Leutnant? Sie, ein Polizeioffizier?«
«Keinen Moment, Doctor. Ein solcher Stein rechtfertigt alles. Menschen gibt es genug. 200karätige Smaragde nur alle hundert Jahre, vielleicht.«